Freitag, 28. Mai 2010

Her mit der deutschen DVD! - die Zweite


Die merkwürdige Zähmung der Gangsterbraut Sugarpuss (Alternativtitel: Wirbelwind der Liebe)
(Ball of Fire, USA 1941)
Regie: Howard Hawks
Darsteller: Barbara Stanwyck, Gary Cooper, Oskar Homolka, Henry Travers, S.Z. Sakall, Tully Marshall, Richard Haydn, Dana Andrews u.a.

Von allen Regisseuren, die zwischen etwa 1934 und 1945 die grossen Hollywood-Komödien drehten, ist mir Howard Hawks zweifellos der liebste, weil er es mehr als seine Kollegen darauf abgesehen hatte und auch schaffte, die Moralapostel vom Hollywood Production Code (Hays Code) hinters Licht und an der Nase (herumzu-)führen. Die bigotte Bagage erkannte wohl, dass ihnen hier einer überlegen war und ihre rigiden Vorschriften mit hämischem Grinsen zu umgehen verstand; und sie rächten sich etwa, indem sie den grossen Pessimisten, dessen Regiestil ohnehin aufs Publikum abzielte (seine “Kamera auf Augenhöhe” wurde oft kritisiert, gilt aber heute als klassische Alternative zu den Experimenten von John Ford oder den Spielereien eines Stanley Donen, über dessen “Arabesque”, 1966, sich Hitchcock, neben Billy Wilder grundsätzlich auch ein Verfechter klassischer Kamerapositionen, lustig machte), bei den Oscars stets übergingen - was aber nichts daran ändert, dass wir Hawks in verschiedenen Genres epochale Meisterwerke verdanken.

Es scheint, als habe die Natur Howard Hawks regelrecht dazu auserkoren, dem frömmelnden Pack, das hinter dem Hays Code stand, die Grenzen seiner Macht aufzuzeigen; denn mögen seine späteren Komödien (vielleicht mit Ausnahme des reichlich kindisch geratenen “Monkey Business”, 1952) auch verdientermassen zu kleinen Klassikern geworden sein - sie erreichen nicht annähernd den boshaften, angriffigen Witz, der die “grossen Drei” des Meisters auszeichnet. Und von diesen drei Meisterstreichen bewundere ich neben der schlicht unumgänglichsten Screwball-Comedy aller Zeiten, "Bringing Up Baby" (1938), vor allem eine hierzulande leider weitgehend in Vergessenheit geratene Perle des amerikanischen Films:

Slang! - In der berühmten Gefängnisszene von “Bringing Up Baby” hatte Katharine Hepburn als scheinbar zum Singen bereites Gangsterflittchen dem Zuschauer bereits eine Kostprobe jener Sprache bieten dürfen, die  damals als “Slang” betrachtet wurde. “Ball of Fire” scheint sich überhaupt nur mit “Slang” zu beschäftigen - scheint! Denn wie schon der berüchtigte Leopard Baby hauptsächlich als "Begründung" für offensichtlich sexuelle Anspielungen gedient hatte (es ging natürlich um Cary Grant's "Baby", das hochgebracht werden musste), soll  auch hier  die möglicherweise unflätige Sprache die Zensurbehörden lediglich davon ablenken, dass Barbara Stanwyck Beine zeigt, die bis zum Hals hinaufreichen - und ich kann versichern: Ihr Hals befindet sich wesentlich weiter oben als der von Marlene Dietrich. --- Umso erstaunlicher mag es anmuten, dass es sich bei diesem Film im Grunde genommen um eine romantische Liebeskomödie handelt. Sie ist sogar, wie viele romantische Liebeskomödien, im Bereich des Märchens angesiedelt, was uns bereits eine Ankündigung zu verstehen gibt: “Once upon a time - in 1941 to be exact - there lived in a great, tall forest - called New York - eight men who were writing an encyclopedia.”

Tatsächlich handelt es sich bei den acht Professoren, die im Auftrag eines verstorbenen Wohltäters seit Jahren zurückgezogen und unter der Fuchtel der strengen Haushälterin Miss Bragg am gesammelten Wissen der Menschheit arbeiten, um recht drollige, weltfremde Gelehrte, die sich sogar während eines Small Talks gegenseitig mit ihrem Fachwissen bereichern. Der Jüngste von ihnen, Professor Bertram Potts, ist Sprachexperte und als solcher gerade dabei, einen Artikel über “Slang” zu schreiben. Mit Erstaunen muss er feststellen, dass Slang (wie Sprache eben überhaupt) dem ständigen Wandel unterworfen ist und sich seine gesammelten Daten als völlig veraltet erweisen. Es bleibt also nur eine Möglichkeit: Potts muss Feldforschung betreiben!


Und so begibt er sich unter die Menschen eines ihm fremden New York, sammelt in der U-Bahn, auf den Strassen und vor der Uni ihm so seltsam vorkommende Begriffe wie “plenty gestanko”, “just a jerk” oder “killer diller”, lädt Leute, die er für typische Slang-Sprecher hält, zu einem Seminar ein, das er im weltfremden Refugium seiner Freunde abzuhalten gedenkt - und endet in einem Nachtclub, wo die Sängerin “Sugarpuss” O’Shea gerade den “Drum Boogie” (das Wort “Boogie” wird sofort notiert!) hinlegt und sogar Potts ein rhythmisches Mitklopfen mit den Fingern entlockt. Bei einem anschliessenden Gespräch erweist sich die Sängerin, die nebenbei die Freundin von Gangsterboss Joe Lilac ist, als Slang-Sprecherin par excellence. Sie lehnt die Einladung des Sprachgelehrten brüsk ab, klingelt jedoch bald an der Pforte der von den Professoren bewohnten Villa, weil die Polizei ihren Freund verhaftet hat und nun auch nach ihr sucht. In ihrem Versteck, in dem sie Potts für weitere Studien (herrlich, wie in einer Sitzung das Wort “corny” auf seine Bedeutungen im Alltag abgetastet wird!) zur Verfügung steht, stellt sie bald einmal erstaunt fest: “We have a lot of books! All of them different?” - und bringt Leben in den von der Theorie beherrschten Alltag, indem sie etwa den anderen Professoren, die sie weniger als Studienobjekt denn als ganz neue Erfahrung sinnlicher Art betrachten, Tanzunterricht in Sachen  Boogie erteilt. Doch auch Potts kann sich dem Charme von “Sugarpuss” auf die Länge nicht entziehen, und spätestens als ihm die Schönheit zeigt, was  “yum yum” bedeutet, stellt er sich möglicherweise als Märchenprinz heraus - was die Geschichte zu einer Neuauflage von “Schneewittchen und die sieben Zwerge” für Erwachsene machen würde. Allein schon die herrliche “yum yum”-Szene lässt
jedoch die Frage aufkommen, ob das intellektuelle Fundament von “Sugarpuss” (sie braucht diverse Bücher als Unterlage, um Potts Lippen für “yum yum” zu erreichen) für eine nachhaltige Beziehung ausreichen wird. Und Gangsterbräute haben es leider an sich, dass sie von ihrer Vergangenheit eingeholt werden...




