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Freitag, 19. März 2010

Ein Schweizer! Ein Schweizer!

Das Haus in Montevideo
(Das Haus in Montevideo, Deutschland 1951)
Regie: Curt Goetz, Valérie von Martens
Darsteller: Curt Goetz, Valérie von Martens, Albert Florath, Lia Eibenschütz, Jack Mylong-Münz, Ruth Niehaus, Eckart Dux, Rudolf Reif, Ingeborg Körner, Lope Rica u.a.

Bei der blossen Erwähnung des Reizthemas "Deutsches Kino der 50er Jahre" kräuseln sich noch heute so manchem Filmliebhaber die Nackenhaare, was wohl nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass die Fernsehanstalten ständig die Schwarten wiederholen, die früher einem Publikum gefallen haben mögen - vom “Schweigen im Walde” (1955) bis hin zu den Trällerliedchen, die zustande kamen, "wenn die Conny mit dem Peter” (1958)...

In Wirklichkeit ist schon so manches Vorurteil gegenüber dieser Dekade revidiert worden, und man wirbt auch um ein gewisses Verständnis für die Unzahl an Heimatfilmen, die sie vorzuweisen hat: Das Kino wollte den Zuschauern eben zeigen, in welch schönem Land sie nach all der den Nazis zu verdankenden Verwüstung eigentlich doch lebten  - zugegeben: nicht gerade auf anspruchsvolle Weise (es sollen jedoch auch ein paar leider verschollene Heimatfilme mit äusserst düsterer Story gedreht worden sein). - Und es gab neben dem zu Unrecht vom breiten Publikum bis heute weitgehend ignorierten Meisterwerk “Der Verlorene” (1951) des Heimkehrwilligen Peter Lorre auch elegante Ansätze zur Bewältigung der in die Gegenwart hineinreichenden Vergangenheit (etwa “Rosen für den Staatsanwalt” von Wolfgang Staudte, 1959) oder zum Anschluss an den von den USA geprägten gesellschaftskritischen Kriminalfilm (Alfred Weidenmanns “Alibi”, 1955). - Was den 50ern jedoch fehlte, war jene strikte intellektuell geprägte Bewegung, die sich gegen den “gängigen Unterhaltungsfilm” gerichtet hätte.

Eine bescheidene Gegenbewegung gegen die verlogenen Moralvorstellungen dieser und aller Zeiten  (und die  daraus resultierenden Filme) spukte allerdings schon durch die deutschen Kinos jener Jahre; und zwar in Form eines regelrechten Anarchisten, vielleicht des grössten, wenn nicht einzigen Anarchisten, dessen sich der deutsche Film rühmen darf: Curt Goetz. Und dieser Curt Goetz war - wie ich erst kürzlich mit Freude erfahren durfte - ein Schweizer!!! Zumindest teilweise.

Goetz, eigentlich ein Mann des Theaters, war der Sohn eines Schweizer Kaufmanns, und wuchs - leider; denn es wäre zu schön gewesen - in Deutschland auf. Er schrieb die Texte für seine Sketche selber, wirkte aber als Schauspieler schon in Stummfilmen mit. Und er hatte auch bereits mehrfach Filme nach eigenen Vorlagen gedreht oder drehen lassen, z.T. mit sich selber in der Hauptrolle (“Napoleon ist an allem schuld”, 1938). In der von moralischer Heuchelei durchdrungenen Adenauer-Zeit blühte er jedoch vollends auf und entwickelte sich mit seinem bewusst übertriebenen Spiel zu einem Anarchisten des Films, den man höchstens mit den Marx Brothers vergleichen könnte - allerdings zu einem Anarchisten, dessen heimtückisch ausgespielte  wahrhaftige Moral, um  einen Kernsatz seines Professors Traugott Hermann  Nägler aufzunehmen, hinter der Gestalt des Narren wirklich keine Ferien kannte.

Von den beiden Filmen, mit denen Curt Goetz nach “Frauenarzt Dr. Prätorius” (1949/50)  das Kino der 50er im wahrsten Sinne des Wortes aufmischte, ist mir “Das Haus in Montevideo” bei weitem der liebere, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass er ihn zusammen mit seiner Frau Valérie von Martens selber drehen und seiner überbordenenden Gestik und Mimik freien Lauf lassen konnte - während er in “Hokuspokus” (1953) unter Kurt Hoffmann arbeitete, dem Pseudo-Moralisten, der sich in der Zeit des Nationalsozialismus durchaus noch für “lustige” Propagandafilme (“Quax, der Bruchpilot”, 1941) hergegeben hatte. - Die Geschichte dieses Kinovergnügens, in dem eine Pointe die andere jagt: Professor Traugott Hermann Nägler ist ein dermassen von Selbstgerechtigkeit durchtränkter Mann, dass er ruhig bei seinen Schülern die moralische Keule schwingen lassen und sich sogar einen kleinen Ausraster erlauben darf, wenn sich sein geistig unbedarftes Frauchen so über die “Kanone” freut, die er mit seinen zwölf Kindern (nicht ganz durchgehend nach Wagnergestalten benannt) für sie eingeübt hat. Entsprechend entschieden steht er auch zum Urteil seiner Familie, die einst seine Schwester verstossen hatte, weil sie - o Graus! - schwanger geworden war, ohne verheiratet zu sein. Als Schwesterchen jedoch offenbar begütert stirbt, geraten Näglers moralische Grundsätze  zunehmend ins Wanken, hat die Verblichene doch seiner ältesten Tochter Atlanta (benannt nach dem Schiff, auf dem sich der Professor und seine Frau vor vielen Jahren trauen liessen) ein Haus in Montevideo vermacht. Nach hartem Ringen mit sich selber (“Moral hat nichts mit Logik zu tun”) reist er mit seinem Freund Pastor Riesling und seiner Tochter nach Montevideo, um einen Augenschein auf das in Aussicht stehende Erbe zu werfen. Was er zusammen mit seinen Begleitern antrifft, scheint allerdings nicht ein gewöhnliches Haus, sondern ein derart sündhaftes Etablissement zu sein, dass das pure Chaos über den tugendhaften Nägler hereinbricht (er sieht sich sogar veranlasst, seine der “Unsittlichkeit” anheimfallende Tochter übers Knie zu legen).


