Mittwoch, 31. März 2010

Er ist's!


Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Süsse wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land...
(Eduard Mörike 1804-1875)

Hatschi! Der schwäbische Pfarrer und Vertreter einer Biedermeier-Literatur, die sich nicht immer ganz so anspruchslos bemerkbar machte wie hier, litt im Gegensatz zu mir offenbar unter keiner Pollenallergie. - Wie dem auch sei: Normale Sterbliche würden derartiger Lyrik wohl Bilder zugesellen, die blümelnde Bienen poppende Knospen oder Menschen zeigen deren dieser Jahreszeit angemessene Tätigkeit auf einer jugendfreien Seite nicht in Wort und Bild zum Ausdruck kommen sollte. Da ich jedoch in mancherlei Hinsicht ein wenig anders “gestrickt” bin, verzichte ich mal auf den üblichen Kitsch  und warte stattdessen mit einem Gemälde des Manieristen Giuseppe Arcimboldo (um 1526-1593) auf. --- Und ja, er ist’s tatsächlich: “Der Frühling”! Der exzentrische Italiener, der in Wien zum Hofmaler von Kaiser Rudolf II. aufstieg und vor allem für seine Umkehrbilder berühmt wurde (ich schätze z.B. das boshafte “Der Fleischteller” oder “Der Metzger”, das je nach Geschmack und Ausrichtung die deutsche Bundeskanzlerin oder ihren welligen Aussenminister darstellen könnte), schuf nämlich tatsächlich einen “Vier Jahreszeiten”-Zyklus, in dem er Portraits aus Blumen, Früchten und anorganischen Stoffen (hier u.a. Rosenknospen, Löwenzahn und Maiglöckchen) derart kunstvoll arrangierte, dass ihm bleibender Ruhm beschieden war (selbst die Surrealisten liessen sich von seinen allegorisch-enigmatischen Einfällen beeinflussen). - Sollte also jemand über Ostern nach Wien fahren: im Kunsthistorischen Museum sind einige Bilder von Arcimboldo zu bewundern.

Womit wir über Umwege beim eigentlichen Thema angelangt wären: Geniesst das verlängerte Wochenende! Haltet euch mal von Filmen fern und begebet euch - möget ihr nun gottesfürchtige Menschen sein oder nicht - hinaus in die freie Natur! Will heissen: Nehmt die 250 Meter bis zu eurer Lieblingsspelunke zu Fuss in Angriff und sprayt auf dem Heimweg - den Duft der Blumen dankbar in euch aufnehmend - das Garagentor eures Nachbarn mit Graffitis voll. Macht ja nichts: Schliesslich seid ihr besoffen.

Und nachdem es uns nun völlig missglückt ist, eine Verbindung zwischen Biedermeier, italienischer Spätrenaissance und euren Lastern herzustellen, werden wir wohl auch noch den Weg zu einem der Jahreszeit mit ihren österlichen Feiertagen unangemessenen Film finden:


Osterspaziergang
(Easter Parade, USA 1948)
Regie: Charles Walters
Darsteller: Judy Garland, Fred Astaire, Peter Lawford, Ann Miller u.a.

MGM kündigte “Easter Parade” als “the happiest musical ever made” an. Und obwohl die Hollywood-Maschinerie in Sachen Werbung schon immer ein wenig übertrieb, muss ich ihr in diesem Punkt zustimmen, dient doch das Nichts an Handlung lediglich als Vorwand für siebzehn (!) unvergesslich choreographierte Gesangs- und Revuenummern, zu denen Irving Berlin die Musik lieferte. Wer sich auch nur ein wenig mit dem Genre befasst hat, muss über sie gestolpert sein und sie - im Herzen bereichert - zu dessen Glanzpunkten  zählen:

Ausgerechnet nach der Rückkehr von der Osterparade in New York erfährt der berühmte Tänzer Don Hewes von seiner Partnerin Nadine, dass sie eine Solokarriere in Angriff nehmen möchte. Don ertränkt daraufhin seinen Kummer mit  Freund Jonathan   in einer Kneipe und behauptet leicht angesäuselt, er könne aus jeder zufällig herausgepickten Tänzerin eine zweite Nadine formen. Das Chorus Girl, für welches er sich entscheidet, heisst Hannah Brown und erweist sich  als schwieriger Fall; denn Hannah ist eigentlich Sängerin und eignet sich überhaupt nicht für die klassischen Tanznummern, die Don mit ihr einübt. Bald erkennt der Tänzer jedoch Hannah’s Talent für Komik, und die beiden steigen ebenso zu Starruhm auf wie Nadine mit ihrem Soloprogramm. Einige Liebesgeschichten, die sich nebenbei abspielen (Jonathan, der sich auch für Hannah zu interessieren beginnt, bleibt, wie man es von Peter Lawford, der erst im Zusammenhang mit dem Tod von Marilyn Monroe wirkliche “Berühmtheit” erlangte, gewohnt ist, der “Fella with an Umbrella”), sind nicht weiter erwähnenswert. Wichtig ist nur: Am Ende hat Hannah, die schon fürchtete, sie würde ihren Partner wieder an seine frühere Tanzpartnerin verlieren, Don so weit, dass er ihr auf der Osterparade einen Ring schenkt.