Dieser umwerfend liebenswerte Spass zeigt, was Barbara Stanwyck, die mir - abgesehen von “The Lady Eve” (1941) - vor allem als Leidende, Gequälte oder als “femme fatale” (“Double Indemnity”, 1944) bekannt war, als Sexbombe, die langsam zum liebenswerten Mädchen gezähmt wird, zu bieten hat. Wer sie den “Boogie” oder “Sugar, Sugar” hinlegen sieht, käme nie auf die Idee, dass die Schauspielerin in Wirklichkeit dem “Sewing Circle”, einem privaten Zusammenschluss lesbischer und bisexueller Frauen in Hollywood (Greta Garbo, die Dietrich, Joan Crawford und natürlich die berüchtigte Mercedes de Acosta, von der es scheint, als habe sie in den Betten sämtlicher lesbischer Frauen ihrer Zeit genächtigt, waren berühmte Mitglieder) angehörte. Dass ihr “Ball of Fire” eine ihrer vier Oscar-Nominierungen einbrachte, darf als mehr als berechtigt bezeichnet werden. - Und Gary Cooper war mir persönlich nie näher denn als völlig weltfremder Sprachexperte, der von sich behaupten kann, er habe schon als Einjähriger Blake’s “Tyger Tyger, Burning Bright” rezitiert, der aber der Liebe so wundervoll ahnungslos gegenübersteht.


Dass “Ball of Fire” (gelegentlich auch als “The Professor and the Burlesque Queen” vermarktet), in Deutschland dermassen vernachlässigt wurde und immer noch wird (die deutsche Uraufführung fand in den 70ern im TV statt, mittlerweile ist der Film scheinbar in der Versenkung verschwunden), ist unverständlich, erhielt doch die herrliche Liebeskomödie aus der Feder von Billy Wilder (!) vier Oscar-Nominierungen und gefiel Howard Hawks so sehr, dass er sich - leider! - 1948 zu einer Neuverfilmung des Stoffs mit einem peinlichen Danny Kaye und Virginia Mayo mit dem Titel “A Song Is Born” hinreissen liess. - Dass es bis heute keine DVD in deutscher Sprache gibt, ist für jemanden, der der englischen Sprache halbwegs mächtig ist, verkraftbar; denn was seinerzeit als “Slang” galt, ist entweder weitgehend Bestandteil der Alltagssprache geworden - oder wirkt zum Brüllen komisch.

Trotzdem sollte die deutsche Version "Ball of Fire" endlich ihren verdienten Platz in jedem  DVD-Regal finden.  Es ist einfach ein himmlisch-rührendes Vergnügen, den Professoren, von denen jeder einer exakten Zeichnung gewürdigt wird, zuzusehen, wie sie sich an Potts’ Polterabend vom Biologen “aufklären” lassen oder sich in sentimentaler Stimmung an alte Melodien zurückerinnern. Und die Feststellung, dass geballter Intellekt jeder Gangsterbande überlegen ist, darf als das Tüpfelchen auf dem “i” bezeichnet werden!

Sonntag, 23. Mai 2010

Elfen mit Trichtergrammophon

Diesen Eintrag möchte ich speziell meinem Foren-Freund Bob widmen, damit er sich wenigstens am Film delektieren kann, sollte er mit der Lektüre des Stücks wider Erwarten nicht zurechtkommen.

Ein Sommernachtstraum
(A Midsummer Night's Dream, Italien/Grossbritannien/USA 1999)
Regie: Michael Hoffman
Darsteller: Kevin Kline, Michelle Pfeiffer, Stanley Tucci, Rupert Everett, Calista Flockhart, Dominic West, Christian Bale, Anna Friel, Sophie Marceau, Sam Rockwell u.a.


Michael Hoffman’s Verfilmung von Shakespeare’s “A Midsummer Night’s Dream” wurde von verschiedenen Seiten heftig angegriffen, wobei die Palette der Begründungen von abstrus (“Shakespeare schrieb seine Stücke nun mal für die Bühne, weshalb eine Adaption für den Film einer starken Bearbeitung bedarf“) bis nachvollziehbar, zum Teil berechtigt (“Hoffman schwimmt im Fahrwasser von Kenneth Branagh und setzt durch die Verlagerung der Handlung in die Toscana der Jahrhundertwende auf realistischen, zum Teil oberflächlichen Witz, der die Magie des Stücks vernachlässigt und zugleich altmodisch wirkt“) reichte. Da die Kritikpunkte oft ineinander übergreifen, sich zum Teil auch widersprechen, möchte ich zusammenfassend zu ihnen Stellung nehmen:

Niemand vermochte überzeugender als der grosse Laurence Olivier  aufzuzeigen, wie sehr die Einbildungskraft des Zuschauers sich wohl nicht nur im spärlich eingerichteten  Elisabethanischen Theater  bemühte, ein Bühnenstück in wahrhaftiges Leben umzuwandeln: In seinem “Heinrich V.“  (1944) werden aus überschminkten Schauspielerfratzen nach und nach  echte Menschen, mit denen wir leiden und lieben, die lediglich Schauplätze andeutende Bühnenszenerie entwickelt sich auf wundersame Weise zum Schlachtfeld bei Agincourt.  Olivier veranschaulichte diese Verwandlung im Geiste des Zuschauers mit Hilfe des Mediums Film, das wohl gerade einem Autor wie Shakespeare besonders gerecht wird, möge man die Vorlage drastisch überarbeiten (Orson Welles’ “Macbeth”, 1948) oder ihr weitgehend treu bleiben und “abgefilmtes Theater” in Kauf nehmen. - Nun wird “A Midsummer Night’s Dream”, dies zeigte schon die grandiose Verfilmung aus dem Jahre 1935, zum Beispiel nie die  zu Verfilmungen verlockenden Schauplatzwechsel wie etwa “Much Ado About Nothing” ermöglichen, da dem im Wald vor Athen spielenden Hauptteil etwas Bühnenhaftes, nach Kulissen Schreiendes innewohnt, auch wenn man noch so mit Tricks arbeitet, mit denen eine Freilichtbühne im Regent’s Park nicht aufwarten kann. Und diesen Umstand gilt es zu seinem Vorteil auszunutzen.

