Mittwoch, 9. März 2016

Entspannt angeln mit Howard Hawks

MAN‘S FAVORITE SPORT? („Ein Goldfisch an der Leine“)
USA 1964
Regie: Howard Hawks
Darsteller: Rock Hudson (Roger Willoughby), Paula Prentiss (Abigail Page), Maria Perschy (Isolde „Easy“ Mueller), Norman Alden (John Screaming Eagle), John McGiver (William Cadwalader), Roscoe Karns (Major Phipps), Forrest Lewis (Skaggs), Charlene Holt (Tex Connors)


In meinem Jahresrückblick zu 2015 habe ich den guten Vorsatz formuliert, mich künftig mehr mit Howard Hawks zu beschäftigen. Eine Neusichtung von THE BIG SLEEP offenbarte mir, dass dieser Film auch weiterhin erst einmal nicht in meinem persönlichen film-noir-Kanon aufgenommen wird (sondern höchstens in den erweiterten Kreis). MAN‘S FAVORITE SPORT?, den ich kürzlich zum ersten Mal sah, hat mich hingegen sofort vollkommen umgehauen...

In wenigen Tagen muss Angelexperte Roger das Angeln
lernen. Ein Blick in die selbstgeschriebene Broschüre
bietet bisweilen willkommene Hilfe.
Roger Willoughbys Tag fängt nicht so gut an. Auf dem Weg zur Arbeit fährt eine Frau mit ihrem Auto gefährlich nahe an ihn heran und klaut ihm dann auch noch seinen Parkplatz. Roger ist bei Abercrombie & Fitch im Bereich Outdoor-Ausrüstung angestellt, gilt als ausgewiesener Experte in Sachen Angeln und hat auch die Broschüre „Fishing Made Simple“ verfasst. An diesem Morgen wird Roger zu seinem Chef Cadwalader zitiert. Dort trifft er auch die Frau wieder, die ihm den Parkplatz geklaut hat: Abigail Page, eine PR-Agentin, die zusammen mit Isolde Mueller, der Tochter eines Angelcamp-Besitzers, ganz besondere Pläne für Roger bereit hält. Er soll nämlich Abercrombie & Fitch als Kandidat bei einem Angelwettbewerb repräsentieren, an dem unter anderem auch die Kunden teilnehmen, die er in seinem Job als Angelexperte berät. Eine Idee, die Roger ganz und gar nicht gefällt und wenig später muss er den beiden Frauen unter Einhaltung strikter Geheimhaltungsmaßnahmen auch erklären, warum: er hat in seinem ganzen Leben noch niemals geangelt (und verabscheut außerdem Fisch in jeglicher Form). Abigail will dennoch nicht locker lassen, droht Roger gar, sein Geheimnis preiszugeben, wenn er am Wettbewerb nicht teilnehmen sollte bietet ihm aber dennoch an, ihm in den wenigen Tagen, die bis zum Beginn des Wettbewerbs bleiben, das Angeln beizubringen. Am Lake Wakapoogee beginnt dann ein mehrtägiges, hartes Training – lebensgefährliche Anglerhosen, ein falscher Indianer mit einem großen Appetit für 5- und 20-Dollar-Scheine, motorradfahrende Bären, hartnäckige Reissverschlüsse und die stets unermüdliche, schnellredende und „strangely attractive“ Abigail säumen Rogers qualvollen Weg in Richtung Angelmeisterschaft...

MAN‘S FAVORITE SPORT? ist nicht der erste Filmtitel der fällt, wenn Howard Hawks erwähnt wird. Bis mir der OPAC der Stadtbücherei „Ein Goldfisch an der Leine“ nach entsprechender Suche ausspuckte, hatte ich selbst von dem Film noch nie gehört. Und tatsächlich gilt er im Allgemeinen nicht gerade als Schwergewicht in der Hawks-Filmografie. Er lief in den USA ganz okay, aber nicht überragend, Kritiken waren freundlich, aber verhalten. Wie so oft sah dies auf der anderen Seite des Atlantiks ganz anders aus, und die Franzosen, die Hawks in den 1950er Jahren zu einem der weltgrößten Filmkünstler erklärt hatten, standen auch 1964 zu ihm: Jean-Luc Godard als individueller Kritiker wie auch die gesamte Redaktion der cahiers du cinéma kürten MAN‘S FAVORITE SPORT? zu einem der 10 besten Filme des Jahres. Der britische Filmjournalist Phil Hardy ging in einem kurzen Review noch weiter, als er MAN‘S FAVORITE SPORT? als „the quintessential Hollywood auteur movie“ bezeichnete.

