Sonntag, 8. Januar 2012

Kurzbesprechung: Venedig im Wasser

VENEDIG
Österreich 1961
Regie: Kurt Steinwendner (Curt Stenvert)

Selbstverständlich liegt Venedig im Wasser - das weiß man doch. Was soll also der Titel? Steinwendners 11-minütiger Film besteht nur aus Ansichten von Venedig, ohne Handlung, ohne Kommentar. Das Besondere: Die Stadt wird nicht direkt gefilmt, sondern als Reflexion im mehr oder weniger gekräuselten Wasser der Lagune und der Kanäle. So ergeben sich Bilder von leicht verzerrt bis völlig abstrakt. Die Kamera wurde dafür kopfüber gehalten, so dass die gespiegelten Bilder wieder aufrecht stehen. Einmal fiel die Kamera ins Wasser, aber sie konnte geborgen werden, und nach gründlicher Reinigung in den Arri-Werken in München konnte es weitergehen. Dass die poetischen Impressionen nicht ins Süßliche abgleiten, dafür sorgt auch die avantgardistische Musik, die von einem Eric Siday stammt, der wohl in den 60er Jahren ein Pionier auf frühen Modellen des Moog-Synthesizers war [siehe Update unten]. Die frühere Vorliebe Steinwendners für das nicht nur in WIENERINNEN eingesetzte Heliophon findet hier seine logische Weiterentwicklung. Die Einrichtung der Musik für den Film, also Tonschnitt etc., übernahm Steinwendners zweite Frau, die frühere Burgschauspielerin Antonia Mittrowsky. Der originelle und extravagante Film erhielt 1962 bei der Berlinale einen Silbernen Bären. Wie schon im Artikel über WIENERINNEN erwähnt, ist VENEDIG als Bonusfilm auf einer DVD enthalten, die als Beilage einer Monographie über Steinwendner erhältlich ist. Und jetzt sollen die Screenshots für sich sprechen.

UPDATE, Januar 2017: In den Credits von VENEDIG wird der Komponist "Eric Sidey" genannt (und so nannte auch ich ihn hier bis jetzt), im Steinwendner-Büchlein dagegen "Erik Sidey". Als ich den Artikel schrieb, habe ich mich darüber gewundert, dass ich so wenig über diesen Herrn zutage fördern konnte. Inzwischen kenne ich die Lösung: Beide Schreibweisen sind falsch, denn er hieß in Wirklichkeit Eric Siday. Er war in der Tat ein Pionier der elektronischen Musikerzeugung, der beispielsweise Musik zur Frühphase der Serie DR. WHO beisteuerte, der in seinen jungen Jahren aber auch ein fähiger Jazzgeiger war. Als Robert Moog im Oktober 1964 seinen ersten Synthesizer auf einer Tagung von Toningenieuren in New York vorstellte, wurden zwei der Geräte vom Fleck weg bestellt - der zweite Besteller war Eric Siday. Er besaß damals ein gut gehendes Tonstudio in New York, das elektronische Musik und Jingles für Radio- und TV-Werbung produzierte. Als der bestellte Synthesizer von Moog persönlich in Sidays Wohnung in Manhattan, die schon mit elektronischen Geräten vollgestopft war, abgeliefert wurde, bekam Sidays Frau einen hysterischen Anfall und schrie "Eric, more shit in this house!" - so erzählte es jedenfalls Moog in späteren Jahren. Der Soundtrack von VENEDIG entstand aber natürlich vorher, konnte also nicht mit einem Gerät von Moog produziert worden sein. Eine Auswahl von Sidays elektronischer Musik ist 2014 unter dem Titel The Ultra Sonic Perception auf CD und LP erschienen.

Nun aber endlich zu den Screenshots:










8 Kommentare:

  1. Mist! Ich dachte, ich käme daran vorbei, mir diese Folge vom ›Taschenkino‹ zu kaufen (da ich »Wienerinnen« schon als DVD aus der ›Standard‹-Edition mein eigen nenne), aber das sieht doch recht vielversprechend aus, und die Euros müssen ja eh weg … Danke für den Tip! :) PS: Wurde »Venedig« in Scope gedreht?

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  2. Ich weiß nicht, in welchem exakten Format er gedreht wurde, aber die Screenshots geben jedenfalls das Bildverhältnis wieder, wie er auf der DVD ist.

    Ich hab dem Artikel über WIENERINNEN noch ein kleines Update verpasst, in dem auch die anderen Bonus-Filme auf der DVD erwähnt werden.

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  3. Eigentlich eine naheliegende Idee: einen Ort konsequent von dem aus zu zeigen, was ihn ausmacht. Und trotzdem wurde sie meines Wissens nie so konsequent umgesetzt wie hier. Man liess Katherine Hepburn mal in einen Kanal fallen, fuhr vom Eiffelturm aus über die Dächer von Paris. Aber das war alles lediglich charakterisierendes "Beiwerk".

    Zürich wäre im Moment ein ideales Sujet für einen derartigen Film von elf Minuten: Zuerst fährt die Kamera langsam und genussvoll die Fassaden der Banken ab; anschliessend mutet sie dem (allerdings Hartgesottenes gewohnten) Zuschauer die "Köpfe" der SVP-Politiker zu, mit denen die Stadt glänzt.

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  4. Dieser Kurzfilm hört sich interessant an und wird bei der nächsten Gelegenheit angesehen, danke. Ich liebe Surrealismus und Venedig bietet spätestens seit "Wenn die Gondeln Trauer tragen" eine schöne Umgebung für Filme.

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  5. @Whoknows:
    Man könnte die Zürich-Impressionen auch durch Spiegelungen von blankpolierten Münzen indirekt einfangen...

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  6. Wow, vielen Dank für diese kurze Besprechung und den Hinweis auf die "Taschenkino-Reihe". Werde da wohl demnächst zuschlagen müssen, und freue mich schon auf Steinwendner und Co. Hoffentlich wird die Reihe noch fleißig fortgesetzt. Überhaupt sollte es mehr Buchveröffentlichungen im Filmbereich geben, die digitale Medien als Beiwerk zu nutzen verstehen.

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    1. Ja, das Filmarchiv Austria leistet da gute Arbeit. Neben dem "Taschenkino" mit bisher sechs Ausgaben gibt es auch noch die Edition Film & Text, die Bücher und DVDs (gelegentlich auch VHS), die es auch jeweils einzeln gibt, zu einem Paket zusammenfasst. Allerdings zu deutlich höheren Preisen als beim "Taschenkino".

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  7. Kreative Fotos. Es repräsentiert die Seele der Stadt - Wasser, Wasser und nochmals Wasser. Schön!

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