Posts mit dem Label Florian Henckel von Donnersmarck werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Florian Henckel von Donnersmarck werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 6. Oktober 2012

Diktaturgeschichte für Cinephile, Teil 1: Vom Destillieren des Arschschweißes

DAS LEBEN DER ANDEREN
Deutschland 2006
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
Darsteller: Ulrich Mühe (Gerd Wiesler), Sebastian Koch (Sebastian Koch/Georg Dreyman), Martina Gedeck (Martina Gedeck/Christa-Maria Sieland), Ulrich Tukur (Ulrich Tukur/Anton Grubitz)


Ich mag „Das Leben der Anderen“ nicht. Die Gründe dafür sind vielfältig: Von der Hauptrolle abgesehen sind die Schauspieler im allerbesten Fall mittelmäßig und der Film strotzt nur so vor kitschigen Klischees, auch wenn er das kläglich zu verbergen versucht. Er ist mindestens zwanzig Minuten, wenn nicht gar eine halbe oder dreiviertel Stunde zu lang und seine geradezu verkrampfte Bierernstigkeit lässt ihn fast wie ein bildungspolitischer Lehrfilm aussehen – oder wie eine schlecht gemachte Parodie davon. Nicht zuletzt ist er in seiner Verknüpfung von geschichtspolitischem Statement und Filmkunst grandios gescheitert, was mich dazu verführt hat, ihn neben Andrzej Wajdas „Katyń“ zu meinem Lieblings-Beispiel für schlechte „Vergangenheitsbewältigungs“-Filme zu ernennen – und ihn in einigen Texten auch als solches zu gebrauchen.

Als positive Gegenbeispiele nannte ich einmal „Gomarët e kufirit“ (Der Grenzesel, Kosovo 2010), eine absurde Komödie über Sex- und Politik-Intrigen an der jugoslawisch-albanischen Grenze; „Churgoschin“ (Blei, Uzbekistan 2011), eine Mischung aus expressionistischem film noir, romantischem Liebesfilm und experimentellem Theater über den stalinistischen Terror in Uzbekistan; und nicht zuletzt „Balada triste de trompeta“ (Mad Circus, Spanien 2010), ein groteskes Splatterhorror-Komödien-Liebesmelodrama über die Franco-Diktatur. Keiner der drei Filme ist ein Meisterwerk oder perfekt. Aber alle drei zeigen, dass kryptische Genre-Verwirrungen und absurder und politisch garantiert unkorrekter Humor eine ernsthafte intellektuelle Beschäftigung mit problematischer Diktaturgeschichte keinesfalls behindern, sondern dieser sogar sehr viel förderlicher sein können als ein (meist nur oberflächlich) „ernster“ Zugang – und letztlich Werke schaffen, die cinematographisch weitaus interessanter und geglückter sind. Aus diesen Motiven und aufgrund der verfügbaren Recherche-Materialien werde ich also den bissigen „Balada triste de trompeta“ „Das Leben der Anderen“ gegenüberstellen.

Florian Henckel von Donnersmarck Debütfilm wurde bekanntlich vielseitig gelobt. In einem kollektiven „Wir sind Oscar“-Rausch konnte „man“ in Deutschland froh sein, dass endlich sich jemand jenseits von so genannter Spreewaldgurken-Ostalgie „ernsthaft“ mit der DDR und ihren politischen Repressionsmechanismen beschäftigte. Da war von „Geschmackssicherheit“ die Rede, von „Perfektion, ein „schauspielerischer Glamour“ wurde ausgemacht, Donnersmarck hätte seinen Film „wie ein Historiker recherchiert“ und ihn „authentisch“ – „als wäre er selber dabei gewesen“ –, „mit großem Gespür für Spannungsdramaturgie“, „wie ein Musikstück“ und ohne „die üblichen Klischees“ inszeniert. Ihm sei „großes Kino, wie man es hierzulande nur selten hinbekommt“ und ein „emotional erschütternder DDR-Geheimdienst-Thriller“ gelungen. Ach ja: und in dem Film gäbe es „keine Spreewaldgurken“.

