Sonntag, 4. Januar 2015

Ein rothaariger Engel, erregte Leuchttürme und lästige Audiokommentare: 2014 in einem persönlichen Rückblick



Und erneut ein Jahr voller Filme rum!

2014 bin ich wesentlich seltener ins Kino gegangen als in den beiden vergangenen Jahren. Das hat mehrere Gründe. Da wären zum einen temporäre finanzielle Engpässe, die einige Zeit lang meine Hemmschwelle für Kinobesuche etwas erhöhten. Zum anderen zog mich das Programm über recht lange Zeiträume nicht wirklich an: oft wochenlang blockierten deutscher Historien-Klamauk, französische FN-Werbespots (vulgo: Sommerkomödien), Curry-Duft und Indiewood-Stangenware die Kinos, die ich gemeinhin frequentiere. Einige potentiell interessante Filme kamen in Mitteldeutschland natürlich niemals an, oder ihre wenigen OmU-Vorführungen wurden in „praktische“ Frühnachmittagsvorstellungen verbannt.
Auch habe ich dieses Jahr kein Filmfestival besucht, oder zumindest kein „richtiges“: die Weimarer Asienfilmtage Taiwan–Japan im Lichthaus-Kino, offenbar eine einmalige Veranstaltung der Medienfakultät der Bauhaus-Uni, waren eher klein aufgestellt, wenngleich höchst sympathisch – ein kleiner filmischer Event-Höhepunkt des Jahres 2014. Des weiteren habe ich dieses Jahr nur sehr wenige aktuelle Filme in Lichtspielhäusern geschaut (16, im Gegensatz zu 42 im Jahr 2012 und 58 Stück 2013). Dafür vermehrt Aufführungen älterer Filme, darunter neun Keaton-, sieben Chaplin- und zwei Murnau-Filme.
Etwas unangenehm fiel mir auf, dass zumindest in meinem cinematographischen Einzugsgebiet (Mittelthüringen) die Kinokultur in den Vorführsälen selbst zunehmend verfällt. Damit meine ich nicht Popcorn-werfende Teenager in Multiplex-Kinos, sondern das, wie es so schön heißt, gepflegte, gesetzte und gutbürgerliche Publikum im Programmkino. Betont lautstark geäußerte Empörungen über die Gewalt zu DAS FINSTERE TAL, dümmliches Dauerkichern zu SANSHO DAYU und zu THE CAT AND THE CANARY, zornig gezischte Tiraden über diese miesen und manipulierenden Kommunisten zu KONEC SANKT-PETERBURGA, süffisant vorgetragene Versicherungen, was für ein dämlicher Käse das doch alles sei, zu JAWS und ein praktisch permanenter Flüsterteppich zu MAGIC IN THE MOONLIGHT. Der Audiokommentar trägt seinen Siegeszug in den Kinosaal. Schade.

Zwei aktuelle Filmtitel sind gerade gefallen – eine gute Gelegenheit, um nun also das Kino- bzw. Filmjahr 2014 Revue passieren zu lassen:


Die Top-10 2014

Unter ihnen befinden sich zwei direct-to-video-Produktionen: wirklich im Kino gesehen habe ich von der Liste nur zweieinhalb (IDA und DAS FINSTERE TAL – ALL IS LOST letztes Jahr in der Kino-Sneak, 2014 selbst nur auf DVD), den Rest auf DVD sowie über Presse-Screener und -Streamings.
Die ersten drei Filme teilen sich gleichrangig den Spitzenplatz und werden der Einfachheit halber alphabetisch aufgeführt.

1 ALL IS LOST (J. C. Chandor, USA 2013)
Wie ein guter Bourbon ohne Eis in einer Welt voller überkandidelter Mixgetränke. Ein puristischer Film ohne Dialoge, der wunderbar demonstriert, wie sehr sich ästhetische Wagnisse lohnen können.
(mehr meiner Gedanken zu diesem Film hier)

– IDA (Paweł Pawlikowski, Polen / Dänemark / Frankreich / UK 2013)
Teils Holocaust-Drama, teils Anklage gegen Antisemitismus, teils Hommage an die Polnische Neue Welle. Es ist jedoch der Entwurf eines Polens als universelle Jazz-Utopie, die diesen Film zu einer wahren Perle werden lässt.
(mehr zu diesem schönen Film in strengen Schwarzweißbildern habe ich hier auf diesem Blog schon geschrieben)

– PHOENIX (Christian Petzold, Deutschland 2014)
Die (nicht ganz) neue Mode des deutschen Jammerns über deutsche Opfer im Zweiten Weltkrieg wird in diesem wunderbaren Neo-Trümmerfilm auf wuchtige und befreiende Weise zerschlagen. Petzold will hier alles haben (Hitchcock- und film-noir-Hommage, großes Melodrama zum Mitfühlen, Identitätsspiel zum Mitdenken, delikat sublimierter Sadiconazista-Schocker) und kriegt auch alles – besonders eine Nina Hoss, die noch nie so gut war! Das Niveau, auf dem Diskussionen über diesen Film teilweise geführt werden (in etwa: „unrealistisch, natürlich würde er seine Frau wieder erkennen“), ist schier zum Verzweifeln. Beängstigend, aber in einem solchen Klima nicht wirklich verwunderlich, dass währenddessen revanchistische Historienpornos à la DER ÖNTERGANG dumm und dämlich gefeiert werden.
(mehr meiner fast grenzenlosen Begeisterung zu PHOENIX gibt es hier zu lesen)

4 SNOWPIERCER (Bong Joon-ho, Republik Korea / Tschechische Republik / USA / Frankreich 2013)
Die, ähm... „Gesellschaftskritik“ ist ungefähr so subtil und intellektuell ausgereift wie in METROPOLIS, doch die schiere Wucht der Bilder hat es auch in SNOWPIERCER wirklich in sich. Aus vielen wunderbaren Einzelszenen (das Sushi-Dinner, die Neujahrsschießerei, die Schulstunde etc.) und der großen Dynamik des brutal reduzierten Raumes entsteht etwas, das die relativ kleine Summe seiner Prämisse bei weitem sprengt.

5 DAS FINSTERE TAL (Andreas Prochaska, Österreich / Deutschland 2014)
Ein klassischer Western in einem unklassischen Setting. Das Genre ist einfach nicht tot zu kriegen – und das ist auch gut so.