Viele Fans von “A Midsummer Night’s Dream” hängen natürlich am Reinhardt/Dieterle-Film (1935), der das Stück als wirkliches Kunstwerk mit poetischer Magie umzusetzen versuchte (allein die rund sieben Minuten dauernde Ouvertüre und die Ballettszenen lassen die Messlatte erkennen, die sich der grosse österreichische Theaterregisseur und sein filmerfahrener Helfer gesetzt hatten). Allerdings konnte dieses Meisterwerk, das ich jedem Filmfreund ans Herz legen möchte (James Cagney spielte den Bottom, Mickey Rooney legte einen umwerfenden Puck hin!), nicht der Weisheit letzter Schluss sein, da Shakespeare von jeder Generation neu entdeckt werden will. Und es ist sicher nicht verwunderlich, dass sich Hoffman an Kenneth Branagh anhängte, der den grössten Bühnenautor aller Zeiten in den frühen 90er Jahren für den Film  "aufgefrischt" und “Much Ado About Nothing” (1993) als regelrechte “Screwball-Comedy” auch in der Toscana statt in Sizilien inszeniert hatte.. - Dabei mag Hoffman’s Verlagerung der Handlung in ein malerisches italienisches Dörfchen des späten 19. Jahrhunderts
deutschen Theatergängern, die vielleicht eher einen “Sommernachtstraum” mit Shakespeare’s Text lediglich stammelnden Figuren in einer radioaktiv verseuchten Welt (im Basler Schauspielhaus dürften als Dekoration noch ein paar Statuen von  Muammar al-Gaddafi und Kim Jong-il in einer verwüsteten Turnhalle herumstehen) gewohnt sind, schon sehr altmodisch, eventuell sogar kitschig vorkommen. Gerade in England selber bemüht man sich jedoch oft (etwa die Royal Shakespeare Company), dem Barden halbwegs gerecht zu werden, ihn nicht mit zum Teil verändertem Text für leicht abwegige Zwecke zu benutzen respektive zu misbrauchen. Und in der Komödie des Elisabethanischen Zeitalters ging es eben vor allem darum, das Publikum zu unterhalten und zu verzaubern. Weshalb also nicht zur Abwechslung den Witz eines Stücks betonen?

“A Midsummer Night’s Dream” wird im allgemeinen nicht zu den ganz grossen Shakespeare-Komödien (“As You Like It”, “Much Ado About Nothing”, “Twelth Night or What You Will”) gezählt, erfreut sich jedoch ausserordentlicher Beliebtheit - und kann beinahe als eine Art “Metakomödie” betrachtet werden, eine Komödie, die das Wesen der anderen Komödien erklärt - ihre Leichtigkeit, die die Bedeutungslosigkeit der eigentlichen Handlung (man beachte die Titel, die alle auf ein kleines Nichts verweisen) hervorhebt,  sich auf das Aufzeigen der Flüchtigkeit menschlicher Gefühle beschränkt  --- und im Gegensatz zu den Tragödien etwas erkennen lässt, was in “As You Like It” in unsterbliche Worte gefasst wurde:
“All the world’s a stage,
And all the men and women merely players...”
Das Besondere an “A Midsummer Night’s Dream”: Es wird (beinahe zur Entlastung menschlicher Schwächen) eine Welt in die Geschichte mit einbezogen, deren magische Kräfte nicht ganz unschuldig an unseren Verwirrungen sind, die aber selber höchst menschlichen Regungen ausgesetzt ist. - Wie setzt Hoffman diese Begegnung zweier Welten um?


Die in ein  Monte Athena genanntes Dörfchen verlegte Handlung  wird im wesentlichen beibehalten, der Text - was ich sehr schätze - nur leicht gekürzt übernommen. Der opulente Anfang, der uns Bilder von den Vorbereitungen für die Hochzeit des Fürsten Theseus zeigt, lässt beinahe ein farbenfrohes filmisches Grossereignis im Stil von Branagh’s Komödienverfilmung erwarten (man achte auf die Elfen, die sogar tagsüber als kleine Diebe neuer Errungenschaften der Menschheit unterwegs sind). Wer die Geschichte kennt, weiss, dass sich jedoch bald junge Liebende im nächtlichen Wald vor dem Dorf herumtreiben und zu zunehmend verwirrten Opfern einer ehelichen Krise zwischen Elfenkönig Oberon und seiner Gattin Titania werden. Dieser Zauberwald  mit seinen seltsamen Bewohnern kann schlicht nicht realistisch dargestellt, sondern muss trickreich in ein romantisches  Theaterrreich verlegt werden. - Hoffman versucht dieser Notwendigkeit des Bühnenhaften entgegenzuwirken, indem er etwa das neu erfundene Fahrrad mit ins Spiel einbezieht (ziemlich unglücklich, da die auf Drahteseln herumirrenden jungen Menschen nicht sonderlich interessant wirken und höchstens einen grauhaarigen Puck mit Glatze faszinieren, der sich das Ding zur Erfüllung seiner Aufträge denn auch zunutze macht) oder Elfen mit einem Trichtergrammophon spielen lässt (herrlich: die armen Dinger setzen sich den Trichter als Hut auf und benutzen die Schellackplatten als Servierteller). - Trotzdem bereitet das Treiben im nächtlichen Wald oft durchaus  Vergnügen, was neben den herausragenden Darstellern und Schauplätzen wie einem Weiher, in dem man ein malerisches Bad nimmt, nicht zuletzt an kleinen Ideen liegt, die das Stück bereichern und interpretieren (auch die “Sterblichen” werden von der den Elfen - einer zum Teil wilden Horde - eigenen Nacktheit  “ergriffen”, was ihnen am folgenden Morgen  die Welt ganz verändert, einfacher vorkommen lässt). Besonders berührend: Das Staunen der Elfenkönigin und ihres Geleits
über Bottom’s "gekonnten" Umgang mit dem Grammophon, das plötzlich eine Opernarie erklingen lässt und Titanias Äusserung über den Eselskopf (“Thou art as wise as thou art beautiful”) einen seltsam neuen Sinn verleiht. - Allerdings verbreiten mehrere   Szenen (die sich auf gleiche Weise wiederholenden Streitereien zwischen den Liebenden, Oberons blumige Sprache) gelegentlich auch eine unnötige Langeweile, die in einer Theateraufführung vermieden würde...

