Dienstag, 27. April 2010

Wenn ein Schauspieler Schrott adelt

Der Unverdächtige
(The Unsuspected, USA 1947)

Regie: Michael Curtiz
Darsteller: Claude Rains, Joan Caulfield, Audrey Totter, Constance Bennett, Ted ("Michael") North,  Hurd Hatfield u.a.


Vor einiger Zeit schrieb ein versierter und von mir sehr geschätzter Blogger, er habe Michael Curtiz’ “Casablanca” (1942) eben zum ersten Mal in seinem Leben gesehen - ein unvorstellbares Privileg, vermag man doch nach vielen sezierenden Sichtungen die Faszination des Films gar nicht mehr vollständig zu erfassen. Das “Geständnis” weckte  Erinnerungen an meine erste Begegnung mit dem Film und führte mich augenblicklich zu der Frage, wie er denn Claude Rains als Polizeichef Captain Renault empfunden habe.  Es waren nämlich weniger dieser desillusionierte Rick und seine Angebetete, um die ich mich als 9-jähriger Knirps gekümmert hätte; vielmehr packte mich das undurchschaubare Etwas im Verhalten von Rains, in dessen Händen  das Schicksal aller Figuren lag. Und nie zuvor hatte es ein Schauspieler geschafft, mich mit seinem seltsamen Gesichtsausdruck und seiner strengen, scheinbar unbestechlichen Stimme bis zum Ende derart in seinen Bann zu ziehen. - Von diesem Moment an war ich ein Fan von Claude Rains, hoffte, er würde sich in “Notorious” (1946) am Ende doch noch seiner tyrannischen Mutter widersetzen und atmete erleichtert auf, als er in dieser eine halbe Ewigkeit währenden Szene in “Mr. Skeffington” (1944) eine durch Krankheit hässlich gewordene, auf der Treppe wartende Bette Davis wissen liess, dass eine Frau nur schön ist, wenn sie geliebt wird. --- Es hing alles mit dem Gesicht und der Stimme dieses einzigartigen Schauspielers zusammen, die so vieles an letztlich nicht ganz Vertrauenswürdigem, vielleicht Unentschlossenem  auszudrücken vermochten: scheinbare Unbestechlichkeit, Gutmütigkeit oder brilliant ausgespielte väterliche Sanftmut. Und er verstand es, mit dieser Fähigkeit, im Zuschauer Unsicherheit  zu erzeugen,  umzugehen!

Claude Rains war wie etwa John Gielgud überdurchschnittlich begabt, vom Aussehen her aber nicht zum konventionellen Hauptdarsteller (heldenhafter Schönling) geeignet. Es verwundert deshalb wohl auch nicht, dass er durch seine Rolle in “The Invisible Man” (1933) berühmt wurde, in der er die Zuschauer mehr mit seiner Stimme als mit seinem Äusseren zu beeindrucken vermochte. Und es scheint beinahe selbstverständlich: er war nie als Hauptdarsteller, jedoch viermal als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert.

Rains galt als “treuer” Schauspieler und war seit 1936 bei Warner Brothers unter Vertrag, wo er bereits neunmal - z.T. höchst erfolgreich - unter dem “Tyrannen des Hauses”, Michael Curtiz, gespielt hatte. Vielleicht war diese fruchtbare Zusammenarbeit mit ein Grund, weshalb er die Hauptrolle in Curtiz’ erstem zaghaften Versuch, sich als  unabhängiger Produzent zu betätigen, akzeptierte. Curtiz war jedoch bekannt dafür, dass er für seine besten Filme ein wirklich gutes Script benötigte, ansonsten aber oft nur durchschnittliche Produktionen zustande brachte --- und “The Unsuspected” sollte sogar regelrechter Schrott werden:


Jede Woche erzählt Victor Grandison in seiner populären Radiosendung von ungeklärten Mordfällen, wobei er seine Stimme effektiv einzusetzen vermag und mit Vorliebe auf den “Unverdächtigen” verweist, dem der Hörer jederzeit - sei es im Zug, in einem Café oder auf der Strasse - begegnen könnte. Bald schon soll jedoch das schlossartige Anwesen seines Mündels Matilda, das der Moderator zusammen mit seiner “dekadenten” Verwandtschaft bewohnt, selber zum Schauplatz unheimlicher Morde werden. Und alle Welt - mit Ausnahme des Zuschauers, der schon viel zu früh informiert wird - fragt sich: Wer ist der Unverdächtige? --- Ein Fremder namens Steve taucht auf und behauptet, der Mann der vermissten, vermutlich bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommenen Matilda zu sein. Er verbringt seine Zeit aber hauptsächlich damit, diverse Bewohner vor Unheil zu warnen. Und als dann  Matilda doch unerwartet wieder zurückkehrt, beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen - dies nicht zuletzt, weil sich die Schönheit nicht daran erinnern könnte, verheiratet zu sein...