„Authentizität“: ein sehr schönes Wort. Auf Filme angewendet jedoch auch ein sehr dünnes Kleid, das sich sehr schnell Risse einfangen und beim geringsten Luftzug rasch zu Staub zerbröseln kann. Wer wie Donnersmarck „mit unzähligen Zeitzeugen und Wissenschaftlern“ gesprochen hat, muss sich nun einmal die Frage gefallen lassen, warum die ostdeutsche Staatssicherheit wie ein Ein-Mann-Unternehmen dargestellt wird, dessen primäre Existenzberechtigung darin besteht, fetten Klischee-Parteibonzen sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Gerade der dargestellte „OV“ (nur um Verwechslungen vorzubeugen, hier: Operativer Vorgang), den die Hauptfigur Gerd-„Ich bin die Super-Stasi“-Wiesler organisiert, sieht sehr verdächtig aus: der Hauptmann richtet sich mit seiner Hightech-Anlage im Dachboden über seinem Observierungsziel, dem Schriftsteller Georg Dreymann, ein. Tage- und nächtelang hört Wiesler ihn und seine Freundin, die Schauspielerin Christa-Maria Sieland, ab, postiert sich stundenlang vor deren Wohnung, rennt durch die Treppen des Hauses hoch und runter und tippt mit einer guten, alten und tönenden Schreibmaschine seine Berichte knapp drei Meter über den Köpfen seiner Observierungsobjekte. Konspirativer hätte es selbst Lenin nicht hinbekommen!


Nebenbei muss Wiesler aber auch noch Nachwuchs-Stasis darin unterrichten, wie man „Feinde des Sozialismus“ im Verhör so kleinkriegt, bis nur noch Arschschweiß von ihnen übrig bleibt und seinem Vorgesetzten in der Kantine Bericht erstatten. Bei einem solch dichten Terminplan grenzt es an ein Wunder, dass da noch Zeit übrig bleibt, um Brecht-Gedichte zu lesen und volkeigene Huren zu vögeln. Angesichts der Arbeitsbelastung hätte der Stasi-Hauptmann also die Pillen, mit denen sich sein weibliches Neben-Observierungsobjekt „CMS“ volldröhnt, wohl irgendwie dringender nötig gehabt.

Eine etwas klischeebeladene Darstellung der Berliner Stasi also, in der solche Dinge wie Arbeitsteilung anscheinend nicht existiert haben sollen! Nebenbei verwechselt „Das Leben der Anderen“ auch Ursache und Wirkung in der Beziehung zwischen Ideologie, Opportunismus und sexueller (Selbst-)Befriedigung. Zur mangelnden Arbeitsteilung und völligen Überbelastung materieller Ressourcen und mittlerer Offiziere kommt hinzu, dass die Stasi keineswegs als das bürokratische Repressionsorgan dargestellt wird, die sie in den 1980er Jahre war, sondern als ein Ersatz-Hofstaat für Samenstau-geplagte Parteibonzen. Mit anderen Worten: das Politische ist privat, und politische Repression in der DDR wird im Grunde genommen auf das Niveau einer Sexkomödie heruntergebrochen. Die Stasi-Unterdrückung als erotischen Klamauk zu inszenieren, ist an und für sich keine schlechte Grundidee, hätte aber besser zu einem Film gepasst, der auf FSK-12-Kennzeichnung, Lobhudelei der Bundeszentrale für politische Bildung, den Oscar und nicht zuletzt auf „Authentizitäts“-Anspruch verzichtet.