6 POMPEII (Paul W. S. Anderson, Kanada / Deutschland / USA 2014)
Ein Fresko im wahrsten Sinne: kein „fotografischer“, sondern ein durch und durch „malerischer“ Film, der seine wunderbare Geschichte über eine paradoxe und unmögliche Männerfreundschaft sowie über eine gesellschaftlich zum Scheitern verurteilte Liebe über Klassengrenzen hinweg mit glasklarer und knochenharter Action, überlebensgroßem Melodrama und einer kleinen Prise Muskel-, Schweiß- und Lederoutfit-Fetisch flankiert. Auch ein humanistischer Film über den Kampf gegen das unumgängliche Schicksal.

7 THE WOLF OF WALL STREET (Martin Scorsese, USA 2013)
„Der Film eines freien Mannes“ – mit diesen Worten verteidigte einst Roberto Rossellini Chaplins A KING IN NEW YORK (den ich zugegeben selber schier fürchterlich finde). Auch THE WOLF OF WALL STREET fühlt sich wie der Film eines freien Mannes an, eines Meisters, der niemandem noch etwas schuldig ist und sich herausnimmt, ein monströses, massloses und dreistündiges Sleaze-Epos im Paul-Verhoeven-Autopilot-Modus herauszuhauen! Nicht nur wegen des Sex‘n‘Drugs-Inhalts Scorseses bislang vielleicht gewagtester Film, sondern auch, weil eine moralische „Lehre“ ausbleibt: die strafende oder milde Hand Gottes (bzw. Scorseses als dessen Stellvertreter auf dem Regiestuhl) erschlägt und erlöst hier niemanden. Ist dies eine Wende Scorseses zu reineren, „intellektuelleren“ Filmen?

8 GUTSHOT STRAIGHT (Justin Steele, USA 2014)
Direct-to-video, die Erste: Der wiedergeborene poverty-row-noir im direct-to-video- und Pseudo-Seagal-Actioner-Schafspelz.
(zu diesem hervorragenden neo-noir habe ich mich schon vor kurzem hier auf diesem Blog ausführlicher geäußert)

9 ENEMIES CLOSER (Peter Hyams, USA / UK 2013)
Direct-to-video, die Zweite: minimalistischer und aufs wesentlichste reduzierter Actionfilm mit beinhart inszenierten Kämpfen, der das maximale aus seiner simplen Prämisse zieht (ein paar Männer jagen sich nachts durch einen Wald). Schier grandios spielt Jean-Claude Van Damme als exzentrischer Bösewicht mit Wuschelfrisur und veganem Ernährungsplan auf: der Mann wird langsam aber sicher zu einem Schauspiel-Auteur.
(mehr meiner Gedanken zu diesem Film hier)

10 NEED FOR SPEED (Scott Waugh, USA / Philippinen / Irland / UK 2014)
Eigentlich ein völlig generischer Carsploitation-Film nach Schema F, dem statt 132 Minuten nur 90 Minuten Laufzeit mehr als gut getan hätten. Seine Stärken (mitreissende Verfolgungsjagden mit wenig CGI, Verzicht auf die „bro‘ness“-Dämlichkeit und stumpfsinnigen Familienparolen der FAST & FURIOUS-Filme) wären dann etwas deutlicher gewesen. Wirklich interessant ist sein deutliches Angebot, die Protagonisten als sozial gestörte und überverwöhnte Mittelstandsgören zu sehen. Fast nicht zu glauben und in einem solchen Mainstream-Film geradezu ungeheuerlich sind die Bilder gebrochener Männlichkeit am Schluss: der „Held“ liegt auf dem Boden, schaut zu einem phallisch geformten und von einem Zaun eingehegten Leuchtturm hoch, und beginnt zu weinen.
(mehr zu dieser bizarren Mischung aus Carsploitation und Momenten des Irrsinns gibt es aus meiner Feder hier zu lesen)

Für lobens- und erwähnenswert halte ich außerdem noch die bittersüß-sauere und melancholische Meditation über Liebe und Einsamkeit POLIZEIRUF 110: MORGENGRAUEN, die humorig-haarige, aber ernstgemeinte Variante des provinziellen Cop-Actioners WOLFCOP, die schauererregende Mockumentary THE SACRAMENT, den kurzweiligen Action-Klamauker bzw. Klamauk-Actioner BADGES OF FURY / BU ER SHEN TAN sowie den furiosen und explosiven THE RAID 2: BERANDAL.

Jetzt zu den weniger erfreulichen Filmen des Jahres...


Die Flop-10 2014

Den Spitzenplatz der Schande belegen vier Machwerke, die ich nicht nur als Filme für misslungen halte, sondern auch als zutiefst unethisch empfinde, weil sie ihren dezidierten Antihumanismus nicht offen ausstellen und zu ihm stehen, sondern narrativ und ästhetisch zu verschleiern versuchen. Geordnet sind sie nach absteigendem Grad persönlicher Empörung.

1 MATAR A UN HOMBRE (Alejandro Fernández Almendras, Chile / Frankreich 2014)
Wie paradox: ein Film, der das Vigilanten-Genre offenbar ausgerechnet in den Köpfen jener Leute rehabilitiert, die Michael Winner für den Stellvertreter Satans auf Erden hielten. Wo der Brite jedoch seine Filme eindeutig als delirierende Genre-Fantasien oder gar als dunkle Reise in die Gemütszustände eines Psychopathen konzipierte, hat Fernández ein auf „Arthouse“ getrimmtes Produkt geschaffen, das mit seinen penetranten Realismusstrategien gerne als Sozialdrama wahrgenommen werden möchte – und somit bereitwillig oder mindestens billigend in Kauf nehmend eine gefährliche, reaktionäre Gewaltfantasie salontauglich macht. Paul Kersey würde diesen Film lieben.

– FINDING VIVIAN MAIER (John Maloof, Charlie Siskel, USA 2013)
Mit John Maloof hat die geniale Straßenfotografin Vivian Maier einen denkbar schlechten Verwalter ihres Erbes „gefunden“. Der stets etwas zu selbstgefällig grinsende Kulturwissenschaftler will mit seinem Film hauptsächlich demonstrieren, wie cool er selbst ist, und was eine komische Frau Vivian Maier doch war: Kunstfotos schießen und dann nicht veröffentlichen? So was machen doch nur verrückte Freaks! Eine Meinung, die er sich dann in endlosen „talking heads“-Montagen von den ehemaligen Arbeitgebern und Schutzbefohlenen Maiers bestätigen lässt. Dabei erfahren wir mehr über selbstgerechte Klassenressentiments (neu)reicher Amerikaner als über Vivian Maiers Werk, das die Macher offenbar so oder so nicht interessiert. Arrogant, kunstfeindlich, borniert und mit einem repressiven Menschen- und Gesellschaftsbild ausgestattet.

