Posts mit dem Label Roman Polanski werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Roman Polanski werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Dienstag, 31. August 2010

Endlich Polanski!

Ich lästere zwar ungern über meine Blogger-Freunde; aber "fincher" (Blockbuster Entertainment) ist ein raffinierter kleiner Erpresser! Kaum erwähnt man ihm gegenüber den Titel eines Films oder den Namen eines Regisseurs,  schon  folgt die hinterhältige Bemerkung, er würde sich über eine Besprechung freuen. Und da er meine Sanftmut und Nachgiebigkeit kennt, nutzt er mich schamlos aus. - Also, "fincher", this one is especially for you:

Der Tod und das Mädchen
(Death and the Maiden, USA/Grossbritannien/Frankreich 1994)

Regie: Roman Polanski
Darsteller: Sigourney Weaver, Ben Kingsley, Stuart Wilson

Roman Polanski wurde am 12. Juli aus seinem Hausarrest in Gstaad entlassen, und niemand wird mir unterstellen können, ich verpasse ihm den endgültigen Todesstoss, wenn ich eingestehe, zu seinen Filmen ein “zwiespältiges” Verhältnis zu haben. - Es ist durchaus nichts Aussergewöhnliches, dass sich Filmfreunde an “Macken”, an als Schwächen empfundenen Eigentümlichkeiten bedeutender Regisseure stören. So wurde etwa Howard Hawks wegen seiner “Kamera auf Augenhöhe” immer wieder kritisiert, während Brian de Palma mit dem in Rezensionen  ständig vorgebrachten Vorwurf, er sei lediglich ein Hitchcock-Epigone, leben muss. Die Liste liesse sich beliebig verlängern.

Was ich Polanski vorwerfe: Sein mangelndes Gespür für “Tempowechsel”.  Diese wohl nur von mir als Schwäche empfundene Eigenart hängt direkt mit seinem unbändigen Perfektionismus zusammen, der jede Szene gleichwertig neben der anderen stehen lassen, sozusagen Höhepunkt an Höhepunkt reihen will und gelegentlich - den für eine Geschichte nötigen Spannungsbogen missachtend -  schlicht Langweile anstelle intelligenter Unterhaltung erzeugt. Einige üblicherweise gelobte Filme, die meines Erachtens besonders unter diesem Mangel an “Tempovariationen” leiden: “The Fearless Vampire Killers” (1967), ein Film, der überwältigende Bilder, jedoch keine überzeugende Entwicklung zu einem Höhepunkt hin bietet (allein schon die Solonummer des sich als Schauspieler gebärdenden Regisseurs in der Gruft scheint eine Ewigkeit zu währen), von dessen letzter Fassung sich Polanski allerdings auch ausdrücklich distanzierte; die äusserst detailgetreue Thomas Hardy-Verfilmung “Tess” (1979), von der man sagen kann, sie vergöttere die Kinski in jeder Aufnahme, erzähle deshalb jedoch in Überlänge keine zusammenhängende Geschichte vom Niedergang einer “pure woman” mehr, vermöge von Episode zu Episode keine Verbindung zu schaffen (es handelt sich vermutlich um die Adaption eines Hardy-Romans, der ich jedoch aus dem erwähnten Grund eine später zu besprechende vorziehe); und letztlich - dies mag Verehrern des Regisseurs als Blasphemie erscheinen! - der als Hommage an Hitchcock gedachte “Frantic” (1988), der nicht  nur wegen seiner überraschungsarmen Story und einem geradezu peinlichen MacGuffin, sondern auch “dank” seines gleichmässigen Vor-Sich-Hinplätscherns, seiner Unfähigkeit, Spannung aufzubauen, nichts von alledem zu bieten hat, was einen Thriller ausmacht.


