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Sonntag, 7. Dezember 2014

Ein verprügeltes Gesicht, Edgar Ulmers Geist und Steven Seagal


GUTSHOT STRAIGHT
USA 2014
Regie: Justin Steele
Darsteller: George Eads (Jack Daniel), Stephan Lang (Duffy), AnnaLynne McCord (May), Ted Levine (Lewis), Vinnie Jones (Carl), Steven Seagal (Paulie Trunks)



Auf dem Cover der deutschen DVD von GUTSHOT STRAIGHT sieht man Steven Seagal, der offensichtlich gerade frisch von einem Photoshop-Termin kommt und mit einer Pistole auf irgendetwas außerhalb des Bilds zielt. Unter ihm zielen auch drei weitere Gestalten (die übrigens im Film überhaupt nicht auftauchen) auf irgendwelche unbekannten Ziele. Alles klar, ein typischer Seagal-Actioner, denkt man sich: er spielt mal wieder einen Ex-CIA-Ex-Irgendetwas-Typen mit einem Hang zu ostasiatischer Mystik, der stinkesauer ist, weil Böswatze seiner Frau/seiner Tochter/seinem Buddy etwas schlimmes angetan haben und der jetzt noch schlimmere Sachen mit besagten Böswatzen anstellen wird.

Doch im Prolog wird zunächst ein Typ mit einem zerschlagenen Gesicht zu Seagal geführt, der in Patenmanier gemütlich hinter einem Büroschreibtisch sitzt. Er hantiert mit einer riesigen, phallischen Zigarre herum, spricht mit einer Stimme, die Batman wie eine zwölfjährige Sopranchoristin klingen lässt und auf dem Kopf trägt er etwas, das wie ein besonders aufwendiges Toupet aussieht (oder wie ein totes pelziges Tier). Nach einigen strengen Worten und der salbungsvoll vorgetragenen Frage, ob er denn sein Freund sei, bietet er dem Typen mit dem zerschlagenen Gesicht eine Pistole an. Vorspann. Und was für ein Vorspann: als würden wir uns in einem James-Bond-Film befinden. Popart-Credits der Extraklasse, die die schlechtesten unter den 007-Vorspännen qualitativ bei weitem übertrifft und mit einem tollen Song unterlegt ist. Dann folgt eine Szene in einem Casino in Las Vegas. Jack, der Typ, der im (chronologisch späteren) Prolog mit zerschlagenem Gesicht Trübsal geblasen hat, stolziert mit breitem Lächeln auf seinem makellosen Gesicht durch die Spielhalle, plaudert freundlich mit einem Croupier, setzt sich dann an einen Pokertisch und provoziert eine schwarze Spielerin so lange mit einem rassistischen Witz, bis er gewinnt...

Die ersten paar Minuten von GUTSHOT STRAIGHT sind eine ziemlich „schlechte“ Vorbereitung auf das, was schlussendlich folgt: kein Seagal-Actioner, kein Pseudo-Bond-Film, und auch kein Casino- & Zockerfilm, sondern eine Perle von einem fiesen kleinen neo noir. Ein neo noir, der sich nicht an der glamourösen Seite des klassischen noirs orientiert, mit ihren klassischen Schönheiten Lauren Bacall und Rita Hayworth sowie ihren kernigen Helden Humphrey Bogart und Robert Mitchum, die in luxuriösen Bars und Nachtclubs ihren Intrigen nachgingen, sondern am schäbigen poverty-row-noir mit seinen wirklich kaputten Randexistenzen und seinen schmierigen Cafés. GUTSHOT STRAIGHT erinnert aus mehreren Gründen bisweilen an Edgar Ulmers DETOUR. 

Aber der Reihe nach... Jack mag am Anfang die ganze Zeit lächeln, aber das ist nur ein Abwehrmechanismus. Im Casino wird er von einem mysteriösen Mann angesprochen, der ihm seine Visitenkarte gibt, ihm dann irgendetwas von Geld und Möglichkeiten erzählt und dem notorischen Spieler sogar anbietet, ihn bei einem Pokertisch mit großen Einsätzen auf Pump einzukaufen. Jack schickt den Mann zum Teufel – und als er zu Hause ankommt, wird er erst einmal von Typen verprügelt, denen er noch Geld schuldet. Die Schläger machen unwiderruflich klar, dass sie bald für den Restbetrag vorbeikommen werden (zumal einer von ihnen vom markanten Vinnie Jones gespielt wird). Das restliche Geld will Jack bei seiner Bank anpumpen, doch trotz Anflirtens der jungen Bänkerin wird er mit Nachdruck weggeschickt.

