Freitag, 28. Mai 2010

Her mit der deutschen DVD! - die Zweite


Die merkwürdige Zähmung der Gangsterbraut Sugarpuss (Alternativtitel: Wirbelwind der Liebe)
(Ball of Fire, USA 1941)
Regie: Howard Hawks
Darsteller: Barbara Stanwyck, Gary Cooper, Oskar Homolka, Henry Travers, S.Z. Sakall, Tully Marshall, Richard Haydn, Dana Andrews u.a.

Von allen Regisseuren, die zwischen etwa 1934 und 1945 die grossen Hollywood-Komödien drehten, ist mir Howard Hawks zweifellos der liebste, weil er es mehr als seine Kollegen darauf abgesehen hatte und auch schaffte, die Moralapostel vom Hollywood Production Code (Hays Code) hinters Licht und an der Nase (herumzu-)führen. Die bigotte Bagage erkannte wohl, dass ihnen hier einer überlegen war und ihre rigiden Vorschriften mit hämischem Grinsen zu umgehen verstand; und sie rächten sich etwa, indem sie den grossen Pessimisten, dessen Regiestil ohnehin aufs Publikum abzielte (seine “Kamera auf Augenhöhe” wurde oft kritisiert, gilt aber heute als klassische Alternative zu den Experimenten von John Ford oder den Spielereien eines Stanley Donen, über dessen “Arabesque”, 1966, sich Hitchcock, neben Billy Wilder grundsätzlich auch ein Verfechter klassischer Kamerapositionen, lustig machte), bei den Oscars stets übergingen - was aber nichts daran ändert, dass wir Hawks in verschiedenen Genres epochale Meisterwerke verdanken.

Es scheint, als habe die Natur Howard Hawks regelrecht dazu auserkoren, dem frömmelnden Pack, das hinter dem Hays Code stand, die Grenzen seiner Macht aufzuzeigen; denn mögen seine späteren Komödien (vielleicht mit Ausnahme des reichlich kindisch geratenen “Monkey Business”, 1952) auch verdientermassen zu kleinen Klassikern geworden sein - sie erreichen nicht annähernd den boshaften, angriffigen Witz, der die “grossen Drei” des Meisters auszeichnet. Und von diesen drei Meisterstreichen bewundere ich neben der schlicht unumgänglichsten Screwball-Comedy aller Zeiten, "Bringing Up Baby" (1938), vor allem eine hierzulande leider weitgehend in Vergessenheit geratene Perle des amerikanischen Films:

Slang! - In der berühmten Gefängnisszene von “Bringing Up Baby” hatte Katharine Hepburn als scheinbar zum Singen bereites Gangsterflittchen dem Zuschauer bereits eine Kostprobe jener Sprache bieten dürfen, die  damals als “Slang” betrachtet wurde. “Ball of Fire” scheint sich überhaupt nur mit “Slang” zu beschäftigen - scheint! Denn wie schon der berüchtigte Leopard Baby hauptsächlich als "Begründung" für offensichtlich sexuelle Anspielungen gedient hatte (es ging natürlich um Cary Grant's "Baby", das hochgebracht werden musste), soll  auch hier  die möglicherweise unflätige Sprache die Zensurbehörden lediglich davon ablenken, dass Barbara Stanwyck Beine zeigt, die bis zum Hals hinaufreichen - und ich kann versichern: Ihr Hals befindet sich wesentlich weiter oben als der von Marlene Dietrich. --- Umso erstaunlicher mag es anmuten, dass es sich bei diesem Film im Grunde genommen um eine romantische Liebeskomödie handelt. Sie ist sogar, wie viele romantische Liebeskomödien, im Bereich des Märchens angesiedelt, was uns bereits eine Ankündigung zu verstehen gibt: “Once upon a time - in 1941 to be exact - there lived in a great, tall forest - called New York - eight men who were writing an encyclopedia.”

Tatsächlich handelt es sich bei den acht Professoren, die im Auftrag eines verstorbenen Wohltäters seit Jahren zurückgezogen und unter der Fuchtel der strengen Haushälterin Miss Bragg am gesammelten Wissen der Menschheit arbeiten, um recht drollige, weltfremde Gelehrte, die sich sogar während eines Small Talks gegenseitig mit ihrem Fachwissen bereichern. Der Jüngste von ihnen, Professor Bertram Potts, ist Sprachexperte und als solcher gerade dabei, einen Artikel über “Slang” zu schreiben. Mit Erstaunen muss er feststellen, dass Slang (wie Sprache eben überhaupt) dem ständigen Wandel unterworfen ist und sich seine gesammelten Daten als völlig veraltet erweisen. Es bleibt also nur eine Möglichkeit: Potts muss Feldforschung betreiben!