Aus einer recht spannungsarmen Geschichte mit einer etwas weit hergeholten Grundsituation zaubert Howard Hawks in seinem viertletzten Film tatsächlich ein Stück pure und dabei wolkenleichte Kinomagie. Was diese ausmacht und vor allem wie sie entsteht, ist schon schwieriger zu erklären. Ich denke, man kann es mit einer Trias aus gelungenen Einfällen und liebevollen Details, wunderbar liebenswürdigen Charakteren (gespielt von tollen Schauspielern) und einer Grundatmosphäre totaler Entspannung zumindest ansatzweise erläutern.

MAN‘S FAVORITE SPORT? platzt stellenweise vor lauter Einfälle, Ideen, Details. Sie sind teilweise nur kleine Witze, doch tragen sie zur besonderen Textur des Films bei und werden dank des Einsatzes der Darsteller und Hawks‘ unendlichen Inszenierungstalent zu großen Momenten.
Die Opening Credits mit dem beschwingten Titelsong etwa, die von einer merkwürdigen Montage unterlegt werden: Bilder von Frauen, die Sport treiben, umrahmt von der Kontur der Buchstaben aus dem Filmtitel. Fast etwas pop-art-mäßig. Die sich drehende Karusell-Bar, an der sich Roger mit Abigail und Easy unterhält, kurz, bevor er ihnen das große Geständnis macht: sie verleiht der Dialogszene eine ungemeine Dynamik und bietet natürlich auch einen Aufhänger für einen Gag. Sein Geständnis macht Roger in einem Klaviermuseum (!), aber erst, nachdem er alle automatischen Klaviere im Raum mit Kleingeld gefüttert hat und damit eine dröhnende Kakophonie auslöst (damit niemand sonst sein Geständnis hört). Die Kuss-Szene, die brutal von einem kleinen „Stummfilmschnipsel“ unterbrochen wird, in dem zwei Züge aufeinander kollidieren (was ihr einen sehr modernistischen Touch gibt: so etwas würde man eher in einem „postmodernen“ nouvelle-vague-Film und nicht in einem „klassischen“ Hollywood-Film erwarten). Das Dinner, bei dem Abigail in unkontrolliertes Lachen ausbricht, nachdem Roger seinen ersten Bissen Salat gegessen hat, und er stimmt darauf ein (bis er den Grund für ihre Heiterkeit erfährt). Der Regen, der auf die dünnen Blusen Abigails und Easys niederprasselt, so dass Roger zunehmend vom Anblick der beiden geniert ist, während sie seelenruhig weiterreden. Bis hin zu kleinen Details: das auffällige, knallrote Jacket, das Roger eines Abends trägt oder das Gemälde mit Wurst-Stilleben an einer Wand in Cadwaladers Hütte. Alles kleine Details, die MAN‘S FAVORITE SPORT? eine sehr dichte und einzigartige Textur geben, ohne dabei seine Leichtigkeit zu untergraben.