Im Zentrum des Musicals stehen natürlich die höchst einfallsreich und in wunderschönem Technicolor gefilmten Tanz- und Gesangsnummern. Sie beginnen mit dem Stück “Drum Crazy”, mit dem ein völlig von seinem klassischen Stil befreiter Fred Astaire vor einem erstaunten Jungen sämtliche Schlagzeugelemente in einem Spielzeugladen traktiert. Einzigartig natürlich auch seine Ballade “It Only Happens When I Dance With You”, mit der er Nadine zurückgewinnen möchte. Und wenn das für einander bestimmte Duo Hannah/Don dann zu seiner wahren Berufung findet, gelingen ihm Darbietungen, die bestimmt nicht nur die Besucher der Ziegfeld Follies zutiefst mit Glücksgefühlen erfüllt  hätten (“Snooky Ookums”, “When the Midnight Choo-Choo Leaves for Alabama”, “Ragtime Violin” - als Höhepunkt natürlich “A Couple of Swells”, der Song, der Garland und Astaire als Landstreicher zeigt, die auf der Bühne wie Snobs  die Strasse entlang gehen, “walk up the avenue“). Den Gegensatz zu diesen humoristischen Nummern bilden die unwiderstehlich erotischen und von artistischen Tanzeinlagen begleiteten  Songs der begnadeten Ann Miller (“Shakin’ the Blues Away” oder “The Girl on the Magazine Cover”). Man könnte behaupten, vor “Easter Parade” sei es selten einem Film-Musical geglungen,  die Zuschauer mit einem derart geglückten Mix zu überraschen. Der Film erhielt denn auch den Oscar für die beste Musik (er ging seltsamerweise nicht an Irving Berlin, sondern an Johnny Green und Roger Edens)  und wurde zu einem der grössten Musical-Erfolge der 40er Jahre.


Dass dieser Erfolg überhaupt zustande kam, ist mehreren Zufällen zu verdanken: So war ursprünglich Gene Kelly als Partner für Judy Garland vorgesehen, was man dem Charakter einiger Nummern - sie waren regelrecht auf ihn zugeschnitten - auch anmerkt. Als Kelly sich jedoch den Fussknöchel brach, sprang Astaire, der sich eigentlich vom Film zurückziehen wollte (ein unfassbarer Entschluss, wenn man bedenkt, was der Star in den folgenden Jahren noch leistete), für ihn ein - und fand zu einer Lockerheit, die man von ihm als “klassischem” Film-Tänzer gar nicht gewohnt war (Judy Garland, die seinen üblichen Tanzpartnerinnen nicht ebenbürtig war, aber, wie er selber eingestand, ganz andere Qualitäten einbrachte, dürfte wesentlich dazu beigetragen haben). - Auch der ursprünglich vorgesehene Regisseur Vincente Minnelli wurde ersetzt, da die mit ihm verheiratete Judy sich gerade von einem u.a. der krisengeschüttelten Ehe zu verdankenden Nervenzusammenbruch erholt hatte und man fürchtete, eine Zusammenarbeit könnte neue Probleme mit sich bringen. Dies war meines Erachtens ein Glücksfall: Minnelli, der sich in den frühen 50ern mehr und mehr einer mir nicht sonderlich zusagenden Artifizialität zuzuwenden begann (“An American in Paris”, 1951, “Brigadoon”, 1954, “Lust for Life”, 1956 etc.), hätte wohl niemals jenen Eindruck beglückender, wenn auch flüchtiger Leichtigkeit auf die Leinwand gezaubert, der als eigentliches Markenzeichen von “Eastern Parade” gelten darf. - Letztlich musste auch die brillante Ann Miller (sie zog 1953 dann in “Kiss me, Kate” als mannstolle Bianca auch “any Tom, Dick or Harry” als Gatten in Betracht  - und kehrte, was oft gar nicht  ausreichend wahrgenommen wird, für einen der wichtigsten Filme dieses Jahrzehnts, David Lynch’s “Mulholland Dr.”, 2001, als ‘Coco’ noch einmal vor die Kamera zurück) für die schwangere Cyd Charisse einspringen und schaffte es so zu einem sexbeladenen MGM-Debüt, welches wohl die Ursache für  die von ihr immer wieder zurückgewiesene “Gunst” von Louis B. Mayer war.

Dies könnte natürlich der richtige Ort sein, um auf das sich schon früh abzeichnende Schicksal der zu Depressionen neigenden und drogenabhängigen Judy Garland, für die “Easter Parade” als weiteres Erfolgs-Vehikel nach “Meet Me in St. Louis”, 1944, und “The Pirat”, 1948, zurechtgeschnitten war (ich glaube selbst in den witzigsten Szenen eine tiefe Traurigkeit in ihren Augen zu entdecken), einzugehen.  Andererseits ist dieser Film ein derart luftiges Vergnügen, dass man sich ein solches Thema feige etwa für “A Star Is Born”, 1954, in dem Licht- und Schattenseiten des Starruhms ohnehin zur Sprache kommen, aufsparen möchte.

Belassen wir es deshalb bei der nicht von mir erfundenen Feststellung, “Osterspaziergang” habe in Wirklichkeit wenig mit Ostern zu tun, sondern sei vielmehr ein herrlicher, nur rund 103 Minuten dauernder Karneval für die ganze Familie, den man zu jeder Jahreszeit geniessen kann. - In diesem Sinne wünsche ich meinen zwei Lesern ein “fröhliches Suchen nach gefärbten Eiern”, gönne auch mir ein paar Blogger-freie Tage über Ostern hinaus --- und seid froh, dass ich nicht mit Mel Gibsons “The Passion of the Christ”, 2004, angetrabt bin!!!

Samstag, 27. März 2010

Hatte es der Heilige Geist mal wieder nötig?