– EINMAL HANS MIT SCHARFER SOßE (Buket Alakuş, Deutschland 2013)
Ein Pseudo-Multikulti-Machwerk, das in seinem schlichten Verständnis der Welt im Prinzip ganz gut zum CSU- oder AfD-Stammtisch passen würde. Das Politische ist privat, Gesellschaft gibt es eh nicht und das Ethnische determiniert alles: Kosmopoliten sind in diesem Universum entweder Vollidioten oder gestörte Neurotiker (ein Minirock um die Hüften, ein anatolisches Dorf im Hinterkopf). Als Beweis dafür, warum 35mm-Film billige Pixelwolken haushoch schlägt, ist der Film allerdings wunderbar.

– NEBRASKA (Alexander Payne, USA 2013)
Alexander Payne, Gallionsfigur und führender Zyniker des „Indiewood“-Kinos der falschen Gefühle um die immergleichen „schrulligen“ Figuren und dysfunktionalen Familien, präsentiert hier sein bisher „ultimatives“ Produkt. Humor gibt es wieder einmal nur, indem Figuren bloß gestellt (alte-Menschen-Witze) oder hochnäsig von oben herab behandelt werden (Redneck-Karikaturen im bequemen Selbstvergewisserungs-Modus) – und über die Frauenfiguren reden wir mal lieber nicht. Die billigdigitalen Bilder in Dunkelgrau-Hellgrau schreien zwar lauthals „Ich bin Kunst, nimm mich gefälligst wichtig!“, sind aber einfach nur hässlich.

der Rest – eher zufällig angeordnet

5 KVINDEN I BURET (Mikkel Nørgaard, Dänemark / Deutschland / Schweden 2013)
Der bemüht wuchtige deutsche Verleihtitel „Erbarmen“ bläst diesen miesen Krimi zu einer Dimension auf, die ihn noch lächerlicher erscheinen lässt. Pappfigürchen aus abgestandenen Klischees werden durch die to-do-Liste einer Schwedenkrimi-Karikatur gejagt – und zwischendurch gibt es kleine torture-porn-Einlagen gegen das Einschlafen.
(mehr „Begeisterung“ meinerseits gibt es hier zu lesen)

6 ENEMY (Denis Villeneuve, Kanada / Spanien 2013)
Gelbblenden sahen schon bei Soderbergh (und besonders MAGIC MIKE) so aus, als würde der Film durch eine Urinprobe hindurch fotografiert werden. Aber im Grunde passt das auch zu einem Werk, das die Bedrohungssituation seiner Prämisse (läuft ein Doppelgänger durch die Gegend) lediglich behauptet und dem Zuschauer mit laut tönender Musik, krampfhaften Grotesk-Elementen und besagter Gelbblende einhämmern möchte.

7 MAPS TO THE STARS (David Cronenberg, Kanada / USA / Deutschland / Frankreich 2014)
Kasperletheater mit Kasperlefiguren, die im öden Schuss-Gegenschuss-Modus Expositions-Dialoge mit pseudoklugem Name-Dropping von sich geben. Mia Wasikowska runzelt ein bisschen die Stirn, Juliane Moore kann nur „hysterisch“ oder „katatonisch“ und John Cusack sieht aus, als würde er sehnsüchtig von seiner nächsten Rolle in einem kernigen DTV-Actionfilm träumen. Wahrscheinlich war MAPS TO THE STARS gerade aufgrund meiner Erwartungen und Hoffnungen die größte Enttäuschung des Jahres: der tolle COSMOPOLIS hatte nach der fürchterlichen Viggo-Mortensen-Trilogie schließlich einen neuen Aufschwung in Cronenbergs Karriere angekündigt. Stattdessen gibt es einen Film, der sich für mich ein bisschen wie Robert Aldrichs THE BIG KNIFE angefühlt hat, nur halt mit mehr als nur einem Handlungsort. Wir können nur hoffen, dass es mit dem nächsten Cronenberg-Film mehr in Richtung WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE? geht?

8 LE WEEK-END (Roger Michell, UK / Frankreich 2013)
Ein älteres britisches Ehepaar, das eine gute Steilvorlage für müde Witzchen über ältere Menschen abgibt, wird gelangweilt durch ein Klischee-Paris und durch eine Beziehungskrise mit Streit, Wiederannäherung dank „verrückter“ Streiche, neuer Krise und Wiederversöhnung gejagt. Jean-Luc Godard würde sich wohl die Augen aus dem Kopf reissen, wenn er die plumpe Hommage an ihn in diesem „Qualitätsfilm“ sähe.
(für meine etwas ausführlichere Abkanzelung dieser öden RomCom siehe hier)

9 MILLIONEN (Fabian Möhrke, Deutschland 2013)
Ein langweiliger Angestellter knackt den Jackpot und entdeckt dann, dass viel Geld nicht viel glücklich macht – oder: die Karikatur eines TV-Drämchens, das einen auf „gesellschaftlich relevant“ macht. Diesen Film direkt im Anschluss an den wunderbaren TENEBRE zu gucken, hat ihn natürlich nicht besser aussehen lassen.

À propos Dario Argento...

10 DRACULA 3D (Dario Argento, Italien / Frankreich / Spanien 2012)
Argento hat offensichtlich keine Lust mehr, Filme zu drehen, tut es aber dennoch – aus Gewohnheit oder weil er sich trotzig weigert, seine wohlverdiente Rente anzutreten. Statt kunstvoller Beleuchtung und barocker Gewalteffekte gibt es gelangweilt zusammengezimmerte Computerbilder. Trotz anderweitiger Behauptungen waren die Schauspielleistungen in seinen 1970er- und 1980er-Filmen immer recht gut. Hier jedoch ödet sich Thomas Kretschmann mit soviel Charisma wie der Protagonist von MILLIONEN durch die Titelrolle, während Rutger Hauer wohl beim Drehen an seinen Gehaltscheck, oder an die Zeit mit Paul Verhoeven oder an lustige Katzenbilder, sicherlich aber nicht an seine Van-Helsing-Rolle dachte. Dem ganzen setzt Unax Ugalde als Jonathan Harker die Krone auf: wie ein betrunkener Pausenclown grimmassiert er unkontrolliert vor sich hin, als wären die ganzen hölzernen Dialoge, an die er sich offenbar nur mühsam erinnert, so schrecklich lustig. Aber DRACULA 3D ist als filmischer Totalunfall nicht lustig, sondern furchtbar traurig.

