Dienstag, 21. Dezember 2010

Whoknows' Weihnachtsfilm

Eigentlich wollte ich keinen Weihnachtsfilm besprechen. Denn, ach, was werden sie nicht jährlich durchgekaut, diese Warnungen vor dem Licht im Dunkeln, das lediglich unsere Brieftaschen leert und zu Streitereien führt, weil wir eine derartige Ansammlung von Feiertagen gar nicht ertragen - von "A Christmas Carol" (1938) über "The Bishop's Wife" (1947) bis hin zu "The Nightmare Before Christmas" (1993) und "Love Actually" (2003)! - Doch dann erschien mir nächtens (vielleicht war ich auch nur besoffen) ein Engel und sprach also zu mir: "Gebenedeit bist du unter den Bloggern, Whoknows! Siehe: Der Herr hat dich auserkoren, über einen Weihnachtsfilm zu schreiben, der üblicherweise gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Und nun hurtig: Klemm dich in den A***h, bevor ihn dir mono.micha (woher kennen die himmlischen Heerscharen den alten Schlawiner bloss?) für seinen Schweizer-Film-Marathon vor der Nase wegschnappt!" - Na schön, dachte ich, ist immer noch besser als eine Jungfrauengeburt...


Gilberte de Courgenay
(Gilberte de Courgenay, Schweiz 1941)

Regie: Franz Schnyder
Darsteller: Anne-Marie Blanc, Erwin Kohlund, Heinrich Gretler, Ditta Oesch, Rudolf Bernhard, Jakob Sulzer, Hélène Dalmet, Zarli Carigiet, Max Knapp, Schaggi Streuli u.a.

Wer je mit der Bahn von Delémont aus Richtung Porrentruy in die Ajoie, jene seltsame nördliche Ausbuchtung der Schweiz gegen Frankreich hin, gefahren ist, darf sich rühmen, das grenznahe Dörfchen Courgenay kennen gelernt, vielleicht sogar einen Blick auf das Hôtel de la Gare erheischt zu haben, das dank eines Films beinahe zur Legende wurde. In diesem “Hôtel” arbeitete zur Zeit des Ersten Weltkriegs die junge Gilberte Montavon und bewirtete Tausende  Soldaten und Offiziere, die sie und ihr freundliches Wesen schwärmerisch verehrten. Der Bänkelsänger Hanns in der Gand komponierte sogar ein Lied, das der berühmten “Gilberte de Courgenay” gewidmet war.

Nach dem Abzug der Truppen im Sommer 1918 kehrte in Courgenay wieder Ruhe ein, und auch die berühmte Wirtstochter geriet langsam in Vergessenheit. Doch während des Zweiten Weltkriegs erfuhr sie als Vorbild für die “Geistige Landesverteidigung” eine unerwartete Renaissance und wurde zur Idealgestalt einer Soldatenfürsorgerin erhoben. Im Jahr 1939 erschienen ein Roman und ein darauf beruhendes Theaterstück, das in mehreren Schweizer Städten sehr erfolgreich aufgeführt wurde. - Der Stoff bot sich, dies erkannte Lazar Wechsler, Produzent der Praesens-Film gleich, förmlich für eine vom Nationalfonds geförderte Verfilmung an. Wechsler hatte jedoch den Unmut patriotischer Kreise auf sich gezogen, weil er die Regie für den ersten Schweizer Propaganda-Film, “Füsilier Wipf” (1938, mit Paul Hubschmid, der sich später je nach Angebot Hollywood oder den Nazis zur Verfügung stellte, ohne je ein bedeutender Schauspieler zu werden, in der Titelrolle),  dem Ausländer Leopold Lindtberg übertrug. “Gilberte de Courgenay” gehörte, dies galt als Voraussetzung für eine Förderung, in die Hände eines Schweizers - und als Wunschkandidat bot sich der junge Theaterregisseur Franz Schnyder an, der später als Verfilmer von Gotthelf-Romanen in die Geschichte des Schweizer Films eingehen sollte - und von mir an anderer Stelle “gewürdigt” wurde. Erst kurz vor den Dreharbeiten 1941 liess sich General Guisan, der dem Projekt skeptisch gegenüberstand, dazu überreden, Truppen für die Soldatenszenen zur Verfügung zu stellen.

“Gilberte de Courgenay” erzählt eine gradlinige, selbstverständlich fiktive Geschichte: Im Winter 1915/16 quartiert sich eine Artilleriebatterie in Courgenay ein. Die Soldaten (darunter mehrere Schauspieler wie Zarli Carigiet oder Schaggi Streuli, die später zu nationalen Berühmtheiten aufstiegen) denken, der Krieg sei bis Weihnachten beendet und sie könnten rechtzeitig zu ihren Familien zurückkehren. Um ihre Enttäuschung zu lindern, organisiert die junge Gilberte, die ihnen schon kurz nach der Ankunft eine deftige Berner Platte - Sauerkraut, Würste, Speck, Kartoffeln - aufgetischt hatte, für sie ein Weihnachtsfest, das - schmacht! - jeder Hollywood-Schnulze Konkurrenz zu machen vermag  - und steigt rasch zum Frauenideal der “Geistigen Landesverteidigung” überhaupt, dem besten Beispiel für die uneigennützige Einsatzbereitschaft der Frau im Dienste der Armee, auf. - Sie kümmert sich um die Sorgen der Männer, auch um die von Kanonier Hasler, den sie heimlich liebt - und auf den sie am Ende vorbildlich verzichtet.

Franz Schnyders Erstling, in dem die Vorgesetzten mit Ausnahme des Fouriers nette Kerle sind und ihre Soldaten die meiste Zeit im “Hôtel” herumsitzen lassen (eine Darstellung, die ich, der ich als Schweizer Wehrmann doch auch eine gewisse Zeit in der Ajoie verbrachte, so nicht unterschreiben kann), erhielt mässige Kritiken, wurde jedoch zum Publikumserfolg und gilt heute wohl als DER Klassiker unter den Filmen zur “Geistigen Landesverteidigung”. Dies verdankt er vor allem jener jungen Schauspielerin, die der Gilberte ein Gesicht verlieh und mit dieser Rolle sogleich den Höhepunkt ihrer (filmischen) Karriere erreichte: Anne-Marie Blanc (1919-2009) hatte zwar schon in einzelnen Filmen mitgespielt (etwa Lindtbergs Verfilmung von Gottfried Kellers Novelle “Die missbrauchten Liebesbriefe”, 1940), ihre Darstellung als ebenso charmante wie rührende Gilberte sollte sie jedoch bis an ihr Lebensende begleiten. Obwohl Anne-Marie Blanc auch vereinzelt Rollen in ausländischen Filmen annahm (sie spielte etwa Hedwig Pringsheim in “Die Manns - Ein Jahrhundertroman”, 2001), blieb sie dem Schweizer Film treu, schlug sogar einen Siebenjahresvertrag aus Hollywood aus. Dass sie sich stattdessen mit Rollen in vergessenswürdigen Machwerken wie “Palace Hotel” (1952) oder “Klassezämekunft” (1988) begnügte, dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass sie, die Autodidaktin, eine passionierte Bühnendarstellerin blieb und neben Therese Giehse und Maria Becker als dritte “Grande Dame” in die Geschichte des Zürcher Schauspielhauses einging, immer wieder in bedeutenden Uraufführungen mitspielen oder sich etwa in Peter Hacks Solostück “Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe” ausleben konnte. - Wenn man jedoch bedenkt, dass Billy Wilder in “One, Two, Three” (1961) aus der Schweizerin Liselotte Pulver eine durchaus beachtliche robuste Version der Monroe zu erschaffen vermochte, dann kommt man kaum umhin, in Anne-Marie Blancs stiller Eleganz etwas von Ingrid Bergman zu entdecken.

“Gilberte de Courgenay” wirkt gegenüber späteren Propaganda-Filmen für die Schweizer Armee wie dem primitiven “Achtung, fertig, Charlie!” (2003) noch immer liebenswert und mit Freude am Detail in Szene gesetzt, mag er auch etwas Staub angesetzt haben. Aber wer lässt sich von einer solch hübschen und fürsorglichen jungen Frau wie Gilberte schon nicht verzaubern? Und verdiente dieses holde Wesen nicht sein eigenes Lied, das  der Zuschauer natürlich auch im Film geniessen darf?




Ein solches Lied - nicht zuletzt ein Dank für das schöne Weihnachtsfest - sollte doch auch einmal unter dem heimischen Weihnachtsbaum gesungen werden. Es könnte die Glöcklein zum Wimmern und die Engel zum Kreischen bringen. - In diesem Sinne wünsche ich meinen Lesern


Donnerstag, 16. Dezember 2010

Kurzbesprechung: Driving Miss Daisy


Miss Daisy und ihr Chauffeur
(Driving Miss Daisy, USA 1989)

Regie: Bruce Beresford

In Gesprächen über unverdiente Oscars für den “Besten Film” wird zu meinem Erstaunen oft recht schnell an “Driving Miss Daisy” erinnert. Auf meine Nachfrage, weshalb man sich nicht lieber für einen pompös aufgemachten Schmachtfetzen entschieden habe, folgt eine Begründung, die ich zwar nachvollziehen kann, die aber meines Erachtens nicht gegen den Film als solchen spricht: Im Jahre 1989 hatte Spike Lee seinen epochalen “Do the Right Thing” gedreht, der sich boshaft mit dem Thema “Rassismus” auseinandersetzt - und war nicht einmal für den begehrtesten aller Oscars nominiert worden. Das “kleine Filmchen” über eine exzentrische Südstaaten-Lady und ihren Chauffeur, das am Rande auch von Rassismus handle, sei - so hiess es - hingegen gleich zum besten Film des Jahres gekürt worden.

Tatsächlich geht es in der Verfilmung eines Theaterstücks von Alfred Uhry um eine schwierige Beziehung, die über 25 Jahre heranreift und in eine zutiefst berührende, kaum ausgesprochene Freundschaft mündet: Als die nicht mehr taufrische, aber immer noch höchst resolute Miss Daisy ihren Wagen Ende der 40er Jahre unfreiwillig im Garten des Nachbarn parkiert, engagiert ihr Sohn für sie den Schwarzen Hoke Colburn als Chauffeur. Die Dame lehnt es zu Beginn strikt ab, sich von ihm überhaupt irgendwohin fahren zu lassen. Doch die Abmachung gilt: Sie kann mit dem Angestellten zwar umgehen, wie sie will; feuern kann sie ihn nicht. - Und so hält Hoke mit der ihm eigenen Höflichlichkeit durch, folgt ihr und zeigt ihr gelegentlich auch seine Grenzen auf. Nach und nach entwickelt sich über die Jahre und Jahreszeiten hinweg, von Kilometer zu Kilometer, in oft unbedeutenden Gesprächen so etwas wie Vertrautheit. Als die ehemalige Lehrerin entdeckt, dass ihr Chauffeur Analphabet ist, lehrt sie ihn das Lesen - und nach einem Anschlag auf die Synagoge von Atlanta erkennt die sich als liberale Jüdin bezeichnende Daisy, was Ausgrenzung  bedeutet und wohnt zusammen mit Hoke einem Vortrag des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King bei. - Am Ende des Films lässt sich die mittlerweile unter Altersdemenz leidende Frau im Heim von ihrem langjährigen Weggefährten füttern und weiss noch immer, wer er ist.