Agnes - Engel im Feuer
(Agnes of God, USA 1985)

Regie: Norman Jewison
Darsteller: Jane Fonda, Anne Bancroft, Meg Tilly, Anne Pitoniak, Winston Rekert, Gratien Gélinas, Guy Hoffman u.a.

1967 kam der Schriftsteller Ira Levin auf die glänzende Idee, auch den Satan mal Vater werden zu lassen - was Roman Polanski 1968 zu einem seiner besten, sich eng an den Roman “Rosemary’s Baby” anlehnenden, Filme inspirierte. In den 70ern sollte ein weiteres Bubi des Teufels  sogar das tun dürfen, wofür man ein solches Ding wohl am besten gebrauchen kann: mit dem von Richard Donner inszenierten - fragwürdigen - Machwerk “The Omen” (1976) die Welle der Splatter-Movies (wer muss wohl als nächstes auf welche abstosende Weise dran glauben?) einläuten. --- War es da nicht höchste Zeit, dem Heiligen Geist nach beinahe 2000 Jahren ebenfalls eine neue Chance zu geben? Und wer sollte als angehende Mutter in Frage kommen, wenn nicht ein frommes Nönnchen, eine unschuldige Novizin gar?

Diese Fragen scheint sich zumindest der Dramatiker John Pielmeier gestellt zu haben, als er sein Stück “Agnes of God” schrieb, das 1982 zu einem Riesenerfolg am Broadway wurde - und 1985 prompt  eine Verfilmung nach sich zog - eine Verfilmung, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist und trotz dreier Oscar-Nominierungen von der Kritik schon damals höchst unterschiedlich (oft zurückhaltend) aufgenommen wurde. Eigenartigerweise begeisterte die Arbeit von Norman Jewison, der 1987 mit “Moonstruck” ein würdiges Comeback feiern sollte, ein Grüppchen von Menschen, die sich für intellektuell hielten - und  dem, es sei beschämt eingestanden, auch ich angehörte...

In einem Kloster am Stadtrand von Montreal wird die junge, oft Zeichen von geradezu ekstatischer Verzückung zeigende Ordensschwester Agnes eines Nachts von den anderen Nonnen blutüberströmt in ihrer Zelle aufgefunden. Die Oberin entdeckt im Papierkorb ein erwürgtes Baby, dessen Mutter - und Mörderin? - Agnes wohl sein muss. Das verwirrte Kind kann sich jedoch an nichts erinnern, behauptet entschieden, noch Jungfrau zu sein -  und auch ihre Mitschwestern scheinen nie Anzeichen einer Schwangerschaft bemerkt zu haben.  Die Psychiaterin Dr. Martha Livingston, die längst aus der Kirche ausgetreten ist, soll die Hintergründe des Falls untersuchen, stösst als  Kettenraucherin im Kloster jedoch auf eine Atmosphäre eisiger Ablehnung und fühlt sich gleichzeitig von den Heiligenstatuen und anderen religiösen Symbolen bedroht. Dennoch entlockt sie nicht nur der in einer vollkommen anderen Welt lebenden Agnes,
sondern auch den Schwestern mit der Zeit so manche verdrängte Wahrheiten; selbst ihr Verhältnis zur Oberin Mutter Miriam Ruth, einer einst verheirateten und durchaus auf dem Boden der Realität stehenden Frau, scheint sich zu bessern. Martha selber muss sich hingegen plötzlich mit ihrem Verhältnis zur Religion - und dem Glauben an Wunder! - auseinandersetzen. - Als die Kirche auf einen raschen Abschluss der Untersuchungen drängt, will die Psychiaterin zum Mittel der Hypnose greifen. Nun aber besteht auch die Oberin darauf, dass Agnes, die immerhin manchmal Wundmale aufweist, von Gott auserwählt und zur Mutter seines Kindes erkoren worden sei. Haben wir es mit einer “unbefleckten Empfängnis” zu tun?

Um es gleich vorwegzunehmen: Auch wenn der Film gegen Ende  die Möglichkeit einräumt, dass Agnes in der von Tauben bevölkerten Scheune (der Heilige Geist lässt sich - siehe Bibel! - bekanntlich gern in Gestalt einer Taube blicken) von einem durchaus irdischen Wesen, bei dem es sich kaum um den ältlichen und dem Alkohol zugeneigten Beichtvater Father Martineau handeln wird, geschwängert worden sein könnte, löst sich das Rätsel - selbst für Dr.Livingston, deren Distanz zur faszinierenden Unschuld ausser Kontrolle geraten ist - nicht wirklich auf: die Schlussbilder zeigen uns die junge Nonne, die vom Glockenturm aus ihre göttliche Stimme in den winterlichen Klostergarten hinaus erklingen lässt.

Aus einem Film, der scheinbar als Mystery-Thriller angelegt war, ist also auch eine Auseinandersetzung mit Grundfragen des Glaubens geworden, mit religionsphilosophischen  Themen, die man anschneidet aber dann doch wieder fallenlässt; denn schlussendlich möchte man den Zuschauer  bei der Stange halten und ihn wieder in den Gerichtssaal zurückführen, wo die Wahrheit über jene Nacht in der Scheune aufgedeckt werden könnte. Hinzu kommen die unterschiedlichen Leben dreier Frauen, die allzu  künstlich  miteinander verknüpft werden, ohne je den eigentlichen Grund dieser Verknüpfung für den Fortgang der Handlung auch nur andeutungsweise zu erklären - was “Agnes of God” zu einer Enttäuschung macht: Der “dritte Akt” des Films, der die vergangenen 98 Minuten zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen müsste, fehlt, Probleme, die gelegentlich in den Mittelpunkt gestellt werden, rücken plötzlich wieder in den Hintergrund, weshalb sich der Zuschauer verwirrt und enttäuscht im Stich gelassen fühlt. Hinzu kommen die - wie ich erst heute weiss - schon damals völlig übertrieben  wirkenden “psychoanalytischen” Verfahren, mit denen Dr. Livingston die “Wahrheit” herausfinden will.