Damit die Traurigkeit nicht Überhand nimmt, folgt nun das Herzstück meines cinematographischen Rückblicks auf das Jahr 2014. 


2014: mein persönlicher Kanon filmischer Entdeckungen

52 Filme für 52 Wochen.
Wie bei den vorherigen Listen kann ich mich auch hier nicht für nur einen Spitzenplatz entscheiden. Ich liste daher die ersten drei in der Reihenfolge der Sichtung.

1 KNIGHTRIDERS (George A. Romero, USA 1981)
Die politischen und sozial-ökonomischen Anliegen der Zombiefilme wird hier mit einer Gruppe von Mittelalterschaustellern auf Motorrädern noch radikalisiert – zu einem berührenden, humanistischen Film, der fast keinen Plot, aber dafür einen wunderbaren Flow hat.

– VENGEANCE IS MINE aka DEATH FORCE (Cirio H. Santiago, USA / Philippinen 1978)
Der ultimative Beweis für die enorme filmische und emotionale Kraft, die Exploitation-Kino haben kann.
(wesentlich mehr Worte zu diesem cinematographischen Schatz verfasste ich unlängst schon auf diesem Blog)

– THE WANDERERS (Philip Kaufman, USA 1979)
It was The Wanderers against the world... and the world never had a chance! Ich auch nicht...

4 PROFONDO ROSSO – italienische Integralfassung (Dario Argento, Italien 1975)
Nicht nur ein toller Film über „falsches“ Sehen und getrübte Erinnerung, sondern auch ein faszinierendes Spiel mit Geschlechterrollen. Mit einem tollen David Hemmings als Marcus, der nicht nur einen Mörder sucht, sondern auch seine Identität als Mann. Und die Musik, oh die Musik!

5 AN ANGEL AT MY TABLE (Jane Campion, Neuseeland / Australien / UK 1990)
Künstler-Biopics erzählen von ihren Subjekten oft mit dem Charme eines tabellarischen Lebenslaufes. Campion und Kerry Fox‘ Augen erzählen jedoch wirklich vom Leben, vom kreativen Schaffen und überhaupt von der Erfahrung entfremdeten Menschseins. Identifikation mit Filmfiguren ist so eine Sache, aber Kerry Fox' Janet Frame ist mir sehr ins Herz gewachsen.

6 KARLA (Hermann Zschoche, Deutsche Demokratische Republik 1965/1990)
Noch nie schien die Möglichkeit, von einem verlorenen Provinzkaff in ein noch verloreneres Provinzkaff zu ziehen, so befreiend.

7 SPETTERS (Paul Verhoeven, Niederlande 1980)
Begehren zwischen Motocross-Rennstrecke, Frittenbude und Bett. Verhoeven zeigt sich als melancholischer (wenngleich etwas verzweifelter) Humanist, der seinen Figuren viel mehr Brüche zumutet als die Moralapostel, die ihn niederschrie(b)en. Die heftigen Reaktionen auf diesen Film formten seinen Entschluss, in die USA zu gehen – in der Hoffnung, dort ohne Eklats arbeiten zu können... nun ja...

8 DERNIER DOMICILE CONNU (José Giovanni, Frankreich / Italien 1970)
Ein Film über eine frustrierende Vermisstensuche, die sich unendlich im Kreis dreht. Er enthält nicht nur die vielleicht brutalste, körperlichste und schmerzhafteste Faustkampfszene, die je auf Zelluloid gebannt wurde, sondern auch ein unendlich trauriges Ende: Inspektor Leonetti fährt nach getaner Arbeit niedergeschlagen und einsam nach Hause zurück. Die Musik verfolgt mich bis heute.

9 WIND ACROSS THE EVERGLADES (Nicholas Ray / Budd Schulberg, USA 1958)
Der wohl erste Backwood-Film und Öko-Thriller überhaupt. Das wüste Kollektivbesäufnis bringt das angespannte Vibrieren, das die ganzen Sumpfbilder prägt, schließlich zum Platzen.

10 JOSHUU 701-GÔ: SASORI (Itō Shunya, Japan 1972)
Kabuki meets Hollywood-Musical meets women-in-prison-Exploitation: eine wilde, wilde, wilde Achterbahnfahrt. Wie japanische Genre-Filme der 1970er das Cinemascope nutzen, um ihre Bilder teils komplett zu kippen (Fukasaku macht es auch), verblüfft mich immer wieder.

11 A FAREWELL TO ARMS (Frank Borzage, USA 1932)
Mein erster und bisher einziger Borzage, aber spontan würde ich sagen, dass er der bessere Sternberg ist, wenn es um malerische Lichtsetzung geht.

12 MAN WITHOUT A STAR (King Vidor, USA 1955)
Fast schon avantgardistisch in seinem völligen Verzicht auf jeglichen Plot: der Film lebt nur für jeden kleinen Moment, aber das mit Haut und Haaren. Kirk Douglas in der absoluten Blüte seiner Schauspielkunst ist dabei natürlich eine große Hilfe: er spielt einen Cowboy, der nach dem nächsten Stück Leben sucht, um sich daran zu laben. Ein steifer Drink, ein Banjo, eine schöne Frau – bloß kein Stacheldraht (LONELY ARE THE BRAVE war das passende inoffizielle Sequel).

13 WILD RIVER (Elia Kazan, USA 1960)
Ein wilder Strom, in der Tat! Würde aufgrund seiner Thematik mit WIND ACROSS THE EVERGLADES sicher ein tolles Double-Feature geben – oder mit Kazans anderem Meisterwerk SPLENDOR IN THE GRASS.

14 HANYO (Kim Ki-young, Republik Korea 1960)
Lust, Mord, nasse Fenster und purer Irrsinn.
(mehr aus meiner Feder zu diesem Wunderwerk, seinen Variationen und seinem Macher hier auf diesem Blog)

15 THE HITCHER (Robert Harmon, USA 1986)
Ob je ein Serienmörder im Film so zärtlich guckte wie Rutger Hauer?

16 BASIC INSTINCT (Paul Verhoeven, USA / Frankreich 1992)
Neo-noir im Kater-Modus: das Licht zu hell, die Luft zu schwül, das ganze Ambiente zu schmierig, die Musik zu prollig (aber irgendwie geil) und die Menschen machen und sagen komische, verwirrende Sachen.

