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Donnerstag, 26. Mai 2016

Das Messer an Eisensteins Gurgel

Sergej M. Eisenstein in Hollywood

Preisfrage: Was verbindet Josef von Sternbergs AN AMERICAN TRAGEDY und Luis Trenkers DER KAISER VON KALIFORNIEN? Ganz einfach: Beide Filme wurden nicht von Sergej Eisenstein inszeniert.

Was zunächst idiotisch klingt, ergibt Sinn, wenn man weiß, dass Eisenstein 1930, als er bei der Paramount unter Vertrag stand, zu beiden Stoffen ein fertiges Drehbuch ablieferte, das aber jeweils vom Studio abgelehnt wurde. Letztlich drehte Eisenstein überhaupt keinen Hollywoodfilm - und das war nur einer der Tiefschläge, die er während und nach der langen Reise einstecken musste, die ihn von 1929 bis 1932 durch verschiedene europäische Länder, die USA und Mexiko führte.

Das im Titel angesprochene Messer an der Kehle kann mit etwas Fantasie als Sinnbild dafür dienen, auch wenn es sich in Wirklichkeit nur um eine harmlose Szene handelt. Es geht dabei um zwei Fotos, die zeigen, wie sich Eisenstein auf einem Balkon oder einer Dachterrasse eines Wolkenkratzers in New York einer Nassrasur unterzieht. Die beiden Bilder können bei oberflächlicher Betrachtung auch viel positiver interpretiert werden, und tatsächlich ist genau das auch geschehen. Im Begleitbuch zur DVD-Box Unseen Cinema. Early American Avant-Garde Film 1894-1941, die ich hier schon gelegentlich erwähnt habe, ist eines der beiden Fotos abgedruckt (das Büchlein ist nicht in der DVD-Box enthalten, sondern kann separat erworben werden). Und da steht unter dem mit "ca. 1930" datierten Bild Folgendes in der Bildunterschrift:
Sergei Mikhailovich must have been feeling on top of the world when Bourke-White snapped this picture.
Doch da wurde nicht sorgfältig genug recherchiert. Eisenstein kam am 12. Mai 1930 mit dem Schiff aus Europa in New York an, und Anfang Juni fuhr er nach Kalifornien ab, wo er dann bis zu seiner Weiterreise nach Mexiko blieb. In einem der beiden Bilder (nämlich dem, das auch im Booklet enthalten ist) ist im Hintergrund das fertige Empire State Building zu sehen. Wenn man dessen Baufortschritt nachvollzieht, erkennt man, dass die Aufnahme nicht im Mai/Juni 1930 entstanden sein kann. Tatsächlich entstanden die beiden Fotos im April 1932, als Eisenstein und seine beiden Begleiter nach dem erzwungenen Abbruch der Dreharbeiten in Mexiko nochmals nach New York kamen, um das Schiff nach Bremen zu nehmen. Die Umstände sind weitgehend überliefert. Die Fotografin Margaret Bourke-White hatte nach Eisensteins erster Ankunft in New York den Kontakt mit ihm gesucht, um Empfehlungsschreiben für eine bevorstehende Reportage-Reise in die Sowjetunion einzuholen. Bourke-White ist vor allem als Fotoreporterin in die Geschichte eingegangen, aber sie betätigte sich auch als Portraitfotografin, und zu diesem Zweck hatte sie seit 1930 ein Atelier im 61. Stock des Chrysler Building, das für kurze Zeit das höchste und dann (nach dem Bau des Empire State Building) für Jahrzehnte das zweithöchste Gebäude der Welt war. Und dort stattete Eisenstein der Fotografin, die ihre sowjetische Reise erfolgreich hinter sich gebracht hatte, bei seiner Rückreise noch einen Besuch ab. Bourke-White schenkte Eisenstein ein Exemplar ihres Fotobuches Eyes on Russia mit den Bildern aus der Sowjetunion mit einer originellen Widmung: "To Sergei Eisenstein, the only man to be shaved in my studio, 800 feet above the sidewalk - the highest shave to be received by any living man." Die Widmung trägt das Datum 7. April 1932, und zwischen dem 1. (Eisensteins Ankunft in New York) und dem 7. April muss somit die Rasur stattgefunden haben.