Was also war es, das uns seinerzeit für diesen Film, dessen hanebüchene Geschichte auch noch von Dialogen begleitet wird (Goethes “Tasso“ mit seinem Prinzip von “Behauptung - Gegenbehauptung“ lässt grüssen), die schon auf der Bühne theatralisch genug gewirkt haben dürften, derart einnahm? An Jane Fonda wird es, dies behaupte ich jetzt mal retrospektiv, kaum gelegen haben, hatte die einstige Ikone doch bereits  viel von ihrem  Nimbus als Vorzeige-Frau im Kampf gegen das Establishment und den Vietnamkrieg eingebüsst und gezeigt, dass sie - als zunehmend durchschnittlich begabte Schauspielerin mit Pferdegesicht - eigentlich mit Vorliebe in Filmen auftrat, mit denen man sich in Hollywood nicht wirklich unbeliebt machte (“The Electric Horseman”, 1979, “Nine to Five”, 1980, “On Golden Pound”, 1981). So spielt sie auch ihre Rolle als kettenrauchende (man musste für die fundamentalistische Nicht-Raucherin Fonda spezielle Zigaretten ohne Nikotin entwerfen!) Psychiaterin, die sich in der Grossstadt wohl fühlt und doch mehr und mehr in den Bann des Klosters gerät, wie man es von  einer amerikanischen Schauspielerin ohne besondere Fähigkeiten  eben erwarten darf. Ihre
vorhersehbaren Gesten fallen regelrecht ab gegenüber der grandiosen Leistung von Meg Tilly, der als Agnes etwas Überirdisches (ich denke etwa an die Szene, in der sie Dr. Livingston im Glockenturm vorführt, warum sie gern unter der Glocke liegt), aber auch eine angsteinflössende Verwirrtheit regelrecht vom Gesicht abzulesen sind - und sie wirken schon ganz und gar dilettantisch,wenn man sie mit der Schauspielkunst einer
Anne Bancroft vergleicht, die einst als Mrs. Robinson den jungen Dustin Hoffman hatte verführen dürfen (1967) und jetzt als von Zweifeln geplagte Vorsteherin eines Klosters, die unerschütterlich glauben möchte, nicht weniger glänzt (sowohl Tilly als auch Bancroft wurden für einen Oscar nominiert).

Neben den schauspielerischen Leistungen sind es einzelne Szenen, die hängen bleiben. Sie betreffen weniger den ziemlich einfallslosen Stadt-Kloster-Gegensatz als z.B. den Filmbeginn (man sieht die Schwester, die das Licht im Kloster löscht, dann die nächtlichen Gänge, die plötzlich von Schreien erfüllt werden, die erschreckten Nonnen, die die Türe zu Agnes’ Zelle zu öffnen versuchen, den nur angedeuteten Anblick dessen, was sich im Zimmer befindet, die Ankunft des Krankenautos) oder  die Ankunft von Dr. Livingston im Kloster, den Blick, den ihr die Nonne an der Pforte zuwirft, das krampfhafte Bemühen, die Zigarette am Boden auszudrücken. Ich denke natürlich auch an den Aufenthalt der so gegensätzlichen und sich einander doch annähernden Frauen, die um Agnes ringen, im Klostergarten, an Mutter Miriam Ruth, die seit Jahren an ihrer ersten Zigarette zieht und sich genussvoll einem Hustenanfall nach dem anderen hingibt. - Solche Szenen machen den Film trotz seiner nicht wegzudiskutierenden Schwächen noch heute zu einem “kleinen” Ereignis, dem man sich - vorgewarnt - mal wieder aussetzen sollte.  - Und es sind vor allem die Bilder, die exzellente Fotografie, die auch eine Oscar-Nominierung verdient hätte (immerhin verdanken wir sie dem  durch seine lange Zusammenarbeit mit Ingmar Bergman geschulten Sven Nykvist). Allein schon das am Anfang von der Kamera langsam umfahrene Kreuz, das hoch über der Stadt Montreal zu leuchten scheint, übte im Kino damals eine ungeheure Wirkung aus; hinzu kamen die wuchtigen Aufnahmen vom Inneren des Klosters, die den Zuschauer spüren liessen, in welch beinahe ungesunder mystizistischer Atmosphäre sich das Ganze abspielte. Und wer könnte je dieses  Bild vergessen, das die von Tauben umflogene unschuldige Nonne in der halbdunklen Scheune zeigt:


“Agnes of God” ist ein von der Handlung und Struktur her miserables “Mystik-Drama“, das uns die zweite “unbefleckte Empfängnis” seit 2000 Jahren als Möglichkeit unterzujubeln versucht. Er ist aber, wenn die Protagonisten mal das Maul halten und auf die schrecklichen Dialoge verzichten, ein atmosphärisches Erlebnis - vielleicht  zu Recht vergessen, aber Nostalgiker doch gelegentlich wieder zu einer Sichtung verlockend .