„Das Leben der Anderen“ scheitert aber nicht nur an seinen eigenen geschichtspolitischen Ansprüchen, sondern auch als figuren-zentriertes Drama. Das in der zeitgenössischen Kritiker-Publizistik immer wieder als Negativfolie genutzte „Good Bye, Lenin“ bringt im Vergleich zu „Das Leben der Anderen“ hochgradig komplexe Figuren mit vielschichtigen Problemen hervor. Denn Donnersmarcks Debüt erstickt den Zuschauer geradezu mit ganzen Lastwagenladungen an Klischees, auch wenn viele das gar nicht gemerkt haben – „den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“ müsste man wohl sagen. Da ist zunächst Dreymann: ein zweifelndes Weichei ohne großes Talent, das keine eigene Meinung hat, bei niemandem anecken will, sondern es vielmehr allen recht machen möchte (und dadurch letztlich niemandem!). Kein Wunder, dass er nach der Wende so erfolgreich ist: sagt die Figur doch mehr über die entideologisierte, entpolitisierte und „alternativlose“ Schröder-Merkel-Große-Koalitions-Ära aus, als über die DDR. Warum Dreymann doch noch ein Paar Eier in seiner Hose findet (wenngleich nicht seine ganze Potenz), muss hingegen ein Rätsel bleiben. Sebastian Koch spielt ihn konsequent, „alternativlos“ und zum Gähnen langweilig mit genau einem einzigen Gesichtsausdruck und dem immerzu gleichen Dackelblick.

Ganz im Gegensatz zu Dreymann steht sein Schriftsteller-Kollege Hauser: geradezu eine Karikatur des idealistischen, strengen und asketischen Dissidenten, der ganz genau weiß, dass er immer recht hat und die anderen nicht. Dieser wahrscheinlich unfreiwillige „comic-relief“ wird hingegen von Hans-Uwe Bauer ganz passabel dargestellt. Martina Gedeck spielt jedoch Martina Gedeck, gemäß Drehbuch aber Christa-Maria Sieland: die geile, künstlerisch und promiskuitiv veranlagte Liebhaberin mit einem viel zu schwachen Charakter und einem viel zu starken Drogenproblem, die den Mitleid der Zuschauer erregen soll, aufgrund ihrer Verfehlungen aber natürlich am Ende sterben muss. Nicht zuletzt, weil sie sich vom fetten, altersgeilen und sexbesessenen Kulturminister besteigen lässt, dessen narrative Funktion im Film hauptsächlich darin besteht, fett, altersgeil und sexbesessen zu sein. Und ab und zu noch seinen Hofstaat rumzukommandieren. Hier kommt Ulrich Tukur als Ulri... als Anton Grubitz ins Spiel: ein Typus des prinzipienlosen, prollig-dumpfbackigen und im Grunde völlig unfähigen Karriere-Opportunisten. Er soll deutlich machen, dass es in der – hier so „authentisch“ dargestellten – Stasi keine „gewöhnlichen“ Menschen gab, sondern, na ja, nur Dumpfbacken und leblose Berufspedanten.

Es ist paradox, dass Ulrich Mühe mit seiner tatsächlich großartigen schauspielerischen Leistung (das Interessanteste am ganzen Film) das größte Klischee des Films darstellen muss: ein kaltes, pflichtbewusstes, gefühlloses, pedantisches, blind gehorchendes Repressionsinstrument ohne eigenes Privatleben, das doch noch sein goldenes Herz entdeckt und zum Menschen wird. Damit gerät nicht nur die Figur grob holzschnittartig, sondern damit wird politische Repression in der DDR entpolitisiert, entbürokratisiert sowie jeglichen historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen entrissen: Das Böse war böse weil es böse war. Und plötzlich wurde es doch gut. Andreas Dresen meinte dazu einmal, dass die Darstellung eines „normalen“ Stasi-Beamten mit Frau und Kindern und einem „normalen“ Arbeitsalltag sehr viel lohnender gewesen wäre; und sehr viel schmerzhafter. Da der Böse am Schluss ja nicht mehr der Böse ist, sondern der Gute, braucht er sich hingegen nicht mehr mit seinen früheren Taten auseinander zu setzen: CMS ist dann eh schon lange tot!