Man weiß nicht, warum sich Eisenstein ausgerechnet in so luftiger Höhe rasieren ließ (und der Name des Barbiers im weißen Kittel ist im Dunkel der Geschichte entschwunden), und Bourke-White machte die Fotos wahrscheinlich ohne besonderen Zweck - jedenfalls wurden sie anscheinend nicht zeitnah veröffentlicht. Ganz gewiss jedoch war Eisenstein damals nicht on top of the world - ganz im Gegenteil. Allerdings war ihm auch noch nicht die ganze Tragweite seiner Niederlage bekannt. Denn der Schriftsteller Upton Sinclair, der mit seiner Frau und einigen reichen Freunden Eisensteins mexikanisches Abenteuer finanziert und dann für beendet erklärt hat, hatte versprochen, das bis zum Abbruch der Arbeit gedrehte, äußerst umfangreiche Material unverzüglich nach Moskau zu schicken, damit es Eisenstein dort gemäß seinen eigenen Vorstellungen schneiden konnte. Und in New York war Eisenstein noch zuversichtlich, dass das auch so geschehen würde. Erst zuhause erfuhr er, dass Sinclair sein Versprechen brechen und das komplette Material einbehalten würde, was Eisenstein an den Rand des Nervenzusammenbruchs, wenn nicht gar an den Rand des Selbstmords brachte. Eisenstein sah sein mexikanisches Rohmaterial nie wieder.

Doch wie kam es überhaupt zu dieser langen Reise? Offizieller Zweck der Fahrt, die Eisenstein mit seinem Co-Autor und Co-Regisseur Grigori Alexandrow und seinem Kameramann Eduard Tissé unternahm, war es, sich über die Technik des Tonfilms zu unterrichten. Aber Eisenstein ging es mehr darum, möglichst viele interessante Leute kennenzulernen, und mindestens einen größeren Film im Ausland zu drehen - am besten in Hollywood. - Als Eisenstein 1922 am Moskauer Proletkult-Theater vom Bühnenbildner zum Regisseur befördert wurde, durfte er auch in einem Workshop Nachwuchskräfte unterrichten, und Grigori Alexandrow (1903-83) war einer seiner ersten Schüler. Schnell avancierte er vom Musterschüler zum Assistenten des Meisters. Bei allen Eisenstein-Filmen von STREIK bis zum unvollendeten ¡QUE VIVA MEXICO! schrieb Alexandrow mit am Drehbuch, war Regieassistent oder sogar als Co-Regisseur gelistet (obwohl Eisenstein natürlich immer die erste Geige spielte) und übernahm gelegentlich auch kleinere Rollen als Schauspieler. Durch die Fährnisse der langen Reise genervt, kühlte sein Verhältnis zu Eisenstein ab, und nach der Rückkehr nabelte er sich ab und wurde erfolgreicher Regisseur eigener Filme. Grischa, wie er von Freunden genannt wurde, verfügte über Charme und blendendes Aussehen. Oksana Bulgakowas Eisenstein-Biografie schildert ihn in seiner frühen Phase mit Eisenstein so: "Grischa hatte Erfolg bei allen - Frauen, Greisen, Kindern, Milizionären und später auch Millionären, war jedoch kein erotischer Abenteurer, auch kein erotischer Doppelgänger seines Lehrers [Eisenstein]. Er lebte streng monogam mit seiner Frau Olga Iwanowa aus der Proletkult-Truppe und war Eisenstein total ergeben." - Eisensteins erster Spielfilm STREIK war eine Coproduktion des Proletkult mit dem staatlichen Filmstudio Goskino. Während Eisenstein und Alexandrow abgesehen von der kurzen Extravaganz GLUMOWS TAGEBUCH von 1923 noch keine filmische Erfahrung hatten, war der aus Lettland stammende Eduard Tissé (1897-1961) ein bereits erfahrener Kameramann, der bei Goskino unter Vertrag stand und zu STREIK abgeordnet wurde - so kam er mit Eisenstein in Berührung. Auch sein Verhältnis zu Eisenstein litt etwas unter der Reise, aber die Arbeitsgemeinschaft blieb bestehen - außer bei GLUMOWS TAGEBUCH und IWAN DER SCHRECKLICHE stand Tissé bei sämtlichen Eisenstein-Filmen hinter der Kamera.