Dienstag, 23. März 2010

Die etwas andere Annäherung an AIDS


Peter's Friends (Alternativtitel: Peter's Friends - Freunde sind die besten Feinde)
(Peter's Friends, Grossbritannien 1992)

Regie: Kenneth Branagh
Darsteller: Kenneth Branagh, Stephen Fry, Emma Thompson, Alphonsia Emmanuel, Hugh Laurie, Imelda Staunton, Rita Rudner, Tony Slattery u.a.

Es ist eigentlich eine traurige Sache: Da wurde 1993 ein derartiges Theater veranstaltet, weil Tom Hanks in “Philadelphia” einen schwulen HIV-Infizierten spielte, (“Er enttabuisiert das Thema!!!”), dass so mancher Film, der eindrücklicher (weil nicht marktschreierisch) auf HIV zu sprechen kam, im Lärm um die Schnulze von Jonathan Demme unterging. - Um eine Sache klarzustellen: Ich habe nichts gegen Tom Hanks, denke sogar, er habe den Oscar für “Forrest Gump” verdient und nachher die Hollywood-Karriere (potentielle Blockbuster) eingeschlagen, die man von Leuten wie ihm erwarten darf. Schliesslich hatte ihm “Philadelphia” überhaupt erst gezeigt, wie man sein Image als Komödiant  los wird und sich fortan dem Bereich des Verlogenen (man denke etwa an “The Terminal”, 2004) und seinen angenehmen Seiten  zuwenden kann .  Denn “Philadelphia” ist ein verlogener Film, ein durch und durch kalkulierter Kassenschlager, dem bloss die Aufgabe zukam, den Themenbereich HIV und AIDS als gefälliges Süppchen aufzukochen und neben dem Filme, die sich der Wahrheit anzunähern versuchten (etwa “Les nuits fauves”, 1992, oder “And the Band Played On”, 1993) natürlich nicht bestehen konnten.

Kenneth Branagh’s “Peter’s Friends” gehört sicher nicht wirklich zu diesen Filmen; man könnte ihn höchstens als recht gelungene Ensemble-Arbeit bezeichnen, die HIV lange Zeit unausgesprochen im Raum stehen lässt  und sich der nicht einfachen Aufgabe widmet, eine Gruppe alter Freunde von einer selbstbezogenen Hysterie zur Stille finden zu lassen. - Stephen Fry, sowohl als Schriftsteller als auch als Drehbuchautor und Schauspieler ein schwules Multitalent, spielt einen ehemaligen Cambridge-Studenten, der seine Freunde aus vergangenen Tagen für ein Neujahrswochenende auf seinen kürzlich vom verstorbenen Vater geerbten Landsitz einlädt. Von der einstigen Eintracht zeugt jedoch nur noch ein Foto, das die verschworene Clique im Anschluss an eine Kabarett-Nummer zeigt, mit der sie ein älteres Publikum zu schockieren beliebten. - Denn mittlerweile sind zehn Jahre vergangen (sie ziehen im Vorspann anhand wichtiger und weniger wichtiger Ereignisse wie Ausschnitte aus einer Wochenschau an uns vorüber), und aus den Freunden sind neurotische, auf ihre eigenen echten oder eingebildeten Probleme fixierte Gestalten geworden, die Peter’s Nachdenklichkeit, seine Andeutungen, er wolle das Haus eventuell verkaufen, gar nicht wahrnehmen. Anonyme Alkoholiker,
sexuell unbefriedigte Frauen und zerrüttete Ehen beherrschen die Szene, und es gelingt Peter inmitten dieses Jahrmarkts verzweifelter Eitelkeiten nicht einmal, einen Toast auf alte Zeiten auszusprechen. - Denn da muss Andrew, der einmal Schriftsteller werden wollte und nun als Serien-Schreiber in Hollywood arbeitet, eine glückliche Ehe mit einem zickigen Star vorgaukeln, die sexgierige Sarah ihren noch verheirateten Liebhaber bei jeder Gelegenheit zu Höchstleistungen antreiben, Mary, die den Tod eines ihrer Kinder nicht überwinden kann, ständig zu Hause anrufen - während die einsame Maggie nichts anderes im Kopf hat als den bisexuellen Peter, in den sie schon immer verliebt war, zwecks späterer Heirat ins Bett zu locken. Mit der Zeit lassen sich Spannungen nicht mehr unterdrücken, Feindschaften kommen auf, und der Gastgeber veliert zunehmend an Bedeutung. Als die Situation mit einem völlig betrunkenen Andrew zu eskalieren droht, erzählt Peter seinen Freunden endlich, weshalb er sie noch einmal sehen wollte. Dieses stille, zögernde Erzählen (eine Meisterleistung von Fry) bringt die selbstbezogene Bande ebenso zum Schweigen wie den Zuschauer. - Denn so, auf diese zögernde, wenn auch sachliche Art spielt es sich wohl auch in Wirklichkeit ab; nicht mit aufwühlenden Prozessen, die aus schwulenfeindlichen Anwälten vehemente Verteidiger  und aus dem kampfbereiten Tom Hanks einen leicht übertriebenen Todkranken machen, der zu allem Elend noch mit Antonio Banderas seinen letzten Tanz tanzt.

