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Montag, 11. November 2013

Hollywood, Jean Renoir, die Nazis und das FBI

THIS LAND IS MINE (DIES IST MEIN LAND)
USA 1943
Regie: Jean Renoir
Darsteller: Charles Laughton (Albert Lory), Maureen O'Hara (Louise Martin), Walter Slezak (Major von Keller), George Sanders (George Lambert), Kent Smith (Paul Martin), Una O'Connor (Emma Lory), Philip Merivale (Prof. Sorel)

"Renoir hat viel Talent, aber er ist keiner von uns." (Darryl F. Zanuck)

Die meines Wissens einzige Quelle für dieses Zitat des Chefs von 20th Century Fox ist Renoirs 1974 erschienene Autobiographie Ma vie et mes films, deshalb ist nicht ganz sicher, ob es authentisch ist - aber wahr ist es auf jeden Fall. Renoir besaß unbestreitbar viel Talent, aber er passte nicht nach Hollywood. Es lag nicht am Land: Renoir fühlte sich in den USA durchaus wohl, er behielt zeitlebens seinen Hauptwohnsitz in Beverly Hills, und 1946 wurde er sogar amerikanischer Staatsbürger. Aber das Studiosystem mit seinen Hierarchien und seinen formalisierten Arbeitsabläufen vertrug sich nicht mit Renoirs bisher gewohnter freier und familiärer Arbeitsweise. Schon nach seinem ersten Hollywoodfilm, dem für 20th Century Fox gedrehten SWAMP WATER, wurde der eigentlich über zwei Filme geschlossene Vertrag vorzeitig aufgelöst (Renoir revanchierte sich, indem er Zanuck dafür dankte, dass er "für 16th Century Fox" arbeiten durfte). Danach begann Renoir für Universal mit THE AMAZING MRS. HOLLIDAY, aber nach 47 Drehtagen wurde er wegen seines angeblich zu langsamen Tempos gefeuert, und der Produzent des Films, der Roman- und Drehbuchautor Bruce Manning, übernahm (es blieb seine einzige Regie). Das von Renoir gedrehte Material blieb zum größten Teil im Film, aber Manning bekam die Credits allein. Dann folgte mit THIS LAND IS MINE Renoirs nach offizieller Zählung zweiter Hollywoodfilm, diesmal für RKO. Ich weiß nicht, ob es auch dabei zu Querelen kam, aber RKO ist immerhin das einzige Studio, für das Renoir noch einen zweiten Film machte. THIS LAND IS MINE war an der Kasse erfolgreich, so dass 1944 eine einstündige Radioversion nachgeschoben wurde, in der Charles Laughton und Maureen O'Hara ihre Rollen wiederholten. Um die Reihe kurz abzuschließen: 1944 drehte Renoir für das Office of War Information (OWI) den halbstündigen Instruktions- und Propagandafilm SALUTE TO FRANCE, der amerikanische Soldaten kulturell auf ihren Einsatz in Frankreich vorbereiten sollte (die Musik dazu stammte von Kurt Weill). Die nächsten beiden Filme, THE SOUTHERNER und THE DIARY OF A CHAMBERMAID, wurden von Mini-Studios bzw. unabhängigen Produzenten finanziert (bei THE SOUTHERNER gehörten dazu Robert und Raymond Hakim, die bereits Renoirs LA BÊTE HUMAINE produziert hatten), den Vertrieb übernahm jeweils United Artists. Schließlich folgte 1947 noch THE WOMAN ON THE BEACH, jetzt wieder für RKO. Hier besaß Renoir zunächst einige Freiheiten, aber nach schlecht verlaufenen Previews wurde er zu größeren Änderungen gezwungen, und die Kontrolle über die Postproduction wurde ihm vollständig entzogen. Renoir haderte damit, was RKO da anstellte, und er wurde gegen eine Abfindung wieder einmal vorzeitig aus einem Vertrag entlassen. Damit war Renoirs berufliche Liaison mit Hollywood beendet. Seinen nächsten Film drehte er in Indien - aber das ist eine andere Geschichte.