Unterredung im pop-artig dekorierten Klaviermuseum.
Zwischen Roger und Abi eine nackte Frau als Vermittlerin.
Kuss mit Zug-Crash. Eine Inspiration für David Cronenberg?
Wichtige Zutaten für ein gesundes Leben: Lachen und Salat
Ein modebewußter Film: Blusen mit Durchsichtsoption...
...und ein Jackett aus 100% Technicolor-Wolle.
Voller Körpereinsatz beim Camp-Aufbauen und beim Angeln
MAN‘S FAVORITE SPORT? war als Variation von BRINGING UP BABY gedacht und ursprünglich sollte auch Cary Grant die Hauptrolle spielen. Grant lehnte die Rolle ab, weil er nicht als 59-Jähriger mit der zum Drehzeitpunkt 24-jährigen Paula Prentiss spielen wollte. Wenn man sieht, wie glaubwürdig Hawks John Wayne in RIO BRAVO als love interest von Angie Dickinson inszenieren konnte (wie viele Dinge in diesem Film eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, das trotzdem perfekt funktioniert), dann hätte es auch mit Grant sicher gut geklappt. Dennoch möchte ich Rock Hudson in der Rolle des Roger Willoughby nicht missen. Hudson, den ich als Darsteller nur in den großen Douglas-Sirk-Melodramen kenne, ist tatsächlich ein großartiger Komödiant. Nicht nur mimisch, sondern tatsächlich auch körperlich: ein echter Slapstick-Künstler!
Roger wird von Cadwalader zum Angelcamp geschickt, aber er soll dort nicht in den Bungalows nächtigen, sondern unter freiem Himmel campen: das sei einfach glaubwürdiger für einen Angelexperten wie ihn und außerdem könne er dabei auch ein paar Neuheiten aus dem Laden austesten. Als Roger sein Plätzchen gefunden hat und anfängt, sein Camp zu bauen, folgt der Moment, wo Hudson sein großes Talent unter Beweis stellt. Roger ist von dem ganzen Equipment sichtlich überfordert, und es dauert nicht lange, bis er tollpatschig darüber stolpert und zu akrobatischen Einlagen gezwungen wird. Als er kurz danach ein Zelt versucht aufzubauen, gibt es zwar keine Stolperakrobatik mehr, aber zumindest eine absolut herzzerreissende und zugleich brüllend komische Hilflosigkeit angesichts der Einzelteile, die sich nicht zusammenfügen wollen.
Abigail und Easy beobachten das aus einer gewissen Distanz mit sichtlichem Amüsement. Und so tut es auch die Kamera. Später, wenn Roger beim Training bzw. beim Wettbewerb selbst fischt, passiert das gleiche: mit großem mimischem und körperlichen Einsatz legt sich Hudson ins Zeug und die Kamera lässt ihn in Ruhe gewähren. Ein toller Schauspieler, viel Wasser und eine Angelrute, die meist nicht richtig funktionieren will – was braucht man mehr für große Filmmomente?

Paula Prentiss, die später von Hawks selbst mild kritisiert wurde, vereint hingegen perfekt Sexappeal und Smartness zu einer tollen Variation der Hawksianischen Frau. Sie sieht großartig aus, ohne wirklich eine klassische Hollywood-Schönheit zu sein. Maria Perschy entspricht eher diesem Schönheitsideal und ohne deutschen Akzent wäre sie, wenn dieser Film von einem konventionelleren Regisseur gemacht worden wäre, wohl eher als Hauptdarstellerin gecastet worden und Prentiss als „Sidekick“. Tatsächlich ist Prentiss, wie ihre Abigail von Roger genannt wird, „strangely attractive“. Sie ist unglamourös in einem sehr positiven Sinne: keine Diva, sondern ein angenehm geerdeter Mensch. Prentiss‘ Rolle ist weniger slapstick-mäßig als Hudsons, dafür kann sie mit vielen schnellen Dialogen glänzen, bei denen ihre Abigail Roger meistens mitten im Satz unterbricht. „I hate domineering women“, sagt Roger einmal. Als Zuschauer kann man sie nur lieben.

Klassische Lead-Sidekick-Rollen vertauscht?