Wenn Polanski jedoch eine Vorlage zur Verfügung stand, die es ihm erlaubte, sich seinem Streben nach Perfektionismus hinzugeben, eine sich langsam entwickelnde Geschichte - vielleicht mit spätem und unerwartet eintretendem Umschlag - zu erzählen, vermochte er tatsächlich meisterhaftes Kino zu schaffen. Dies traf mit Sicherheit auf den Film zu, der ihm zu Weltruhm verhalf: "Rosemary’s Baby” (1968). Man kann sich des - selbstverständlich irreführenden - Eindrucks nicht erwehren, Ira Levin habe seinen Roman dem Regisseur geradezu auf den Leib geschrieben, ihm die vielen Details einer scheinbar nur unter den Schmerzen ihrer Schwangerschaft leidenden Frau, die möglicherweise gegen Ende einer Hysterie verfällt, förmlich angeboten. - Und ich bin der Ansicht, dem chilenischen Bühnenautor Ariel Dorfman sei mit “Death and the Maiden” eine für Polanski filmisch nicht minder grandios umzusetzende Vorlage geglückt, mag auch das 1994 entstandene verstörende Meisterwerk  - es knüpft in vielerlei Hinsicht an die ersten Filme an! - leider nicht zu dessen bekanntesten Arbeiten gehören:


Fünf Jahre nach dem Ende einer faschistischen Militärdiktatur  in einem namentlich nicht genannten südamerikanischen Land (man nimmt an, Dorfman habe damit das Chile unter Pinochet gemeint) leben der Rechtsanawalt Gerardo Escobar und seine Frau Paulina in einem abgelegenen Strandhaus, von wo aus sie die neue, mildere Regierung zu unterstützen versuchen (Gerardo darf sich Hoffnungen auf einen Posten machen, der es ihm ermöglicht, ehemaligen Menschenrechtsverletzungen nachzugehen, zwangsläufig aber auch einige der schlimmsten Verbrecher laufen lassen zu müssen). Paulina, die selber zwei Monate lang inhaftiert war, jedoch das während dieser Zeit Durchlittene  nie vollständig zu erzählen vermochte, ist eine schwer traumatisierte Frau, die an einem stürmischen, von einem Stromausfall begleiteten Abend ungeduldig auf ihren Mann wartet und - von der Vergangenheit geprägt - ihr Essen auf dem Boden einer Vorratskammer, in die sie sich eingeschlossen hat, einnimmt. Als Escobar nach einer Reifenpanne endlich eintrifft, bringt er den hilfsbereiten Arzt Dr. Miranda mit, in dem Paulina augenblicklich jenen Mann wieder zu erkennen glaubt, der sie während ihrer Gefangenschaft (vor rund 15 Jahren!) mehrfach folterte und vergewaltigte. Während sich die beiden Männer bereits freundschaftlich unterhalten, entwendet sie das Auto des Arztes und sucht in ihm nach einem Beweis für ihren Verdacht - den sie in Form eines Tapes mit Schuberts Streichquartett “Der Tod und das Mädchen” auch rasch zu finden glaubt; denn ihr Peiniger, den sie nie wirklich zu sehen bekam, liess während seiner “Besuche” regelmässig dieses Stück laufen (was für ein Symbol, ist doch der “Knochen-Mann” im Gedicht von Matthias Claudius, von dem sich Schubert inspirieren liess, sowohl Liebhaber als auch “schlafbringender” Tod, der das “Noli me tangere!”-Motiv der ersten Strophe wegzuwischen versucht). - Dies ist der Anfang einer langen, von einem heftigen Gewitter und der Brandung der Steilklippen begleiteten Nacht, in der es sicher in mehrfacher Hinsicht um die “Wahrheit”, vor allem aber um Existenzen und die Frage geht, was sich ereignet, wenn jemand (sei es eine Gesellschaft oder ein Einzelner) Macht über eine hilflose Person erhält, in der aus einem ehemaligen Opfer ein Peiniger wird - und die in einen Morgen mündet, an dem ein seltsames Geständnis abgelegt wird, von dem vermutlich nicht einmal die involvierten Figuren  wissen, was davon der Wahrheit entspricht und welche Bedeutung ihm zukommt. 