Die Wehrmacht rückt ein
Doch nun zu THIS LAND IS MINE. Der Film spielt in einem Land, das unverkennbar das von den Nazis besetzte Frankreich ist, aber nicht so bezeichnet wird. Um dem Film eine gewisse universelle Note zu geben, ist der Schauplatz laut Schriftzug am Anfang "irgendwo in Europa", und um das noch zu unterstreichen, tragen alle Protagonisten (außer den Deutschen) keine rein französischen Namen, sondern solche, die auch in ein englischsprachiges Land passen würden. Albert Lory ist ein nicht mehr ganz junger Lehrer am Gymnasium einer Kleinstadt, in die gerade die Wehrmacht eingerückt ist, und er ist ein ziemlicher Hasenfuß. Bei einem Luftangriff macht er sich im Luftschutzkeller der Schule fast in die Hosen, so dass er den letzten Respekt seiner minderjährigen Schüler verliert, die ihm ohnehin schon auf der Nase herumtanzen. Zudem steht Albert unter der Fuchtel seiner ebenso dominanten wie schrulligen Mutter Emma. Und er ist heimlich in seine schöne Kollegin Louise Martin verliebt, wagt aber nicht, ihr oder sonst jemandem etwas davon zu gestehen. Louise ist auch bereits mit George Lambert verlobt, einem Direktor bei der Eisenbahn am Ort. Anders als die meisten Einwohner, steht der konservative George der Okkupation nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, und entsprechend zwiespältig ist sein Verhältnis zu Major von Keller, dem neuen Militärkommandanten des Bezirks. Dieser Major ist eine interessante, um nicht zu sagen faszinierende Figur, die von Walter Slezak perfekt verkörpert wird. Von Keller optimiert rational den Einsatz von Gewalt auf Nützlichkeitserwägungen hin. Kollaborateure sind ihm lieber als tote Widerstandskämpfer, die zu Märtyrern werden, und so vertuscht er am Anfang einen Sabotageakt gegen die Eisenbahn als Unfall, weil er sonst Geiseln nehmen und im Fall, dass die Schuldigen nicht gestellt werden, die Geiseln hinrichten lassen müsste, was ihm zu diesem Zeitpunkt kontraproduktiv erscheint. Als aber später bei einem Anschlag deutsche Soldaten getötet werden, lässt er ungerührt zehn Gefangene erschießen. Von Keller ist auch ein Freund und Kenner klassischer Kultur: Er zitiert Shakespeare, und in einem Flugblatt der Widerstandsbewegung erkennt er in einer Textstelle ein Zitat von Tacitus. Zugleich verrät ihm diese Stelle den geistigen Urheber des Flugblatts, nämlich Professor Sorel, den Direktor von Alberts Schule. Major von Keller bildet mit seiner Mischung von Intelligenz, Zynismus und kultivierten Umgangsformen einen wohltuenden Kontrast zu den Operetten-Nazis, die allzuviele Hollywoodfilme (auch nach 1945) bevölkerten - jene Mischung aus Bestien und Trotteln, die von den Helden mit etwas Gewitzheit und Wagemut regelmäßig übertölpelt werden, wie Major Strasser in CASABLANCA oder "Konzentrationslager-Ehrhardt" in TO BE OR NOT TO BE. Major von Keller lässt sich nicht übertölpeln. Am Ende wird er sein Ziel nicht erreichen, aber das kostet einen hohen Preis.

