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Freitag, 3. Dezember 2010

Japanisches Wagnis

Gegen Ende meiner Blogger-Ferien - es wird langsam zur üblen Gewohnheit - halten mir liebe Freunde den Revolver an die Schläfe und fordern ultimativ die Besprechung eines von ihnen bestimmten Films. Dieses Mal machen sie es mir besonders schwer; denn das Werk, mit dem ich um mein mehr oder weniger blühendes Leben kämpfen soll, stammt aus Japan - und jeder, der mich kennt, weiss, dass ich weder von der japanischen Kultur noch vom japanischen Film auch nur die geringste Ahnung habe. --- Immerhin: Für einmal liess man mir wenigstens ein paar  unbezahlbare anonyme  Informationen zukommen, die ich lediglich in ungelenke Sätze verpacken muss. Lassen wir uns also auf das japanische Wagnis ein! Es ist mein erstes und wird vermutlich auch für lange Zeit mein letztes bleiben...

Seisaku's Wife
(Seisaku no tsuma, Japan 1965)

Regie: Yasuzo Masumura
Darsteller: Ayako Wakao, Takahiro Tamura, Nobuo Chiba, Yuzo Hayakawa, Yuka Konno, Mikio Narita u. a.


Yasuzo Masumura (1924 - 1986) gilt in der westlichen Hemisphäre als einer der grossen Unbekannten des japanischen Kinos. Dies hat nur unwesentlich damit zu tun, dass über einige Details aus seinem Leben lediglich Spekulationen angestellt und manche seiner  Entscheidungen kaum nachvollzogen werden können. Es liegt vor allem daran, dass uns nicht mehr als ein Bruchteil seiner 58 Filme wenigstens mit englischen Untertiteln zugänglich ist, was es nahezu verunmöglicht, seine Bedeutung als Regisseur einer Übergangszeit  angemessen zu würdigen und Konstanten in einem offenbar äusserst vielgestaltigen, möglicherweise qualitativ höchst unterschiedlichen Werk auszumachen.

Masumura, der schon als Jugendlicher ein begeisterter Kinogänger war, brach sein Jura-Studium ab, um als Regieassistent bei Daiei arbeiten zu können.  Ein Stipendium ermöglichte es ihm später als erstem Japaner, in Rom unter Visconti, Fellini und Antonioni, mit dem er sich befreundet haben soll, Regie zu studieren. Nach seiner Rückkehr 1955 arbeitete er erneut bei Daiei, blieb dem japanischen Studiobetrieb auch weitgehend treu und drehte bis zu vier Filme im Jahr. - Bereits sein erster Film “Kisses” (1957), ein Misserfolg, lässt auf eine gewisse subversive Tendenz schliessen (das Zeigen von Küssen war im japanischen Film lange Zeit, genauer: bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verboten gewesen), und später bemühte er sich noch um wesentlich grössere Tabubrüche (etwa in "Manji", 1964, dem Film über eine lesbische Liebe), mit denen er sich von der Tradition lossagte, ohne sich je dem “Nuberu Bagu”,  der japanischen Nouvelle Vague, anzuschliessen (gerade seine Filme aus den 70er Jahren sollen im Gegenteil dem “Goldenen Zeitalter” des japanischen Films, den 50er Jahren,  immer wieder ihre Reverenz erwiesen haben). Er gehört also zu jenen Figuren einer Übergangszeit, die Filmemachern wie Oshima, der ihn sehr bewunderte, und Imamura den Weg ebneten, sie inspirierten. Zu seinen Merkmalen gehören ein ausgeprägtes soziales  Bewusstsein  (“In Japanese society, which is essentially regimented, freedom and the individual do not exist.”), das er, der westlich "Geschulte", mit grossem Engagement in seine Filme einfliessen liess, und die Darstellung eines übermässigen, oft sexuellen Begehrens, auf grausam schöne Weise zelebriert. - Dies sind in etwa die wenigen Dinge, mit denen sich selbst ein "Kenner" der Materie wie Jonathan Rosenbaum zufrieden geben muss, weshalb die Bewertung des Regisseurs, in dem sich die “Energien des Umbruchs” bündeln, so unterschiedlich ausfällt: Während die einen ihn für den - vermutlich neben Mizoguchi, seinem Mentor,  Ozu und Kurosawa - "vierten grossen Meister des japanischen Films" halten, betrachten ihn die anderen lediglich als überschätzten Handwerker des Studiosystems, als Regisseur von B-Filmen (obwohl doch diese westlichen Kategorien sich auf das Kino Japans gar nicht anwenden lassen).

