Donnerstag, 8. Juli 2010

Der Film zum Kontext

Nicht nur Dion & The Belmonts taten sich schwer mit der Einsicht, dass ein Mond  lediglich aus Papier gemacht sein könnte; auch der  Fimfreund möchte manchmal vergessen, dass er sich voller Inbrunst   Illusionen hingibt. Dabei vermag doch das Kino weit mehr als einen Papiermond wie einen echten Erdtrabanten aussehen zu lassen; es verwandelt sogar am Tag gedrehte Szenen mittels eines technischen Verfahrens auf wundersame Weise in  Nacht. Man bezeichnet dieses Verfahren bekanntlich als "Day-for-Night" oder

Die amerikanische Nacht
(La nuit américaine, Frankreich 1973)
Regie: François Truffaut
Darsteller: Jean-Pierre Léaud, Jacqueline Bisset, Valentina Cortese, Jean-Pierre Aumont, François Truffaut, Dani, Nathalie Baye, Alexandra Stewart, Graham Greene u.a.

Auf dem Platz herrscht reges Treiben. Ein grüner Bus fährt vorbei, man  beobachtet  eine Frau in einer roten Jacke, die sich eine Illustrierte kauft und  die Treppe zur U-Bahn-Station hinabgeht. Wenige Sekunden später taucht von unten ein junger Mann auf. Er überquert den Platz, geht langsam auf einen älteren Mann zu und verpasst ihm vor den Augen der Menge eine Ohrfeige. - Plötzlich erscheint in Grossaufnahme das Gesicht eines Regisseurs, der durch ein Megaphon sein schrilles  “Cut!” brüllt und zu bemängeln beginnt, was alles nicht nach seinen Plänen lief. Scheinwerfer tauchen auf, man sieht eine Kamera und vom Schauspieler bis zum Scriptgirl versammeln sich alle auf jenem “Platz”, der offensichtlich nichts weiter als eine Attrappe in einem Filmstudio im Süden Frankreichs ist. Selten zuvor wurde der Zuschauer aus einer perfekten Illusion derart überraschend in die banale Realität des Filmemachens geworfen.

Dies die Eingangssequenz von Truffauts “La nuit américaine”, der 1974 mit dem “Auslandsoscar” ausgezeichnet und im Folgejahr für weitere Oscars nominiert worden war, heute aber eher zu den vergessenen Filmen des Regisseurs gehört. Die Geschichte ist denkbar einfach: Eine Filmequippe ist mit den Dreharbeiten zu einem  unbedeutenden Melodram mit dem Titel “Je vous présente Pamela” (es handelt von einer jungen Frau, die sich mit dem Vater ihres Gatten in eine Affäre einlässt)  beschäftigt, das von den Hauptdarstellern bis zur Assistentin des Scriptgirls während der hektischen Wochen als zukünftiges Meisterwerk und Sinn ihres Daseins betrachtet werden muss und dessen Herstellung ein Privatleben nur in fragmentarischer Form zulässt, weil das Einbringen  persönlicher Probleme ein solches Projekt rasch gefährden könnte. Dennoch hat der Regisseur Ferrand, der derart für den Film lebt, dass er ausser in seinen Träumen gar nicht mehr als  Wesen mit menschlichen Regungen wahrgenommen wird, rasch einmal mit mehr als den üblichen technischen Pannen (eine wichtige Szene wird im Kopierwerk zerstört) und der Auswahl  von passenden Perücken und Pistolen zu kämpfen. Denn seine Mitarbeiter teilen die Devise, wonach der Film wichtiger sei als das Leben, nur in der Theorie...

Am meisten zweifelt man an der Zuverlässigkeit des noch nicht  im Studio angekommenen Hollywood-Stars Julie Baker, die erst kürzlich einen Nervenzusammenbruch erlitt. Doch da gibt es auch ihren neurotischen Co-Star Alphonse, (warum wohl wurde die Rolle mit Jean-Pierre Léaud, der als Truffauts “alter ego” galt, besetzt?), der seine neueste Geliebte Liliane als Assistentin des Scriptgirls anheuern liess, damit er ständig die Bewegungen ihres Hintern beobachten und sämtliche Männer am Set mit der Frage belästigen kann, ob Frauen magisch seien.  Die alternde Schauspielerin Severine wiederum sucht Trost im Alkohol und kann ihren Text nicht mehr behalten, weshalb sie sich erkundigt, ob sie stattdessen nicht einfach wie bei Fellini Zahlen vor sich her sagen dürfe. Es bleibt noch Alexandre, einst wohl halbwegs ein Star, der seinen jungen Liebhaber als Sohn adoptieren möchte. - Wundert es da noch, dass der von Truffaut selber gespielte und nur von seiner Assistentin Joelle bedingungslos unterstützte Regisseur das Drehen eines Films mit einer Kutschenfahrt im Wilden Westen vergleicht: am Anfang freue man sich auf eine schöne Reise, später hoffe man sie zu überleben?