Die Schauspieler (beinahe die Crème de la Crème) bereiten durchwegs Freude und bemühen sich, dem Zuschauer neben der Leichtigkeit des Stücks auch Shakespeare’s gar nicht so schwer zu verstehende Sprache näher zu bringen. - Kevin Kline darf als sich für schauspielerisch talentiert haltender Bonvivant und Weber Bottom seine komödiantischen Fähigkeiten natürlich voll ausspielen und das Stück  an sich reissen; er  macht auch als Esel eine gute, menschliche Züge bewahrende Figur  (interessantes Detail: ausgerechnet dieser selbstgefällige Trottel erhält, wie sein nachdenkliches Betrachten der Statuen im Schlosspark am nächsten Morgen  zeigt, das Privileg, von den Ereignissen der Nacht eine Ahnung bewahren zu dürfen). Rupert Everett (wer in der Bezeichnung “Fairy King” für den sich im Gras räkelnden Nackedei keine ironische Anspielung erkennt, ist mit schwuler Blindheit geschlagen) gibt einen recht phlegmatischen Pascha, weshalb sich Michelle Pfeiffer, die mittlerweile auch Weichzeichner benötigt, wohl  lieber einem Eselskopf zuwendet (man erhält in “A Midsummer Night’s Dream” grundsätzlich den Eindruck, einige Liebesverstrickungen würden ohne Zauber ebenfalls funktionieren!)  und ihn mit einer herrlich übertriebenen Erotik und Köstlichkeiten aus aller Welt für sich einzunehmen versucht (ihn gelüstet es freilich eher nach etwas Heu). Da man sich die Figur des Puck gerne als ausserordentlich lebhaft vorstellt, ist Stanley Tucci in der Rolle etwas gewöhnungsbedürftig. Seine Versuche, die Positionen seines faul herumliegenden Königs Oberon nachzuahmen, sind freilich umwerfend - und das Fahrrad verhilft ihm ja letztlich zu der Quirligkeit, die einem Mann in seinem Alter sonst fehlt. - Die jungen Liebenden sind eben junge Liebende, was nichts über die schauspielerischen Leistungen von Bale, West etc. aussagt, sondern lediglich über die Rollen, zu denen sie "verurteilt" wurden; immerhin erweist sich Serienstar Calista Flockhart  als erstaunlich begabt. - Die grösste Überraschung beschert vielleicht die Aufführung der von den Handwerkern so fleissig geprobten “lustigen” Tragödie von Pyramus und Thisbe vor der erlauchten Hochzeitsgesellschaft am Schluss des Films: Während Bottom als Pyramus effektvoll mehrere Tode zu sterben versucht, gelingt ausgerechnet Francis Flute, der sich so dagegen wehrte, eine Frau spielen zu müssen,  die Darstellung seines Lebens, weil er zu Thisbe wird, sich in die Figur hineinversetzt - und die Zuschauer zutiefst anrührt.


Im Gegensatz zur Verfilmung von 1935, die ganz auf Mendelssohn-Bartholdy setzte, lässt Hoffman - vielleicht der Zeit angemessen - eher Opernmelodien von Verdi, Puccini und Rossini erklingen (um Mendelssohns “Hochzeitsmarsch” kommt freilich auch er nicht herum). - Eine gesamthaft liebenswerte Verfilmung, “abgefilmtes Theater” im positiven Sinne - wenn auch mit einigen Längen. Hoffman gelingt es sicher nicht, an Branagh’s meisterhafte Adaption von “Much Ado About Nothing” anzuknüpfen - und Freunde älterer Filme werden der Magie von Reinhardts/Dieterles überragendem “A Midsummer Night’s Dream” verständlicherweise den Vorzug geben, da der Witz in der Verfilmung von 1999 gelegentlich etwas schal anmutet. Allein schon die Darsteller lohnen jedoch eine Sichtung von Hoffman’s “Sommernachtstraum” - und Zeitgenossen, die um jedes Theater einen grossen Bogen machen, erleben eine zu mehr verlockende, wunderschön fotografierte Begegnung der eher konventionellen Art mit Shakespeare.

Dienstag, 18. Mai 2010

Her mit der deutschen DVD! - die Erste

Beim Wühlen in der Erinnerung, dank eines auf YouTube entdeckten Trailers  - oder wenn meine englische Kollegin ihr Giftschränkchen öffnet, in dem sich all die VHS-Kassetten und DVDs befinden, von denen ihr mittlerweile etwas gar christlich gesinnter Göttergatte nichts (mehr) wissen will, begegnet man immer mal wieder Filmen, die vor Urzeiten  vor der Flimmerkiste genossen wurden und von denen man denkt, eine Veröffentlichung auf DVD sei  in Deutschland mehr als überfällig. Ich möchte hier gelegentlich an solche Filme erinnern, kann aber naturgemäss nicht immer mit Bildern aufwarten. - Beginnen wir mit dem herrlichen Schöckerchen eines Mannes, der als einer der renommiertesten B-Movie-Regisseure von Horrorfilmen galt:  

Was ist denn bloss mit Helen los?
(What’s the Matter with Helen?, USA 1971)
Regie: Curtis Harrington
Darsteller: Debbie Reynolds, Shelley Winters, Dennis Weaver, Micheál MacLiammóir, Agnes Moorehead, Helene Winston u.a.