Dass “Peter’s Friends” insgesamt trotzdem nicht wirklich zu überzeugen vermag, liegt daran, dass der Film - ein Charakteristikum, das britische Ensemble-Filme oft zu ihrem Vorteil ausnutzen - trotz der tragischen Untertöne (Tod des Vaters, Tod des Kindes, Alkoholismus etc.) etwas leichtfüssig daherkommt, was die einzelnen Figuren  einseitig gezeichnet wirken lässt und den Eindruck erweckt, die Drehbuchautoren hätten sich nicht recht entschliessen können, ob sie nun das Script für eine reine Komödie oder doch für etwas anderes schreiben sollten. Auf diese “Schwäche” spielt wohl Desson Howe auch an, wenn er einigen überschwänglichen Rezensionen entgegensetzt: “With a smattering of one-liners, and a dash of ironic spirit, “Peter’s Friends” is a diverting, if modest affair.” Auch der Vorwurf, man habe sich etwas auffällig am amerikanischen Film “The Big Chill” (1983) orientiert, in dem sich eine einst befreundete Studentenclique nach dem Selbstmord eines ihrer Kommilitonen wieder trifft und ihre Neurosen kultiviert, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Solcher Kritik ist höchstens entgegenzusetzen, dass es die “One-Liners” in sich haben und vom harmonisch zusammenspielenden Ensemble (einige Darsteller hatten tatsächlich zusammen die Universität Cambridge besucht!) auf unnachahmliche Weise vorgetragen werden. So seufzt etwa die auf Peter begierige Maggie vor dessen Schlafzmmertür: “Fill me with your little babies!”, worauf sie dieser - was wohl nur ein Stephen Fry vermag - mit einem “Oh, how can I put this delicately? It’s just that I’m not really in the vagina business” zu trösten versucht. Auch Andrew’s Bemerkung zur Abwesenheit seiner Star-Gattin ist schwarzer britischer Humor vom “Feinsten”: “Carol will be down in a minute. She’s just gluing her hair on.” - Kommt hinzu: Kenneth Branagh ist als Regisseur für Ensemble-Filme grundsätzlich besser geeignet denn als reiner In-Szene-Setzer seiner “einzigartigen” Persönlichkeit (weshalb etwa auch seine Inszenierung von “Much Ado About Nothing”, 1993, als wesentlich gelungener bezeichnet werden muss als sein mühsamer “Hamlet”, 1996, von “Mary Shelley’s Frankenstein”, 1994, ganz zu schweigen). - Am Ende überwiegt jedoch das ungute Gefühl, sowohl die Schicksale der einzelnen Figuren als auch das am Schluss doch ausgesprochene Thema HIV seien etwas zu ernst für die Unentschlossenheit, die sich in “Peter’s Friends” bemerkbar macht - und von der uns höchstens einige bewusst von einer gehörigen Portion Kitsch begleitete Szenen (etwa das im  Taumel der Wiedersehensfreude gemeinsam am Klavier vorgetragene “The Way You Look Tonight”, das die Verschworenheit der Vergangenheit erneuern soll) ablenken.


Freunde nostalgischer 80er Jahre-Musik kommen übrigens voll auf ihre Kosten: Von Cyndi Lauper's "Girls Just Want To Have Fun” über Tina Turner's “What’s Love Got To Do With It” bis zu “Everybody Wants To Rule The World” von den Tears For Fears” werden so ziemlich alle Songs durchgespielt, die die Protagonisten, aber auch mich auf schon beinahe deprimierende Art an jene Zeit erinnern, in der man sich jung nennen durfte.

Freitag, 19. März 2010

Ein Schweizer! Ein Schweizer!

Das Haus in Montevideo
(Das Haus in Montevideo, Deutschland 1951)
Regie: Curt Goetz, Valérie von Martens
Darsteller: Curt Goetz, Valérie von Martens, Albert Florath, Lia Eibenschütz, Jack Mylong-Münz, Ruth Niehaus, Eckart Dux, Rudolf Reif, Ingeborg Körner, Lope Rica u.a.

Bei der blossen Erwähnung des Reizthemas "Deutsches Kino der 50er Jahre" kräuseln sich noch heute so manchem Filmliebhaber die Nackenhaare, was wohl nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass die Fernsehanstalten ständig die Schwarten wiederholen, die früher einem Publikum gefallen haben mögen - vom “Schweigen im Walde” (1955) bis hin zu den Trällerliedchen, die zustande kamen, "wenn die Conny mit dem Peter” (1958)...

In Wirklichkeit ist schon so manches Vorurteil gegenüber dieser Dekade revidiert worden, und man wirbt auch um ein gewisses Verständnis für die Unzahl an Heimatfilmen, die sie vorzuweisen hat: Das Kino wollte den Zuschauern eben zeigen, in welch schönem Land sie nach all der den Nazis zu verdankenden Verwüstung eigentlich doch lebten  - zugegeben: nicht gerade auf anspruchsvolle Weise (es sollen jedoch auch ein paar leider verschollene Heimatfilme mit äusserst düsterer Story gedreht worden sein). - Und es gab neben dem zu Unrecht vom breiten Publikum bis heute weitgehend ignorierten Meisterwerk “Der Verlorene” (1951) des Heimkehrwilligen Peter Lorre auch elegante Ansätze zur Bewältigung der in die Gegenwart hineinreichenden Vergangenheit (etwa “Rosen für den Staatsanwalt” von Wolfgang Staudte, 1959) oder zum Anschluss an den von den USA geprägten gesellschaftskritischen Kriminalfilm (Alfred Weidenmanns “Alibi”, 1955). - Was den 50ern jedoch fehlte, war jene strikte intellektuell geprägte Bewegung, die sich gegen den “gängigen Unterhaltungsfilm” gerichtet hätte.