Es sind neben der ausnahmsweise wirklich passenden südstaatlich angehauchten Musik von Hans Zimmer die schauspielerisch bravourös dargebotenen kleinen, scheinbar alltäglichen Szenen, die den Film so sehenswert machen: ein Gespräch auf einem Friedhof, ein Lächeln in den Rückspiegel, ein Weihnachtsgeschenk, das die Lady ihrem Chauffeur mit der Bemerkung überreicht, es handle  sich um kein Geschenk, die tiefe Menschlichkeit und das ständige Beharren, man wolle ein Individuum bleiben und als solches akzeptiert werden.

Jessica Tandy, bekannt als starrsinnige Mutter in Hitchcocks “The Birds” (1963), sonst aber vor allem in Broadway-Inszenierungen zu sehen, wurde erst im Alter als einzigartige Schauspielerin entdeckt (“Cocoon”, 1985) und erhielt für ihre Miss Daisy einen verdienten Oscar. Neben dem wie immer hevorragenden Morgan Freeman als Hoke mit von der Partie: Dan Akroyd als Sohn Boolie.

Ich halte den Oscar für den kleinen, auch mit wunderschönen Bildern an die Herzen der Zuschauer klopfenden Film für mehr als berechtigt, weitaus berechtigter als die Statuen, die in den 80ern an verlogene Schwarten wie “Chariots of Fire” (1981) oder “Terms of Endearment” (1983) gegangen waren - und ich nehme dabei in Kauf, dass Hollywood eben noch nicht reif genug für “Do the Right Thing” war. - Vielleicht  ist “Driving Miss Daisy” schon beinahe ein Pflichtfilm für die Adventszeit: märchenhaft, jedoch nie  unangenehm überzuckert.


Sonntag, 12. Dezember 2010

Eben einer jener Geheimtipps...

A Little Trip to Heaven
(A Little Trip to Heaven, Island/USA 2005)

Regie: Baltasar Kormákur
Darsteller: Forest Whitaker, Julia Stiles, Jeremy Renner, Peter Coyote, Alfred Harmsworth u.a.

Die erste isländisch-amerikanische Co-Produktion wurde von den US-Kritikern nicht gut aufgenommen und gelangte zumindest im deutschen Sprachraum gar nicht erst in die Kinos. Mittlerweile stellt sich der ablehnenden Gruppe eine Schar enthusiastischer Fans entgegen, die den ursprünglichen Vorwurf, “A Little Trip to Heaven” wolle wie “Fargo” sein, mit der Floskel “als hätten sich die Coen-Brüder und David Lynch getroffen” kontert und den Film zum “Geheimtipp” erklärt. Man wundert sich ein wenig, dass Kormákur nicht gelegentlich als eigenständiger Regisseur betrachtet (schon im Zusammenhang mit “101 Reykjavik” ernannte man ihn zum Almodóvar Islands) und sein filmisches Schaffen entsprechend interpretiert wird.

Zur Handlung: Abe Holt ist Mitarbeiter beim Versicherungsunternehmen “Quality Life” und als “Schadensbegrenzer” dafür zuständig, dass Begünstigte mit allen denkbaren legalen und illegalen Mitteln (Überwachung, Druck etc.) um ihren Anteil geprellt werden. Als 1985 ein Mann bei einem Autounfall ums Leben kommt, bei dem es sich vermutlich um den gesuchten Trickbetrüger Kelvin Anderson handelt, wird die “Maschine” Holt auf einen “Wochenend-Trip” ins verschneite Nest Hastings in Minnesota geschickt, wo Kelvin’s Schwester Isold lebt, die im Fall seines Ableben Anrecht auf eine Million Dollar hat. Abe’s Aufgabe: Einen Versicherungsbetrug aufzudecken! - Er stösst auch rasch auf Unstimmigkeiten, lässt sich aber zunehmend in das triste Leben von Isold, die mit ihrem dubiosen Ehemann Fred und dem kleinen Thor in ärmlichsten Verhältnissen lebt, hineinziehen, vielleicht sogar in die traurige Atmosphäre jenes Städtchens, das man eigentlich nur verlassen möchte, um nie wieder zurückzukehren.

Obwohl die Handlung in Minnesota angesiedelt ist, wurde “A Little Trip to Heaven” zum grössten Teil in Island gedreht; und dies merkt man dem Film, hinter dem ein weitgehend isländisches Produzenten-Team und eine einheimische Crew stehen, auch an. Er wirkt mit seinen eigenwilligen Kamerapositionen, stilisierten Bildern und und schnellen Schnitten nicht so gefällig wie eine “glattgebügelte” amerikanische Mainstream-Produktion, lässt sich zum Widerwillen vieler Kritiker auch nicht ganz in ein herkömmliches Genre (Neo-Noir etc.) pressen. Wer dies nicht akzeptiert, gar Vergleiche mit amerikanischen Filmemachern heranzieht, verkennt die zunehmende Eigenständigkeit des isländischen Films in den letzten Jahren (ich denke neben den Werken von Kormákur etwa an “Englar alheimsins”, 2000, oder “Nói albinói”, 2003).

Es geht in “A Little Trip to Heaven” nicht in erster Linie um die eigentliche Story; deshalb die Logiklöcher und fehlenden Erklärungen. Die anfängliche äussere Brutalität (der Film beginnt mit einem Mord) wird rasch von einer inneren abgelöst, weil der Fokus auf die Figuren, ihre oft unausgesprochenen Beziehungen und die Umgebung, in der sie sich befinden, gelegt wird. Und die oft düsteren Bilder lassen auch erkennen: Hastings ist eine Art Vorhölle, ein Ort, an dem selbst die Farben ihre Farbe verlieren (man beachte die Wände der Dreckhütte, in der Isold lebt). Hier gibt es nichts Schönes; in dieser Gegend, die sich einem Schwarz-Weiss annähert, drückt man sich wie die fette Wirtin sogar beim Tanzen an einen Fremden, darauf hoffend, “etwas anderes” zu spüren. - Wer aber kann an so einem Ort ohne oft verheimlichte Schuld leben, weil er bloss an eines denkt: wie er seinem erbärmlichen Dasein entkommen kann ? Und passt Abe Holt, der Schadensbegrenzer, nicht genau hierher?


Die leeren Gesichter (selbst ein Lächeln von Julia Stiles wirkt leer) der Hauptfiguren zeigen es: Man ist zu jeder Brutalität fähig, kann der von Regengüssen und Schneestürmen dominierten Vorhölle Hastings (sie befindet sich auch im Versicherungsgebäude mit Abe’s zynischem Vorgesetzten) aber doch nicht entrinnen, weil man dafür längst zu schwach ist. Es sind die Umstände! - Der Zuschauer kann sich nicht mit den Figuren in diesem Film identifizieren, verstehen kann er sie wohl alle ein wenig - sogar Isold’s brutalen Mann. An diesem Ort hülfe nur ein Akt der Menschlichkeit, und der bietet sich dem ständig mit schwarzer Wollmütze herumlaufenden Holt (auch ein Mensch mit einem leeren Gesicht!) unerwartet an. Es gibt nämlich sogar in Hastings jene Unschuld, der er nicht so leicht zu widerstehen vermag: den kleinen Thor, der wissen möchte, ob es ein weiter Weg bis zum Himmel ist. Mit ihm legt sich Abe in den Schnee und formt “Engel mit Flügeln”, von ihm erhält er die Chance, aus seinem kleinen Trip nach Hastings einen vielleicht auch nur kleinen Schritt Richtung Himmel zu machen, ohne Rücksicht auf die “Quality Life”, deren heuchlerische Werbung immer wieder im TV zu sehen ist. Wird er diese Chance nutzen? Und wen dieser “Schuldigen” soll er dem kleinen Jungen mit auf den Weg in die Freiheit geben?

“A Little Trip to Heaven” zeichnet ein düsteres Bild von der Menschheit und der Welt, der sie ausgesetzt ist. Es fehlt ihm auch weitestgehend jener “schwarze Humor”, der “Fargo” recht unterhaltsam macht. Wer sich einem solchen Thema nicht aussetzen möchte, dürfte mit dem Film, dessen optische und atmosphärische Klasse (warum wohl brachte man nicht auch noch Jarmusch als Vorbild ins Spiel?) ebenso zu überzeugen vermag wie die Darsteller, nichts anfzufangen wissen. Für mich vergingen die 90 Minuten dank der straffen Inszenierung wie im Flug. - Sicher kein Meisterwerk, aber eben ein “Geheimtipp”. Und “Geheimtipps” haben es leider an sich, dass man sie sich alleine ansehen muss und weder eine bestätigende noch eine ablehnende Diskussion in Gang setzt.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Aktion KINO KANN

Aktion KINO KANN...


Christian, Betreiber von ChristiansFoyer und Blogger vom Scheitel bis zur Sohle (manchmal frage ich mich, welches seiner Organe er kurz entbehren konnte, als er den männlichen Anteil zu seiner Vaterschaft leistete), durfte am 25.11. sein einjähriges Jubiläum feiern (Glückwunsch auch noch von hier aus!) und nutzte diese Gelegenheit für eine Aktion, die sich “KINO KANN” nennt. Er möchte möglichst viele Assoziationen zu diesem Thema sammeln und verlost nebenbei auch ein paar DVDs. Dass er sich diese Aktion sponsern lässt, löste eine vielleicht nicht ganz unberechtigte Diskussion aus, die ihn, einen äusserst sympathischen jungen Mann, aber wohl ebenso überraschte wie mich.

Ich habe mich nun entschlossen, an seiner Aktion teilzunehmen, tue dies jedoch ausser Konkurrenz. Das heisst: Ich schicke meinen Lottoschein ein und bitte zugleich die Gesellschaft, mich im unwahrscheinlichen Fall eines Sechsers einfach nicht zu berücksichtigen. - Hingegen möchte ich allfällige Leser bitten, sich doch auch ein paar Gedanken zum Thema “KINO KANN” zu machen und sie Christian zukommen zu lassen. Eine möglichst grosse und den Bereich auf vielfältige Weise abdeckende Sammlung dürfte in unser aller Interesse sein. - Ihr bekommt erst noch ein paar unerwartete Clicks und vielleicht neue Stammleser!

Hier mein Beitrag:

Kino kann jungen Pärchen in der hintersten Sitzreihe das Knutschen und notgeilen Kerlen das Wichsen ermöglichen. Es kann jeden billigen Schund als Meisterwerk verkaufen und zum Blockbuster machen. Kino kann auch junge Menschen mit Gewaltszenen konfrontieren, über deren Auswirkungen auf die Psyche man sich streiten mag. Kino kann aber nur noch selten zeigen, was der Film als Kunstform zu erschaffen vermochte und sogar heute zu erschaffen fähig ist. Denn Kino ist auf Einnahmen angewiesen - und wer rennt schon in Ingmar Bergman- oder Luis Buñuel-Retrospektiven? Wer sieht sich einen grossen, aber den Intellekt herausfordernden Film an? - Aus diesem Grund kämpfen die kleinen Programmkinos ums Überleben oder haben ihre Pforten bereits geschlossen.

Was aber, ausser der grossen Leinwand und den technischen Raffinessen, unterscheidet das Kino heute noch vom Fernsehen, das auch um Quoten kämpft und dem Zuschauer möglichst rasch so genannte Blockbuster auftischt, selbst im Nachtprogramm nur selten an wirklich bedeutende Werke  erinnert?

Vielleicht sollten wir dankbar sein, dass wir solchen künstlerischen Höhepunkten des Films gelegentlich auf DVD begegnen dürfen...

Aktion KINO KANN...