Im Jahre 1934 hält - wie uns die Wochenschau zeigt - nicht nur Präsident Roosevelt eine berühmte Rede; in Iowa werden auch die minderjährigen Söhne der Freundinnen Adelle und Helen wegen eines brutalen Mordes verurteilt. Von nun an wird das Leben der beiden einem Spiessrutenlauf unterworfenen und von anonymen Telefonanrufen gequälten Frauen unerträglich, und Adelle überredet Helen dazu, mit ihr nach Hollywood zu ziehen, wo sie, früher selber Tänzerin, eine Tanzschule eröffnen und ein neues Leben beginnen will. Schon bald unterrichten die nicht mehr ganz taufrischen Mädels unter den wachsamen Augen ehrgeiziger Mütter zukünftige Shirley Temples, wobei Adelle, die sich mittlerweile in einen Mae West-Klon verwandelt hat, ihre grandiosen Stepkünste zur Schau stellt, während das mütterliche Pummelchen Helen, das sich in der neuen Umgebung offensichtlich nicht wohl fühlt, die Lehrstunden am Klavier begleitet. - Doch während Adelle nichts anderes als ein neues Leben an der Seite eines wohlhabenden Mannes sucht, fühlt sich ihre Freundin von den Geistern der Vergangenheit verfolgt und fürchtet zunehmend jeden Schatten, jede sich öffnende Tür, jeden fremden Menschen, der ihr über den Weg läuft. Als die anonymen Telefonanrufe tatsächlich auch am neuen Wohnort wieder einsetzen, sieht sie sich in ihren Vorahnungen bestätigt und entwickelt sich vollends zum zitternden Nervenbündel, das Trost in einer evangelikalen Radiosendung sucht, in der die geldgierige Sister Alma (Agnes Moorehead, die grösste Nebenrollendarstellerin aller Zeiten, darf einen Kurzauftritt hinlegen, der es in sich hat!) die Worte des Herrn verkündet. Diese nützen allerdings nicht viel; denn die unheimlichen Ereignisse setzen sich fort und entwickeln sich - gelinde gesagt - zunehmend blutiger. Da fragt sich nicht nur Adelle: “Was ist denn bloss mit Helen los?”.


Der fiese kleine Thriller setzt ganz offensichtlich eine mehr oder weniger von Robert Aldrich (“What Ever Happened To Baby Jane?”, 1962) begründete Tradition fort und macht aus langsam alternden Schauspielerinnen --- Ghouls! Dabei stehen Shelley Winters als hysterisches Psychowrack und Debbie Reynolds als sich künstlich verjüngendes Lebeweibchen (man fragt sich nicht nur, welche der beiden Damen wohl der grössere Ghoul ist, sondern auch, ob sich Debbie auf ihre auch im Leben gespielte Rolle - sie gilt bekanntlich als die Schauspielerin, die nicht in Würde altern konnte - überhaupt gross vorbereiten musste) ihren Vorgängerinnen Bette Davis und Joan Crawford in nichts nach. Einen weiteren Glanzpunkt setzt Micheál MacLiammóir, der - beinahe ein Replacement für Victor Buono in den Filmen von Aldrich - als arbeitsloser Sprachlehrer Hamilton Starr von Adelle eingestellt wird und den kleinen Mädchen Unterricht in “perrrfect En-glish” erteilt, damit sie als angehende Filmstars auch über das nötige Rüstzeug verfügen. - Es ist vielleicht nicht erstaunlich, dass Henry Farrell, der Autor des Romans “What Ever Happened To Baby Jane?” auch das Drehbuch zu Curtis Harrington’s kleinem, aber wertvollen Schocker mit garantiert unvergesslichem Ende schrieb.


Ich könnte mich jetzt lang und breit über die von Kennern oft diskutierten homosexuellen Implikationen des Films (hat Helen lesbische Neigungen? waren die Söhne der Freundinnen schwul und begingen den Mord, weil sie damit symbolisch ihre Mütter umbringen wollten?) auslassen,  halte mich jedoch ausnahmsweise zurück und fordere die geneigten Freunde dreckiger kleiner Altweiber-Schocker auf, für eine auch im deutschen Sprachraum erhältliche DVD von “What’s the Matter with Helen?” auf die Barrikaden zu gehen oder sich wenigstens zu einem Sitzstreik vor der ZDF-Sendezentrale zu versammeln, damit sich der Sender dieses Films mal wieder annimmt. - Vielleicht bringt es ja etwas, wenn wir mit Sister Alma  voller Inbrunst “What a Friend We Have In Jesus” singen und anschliessend einen erheblichen Geldbetrag in ihren goldenen Topf  legen. Kaninchenfreunde dürften von solchen Aktionen freilich nicht sonderlich begeistert sein...

Donnerstag, 13. Mai 2010

Ein Alterswerk

Der Garten der Finzi Contini
(Il giardino dei Finzi-Contini, Italien/Deutschland 1970)
Regie: Vittorio De Sica
Darsteller: Lino Capolicchio, Dominique Sanda, Fabio Testi, Romolo Valli, Helmut Berger u.a.

Ich habe mich nie intensiv mit dem italienischen Film beschäftigt, kenne nur seine wichtigsten Strömungen und die Hauptwerke bedeutender Regisseure. Trotzdem empfand ich es als beinahe beschämend, mich von 3sat belehren lassen zu müssen, dass der grosse Neorealist Vittorio De Sica (“Ladri di biciclette”, 1948, “Umberto D.”, 1952), von dem ich immer dachte, er habe sich ab den 60er Jahren zunehmend auf  belanglose Unterhaltungsfilme spezialisiert, mit “Il giardino dei Finzi-Contini” 1970 noch einmal sowohl Zuschauer als auch Kritiker zu begeistern vermochte - und  sogar den “Auslandsoscar” holte. De Sicas später Erfolg ist allerdings nicht nur  auf vielsagende Weise in Vergessenheit geraten, sondern wirkt  in mancherlei Hinsicht seltsam untypisch für den Regisseur, ja kommt dem heutigen Betrachter eigentümlich “unzeitgemäss” vor:

Als Mussolinis Rassengesetze 1938 den jüdischen Italienern die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verbieten, öffnet der angesehene Literaturprofessor Finzi Contini seinen Garten in Ferrara für die Allgemeinheit, um seinen Kindern Micòl und Alberto (sie wurden gerade aus dem Tennisclub ausgeschlossen) ein Refugium zu bieten, in dem sie mit ihren Freunden - Juden und Nicht-Juden - ihre Freizeit verbringen und die Realität vergessen können. Der scheinbar riesige, von herbstlichen Sonnenstrahlen durchflutete Garten wirkt tatsächlich beinahe wie ein Märchenland, in dem die jungen Leute sich der Illusion hingeben können, Heranwachsende in einer normalen Zeit zu sein - vielleicht ein wenig intensiver und grausamer. - Der junge Giorgio erinnert sich daran, wie er schon als Kind von der verführerischen Micòl
in den Garten gelockt worden war, und er hofft, aus der langen Freundschaft werde sich nun eine Liebesbeziehung entwickeln. Micòl, inzwischen eine kühle Schönheit, lässt ihn jedoch - immer noch halb lockend, halb abweisend - wissen, sie sähe in ihm lediglich einen zweiten Bruder. Tatsächlich verbringt sie ihre Nächte mit dem von ihr in der Öffentlichkeit abgelehnten Nicht-Juden Bruno Malnate, um den wiederum Alberto regelrecht buhlt (Helmut Berger darf die homoerotische Komponente seines Begehrens voll ausspielen).