17 IM STAUB DER STERNE (Gottfried Kolditz, Deutsche Demokratische Republik 1976)
Wüster, psychedelischer SciFi-Camp mit Kosmonauten und Marsianern auf Acid und in ledernen Fetischklamotten, die sie bisweilen ausziehen, um besser tanzen zu können – und das „made in GDR“.

18 HIROSHIMA MON AMOUR (Alain Resnais, Frankreich / Japan 1959)
Hat über Film und das Filmemachen wesentlich mehr zu sagen als über Hiroshima und die deutsche Besatzung in Frankreich – worüber wiederum er mehr zu sagen hat als die meisten anderen Filme.

19 CHEMIE UND LIEBE (Arthur Maria Rabenalt, Deutschland–SBZ 1948)
Screwball- und Industriespionagekomödie, die bisweilen so aussieht, als hätten sich Fritz Lang (diese assoziativen Bild-Ton-Überlappungen), Max Ophüls (diese ballettartigen Plansequenzen) und Sergej Eisenstein (diese furiosen Montagen) um den Regiestuhl geprügelt. Ein Blick auf AM ABEND NACH DER OPER zeigt dennoch, dass der biografisch problematische Rabenalt offenbar von Haus aus ein begnadeter Formalist war.

20 SATURDAY NIGHT FEVER (John Badham, USA 1977)
New Hollywood goes disco? Nein, eher Disco goes New Hollywood. Ein erstaunlich düsterer Film. Deshalb wirken die kleinen Portionen Fröhlichkeit wie Oasen in einer Wüste.

21 VERFÜHRUNG AM MEER (Jovan Živanović, Bundesrepublik Deutschland / Jugoslawien 1963)
Der erotischste Film, den ich dieses Jahr gesehen habe. Živanović verbindet mit den Mitteln der Neuen Jugoslawischen Welle die verführerische Elke Sommer, Peter van Eyck und die Landschaft der verlassenen Adriainsel so konzise zu einer untrennbaren Einheit, bis schließlich sogar die Wellen und das Steingeröll schwüle Erotik ausstrahlen.

22 INHIBITION (Paolo Poeti, Italien 1976)
Ich habe diesen Film etwas müde und leicht angetrunken gesehen: ideal, denn dann ist man ihm komplett ausgeliefert. Italo-Sleaze, der den Geist der völlig freien Form atmet, und jegliche Spur eines Handlungsfaden links liegen lässt. Stattdessen gleitet die Kamera durch Blicke und macht Liebe mit den Figuren. Und wer würde bei einem solchen Soundtrack nicht dahinschmelzen.

23 BUG (William Friedkin, USA / Deutschland 2006)
Ein Kollege bezeichnete Friedkin einst in einer sehr schönen Besprechung als begnadeten Formalisten, dem mit den Maßstäben des Erzählkinos nicht beizukommen sei. BUG ist in diesem Sinne ein archetypischer Friedkin-Film: Theaterverfilmungs-Kammerspiel als irrsinniger Höllentrip.

24 EMPEROR OF THE NORTH POLE (Robert Aldrich, USA 1973)
Als bizarrer Actionfilm über den verbitterten Herrschaftskampf um einen Zug richtig toll. Aber bei Aldrich gibt es immer noch viel mehr zu entdecken, wie bei diesen beiden schönen Reviews hier und hier zu lesen ist.

25 ZWARTBOEK (Paul Verhoeven, Niederlande / Deutschland / UK / Belgien 2006)
Jeder hat seine Gründe, sagte einst Renoir. Stimmt, sagt Verhoeven, aber sie sind oft nicht besonders schön.

26 L‘UOMO, L‘ORGOGLIO, LA VENDETTA (Luigi Bazzoni, Italien / Bundesrepublik 
Deutschland 1967)
„Carmen“, erzählt als Italowestern, in dem wilde Reisszooms, Unschärfen und elliptische Schnitte von der stürmischen Leidenschaft zwischen José (Franco Nero) und Carmen (Tina Aumont) künden.
(ein bisschen mehr von mir zu diesem Film und überhaupt zu Franco Nero hier)

27 KONEC SANKT-PETERBURGA (Vsevolod Pudovkin / Michail Doller, UdSSR 1927)
Weniger bombastisch, blockig und monumental als Eisenstein. Wesentlich freier atmend.

28 DONOVAN‘S REEF (John Ford, USA 1963)
Die Südsee als radikale soziale Utopie – und als ein unexotischer, weil völlig familiärer Ort. Das „exotische Fremde“ ist vielmehr die „zivilisierte“ Puritanerin aus Boston.
(Kluge Worte von Hans Schmid zu diesem so entspannenden wie entspannten und intelligenten Spätwerk Fords gibt es hier)

29 MATINEE (Joe Dante, USA 1993)
Rock‘n‘Roll kann Leben retten, sang einst Lou Reed. Und Film rettet die Menschheit vor der atomaren Apokalypse.

30 PARIS, TEXAS (Wim Wenders, Bundesrepublik Deutschland / Frankreich / UK / USA 1984)
Ein Acid-Western, der sich zum Acid-Roadmovie, dann zum Acid-Melodrama wandelt.

31 YOIDORE TENHSI (Kurosawa Akira, Japan 1948)
Wenn in China ein Sack Reis umfällt, macht sich gemeinhin Desinteresse breit. Wenn in Japan ein Topf mit weißer Farbe umkippt, ist das schon eine ganz andere Geschichte.

32 DER ROTE RAUSCH (Wolfgang Schleif, Bundesrepublik Deutschland 1962)
Im Grunde eine Art strukturelles Sequel zu Fritz Langs M: ein Triebmörder wird mit einer Gesellschaft am Rande der kollektiven Lynchhysterie konfrontiert. Da dies nun aber ein Nachkriegsfilm ist, entpuppt er sich zugleich als bittere, verklausulierte Abrechnung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihren Mördern.

33 OPERA (Dario Argento, Italien 1987)
Argento soll nicht mit Schauspielern umgehen können? Die Hauptdarstellerin, die Kamera, ist doch göttlich. Der Rabenflug Argentos schlägt meiner Meinung nach den Hummelflug Rimski-Korsakows – aber das ist natürlich eher metaphorisch als wörtlich zu verstehen.