Freitag, 3. Dezember 2010

Japanisches Wagnis

Gegen Ende meiner Blogger-Ferien - es wird langsam zur üblen Gewohnheit - halten mir liebe Freunde den Revolver an die Schläfe und fordern ultimativ die Besprechung eines von ihnen bestimmten Films. Dieses Mal machen sie es mir besonders schwer; denn das Werk, mit dem ich um mein mehr oder weniger blühendes Leben kämpfen soll, stammt aus Japan - und jeder, der mich kennt, weiss, dass ich weder von der japanischen Kultur noch vom japanischen Film auch nur die geringste Ahnung habe. --- Immerhin: Für einmal liess man mir wenigstens ein paar  unbezahlbare anonyme  Informationen zukommen, die ich lediglich in ungelenke Sätze verpacken muss. Lassen wir uns also auf das japanische Wagnis ein! Es ist mein erstes und wird vermutlich auch für lange Zeit mein letztes bleiben...

Seisaku's Wife
(Seisaku no tsuma, Japan 1965)

Regie: Yasuzo Masumura
Darsteller: Ayako Wakao, Takahiro Tamura, Nobuo Chiba, Yuzo Hayakawa, Yuka Konno, Mikio Narita u. a.


Yasuzo Masumura (1924 - 1986) gilt in der westlichen Hemisphäre als einer der grossen Unbekannten des japanischen Kinos. Dies hat nur unwesentlich damit zu tun, dass über einige Details aus seinem Leben lediglich Spekulationen angestellt und manche seiner  Entscheidungen kaum nachvollzogen werden können. Es liegt vor allem daran, dass uns nicht mehr als ein Bruchteil seiner 58 Filme wenigstens mit englischen Untertiteln zugänglich ist, was es nahezu verunmöglicht, seine Bedeutung als Regisseur einer Übergangszeit  angemessen zu würdigen und Konstanten in einem offenbar äusserst vielgestaltigen, möglicherweise qualitativ höchst unterschiedlichen Werk auszumachen.

Masumura, der schon als Jugendlicher ein begeisterter Kinogänger war, brach sein Jura-Studium ab, um als Regieassistent bei Daiei arbeiten zu können.  Ein Stipendium ermöglichte es ihm später als erstem Japaner, in Rom unter Visconti, Fellini und Antonioni, mit dem er sich befreundet haben soll, Regie zu studieren. Nach seiner Rückkehr 1955 arbeitete er erneut bei Daiei, blieb dem japanischen Studiobetrieb auch weitgehend treu und drehte bis zu vier Filme im Jahr. - Bereits sein erster Film “Kisses” (1957), ein Misserfolg, lässt auf eine gewisse subversive Tendenz schliessen (das Zeigen von Küssen war im japanischen Film lange Zeit, genauer: bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verboten gewesen), und später bemühte er sich noch um wesentlich grössere Tabubrüche (etwa in "Manji", 1964, dem Film über eine lesbische Liebe), mit denen er sich von der Tradition lossagte, ohne sich je dem “Nuberu Bagu”,  der japanischen Nouvelle Vague, anzuschliessen (gerade seine Filme aus den 70er Jahren sollen im Gegenteil dem “Goldenen Zeitalter” des japanischen Films, den 50er Jahren,  immer wieder ihre Reverenz erwiesen haben). Er gehört also zu jenen Figuren einer Übergangszeit, die Filmemachern wie Oshima, der ihn sehr bewunderte, und Imamura den Weg ebneten, sie inspirierten. Zu seinen Merkmalen gehören ein ausgeprägtes soziales  Bewusstsein  (“In Japanese society, which is essentially regimented, freedom and the individual do not exist.”), das er, der westlich "Geschulte", mit grossem Engagement in seine Filme einfliessen liess, und die Darstellung eines übermässigen, oft sexuellen Begehrens, auf grausam schöne Weise zelebriert. - Dies sind in etwa die wenigen Dinge, mit denen sich selbst ein "Kenner" der Materie wie Jonathan Rosenbaum zufrieden geben muss, weshalb die Bewertung des Regisseurs, in dem sich die “Energien des Umbruchs” bündeln, so unterschiedlich ausfällt: Während die einen ihn für den - vermutlich neben Mizoguchi, seinem Mentor,  Ozu und Kurosawa - "vierten grossen Meister des japanischen Films" halten, betrachten ihn die anderen lediglich als überschätzten Handwerker des Studiosystems, als Regisseur von B-Filmen (obwohl doch diese westlichen Kategorien sich auf das Kino Japans gar nicht anwenden lassen).

Die 60er Jahre gelten als das Jahrzehnt, in dem Yasuzo Masumura seine besten Werke drehte; es sind auch die Jahre seiner Literaturverfilmungen. “Seisaku’s Wife” ist eine von ihnen. Die Geschichte,  derer sich 1924 bereits  Murata Minoru angenommen hatte, ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts, am Vorabend des Russisch-Japanischen Kriegs angesiedelt: Die junge Okane, Tochter eines verarmten Hafenarbeiters, hat sich mit einem älteren wohlhabenden Mann verheiratet, um sich und ihrer Familie eine finanzielle Absicherung zu ermöglichen. Als ihr Gatte, ein fordernder, sie ständig an seine Grosszügigkeit erinnernder Widerling, bei einem Unfall ums Leben kommt, wird die “Mätresse” die von ihm schon ausreichend mit Kimonos versorgt worden sei, von der Familie mit einer kleinen Geldsumme abgespiesen. Die junge Frau kehrt zu ihren Eltern zurück, und als auch ihr Vater stirbt, verlangt die Mutter - weinerlich  und stets nur auf ihre eigenen Interessen bedacht - die Rückkehr ins Dorf, aus dem sie, das verarmte Pack, einst vertrieben worden waren.

Nun erst beginnt der eigentliche Film, den man - allerdings keineswegs im abwertenden Sinne - als Heimatfilm bezeichnen könnte. Ein paar wenige Bilder vermitteln uns eine Ahnung von dem abgeschiedenen Ort, an dem sich das zukünftige Geschehen abspielen wird: ein Weg, eine Brücke, der Berg, dem wir immer wieder begegnen werden,  ärmliche Häuser - und schon sieht man die Weiber, die beim Waschen einer Kuh am Fluss über die Zurückgekehrte lästern. Einst sei sie verjagt worden, jetzt bilde sie sich etwas ein auf ihre vielen Kimonos und ihr Vermögen. Man werde sich auf keinen Fall mit ihr abgeben, sondern ihr, der abgeschieden Lebenden, weiterhin die kalte Schulter zeigen. Ähnlich, wenn auch scheinbar gesitteter, äussern sich die Männer des Dorfs: Okane und ihre Mutter hätten ja gar kein Interesse am Dorfleben. Weshalb also sollte man sie in die Gemeinschaft aufnehmen? - Eine Verweigerng der Integration ins Kollektiv, wie sie einem in westlichen Heimatfilmen ebenfalls immer wieder begegnet, offensichtlich sogar universellen Charakter hat.

Kurz darauf findet auch eine ganz anders geartete Rückkehr ins Dorf statt: Seisaku, als Kriegsheld geehrt, wird von der Gemeinschaft mit jenem überbordenden Patriotismus empfangen, der beinahe den Eindruck erweckt, er, der “Vorzeigesoldat”, vermöge den Krieg ganz alleine zu gewinnen - und werde seinem Dorf Ehre machen. Seisaku jedoch selber stellt sich ein wenig über die Gemeinschaft: Er hat sich von seinem Sold eine handgefertigte Glocke machen lassen, mit der er die Leute jeden Morgen aus dem Schlaf reisst. Das Kollektiv begrüsst zu Beginn seine Idee, wirft dem Vorzeigesoldaten hinter dessen Rücken jedoch schon bald herrisches Gehabe vor.

Als Okanes Mutter stirbt, steht ausgerechnet Seisaku der jungen Frau bei und hilft ihr bei den Vorbereitungen für die Bestattung (eines jener mächtigen Bilder: man sieht im Hintergrund den kleinen Trauerzug vorüberziehen, dem die ferngebliebenen Bauern doch neugierig nachstieren). Seisaku und die sich bislang  abweisend gebärdende “femme fatale” Okane, die sich von jetzt an auch um einen geistig behinderten Cousin, ihren zukünftigen Beschützer,  kümmern muss,  kommen sich näher. Es entwickelt sich eine sexuelle Beziehung, die sich durch Okanes unstillbares Begehren nach Macht über den Körper des Mannes auszeichnet (sie wird zum ersten Mal geliebt, Seisakus Brust dient als Ersatz für die Gemeinschaft). - Seisaku, der eigentlich eine Frau aus dem Dorf hätte heiraten sollen, teilt seiner Familie mit, dass er mit Okane zusammenleben will, was natürlich auch zu seinem Ausschluss aus dem Kollektiv führt.

Das Glück der beiden Liebenden währt nicht lange: Schon bald wird Seisaku einberufen, weil er, plötzlich wieder zum umjubelten Vorzeigesoldaten geworden, beim Kampf um Port Arthur mitmachen soll. Als er nach einer Verletzung für ein paar Tage nach Hause zurückkehrt, sich jedoch schon bald wieder am Krieg beteiligen will, entschliesst sich Okane, die - mad, bad, and dangerous - nur mit den Waffen einer Frau kämpfen kann, zu einer unvorstellbaren Gräueltat, die letztlich beide zu “Outcasts” machen wird...

All dies - die Liebesgeschichte, die Kritik an einer über das Individuum bestimmenden Gesellschaft und einem überbordenden Patriotismus -  verpackt Masumura in 93 Minuten, was nicht zuletzt deshalb möglich ist, weil er  rasche Szenenwechsel bevorzugt, unvergessliche Bilder, die mehr zu sagen vermögen als tausend Worte, erzeugt (es scheint mir gelegentlich, man erkenne durchaus den Einfluss eines Antonioni, etwa wenn Okane von einer Erhöhung aus auf den Hafen hinunterblickt oder ihr Gesicht abwendend vor dem Haus sitzt) - und  mit harten Schnitten arbeitet (falls ich dem Film aufmerksam gefolgt bin, gibt es nur einen einzigen “Übergang”: Seisaku - seiner Frau langsam verzeihend - stellt sich vor, wie Okane nach ihrer Untat im Gefängnishof, wo sie eine überdimensionale Kette hinter sich her schleift, frieren muss, all dies hinter Rauchschwaden entstehend ). - Hinzu kommt eine überwältigende (auch westlich geprägte?) Musik, die von Anfang an Trauer und Unheil verkündet.

Ayako Wakao, die nicht nur zu einem festen Bestandteil von Masumuras Ensemble geworden war, sondern zu der er auch eine unfreiwillige Abhängigkeit entwickelte (er betonte mehrmals, das launische Wesen lasse sich kaum führen!), spielt eine Okane, die in jedem Augenblick des Films unter die Haut geht; möge man sie nun als Schweigende unter dem ersten Ehemann, als leidenschaftlich Begehrende und sich zu Beginn doch Verweigernde oder als Opfer eines Kollektivs sehen, das in einer grausamen Szene seine aufgestaute Wut an der endlich zur Verbrecherin Gewordenen auslässt, sie beinahe zu Tode prügelt. - Besonders faszinierend wirkt sie in der Schlussszene als das Feld beackernde Frau, die zu ihrem hilflos gewordenen Mann hinüberblickt: Bedeutet dieser Blick  nun Liebe oder Triumph, die Befriedigung, endlich bleibend die Macht über Seisaku erlangt zu haben? - Wer die Schauspielerin in dieser - offenbar einer ihrer besten - Rolle gesehen hat, möchte augenblicklich nach anderen Masumura-Filmen  wie “Akai tenshi” (1966) oder “Tsuma futari” (1967) greifen können.