Albert Lory und seine Mutter
Louises Bruder Paul Martin ist Mitglied der Widerstandsgruppe, und er ist es, der mit einer Handgranate den tödlichen Anschlag auf die Soldaten ausführte. Unter den Geiseln, die daraufhin genommen werden, befindet sich auch Albert Lory. Seine Mutter, die Paul bei seiner Flucht nach dem Anschlag beobachtet hat, versucht erfolglos, Albert wieder frei zu bekommen, und sie gerät dabei so in Rage, dass sie schließlich George Lambert gegenüber den Schuldigen verrät. George gibt, halb freiwillig und halb vom Major unter Druck gesetzt, sein Wissen an den mit den Nazis kollaborierenden Bürgermeister weiter, und so landet die Information schließlich bei Major von Keller. Albert wird wieder auf freien Fuß gesetzt, dagegen kann sich Paul zwar seiner Verhaftung entziehen, wird aber auf der Flucht erschossen. Als Albert von den Umständen von Pauls Tod erfährt, will er blindwütig George umbringen, doch dieser hat sich aufgrund seiner Schuld inzwischen selbst erschossen, auch weil er vom Major weiter unter Druck gesetzt wurde, nun auch seine Verlobte Louise auszuspionieren, um weitere Widerstandskämpfer zu enttarnen. Albert wird bei der Leiche von George ertappt, für seinen Mörder gehalten und angeklagt. Bei seiner Verteidigung sagt er Dinge, die die Zuhörer gegen die Besatzer aufbringen könnten, deshalb sucht ihn von Keller in seiner Zelle auf und bietet einen Kuhhandel an: Ein garantierter Freispruch, wenn er im weiteren Verlauf der Verhandlung den Mund hält. Albert ist nicht abgeneigt, darauf einzugehen, doch der Major begeht einen Fehler: Am nächsten Morgen kann Albert von seiner Zelle aus mitverfolgen, wie die zehn Gefangenen erschossen werden, darunter der von ihm überaus geschätzte Professor Sorel. Nun lässt Albert alle Rücksicht fahren, läuft zu großer Form auf und hält im Prozess eine eindrucksvolle Rede gegen Faschismus, Besatzung und Kollaboration - die ihn sehr wahrscheinlich das Leben kosten wird.

Major von Keller
Der propagandistische Zweck von THIS LAND IS MINE lässt sich nicht verhehlen, ist aber über weite Strecken dezent genug verpackt, um nicht zu stören - nur gelegentlich wird es allzu didaktisch oder pathetisch. So sind etwa die Kollaborateure, in Person von George Lambert und Bürgermeister Manville, keine Schurken, sondern sie tun aus ihrer subjektiven Sicht das Richtige, um größeren Schaden abzuwenden, und der Film nimmt sich die Zeit, um argumentativ darzulegen, warum sie letzlich doch nicht richtig liegen. Dass dabei dann manchmal doch etwas dick aufgetragen wird, sollte man einem Ende 1942 gedrehten Film nachsehen, vor allem, wenn man andere zeitgenössische Hollywoodfilme mit Nazi-Thematik zum Vergleich heranzieht. Renoir, der gemeinsam mit Dudley Nichols auch das Drehbuch schrieb, wusste zweifellos besser über Deutschland und die Nazis bescheid als die allermeisten Autoren, Regisseure und Produzenten in Hollywood. Mehr gestört als die gelegentlich sich verselbständigende Botschaft hat mich die Figur von Alberts Mutter. Una O'Connor ist in der Rolle für den comic relief zuständig, wirkt dabei aber eine Nummer zu überkandidelt. Etwas weniger wäre hier mehr gewesen. - Trotz des interessanten Major von Keller ist Charles Laughton das eindeutige Zentrum des Films. Vor allem mit seiner Mimik und Körpersprache, aber auch mit seiner geschliffenen Sprechweise (bei einer eigentlich wenig eindrucksvollen Stimme) beherrscht er jede Szene. Man muss solche "Großschauspieler" wie Emil Jannings, Heinrich George oder eben Laughton nicht unbedingt lieben, man kann ihren Stil für etwas altmodisch halten, aber jedenfalls beherrschte Laughton die Klaviatur perfekt, und hier durfte er sie auch voll ausspielen (so wie das in den 30er Jahren etwa auch Michel Simon durfte). Auch Maureen O'Hara als immer aufrechte Lehrerin, Kent Smith als ihr draufgängerischer Bruder und George Sanders in seiner ambivalenten Rolle bieten solide Leistungen, aber neben Laughton ist für mich Walter Slezak das darstellerische Highlight. - Obwohl die Künstlichkeit des Set Design regelmäßig durchscheint, wird es wirkungsvoll in Szene gesetzt, und die gelungene Kameraarbeit tut ein Übriges, um aus THIS LAND IS MINE einen interessanten Film zu machen (freilich ohne Renoirs frühere Höhenflüge bezüglich deep focus cinematography oder langer Kamerafahrten zu erreichen oder auch nur anzustreben).