34 FROM BEYOND (Stuart Gordon, USA 1986)
Splatter-Kammerspiel vom Feinsten.
(mehr Worte von mir zu diesem Film, den ich RE-ANIMATOR vorziehe, hier)

35 BLOOD SIMPLE (Joel Coen / Ethan Coen, USA 1984)
Vielleicht hat mich die wunderschöne und kuschelige Wärme einer 35mm-Kopie in exzellentem Zustand (Leihgabe eines Wiener Filmclubs!) einfach nur überwältigt. Oder die Tatsache, dass der Film eben nicht originell ist, sondern schlicht nur perfekt getimetes noir-feeling bietet – mit einem Schuss Giallo am Ende.

36 SKIDOO (Otto Preminger, USA 1968)
Gilt gemeinhin als DER „baddie“ in der Preminger-Filmografie. Warum? Wie kann man bloß einen Film mit einer herrlichen Frau-in-der-Wohnung-verstecken-Szene, einer Mülltonnen-Ballett- und Song-Einlage auf LSD und komplett gesungenen End-Credits schlecht finden? Zumal derartig perfekt von einem Altmeister inszeniert.

37 DE NÅEDE FÆRGEN (Carl Theodor Dreyer, Dänemark 1948)
Carl Theodor Dreyer – Godfather of Biker Exploitation Movie!
(wem diese Erklärung zu wenig gibt und mehr über Dreyer erfahren möchte, sei auf diesen blogeigenen Artikel Manfreds verwiesen)

38 TREMORS (Ron Underwood, USA 1990)
Fred Ward, Kevin Bacon und Monsterwürmer – was braucht man denn mehr?

39 TIM FRAZER JAGT DEN GEHEIMNISVOLLEN MR. X (Ernst Hofbauer, Österreich / Belgien 1964)
Wallace-Abklatsch als inspirierter Reigen des Irrsinns.
(mehr Worte von mir zu diesem Film hier auf diesem Blog)

40 COONSKIN (Ralph Bakshi, USA 1975)
Some Like It Hotter!

41 IREZUMI (Masumura Yasuzō, Japan 1966)
„Ich habe gerade einen fürchterlichen, blutrünstigen japanischen Film gesehen“ – beklagte sich eine Ko-Zuschauerin nach der Vorführung ihrem Gesprächspartner am Mobiltelefon gegenüber. Ich hab was anderes gesehen: eine große Tragödie der fatalen Schicksalsschläge (bzw. einen japanischen noir im Gewand eines Kostümfilms).

42 VICKY CRISTINA BARCELONA (Woody Allen, USA / Spanien 2008)
Woody Allens formalistischster Film. Pedantische Off-Erzähler-Exposition und krampfhaft abgearbeiteter Plot wechseln sich mit luftig-leichter Atmosphäre und rauschhaftem Schwelgen ab – das Schwanken der Figuren zwischen lebensweltlichen Hemmungen und emotionaler Befreiung wird so nicht diskursiv, sondern formell greifbar.

43 LE GENOU DE CLAIRE (Eric Rohmer, Frankreich 1970)
Nach einem fürchterlichen Start mit LA COLLECTIONNEUSE verstehe ich (mich mit) Rohmer immer besser.

44 TENSPEED & BROWN SHOE (diverse Regisseure, USA 1980)
Ein witziges und frisches Spiel mit den Klischees des Trickbetrüger- und hard-boiled-Genres. Unglaublich, dass diese schöne TV-Serie mit Ben Vereen und Jeff Goldblum so rasch abgesetzt wurde.

45 DER VERZAUBERTE TAG (Peter Pewas, Deutschland 1943/1947/1951)
Poetischer Realismus made in Third Reich: ein Film, der den Nazis zu zärtlich war – und den späteren Beschützern von Jugend, Tugend und Vaterland ebenso.

46 THE LIMITS OF CONTROL (Jim Jarmusch, USA / Japan 2009)
Der ultimative Lackmustest für Jarmusch‘isten, der nur noch aus Rhythmus, Musik, ritualisierten Gesten und Details besteht.

47 THE WARRIORS (Walter Hill, USA 1979)
Extrem kompakt, reduziert, quasi abstrakt, auch ein bisschen kalt – fast wie eine Versuchsanordnung. Aber so ein Chemiebaukasten übt nicht umsonst große Faszination aus (besonders, wenn er in die Luft geht).

48 THE STUNT MAN (Richard Rush, USA 1980)
Die Achterbahnfahrt aus Slapstick-Komödie, Paranoia-Thriller, Film-im-Film-Film und Melodrama ist schön. Doch das Sahnehäubchen ist Peter O‘Toole als dandyhafter Halbgott-Regisseur, der durch sein Set schwebend mit Zuckerbrot und Peitsche um sich schlägt.

49 LIMONÁDOVÝ JOE ANEB KONSKÁ OPERA (Oldřich Lipský, ČSSR 1964)
Ein Slapstick-Western in Cinemascope und in gelb-viragiertem Schwarzweiss aus einem Land, das zwölf Jahre zuvor noch im stalinistischem Ausnahmezustand war: die bizarrsten Überraschungen kommen so oft aus dem Osten!

50 DE FEM BENSPÆND (Jørgen Leth / Lars von Trier, Dänemark / Schweiz / Belgien / Frankreich 2003)
Als Gedankenspiel über die Befreiung von Kunst durch ihre radikale Beschränkung wohl wesentlich fruchtbarer als das Dogma-Manifest.

51 LIEBE ’47 (Wolfgang Liebeneiner, Deutschland–britische Besatzungszone 1949)
Ausgerechnet einer der größten Nazi-Mitläufer wirft Zuschauern, die an Selbstvergewisserung à la IN JENEN TAGEN gewöhnt waren, die Kriegsbegeisterung und die ganz realen Nazis ins Gesicht.

52 UN DRÔLE DE PAROISSIEN (Jean-Pierre Mocky, Frankreich 1963)
Faszinierend, wie Mocky seinen eigentlich heuchlerischen Protagonisten (adelig, aber verarmt, klaut professionell Geld aus Spendenboxen in Kirchen) zum Helden und zum Kämpfer gegen die Symptome einer Existenz macht, deren Problematik er aus lebensweltlicher Beschränktheit nicht erkennt.

Wozu ich meine freie Zeit im Jahr 2014 unter anderem auch genutzt habe: mehr oder minder berühmte Film-Franchises nachholen, die bisher noch nicht gesehen hatte (bis auf den ersten DIE HARD alles Erstsichtungen).


Berühmte Filmreihen – nachgeholt

DIE HARD

– DIE HARD (John McTiernan, USA 1988)
Zum vierten oder fünften Mal gesehen: immer noch unschlagbar gut.