Ein solches Erbe könnte doch niemand aus der Familie der Näglers antreten ---  niemals; es sei denn, es gelänge der Moral in Person, ihre Grundsätze durch ein paar kaum nachzuvollziehende geistige Windungen auf den Kopf zu stellen. Denn es besteht auch noch Aussicht auf ein beachtliches Erbe in Form von Bargeld. Dieses Erbe ist freilich an eine Bedingung geknüpft, mit der sich Näglers Schwester auf heimtückische Weise an ihrem hartherzigen Bruder rächen will, und die man schon gar nicht zu erfüllen gewillt ist - obwohl - obwohl - ja, obwohl Tochter Atlanta eigentlich gerade im richtigen Alter dafür wäre...

“Das Haus in Montevideo” quillt über von geistreichen, geschliffenen Dialogen, die Curt Goetz auf eine attackierende Art ausspielt, wie man es im deutschen Film sonst nie erlebte - und die das Wesen der Spiessbürgerlichkeit  dem Zuschauer so vorführt, dass er zu einem verstehenden Lachen angestachelt wird, welches durch die überdrehte Schlusspointe (sie soll hier nicht verraten werden) beinahe so etwas wie Erlösung erfährt. Hinzu kommen Situationskomik am laufenden Band (etwa der berühmte Spaziergang mit den Enten als Geleit, der Aufruhr der Damen in “Unterwäsche“ im vermeintlichen Sündenbabel in Montevideo) und eine formale Leichtigkeit, wie sie sonst nur von Hollywood-Komödien erwartet werden durfte. - Man könnte behaupten, Goetz sei ein wahrhafter Aufklärer gewesen, der eben nicht mit der Moralkeule arbeitete, sondern als Schalk, als Anarchist diese Moralkeule sezierte.

Wer die grosse, eines internationalen Kinos würdige Leistung eines Curt Goetz und seiner Mitspieler vollends verstehen will, sollte die Version von 1951 einmal mit der 1963 entstandenen Neuverfilmung von Helmut Käutner vergleichen, in der - ausgerechnet! - Heinz Rühmann und Ruth Leuwerik die Hauptrollen spielen. Karikiert Goetz den Spiessbürger mit seiner verlogenen Moral auf unnachahmlich witzige und doch seine Figur sympathisch erscheinen lassende Weise, wirkt Rühmann, der sich buckelnd ein Leben lang dieser "Moral" unterworfen hatte, mit seiner aufgesetzten Strenge wie eine Karikatur seiner selber. Es gelingt ihm und dem Filmliebchen der 50er Jahre nicht annähernd, an die herrlich doppeldeutige Frivolität des Goetz-Films anzuknüpfen. Goetz schuf grosses Kino; Käutner hingegen brachte mit Rühmann bloss "deutsches Kino" im durchschnittlichsten Sinne zustande.

Ein Anarchist aus der Schweiz; aus dem Land, das für seine Biederkeit, sein moralisches Getue und sein Bankgeheimnis bekannt ist. Man gestatte mir ein schweizerisch bescheidenes “Halleluja!”.

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Kleiner Nachtrag: Wenn man mich kritisiert, weil ich anstelle des deutschen “sz”s immer das bei uns gebräuchliche Doppel-s benutze, winde ich mich üblicherweise mit der Ausrede aus der Affäre, wir Schweizer hätten das “sz” 1939 abgeschafft, weil wir uns von den Nazis abgrenzen wollten. Curt Goetz würde auf unwiderstehliche Weise mit der banalen Wahrheit herausrücken: Wir hatten nämlich mittlerweile so viele Vokabeln mit der französischen Schreibweise übernommen, dass unsere Schreibmaschinen vor lauter “é”s, “è”s und "à"s keinen Platz mehr für das deutsche “sz” hatten; worauf wir es abschafften und zum Gegenstand einer Legende machte, die noch heute gerne überliefert wird.