Der Bürgermeister (links) und Professor Sorel
Lange herrschte die Ansicht, Renoir habe seine linken politischen Ansichten der 30er Jahre im amerikanischen Exil schnell und gründlich hinter sich gelassen. Diese Entwicklung hatte sich scheinbar schon in Frankreich angedeutet: Nach den politisch aufgeladenen Filmen LE CRIME DE MONSIEUR LANGE, LA VIE EST À NOUS und LA MARSEILLAISE folgten mit LA BÊTE HUMAINE und LA RÈGLE DU JEU zwei Filme, bei denen nichts mehr davon zu spüren war. Allgemein wurde Renoirs Desillusionierung nach dem Scheitern der Volksfrontregierung dafür verantwortlich gemacht. Freilich hatte Renoir auch schon in seiner politischen Hochphase mit PARTIE DE CAMPAGNE und LES BAS-FONDS ganz unpolitische Filme gemacht. THIS LAND IS MINE war natürlich in einem gewissen Sinn ein politischer Film, aber das konnte man als eine Art von Pflichterfüllung abhaken. Insgesamt schien Renoir in Hollywood ziemlich unpolitisch geworden zu sein, auch wenn er weiter Freundschaften mit Linken pflegte, und seine eigenen Aussagen nach dem Krieg (und das, was er in seiner Autobiographie nicht sagte) bestärkten dieses Bild. Doch seit den 1990er Jahren weiß man, dass das so nicht ganz stimmt. Zutage gefördert hat diese Erkenntnisse der kanadische Filmhistoriker und Renoir-Experte Chris Faulkner. Anfang der 90er Jahre richtete Faulkner gemäß dem Freedom of Information Act eine Renoir betreffende Anfrage an das FBI, ohne genau zu wissen, was er sich dabei eigentlich erhoffte. Faulkner wusste nicht einmal, ob er als kanadischer Bürger überhaupt berechtigt war, das US-amerikanische Informationsfreiheitsgesetz in Anspruch zu nehmen. Doch nach zwei Jahren, als er die Anfrage längst abgehakt und vergessen hatte, bekam er Post vom FBI mit ca. 80 Seiten an kopierten Akten, und im Verlauf mehrerer Jahre kamen einige weitere Umschläge mit entsprechendem Inhalt, ergänzt durch einige Dokumente des Außen- und des Marineministeriums. Es gab keine Hauptakte über Renoir, er war also nie das eigentliche Ziel einer FBI-Ermittlung. Doch bei nicht weniger als 95 anderen Ermittlungen (vielleicht sollte man besser sagen "Bespitzelungen") geriet auch Renoir ins Visier, und es wurden entsprechende Akten angelegt. 1998 hatte Faulkner schließlich fast alle Akten vor sich, zusammen 261 Seiten, allerdings viele mit geschwärzten Stellen.