John Screaming Eagle: immer im Richtigen Moment mit der
richtigen Dienstleistung da (wenn der Preis stimmt)
Meine Lieblingsnebenfigur ist John Screaming Eagle, der im Angelcamp arbeitet (oder vielleicht einfach nur so da ist, das ist aber auch unwichtig). Ein Mann, der als Indianer gekleidet ist, gestelzt wie ein Klischee-Indianer spricht, tatsächlich aber nur ein kleiner, aber sympathischer Trickbetrüger mit wahrscheinlich genauso rein-angelsächsischem Hintergrund wie Willoughby, der sich den Touristen als Stammesführer vorstellt, um ihnen besser und authentischer pseudo-indianischen Krimskrams für teures Geld verkaufen zu können – letzteres funktioniert bei Cadwalader übrigens vorzüglich! Als er nach einem kurzen Gespräch mit Roger von diesem als Betrüger entlarvt wird, spricht er auch mit normaler Stimme normales Englisch. Für den Rest des Films wird John zu einer Art Schutzengel Rogers, der immer wieder als Beobachter im Hintergrund das Treiben der Hauptfigur beobachtet und zwischendurch auch eingreift. Was dann Roger meist einen Schein kostet. John Screaming Eagle hört etwa mit, dass Roger nicht angeln kann: Roger muss zahlen, damit die Information geheim bleibt. John Screaming Eagle beobachtet, wie Roger einen Fisch auf außergewöhnliche Weise fängt und dabei ins Wasser fällt: das kostet nichts, aber den Selbstgebrannten, den er zufällig mit dabei hat und der Roger aufwärmen kann, lässt er sich ebenso entlohnen wie später die Information, wo Abigail sich versteckt hat. Immer, wenn John Screaming Eagle sich an ihn mit verstellter „Indianer“-Stimme wendet, weiß Roger, dass er bald etwas bezahlen muss. Wirklich böse kann man dem Mann natürlich nicht sein, denn auch er muss ja irgendwie leben. Und zudem bereichert er mit seiner schillernden Art den Film – und mit seinen Konfuzius-Zitaten (Konfuzius war schließlich „chinese-Indian“!), die sich rasch verselbständigen und von den anderen Figuren „genutzt“ werden. „Confucius say 5 birds in hand worth 20 who fly away“ sagt dann Roger zu John, als er darauf beharrt, dass eine bestimmte Dienstleistung (von der er nicht wusste, dass er sie gebrauchen würde) 5 und nicht 20 Dollar kosten soll. Schließlich werden Konfuzius-Weisheiten auch ohne Anwesenheit von John Screaming Eagle ausgetauscht. „Confucius say, woman who stick nose in other people‘s drink is liable to get it punched“, zitiert Roger den chinesischen Philosophen als Abigail ihn danach fragt, wie viele Martinis er schon hatte. „Confucius say fishermen who have too many martinis only gotta catch olive“, antwortet sie prompt. Wer sagt, ostasiatische antike Philosophie sei langweilig?

Skaggs und Major Phipps, ganz Rechts Easy:
für das Drehbuch unnötig, aber warum auf sie verzichten?
Wesentlich geerdeter, wenngleich nicht weniger sympathisch sind Major Phipps und Skaggs, zwei ältere Herren und leidenschaftliche Angler, die jedes Jahr am Wettbewerb beim Lake Wakapoogee teilnehmen und sich ständig (wenngleich immer freundlich) streiten. Skaggs war letztes Jahr besser als Major Phipps, der dieses Jahr seinen Freund ziemlich rasch abhängt, weil er Roger Willoughbys Broschüre über das richtige Angeln aufmerksam gelesen hat. Zwei ältere Herrschaften, die niemandem mehr irgendetwas beweisen müssen, mit einer lockeren Haltung gegenüber den Dingen des Lebens: grumpy old men, die gar nicht so grumpy sind und deren Lockerheit mehr zählt als ihr Alter (ein bisschen wohl wie Howard Hawks selbst, der während des Filmdrehs 66 Jahre alt war).
Auf eine gewisse Art ist Maria Perschys Easy der faszinierendste Charakter des Films. Sie ist zwar Abigails „Sidekick“ (empfiehlt ihr zum Beispiel, Roger etwas offensiver ihr Interesse an ihm zu offenbaren), aber im Grunde ist sie eine Figur ohne dramaturgische Funktion. Sie ist sozusagen „unnötig“. Aber MAN‘S FAVORITE SPORT? ist kein Film, der in Kategorien von Notwendigkeiten denkt und nur sehr rudimentär in Kategorien klassischer filmischer Dramaturgie, und deshalb ist Easy einfach trotzdem die richtige Figur am richtigen Platz. Sie ist einfach da und der Film lässt sie gewähren. Und damit symbolisiert sie auch die Quintessenz dessen, was MAN‘S FAVORITE SPORT? (unter anderem) ausmacht. 