Auch die hochgelobte Inszenierung von „Das Leben der Anderen“ entpuppt sich bei genauer Betrachtung als Mogelpackung. Was sich als „subtil“ geben möchte, fühlt sich an manchen Stellen wie ein in den Rachen geschobener Mastschlauch an. Die DDR war ganz unlustig: deshalb wird der ganze Film von „dezenten“ Grau- und Brauntönen so „durchherrscht“, wie es sich die SED von ihrem Staat nur träumen konnte. Der Stasi-Mann ist böse: deshalb ist seine Wohnung auch grau-braun und ungemütlich. Der nette Schriftsteller mit dem Dackelblick ist gut: deshalb sind seine vier Wände gemütlich eingerichtet, mit wärmerem Licht und wärmeren Brauntönen. Die Zwischeneinblendungen, Straßen- und Gebäudeschilder, Zeitungsausschnitte, die eingangs und besonders in der letzten Viertelstunde gehäuft auftreten, um Ort und Zeit der Handlung zu definieren, sollen die tiefe Verwurzelung der Handlung in deutsch-deutsche Historie „dezent“ aufzeigen, demonstrieren aber vor allem Unfähigkeit Donnersmarcks, dies über das rein Visuelle zu vermitteln.

An manchen Stellen zerplatzt die „subtile Un-Subtilität“ jedoch regelrecht und legt einen geradezu unfassbaren Klamauk an den Tag. Wenn CMS auf die Straße rennt, direkt in den einzigen Lastwagen, der durch die sonst während des ganzen Films völlig verkehrsfreie Straße fährt. Wenn Herbert Knaup auftaucht und aussieht, als würde Heiner Lauterbach einen Spiegel-Redakteur spielen (oder war es ein anderer? Jedenfalls irgendeines der Gesichter, die die deutsche Fernseh- und Kinolandschaft bevölkern wie groteske, fast unbewegliche Figuren den Hintergrund von David-Lynch-Filmen). Wenn Volker Michalowski als Zack, der sächsische Stasi-Schreibmaschinenexperte von nebenan bzw. aus der Sat.1-Sendung „Zack! Comedy nach Maß“ auftaucht. Diese Momente wirken unglaublich befreiend, beseitigen sie doch jeglichen Zweifel daran, dass man „Das Leben der Anderen“ einfach in keiner Weise Ernst nehmen kann.


Ja: es gibt keine Spreewaldgurken in „Das Leben der Anderen“. Doch in einem Punkt unterschiedet sich dieser Film nicht besonders grundlegend von „Good Bye, Lenin!“ oder „Sonnenallee“: auch hier wird die DDR nicht als „Normalität“, sondern als Märchen dargestellt, als „Märchen vom guten Menschen“. Nur, dass Donnersmarcks Debüt aufgrund seiner Authentizitäts-Aura sehr viel heuchlerischer ist.

„Das Leben der Anderen“ scheitert kläglich an seinem Wunsch, ein ambitionierter Film zu sein: es sei denn, er wollte von Anfang an ein für Schüler ab der 10. Klasse produzierter „pädagogisch wertvoller“ Streifen sein, der sich auf seinen auf nationale und internationale Preisverleihungen ausgerichteten glattgebügelten Look mächtig einen runter... ähm, was einbildet. Ein Look, der übrigens auch nicht mehr bietet als TV-Niveau (die entsprechenden Schauspieler hat er ja). Einen Vorteil gängiger Fernsehfilme hätte sich „Das Leben der Anderen“ jedoch gerne zum Vorbild nehmen können: die Dauer von 90 Minuten. Selbst die Überlänge soll Seriosität vorgaukeln...

Zwei psychotische Clowns versuchen, sich gegenseitig mit Fäusten, Fleischerhaken, Vorschlaghämmern, Maschinenpistolen und Trompeten zu massakrieren. Warum der groteske Splatter-Rachethriller „Balada triste de trompeta“ als Kino-Film besser und interessanter ist als "Das Leben der Anderen" und diesen als künstlerische Beschäftigung mit Diktaturgeschichte bei weitem schlägt, folgt in Kürze im zweiten Teil des Beitrags „Diktaturgeschichte für Cinephile“...