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Sonntag, 12. Dezember 2010

Eben einer jener Geheimtipps...

A Little Trip to Heaven
(A Little Trip to Heaven, Island/USA 2005)

Regie: Baltasar Kormákur
Darsteller: Forest Whitaker, Julia Stiles, Jeremy Renner, Peter Coyote, Alfred Harmsworth u.a.

Die erste isländisch-amerikanische Co-Produktion wurde von den US-Kritikern nicht gut aufgenommen und gelangte zumindest im deutschen Sprachraum gar nicht erst in die Kinos. Mittlerweile stellt sich der ablehnenden Gruppe eine Schar enthusiastischer Fans entgegen, die den ursprünglichen Vorwurf, “A Little Trip to Heaven” wolle wie “Fargo” sein, mit der Floskel “als hätten sich die Coen-Brüder und David Lynch getroffen” kontert und den Film zum “Geheimtipp” erklärt. Man wundert sich ein wenig, dass Kormákur nicht gelegentlich als eigenständiger Regisseur betrachtet (schon im Zusammenhang mit “101 Reykjavik” ernannte man ihn zum Almodóvar Islands) und sein filmisches Schaffen entsprechend interpretiert wird.

Zur Handlung: Abe Holt ist Mitarbeiter beim Versicherungsunternehmen “Quality Life” und als “Schadensbegrenzer” dafür zuständig, dass Begünstigte mit allen denkbaren legalen und illegalen Mitteln (Überwachung, Druck etc.) um ihren Anteil geprellt werden. Als 1985 ein Mann bei einem Autounfall ums Leben kommt, bei dem es sich vermutlich um den gesuchten Trickbetrüger Kelvin Anderson handelt, wird die “Maschine” Holt auf einen “Wochenend-Trip” ins verschneite Nest Hastings in Minnesota geschickt, wo Kelvin’s Schwester Isold lebt, die im Fall seines Ableben Anrecht auf eine Million Dollar hat. Abe’s Aufgabe: Einen Versicherungsbetrug aufzudecken! - Er stösst auch rasch auf Unstimmigkeiten, lässt sich aber zunehmend in das triste Leben von Isold, die mit ihrem dubiosen Ehemann Fred und dem kleinen Thor in ärmlichsten Verhältnissen lebt, hineinziehen, vielleicht sogar in die traurige Atmosphäre jenes Städtchens, das man eigentlich nur verlassen möchte, um nie wieder zurückzukehren.

Obwohl die Handlung in Minnesota angesiedelt ist, wurde “A Little Trip to Heaven” zum grössten Teil in Island gedreht; und dies merkt man dem Film, hinter dem ein weitgehend isländisches Produzenten-Team und eine einheimische Crew stehen, auch an. Er wirkt mit seinen eigenwilligen Kamerapositionen, stilisierten Bildern und und schnellen Schnitten nicht so gefällig wie eine “glattgebügelte” amerikanische Mainstream-Produktion, lässt sich zum Widerwillen vieler Kritiker auch nicht ganz in ein herkömmliches Genre (Neo-Noir etc.) pressen. Wer dies nicht akzeptiert, gar Vergleiche mit amerikanischen Filmemachern heranzieht, verkennt die zunehmende Eigenständigkeit des isländischen Films in den letzten Jahren (ich denke neben den Werken von Kormákur etwa an “Englar alheimsins”, 2000, oder “Nói albinói”, 2003).

Es geht in “A Little Trip to Heaven” nicht in erster Linie um die eigentliche Story; deshalb die Logiklöcher und fehlenden Erklärungen. Die anfängliche äussere Brutalität (der Film beginnt mit einem Mord) wird rasch von einer inneren abgelöst, weil der Fokus auf die Figuren, ihre oft unausgesprochenen Beziehungen und die Umgebung, in der sie sich befinden, gelegt wird. Und die oft düsteren Bilder lassen auch erkennen: Hastings ist eine Art Vorhölle, ein Ort, an dem selbst die Farben ihre Farbe verlieren (man beachte die Wände der Dreckhütte, in der Isold lebt). Hier gibt es nichts Schönes; in dieser Gegend, die sich einem Schwarz-Weiss annähert, drückt man sich wie die fette Wirtin sogar beim Tanzen an einen Fremden, darauf hoffend, “etwas anderes” zu spüren. - Wer aber kann an so einem Ort ohne oft verheimlichte Schuld leben, weil er bloss an eines denkt: wie er seinem erbärmlichen Dasein entkommen kann ? Und passt Abe Holt, der Schadensbegrenzer, nicht genau hierher?


Die leeren Gesichter (selbst ein Lächeln von Julia Stiles wirkt leer) der Hauptfiguren zeigen es: Man ist zu jeder Brutalität fähig, kann der von Regengüssen und Schneestürmen dominierten Vorhölle Hastings (sie befindet sich auch im Versicherungsgebäude mit Abe’s zynischem Vorgesetzten) aber doch nicht entrinnen, weil man dafür längst zu schwach ist. Es sind die Umstände! - Der Zuschauer kann sich nicht mit den Figuren in diesem Film identifizieren, verstehen kann er sie wohl alle ein wenig - sogar Isold’s brutalen Mann. An diesem Ort hülfe nur ein Akt der Menschlichkeit, und der bietet sich dem ständig mit schwarzer Wollmütze herumlaufenden Holt (auch ein Mensch mit einem leeren Gesicht!) unerwartet an. Es gibt nämlich sogar in Hastings jene Unschuld, der er nicht so leicht zu widerstehen vermag: den kleinen Thor, der wissen möchte, ob es ein weiter Weg bis zum Himmel ist. Mit ihm legt sich Abe in den Schnee und formt “Engel mit Flügeln”, von ihm erhält er die Chance, aus seinem kleinen Trip nach Hastings einen vielleicht auch nur kleinen Schritt Richtung Himmel zu machen, ohne Rücksicht auf die “Quality Life”, deren heuchlerische Werbung immer wieder im TV zu sehen ist. Wird er diese Chance nutzen? Und wen dieser “Schuldigen” soll er dem kleinen Jungen mit auf den Weg in die Freiheit geben?

“A Little Trip to Heaven” zeichnet ein düsteres Bild von der Menschheit und der Welt, der sie ausgesetzt ist. Es fehlt ihm auch weitestgehend jener “schwarze Humor”, der “Fargo” recht unterhaltsam macht. Wer sich einem solchen Thema nicht aussetzen möchte, dürfte mit dem Film, dessen optische und atmosphärische Klasse (warum wohl brachte man nicht auch noch Jarmusch als Vorbild ins Spiel?) ebenso zu überzeugen vermag wie die Darsteller, nichts anfzufangen wissen. Für mich vergingen die 90 Minuten dank der straffen Inszenierung wie im Flug. - Sicher kein Meisterwerk, aber eben ein “Geheimtipp”. Und “Geheimtipps” haben es leider an sich, dass man sie sich alleine ansehen muss und weder eine bestätigende noch eine ablehnende Diskussion in Gang setzt.