Jack in misslicher, Duffy in hedonistischer Position
Drinks im Stripclub, Anbahnung von Poolsex mit Voyeur
So ruft Jack den mysteriösen Fremden aus dem Casino doch noch an, um sich wegen der „Möglichkeiten“ zu erkundigen. Ein Termin in einem schummerigen Stripclub wird vereinbart, wo beide sich beschnuppern. Duffy, der Fremde, scheint ziemlich reich zu sein, spendiert sämtliche Drinks, und verliert zwei Wetten an Jack (er soll mit vier 50-Dollar-Scheinen eine Bierflasche öffnen und diese danach mit bloßen Händen zerschlagen). Nach Ladenschluss nimmt Duffy Jack in sein Haus mit und bietet ihm dort eine ganz große Wette an: 10.000 Dollar, wenn Jack mit seiner Ehefrau schläft – und 20.000, wenn er dabei zugucken darf. Für Jack ist das – so attraktiv er Duffys Ehefrau gleich beim ersten Anblick offenbar findet – etwas zu viel. Doch als er sich davon machen möchte, schlägt Duffy ihn K. O. Als Jack wieder aufwacht, ist nur noch seine Ehefrau im Haus, und dann bahnt sich zwischen den beiden doch etwas im Pool an. Plötzlich steht der reiche Exzentriker daneben, eine Tasche voll Geld in der Hand. Das nimmt Jack nun wieder alle Lust, aber als er wiederholt gehen möchte, kommt es zu einem Gerangel zwischen den beiden Männern. Duffy fällt unglücklich, bricht sich das Genick und ist tot.

Lewis "erkennt" Jack
Femme fatale May
Während Jack in Panik auszubrechen droht, nimmt die Ehefrau die Gesamtsituation mit großer Gelassenheit und sogar einer gewissen Freude auf, warnt Jack jedoch davor, die Polizei zu benachrichtigen: er wisse ja nicht, was für ein Mensch Duffy wirklich gewesen sei. In einer Nacht- und Morgengrauen-Aktion wird die Leiche erst einmal beseitigt. Am nächsten Morgen fühlt sich für Jack alles wie ein entfernter Alptraum an, doch das Erwachen kommt jäh: er hat sein Portemonnaie in Duffys Villa vergessen und muss dieses wieder beschaffen. Als er vor dem Hauseingang rumschleicht, grüßt ihn plötzlich ein Mann, namens Lewis. Es ist Duffys Bruder, der sich rasch an Jack von einer vergangenen Pokernacht erinnert und ihn freundlich in Duffys Haus bittet. Mit einem Lächeln im Gesicht macht Lewis immer wieder versteckte Anspielungen darauf, dass er wohl ahne, dass irgendetwas komisches vorgefallen ist.
Das nächste Treffen zwischen Jack und Lewis in einem Casino verläuft noch unerfreulicher. Denn nun erklärt ihm Lewis, dass er sehr wohl wisse, dass Jack Duffy getötet hat. Er sei aber bereit, die Sache zu vergessen und Jack und seine Tochter (der Spieler hat eine Frau und eine Tochter, von denen er getrennt und entfremdet lebt) am Leben zu lassen, unter einer Bedingung: Jack soll Duffys Ehefrau ermorden. Einfacher gesagt als getan, denn nun fühlt sich Jack erst recht zu ihr, May, angezogen. Da es ihm aber auch um das Leben seiner Tochter geht, sucht er den großen Kredithai Paulie auf, um ihn um Ratschlag und eine Pistole zu bitten. Paulie gibt sie ihm mit dem Tipp, sie Lewis nutzen zu lassen. Beim Showdown schließlich prügelt Jack Duffys Bruder nieder. May nimmt Paulies Waffe und will damit Jack töten. Die präparierte Pistole explodiert aber und schießt nach hinten, direkt in Mays Gesicht. Und als Lewis wieder aufwacht und sich erneut auf Jack stürzt, taucht Paulie mit seinen Schlägern auf, erschießt Lewis und spricht das Urteil über Jack: er solle Duffys Geld nehmen und für immer aus Las Vegas verschwinden. Nachdem er die Geldtasche bei seiner Ex-Frau und seiner Tochter deponiert hat, macht Jack genau das: ohne Geld, mit nur einem klapprigen Auto und einem geschundenen Gesicht fährt er weg.