Doch auch ausserhalb des Gartens gibt man  sich zu Beginn Illusionen hin. So behauptet etwa Giorgios bürgerlicher Vater, der in den Finzi Continis nicht in erster Linie Juden, sondern eine andere Klasse sieht, der Faschismus sei immer noch menschlicher als der Nationalsozialismus. Langsam vergehen jedoch mit der Herbstsonne die Hoffnungen, im faschistischen Italien “davonzukommen”. Es beginnt mit anonymen Telefonanrufen während der Sabbat-Feier; dann wird dem Studenten Giorgio der Zutritt zur Bibliothek verwehrt (grandios, wie  der Leiter der Bibliothek seine Hände in Unschuld zu waschen versucht). Am Ende, 1943, finden sich diejenigen, denen nicht rechtzeitig die Flucht gelang, in einem Schulzimmer wieder, in dem sie auf ihre Deportation nach Deutschland warten. Zu ihnen gehören auch die Finzi Contini und Giorgios Vater, der Micòl mitteilen kann, sein Sohn und die restliche Familie seien entkommen.

Man könnte De Sicas Verfilmung eines autobiographisch getönten Romans von Giorgio Bassani  jener Reihe von italienischen Filmen zuordnen, die sich um 1970 mit Faschismus und Nationalsozialimus beschäftigten. Sie scheint mit ihren luftigen, pastellfarbenen Bildern und ihrer schier altmodisch erzählten Geschichte jedoch einfach nicht so recht  an das anschliessen zu wollen, was Visconti mit dem 1968 gedrehten und heftig umstrittenen “La caduta degli dei” (ich denke etwa an das wächserne Gesicht von Ingrid Thulin, die von ihrem Sohn sexuell missbraucht wurde) oder Bertolucci mit der visuellen Umsetzung seiner Geschichte in “Il conformista” (1970) dem damaligen Publikum im wahrsten Sinne des Wortes zumuteten. Sogar Fellinis auf den ersten Blick nostalgischer “Amarcord” (1973), der den Faschismus nur scheinbar hintergründig  thematisiert (Tittas Vater wird verdächtigt, Kommunist zu sein), wirkt wesentlich realitätsnaher als die Bilder der “weichgespülten” Jugendlichen auf ihren Fahrrädern, die  wie einer Werbung entflohene Elfen
Einlass in den Park des unbeschwerten Heranreifens begehren - und ihn auch erhalten. Man mag sich deshalb des Eindrucks nicht erwehren, De Sica, der “Il giardino dei Finzi-Contini” denn auch nie als eines seiner Meisterwerke bezeichnen sollte, habe sämtliche geradezu revolutionäre Entwicklungen des italienischen Films in den 60er Jahren verschlafen, es sei ihm um eine romantische Liebesschnulze in Hollywood-Manier gegangen (worauf etwa die Rückblenden in die Jugendzeit hindeuten) --- und genau das habe dem damaligen, sich lieber Verklärungen hingebenden Publikum zugesagt. - Aber darf man es sich wirklich so einfach machen?

Bassanis Roman widmet sich Erinnerungen, Erinnerungen an eine Jugendzeit, in der man das, was sich in der Wirklichkeit ereignete, wohl besonders zwanghaft (siehe etwa das Verhalten von Micòl) zu verdrängen versuchte. Solchen Erinnerungen ist vielleicht das Traumhafte besonders angemessen. Traumhaft mutet De Sicas elegisches Alterswerk denn auch an. Dies lässt sich nicht nur an der impressionistischen- grandiosen! - Fotografie erkennen, sondern vor allem an den für Träume bezeichnenden fragmentarischen Handlungssträngen, die es leider auch Fabio Testi und Helmut Berger verunmöglichen, die Komplexität der von ihnen dargestellten Charaktere in diesem knapp 90 Minuten dauernden Film wirkungsvoll  auszugestalten (Albertos Tod, von dem man nicht weiss, ob er die Folge einer Krankheit oder seines Verzerrens nach seinem Freund ist, ein Aufenthalt in Frankreich, wo - ohne Konsequenzen - über die Konzentrationslager der Nazis gesprochen wird, die seltsame Abgehobenheit der aristokratischen Finzi Contini von der nicht zur Kenntnis genommenen Wirklichkeit). Auch den erotischen Szenen haftet etwas unwirklich Traumaftes, nach der Perfektion der Erinnerung Strebendes an (Micòls durchsichtige Bluse, als sie während eines plötzlichen Regens zusammen mit Giorgio in einem Schuppen Unterschlupf gefunden hat). - Man muss vielleicht sagen, alle Protagonisten von “Il giardino dei Finzi-Contini” seien in einen Traum geflüchtet, nähmen nur Fetzen der Realität wahr -  und De Sica habe sich in seiner Verfilmung ohne Zugeständnisse diesem Umstand angepasst. Darauf weist schon der Vorspann, der Sonnenstrahlen der Unschuld (in einer solchen Zeit!) durch Blätter dringen lässt, hin. Auch spätere Bilder des Gartens,  dessen Grösse der Zuschauer nicht annähernd einzuschätzen vermag (er scheint  der Jugend  gemäss keine Grenzen zu kennen), wirken wie das Innere der Villa der Finzi Contini (die Bibliothek, die  Giorgio zur Verfügung gestellt wird, ist noch besser, “erlesener” als die, aus der er verstossen wurde) unermesslich, irreal. - Dieses “traumhafte” Wahrnehmen einer letztlich poetischen Geschichte erwartet der Film wohl vom Publikum, fordert es ein, und man scheint anfangs der 70er Jahre begierig darauf gewesen zu sein, der Forderung nachzukommen, waren doch die hartherzigeren Konfrontationen mit einer schrecklichen Zeit alles andere als willkommen.