Es ist ein Film wie ein Zusammensein mit Freunden in der Kneipe. Vielleicht kann der eine besser Witze erzählen, oder auf lustigere Weise Wienerischen Dialekt nachahmen, oder der eine ist der bessere Gesprächspartner im Bereich Film, aber eine „Funktion“ hat da niemand. Man sitzt zusammen, trinkt und hat dabei am Leben Spaß. Es ist ein Gefühl, den ich mangels besserer Begrifflichkeiten als „spät-Hawks‘ianisches Feeling“ bezeichnen würde.

MAN‘S FAVORITE SPORT?, aber auch RIO BRAVO (1959) und HATARI! (1962) haben dieses Feeling. Filme natürlich, die eher „character-driven“ als „plot-driven“ sind. Ob LAND OF THE PHARAOHS (1955), Hawks letzter Film vor RIO BRAVO, schon dieses Feeling hatte, kann ich nicht beurteilen. In RIO BRAVO kommt er oft zur Geltung. Meist wird dieser Film als Western beschrieben, in der eine kleine Gruppe von Gesetzeshütern einen Verbrecher gefangen hält und von dessen Kumpanen belagert wird. Doch diese Sichtweise zwingt sich letztlich nicht auf, und man kann ihn ebenso als lockeres Kollektivportrait sozialer Aussenseiter sehen. Oder als Geschichte eines „verlorenen“ Mannes, der nach und nach, mit harter Arbeit und teils Unterstützung seiner Freunde, seine menschliche Würde wiedererlangt (diese Lesart, die ich bei der letzten Sichtung des Films überaus sinnvoll fand, macht Dean Martins Dude zur eigentlichen Hauptfigur des Films). Oder man kann RIO BRAVO auch als versteckte Screwball-Komödie sehen, bei der eine Frau mit geschädigtem Ruf aber großem Selbstbewusstsein alles tut, um den örtlichen Sheriff in ihr Bett zu bekommen. Das eigentliche Belagerungsszenario kann jedenfalls leicht in den Hintergrund gedrängt werden. Übrig bleibt ein großer Film über Freundschaft, Kameradschaft, professionelles und menschliches Ethos und Liebe. Ein Film, der komplett zu sich findet, wenn einige Männer sich zusammensetzen, Kaffee trinken und zwei Liedchen trällern (dieser wunderschöne Moment wird von vielen als Szene zur Ausbeutung von Ricky Nelsons und Dean Martins kommerziellem Sänger-Potential gesehen – zu unrecht, wie ich finde). Man könnte sagen: RIO BRAVO ist ein Film über einige Menschen, die ganz entspannt eine gute Zeit miteinander haben und dabei, wenn man so will nebenbei, von diesen belagernden Verbrechern gestört werden.

Bei HATARI! wird diese Art der Inszenierung gar radikalisiert. „Avantgardistisch“ ist ein zu akademischer Begriff, um HATARI! zu beschreiben, passt aber zu der Art und Weise, die Grundstrukturen dramaturgischen Erzählens dermaßen sorglos über Bord zu werfen, und einfach nur ein paar Männer und Frauen zu zeigen, die tagsüber arbeiten und sich abends beim Musizieren sowie bei Gesprächen und Getränken entspannen und das zweieinhalb Stunden lang! MAN‘S FAVORITE SPORT? hat vieles von diesem Feeling, von dieser Komme-was-möge-Haltung. Es gibt keine Zielgerichtetheit, auch keine wirkliche Dringlichkeit (trotzdem Roger so schnell wie möglich das Angeln lernen soll), sondern nur eine grenzenlos entspannte Atmosphäre. Das einzige, was in MAN‘S FAVORITE SPORT? vielleicht fehlt, ist eine Musiziernummer, bei der John Wayne mit lächelnder „the-Duke-approves“-Mine im Hintergrund steht (hier die Version davon in HATARI!).