Ein glanzloser Antiheld, der in eine sexuell aufgeladene, gewalttätige Intrige voller wunderlicher und absurder Wendungen gerät. Zwielichtige Gestalten und eine femme fatale, deren Vertrauenswürdigkeit stets auf der Kippe steht, weil überall Verrat lauert. GUTSHOT STRAIGHT ist ein fast schon puristischer neo noir. Doch was hat es mit dem DETOUR-Vergleich auf sich?

Jack Daniel erscheint wie eine Wiedergeburt von Al Roberts, dem glücklosen Protagonisten von DETOUR und der wahrscheinlich miserabelsten Figur, die der klassische film noir hervorgebracht hat: ein Loser, der selbst im heruntergekommensten Café der ganzen Stadt noch seine Würde verliert und angepöbelt wird. Sicher: Jack ist kein gescheiterter Künstler wie Al, sondern nur ein gescheiterter Pokerspieler. Und im Gegensatz zu Al scheint er zumindest eine halbwegs bürgerliche Vergangenheit zu haben, mit Ehefrau, Tochter und bescheidenem, aber solidem Eigenheim. Der tiefe Masochismus jedoch, der Al kennzeichnete, fehlt ihm. Doch auch Jack kann seine Würde nur in Scherben mit sich herumtragen: Paulies Schläger lachen ihn aus, Paulie selbst behandelt ihn wie einen kleinen Lausbub, bei seiner Bank kriegt er quasi Hausverbot, und die Bartenders der schummerigsten Stripclubs behandeln ihn von oben herab.


Das zerschlagene Gesicht mit den ganzen Blutergüssen trägt Jack durch den ganzen Film (hinzu kommt über die meiste Laufzeit auch ein T-Shirt mit blutverschmiertem Kragen), und auch wenn man die Ursache dafür sieht, nämlich die Tracht Prügel zu Beginn, erscheinen diese Zeichen eher ein existentieller Bestandteil seiner Person zu sein als die Folge eines Ereignisses. Das erinnert ein wenig an den permanenten Schweißfilm auf Al Roberts Gesicht: kein Zeichen der Temperaturverhältnisse oder irgendeiner Anstrengung, sondern Ausdruck existentieller Verzweiflung. Blutergüsse und Schweiß – Jack Daniel und Al Roberts tragen die Essenz ihres Daseins sichtbar im Gesicht.

Mit DETOUR verbindet GUTSHOT STRAIGHT sicherlich auch einige Versatzstücke des Plots: ein Mann tötet aus Versehen einen anderen Mann und wird dann von jemandem erpresst, der genau das weiß (gleichwohl die blasse AnnaLynne McCord nicht annähernd an Ann Savage rankommt). Doch mehr als alles hat der Film von 2014 ein ähnliches „Feeling“ wie der Klassiker aus dem Jahre 1945: es ist das „Feeling“ eines B-Films, der er es schafft, zu etwas größerem zu werden, weil er seine eigenen Begrenzungen umarmt.