– DIE HARD 2 (Renny Harlin, USA 1990)
Ein netter Actionfilm, nicht mehr und auch nicht weniger. Ihm fehlt auf der einen Seite das ruhige Erzählen des ersten Teils in seiner schönen Exposition (oder besser gesagt: seinem „Aufwärmen“) und andererseits dessen Dringlichkeit.
(für eine alternative Sicht siehe diese schöne, leidenschaftliche Verteidigung eines Renny-Harlin-Fans)

– DIE HARD: WITH A VENGEANCE (John McTiernan, USA 1995)
McTiernans effektvolle Regie knüpft fast wieder an die Qualität des ersten Teils an, und es war wieder mal Zeit für einen Bösewicht mit deutschem Akzent.

– LIVE FREE OR DIE HARD (Len Wiseman, USA / UK 2007)
Zweifelsohne die größte Überraschung bei meinem kleinen DIE HARD-Durchgang! Alles an ihm schrie „seelenloses Sequel zum Zuschauer-Abmelken“, und Wiseman war im Hinterkopf als der Regisseur abgespeichert, der genau letzteres beim fürchterlichen und inkompetent inszenierten TOTAL RECALL-Remake gemacht hat. Stattdessen trägt McClane seine analoge Badass‘igkeit erfolgreich in das Internetzeitalter hinüber und kämpft sich durch erstaunlich gut inszenierte Actionsetpieces hindurch.

– A GOOD DAY TO DIE HARD (John Moore, USA 2013)
Allerdings immer ein schlechter Tag, um diesen Mist zu gucken!


STAR WARS

– STAR WARS (George Lucas, USA 1977)
Der Western.
Lucas verbeugt sich vor Kurosawa und Ford, und zweifelsohne sind der erste Teil und besonders die Szenen in der intergalaktischen Frontier-Stadt schier großartig. Toll auch, wie Chewie Han Solos griechischer Chor und externalisierter Gefühlshaushalt in einem ist. Geruch und Weichheit seines Fells sind fast spürbar, wie überhaupt der Film größtenteils sehr sinnlich und taktil ist.

– THE EMPIRE STRIKES BACK (Irvin Kershner, USA 1980)
Der Universal-Gothic-Film.
Warum so viele Fans ausgerechnet diesen Teil als den stärksten der Reihe sehen, ist mir ein Rätsel. Das erste Drittel ist ein Expositionsklotz, in dem die Figuren fast eine Dreiviertelstunde lang „Hallo, hier bin ich wieder“ rufen. Dann kommen wir endlich bei Yoda an, dessen Lebensumgebung einem Universal-Studioset aus den 1930er nachempfunden zu sein scheint: dunkler Wald, viel Nebel, herrlich atmosphärisch.

– RETURN OF THE JEDI (Richard Marquand, USA 1983)
Der Troma-Exploiter.
Jabbas Höhle mit dem unförmigen Gastgeber, der überdrehten Atmosphäre des Irrsinns, dem wüsten Dekor und der latenten Gewalt sieht wie die intergalaktische Partnerstadt von Tromaville aus. Die Handlung und die Ästhetik passen sich an: fast totaler Kontrollverlust, bei dem das Auftauchen der Ewoks nicht wirklich Abhilfe schafft – und irgendwie ist das ganz sympathisch. Der Höhepunkt der Reihe!


THE LORD OF THE RINGS

Mit den Erwartungen oder den Nicht-Erwartungen ist das so eine Sache... Wirkliches Interesse an der Mittelerde-Saga an sich hatte ich noch nie. Die Neugier auf die Frage, warum denn so viele Menschen von „Meisterwerk“ und „größte Filme aller Zeiten“ und anderen Superlativen sprechen (und zwar in aller Regel so, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt), war verhältnismäßig sogar größer. Ein guter Freund, der mich immer wieder bei Treffen und Telefonaten mit Hinweisen auf diese Franchise nervte und mir unterstellte, ich hätte von Filmen ja überhaupt keine Ahnung, wenn ich „Herr der Ringe“ nicht kenne, hat mit seiner Penetranz irgendwann das Fass zum Überlaufen gebracht: Scheiben raus aus der Stadtbücherei, rein in den Player!

– THE FELLOWSHIP OF THE RINGS (Peter Jackson, USA / Neuseeland 2001)
Ein Vokuhila mit Grinsegesicht und ein blütenreiner Held brechen zu lustigen Abenteuern auf. Bleiben als interessante Charaktere nur Sméagol (war der überhaupt im ersten Teil? – für mich verschwimmt das irgendwie alles) und Boromir: die beiden einzigen zwei Figuren, bei denen nicht beim ersten Anblick schon klar ist, worauf die hinauslaufen. Leider ist Sméagol ein Pixelklumpen, und Boromir stirbt, bevor er überhaupt für so etwas wie einen Konflikt sorgen kann...

– THE TWO TOWERS (Peter Jackson, USA / Neuseeland 2002)
Boromir ist tot und Peter Jackson schindet noch mehr Zeit, indem er die „und was im letzten Teil passierte“-Erklärungen auswalzt. Sam stellt sich langsam aber sicher als der eigentlich treibende Protagonist heraus – und wie er Vokuhila immer als „Frodo-Sir“ bezeichnet, ist schon ziemlich gruselig. Gruseliger als der Pixelklumpen, der die beiden begleitet.

– THE RETURN OF THE KING (Peter Jackson, USA / Neuseeland 2003)
Sméagol ist der eigentliche tragische Held der Reihe. Die einseitige Rezeption seiner Gollum-Dimension macht deutlich, wie stark viele Fans auf simple Eindeutigkeiten setzen – wofür Peter Jackson im Grunde nichts kann. Einige Bilder zu Beginn dieses Teils deuten darauf hin, wie Sméagol, gespielt von einem richtigen Schauspieler in Makeup, hätte aussehen können: nämlich richtig interessant. Stattdessen gibt es Pixelklumpen (dafür wiederum kann Jackson etwas). Und Lauftzeitschinden in wahrhaftig epischer Dimension. Die Tendenz, auch wirklich alles zu Tode erklären zu müssen, wird im Schluckauf-Ende noch einmal richtig deutlich.