Am 19. August 1929 machte sich das Trio auf den Weg und kam zwei Tage später in Berlin an, wo man Visa für die USA beantragen konnte, was damals in Moskau nicht möglich war. Eisenstein hatte bereits eine Einladung von United Artists in der Tasche. Mary Pickford und Douglas Fairbanks, die beiden Mitgründer von United Artists (neben Chaplin und Griffith), reisten im Juli 1926 nach Moskau, um dem Wunderkind, das scheinbar aus dem Nichts kam und PANZERKREUZER POTEMKIN inszeniert hatte, ihre Aufwartung zu machen, und sprachen dabei das Angebot zu einer Zusammenarbeit aus. Der aus Russland stammende Produzent Joseph M. Schenck, damals Präsident von United Artists, kam im August 1928 nach Moskau, um mit Eisenstein zu verhandeln. Doch letztlich wurde nichts daraus. Das Trio hatte es überhaupt nicht eilig, in die USA zu kommen. Von Berlin aus machte Eisenstein allein oder mit den beiden Kollegen kürzere und längere Abstecher in die Schweiz, nach Belgien, Holland, England und Frankreich. Überall traf er interessante und berühmte Persönlichkeiten, hielt Vorträge, sah aktuelle europäische und amerikanische Filme. In Berlin besuchte Eisenstein auch mit Begeisterung Schwulen- und Transvestitenbars, mit Valeska Gert, die er schon aus Moskau kannte, als Begleiterin. Weil das Geld knapp war, versuchte das Trio, schon in der deutschen oder französischen Filmindustrie an Aufträge heranzukommen, aber außer den in der Schweiz bzw. Frankreich für unabhängige Produzenten gedrehten Filmen FRAUENNOT - FRAUENGLÜCK und ROMANCE SENTIMENTALE kam nichts dabei heraus. So gingen Monate ins Land, und mittlerweile gab es den Börsencrash am "Schwarzen Freitag", dem 25. Oktober 1929. In Verbindung mit den hohen Kosten für die Umstellung auf den Tonfilm mussten die Hollywood-Studios den Gürtel enger schnallen, und Joe Schenck schrieb Eisenstein, dass die Einladung von UA nicht mehr gültig war.

Die ersten Monate 1930 verbrachte die Reisegruppe vorwiegend in Frankreich. Die Reise schien ein kompletter Fehlschlag zu werden, was die Produktion eines größeren Films betrifft, da kam die (vorläufige) Rettung in Person von Jesse L. Lasky, dem Mitgründer von Paramount. Lasky war im April 1930 in Paris und bat Eisenstein zu sich. Schnell war man sich einig, und nachdem Eisenstein die Zustimmung seiner Vorgesetzten in Moskau eingeholt hatte, unterschrieb er noch in Paris am 30. April einen Vertrag mit der Paramount, der ihm freie Stoffwahl zusicherte. Sollte Eisenstein aber nicht innerhalb eines Vierteljahres ernsthaft mit den Arbeiten begonnen haben, würde das Vertragsverhältnis enden. Am 6. Mai, fast ein Drei­vier­tel­jahr nach Beginn der Reise, stachen Eisenstein, Tissé und Lasky in See (Alexandrow kam etwas später nach), und eine knappe Woche später waren sie in New York. Damals war Eisenstein tatsächlich on top of the world - er war von den Eindrücken ziemlich überwältigt.

Es wäre eine gute Idee gewesen, sich zügig für einen Stoff zu entscheiden und dann sofort mit der Arbeit am Drehbuch zu beginnen, doch wieder ließ sich Eisenstein Zeit. Schon auf der Fahrt nach Los Angeles legte er Zwischenstopps mit Empfängen und Besichtigungen ein und brauchte zehn Tage bis Kalifornien. Und dort fuhr er herum und sah sich die Gegend an, traf sich mit Regie-Kollegen, Schauspielern und allen möglichen Leuten, ließ sich mit Walt Disney und Mickey Mouse ablichten, machte Strandspaziergänge mit Salka Viertel, spielte regelmäßig Tennis mit Chaplin, und vertrödelte so wertvolle Zeit. Das Trio bekam jetzt von Paramount zusammen 900 Dollar pro Woche, nach damaliger Kaufkraft ein durchaus üppiges Gehalt, das bei Beginn der Dreharbeiten noch deutlich anwachsen würde, und sie mieteten ein Haus in Beverly Hills im spanischen Stil samt Köchin. Im Vergleich zu den Monaten in Europa und zum Alltag in der Sowjetunion war das Leben jetzt luxuriös. Paramount machte viel Publicity um Eisenstein, es gab aber auch eine negative Pressekampagne, die ein gewisser Major Frank Pease entfachte. Dieser sah in Eisenstein die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung am Werk, die nun auch Hollywood unterwandern wolle, und forderte Eisensteins unverzügliche Ausweisung. (Eisensteins Vater war ein zum orthodoxen Christentum konvertierter Jude deutscher Herkunft, und die jüdische Herkunft der meisten Hollywood-Moguln spielte in der Kampagne auch eine Rolle - offener Antisemitismus war damals in den USA salonfähig.) "Was haben Sie vor, wollen sie den amerikanischen Film in eine kommunistische Jauchegrube verwandeln?", fragte Pease etwa am 28. Juni im Motion Picture Herald, und er bezeichnete Eisenstein darin als "halsabschneiderischen roten Hund". 1930 hatten solche Leute wie Pease noch nicht soviel Einfluss wie zu McCarthys Zeiten 15 bis 20 Jahre später, doch er schaffte es, dass sich das Fish Committee, der Vorläufer des HUAC, mit Eisenstein befasste, wo nun ein Lieutenant Colonel Leroy F. Smith weiter Stimmung gegen die rote Gefahr auf dem Regiestuhl machte. Paramount sah sich unter Druck gesetzt.