Eine bescheidene Gegenbewegung gegen die verlogenen Moralvorstellungen dieser und aller Zeiten  (und die  daraus resultierenden Filme) spukte allerdings schon durch die deutschen Kinos jener Jahre; und zwar in Form eines regelrechten Anarchisten, vielleicht des grössten, wenn nicht einzigen Anarchisten, dessen sich der deutsche Film rühmen darf: Curt Goetz. Und dieser Curt Goetz war - wie ich erst kürzlich mit Freude erfahren durfte - ein Schweizer!!! Zumindest teilweise.

Goetz, eigentlich ein Mann des Theaters, war der Sohn eines Schweizer Kaufmanns, und wuchs - leider; denn es wäre zu schön gewesen - in Deutschland auf. Er schrieb die Texte für seine Sketche selber, wirkte aber als Schauspieler schon in Stummfilmen mit. Und er hatte auch bereits mehrfach Filme nach eigenen Vorlagen gedreht oder drehen lassen, z.T. mit sich selber in der Hauptrolle (“Napoleon ist an allem schuld”, 1938). In der von moralischer Heuchelei durchdrungenen Adenauer-Zeit blühte er jedoch vollends auf und entwickelte sich mit seinem bewusst übertriebenen Spiel zu einem Anarchisten des Films, den man höchstens mit den Marx Brothers vergleichen könnte - allerdings zu einem Anarchisten, dessen heimtückisch ausgespielte  wahrhaftige Moral, um  einen Kernsatz seines Professors Traugott Hermann  Nägler aufzunehmen, hinter der Gestalt des Narren wirklich keine Ferien kannte.

Von den beiden Filmen, mit denen Curt Goetz nach “Frauenarzt Dr. Prätorius” (1949/50)  das Kino der 50er im wahrsten Sinne des Wortes aufmischte, ist mir “Das Haus in Montevideo” bei weitem der liebere, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass er ihn zusammen mit seiner Frau Valérie von Martens selber drehen und seiner überbordenenden Gestik und Mimik freien Lauf lassen konnte - während er in “Hokuspokus” (1953) unter Kurt Hoffmann arbeitete, dem Pseudo-Moralisten, der sich in der Zeit des Nationalsozialismus durchaus noch für “lustige” Propagandafilme (“Quax, der Bruchpilot”, 1941) hergegeben hatte. - Die Geschichte dieses Kinovergnügens, in dem eine Pointe die andere jagt: Professor Traugott Hermann Nägler ist ein dermassen von Selbstgerechtigkeit durchtränkter Mann, dass er ruhig bei seinen Schülern die moralische Keule schwingen lassen und sich sogar einen kleinen Ausraster erlauben darf, wenn sich sein geistig unbedarftes Frauchen so über die “Kanone” freut, die er mit seinen zwölf Kindern (nicht ganz durchgehend nach Wagnergestalten benannt) für sie eingeübt hat. Entsprechend entschieden steht er auch zum Urteil seiner Familie, die einst seine Schwester verstossen hatte, weil sie - o Graus! - schwanger geworden war, ohne verheiratet zu sein. Als Schwesterchen jedoch offenbar begütert stirbt, geraten Näglers moralische Grundsätze  zunehmend ins Wanken, hat die Verblichene doch seiner ältesten Tochter Atlanta (benannt nach dem Schiff, auf dem sich der Professor und seine Frau vor vielen Jahren trauen liessen) ein Haus in Montevideo vermacht. Nach hartem Ringen mit sich selber (“Moral hat nichts mit Logik zu tun”) reist er mit seinem Freund Pastor Riesling und seiner Tochter nach Montevideo, um einen Augenschein auf das in Aussicht stehende Erbe zu werfen. Was er zusammen mit seinen Begleitern antrifft, scheint allerdings nicht ein gewöhnliches Haus, sondern ein derart sündhaftes Etablissement zu sein, dass das pure Chaos über den tugendhaften Nägler hereinbricht (er sieht sich sogar veranlasst, seine der “Unsittlichkeit” anheimfallende Tochter übers Knie zu legen).


Ein solches Erbe könnte doch niemand aus der Familie der Näglers antreten ---  niemals; es sei denn, es gelänge der Moral in Person, ihre Grundsätze durch ein paar kaum nachzuvollziehende geistige Windungen auf den Kopf zu stellen. Denn es besteht auch noch Aussicht auf ein beachtliches Erbe in Form von Bargeld. Dieses Erbe ist freilich an eine Bedingung geknüpft, mit der sich Näglers Schwester auf heimtückische Weise an ihrem hartherzigen Bruder rächen will, und die man schon gar nicht zu erfüllen gewillt ist - obwohl - obwohl - ja, obwohl Tochter Atlanta eigentlich gerade im richtigen Alter dafür wäre...

“Das Haus in Montevideo” quillt über von geistreichen, geschliffenen Dialogen, die Curt Goetz auf eine attackierende Art ausspielt, wie man es im deutschen Film sonst nie erlebte - und die das Wesen der Spiessbürgerlichkeit  dem Zuschauer so vorführt, dass er zu einem verstehenden Lachen angestachelt wird, welches durch die überdrehte Schlusspointe (sie soll hier nicht verraten werden) beinahe so etwas wie Erlösung erfährt. Hinzu kommen Situationskomik am laufenden Band (etwa der berühmte Spaziergang mit den Enten als Geleit, der Aufruhr der Damen in “Unterwäsche“ im vermeintlichen Sündenbabel in Montevideo) und eine formale Leichtigkeit, wie sie sonst nur von Hollywood-Komödien erwartet werden durfte. - Man könnte behaupten, Goetz sei ein wahrhafter Aufklärer gewesen, der eben nicht mit der Moralkeule arbeitete, sondern als Schalk, als Anarchist diese Moralkeule sezierte.