Trotzdem ist und bleibt GUTSHOT STRAIGHT ein Original. Seine narrative Struktur ist von einer erstaunlichen Klarheit: nach A folgt B, dann C... Doch er lässt die einzelnen Plotpoints als reine Zeichen stehen, gibt ihnen keine Erklärungen, reduziert alles auf das reine Skelett. Dabei nimmt er radikal Jack Daniels Perspektive ein und als Zuschauer verfügen wir nur über seinen Wissensstand (teils sogar noch weniger). So stolpern wir wie er durch diese einfache, aber doch bizarre Geschichte: warum Duffy ausgerechnet ihn für seine sexuelle Fantasien auswählt, warum Lewis May töten will, was nun das genaue Verhältnis zwischen Duffy, Lewis und May ist, warum ausgerechnet er ein Blutbad zu verantworten hat und dann hinter sich lassen muss – Jack wird es nie erfahren. Besonders unklar ist, warum offenbar jeder seinen Namen kennt: Duffy nennt ihn Jack, bevor er sich vorstellen kann, Lewis tut es genau so, ja gegen Ende spricht ihn gar irgendein Türsteher vor einem Pokerspielzimmer einfach so mit Jack an. Alle haben einen Informationsvorsprung vor Jack. Dies erklärt wohl auch die für einen film noir untypische Rauminszenierung (trotz der sehr expressiven Bildgestaltung). Die meisten Einstellungen sind Nah- und Halbnaheinstellungen mit extrem geringer Tiefenschärfe. Selbst einige der Establishing Shots scheinen mit einem Teleobjektiv aufgenommen worden zu sein: die meiste Zeit bewegt sich Jack durch eine Welt, die wie verschleiert wirkt und in der nichts auch nur annähernd deutlich zu erkennen ist. Die Schleier lüften sich auch am Ende nicht – und die zwei weiteren Toten erklären auch nichts weiteres. In Zeiten, in denen Mainstream-Sehgewohnheiten doch stark auf langwierige (Über)erklärungen ausgerichtet sind, wirkt GUTSHOT STRAIGHT erstaunlich frisch.

Was ist aber nun mit Steven Seagal und Vinnie Jones, die schließlich, zumindest auf dem Cover der deutschen DVD, die Credits anführen? Seagal tritt nur kurz im Prolog auf und wird in den Anfangs-Credits nicht erwähnt. Gegen Ende wird die Prologszene  mit leicht alternativen Einstellungen  wiederholt, und dann taucht Seagal ganz am Schluss während des Showdowns auf. Zusammengerechnet kommt wohl nicht einmal fünf Minuten Screentime zusammen. Ein reines Cameo also, der zudem wie ein absurder Fremdkörper wirkt. Denn Seagal teilt sich kein einziges Frame mit dem Hauptdarsteller George Eads: Ihr Dialog ist in Schuss-Gegenschuss-Aufnahmen aufgelöst. Jacks Hinterkopf, wenn man Paulie frontal sieht, dürfte wahrscheinlich einem Double gehören. Auch im Showdown wird Eads wahrscheinlich von einem Stand-in gespielt, wenn Seagal im Bild zu sehen ist. Kurz: mit dem legendären Actionstar wurden wahrscheinlich irgendwelche halbwegs passenden Szenen gedreht, die dann in GUTSHOT STRAIGHT reingeschnitten wurden. Das würde in einem anderen Kontext lächerlich wirken (und irgendwie ist es ja auch lächerlich), fügt sich aber hier ganz gut in einen Zustand der permanenten Verwirrung und Dissoziation ein, den der Protagonist erlebt. Aber vielleicht hat es auch einen Sinn: Seagal ist am Ende der deus ex machina, der die ganze Geschichte abbricht und ihr einen Schlusspunkt setzt. Seine Paulie-Figur sowie ihre funktionierenden wie auch präparierten Pistolen sind gewissermaßen der materialisierte, wiederauferstandene Geist des schicksalhaften Telefonkabels von DETOUR.

Sehr unglücklich ist natürlich, dass dieser „Pseudo-Seagal-Film“ wie ein echter Seagal-Actioner vermarktet wird. Es gibt in GUTSHOT STRAIGHT keine Action, keine Actionfigur, keine Actionfilmgeschichte. Auch als „einfacher“ Thriller funktioniert der Film kaum, weil er eben vor allem von einer noir-Atmosphäre lebt, die sich nicht in erster Linie durch klassische Spannung auszeichnet. Leider dürfte der Film also einige Mühe haben, ein Publikum zu finden – zumal als direct-to-video-Produktion.


GUTSHOT STRAIGHT ist als DVD in Deutschland und in den USA erhältlich, ab März nächsten Jahres auch in Großbritannien. Außer mangelnden Untertiteln und einem etwas penetranten, chemischen Plastik-Geruch spricht allerdings nichts gegen die deutsche DVD.