Unterdessen überlegte Eisenstein, welchen Stoff er denn nun verfilmen sollte. Verschiedene Ideen, die er selbst hatte, oder die von Paramount an ihn herangetragen wurden, verwarf er schnell wieder. Schließlich entschied er sich zunächst für einen Stoff um ein futuristisches Hochhaus aus Glas. Die Idee dazu hatte er schon 1926, als er sich in Berlin mit Fritz Lang und Thea von Harbou über METROPOLIS unterhielt, und seitdem hatte das Thema in seinem Geist noch einige Metamorphosen durchgemacht. Doch dann kam er mit dem Drehbuch nicht recht voran, und Paramount war von dem avantgardistischen Stoff (mit vermutlich geringem kommerziellem Potential) auch nicht wirklich begeistert. So gab Eisenstein schließlich auch diese Idee auf. Stattdessen entschied er sich für den 1925 erschienenen Roman Gold des Schweizer Schriftstellers Blaise Cendrars. Eisensteins englischer Freund Ivor Montagu, den er in der Schweiz kennengelernt hatte, und der jetzt auch in Hollywood war, hatte zu dieser Wahl gedrängt. Es handelt sich um die Geschichte des Schweizer Abenteurers und Geschäftsmannes Johann August Sut(t)er, der als John Augustus Sutter riesige Ländereien im damals mexikanischen Kalifornien erwarb, und der in der Raserei des Goldrausches von 1848 alles verlor und als verarmter Mann starb. Es ist dies der Stoff, den Luis Trenker 1935/36 als DER KAISER VON KALIFORNIEN verfilmte, wobei sich auch Trenker auf den Roman von Cendrars stützte. Könnte Trenker von den vorangegangenen Bemühungen Eisensteins gewusst haben? Ich weiß es nicht, aber möglich wäre es schon. Trenkers vorheriger Film DER VERLORENE SOHN von 1934 wurde von der deutschen Dependance der Universal hergestellt, und die Dreharbeiten fanden zum Teil in New York statt. Produziert wurde der Film von Paul Kohner, damals noch kein unabhängiger Künstleragent, sondern bei der Universal angestellter Produzent. Und Eisenstein hatte Kohner schon 1929 in Berlin getroffen, und auch 1930 in Hollywood hatten sie Kontakt. Kohner vermittelte Eisenstein eine Einladung bei seinem Chef und Mentor, dem Universal-Patriarchen Carl Laemmle. (Laemmle wollte gleich einen Film mit Eisenstein machen, bis man ihm diskret mitteilte, dass er schon bei Paramount unter Vertrag war.) Kohner oder sonst irgendwer könnte also Trenker von Eisensteins vergeblicher Arbeit erzählt haben - aber vielleicht ist Trenker auch ganz allein auf diesen Stoff gekommen.