Das Bemerkenswerteste ist jedoch: alle drei Filme fühlen sich dabei absolut richtig an! Sie sind gewissermassen perfekt, dabei aber vollkommen ungezwungen und federleicht. Das ist wohl der Kern des „spät-Hawks‘ianischen Feelings“ und steht im Gegensatz zu einer Perfektion von sagen wir einmal Stanley Kubrick, die niemals ungezwungen, locker und federleicht war (und ich glaube nicht, dass das ausschließlich mit seinen „schwereren“ Themen zusammenhängt). Bei Hawks gibt es keine mathematische Perfektion, die Zahnrädchen makellos ineinander greifen lässt, sondern nur dieses lockere Ensemble, wo einfach alles harmonisch zusammenpasst. Oliver Nöding in seinem wunderbaren Review von HATARI! hat dies gar als komplett alternativer Ansatz des Filmemachens beschrieben.

RIO BRAVO, HATARI! und MAN‘S FAVORITE SPORT? sind jedenfalls solche „perfekten“ Filme (man sehe sich für letzteren nur einmal auf den Screenshots die tollen Bildkompositionen an!), und konnten nur von einem wirklich großen Meister mit vielen Jahrzehnten Erfahrung gedreht werden. Perfektion in Leichtigkeit und Leichtigkeit in Perfektion: etwas, das man gerne öfter in meist eher skeptisch betrachteten „Spätwerken“ suchen könnte, statt diese pauschal als „müde“ oder „lustlos“ abzutun. Durch Hitchcocks letzten und sträflich unterschätzten Film FAMILY PLOT weht ein Hauch von etwas, das dem „spät-Hawks‘ianischen Feeling“ nahekommt. Oder auch durch den vielgeschmähten MEMOIRS OF AN INVISIBLE MAN des großen Hawks-Fans John Carpenter (der ironischerweise aber zugleich „Hitchcock-Film“ ist und für dessen Rufbesserung ich bereits meinen Beitrag geleistet habe). Wer weiß, vielleicht findet sich auch „spät-Hawks‘ianisches Feeling“ in Kubricks EYES WIDE SHUT?

In diesem Sinne ist MAN‘S FAVORITE SPORT? tatsächlich ein Film über einen Mann, der entspannt angeln geht. Sehr spannend ist natürlich auch eine alternative Lesart: ein meisterhafter Experte in einer bestimmten Materie, der viel Wissen durch mehr oder minder alte Männer „an der Front“ gewinnt, bricht eines Tages auf, um seine Theorie in die Praxis umzusetzen, bricht dabei alle möglichen Regeln und kommt dabei trotzdem zu einem mehr als ansehnlichen Ergebnis. Das könnte auch ein Filmkritiker sein, der von älteren Meistern (z. B. Howard Hawks) alles lernt, was es über Filme zu lernen und zu wissen gibt und dann später seine Redaktionsräume verlässt, um selbst auf bislang ungesehene Weise Filme zu drehen – also das, was die großen Hawks-Bewunderer der ersten Stunde, Jean-Luc Godard, François Truffaut, Eric Rohmer, Jacques Rivette und Claude Chabrol taten. MAN‘S FAVORITE SPORT?, eine augenzwinkernde Hommage des Meisters an seine Schüler? In der Trivia-Sektion des Films bei IMDb ist zu lesen, dass die cahiers du cinéma einmal von ihren beliebtesten auteurs O-Töne für eine Ausgabe sammeln wollten. Hawks schickte ohne weitere Erklärung ein Filmstill von Rock Hudson, der bis zum Hals im Wasser steht.

Das Statement des auteur
MAN‘S FAVORITE SPORT? ist in vielen Ländern auf DVD erhältlich. Die westeuropäische DVD von Universal Pictures dürfte in Deutschland, UK und Frankreich die gleiche sein und ist mit guter Bildqualität (wie die Screenshots hoffentlich zeigen) und optimaler Tonqualität ausgestattet.