Dass ich als Japan-Neuling zu “Seisaku’s Wife” unmittelbaren Zugang fand, hat sicher in erster Linie mit dem universellen Charakter des Films zu tun, den Motiven, denen man in jedem Film, in dem ein ausgestossenes Individuum einer Gemeinschaft - mit möglicherweise verheerenden Folgen - gegenübersteht (die "Gemeinschaft" nimmt oft die Mitte des Bildes für sich in Anspruch, während die Figuren oder zumindest die Gesichter der von ihr nicht akzeptierten Individuen symbolisch an den Rand gedrängt werden), begegnet. Vor allem aber liegt es auch an der für jeden westlichen Zuschauer nachvollziehbaren Umsetzung (die Lehrjahre in Italien?) dieser Motive. - Erstaunlich, dass Yasuzo Masumura - in Japan längst zum Kult-Regisseur geworden - vom Westen dennoch nicht entdeckt wird!

Sonntag, 21. November 2010

Verzögerungsankündigung und Werbung für "Impressions."

Liebe Fangemeinde (respektive Liebe Frau Mama)!

Eigentlich sollte "Whoknows Presents" Ende November wieder auf Sendung gehen. Ein kurzer, jedoch ziemlich kräftezehrender Krankenhausaufenthalt wird leider eine unfreiwillige Verlängerung meines Urlaubs erfordern, da ich mich erholen muss und es mir nicht möglich war, alle nötigen Vorbereitungen rechtzeitig zu beenden (ich bin Steinbock, was den Abergläubischen unter uns einiges sagen dürfte). Falls jenes Wesen, das Thomas Hardy, der bekanntlich ständig mit Gott wegen dessen Nicht-Existenz haderte, unter anderem als "Immanent Will" bezeichnete, mir nicht einen Strich durch die Rechnung macht, sollte ich spätestens um den 10. Dezember rum wieder mit  einer mir aufoktroyierten Besprechung anrücken.

Dass ich mich trotzdem kurz zu Wort melde, hat mit einem Blog zu tun, auf das ich eure Aufmerksamkeit (wieder einmal) lenken möchte. Es heisst Impressions. und wird von einem jungen, filmbegeisterten Mann betrieben, den ich von einem Forum her kenne. Ich wollte diesen jungen Mann unbedingt als Gastautor, noch lieber als festen Mitarbeiter für mein Blog gewinnen, weil er nicht nur äusserst spannend zu lesende Besprechungen bekannter Filme liefert, sondern auch an Werke erinnert, von denen  man  selten etwas vernimmt. - Als er mir seine Absicht kundtat, sich mit einem eigenen Blog meiner berüchtigten Tyrannei  entziehen zu wollen, ging ich wie weiland das HB-Männchen beinahe in die Luft, setzte mich dann aber hin und genehmigte mir als Ex-Raucher keine Zigarette, sondern freute mich auf seine Einträge. --- Deshalb  meine - mittlerweile bekannte und lohnenswerte - Bitte: Nehmt den Abtrünnigen zur Kenntnis, zeigt ihm, dass ihr ihn lest und würdigt ihn! Es gibt  nämlich neben den "Etablierten" durchaus interessante Blogger, die Beachtung verdienen. "Impressions." ist einer von ihnen, und ich freue mich, auf ihn hinweisen zu dürfen.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Wie viele Oscars darf Arthur Cohn sein Eigen nennen?

Arthur Cohn ist ein Schweizer Film-Produzent, der nicht nur für das Zustandekommen äusserst erfolgreicher Filme aus verschiedenen Ländern (mit-)verantwortlich war, sondern sogar auf dem Walk of Fame mit einem Stern geehrt wurde - und dessen Namen in Hollywood jede - pardon! - Sau kennt. Da er gleichzeitig der nicht übermässig grossen Schweizer VIP-Szene angehört und an diversen Anlässen zu treffen ist, feierte ihn unsere Presse stets als sechsfachen Oscar-Preisträger. Vielleicht feierte er sich auch selber ein wenig und liess sich gern mit den sechs Statuen ablichten. Das sind allerdings die Dinge, in die der harmlose Zeitungsleser nicht so leicht Einblick erhält...

Auf jeden Fall ist unser Bundesrat (entspricht der Bundeskanzlerin mal sieben) wieder komplett, und das oft auch nur herbeigeredete Parteiengezänke dürfte die Spalten der Blätter nicht bis zur nächsten nationalen Wahl im Jahr 2011 füllen. Dieser Mangel an politischen Sensatiönchen brachte das Erzeugnis "Sonntag" mutmasslich auf den Gedanken, aus dem ehemaligen Darling Arthur Cohn einen Buhmann zu machen, der mehr für sich beanspruche als ihm tatsächlich zustehe. - Denn man entdeckte: Laut Wikipedia darf sich der plötzlich zum Aufschneider "avancierte" Cohn nur dreier Oscars rühmen, da der Oscar für den besten fremdsprachigen Film an das jeweilige Land, nicht an den Produzenten geht. Auch IMDb spricht dem Produzenten nur Academy Awards für die Dokumentarfilme "Le ciel et la boue" (1961), "American Dream" (1990) und "One Day in September" (1999) zu, während er auf diverse Nominierungen und Oscars (für "Il Giardino dei Finzi Contini", 1970, "Noirs et blancs en couleur", 1976, und "La diagonale du fou", 1984) verzichten müsste.

Nun bin ich der Meinung, jeder Produzent sei mit drei Oscars mehr als ausreichend bedient (manche Gewinner sollen den Staubfänger bekanntlich in einer Kiste im Keller lagern) und schätze es grundsätzlich, mit seinem Geld  Filme ermöglicht zu haben, die nicht so rasch in Vergessenheit geraten (u.a. auch "Les Choristes", 2004). Gerade Arthur Cohn weckte in mir immer den Eindruck, er lebe intensiv für den Film und werde lediglich von der VIP-geilen Presse ständig zum "sechsfachen Gewinner" hochstilisiert ("Lieber Herr Cohn! Dürfen wir Sie zusammen mit Ihren Oscars ablichten, bitte, bitte?"). - Jetzt aber ortet "Sonntag" Enthüllungen über einen möglichen Hochstapler, der sich stets ins Rampenlicht drängte, nicht ohne seine sechs Statuen leben kann und dessen Mitarbeiter abklären  lassen muss, ob Wikipedia die Vergangenheit falsch interpretiere, weil zur Zeit, als Cohn die ihm streitig gemachten Oscars in Empfang nahm, der Produzent tatsächlich noch der "richtige Adressat" war (Regeln ändern sich bekanntlich). 

Vielleicht ist Arthur Cohn ja tatsächlich der Gierschlund, den "Sonntag" mangels anderer Schlagzeilen aus ihm machen will; das kann, wie schon erwähnt, der harmlose Zeitungsleser - ein Umstand, der von  den Erzeugern des täglich Gepressten schamlos ausgenutzt wird - nicht nachprüfen. Vielleicht kann er auch nur über den Wirbel lachen, der um seine Person und seine ihm abgesprochenen Oscars gemacht wird. Oder er könnte darüber lachen, wäre da nicht noch ein Aspekt mit einzubeziehen, der ihn und andere Zeitgenossen mit Sorge erfüllen sollte: Cohn ist Jude! Und da man in der Schweiz unverhohlener mit verstecktem Antisemitismus arbeitet, könnte "Sonntag" auf den Gedanken gekommen sei, es sei  Zeit für eine Wiederbelebung des Bildes vom raffgierigen Juden. - Ich mute es der Zeitung, die  gelegentlich einem mir alles andere als sympathischen Teil ihrer Leserschaft entgegenkommen will, zu...

Wie dem auch sei: Ich lege als Blogger jetzt eine Pause ein - und ich bin froh, dass ich nicht so berühmt wie Arthur Cohn bin. Denn sonst könnte eine Zeitung wie "Sonntag" aus den geplanten vier bis sechs Wochen Urlaub eine Schlagzeile zimmern: "Whoknows pausiert! Tut er es für immer, weil sein Bluff aufgeflogen ist?". - Wäre dem so, böte es mir vielleicht Gelegenheit, mich  mit dem  geschundenen Produzenten in Verbindung  zu setzen, und er würde einen Film mit dem Titel "Verlogene Druckerschwärze" produzieren, für den ich das Drehbuch schreiben dürfte. Ein Regisseur vom Kaliber eines George Clooney liesse sich finden - und der Oscar ginge an das Fürstentum Liechtenstein.

Wir lesen uns!

Samstag, 9. Oktober 2010

Kurzbesprechung: El crimen del padre Amaro


Die Versuchung des Padre Amaro
(El crimen del padre Amaro, Mexiko 2002)

Regie: Carlos Carrera

Die Überarbeitung eines Romans aus dem Jahre 1875 (!) für die Leinwand rief heftige Proteste aus klerikalen Kreisen hervor und avancierte wohl nicht zuletzt deshalb zum erfolgreichsten einheimischen Film aller Zeiten. Dies dürften auch die Gründe für eine Oscar-Nominierung als "bester fremdsprachiger Film"  2003 gewesen sein.  Denn die edel bebilderte und eigentlich hervorragend gespielte  Geschichte eines jungen idealistischen, aber auch karrieresüchtigen Priesters ist zwar nicht die Soap Opera, mit der uns der verfälschte deutsche Titel droht, aber ein sich endlos dahinziehendes, letztlich oberflächliches Melodram - obwohl sie genug Stoff für spannende 114 Minuten böte:

Der frisch ordinierte Padre Amaro wird von seinem Bischof in ein abgelegenes Dorf in den Bergen geschickt, wo er den älteren Padre Benito als Assistent unterstützen und gleichzeitig einen anderen Priester, der sich auf die Seite der Guerilla geschlagen hat, im Auge behalten soll. Bald entdeckt er, dass er in einen Strudel aus Doppelmoral und Korruption geraten ist, da Padre Benito nicht nur ein Verhältnis mit einer Dorfwirtin hat, sondern auch als Geldwäscher für einen Drogenbaron fungiert. - Aber auch er  kann seinen "sündhaften" Wünschen nicht  widerstehen, und er lässt sich auf eine Beziehung mit der jungen  Amelia ein. Als diese von ihm schwanger wird, begeht er das im Originaltitel erwähnte "Verbrechen" mit unabsehbaren Folgen: Er fordert sie auf, das Kind abzutreiben...

Es geht in dem für mexikanische Verhältnisse sicher mutigen Film also letztlich nicht um die oft durchgekaute Zölibatkritik, sondern um eine der katholischen Kirche inhärente Skrupellosigkeit, die auch im jungen Padre - von Gael Garcia Bernal, dem Octavio aus Iñárritus Meisterwerk "Amores Perros" (2000) überzeugend dargestellt - Wurzeln gefasst hat. Bernal war für mich denn auch der Anlass, mir diesen etwa gegenüber Buñuels antiklerikalen Werken stark abfallenden Film anzuschauen. Eine zweite Sichtung im Hinblick auf die Kurzbesprechung dürfte sich als die letzte erwiesen haben - obwohl man im Europa oder in den USA der Gegenwart vergeblich nach einer derart deutlichen Kritik an der katholischen Kirche Ausschau halten wird. - "El crimen del Padre Amaro" vermag die beinahe zwei Stunden Dauer einfach nicht auszufüllen, auch wenn der Priester im unbestechlichen Journalisten Ruben, der den Verwicklungen der Kirche in Drogengeschichten nachgeht, einen an sich interessanten Gegenpol erhält. Fehlender Tiefgang und inszenatorische Schwächen machten ihn zu einem Langweiler der Sonderklasse!