George Lambert mit dem Major
Und daraus ergaben sich interessante Einsichten. So unterstützte Renoir in den 40er Jahren ideell und auch finanziell Organisationen wie die People's Educational Association, die League of American Writers und das Joint Anti-Fascist Refugee Committee, die vom amerikanischen Justizministerium damals als "subversiv" und als heimliche Frontorganisationen der amerikanischen Kommunistischen Partei bezeichnet wurden. Natürlich darf man solche Einschätzungen nicht für bare Münze nehmen, aber mehr oder weniger links waren diese Gruppen schon. Das Joint Anti-Fascist Refugee Committee wurde in den Hearings des Kongressausschusses für "unamerikanische Umtriebe" (HUAC) auch regelmäßig als "von Juden gesteuert" bezeichnet (die antikommunistische Hexenjagd der McCarthy-Ära besaß auch eine stark antisemitische Note). Renoir war von 1941 bis mindestens 1948 aktives Mitglied dieser Organisation und hatte darin zeitweise sogar Führungspositionen inne. In einer dieser Positionen war Philip Merivale sein Vorgänger, der Darsteller von Professor Sorel in THIS LAND IS MINE. Renoir war auch Mitglied im National Council of American-Soviet Friendship (und er machte dadurch Bekanntschaft mit Michail Kalatosow, der zeitweise sowjetischer Kulturattaché in Los Angeles war). Am 16. November 1943 veranstaltete dieses National Council of American-Soviet Friendship im Shrine Auditorium in Los Angeles eine Versammlung mit kulturellem Unterhaltungsprogramm zum Gedenken an den 10. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA. Und kein anderer als Renoir inszenierte als Zeremonienmeister diese politische Bühnenshow, die seitdem in Vergessenheit geriet und erst durch die FBI-Akten wieder ans Tageslicht kam. Die bekanntesten Mitwirkenden neben Renoir waren laut einem in den Akten befindlichen Programm Walter Huston, Edward G. Robinson, Dooley Wilson (der Pianist Sam aus CASABLANCA) und Olivia de Havilland. Art Director bei dieser Veranstaltung war Eugène Lourié, der auch bei drei von Renoirs französischen Filmen der 30er Jahre, bei drei seiner Hollywoodfilme (einschl. THIS LAND IS MINE) und dann noch bei THE RIVER Renoirs Art Director oder Production Designer war.

Spektakuläre Flucht nach dem Anschlag
Hier kann man einen ausführlichen Bericht von Faulkner über seine Anfrage beim FBI und die dadurch gezeitigten Ergebnisse sowie eingeschoben einige Reflexionen über die Rolle der FBI-Akten als eine Art von Gedächtnis und Archiv lesen. THIS LAND IS MINE handelt nicht nur von direkter faschistischer Oppression, sondern auch von Denunziation, Antisemitismus und der Abschaffung gewerkschaftlicher Rechte. Im Licht der Erkenntnisse über Renoirs fortdauerndes politisches Interesse kann man den Film nicht nur als Bericht über Vorgänge im fernen Europa verstehen, sondern er besitzt auch Relevanz für die damalige Gegenwart (und die unmittelbar bevorstehende Zukunft der McCarthy-Zeit) der USA. Das hat auch das FBI erkannt: In den Akten wird auch THIS LAND IS MINE als subversiv bezeichnet. - THIS LAND IS MINE ist u.a. in den USA, England und Frankreich auf DVD erschienen.

Sonntag, 22. Juli 2012

Ein Senator sieht rot: politische Unkultur in Washington

ADVISE & CONSENT
USA 1962
Regie: Otto Preminger
Darsteller: Charles Laughton (Senator Seab Cooley), Don Murray (Senator Brig Anderson), Walter Pidgeon (Senat-Mehrheitsführer Robert Munson), George Grizzard (Senator Fred Van Ackerman), Burgess Meredith (Herbert Gelman), Henry Fonda (Robert Leffingwell)

Von wegen mächtigster Mann der Welt! Der US-amerikanische Präsident muss die Amtsernennungen, die er vornimmt, vom Senat beraten und absegnen („advice and consent“) lassen. So sieht es der Artikel 2, Abschnitt 2, Paragraph 2 der US-Verfassung vor. Das gilt auch für die Ernennung seines Staatssekretärs — des Außenministers der USA.
Als der Präsident einen gewissen Robert Leffingwell (Henry Fonda) zu seinem Staatssekretär nominieren möchte, kommt es im Senat zu einer Kontroverse. Der designierte Kandidat ist ein selbstbewusster Vertreter einer Entspannungspolitik gegenüber dem Ostblock. Vielen Senatoren ist er zudem auch unbequem, da er als Universitätsprofessor kein Berufspolitiker ist, sondern ein Intellektueller mit eigensinnigen Ideen und Umgangsformen. Er ist die absolut ideale Projektionsfläche bzw. der ideale Sündenbock in einer politischen (Un-)Kultur, bei der sich politische Argumente mit persönlichen Egoismen, Machtphantasien und Rachegelüsten zu einer unappetitlichen Brühe vermischen. In „Advise & Consent“ geht es nicht so sehr um die „Person Leffingwell“ als um den „Diskurs Leffingwell“: daher ist seine Figur in Henry Fondas Verkörperung in 135 Minuten für gerade mal eine knappe halbe Stunde zu sehen.