Nachdem die Entscheidung gefallen war, wurde das Drehbuch nun recht schnell erstellt, nach einem schematisierten Arbeitsablauf wie am Fließband, bei dem sich Eisenstein, Alexandrow und Montagu (der von Paramount als persönlicher Drehbuchassistent für Eisenstein angeheuert wurde) die Aufgaben teilten, mit Unterstützung durch Bürokräfte von Paramount. Anfang September 1930 war das Script fertig. Paramount ließ die Kosten für die Produktion durchrechnen, kam auf drei Millionen Dollar - und lehnte das Drehbuch "aus ökonomischen Gründen" ab. Laut Eisenstein stand dahinter ein interner Machtkampf im Studio zwischen Jesse Lasky und Ben P. Schulberg, dem Produktionsleiter von Paramount. In der Sichtweise Eisensteins war Schulberg (der Vater des Schriftstellers und Drehbuchautors Budd Schulberg) eine Krämerseele, während Lasky auch die Kunst im Film sah und bereit war, Risiken einzugehen. Lasky fuhr an die Ostküste, um vom Paramount-Chef Adolph Zukor ein Machtwort zugunsten von Eisenstein einzuholen, aber vergebens - es blieb bei der Ablehnung. Nun schlug Lasky als neuen Stoff Theodore Dreisers sozialkritischen Roman An American Tragedy vor (an dem Paramount schon seit Jahren die Verfilmungsrechte besaß), und Eisenstein war schnell einverstanden, ja sogar begeistert von dem Stoff. Es geht darin um einen armen, aber ehrgeizigen jungen Mann mit einer ebenso armen Freundin. Er lernt eine schöne reiche Tochter aus gutem Haus kennen, verliebt sich in sie, und sie wollen heiraten. Doch die alte Freundin ist schwanger, so dass eine einfache Trennung nicht mehr in Frage kommt. Er will sie deshalb bei einem Bootsausflug an einem einsamen See ertränken. Im letzten Moment schreckt er vor dem Mord zurück, doch sie fällt ohne sein Zutun ins Wasser und ertrinkt. Nun wäre der Weg zum Platz an der Sonne eigentlich frei. Doch er hat bei den Vorbereitungen zum geplanten Mord zu viele verräterische Indizien hinterlassen. Er wird verhaftet, zum Tod verurteilt und hingerichtet.

Wieder schrieben Eisenstein, Alexandrow und Montagu nach demselben Fließbandprinzip wie zuvor recht zügig ein Drehbuch. Schulberg hätte gerne einen straighten, plot-getriebenen Film bekommen, mehr oder weniger einen Krimi. Doch Eisenstein und seinen Mitstreitern ging es mehr um moralische Fragen von Schuld und Sühne, fast ein bisschen Dostojewski. Und die sozialkritische Tendenz von Dreisers Roman wurde im Drehbuch noch zugespitzt, zum Verdruss von Paramount. Denn die Untersuchung des Fish Committee war gerade im Gang, und das Studio wollte einen politisch unverfänglichen Film, und nicht einen, den Eisensteins Feinde als kommunistisch verunglimpfen konnten. Auch formal plante Eisenstein Anspruchsvolles: Der Film sollte mithilfe eines inneren Monologs in das Unterbewusste des tragischen Helden vorstoßen, wobei alternierend Bild und Ton die Psyche ausloten sollten.

Am 5. Oktober wurde das fertige Script abgeliefert. Nach außen hin zeigten sich sowohl Schulberg als auch Lasky zufrieden. Doch es wurde eine externe Stellungnahme von David Selznick erbeten, und der bescheinigte dem Drehbuch zugleich höchste künstlerische Qualität und völlige kommerzielle Chancenlosigkeit. Was das in Hollywood bedeutet, ist klar, zudem bestand nach wie vor der gegen Eisenstein gerichtete politische und publizistische Druck. Am 23. Oktober, als Eisenstein und seine Freunde mit Lasky gerade in New York waren, um mögliche Drehorte zu besichtigen, wurde ihm eröffnet, dass auch dieses Drehbuch abgelehnt wird - diesmal, weil es angeblich zu lang sei -, und dass sein Vertrag gelöst wird. Der Vertrag vom 30. April sah eigentlich vor, dass der Film innerhalb eines halben Jahres abgedreht sein sollte. Dieses halbe Jahr war nun fast abgelaufen, und es war noch überhaupt nicht mit Dreharbeiten begonnen worden. Auf Bitte von Lasky erklärte Eisenstein öffentlich, dass der Vertrag im gegenseitigen Einvernehmen gelöst wurde. Dafür versprach Lasky, dass in einiger Zeit, vielleicht in einem Jahr, wenn der politische Wirbel vorbei war, der Vertrag erneuert würde. Eisenstein, der in Lasky immer einen Gentleman sah, glaubte das. Doch vorerst spendierte Paramount dem Trio nur noch die Rückfahrkarten über Hawaii und Japan in die Sowjetunion, und ließ die Presse schon die bevorstehende Abreise verkünden.