Ich will jetzt die „Herr der Ringe“-Reihe nicht als Prototyp eines neuen seelenlosen Blockbuster-Kinos verdammen. Mir hat sie aber jedenfalls jenseits einiger vereinzelt netter Momente kaum etwas Positives gegeben, dafür aber viel Ödnis in einer Gesamtlaufzeit, die eigentlich für sechs Filme reicht. Als Exploitation-Filmemacher im Low-Budget-Bereich und zärtlich-humoristischer Poet des „New Queer Cinema“ ist mir Peter Jackson jedenfalls lieber.
Besagtem Freund geht es übrigens gut. Und er belästigt mich nun seltener mit Mittelerde, seitdem er weiß, dass ich die Filme gesehen habe. Alles gut.


PLANET OF THE APES

Nur noch schwache Bilder von irgendetwas mit „Planet der Affen“, das über den Bildschirm im Wohnzimmer meines Großonkels flatterte. Es war vermutlich eine Episode der TV-Serie. Nun also (mindestens 20 Jahre später) die klassische Franchise komplett.

– PLANET OF THE APES (Franklin J. Schaffner, USA 1968)
Stimmt: das erste Drittel wirkt stellenweise fast schon verspielt-experimentell. Und die irre Parodie einer HUAC-Sitzung (Autor Michael Wilson war in den 1950er Jahren „geschwarzlistet“) zeigt das Potential von Filmen, die sich gegenüber ihren literarischen Vorlagen Freiheiten nehmen.

– BENEATH THE PLANET OF THE APES (Ted Post, USA 1970)
Ausbrechende Illusionsfeuer und telepathische Atombombensektierer: sympathischer Quatsch, kurzweilig und effizient inszeniert.

– ESCAPE FROM THE PLANET OF THE APES (Don Taylor, USA 1971)
Die Affen entdecken eine Zivilisation, die wir aus heutiger Sicht als Museum der 1970er betrachten können, zumindest von der Mode und der Musik her. Der daraus entstehende Kulturclash macht diesen Teil zum wohl zweitbesten der Reihe, zumal die Figuren Cornelius und Zira die größte emotionale Fallhöhe entwickeln, die in der Franchise überhaupt zu sehen ist.

– CONQUEST OF THE PLANET OF THE APES (J. Lee Thompson, USA 1972)
Die Atmosphäre der bedrückenden, latent gewalttätigen Dystopie ist das Highlight dieses Films, der dramaturgisch jedoch arg auf die Schnauze fällt (eine zweite Sichtung würde sich allerdings vielleicht anbieten?).

– BATTLE FOR THE PLANET OF THE APES (J. Lee Thomspon, USA 1973)
Das Problem ist nicht, dass alles albern oder stumpfsinnig generisch ist, sondern dass sich alles egal anfühlt.
TAKEN

Franchise-Nachholen als Vorbereitung zur Pressevorführung:

– TAKEN (Pierre Morel, Frankreich / USA / UK 2008)
Eine amerikanophile französische Aneignung des Rache-Actionfilms, die man problemlos geradlinig sehen kann (ein Ex-Geheimdienstler sucht nach seiner von albanischen Mafiosi entführten Tochter). Oder auch doppelbödig: ein frustrierter Mann, der als Familienvater vollkommen versagt hat und im Grunde ein ziemlich armes Würstchen ist, geht mit der ganzen Arroganz US-amerikanischer Interventionswut in die Fremde, um seine Vorurteile auszuleben und seine Gewaltimpulse abzureagieren.

– TAKEN 2 (Olivier Megaton, Frankreich 2012)
Das Doppelbödige des ersten Teils wird zu einem reinen Plot-Element (wer rächt die Geschädigten des Rächers?), und der Film selbst zu einem straighten Actioner umgewandelt, der zumindest ab und zu das Niveau halbwegs ansehnlicher direct-to-video-Stangenware erreicht.

– TAKEN 3 (Olivier Megaton, Frankreich 2015)
Direct-to-video-Stangenware, unteres Niveau. Forest Whitaker ödet sich durch den Film, aber Liam Neeson scheint immer noch Spaß zu haben, was das ganze zumindest vor dem kompletten Absaufen rettet – zumal bei einer solch verwackelt-zerhäckselten und inkompetenten Actioninszenierung. Ein vierter Teil ist zu befürchten.


Da wir gerade bei Filmen in Plural sind: zum Abschluss meines Rückblicks ein kleines Angebot an ausprobierten und als sehenswert empfundenen Double-Features:


Tolle Double-Features, ausprobiert 2014: 10 Vorschläge

Una lunga serata gialla dei piaceri e della morte
– SETTE NOTE IN NERO (Lucio Fulci, Italien 1977)
– 7, HYDEN PARK: LA CASA MALEDETTA (Alberto De Martino, Italien 1985)

Fremde Länder, fremde Fauna
– THE THIEF OF BAGDAD (Raoul Walsh, USA 1924)
– TREMORS (Ron Underwood, USA 1990)

Spitz, scharf und saftig: ein Exploit-evening
– THE DRILLER KILLER (Abel Ferrara, USA 1979)
– EMMANUELLE (Just Jaeckin, Frankreich 1974)

Western: (k)ein US-amerikanisches Genre
– FUK SAU / VENGEANCE (Johnnie To, Hong Kong / Frankreich 2009)
– IL MERCENARIO (Sergio Corbucci, Italien / Spanien 1968)

Gefangen im Tropenparadies
– HEAVEN KNOWS, MR. ALLISON (John Huston, USA 1957)
– THE BIG BIRD CAGE (Jack Hill, USA / Philippinen 1972)

Fluchten aus der mentalen Provinz 
– LES PETITES FUGUES (Yves Yersin, Schweiz / Frankreich 1979)
– COMING OUT (Heiner Carow, Deutsche Demokratische Republik 1989)

Daddy, mommy, issues
– KISEI JUI – SUZUNE: GENESIS (Kaneda Ryu, Japan 2011)
– PSYCHO (Alfred Hitchcock, USA 1960)

Erzählungen aus dem Gefängnis
– UN CONDAMNÉ À MORT S‘EST ÉCHAPPÉ (Robert Bresson, Frankreich 1956)
– LIK WONG / STORY OF RICKY (Lam Ngai Kai, Hong Kong / Japan 1991)

Maritime Entspannungen
– MOBY DICK (John Huston, USA 1956)
– LES VACANCES DE MONSIEUR HULOT (Jacques Tati, Frankreich 1953)

Zart, hart, Mann, Frau, Liebe, Kampf
– EMPEROR OF THE NORTH POLE (Robert Aldrich, USA 1973)
– HEAVENLY CREATURES (Peter Jackson, Neuseeland / Deutschland 1994)

So... nach diesem Rückblick sind die Sinne für 2015 geschärft. Auf viele spannende Filme im neuen Jahr!