“The Unsuspected”  hat durchaus seine Verteidiger. Diese vergleichen den Film  gerne im positiven Sinne mit Preminger’s “Laura” (1944) und werten ihn als eines der herausragenden Werke des “Film noir”. Nun ist es tatsächlich schwierig, sich in jenem Genre oder jener Stilrichtung, die als “noir” bezeichnet wird, auf Kriterien festzulegen; und wenn man  lediglich  die Kameraarbeit
von Elwood Bredell in Betracht zieht, lässt sich  eine Verwandtschaft mit der in den 40er Jahren aufgekommenen Gegenbewegung zum klassischen Hollywood-Film zweifellos erkennen:  Grandison’s Awesen mit seiner opulenten Gesellschaft scheint regelrecht von immerwährender Dunkelheit überzogen zu sein, ein riesiger Kronleuchter gerät öfters  unheilvoll  ins Bild, Schatten tauchen auf - und der von - wem wohl? - engagierte  Mörder liegt in seinem finsteren Motelzimmer, während von einem Neon-Licht die Buchstaben “KILL ... KILL ... KILL” aufleuchten.

Der “Film noir” zeichnet sich jedoch nicht zuletzt durch seine Themen und Figuren aus; und in “The Unsuspected” fehlen  sowohl die von John Huston und Billy Wilder ins Leben gerufene desillusionierte männliche Hauptfigur, die einer “femme fatale” erliegt, als auch die populärpsychologischen Elemente,  die in  den in jenen Jahren mit den Stilmitteln des “Film noir” fotografierten Meisterwerken von Robert Siodmak ("The Spiral Staircase”, 1945) oder Fritz Lang (“Secret Beyond the Door”, 1947) eingesetzt wurden, um den Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes das Fürchten zu lehren. - Vielmehr könnte der Film zu den bewährten englischen “Landhaus-Mysteries” gezählt werden, wimmelt es doch von gar zu offensichtlich und konventionell daherkommenden Figuren (man kann regelrecht erahnen, wer als nächstes dran glauben muss): einer misstrauischen Sekretärin, einem Säufer, der mit einer Frau, die vor nichts zurückschreckt und höchstens als Karikatur durchgeht, verheiratet ist, dem blonden Unschuldsengelchen, dem Fremden - und einem Mörder, der nun mal aussieht wie ein Mörder. - Für solche Rollen kamen nur Schauspieler in Frage, die wie Audrey Totter zur zweiten Garde gehörten oder - ich denke an Constance Bennett, einst bestgekleidete Frau der Welt - sogar den absteigenden Ast schon hinter sich hatten.  Matilda wurde vom Starlet Joan Caulfield 
gespielt, und Schönling Ted (“Michael”) North erwies sich als derart untalentiert, dass möglichst viele der Szenen, in denen er als Grandison's Gegenspieler Steve auftrat, rausgeschnitten werden mussten. Diese Schnitte - sie betrafen auch Szenen mit Caulfield - dürften mit dazu beigetragen haben, dass diverse offenbar im Roman vorkommende Informationen dem Zuschauer im Film vorenthalten werden, was “The Unsuspected”  zunehmend zu einem verwirrenden, unübersichtlichen Ding macht. Vermutlich taugte jedoch auch die literarische Vorlage nicht viel. Michael Curtiz gestand zumindest später selber ein: “It looks as though  I tried to make a great picture out of a story that wasn’t basically a great story.”  - Verbietet sich da nicht jeder Vergleich mit “Laura”?