Um sich Klarheit über den Kandidaten und seine Eignung oder Nicht-Eignung zu verschaffen, richtet die Senats-Abteilung für auswärtige Beziehungen ein Unterkomitee ein. Dieses soll für das Senats-Plenum eine Wahlempfehlung erarbeiten. Die Leffingwell-Unterstützer sind scheinbar in der Mehrheit: der Vize-Präsident (verfassungsmäßig auch der Senatsvorsitzende), und der Führer der Mehrheitspartei im Senat schaffen es schnell, einen freundlich gesinnten Unterkomitee-Vorstand zu bilden. An der Spitze steht der junge Senator Brig Anderson aus Utah, der eine neutrale Position einnimmt. Die schärfste Gegenposition zu Leffingwell nimmt der Senatsälteste aus Süd-Carolina Seab Cooley (Charles Laughton) ein: ein rechter Konservativer, den Leffingwell vor Jahren öffentlich als Lügner enttarnt und lächerlich gemacht hatte und der diesem heute vor allem deshalb eins auswischen möchte. Senator Van Ackerman, ein radikaler Befürworter Leffingwells, entwickelt schnell eine Abneigung gegen Anderson, der bei der Besetzung des Komitee-Vorsitzes bevorzugt worden ist.

Bei den Anhörungen wird schnell deutlich, wohin die Reise gehen soll: Senator Cooley beschuldigt Leffingwell der Sympathie gegenüber Linken und Kommunisten. Anfänglich geht es nur um die Frage nach seinem politischen Absichten: der designierte Staatssekretär will die Säbelrassel-Mentalität des Kalten Krieges überwinden und zu einer Verständigungspolitik mit der kommunistischen Welt finden (was in Deutschland knapp zehn Jahre später unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ ebenso umstritten sein sollte). Leffingwells Gegner geben sich aber nicht mit der Zukunft zufrieden, sondern klopfen mit der Kommunisten-Keule auch die Vergangenheit jenes Mannes ab, der es wagt, sie dank seiner scharfen Eloquenz während den Anhörungen öffentlich als intellektuelle Nullen zu entblössen.
Tatsächlich findet sich ein „freundlicher“ Zeuge, der Leffingwell als ehemaliges Mitglied einer kommunistischen Zelle anschwärzt. Anschuldigungen, die formell falsch (der offensichtlich geschmierte Zeuge hat Adressen und einige Namen erfunden), inhaltlich aber richtig sind. Der designierte Staatssekretär sieht sich nolens volens gezwungen, trotz eidesstaatlicher Erklärung zu lügen und beichtet dies dem engsten Kreis seiner Unterstützer. Der Präsident, der Vize-Präsident und der Mehrheitsführer des Senats wollen trotzdem an seiner Nominierung festhalten. Doch der Komitee-Vorsitzende Anderson entwickelt aufgrund dieser Situation Gewissenskonflikte. Seine eigene weit entfernte Vergangenheit in Form einer kurzweiligen homosexuellen Beziehung wird jedoch von seinem Rivalen Van Ackerman zur Erpressung ausgenutzt. 