Der heutige Betrachter weiss allerdings gar nicht so recht, was er mit der herbstlich-impressionistischen Romanze, deren Erzähl-“Fetzen” in einem Schulzimmer enden, anfangen soll, zumal er auch aus der von Dominique Sanda verkörperten (überbewerteten) Figur nicht schlau wird: Hat ihr zweideutiges, sich entziehendes Verhalten mit einer aristokratischen Abgehobenheit zu tun, ist es beinahe  hysterischer jugendlicher Übermut - oder entwickelt sich Micòl tatsächlich zu jener “reifen” Frau, als die sie uns, während sie beim erzwungenen Verlassen des Guts auf die Villa zurückblickt, präsentiert wird? Es verharrt alles irgendwo im Schwebenden , Ungewissen. --- Vor allem fragt man sich rund vierzig Jahre nach dem Entstehen von “Il giardino dei Finzi-Contini” - und wesentlich weniger zurückhaltenden Leinwandbegegnungen mit dem Faschismus: Was ist die Botschaft des Films, falls er überhaupt eine hat? Geht es ihm einfach um die der Erinnerung zu “verdankende” Verklärung einer Romanze in einer schweren Zeit? Oder möchte er tatsächlich als realistische Darstellung verstanden werden?

Es ist anzunehmen, dass ein Teil des seinerzeitigen Lobs mit De Sicas unerwarteter Rückkehr zum anspruchsvollen Film zu tun hatte. Entsprechend wird der Film heute in einem veränderten Kontext (womit sich wieder einmal zeigt, dass der Untertitel meines Blogs durchaus Sinn macht, mag dieser gelegentlich auch herbeigezwungen werden) wohl eher als Kuriosum wahrgenommen. Dennoch lohnt sich eine erneute Begegnung mit  den bemerkenswert gut gespielten Erinnerungsfragmenten (De Sica kehrte insofern zum Neorealismus zurück, als er bloss die wichtigsten Rollen mit professionellen Schauspielern besetzte!), werfen sie doch allerlei Fragen zum filmisch adäquaten Umgang mit dem Faschismus - respektive mit einer möglichen anderen Annäherung an das Thema - auf. Und man sollte sich “Il giardino dei Finzi-Contini” unbedingt in der (lebendigen) italienischen Originalfassung anschauen; die deutsche Synchronisation erweckt nämlich zu Unrecht den Eindruck, man  habe es mit einem Schlafmittel zu tun...

Samstag, 8. Mai 2010

Sexy Hexi

 Meine Braut ist übersinnlich
(Bell, Book and Candle, USA 1958)
Regie: Richard Quine
Darsteller: James Stewart, Kim Novak, Jack Lemmon, Ernie Kovacs, Hermione Gingold, Elsa Lanchester, Janice Rule

Man muss wohl ein paar Worte über die aussagekräftige Filmkarriere der letzten von Hollywood produzierten “Sexgöttin” verlieren, wenn man verstehen will, mit welcher Zeit wir es hier zu tun haben: Spätestens seit sie sich als Madge Owens, einer heranreifenden Kleinstadt-Schönheit, in Joshua Logan’s heute leider etwas in Vergessenheit geratenem “Picnic” (1955) - für sechs Oscars nominiert! - in einen von William Holden gespielten Herumtreiber verlieben durfte, galt sie als Schauspielerin, die jedem Mann den Kopf verdrehen konnte. Zu Weltruhm gelangte sie durch ihre “Doppelrolle” in Hitchcocks “Vertigo” (1958). Der “Master of Suspense” äusserte sich über die Darstellerin, die er als Ersatz für die schwanger eingetroffene Vera Miles hatte akzeptieren müssen, aber alles andere als zufrieden: sie sei mit einer Menge dummer vorgefasster Ideen angerückt, habe sich eine andere Garderobe gewünscht --- und keinen Büstenhalter getragen, beklagte er sich in seinem berühmten Interview mit François Truffaut, das unter  dem Titel “Le cinéma selon Hitchcock” veröffentlicht wurde. Selbst heute würde der grosse Regisseur wohl nicht zugeben, dass sie schlicht die ideale Besetzung war. - Nach ein paar weiteren Rollen erklärte sich “stupid” Kim (das Beiwort haftete ihr an, weil man Blondinen schon damals gern der Dummheit bezichtigte) bereit, in Billy Wilder’s unwürdigem Klamauk-Film “Kiss Me, Stupid” (1964) die Rolle der Hure Polly the Pistol zu spielen; und es scheint, als habe man in der Traumfabrik nur auf einen derartigen Missgriff gewartet - denn von nun an ging’s bergab mit ihrer Karriere (Robert Aldrich, der schon  ausgedienten Stars wie Joan Crawford und Bette Davis Zuflucht gewährt hatte, drehte 1968 mit ihr den - woraus man einiges schliessen kann - Misserfolg “The Legend of Lylah Clare”). Erst 1980 gelang ihr ein Comeback als mehrfach geliftete Actrice, die in der Agatha Christie-Verfilmung “The Mirror Crack’d” mit Liz Taylor herrliche Wortgefechte austragen konnte...

Woran lag es? -  Kim Novak war im Gegensatz zu Sexgöttinnen wie Rita Hayworth oder Marilyn Monroe eben nicht beinahe eine Karikatur ihrer selbst. Sie verteilte ihren Appeal auch nicht kühl-distanziert wie etwa Lana Turner. Sie wirkte im Gegenteil wahrhaft sinnlich, verströmte eine mysteriös getönte Erotik, die der Zuschauer beinahe mit Händen greifen konnte - und sie trug, weil sie es gar nicht nötig hatte, wirklich keinen BH. All das war dem prüden Hollywood der 60er Jahre, das dem Publikum lieber eine Doris Day vorsetzte, die als 40-jährige Jungrau schon beim Gedanken an Sex Pickel kriegte, unheimlich. Also: Weg mit ihr!
 