Wer die grosse, eines internationalen Kinos würdige Leistung eines Curt Goetz und seiner Mitspieler vollends verstehen will, sollte die Version von 1951 einmal mit der 1963 entstandenen Neuverfilmung von Helmut Käutner vergleichen, in der - ausgerechnet! - Heinz Rühmann und Ruth Leuwerik die Hauptrollen spielen. Karikiert Goetz den Spiessbürger mit seiner verlogenen Moral auf unnachahmlich witzige und doch seine Figur sympathisch erscheinen lassende Weise, wirkt Rühmann, der sich buckelnd ein Leben lang dieser "Moral" unterworfen hatte, mit seiner aufgesetzten Strenge wie eine Karikatur seiner selber. Es gelingt ihm und dem Filmliebchen der 50er Jahre nicht annähernd, an die herrlich doppeldeutige Frivolität des Goetz-Films anzuknüpfen. Goetz schuf grosses Kino; Käutner hingegen brachte mit Rühmann bloss "deutsches Kino" im durchschnittlichsten Sinne zustande.

Ein Anarchist aus der Schweiz; aus dem Land, das für seine Biederkeit, sein moralisches Getue und sein Bankgeheimnis bekannt ist. Man gestatte mir ein schweizerisch bescheidenes “Halleluja!”.

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Kleiner Nachtrag: Wenn man mich kritisiert, weil ich anstelle des deutschen “sz”s immer das bei uns gebräuchliche Doppel-s benutze, winde ich mich üblicherweise mit der Ausrede aus der Affäre, wir Schweizer hätten das “sz” 1939 abgeschafft, weil wir uns von den Nazis abgrenzen wollten. Curt Goetz würde auf unwiderstehliche Weise mit der banalen Wahrheit herausrücken: Wir hatten nämlich mittlerweile so viele Vokabeln mit der französischen Schreibweise übernommen, dass unsere Schreibmaschinen vor lauter “é”s, “è”s und "à"s keinen Platz mehr für das deutsche “sz” hatten; worauf wir es abschafften und zum Gegenstand einer Legende machte, die noch heute gerne überliefert wird.

Mittwoch, 17. März 2010

Celebrating Myself


I celebrate myself, and sing myself,
And what I assume you shall assume,
For every atom belonging to me as good belongs to you.
(Walt Whitman, Song of Myself)

Nennt mich Whoknows! - Als ich vor einigen Jahren - spät - ins Internet einstieg, erschien mir die Welt des Bloggers als die eines grämlichen Einsiedlers, der nicht willens und in der Lage war, sich in einem kommunikativen Umfeld - sei es real oder virtuell - zu behaupten, seine Argumente überzeugend einzubringen, zu diskutieren. Und ich nahm mir vor, diese Welt zu meiden, galt ich doch als äussserst kommunikationsfreudiger Mensch, der sich redlich um einen guten Kontakt zu seinen Mitmenschen bemühte. - Je länger ich aber in der Sphäre der Foren und "Communities" verharrte; je mehr ich feststellen musste, dass das im virtuellen Raum besonders beliebte - weil anonym anwendbare - Prinzip der Hackordnung längst nicht nur politische Diskussionen beherrschte, sondern selbst unter "Menschen" üblich wurde, die doch eigentlich bloss ein gemeinsames Hobby, eine Leidenschaft hätte verbinden sollen; je weniger oft selbst Moderatoren dem Verlust an Anstand  und dem Respekt vor dem Gegenüber  Herr zu werden vermochten - desto mehr musste ich mir eingestehen, dass nicht nur mein Versuch, mir die kongeniale emotionale Steigerung  im ersten Abschnitt von Herman Melville's "Moby Dick" zu eigen zu machen, kläglich zum Scheitern verurteilt war, sondern auch, dass es an der Zeit war, meine Haltung zu überdenken. - Und als dann selbst in einer Film-Community ein der Leitung unliebsamer User mit fadenscheinigen Gründen rausgemobbt werden sollte, indem man ihn  "von oben" prinzipiell in die ultra-rechte Ecke drängte (der Betreiber des Forums erdreistete sich gar zu der Äusserung, mit solchen Leuten wolle er nichts zu tun haben); da beschloss ich, mich  mit diesem mir politisch fernen, menschlich nahen Opfer einer selbsternannten Elite zu solidarisieren und von nun an - Leser hin oder her - auch den "Song of Myself" zu singen, mich zu feiern, wie es Walt Whitman - eine ganze Nation beeinflussend - getan hatte. Denn letztlich schreibe ich über Filme, weil ich mich an sie erinnern will, weil ich als Laie etwas dazu gesagt haben möchte. Brauche ich dafür den heuchlerischen Beifall einer  "Community" - oder genügen mir die vielleicht wenigen Leser, die sich auf die eine oder andere Weise wirklich angesprochen fühlen?

Und, um am Ende noch einmal an jenen grossen Zeitgenossen Whitman's anzuknüpfen, der uns zeigte, wie eine "Community" (im Falle von "Moby Dick" eine Schiffscrew) vom rücksichtslosen Fanatismus Einzelner ins Verderben getrieben werden kann: Nennt mich Whoknows! Ich gebe mein Bestes, und ich weiss, dass es nicht viel ist.