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Freitag, 25. April 2014

Kurzbesprechung: Die schönste Soiree meines Lebens

LA PIÙ BELLA SERATA DELLA MIA VITA
Italien/Frankreich 1972
Regie: Ettore Scola
Darsteller: Alberto Sordi (Alfredo Rossi), Pierre Brasseur (Graf De La Brunetière/Verteidiger), Michel Simon (Herr Zorn/Staatsanwalt), Charles Vanel (Herr Dutz/Richter), Claude Dauphin (Herr Bouisson/Schriftführer), Janet Agren (Simonetta), Giuseppe Maffioli (Kutscher/Henker)

"Dottore" Alfredo Rossi fährt von Mailand aus über die Grenze, um ein Köfferchen voll Schwarzgeld auf einer Schweizer Bank zu deponieren. Doch er trifft erst nach Schalterschluss ein, und so muss er einen Tag zuwarten und erst einmal die Zeit totschlagen. Da trifft es sich gut, dass ihn eine Motorradfahrerin, die auch mit aufgesetztem Helm einen attraktiven Eindruck macht, offenbar auffordert, ihr zu folgen. Da geht etwas, denkt sich der Dottore, und fährt ihr hinterher, auf zunehmend einsamen Straßen in die Tessiner Berge. Bis unversehens sein Maserati den Geist aufgibt und das Motorrad seinen Blicken entschwindet. Zum Glück kommt bald ein Pferdefuhrwerk vorbei und nimmt ihn mit zu einem abgelegenen Bergschlößchen, von wo telefonisch eine Autowerkstatt verständigt werden kann. Der Hausherr des Schlößchens, der letzte Graf De La Brunetière, begrüßt Rossi persönlich und lädt ihn zum Verweilen ein. Als bald darauf der Maserati wieder fahrtüchtig vorbeigebracht wird, will Rossi eigentlich gleich wieder aufbrechen, doch er ändert seine Meinung und nimmt die Einladung des Grafen an, als er durch eine halb geöffnete Tür einen Blick auf das wohlproportionierte Zimmermädchen Simonetta erhascht, das sich gerade umzieht - auch hier könnte ja etwas gehen ... Signor Rossi lernt drei alte Freunde des Grafen kennen, die Herren Zorn, Dutz und Bouisson. Wie es sich erweist, handelt es sich bei allen vieren um pensionierte Juristen, die ein eigenwilliges Hobby pflegen: Sie spielen im Schlößchen Prozesse nach, wobei sie ihre früheren Rollen vor Gericht wieder übernehmen. Weil man dafür auch Angeklagte braucht, wird der Gast gebeten, diesmal diese Rolle auszufüllen, und Rossi nimmt amüsiert an. Und wie lautet die Anklage? Irgendetwas wird sich schon finden, meint der "Staatsanwalt" ...

Bei einem üppigen Abendessen in mehreren Gängen wird aus der Unterhaltung schnell ein Verhör, bei dem der selbstbewusste und joviale Rossi bereitwillig Auskunft über sich gibt. Den Warnungen seines "Verteidigers" zum Trotz, vorsichtig mit seinen Äußerungen zu sein, gibt der aus einfachen Verhältnissen stammende Rossi unverhohlen preis, zu welchen Tricks er gegriffen hat, um beim sozialen Aufstieg nicht in der Mittelschicht hängenzubleiben. So hat er, um schneller voranzukommen, seinen Vorgesetzten in den Tod durch Herzinfarkt getrieben, indem er mit dessen Frau schlief und es ihn durch eine gezielte Indiskretion wissen ließ. Als später der "Verteidiger" in seinem Plädoyer versucht, Rossi als harmlosen Kleinbürger hinzustellen, der seine Geschichte maßlos übertreibt, protestiert Rossi, vom eigenen Geltungsdrang getrieben, heftig. Dagegen stimmt er dem "Staatsanwalt" ausdrücklich zu, der ihn als den maß- und skrupellosen Tatmenschen präsentiert, der er ja tatsächlich ist. Für den "Mord" am Vorgesetzten fordert der "Staatsanwalt" die Todesstrafe - im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten in der Schweiz verhängt dieses besondere Gericht auch die Höchststrafe. Und tatsächlich wird Rossi zum Tod verurteilt - und er amüsiert sich dabei prächtig, denn es ist ja alles nur ein Spiel. Oder etwa doch nicht? Von reichlich Speis' und Trank ermattet, und gleichzeitig aufgekratzt, weil er mit Simonetta noch ein Rendezvous vereinbart hat, sinkt Rossi spät abends ins "Napoleon-Bett", und er fällt in einen unruhigen Schlaf mit einem bizarren Albtraum. Und am nächsten Morgen erwartet ihn eine unliebsame Überraschung ...

DIE SCHÖNSTE SOIREE MEINES LEBENS, eine Mischung aus Tragikomödie, Kammerspiel und Groteske, beruht auf Friedrich Dürrenmatts 1956 erschienener Erzählung "Die Panne". Neben oberflächlichen Änderungen wie bei Namen und Schauplätzen gibt es auch größere Abweichungen, vor allem beim Schluss. Aber auch bei Dürrenmatt selbst war der Schluss nicht in Stein gemeißelt: Eine ebenfalls 1956 entstandene Hörspielfassung und eine auch schon in den 50er Jahren geschriebene, aber erst 1979 veröffentlichte Bühnenversion verfügen jeweils über ein anderes Ende. Dürrenmatts schweizerischer Stoff wirkt in Ettore Scolas Anverwandlung wie maßgeschneidert für italienische Verhältnisse (das Drehbuch schrieb Scola gemeinsam mit Sergio Amidei) - der satirische Biss ergibt sich zwanglos wie von selbst. 1972 war Scola kein Unbekannter mehr - er war schon seit den 50er Jahren vor allem als Drehbuchautor aktiv, und er hatte 1970 mit EIFERSUCHT AUF ITALIENISCH einen Erfolg errungen -, aber er besaß noch nicht die Prominenz, die er sich mit Filmen wie DIE SCHMUTZIGEN, DIE HÄSSLICHEN UND DIE GEMEINEN, FLUCHT NACH VARENNES oder LE BAL - DER TANZPALAST erarbeiten sollte. DIE SCHÖNSTE SOIREE MEINES LEBENS wird vor allem von seinem grandiosen Ensemble getragen. Alberto Sordi brilliert als berlusconiesker Geschäfts- und Lebemann, der wie selbstverständlich einen falschen Doktortitel führt, der sein Schwarzgeld in die Schweiz transferiert, und der mit seiner Frau telefoniert, während er gleichzeitig den Seitensprung mit dem Zimmermädchen plant. Zur Seite stehen Sordi die illustren französischen Altstars Pierre Brasseur, Michel Simon und Charles Vanel (sowie der etwas weniger charismatische Claude Dauphin) als juristische Altherrenrunde. Der blonden Schwedin Janet Agren wird in ihrer Rolle als doppelbödiges Zimmermädchen schauspielerisch nicht allzuviel abverlangt, aber optisch ist sie eine Augenweide. - DIE SCHÖNSTE SOIREE MEINES LEBENS läuft am 29.04. um 14:05 Uhr sowie am 08.05. um 2:10 Uhr auf arte. Es gibt auch eine italienische DVD, offenbar ohne Untertitel.