Die 60er Jahre gelten als das Jahrzehnt, in dem Yasuzo Masumura seine besten Werke drehte; es sind auch die Jahre seiner Literaturverfilmungen. “Seisaku’s Wife” ist eine von ihnen. Die Geschichte,  derer sich 1924 bereits  Murata Minoru angenommen hatte, ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts, am Vorabend des Russisch-Japanischen Kriegs angesiedelt: Die junge Okane, Tochter eines verarmten Hafenarbeiters, hat sich mit einem älteren wohlhabenden Mann verheiratet, um sich und ihrer Familie eine finanzielle Absicherung zu ermöglichen. Als ihr Gatte, ein fordernder, sie ständig an seine Grosszügigkeit erinnernder Widerling, bei einem Unfall ums Leben kommt, wird die “Mätresse” die von ihm schon ausreichend mit Kimonos versorgt worden sei, von der Familie mit einer kleinen Geldsumme abgespiesen. Die junge Frau kehrt zu ihren Eltern zurück, und als auch ihr Vater stirbt, verlangt die Mutter - weinerlich  und stets nur auf ihre eigenen Interessen bedacht - die Rückkehr ins Dorf, aus dem sie, das verarmte Pack, einst vertrieben worden waren.

Nun erst beginnt der eigentliche Film, den man - allerdings keineswegs im abwertenden Sinne - als Heimatfilm bezeichnen könnte. Ein paar wenige Bilder vermitteln uns eine Ahnung von dem abgeschiedenen Ort, an dem sich das zukünftige Geschehen abspielen wird: ein Weg, eine Brücke, der Berg, dem wir immer wieder begegnen werden,  ärmliche Häuser - und schon sieht man die Weiber, die beim Waschen einer Kuh am Fluss über die Zurückgekehrte lästern. Einst sei sie verjagt worden, jetzt bilde sie sich etwas ein auf ihre vielen Kimonos und ihr Vermögen. Man werde sich auf keinen Fall mit ihr abgeben, sondern ihr, der abgeschieden Lebenden, weiterhin die kalte Schulter zeigen. Ähnlich, wenn auch scheinbar gesitteter, äussern sich die Männer des Dorfs: Okane und ihre Mutter hätten ja gar kein Interesse am Dorfleben. Weshalb also sollte man sie in die Gemeinschaft aufnehmen? - Eine Verweigerng der Integration ins Kollektiv, wie sie einem in westlichen Heimatfilmen ebenfalls immer wieder begegnet, offensichtlich sogar universellen Charakter hat.

Kurz darauf findet auch eine ganz anders geartete Rückkehr ins Dorf statt: Seisaku, als Kriegsheld geehrt, wird von der Gemeinschaft mit jenem überbordenden Patriotismus empfangen, der beinahe den Eindruck erweckt, er, der “Vorzeigesoldat”, vermöge den Krieg ganz alleine zu gewinnen - und werde seinem Dorf Ehre machen. Seisaku jedoch selber stellt sich ein wenig über die Gemeinschaft: Er hat sich von seinem Sold eine handgefertigte Glocke machen lassen, mit der er die Leute jeden Morgen aus dem Schlaf reisst. Das Kollektiv begrüsst zu Beginn seine Idee, wirft dem Vorzeigesoldaten hinter dessen Rücken jedoch schon bald herrisches Gehabe vor.

Als Okanes Mutter stirbt, steht ausgerechnet Seisaku der jungen Frau bei und hilft ihr bei den Vorbereitungen für die Bestattung (eines jener mächtigen Bilder: man sieht im Hintergrund den kleinen Trauerzug vorüberziehen, dem die ferngebliebenen Bauern doch neugierig nachstieren). Seisaku und die sich bislang  abweisend gebärdende “femme fatale” Okane, die sich von jetzt an auch um einen geistig behinderten Cousin, ihren zukünftigen Beschützer,  kümmern muss,  kommen sich näher. Es entwickelt sich eine sexuelle Beziehung, die sich durch Okanes unstillbares Begehren nach Macht über den Körper des Mannes auszeichnet (sie wird zum ersten Mal geliebt, Seisakus Brust dient als Ersatz für die Gemeinschaft). - Seisaku, der eigentlich eine Frau aus dem Dorf hätte heiraten sollen, teilt seiner Familie mit, dass er mit Okane zusammenleben will, was natürlich auch zu seinem Ausschluss aus dem Kollektiv führt.