Julie Baker, die mit ihrem neuen Gatten, einem Arzt, eintrifft, erweist sich entgegen der Erwartungen als professionell und äusserst teamfähig, was die Arbeit  zu erleichtern scheint - Hingegen begleiten während der ganzen Zeit  lästige Journalisten die Dreharbeiten und verlangen von jedem, der ihnen über den Weg läuft, Auskünfte über den Film. Die Antworten von Schauspielern und Crew zeigen, wie unterschiedlich man dem Projekt gegenübersteht, wie oberflächlich man sich mit dem Drehbuch auseinandergesetzt hat - und auch, wie wenig man an der Aufgabe anderer und persönlichen Tragödien interessiert ist. Einzig Julie Baker geht mit ihrem Bedürfnis, Menschlickeit in eine letztlich egozentrische Arbeitsgemeinschaft auf Zeit einzubringen, ungewollt zu weit:  Als sich die Geliebte von Alphonse mit einem Stuntman aus dem Staub macht, verbringt sie aus lauter Mitgefühl sogar  die Nacht mit dem Flegel, der ihre Ehe aufs Spiel setzt und  lauthals verkündet, er werde nie wieder in einem Film mitspielen. Dann soll auch noch der tödliche Autounfall eines Darstellers unerwartete Probleme mit sich bringen und kurzfristige Drehbuchänderungen nötig machen...

Als Truffaut “La nuit américaine” drehte, hatte der ehemalige Kritiker beim Kinomagazin "Les Cahiers du cinéma" schon mehr als ein Jahrzehnt praktische Erfahrung als Filmemacher gesammelt, und es ist deshalb nicht verwunderlich, dass er neben Hommagen an von ihm bewunderte Regisseure (der ständige Knopf im Ohr will zum Beispiel als Verbeugung vor Luis Buñuel verstanden werden) auch  "Erinnerungen" an eigene Arbeiten in den Film einbringt: So scheint eine Szene, in der eine Katze ständig von einem  Tablett  wegläuft (sie sollte sich hinter die Milch machen), auf “La peau douce” (1964) zu verweisen, in dem ebenfalls ein Tablett vor die Türe gestellt wird. Und Jacqueline Bissets Nebenjob als Übersetzerin für den Stuntman, der kein Französisch versteht, entspricht zweifellos der Aufgabe von Julie Christie während der Dreharbeiten zu “Fahrenheit 451” (1966): Truffaut, der des Englischen kaum mächtig war, hatte sich gezwungen gesehen, den Film in einem englischen Studio zu drehen und nahm Julie’s Hilfe dankbar an, weil sich Oskar Werner, gerade für einen Academy Award nominiert aus Hollywood zurückgekehrt, nur noch über den Regisseur, mit dem er einst erfolgreich zusammengearbeitet hatte, lustig machte. - Letztlich sind Ferrands nächtliche Träume (die Träume eines ganz dem Film Verfallenen, der schon als Kind nachts zu einem Kino schlich, um Bilder von “Citizen Kane“ zu stehlen)  natürlich  “Les quatre cents coups” (1959), dem ersten Teil des Doinel-Zyklus, entnommen. --- Es erstaunt auch nicht, dass sich ausgerechnet Truffaut an ein kleines Subgenre wagte, das schon andere “besessene” Regisseure angelockt hatte und weiterhin anlocken sollte: das des Films über das Filmemachen (als berühmte Beispiele seien genannt: “Le mépris”, 1963, von Jean-Luc Godard, “Otto e mezzo”, 1963, von Federico Fellini, “Stardust Memories”, 1980, von Woody Allen).