Klingt verwirrend und hochkompliziert, ist es aber nicht: „komplex“ trifft es eher. Langweilig? Kaum! Mit „Advise & Consent“ ist Otto Preminger vielmehr ein faszinierendes und eindringliches Werk über politische Unkultur gelungen, dessen 135 Minuten wie im Fluge vergehen. Das liegt nicht zuletzt an der überaus gelungenen Inszenierung: das Politdrama wird in ruhigen Bildern mit fließenden, eleganten Kamera-Bewegungen erzählt. Preminger weiß das Breitbildformat exzellent auszunutzen, um etwa im Senat verschiedene Personen und Personengruppen ohne plötzliche Schnitte zu kontrastieren, oder um die Einsamkeit einzelner Figuren zu verdeutlichen. Eine kolorisierte Fassung im 4:3-Format, die im US-Fernsehen tatsächlich im Umlauf gebracht worden sein soll, dürfte daher wohl eher die Wirkung eines überlangen und latent öden Films entfalten.
Die komplexen Intrigen, die in „Advise & Consent“ entfaltet werden, sind von Anfang bis Ende fesselnd, setzen aber wahrscheinlich ein minimales Interesse am Themenkomplex der politischen Kultur voraus. Denn der Film ist tatsächlich sehr „politisch“ und gibt sich mit einfachen „Macht korrumpiert eben Menschen“-Erklärungen keineswegs zufrieden. Er ist eindeutig als Plädoyer für mehr politische Kultur zu lesen. Erwähnenswert ist, dass Otto Preminger als lebenslanger liberaler Demokrat seine (kritische) Sympathie für die gemäßigte Pro-Leffingwell-Fraktion kaum verhehlt und damit die Bestsellervorlage „Advise & Consent“ von Allen Drury aus dem Jahre 1959 offensichtlich uminterpretiert hat. Dem ehemaligen Senats-Korrespondenten und radikal antikommunistischen Konservativen Drury ging es eher darum, eine real existierende Gefährlichkeit (pro-)kommunistischer Unterwanderung aufzuzeigen und anzumahnen.


„Advise & Consent“ zeigt, vielleicht nur unterbewusst, die theoretische Diskrepanz zwischen dem „real existierenden“ Kommunismus in den USA und dem Diskurs über den Kommunismus. Zwischen einer Splitterpartei, die in ihrer praktischen Bedeutungslosigkeit permanent an der Schwelle der Lächerlichkeit kratzte und einer „Red-Scare“-Massenhysterie, die heute befremdlich und fast lächerlich wirkt, hätte sie nicht zahlreiche Lebensläufe zerstört... und würden ihre Mechanismen nicht heute teilweise immer noch nachwirken. Premingers Werk ist daher auch eindeutig als Abrechnung mit der antikommunistischen Hexenjagd der frühen 1950er zu lesen, in der einfache Beschuldigungen à la „He‘s a communist!“, vorgestrige Parolen und einfache Verleumdungen die Debattenkultur aushöhlen und zerstören. Diese Unkultur — die heute in gewissen Teilen des politischen Spektrums immer noch quicklebendig ist — hatte gerade Hollywood mit voller Wucht getroffen. Hunderte Karrieren fielen den „black lists“ zum Opfer. Otto Preminger, der selbst verschont geblieben war, jedoch immer wieder gerne mit „heißen“ Themen aneckte, trug maßgeblich zur Aufweichung der „Listen“ bei, als er 1960 Dalton Trumbo (einer der berühmten „Hollywood Ten“) offiziell als Drehbuchautor für „Exodus“ ankündigte.

An „Advise & Consent“ wurden insbesondere zwei „blacklistees“ beteiligt. Der Komponist Jerry Fielding bekam hier seinen ersten Auftrag für einen Kinofilm, nachdem seine Karriere beim Radio vorzeitig beendet worden war. An bitterer Ironie jedoch kaum zu übertreffen ist die Besetzung des „freundlichen“ Zeugen Herbert Gelman, der Leffingwell anschwärzt, mit Burgess Meredith: nachdem er sich selbst bei Anhörungen im House Committee „unfreundlich“ verhalten hatte, kam in er in Hollywood auf die „schwarze Liste“ und erhielt jahrelang keinerlei Kinorolle. Die Zusammenarbeit mit Otto Preminger jedoch sollte auch nach „Advise & Consent“ andauern.