Das Glück der beiden Liebenden währt nicht lange: Schon bald wird Seisaku einberufen, weil er, plötzlich wieder zum umjubelten Vorzeigesoldaten geworden, beim Kampf um Port Arthur mitmachen soll. Als er nach einer Verletzung für ein paar Tage nach Hause zurückkehrt, sich jedoch schon bald wieder am Krieg beteiligen will, entschliesst sich Okane, die - mad, bad, and dangerous - nur mit den Waffen einer Frau kämpfen kann, zu einer unvorstellbaren Gräueltat, die letztlich beide zu “Outcasts” machen wird...

All dies - die Liebesgeschichte, die Kritik an einer über das Individuum bestimmenden Gesellschaft und einem überbordenden Patriotismus -  verpackt Masumura in 93 Minuten, was nicht zuletzt deshalb möglich ist, weil er  rasche Szenenwechsel bevorzugt, unvergessliche Bilder, die mehr zu sagen vermögen als tausend Worte, erzeugt (es scheint mir gelegentlich, man erkenne durchaus den Einfluss eines Antonioni, etwa wenn Okane von einer Erhöhung aus auf den Hafen hinunterblickt oder ihr Gesicht abwendend vor dem Haus sitzt) - und  mit harten Schnitten arbeitet (falls ich dem Film aufmerksam gefolgt bin, gibt es nur einen einzigen “Übergang”: Seisaku - seiner Frau langsam verzeihend - stellt sich vor, wie Okane nach ihrer Untat im Gefängnishof, wo sie eine überdimensionale Kette hinter sich her schleift, frieren muss, all dies hinter Rauchschwaden entstehend ). - Hinzu kommt eine überwältigende (auch westlich geprägte?) Musik, die von Anfang an Trauer und Unheil verkündet.

Ayako Wakao, die nicht nur zu einem festen Bestandteil von Masumuras Ensemble geworden war, sondern zu der er auch eine unfreiwillige Abhängigkeit entwickelte (er betonte mehrmals, das launische Wesen lasse sich kaum führen!), spielt eine Okane, die in jedem Augenblick des Films unter die Haut geht; möge man sie nun als Schweigende unter dem ersten Ehemann, als leidenschaftlich Begehrende und sich zu Beginn doch Verweigernde oder als Opfer eines Kollektivs sehen, das in einer grausamen Szene seine aufgestaute Wut an der endlich zur Verbrecherin Gewordenen auslässt, sie beinahe zu Tode prügelt. - Besonders faszinierend wirkt sie in der Schlussszene als das Feld beackernde Frau, die zu ihrem hilflos gewordenen Mann hinüberblickt: Bedeutet dieser Blick  nun Liebe oder Triumph, die Befriedigung, endlich bleibend die Macht über Seisaku erlangt zu haben? - Wer die Schauspielerin in dieser - offenbar einer ihrer besten - Rolle gesehen hat, möchte augenblicklich nach anderen Masumura-Filmen  wie “Akai tenshi” (1966) oder “Tsuma futari” (1967) greifen können.


Dass ich als Japan-Neuling zu “Seisaku’s Wife” unmittelbaren Zugang fand, hat sicher in erster Linie mit dem universellen Charakter des Films zu tun, den Motiven, denen man in jedem Film, in dem ein ausgestossenes Individuum einer Gemeinschaft - mit möglicherweise verheerenden Folgen - gegenübersteht (die "Gemeinschaft" nimmt oft die Mitte des Bildes für sich in Anspruch, während die Figuren oder zumindest die Gesichter der von ihr nicht akzeptierten Individuen symbolisch an den Rand gedrängt werden), begegnet. Vor allem aber liegt es auch an der für jeden westlichen Zuschauer nachvollziehbaren Umsetzung (die Lehrjahre in Italien?) dieser Motive. - Erstaunlich, dass Yasuzo Masumura - in Japan längst zum Kult-Regisseur geworden - vom Westen dennoch nicht entdeckt wird!