Es ist denn auch gerade die Beschäftigung mit dem Herstellungsprozess, die “La nuit américaine” zu einem sehenswerten Ereignis macht, welches das Mysterium “Film” dennoch nicht zerstört, da Truffaut, wie er selber sagte, nur Teile der Wahrheit, nicht die Wahrheit zeigt: das Füllen eines ganzen Platzes mit künstlichem Schnee, der nicht “zu weiss” aussehen darf, eine von der Kamera begleitete und von Scheinwerfern beleuchtete Autofahrt, Jacqueline Bisset, die eine Leiter hinauf zur  minimalen Andeutung eines Fensters klettern muss, damit in einer Szene der Eindruck entsteht, sie wohne ihren “Schwiegereltern” direkt gegenüber. Und neben diesen Aufsehen erregenden Dingen werden wir Zeuge von Details wie dem Arrangieren der Hände der Hauptdarstellerin, den Problemen mit der Aufnahme eines Doubles oder dem Versuch, eine Türe für die in Rage geratene Severine zu markieren, die in einer Szene fälschlicherweise ständig den Schrank öffnet, wenn sie das Zimmer verlassen will. - Allein aus solchen Elementen hätte sich ein wunderschöner abendfüllender Film, der dem von Truffaut angepeilten Dokumentarischen gerecht geworden wäre, machen lassen. Was jedoch stört: die Überfülle an persönlichen Problemen, an Bettgeschichten, kleinen privaten Episoden am Rande. Diese vielen “menschelnden” Bestandteile dürften den Film gerade beim amerikanischen Publikum seinerzeit so beliebt gemacht haben, greifen sie doch alle Klischees auf, mit denen die Regenbogenpresse ihre Leserinnen bedient (eine Schauspielerin wird während des Drehs schwanger,  ein Mitarbeiter ständig von seiner eifersüchtigen Frau gegängelt, auf Severine wird Rücksicht genommen, weil ihr Sohn - was freilich nicht ausgesprochen werden darf! - krank ist etc.); sie sind  unnötig, zum Teil regelrecht peinlich, und lassen den Film, von dem eigenartigerweise immer wieder gesagt wurde,  er zeichne sich durch eine melancholisch-heitere Grundstimmung aus, stellenweise lediglich  hektisch wirken, erwecken beim heutigen Zuschauer den Eindruck er schaue sich eine “Daily Soap” an, in der die Figuren auch während einer einzigen Folge mehr durchleben als jeder normale Mensch in einem Jahr. Man erinnert sich nach einer Sichtung gar nicht mehr an alle  Kleinigkeiten, weiss deshalb auch nicht mehr, was nun eigentlich als relevant eingestuft werden soll. - Dabei geht es doch - dies deutet auch die wunderschöne Musik von Georges Delerue immer wieder an - einzig um den Triumph des Filmemachens über alles, sogar über das fertige Produkt. Hätte man sich da einiges an Trivialitäten nicht ersparen können?

Die schauspielerischen Leistungen sind durchwegs beachtlich: Valentina Cortese stiehlt als dem  Hochprozentigen zugeneigte Diva der alten Schule natürlich allen die Show, aber auch Jean-Pierre Léaud verleiht seinem unreifen Bengel, der sicher beim Film bleiben wird, ein herrlich trotziges Gesicht (manche glauben, er habe als Alphonse die Rolle seines Lebens gefunden) - und Jacqueline Bisset zeigt, dass sie eine der sinnlichsten Schauspielerinnen ist, die je auf der Leinwand zu bewundern waren (ich frage mich immer wieder, weshalb sie nie zum Superstar aufstieg und sich in den 80er und 90er Jahren sogar für Machwerke wie “Rich and Famous”, 1981, und “Wild Orchid”, 1990, hergeben musste). --- Wenn ich “La nuit américaine” trotzdem als verpasste Chance, ein Meisterwerk über das Filmemachen zu drehen, betrachte, tröste ich mich mit dem Gedanken, dass der Film besonders in Frankreich zum Teil wegen  seiner unkritischen Begeisterung und dem mangelnden Interesse an der politischen  Dimension des Themas wesentlich heftiger kritisiert wurde. Die Beziehung Truffauts zu seinem langjährigen Weggefährten Godard ging damals sogar endgültig in die Brüche. - Es scheint mir, Truffaut habe im von manchen für überschätzt gehaltenen “Le dernier métro” (1980) zu jener Ökonomie gefunden, die auch “La nuit américaine” gut angestanden hätte: Es geht in diesem Film unter anderem auch um eine Dreiecksgeschichte, unverrückbar im Mittelpunkt steht dort jedoch diese nicht zu stillende Leidenschaft für das Theater in einer schweren Zeit.

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