Dienstag, 5. Oktober 2010

Mise En Cinéma

Neben den allgemein bekannten und in vielen Webverzeichnissen auftauchenden Film-Blogs stösst man in den unendlichen Welten des Internets gelegentlich zufällig auf eine Site, die nicht in oft Blogrolls zu finden ist, obwohl sie Beachtung verdient. Vielleicht haben deren Autoren weder Zeit noch Lust, gross die Werbetrommel für sich zu rühren, vielleicht schreiben sie auch wirklich noch aus reiner Freude am Film.

Ich entdeckte Mise En Cinéma während meiner Recherchen zur Besprechung von Truffauts “La nuit américaine” und verfolge den Blogger, der sich Zeit für seine Rezensionen nimmt, seitdem mit grossem Interesse. Denn wir haben eines gemeinsam: Wir bemühen uns nicht um die ultimative Besprechung des neuesten Blockbusters, sondern schreiben über Filme, die uns - aus welchen Gründen auch immer - gerade am Herzen liegen. - Nach einer von mir leider spät entdeckten Reaktion auf einen meiner Kommentare bemerkte ich, dass der ausgezeichnete Autor des Blogs, ein Bonner Student, offenbar von anderen Leuten unserer Zunft noch nicht gross zur Kenntnis genommen wird, und ich nahm ihn ungefragt in meine Blogroll auf, weil ich ihn wenigstens meinen Lesern zugänglich machen möchte.

Deshalb meine Bitte: Schaut doch mal bei Mise En Cinéma rein! Hinterlasst vielleicht bei Gelegenheit einen Kommentar, damit er weiss, dass seine Arbeit gewürdigt wird. Seine Rezensionen sind - was euch als Ansporn dienen soll, meist kürzer gehalten als meine. Und er erklärt euch auch, wie er zu seinem interessanten Blog-Titel gekommen ist

Freitag, 1. Oktober 2010

Her mit der deutschen DVD! - die Fünfte

"Where's Brummel? Dish'd. Where's Long Pole Wellesley? Diddled.
      Where's Whitbread? Romilly? Where's George the Third?
  Where is his will? (That's not so soon unriddled.)
       And where is 'Fum' the Fourth, our 'royal bird'?
   Gone down, it seems, to Scotland to be fiddled..."
(Don Juan, Canto XI, 78)

Zu den Figuren, deren "Verlust" Lord Byron in seinem "Don Juan" gelegentlich auch ironisch in mehreren Strophen beklagt, gehört unter anderem ein gewisser George Bryan Brummell (1778 - 1840), von dem man sagt, er habe ein ganzes Zeitalter geprägt und der unter dem Namen 'Beau' Brummell in die Geschichtsbücher einging. -  Brummell war der Sohn eines Privatsekretärs und machte in der englischen Armee als Husarenoffizier Karriere. Dort freundete er sich bald mit dem Prince of Wales, dem späteren Prinzregenten und König George IV., bekannt für seinen ausschweifenden Lebensstil und seine Fresssucht (er wog 1797 bereits 111 Kilo!), an, auf den er eine Zeitlang grossen Einfluss ausübte. Nach einem Zerwürfnis - seine Hoheit ertrug die spitzen Entgegnungen des Freundes nicht mehr -  kannten Brummell's Gläubiger keine Gnade, und er musste England wegen seiner Spielschulden verlassen. - Sein eigenwilliger Modestil (er forderte nicht zu auffällige, aber genau angepasste Kleidung, sorgfältig ausgesuchte Halstücher und das Reinigen der Stiefel in Champagner) setzte sich zum Teil durch und wurde unter dem Begriff "Dandyism" bekannt. Brummell behauptete, ein anständiger Mann brauche mindestens fünf Stunden, um sich anzuziehen und müsse sich auch mehrmals am Tag umziehen. Er war  zudem  dafür verantwortlich, dass sich die Männer der "guten Gesellschaft" täglich rasierten. Byron, der zu seinen eifrigen Nachahmern zählte, meinte, es sei an sich nichts Aussergewöhnliches an Brummell's Kleidung festzustellen ausser "a certain exquisite propriety". - Das Leben des ersten Dandys wurde mehrmals verfilmt.

Beau Brummell - Rebell und Verführer
(Beau Brummell, USA/Grossbritannien 1954)

Regie: Curtis Bernhardt
Darsteller: Stewart Granger, Elizabeth Taylor, Peter Ustinov, Robert Morley, James Donald, Rosemary Harris, Paul Rogers, Noel Willman u.a.

Ich habe es an sich nicht so mit den Historienschinken, die das Hollywood der 50er Jahre als Waffe gegen das aufkommende Fernsehen einzusetzen versuchte. Besonders grosse Mühe bereiten sie mir, wenn sich Robert Taylor als römischer Kommandant (1951), Ivanhoe (1952) oder Lancelot (1953)  schwerfällig durch pompöse Kulissen bewegen  und Langeweile verbreiten muss. - Dass “Beau Brummell” in dieser Hinsicht eine Ausnahme bildet, mich sogar ausserordentlich begeistert, hat verschiedene Gründe: Zum einen wurde der farbenprächtige Film an Originalschauplätzen gedreht, was die herrliche Landschaft Englands etwa in einer Jagdszene  zur Geltung bringt und dem Zuschauer durch die in einem Landsitz in der Nähe von Windsor Castle entstandenen Innenaufnahmen eine Vorstellung von der Pracht des frühen 19. Jahrhunderts zu vermitteln vermag; zum anderen liegt es natürlich an der über weite Strecken leicht und flüssig daherkommenden Geschichte, die zwar ohne einige historische “Klitterungen” und  erfundenen Liebesschmalz nicht auskommt, diese aber dank des an sich faszinierenden Lebens des “interessantesten Mannes Europas” auf ein Minimum zu beschränken vermag. Und es hat nicht zuletzt mit dem spielfreudigen Ensemble zu tun, das den “Helden” umgibt und ihm - obwohl Stewart Granger, damals ein veritabler Star, eine gute Figur abgibt - gelegentlich sogar die Show stiehlt. (Vielleicht, dies aber mehr privat, finde ich mich auch in den schönen und weniger schönen Seiten des Phänomens Brummell ein wenig wieder.)


Der Film beginnt mit einer Veranstaltung der Husaren, an der der Prince of Wales mehr hungrig als interessiert teilnimmt und die Beau Brummell, der sich gleich in die schöne Lady Patricia verliebt, zum ersten Mal Gelegenheit bietet, sein Missfallen zu erregen. Denn Brummell sagt grundsätzlich, was er für richtig hält - und er kleidet seine Meinung in elegante Spitzen, die ein zukünftiger König nur als frech empfinden kann. Nach Brummell’s Rauswurf aus der Armee sorgt er als politischer Redner, der  die höfische Unsitte, sich die Perücken mit Mehl zu pudern, anprangert, für Furore (er zählt genau auf, wie viele Brote für hungrige Mäuler man stattdessen backen könnte). Als ihn  Prince George deswegen zu sich rufen lässt, entdeckt er rasch, dass er in Brummell eigentlich keinen Gegner hat, sondern einen Menschen, der es gut mit ihm, dem kindischen und entscheidungsunfähigen Fettwanst, meint. Er folgt deshalb nicht nur seinen - auch modischen - Ratschlägen, sondern macht ihn zu seinem engsten Vertrauten und Freund. Schon bald treten die beiden in der Öffentlichkeit immer gemeinsam auf, eine Entwicklung, die der Adel - insbesondere der konservative Premierminister  William Pitt - mit Misstrauen verfolgt.


Von nun an wird der Abenteurer Beau Brummell, der sich für seine elegante Kleidung und die prächtig ausgestattete Wohnung, in der der Prince of Wales ein- und ausgeht, in Unkosten stürzte, von seinen Gläubigern in Ruhe gelassen. Auch Lady Patricia, die eigentlich mit einem Mann von Adel, Lord Edwin, verlobt ist, vermag sich seinem Charme (er nimmt ihr die Ohrringe ab, weil ein vollkommenes Gesicht solchen Schmuck nicht nötig habe) nicht mehr zu entziehen. - Und Lord Byron, der im Film als Brummell’s Freund auftaucht, sieht im Dandy, der in “Ofenröhren” am Geburtstagsfest des Prinzen auftaucht,  sogar die Zukunft heraufkommen. Er erkennt aber auch: “The trouble with most men of superior intellect is their pride. And a proud man can be just as foolish as a fool.”

Als Premierminister Pitt den Prinzen, der seit längerer Zeit offen mit seiner Geliebten Maria Fitzherbert zusammenlebt, aus politischen und finanziellen Gründen mit einer deutschen Prinzessin verehelichen will, rät ihm Brummell, seinen Vater, den auf Schloss Windsor zurückgezogen lebenden und zunehmend in geistiger Umnachtung versinkenden  König George III. (eine kleine Glanzrolle für Robert Morley), entmündigen zu lassen und die Regentschaft zu übernehmen, womit er Pitt’s Pläne durchkreuzen könnte. Tatsächlich willigt das Parlament nur einer Regentschaft mit stark eingeschränkten Befugnissen zu, was Brummell wiederum nicht akzeptieren will. Er weckt dadurch das Misstrauen seines Freundes, der plötzlich denkt, der “Emporkömmling” habe lediglich auf einen Peer-Titel spekuliert. Es kommt zum Zerwürfnis, das seinen Höhepunkt anlässlich eines Balls findet: Brummell weigert sich, dem Prinzen seine Aufwartung zu machen, und nachdem sich Lord Byron pflichtgemäss mit diesem unterhalten hat, fragt er ihn laut vernehmlich: “Gordie, who is your fat friend?”  (Die vorlaute Frage ist meines Wissens historisch beglaubigt, war aber nicht an Byron, sondern an Lord Alvanley gerichtet.)

Beau Brummell’s Schicksal ist damit besiegelt.  Die Gläubiger stürzen sich auf ihn, und Lady Patricia zieht die ruhige Bucht an der Seite eines Adligen dem Orkan mit dem Abenteurer vor. Brummell verlässt das Land und geht zusammen mit seinem treuen Diener nach Frankreich, wo er verarmt. - Am Ende des Films kommt es zu einer berührenden Szene: Der ehemalige Freund, jetzt König George IV., sucht während eines Europabesuchs die Bleibe des Mannes auf, der ihm einst eine Schnupftabakdose schenkte, die beim Öffnen ein “He’s a jolly good fellow” spielt - und die ihn immer an ihn erinnert hat. Er findet Brummell auf dem Sterbebett, und es kommt zur späten Aussöhnung.

Curtis Bernhardt, der als Kurt Bernhardt bereits zu den gefragten Stummfilmregisseuren Deutschlands gehörte ("Schinderhannes", 1928, "Das letzte Fort", 1929), inszeniert die verschwenderisch ausgestattete Geschichte mit grossem Können, die geschliffenen Dialoge und die dem ersten Dandy angemessene fürstliche Musik von Richard Addinsell machen den Film zu einem mehr als beachtlichen unterhaltsamen Erlebnis. Peter Ustinov darf in seiner zweiten Arbeit für MGM nach “Quo Vadis” (1951) als fetter Prince of Wales wieder einen unwiderstehlichen, das Spektakel dominierenden Charaktertypen hinlegen; aber auch Elizabeth Taylor, deren Rolle sicher nicht sonderlich ausgearbeitet ist, und Stewart Granger, in Deutschland noch als “Old Surehand” in diversen Winnetou-Filmen in Erinnerung, überzeugen.