“Bell, Book and Candle” folgte auf den Erfolg mit “Vertigo” und verhalf Kim nicht bloss zu einer neuen Zusammenarbeit mit James Stewart; sie konnte in der Rolle einer Hexe auch von jener mysteriösen  Aura profitieren, die sie sich im Hitchcock-Klassiker antrainiert hatte. Es handelte sich um die harmlos-liebenswerte Verfilmung eines Broadway-Hits, in dem Lilli Palmer zusammen mit ihrem damaligen Gatten Rex Harrison die Hauptrolle gespielt hatte (beide kamen nach einem Skandal wegen des Freitods einer Geliebten von Rex Harrison für den Film nicht in Frage; Lilli Palmer, die auch schon unbefriedigende Erfahrungen mit Hollywood gemacht hatte, war ohnehin nach Deutschland zurückgekehrt):

Die junge Hexe Gillian handelt mit afrikanischen Kunstgegenständen und hat allerlei Ärger mit den Zauberspässchen ihres albernen Bruders Nicky (herrlich kindisch: Jack Lemmon), dem es Vergnügen
bereitet, die Strassenbeleuchtung zu löschen, am Hals. Auch ihre Tante Queenie, die gerade das Telefon des neuen Mieters Shep Henderson verhext hat, muss zur Vernunft gebracht werden. Als Shep Gillian bittet, bei ihr telefonieren zu dürfen, kommt sie auf die Idee, ihn in den “existentialistisch” angehauchten Hexenclub “Zodiac” einzuladen. Es stellt sich heraus, dass Shep mit einer Frau verlobt ist, von der Gillian schon während ihrer Schulzeit getriezt worden war. Deshalb beschliesst sie, die eigentlich mit der Hexerei zurückhaltend umgehen wollte, zusammen mit ihrem Kater Pyewacket alles zu unternehmen, um Shep in sich verliebt zu machen. Mit Hilfe eines Zaubers lockt sie sogar einen begehrten Buchautor, der sich mit Hexerei beschäftigt, herbei, der völlig verstört beim Verleger Shep auftaucht und ihm anbietet, für ihn ein Buch über die Hexen in New York zu schreiben.  - Der verliebte Shep sagt seine Hochzeit ab (ein für die 50er Jahre typisch harmloser und doch humorvoller Dialog: Stewart reagiert auf die hysterisch gestellte Frage “Are you saying you’re *jilting* me?” seiner Verlobten mit einem zögernden “W-well, that is a very heavy word.  Let’s just say that we’re ... uncoupling”). - Was aber wird sich ereignen, wenn der Verhexte
herausfindet, womit er es zu tun hat? Und kann es zu einem Happy-End kommen, wenn er sogar Madame de Passe, eine Berühmteit unter den New Yorker Hexen, in Anspruch nimmt, um den Zauber loszuwerden?

Der Film ist, wie so viele gute Komödien, ein kleines Nichts. Die offensichtliche Lust, mit der die Schauspieler bei der Arbeit sind, und das amüsante Drehbuch machen ihn jedoch zu einem sehenswerten Vergnügen, das uns noch einmal Kim Novak mit ihrer ungeheuren Ausstrahlung präsentiert. Und was ich an dem Spass besonders schätze: Obwohl er zu einer Zeit gedreht wurde, als Ray Harryhausen bereits mit aufwändigsten Spezialeffekten trumpfen konnte, verzichtet er ganz auf jene billige Trickchen, die viele andere Hexenfilme so peinlich machen. Er erzählt einfach eine scheinbar alltägliche (Liebes-)Geschichte.

Es ist mir erst beim Nachdenken über diesen Eintrag aufgefallen, dass der “Hexenfilm” eigentlich als regelrechtes Subgenre zu betrachten ist, das je nach Schwerpunkt zwischen Horror, Romanze und Komödie angesiedelt werden kann. Eher amüsante Filme im Stil von “Bell, Book and Candle” ermöglichen es mehr oder weniger (im Falle von Bette Middler eher weniger) grazilen Schauspielerinnen, in die Rolle einer “femme fatale” zu schlüpfen. Sie reichen qualitativ jedoch meist nicht annähernd an den Film aus dem Jahre 1958 heran. Ich denke etwa an Machwerke wie “Hocus Pocus” (1993), “Practical Magic” (1998) oder “Bewitched” (2005), den völlig misslungenen Versuch, eine erfolgreiche TV-Serie aus den 60ern zu verfilmen. - Neben “The Witches of Eastwick” (1987) kommt mir bloss ein einziges, leider ziemlich in Vergessenheit geratenes kleines Meisterwerk in den Sinn, das den Film mit Kim Novak an Frechheit, Charme und Erotik noch zu überbieten vermag: René Clairs wundervolle Screwball-Comedy “I Married a Witch” (1942), in der Veronica Lake sich als attraktive Hexe am Nachkommen (Fredric March) eines Puritaners, der sie im Rahmen der Hexenprozesse von Salem hinrichten liess, rächen will - und sich natürlich prompt in ihn verliebt. Während Kim Novak dank ihres bleibenden Ruhms gelegentlich auf der Mattscheibe zu geniessen ist, enthält das Fernsehen leider solche Leckerbissen den jüngeren Zuschauern heutzutage vor. Wer sich also vom Sex einer Veronica Lake überzeugen (und erst noch vom Alkohol loskommen) will, besorge sich die DVD von “I Married a Witch”!

Samstag, 1. Mai 2010

Faule Ausreden...


Die wärmere Jahreszeit bringt es mit sich, dass gewisse Arbeiten nicht mehr mit der faulen Ausrede “zu kalt” hinausgeschoben werden können. Hinzu kommen eine Lust am Faulenzen, am ... ähem ... Sinnieren in der freien Natur und vielleicht auch am Bezirzen wohlhabender Witwen (den Rest sollen sich die alten Schachteln selber besorgen, wenn Leute wie ich sie um ihr Geld gebracht haben). Vielleicht führt mich sogar eine zyklisch bedingte Gleichgültigkeit zu der Einsicht, dass in nächster Zeit zwischen meinen Einträgen rasch mal zehn bis zwölf Tage liegen dürften (alte Bekannte bekommen wohl gelegentlich - horribile dictu! - Aufgewärmtes vorgetischt). - Ein  nahezu essayartiger Eintrag, der so oder so nur von anderthalb Lesern (“Hallo, halber Leser!”) zur Kenntnis genommen wird, erfordert nämlich Zeit. Und die kann, mag oder will ich im Moment nicht alle fünf Tage investieren.  - Conclusio: Man liest sich, jedoch einfach nicht mehr gar so oft...

A propos Arbeit: Weiss jemand von euch, ob man ein IKEA-Bett zwecks Frühlingsreinigung risikolos von einer Ecke des Zimmers in die andere schieben darf?