Doch dann betritt Claude Rains als Victor Grandison das Radiostudio, schaut während der Ankündigung seiner Sendung wie ein strenger  Dirigent im Raum umher und legt  (wie weiland Eduard Zimmermann) seine Stirn  in ernsthafte  Falten, als er mit seiner "True Crime"-Geschichte  beginnt. Und je mehr er den Radiohörer auf den Uverdächtigen aufmerksam macht, ihn regelrecht in den Mittelpunkt zu stellen beginnt, desto eindringlicher wird seine Stimme. - Wer käme da auf die Idee, dass der grosse Moderator selber Blut geleckt haben könnte, ja der inszenierende "Unverdächtige" für seine Mordgeschichten ist? -  Wir erleben Grandison in der Folge als gütigen und umsichtigen Meister des Hauses, als kühlen Erpresser des von ihm benutzten Mörders, und sein Ausdruck bleibt auf unterschiedliche Weise stets ruhig, siegesgewiss; dies auch, wenn er aus der Dunkelheit jenen Fremden beobachtet, der die Bewohner des Anwesens zu warnen versucht. Er tritt seinem Mündel, auf dessen Geld er es abgesehen hat, als liebevoller Onkel mit Humor entgegen (“We missed you while you were dead”) und steht auf den ersten Blick sogar auf Matilda’s Seite, als er sie durchschüttelt und ihr einzureden versucht, sie sei dem Wahnsinn verfallen. - In solchen Momenten erkennt man, dass nicht nur Victor Grandison seine Verwandtschaft wie Marionetten einsetzt, sondern dass auch die zweit- bis drittklassigen Schauspieler  den grossen Claude Rains als letztlich unbedeutende, wenn auch nötige Figuren umgeben.  Man wartet förmlich auf den nächsten Auftritt des Stars, quält sich durch alberne und albern gespielte Szenen hindurch, weil man herausfinden möchte, wie diesem selbstsicher und mörderisch agierenden Drahtzieher doch noch das Handwerk gelegt werden soll - und weil Rains es wert ist, sich den von Fans als unterschätzt bezeichneten, in meinen Augen völlig missglückten Film von Curtiz bis zum Ende anzuschauen. Er trägt ihn.

Man möchte  gerne an die grossen Rollen grosser Schauspieler zu erinnern, bemerkt jedoch oft rasch, dass Filme wie (in unserem Fall) “Casablanca” oder “Notorious” bereits regelrecht zerredet sein können, dass man ihnen - zumindest im Augenblick - nichts Neues hinzuzufügen wüsste. - Lohnt es sich in einer  solchen Situation nicht, zur Abwechslung mal an einen wirklich schwachen Film zu erinnern, dem ein grosser Schauspieler mit seiner überzeugenden Präsenz zu  Glanz verhalf? Gerade vor einer solchen Aufgabe scheitert nämlich so mancher, der sich für "gross" hält...

6 Kommentare:

  1. Es ist schon ein paar Jahre her, daß ich THE UNSUSPECTED gesehen habe, kann mich aber noch erinnern, ihn ganz passabel gefunden zu haben und nicht unbedingt schrottig. Dein schöner Text leuchtet allerdings ein, und da ich auch Claude Rains-Fan bin, kann ich dessen Würdigung nur sehr begrüßen. Danke!

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  2. Es gibt sogar Film-noir-Fans, die den Film für ein unterschätztes Meisterwerk halten. Ich habe bewusst auf sie hingewiesen, weil mein Urteil extrem hart ausgefallen ist. Es freut mich auf jeden Fall sehr, in dir auch einen Fan von Claude Rains gefunden zu haben, und ich möchte mich für deinen Kommentar, der meine Schelte relativiert, ebenfalls bedanken.

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  3. Oha, eine Claude Rains Fan-Zone. Habe leider erst drei Filme mit ihm gesehen (Invisible, Casablanca & Lawrence), aber gerade zu meiner Begeisterung festgestellt, dass er die Hauptrolle in "The Man Who Watched Trains Go By" spielt. Fand den Roman große Klasse, von einer Verfilmung wusste ich gar nichts. Ein Zeichen!

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  4. Claude Rains kann in der Tat mit einer vielseitigen Filmographie aufwarten. Ich genoss etwa als alter Romantiker die meines Wissens drei Filme, in denen er zusammen mit Bette Davis auftrat - und staune immer wieder darüber, dass er einer der wenigen männlichen Partner der Diva war, für den sie nur Worte des Lobes fand (wer Bette's Lästermaul kennt, weiss, was das bedeutet).

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  5. Danke für die liebe Erwähnung!

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  6. Hast du's bemerkt!!! - Ich wollte dich zuerst explizit erwähnen, wusste aber nicht, ob eine halbwegs gute Kinderstube so etwas zulässt. Und die rasche Veröffentlichung war mir letztlich (du kennst dieses Drängen sicher auch) ein Anliegen...

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