Ben Kingsley, ein Schauspieler, der jeden Film an sich zu reissen vermag (selbst wenn er nur - wie in “Maurice”, 1987,  als Hypnotiseur  - in einer Nebenrolle auftritt), war klug genug, sich als Dr. Miranda nicht unnötig in den Vordergrund zu drängen (sein grosser Auftritt sollte ohnehin in den letzten Minuten erfolgen), sondern neben dem über weite Strecken hinweg die Position des Zuschauers einnehmenden Stuart Wilson insbesondere einer hervorragend agierenden Sigourney Weaver, deren geschundene und sich jetzt oft rätselhaft aufführende Paulina in dieser nach Rache dürstenden Nacht den Ton angibt, genügend Raum zu gewähren. Paulina ist, dies zeigt sich schon zu Beginn, nicht nur eine ungeduldige, sondern auch eine übermässig misstrauische Frau geworden, die ihren spät zurückgekehrten Mann einer regelrechten Inquisition unterzieht und nach einer unbefriedigenden Reaktion sein Essen in den Mülleimer schmeisst. Der Zuschauer fragt sich nach dieser “Szene einer keineswegs unproblematischen Ehe” deshalb unweigerlich: Bietet Dr. Miranda, ein anfangs höflicher, vielleicht unschuldiger Mann, den sie lediglich an seiner Stimme und seinem Geruch zu erkennen glaubt, ihr einfach Gelegenheit, ihre Vergangenheit zu bewältigen. Manche ihrer Reaktionen (etwa wenn sie dem Gefesselten ihren getragenen Slip in den Mund stopft oder ihn geradezu gierig beschnuppert) wirken beinahe, als wolle sie die unerträgliche sado-masochistische Erotik der Vergangenheit wieder aufleben lassen. Escobar wiederum wird zunehmend faszinierter Zeuge eines Schauprozesses, der durch Quälereien (Paulina besteht darauf, Mirandas Glied während eines Gangs zur Toilette zu halten) unterbrochen wird, auch wenn er weiterhin nicht weiss, ob er nicht dem nach einiger Zeit ebenfalls zu handfesten Ausdrücken (“Cunt!”) neigenden Dr. Miranda, der möglicherweise ein Alibi für die Zeit, in der seine Frau gefoltert wurde, vorweisen kann, glauben soll.



All dies spielt sich von wenigen Ausnahmen abgesehen in einem einzigen Raum ab, was Polanski den Vorwurf einbrachte, sein Film sei “abgefilmtes Theater”, obwohl doch gerade die kammerspielartige Inszenierung eine einzigartige klaustrophobische Stimmung, wie sie für mehrere Filme des Regisseurs  bezeichnend ist, zu erzeugen vermag, in der es den Figuren nach einer längeren Exposition gelingt, sich  in quälende und gequälte Ungeheuer zu verwandeln. - Ein solch gnadenloser Film über Schuld, Leid und Rache ist sicher nichts für Zuschauer, die sich lieber leicht verdaulicher Kost hingeben. - Wer sich jedoch auf “Death and the Maiden” einlässt, bemerkt rasch, welche Bedeutung der Film für Polanski hatte, vermochte er in ihm doch indirekt auch Erinnerungen an seine Kindheit im Krakauer Ghetto aufzuarbeiten. Das von der Kritik meist nur mit Einschränkungen gelobte Meisterwerk hätte grössere Anerkennung verdient. Es gibt ausser dem frühen “Cul-de-Sac” (1965), dem die Verfilmung von Dorfman’s Stück die deutlich ausgesprochene politische Komponente hinzufügt,  nämlich wohl keine vergleichbare Arbeit in der Geschichte des neueren Films, die mit nur drei Figuren eine derart unerträgliche Spannung zu erzeugen vermag. - Interessantes Detail: Am Anfang und am Ende von “Death and the Maiden” sieht man Paulina und Escobar in einem Konzertsaal sitzen und Schuberts Streichquartett lauschen. Am Schluss kreuzen sich ihre Blicke mit dem von Miranda, der zusammen mit seiner Familie weiter oben sitzt. Selbst dieser Schluss - und das macht Polanskis Film so faszinierend - ist interpretationsbedürftig.