Eine besondere Beachtung bekam „Advise & Consent“ jedoch nicht aufgrund seiner politischen Sprengkraft und seiner Abrechnung mit dem „Red Scare“, sondern weil er der erste US-amerikanische Film war, der eine Schwulenkneipe zeigte! Der Senator Brig Anderson, von Senator Van Ackerman und seinem Kreis mit der Kopie eines alten Briefs an seinen früheren Liebhaber Ray erpresst, fliegt nach New York, um herauszufinden, wie das Dokument in die Hände seiner Rivalen gelangen konnte. Bei der alten Adresse trifft Anderson einen Mann, der ihm Rays Aufenthaltsort nur nach Überreichung eines üppigen Obolus verrät — eine Andeutung, dass der ehemalige Liebhaber sich gelegentlich an reiche Männer prostituiert. Anderson fährt zur angegebenen Adresse und findet dort die besagte Schwulenkneipe. Voller Abscheu flieht der Senator in die Hauptstadt zurück... seinem Verderben entgegen. Ein Moment des Films, der knapp fünf Minuten dauert. Die Kneipe selbst ist eine Minute zu sehen. In seiner vierstündigen Dokumentation zum US-amerikanischen Film würdigte Martin Scorsese Otto Preminger als jener Regisseur, der mehr als alle anderen Filmemacher zur Zerschlagung des Production Codes beigetragen hat... und „Advise & Consent“ als Premingers größten Schlag.
Sicher ist die Darstellung von Homosexualität ambivalent und gehört in eine Zeit, in der man besonders als Amtsperson erpressbar war. Dass Ray seinen ehemaligen Liebhaber im betrunkenen Zustand für Geld „verraten“ hat, macht ihn nicht gerade sympathisch. Die Schwulenkneipe wird klassisch expressionistisch inszeniert: als schlecht ausgeleuchteter Ort. Ob dies Homosexuelle als latente Bedrohung darstellt oder aber sie als Gruppe präsentiert, die aus gesellschaftlichen Gründen „im Dunklen“ leben muss, wird heute noch genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie sehr man den Film im Kontext seiner Zeit sehen muss. Andererseits ist deutlich, dass „Advise & Consent“ den Erpresser Van Ackerman als verächtliche, durchtriebene und durchweg korrupte Figur und seine Erpressungsintrige als erbärmlich und unwürdig darstellt. Ironischerweise wurde er von George Grizzard dargestellt, der bis zu seinem Tod 2007 über 40 Jahre lang mit dem selben Mann zusammen gelebt hatte.


Auch Charles Laughtons Homosexualität war trotz seiner langjährigen Ehe ein „offenes Geheimnis“. Besonders erwähnenswert ist jedoch, dass er in „Advise & Consent“ seine allerletzte Filmrolle spielte und knapp sechs Monate nach der Premiere verstarb. Auch wenn alle beteiligten Schauspieler hervorragend sind, spielt sie Laughton alle an die Wand. Subtil ist er dabei sicherlich nicht, aber sein völlig übertriebenes Overacting passt hervorragend zu einer Figur, die ihre schwere narzisstische Störungen mit Hilfe unablässlicher Theatralik und geschwungener Worte als Altersweisheit zu verstecken versucht. Auch andere Zuschauer werden es bestimmt lieben, den ehrenwerten Senator von Süd-Carolina zu hassen.

Hinweis:
Auch mit „Advise & Consent“ steht meinerseits nach wie vor die Besprechung eines Films aus, der in Deutschland auf DVD veröffentlicht worden ist. Das genutzte Exemplar, aus dem auch die Screenshots erstellt wurden, ist eine französische Ausgabe (OmfU), hier erhältlich. Als US-Exemplar ist der Film gelegentlich für akzeptable Preise hier und drüben erhältlich, ansonsten auch in einer Kollektion kontroverser Klassiker. Ich meinerseits habe meine DVD bei einer gängigen Internet-Auktionsplattform für den Wert einer Münze mit Silberrand erworben. Glück gehabt, aber der Film kann dem gepflegten Cinephilen durchaus auch mehr wert sein...