Und so begibt er sich unter die Menschen eines ihm fremden New York, sammelt in der U-Bahn, auf den Strassen und vor der Uni ihm so seltsam vorkommende Begriffe wie “plenty gestanko”, “just a jerk” oder “killer diller”, lädt Leute, die er für typische Slang-Sprecher hält, zu einem Seminar ein, das er im weltfremden Refugium seiner Freunde abzuhalten gedenkt - und endet in einem Nachtclub, wo die Sängerin “Sugarpuss” O’Shea gerade den “Drum Boogie” (das Wort “Boogie” wird sofort notiert!) hinlegt und sogar Potts ein rhythmisches Mitklopfen mit den Fingern entlockt. Bei einem anschliessenden Gespräch erweist sich die Sängerin, die nebenbei die Freundin von Gangsterboss Joe Lilac ist, als Slang-Sprecherin par excellence. Sie lehnt die Einladung des Sprachgelehrten brüsk ab, klingelt jedoch bald an der Pforte der von den Professoren bewohnten Villa, weil die Polizei ihren Freund verhaftet hat und nun auch nach ihr sucht. In ihrem Versteck, in dem sie Potts für weitere Studien (herrlich, wie in einer Sitzung das Wort “corny” auf seine Bedeutungen im Alltag abgetastet wird!) zur Verfügung steht, stellt sie bald einmal erstaunt fest: “We have a lot of books! All of them different?” - und bringt Leben in den von der Theorie beherrschten Alltag, indem sie etwa den anderen Professoren, die sie weniger als Studienobjekt denn als ganz neue Erfahrung sinnlicher Art betrachten, Tanzunterricht in Sachen  Boogie erteilt. Doch auch Potts kann sich dem Charme von “Sugarpuss” auf die Länge nicht entziehen, und spätestens als ihm die Schönheit zeigt, was  “yum yum” bedeutet, stellt er sich möglicherweise als Märchenprinz heraus - was die Geschichte zu einer Neuauflage von “Schneewittchen und die sieben Zwerge” für Erwachsene machen würde. Allein schon die herrliche “yum yum”-Szene lässt
jedoch die Frage aufkommen, ob das intellektuelle Fundament von “Sugarpuss” (sie braucht diverse Bücher als Unterlage, um Potts Lippen für “yum yum” zu erreichen) für eine nachhaltige Beziehung ausreichen wird. Und Gangsterbräute haben es leider an sich, dass sie von ihrer Vergangenheit eingeholt werden...




Dieser umwerfend liebenswerte Spass zeigt, was Barbara Stanwyck, die mir - abgesehen von “The Lady Eve” (1941) - vor allem als Leidende, Gequälte oder als “femme fatale” (“Double Indemnity”, 1944) bekannt war, als Sexbombe, die langsam zum liebenswerten Mädchen gezähmt wird, zu bieten hat. Wer sie den “Boogie” oder “Sugar, Sugar” hinlegen sieht, käme nie auf die Idee, dass die Schauspielerin in Wirklichkeit dem “Sewing Circle”, einem privaten Zusammenschluss lesbischer und bisexueller Frauen in Hollywood (Greta Garbo, die Dietrich, Joan Crawford und natürlich die berüchtigte Mercedes de Acosta, von der es scheint, als habe sie in den Betten sämtlicher lesbischer Frauen ihrer Zeit genächtigt, waren berühmte Mitglieder) angehörte. Dass ihr “Ball of Fire” eine ihrer vier Oscar-Nominierungen einbrachte, darf als mehr als berechtigt bezeichnet werden. - Und Gary Cooper war mir persönlich nie näher denn als völlig weltfremder Sprachexperte, der von sich behaupten kann, er habe schon als Einjähriger Blake’s “Tyger Tyger, Burning Bright” rezitiert, der aber der Liebe so wundervoll ahnungslos gegenübersteht.


Dass “Ball of Fire” (gelegentlich auch als “The Professor and the Burlesque Queen” vermarktet), in Deutschland dermassen vernachlässigt wurde und immer noch wird (die deutsche Uraufführung fand in den 70ern im TV statt, mittlerweile ist der Film scheinbar in der Versenkung verschwunden), ist unverständlich, erhielt doch die herrliche Liebeskomödie aus der Feder von Billy Wilder (!) vier Oscar-Nominierungen und gefiel Howard Hawks so sehr, dass er sich - leider! - 1948 zu einer Neuverfilmung des Stoffs mit einem peinlichen Danny Kaye und Virginia Mayo mit dem Titel “A Song Is Born” hinreissen liess. - Dass es bis heute keine DVD in deutscher Sprache gibt, ist für jemanden, der der englischen Sprache halbwegs mächtig ist, verkraftbar; denn was seinerzeit als “Slang” galt, ist entweder weitgehend Bestandteil der Alltagssprache geworden - oder wirkt zum Brüllen komisch.

Trotzdem sollte die deutsche Version "Ball of Fire" endlich ihren verdienten Platz in jedem  DVD-Regal finden.  Es ist einfach ein himmlisch-rührendes Vergnügen, den Professoren, von denen jeder einer exakten Zeichnung gewürdigt wird, zuzusehen, wie sie sich an Potts’ Polterabend vom Biologen “aufklären” lassen oder sich in sentimentaler Stimmung an alte Melodien zurückerinnern. Und die Feststellung, dass geballter Intellekt jeder Gangsterbande überlegen ist, darf als das Tüpfelchen auf dem “i” bezeichnet werden!

2 Kommentare:

  1. hört sich irgendwie sehr geil an! habe von dem film noch nie was gehört. von howard hawks kenne ich als action-/blut-junkie nur den scarface von 1932. das muss sich ändern.

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  2. "Scarface" zeigt natürlich auf eindrückliche Weise, was in der "Pre-Code"-Ära an Realismus möglich war - und ich werde das Gefühl nicht los, Hawks habe sich in seinen späten Western ("El Dorado", "Rio Lobo")mit seinem grimmigen Humor ein wenig an den späteren Restriktionen Hollywood's gerächt. - Aber die drei grossen Komödien sind auch ein Muss ("His Girl Friday" am besten mit Untertiteln anschauen, weil es so gut wie unmöglich ist, den Gags der "fastest spoken Comedy ever" auf andere Weise zu folgen).

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