Ein Jammer, dass ausgerechnet dieser unterschätzte Historienfilm nicht endlich aufgefrischt und den Zuschauern im deutschsprachigen Raum auf DVD zugänglich gemacht wird!

Sonntag, 26. September 2010

Lord Byron's "Ottava rima"


Viele Literaturliebhaber verbinden heute mit dem Namen George Gordon Lord Byron (1788 - 1824) vor allem jenen düsteren Helden, dem als auf sich selbst fixierten und verletzlichen Einzelgänger mit künstlerischer Ader Zufriedenheit und Glück versagt bleiben und der als seine Erfindung gilt, weshalb er unter dem Namen “Byronic Hero” Eingang ins Arsenal der “Schwarzen Romantik”  fand. Tatsächlich werden aber die Werke, die diesen Archetypus formten und feierten (etwa “closet plays” wie “Manfred”, 1817, oder die einst von den Damen verschlungenen Verserzählungen “The Corsair” und “Lara”, beide 1814) kaum mehr gelesen. - Dass Byron, eine der faszinierendsten Gestalten der englischen Literatur, noch immer als bedeutender Vertreter der Spätromantik gilt, verdankt er vielmehr einer Strophenform, die er auf einzigartige Weise seinen Zwecken dienlich zu machen verstand und mit deren Hilfe ihm ein  literarisches Meisterwerk von Weltrang gelang: der “ottava rima” (dt. Stanze).

Lord Byron war ein Mann, der sich schon früh den Ruf erwarb, sowohl ein grosser Dichter als auch eine Gestalt von zweifelhaftem Ruf zu sein: Die ersten beiden Canti seines langen und langatmig romantisierenden Gedichts “Childe Harold’s Pilgrimage” (1812 veröffentlicht), machten ihn über Nacht berühmt und sein Verhältnis zur verheirateten Lady Caroline Lamb, die ihn als “mad, bad, and dangerous to know” bezeichnete,  zum "skandalösen" Gesprächsthema der besseren Gesellschaft. Als er sich  dann 1815 auch noch in seine Halbschwester Augusta verliebte und  1816  seine Frau Annabella Milbanke - das Ende einer Zweckehe! - verliess, kam es zum Eklat. Byron, der Mann mit dem Klumpfuss, dem auch etliche Verhältnisse zu jungen Männern nachgesagt werden, verliess England endgültig - und erblühte vielleicht erst jetzt zu wahrhaft künstlerischer Grösse, die sich etwa darin zeigte, dass er in Goethe einen Bewunderer fand.

Byron gilt nicht als der eigentliche Entdecker der in der italienischen Dichtung (Bocaccio, Pulci u.a.) seit langem gebräuchlichen Strophenform “ottava rima” für die englische Literatur. Als er, der zügige und hochtalentierte Vielschreiber, sie jedoch für eines seiner Gedichte (“Beppo”, 1818) benutzte, erkannte er sogleich, welche Möglichkeiten sie einem wahrhaften Könner wie ihm bot - und er beschloss, ein “’mock-epic‘-poem”, ein die alten Epen nachahmendes Spottgedicht zu schreiben, das ihn bis zu seinem Lebensende begleiten und dessen Held, wie er schon zu Beginn ankündigte, nur zufällig Don Juan sein sollte:

"I want a hero: an uncommon want,
     When every year and month sends forth a new one,
 Till, after cloying the gazettes with cant,
     The Age discovers he is not the true one:
  Of such as these I should not care to vaunt,
      I'll therefore take our ancient friend Don Juan -
  We all have seen him in the pantomime,
  Sent to the devil somewhat ere his time."
(Canto I, 1)

Denn auch wenn wir im meisterhaft geschriebenen “Don Juan” gelegentlich etwas über seinen “Helden”, der hier eher als willenloses Opfer sexgieriger Weiber denn als grosser Verführer dargestellt wird, erfahren, so geht es dem bedeutendsten Egomanen unter den Dichtern doch vor allem darum, sich selber respektive seine Kunstfertigkeit zur Schau zu stellen (es ist im Englischen ausserordentlich schwer, derart viele passende  zwei- , ja dreisilbige Reimwörter zu finden und sie erst noch oft spöttisch auf eine  Pointe hin einzusetzen) - und gnadenlos über die englische Gesellschaft herzufallen, deren heuchlerische Dekadenz er ständig im Auge behält, wobei nicht zuletzt die Dichter der “älteren” Romantik unter seinem Hohn leiden müssen. Robert Southey, ein mittelmässiger Dichter, den man zum “poeta laureatus” gemacht hatte, bekommt ebenso sein Fett ab wie William Wordsworth, einst Verfechter der Französischen Revolution, jetzt konservativer und moralinsaurer Gefälligkeitslyriker:

"Such names at present cut a convict figure,
      The very Botany Bay in moral geography;
  Their loyal treason, renegado rigour,
       Are good manure for their more bare biography,
  Wordsworth's last quarto, by the way, is bigger
       Than any since the birthday of typography;
 A drowsy frowzy poem call'd the 'Excursion,'
 Writ in a manner which is my aversion."
(Canto III, 94)

Gemälde von Ford Madox Brown (1821 - 1893)

Besonders gern packt der Erzähler seine Gesellschaftskritik in die vorgeschobene Geschichte um Don Juan ein. So landet etwa der "Held" nach einem Schiffbruch auf einer Insel, wo er sich in die Tochter eines furchterregenden Seeräubers namens Lambro verliebt, dessen Ähnlichkeit mit der "guten" Gesellschaft aber auf perfide Weise betont wird, um den möglicherweise erschreckten Leser ironisch zu beruhigen:

"You're wrong. - He was the mildest manner'd man
      That ever scuttled ship or cut a throat,
 With such true breeding of a gentleman,
      You never could divine his real thought;
  No courtier could, and scarcely woman can
      Gird more deceit within a petticoat;
  Pity he loved adventurorus life's variety,
  He was so great a loss to good society."
(Canto III, 41)

Und wenn dieser Byron vertretende Erzähler darüber nachdenkt, welche grossen Männer, die auf England einen guten Einfluss auszuüben vermochten, nicht mehr am Leben sind oder dem Exil den Vorzug gaben, kann er nur zu einer Schlussfolgerung kommen:

"Nought's permanent among the human race,
 Except the Whigs not getting into place."
(Canto XI, 82)

Daneben werden dem Leser natürlich auch die saftigen Liebesabenteuer aufgetischt, in die der arme Don Juan mehr unfreiwillig hineinrutscht. So beobachtet er als erst erblühender Jüngling etwa über mehrere Strophen hinweg unschuldig mit der verheirateten Julia den Sonnenuntergang, während diese innerlich immer mehr ihrer Geilheit verfällt und ihr am Ende nachgibt, was in Worten  geschildert wird,  die in England  noch heute gern zitiert werden:

"A little still she strove, and much repented,
 And whispering 'I will ne'er consent' - consented."
(Canto I, 117)

Gemälde von Eugène Delacroix (1798 - 1863)

Die folgende gefährliche Affäre führt dazu, dass Don Juan mit seinem Lehrer Pedrillo das Land verlassen muss, der nach einem Schiffbruch (die Szene wurde vom französischen Romantiker Eugène Delacroix gemalt) von den Überlebenden auf einem Rettungsboot gefressen wird. Seine Liebe zur Tochter des Seeräubers wiederum endet auf einem Sklavenmarkt, wo er alsbald zum Lustknaben einer Sultana avanciert. Nach dem Angriff der Russen auf die Türkei findet er auch Schutz...

"In Catherine's reign, whom glory still adores,
  As greatest of all sovereigns and w----s."
(Canto VI, 92)

Im zehnten Canto gelangt Juan endlich nach England, und der Erzähler schildert in drastischen Worten, was für ein in Schmutz und Rauch versinkendes London er eigentlich hätte erblicken müssen (unser naiver Held rühmt indessen den Reichtum des Landes, seine tugendhaften Frauen und sicheren Strassen - um prompt von einem Strassenräuber überfallen zu werden):

"A mighty mass of brick, and smoke, and shipping,
      Dirty and dusky, but as wide as eye
  Could reach, with here and there a sail just skipping
      In sight, then lost amidst the forestry
  Of masts; a wilderness of steeples peeping
      On tiptoe through their sea-coal canopy;
  A huge, dun cupola, like foolscap crown
  On a fool's head - and there is London Town."
(Canto X, 82)

Frech, aufmüpfig legt der Dichter los, dessen erste beiden Canti  von "Don Juan" 1819 in England anonym veröffentlicht und natürlich sogleich wegen ihres “unsittlichen Inhalts” gerügt wurden. Er gab auch zu, dass er keine Ahnung hatte, wohin das Schicksal seinen Helden noch verschlagen sollte. Denn es ging ihm wirklich um Selbstdarstellung und um seine Gesellschaftskritik, auf beinahe akrobatisch zu nennende Art bewältigt mit dieser äusserst schwer zu handhabenden Strophenform, die er für sich regelrecht zu "zähmen" vermochte. Sechzehn Canti und ein halbes sollten es werden; vermutlich hätte er sie leicht verdoppelt, wäre er nicht in jungen Jahren im Kampf für die Unabhängigkeit der Griechen an einer Lungenentzüdndung gestorben. - Byron spielte auch auf sein Vorgehen, die Nachahmung italienischer Dichter, die sich im 17. Jahrhundert mündliche Improvisations-Wettkämpfe geliefert hatten, an, verheimlichte aber, wie mühsam diese  scheinbare Nachahmung im Englischen sein musste:

"I rattle on exactly as I'd talk
 With anybody in a ride or walk.

I don't know that there may be much ability
    Shown in this sort of desultory rhyme;
But there's a conversational facility
    Which may round off an hour upon a time,
Of this I'm sure at least, there's no servility
     In my irregularity of chime,
Which rings what's uppermost of new or hoary,
Just as I feel the Improvvisatore."
(Canto XV, 19 - 20)

Byron wurde es nicht müde, mit seinem geliebten Werkzeug, der “ottava rima”, die herrlichsten Kapriolen anzustellen, vom “Romantizismus” wegzukommen und zu einem der grössten Satiriker aller Zeiten aufzusteigen. Sein Meisterwerk “Don Juan” mag lang sein, vielen zu lang. Aber es ist immer mal wieder eine - möglichst gut kommentierte! - Lektüre wert, lehrt uns allerlei über das ausgehende 18. und frühe 19. Jahrhundert - und weicht keiner Gelegenheit zum Spott aus. Während Shelley, mit dem der Dichter befreundet war, nach einiger Zeit eher “abgehobene” Werke schrieb und uns der jung verstorbene John Keats vor allem wegen seiner wenigen Gedichte in Erinnerung bleibt (die Balladen trugen auch ihren Anteil zur “Schwarzen” Romantik bei), war Lord Byron unter den  Dichtern der Spätromantik derjenige mit der - boshaften - Bodenhaftung. Ein wahrhafter Genuss!

                                                        ******

Kaum jemand dürfte gerade diesem Eintrag aufmerksam gefolgt sein. Wer den Anfang las und jetzt nach den Sternchen noch einmal einsetzte, wird vermuten, meine Besprechung von Byron's Meisterwerk sei als Vorbereitung auf Ken Russells “Gothic” (1986) zu verstehen. - Wenn ihr euch da mal nicht irrt!



