Dreisers Roman ließ die Paramount 1931 von ihrem bewährten Hausregisseur Josef von Sternberg verfilmen. Eisenstein schätzte übrigens Sternberg sehr. Er hatte ihn schon 1929 in Berlin getroffen, als er dort DER BLAUE ENGEL drehte. In einer offenbar schlecht gelaunten Stunde schrieb Eisenstein in einem Brief, dass in Hollywood alle außer Lubitsch und Sternberg Idioten seien. Es gibt auch Publicityfotos, die Paramount von Eisenstein mit Sternberg und Marlene Dietrich anfertigen ließ. Doch während Eisenstein und die Seinen die Sozialkritik im Roman noch verstärkten, machten Sternberg und sein Drehbuchautor Samuel Hoffenstein das Gegenteil - sie entschärften den Stoff zu einem individuellen Melodram ohne politische Implikationen. Theodore Dreiser war darüber so erzürnt, dass er Paramount verklagte, um die Veröffentlichung des Films zu verhindern, doch er verlor den Prozess. 1951 erschien das Remake von George Stevens unter dem Titel A PLACE IN THE SUN, mit Montgomery Clift, Liz Taylor und Shelley Winters. Diese Version ist heute viel bekannter als die von Sternberg.

Eisenstein war sicher zu blauäugig gewesen, was Hollywood und seine Mechanismen betraf, und nun war er deprimiert. Aber er wollte noch nicht aufgeben. Statt über den Pazifik nach Hause zu schippern, bemühte er sich erneut um einen Filmauftrag. Für die anderen Hollywoodstudios war er mehr oder weniger verbrannt, aber schließlich gelang es ihm, die Finanziers um Upton Sinclair von dem Mexiko-Film zu überzeugen (die Idee dazu hatte Eisenstein von dem mexikanischen Maler Diego Rivera, den er schon 1927 in Moskau kennengelernt hatte und in Hollywood wieder traf). Am 24. November wurde der Vertrag unterzeichnet, und am 5. Januar 1931 überquerte das Trio die amerikanische Grenze in Richtung Süden. (Ivor Montagu wurde von Eisenstein auch dazu eingeladen, aber der fuhr lieber heim nach England.) Was in den folgenden 14 Monaten in Mexiko alles passierte, wäre Stoff für einen ganzen Artikel (oder für einen Film, wie sich Peter Greenaway dachte), aber ich will hier nicht weiter darauf eingehen.

Durch die Kosten der Umstellung der riesigen Kinokette der Paramount auf den Tonfilm und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise geriet das Studio immer mehr in finanzielle Schieflage, und 1933 war es bankrott. Zwar konnte der Konzern saniert werden, aber die eigentliche Macht lag nun bei Bankiers und Anwälten. Und Jesse Lasky, der Mitgründer der Firma, wurde schon 1932 gefeuert. Alle Zusagen einer erneuten Zusammenarbeit, die er Eisenstein mündlich gegeben hatte, waren damit hinfällig (falls sie überhaupt je ernst gemeint waren). Doch auch wenn es bei der Paramount anders gekommen wäre, hätte das Eisenstein wenig genützt. Weil er wiederholte Aufforderungen zur Rückkehr ignoriert hatte, bis ihm von Sinclair der Hahn abgedreht wurde, galt er in der Heimat bereits als Deserteur, und nach der letztendlichen Heimkehr sah er sich heftiger Kritik und Schikanen ausgesetzt. Seit Mitte der 30er Jahre wurden auch immer mehr seiner Freunde und Wegbegleiter abgeholt und nach Schauprozessen oder auch schnell und heimlich erschossen. Ihm selbst hätte das auch widerfahren können, er stand bereits auf einer entsprechenden Liste der Geheimpolizei NKWD. Zwar sah er auch wieder gute Zeiten - nach ALEXANDER NEWSKI und dem ersten Teil von IWAN DER SCHRECKLICHE gehörte er wieder zu Stalins Lieblingen (und sein Intimfeind Boris Schumjazki fiel selbst der Säuberung zum Opfer und wurde erschossen). Doch nach der Rückkehr von der langen Reise hat Eisenstein die Sowjetunion nie mehr verlassen.