Dienstag, 21. September 2010

Kurzbesprechung: Urbania

Urbania
(Urbania,  USA 2000)

Regie: Jon Shear (anderer Name: Jon Matthews)

Mit Michel Bodmer verfügt das Schweizer Fernsehen (SF DRS) über einen Redaktionsleiter, der die Zuschauer nicht mit dem üblichen filmischen Einheitsbrei, wie man ihn von deutschen Privatsendern her kennt, versorgt, sondern - wofür ich ihm ausserordentlich dankbar bin - in seinen “Delikatessen” immer wieder kleine Perlen präsentiert, die selbst der Liebhaber aussergewöhnlicher Filme sonst wohl nie kennen gelernt hätte. “Urbania”, das mehrfach ausgezeichnete Erstlingswerk von Jon Shear, ist eine dieser Perlen. Der Film könnte hierzulande zu Unrecht in der Abteilung “Gay Movies” Staub ansammeln, weil er einem schwulen Publikum nicht unbedingt das bietet, was es erwartet, von Heterosexuellen jedoch wegen des schwulen Protagonisten leicht in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden droht. - Sein eigentliches Thema sind nämlich die “urban legends”, jene unwahrscheinlichen, skurrilen Geschichten, derer sich jede Grossstadt rühmt und die längst die ländlichen Sagen abgelöst haben.

“Heard any good stories lately?” - Mit diesen Worten beginnt “Urbania”, die Verfilmung eines Bühnenstücks von Daniel Reitz, die das Erzählen als solches thematisiert und visuell auf höchst eigenwillige Weise umzusetzen vermag. Im Mittelpunkt steht der Schwule Charlie (Dan Futterman), dessen Odyssee durch ein nächtliches New York zu verschiedenen Begegnungen - geplanten und zufälligen - führt. Und alle diese Begegnungen gehen mit jenen seltsamen Erzählungen, deren "Glaubwürdigkeit" vom Freund eines Freundes bestätigt wurde, einher, weil die Menschen im Dschungel der Anonymität reden und angehört werden wollen. - Charlie, der auf der Suche nach einem bestimmten Mann ist (er beschreibt ihn gegenüber einem Barkeeper als jemanden, der sich auf der Schwelle befinde, wo Schönheit in Hässlichkeit umschlägt), wird selber von Halluzinationen, Bildern und Erinnerungen an seinen Freund Chris, den er aus irgendeinem Grund zu vermissen scheint, gequält. - Als er den Gesuchten, Dean,  findet, stösst er auf einen rassistischen, homophoben Kerl, der völlig dem Alkohol verfallen ist und von dem er sich als angeblich Heterosexueller zu einem Schwulentreffpunkt mitschleppen lässt, wo der Besoffene ein wenig “Gay Bashing” betreiben will. Doch auch Charlie hat sich nicht aus freundschaftlichen Gründen auf die Suche nach Dean ("who's going to make everything right") gemacht. Was er vorhat, lässt eher auf einen Mann schliessen,  der emotional am Ende ist und dessen Handeln ihn vielleicht selber zur “urban legend”  werden lassen könnte.

Mehr soll und darf man - der Bitte der Herausgeber folgend - nicht verraten. Der Zuschauer muss sich die erste rätselhafte Hälfte, deren Flashbacks und eigenartige Kamerawinkel für Verwirrung sorgen mögen, selber zumuten. Er wird mit einer tragischen Geschichte, deren Mischung aus  Surrealismus und Hyperrealismus an unerwarteter Stelle eine faszinierende, sich dem Traum annähernde Atmosphäre erzeugt, belohnt. Und Dan Futterman's Gestaltung der Hauptfigur in diesem trotz seiner grellen Farben dunkeln und ehrgeizigen Film überzeugt voll und ganz.



Donnerstag, 16. September 2010

Zum (wohl unausweichlichen) Gedenken

Süsses Gift (Alternativtitel: Chabrols süsses Gift)
(Merci pour le chocolat, Frankreich/Schweiz 2000)

Regie: Claude Chabrol
Darsteller: Isabelle Huppert, Jacques Dutronc, Anna Mouglalis, Rodolphe Pauly, Matthieu Simonet

An den Filmen des am 12. September dieses Jahres verstorbenen Claude Chabrol zeigte sich auf eigenartige Weise, wie manche Kritiker dem Wunsch nach Pauschalisierung nachgeben: Da der Regisseur mit “Le Beau Serge” (1958) oder “Les Cousins” (1959) nicht bloss als Mitbegründer der Nouvelle Vague galt, sondern auch bekennender Maoist war und sich mit sozialkritischen Filmen über die Bourgeoisie (“Les biches”, 1968, “La femme infidèle”, 1969) einen Namen gemacht hatte las man sozusagen von jeder neuen Regiearbeit des Franzosen schon floskelhaft, er halte mit seinem neuen Meisterwerk dem Bürgertum wieder  einmal gnadenlos den Spiegel vor - eine Meinung, die oft erst im Nachhinein und nach einigen ehrlichen Rezensionen in mehrfacher Hinsicht revidiert werden musste.

Denn erstens ging es Chabrol, der sich - um es deutlich auszusprechen - als Gourmet in der von ihm kritisierten Bourgeoisie mittlerweile bequem eingerichtet hatte, gelegentlich auch einfach darum, eine Geschichte ohne “hintergründige Angriffe” auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht zu erzählen (etwa im gelungenen Psychothriller “Le cri du hibou”, 1987, oder in “Une affaire des femmes”, 1988, dem schon beinahe nach einem Klassiker aussehenden Film über eine Engelmacherin im von den Deutschen besetzten Frankreich der 40er Jahre - mit Isabelle Huppert in einer ihrer grössten Rollen); und zweitens teilte er mit vielen etwas gar fleissigen Regisseuren das Schicksal, ein paar höchst durchschnittliche Filme gedreht zu haben, was nicht zuletzt die öfters eingesetzte Huppert zu verschleiern vermochte, weil sie mit ihrem einzigartig herben Gesicht alles auszudrücken vermag - und selbst wenn sie nichts ausdrückt, den Eindruck erweckt, ihr Schweigen spreche Bände...

“Merci pour le chocolat”, gerade von Schweizer Kritikern bejubelt (es handelte sich um eine Co-Produktion), scheint mir zu diesen mittelmässigen Arbeiten zu gehören: Mika, die Erbin eines Schokoladenkonzerns, lebt mit ihrem Mann André, einem berühmten Pianisten, der ohne das starke Schlafmittel Rohypnol nicht leben kann, in einer luxuriösen Villa hoch über Lausanne. Die beiden waren schon einmal verheiratet, trennten sich aber, weil sich André in Mikas Schwester Lisbeth verliebte, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Jetzt scheint die Familienidylle, an der auch Mikas Stiefsohn Guillaume teilhat, perfekt zu sein - bis eines Tages die junge Musikerin Jeanne auftaucht und behauptet, sie könnte nach der Geburt vertauscht worden und vielleicht Andrés Tochter sein. Mika bemerkt, wie ihr zunächst skeptischer Mann zu seiner möglichen Tochter, die bei der Familie ein Wochenende verbringen darf, eine emotional starke Bindung entwickelt, ihr regelrecht “verfällt”. Er offeriert der jungen begabten Frau Piano-Lektionen, in denen er völlig aufgeht (Warnung: Der Trauermarsch von Franz Liszt wird bis zum Überdruss eingeübt!) - und darüber ganz vergisst, dass er noch eine Frau hat, die sich freilich nichts anmerken lässt, sondern weiterhin die freundliche und “perfekte” Gastgeberin spielt.


Dies der Ausgangspunkt eines Psychothrillers nach einem Roman von Charlotte Armstrong, der auch in die Vergangenheit führen wird, dessen Plot man aber recht schnell durchschaut. Die eigentlich banale Geschichte, die - das Klavierspiel nachahmend - durch Andeuten und leichtes Akzentuieren einer Vernachlässigung gekonnt vorgibt, mehr zu sein als sie ist, bedarf schon allerhand interpretatorischer Kunststücke, wenn man sie zum in der Tradition von Chabrols frühen Filmen stehenden sozialkritischen Meisterwerk erheben will - indem man etwa zu erkennen glaubt, die Kernaussage von “Merci pour le chocolat” (ein inhaltlich ziemlich verräterischer Titel!) sei: Der in der bürgerlichen Familie lebende Mensch ist gezwungen, zum Künstler oder zum Mörder zu werden (so Georg Seesslen in einer Rezension, die nur stellvertretend für viele stehen soll). --- Natürlich geht es um eine kranke, verletzte Seele, die zum Unheil einer an sich kranken Familie, wie man sie übrigens in allen Gesellschaftsschichten finden könnte, wird (die Familienidylle erweist sich grundsätzlich als so trügerisch wie der ruhige Genfersee, der uns - um seine Symbolik zu verdeutlichen - ähnlich oft und mit aufdringlicher Regelmässigkeit vor Augen geführt wird wie das Sanatorium in Geissendörfers “Zauberberg”, 1982). Man darf sich jedoch fragen, wer in dieser Familie der Mörder ist; denn es gibt auch Seelenmörder. - Dies ist aber auch schon alles, was ich, der ich sonst jeder nicht allzu phantasievollen Interpretation gesonnen bin, der höchstens leidlich spannenden Geschichte zu entnehmen vermag. Der Film gibt nämlich all das, was man in ihn hineinzulegen versucht, bloss scheinbar her. Er könnte auch als durchschnittlicher “Tatort“, der ein klein wenig an der bürgerlichen Fassade kratzt, durchgehen.


Weshalb komme ich im Zusammenhang mit Chabrols Tod also überhaupt auf  "Merci pour le chocolat" zu sprechen? - Es geht mir einzig um die grosse Isabelle Huppert, die ich bewundere, seit ich sie in Claude Gorettas “La dentellière” (1977), einem leider etwas in Vergessenheit geratenen Zeitdokument,  zum ersten Mal sah. Es wäre ein Leichtes, sie für einen ihrer grossen Filme zu loben. Dass sie jedoch - umgeben von blass gezeichneten Darstellern - den kammerspielartigen “Thriller” von Chabrol zu einem Ereignis macht, ist ein Verdienst sondergleichen. Man muss sie bloss als scheinbar geduldige Gattin still auf dem Sofa sitzend oder bei der Zubereitung der allabendlich ihrem Stiefsohn kredenzten Schokolade (sie lässt - malheureusement! - die Kanne fallen) beobachten; dann weiss man, was “Merci pour le chocolat” in den fähigen Händen eines das Abgründige betonenden Regisseurs tatsächlich sein könnte. Sogar ihr letzter Blick auf ihren Mann lässt Zweifel aufkommen, ob die Schein-Idylle nicht doch aufrecht erhalten bleibt. Er lässt den Zuschauer verunsichert zurück. - Es ist sicher eine undankbare Aufgabe für eine Schauspielerin, die ich als Jahrhundertereignis bezeichnen möchte, Mittelmass mit ihrem Glanz zu erfüllen; dass sie es dennoch mit Bravour bewältigt, scheint mir eine Erwähnung wert.

Zum Schluss eine kleine Anregung für unsere Freunde der etwas abwegigen und weit hergeholten Interpretationen: Warum rücken sie nicht den Genfersee mit seiner im wahrsten Sinne des Wortes tiefgründigen Bedeutung etwas mehr ins Zentrum des Interesses? Führt Chabrol mit ihm nicht sämtliche Vorstellungen des für unsere antik-christlich geprägte Kultur so entscheidenden Begriffs vom Grunde - von der “causa” der antiken Philosophie mit all ihren Implikationen bis zum der mittelalterlichen Mystik zu verdankenden religiösen “Seelengrund” - ad absurdum und läutet ein völlig neues Zeitalter ein, weil man auf dem Grund des Sees schlicht --- ersäuft?

Samstag, 11. September 2010

Die Verwirrungen des Produzenten mit dem "O." in der Mitte

Jenny (Alternativtitel: Jennie - Das Porträt einer Liebe)
(Portrait of Jennie, USA 1948)

Regie: William Dieterle
Darsteller: Jennifer Jones, Joseph Cotten, Ethel Barrymore, Lillian Gish, Cecil Kellaway, David Wayne, Albert Sharpe, Henry Hull u.a.

Es war einmal - die Märchenfloskel dürfte in diesem Zusammenhang angebracht sein - ein Produzent, der hatte gerade den “grössten Film aller Zeiten” herausgebracht, als ihm eine junge Frau begegnete, in die er sich Knall auf Fall verliebte, deren Karriere er von nun an zu seiner Lebensaufgabe machte - und mit der er unbedingt einen noch grösseren Film als  den “grössten Film aller Zeiten” produzieren wollte. Was aber kommt dabei heraus, wenn ein erwachsener Mensch derart seinen Verstand verliert, dass er sich   - deshalb die Anspielung auf Musils “Törless” im Titel - einem spätpubertären Taumel hingibt, der ihn die Kontrolle über sich und sein Handeln verlieren lässt?

Tatsächlich vermochte David O. Selznick seiner “Neuentdeckung”, die er als Jennifer Jones unter einen langjährigen Vertrag genommen hatte, gleich für ihre erste Hauptrolle in “The Song of Bernadette” (1943) zu einem Oscar zu verhelfen. Doch er überschätzte das Talent der von ihm heillos bewunderten Schauspielerin und späteren Frau, der er ein möglichst breites Rollenspektrum zwischen Heiliger und Hexe, Unschuld und Hure auf den Leib schreiben liess - und er wollte nicht erkennen, dass sie sich in kleineren Filmen wesentlich besser machte als in den pompösen Schinken, mit denen er sie zum leuchtendsten Stern am Filmhimmel aufzubauen versuchte. So musste etwa “Duel in the Sun” (1946), in dem sie ein zügelloses “Halbblut” spielte und an dem man tatsächlich jahrelang gedreht hatte, kläglich an “Gone With the Wind” (1939) scheitern, und die folgenden Jahre bescherten Jennifer Jones, die Selznick regelrecht ergeben war und sich von ihm lenken liess, eine beachtliche Reihe von Misserfolgen (etwa “We Were Strangers” ,1949, oder “Madame Bovary”, 1949). Doch der einst instinktsichere Produzent, der weiterhin darauf bestand, sie in “Über”-Filmen wie der Hemingway-Adaption “A  Farewell to Arms” (1957) einzusetzen, kürzte etwa de Sicas Klassiker “Stazione Termini” (1953), in dem sie für einmal überzeugend eine verheiratete amerikanische Frau, die sich in Rom in eine Affäre einlässt, spielte, für das Publikum in den USA auf 62 Minuten  - und segnete 1965 nach mehreren Herzattacken und weiteren vergeblichen Versuchen, Jennifer in den ultimativen Superstar zu verwandeln (“Tender Is the Night”, 1962), das Zeitliche - was auch die Filmkarriere der Schauspielerin mehr oder weniger beendete. Einer ihrer grossen schauspielerischen Momente - und dies zeigt, in welcher Kategorie von Filmen sie wirklich zu würdigen Rollen hätte finden können - sollte ihr als eurasischer Ärztin in der Liebesschnulze “Love is a Many-Splendored Thing”, dem Kassenhit des Jahres 1955, beschieden sein.



“Portrait of Jennie”, die Verfilmung eines Romans von Robert Nathan, war einer jener vergeblichen Versuche Selznicks, dem Namen Jennifer Jones zu erneuter Popularität  zu verhelfen. Die kleine Geschichte eines Bildes, das ein verarmter Maler möglicherweise von einer jungen Frau aus einer anderen Zeit (einem ihm Modell stehenden Geist) malte, beinhaltet denn auf den ersten Blick auch den Stoff für einen hübschen, durchaus erfolgversprechenden Fantasy-Film: Im Jahre 1934 streift der mit seiner Arbeit unzufriedene Maler Ebden Adams, dessen künstlerisches Potential einzig von der älteren Galeristin Miss Spinney erkannt wird (“I’m an old maid, and nobody knows more about love than an old maid“), durch ein abendliches New York, als ihm ein junges Mädchen begegnet und ihn auf eigenartige Weise fasziniert. Es nennt sich Jennie Appleton, trägt altmodische Kleider und scheint überhaupt in seiner eigenen Welt zu leben. Bevor es verschwindet, wünscht es sich, Ebden Adams möge auf es warten, bis es erwachsen sei. - Der Maler fertigt eine Skizze von dem Mädchen an, die er sogleich zu verkaufen vermag. --- Monate später begegnet ihm eine überraschend älter gewordene Jennie wieder in der winterlichen Stadt, und er beschliesst ein Porträt von ihr zu malen. Mit jeder Begegnung reift das seltsame Wesen mehr zur jungen Frau heran, die noch immer von einer Vergangenheit erzählt, in der sie zu leben scheint. Zwischen Maler und Modell entwickelt sich eine Liebesbeziehung, deren eigentümlich übersinnliches Wesen von Jennie stets erneut betont wird (“The strands of our lives are woven together and neither the world nor time can tear them apart”).  - Als Ebden Adams in einem Kloster Erkundigungen über seine Geliebte einholt, erfährt er, dass sie vor Jahrzehnten bei einem Sturm ums Leben kam. Vermag er sie durch einen “Sprung” in ihre Zeit zu retten und in die seine herüberzuholen? - Oder benötigte der Maler - diese Möglichkeit räumt insbesondere Miss Spinney immer wieder ein - die angebliche Erscheinung lediglich als Inspiration für sein einziges künstlerisch vollendetes Werk?

Wie gesagt: der Stoff für eine bezaubernde Fantasy-Liebesgeschichte, die - dies hatte schon “The Ghost and Mrs. Muir” (1947) gezeigt - durchaus Erfolg versprechend  gewesen wäre. Doch Selznick drohte bereits im Trailer (“...perhaps the most unusual David O. Selznick production since ‘Gone With the Wind‘...”) mit einem ehrgeizigeren Projekt. Und tatsächlich sollte dem 89 Minuten dauernden Filmchen ein Prolog vorangestellt sein, der uns hoch über den Wolken - begleitet von den geheimnisvollen Klängen, die Dimitri Tiomkin und Bernard Herrmann, Motive von Claude Debussy intensiv beanspruchend, komponiert hatten -   nicht nur schier endloses pseudophilosophisches Raunen (“Since time began, man has looked into the awesome reaches of infinity and asked the eternal questions: What is time? What is life? What is space? What is death? ...”) zumutet, sondern auch noch Euripides und Keats bemüht, bevor anstelle der Credits das verheissungsvolle “And now: Portrait of Jennie!” ertönt. - Darauf folgen durchaus ansprechende Aufnahmen eines herbstlichen New Yorks (Selznick bestand auf Originalschauplätzen, was die Kosten des Films enorm in die Höhe schnellen liess), durch das ein resignierter Joseph  Cotten schlendert, der uns bei jeder unpassenden Gelegenheit aus dem Off erzählen muss, wie er sich gerade fühlt und was er gerade tut (Bewunderer des grossen Schauspielers, der seine Gefühle und sein Handeln durchaus ohne Kommentare zum Ausdruck zu bringen vermochte, warten ängstlich auf ein “And then I sneezed”, worauf man dann tatsächlich ein Niesen in Grossaufnahme zu sehen bekäme). - Aber letztlich dient eben alles der raunenden Beschwörung des Geheimnisvollen, muss sich dem “Übersinnlichen“ unterwerfen, welches auch durch eine völlig unglaubwürdig inszenierte atmosphärische Veränderung der Stadt und das Einsetzen der Debussy-Klänge vor dem “Erscheinen” des  geheimnisvollen Wesens vermittelt werden soll.

Joseph Cotten - er hatte schon zweimal mit Jennifer Jones zusammengearbeitet - vermag trotz seiner 43 Jahre den jungen Maler überzeugend darzustellen, zeigt wie auch die grosse Ethel Barrymore und Lillian Gish, dass es Selznick noch immer gelang, einzigartige Schauspieler für ein geradezu peinlich aufgeplustertes Projekt zu gewinnen. - Die 29-jährige Hauptdarstellerin hingegen wirkt schon als Schulmädchen  höchst gekünstelt; und Selznick zelebriert sie als schmachtende junge Frau in derart aufdringlichen Bildern, dass die Effekthascherei unübersehbar ist. - Als Gegensätze zur übernatürlichen Grundstimmung sollen - auch dies ein Fehlgriff, der Selznick zu verdanken sein dürfte - David Wayne und Albert Sharpe als höchst diesseitige komödiantische Figuren dienen, für die der Maler in einem irischen Pub ein patriotisches Bild herstellt.



Der allmächtige Produzent bestand auf einer Viragierung (“film tinting”)  der beiden Teile am Schluss des Films: die Szene, in der Adams seine Geliebte im Sturm zu retten versucht, nimmt einen grünen Farbton an, sein Erwachen und ein letztes Gespräch mit der Galeristin einen braunen. Vermutlich wollte Selznick die Stimmung des Höhepunkts auf diese Weise noch deutlicher vermitteln. (Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinen Freunden von MovieMaze bedanken, die mich darauf hinwiesen, dass Viragierungen keineswegs nur in Stummfilmen vorkamen, sondern etwa auch in Kriegsszenen von Samurai-Filmen bewusst eingesetzt werden. Es scheint, als habe gelegentlich jede farbliche Tönung ihre spezielle Bedeutung.) - Am Schluss von “Portrait of Jennie” sieht man das vollendete Bild in Farbe im Museum hängen, ein Effekt, der ganz offensichtlich von Albert Lewin’s “The Picture of Dorian Gray” (1945) übernommen wurde.

Der Film - es handelte sich verständlicherweise um William Dieterle’s einzige Zusammenarbeit mit Selznick - erwies sich als Flop. Die Zuschauer waren mit dem leeren Pathos, das er ihnen auftischte, aus für mich einleuchtenden Gründen nicht zufrieden. Man könnte sagen, in “Portrait of Jennie” seien grosse Darsteller, grosse Komponisten  und Fotografen - vielleicht sogar gute Drehbuchschreiber, die nach den Eingriffen Selznick’s nichts mehr von dem entdecken konnten, was sie geschrieben hatten - für die verworrene Beweihräucherung einer Schauspielerin verheizt worden. - Wer heute Recherchen anstellt, muss jedoch zur Kenntnis nehmen, dass er kaum noch auf negative Beurteilungen des damaligen Debakels stösst. Im Gegenteil: “Portrait of Jennie” wird von vielen nicht nur als “kleine Perle des phantastischen Films” betrachtet, sondern geradezu kultisch verehrt. Und die Anhängerschaft kann sich auf keinen Geringeren als Luis Buñuel berufen, der sagte, Selznick’s Ausflug ins Übersinnliche habe ihm "ein grosses Fenster geöffnet”. - Ein jeder möge sich sein eigenes Urteil bilden!