Samstag, 11. September 2010

Die Verwirrungen des Produzenten mit dem "O." in der Mitte

Jenny (Alternativtitel: Jennie - Das Porträt einer Liebe)
(Portrait of Jennie, USA 1948)

Regie: William Dieterle
Darsteller: Jennifer Jones, Joseph Cotten, Ethel Barrymore, Lillian Gish, Cecil Kellaway, David Wayne, Albert Sharpe, Henry Hull u.a.

Es war einmal - die Märchenfloskel dürfte in diesem Zusammenhang angebracht sein - ein Produzent, der hatte gerade den “grössten Film aller Zeiten” herausgebracht, als ihm eine junge Frau begegnete, in die er sich Knall auf Fall verliebte, deren Karriere er von nun an zu seiner Lebensaufgabe machte - und mit der er unbedingt einen noch grösseren Film als  den “grössten Film aller Zeiten” produzieren wollte. Was aber kommt dabei heraus, wenn ein erwachsener Mensch derart seinen Verstand verliert, dass er sich   - deshalb die Anspielung auf Musils “Törless” im Titel - einem spätpubertären Taumel hingibt, der ihn die Kontrolle über sich und sein Handeln verlieren lässt?

Tatsächlich vermochte David O. Selznick seiner “Neuentdeckung”, die er als Jennifer Jones unter einen langjährigen Vertrag genommen hatte, gleich für ihre erste Hauptrolle in “The Song of Bernadette” (1943) zu einem Oscar zu verhelfen. Doch er überschätzte das Talent der von ihm heillos bewunderten Schauspielerin und späteren Frau, der er ein möglichst breites Rollenspektrum zwischen Heiliger und Hexe, Unschuld und Hure auf den Leib schreiben liess - und er wollte nicht erkennen, dass sie sich in kleineren Filmen wesentlich besser machte als in den pompösen Schinken, mit denen er sie zum leuchtendsten Stern am Filmhimmel aufzubauen versuchte. So musste etwa “Duel in the Sun” (1946), in dem sie ein zügelloses “Halbblut” spielte und an dem man tatsächlich jahrelang gedreht hatte, kläglich an “Gone With the Wind” (1939) scheitern, und die folgenden Jahre bescherten Jennifer Jones, die Selznick regelrecht ergeben war und sich von ihm lenken liess, eine beachtliche Reihe von Misserfolgen (etwa “We Were Strangers” ,1949, oder “Madame Bovary”, 1949). Doch der einst instinktsichere Produzent, der weiterhin darauf bestand, sie in “Über”-Filmen wie der Hemingway-Adaption “A  Farewell to Arms” (1957) einzusetzen, kürzte etwa de Sicas Klassiker “Stazione Termini” (1953), in dem sie für einmal überzeugend eine verheiratete amerikanische Frau, die sich in Rom in eine Affäre einlässt, spielte, für das Publikum in den USA auf 62 Minuten  - und segnete 1965 nach mehreren Herzattacken und weiteren vergeblichen Versuchen, Jennifer in den ultimativen Superstar zu verwandeln (“Tender Is the Night”, 1962), das Zeitliche - was auch die Filmkarriere der Schauspielerin mehr oder weniger beendete. Einer ihrer grossen schauspielerischen Momente - und dies zeigt, in welcher Kategorie von Filmen sie wirklich zu würdigen Rollen hätte finden können - sollte ihr als eurasischer Ärztin in der Liebesschnulze “Love is a Many-Splendored Thing”, dem Kassenhit des Jahres 1955, beschieden sein.



“Portrait of Jennie”, die Verfilmung eines Romans von Robert Nathan, war einer jener vergeblichen Versuche Selznicks, dem Namen Jennifer Jones zu erneuter Popularität  zu verhelfen. Die kleine Geschichte eines Bildes, das ein verarmter Maler möglicherweise von einer jungen Frau aus einer anderen Zeit (einem ihm Modell stehenden Geist) malte, beinhaltet denn auf den ersten Blick auch den Stoff für einen hübschen, durchaus erfolgversprechenden Fantasy-Film: Im Jahre 1934 streift der mit seiner Arbeit unzufriedene Maler Ebden Adams, dessen künstlerisches Potential einzig von der älteren Galeristin Miss Spinney erkannt wird (“I’m an old maid, and nobody knows more about love than an old maid“), durch ein abendliches New York, als ihm ein junges Mädchen begegnet und ihn auf eigenartige Weise fasziniert. Es nennt sich Jennie Appleton, trägt altmodische Kleider und scheint überhaupt in seiner eigenen Welt zu leben. Bevor es verschwindet, wünscht es sich, Ebden Adams möge auf es warten, bis es erwachsen sei. - Der Maler fertigt eine Skizze von dem Mädchen an, die er sogleich zu verkaufen vermag. --- Monate später begegnet ihm eine überraschend älter gewordene Jennie wieder in der winterlichen Stadt, und er beschliesst ein Porträt von ihr zu malen. Mit jeder Begegnung reift das seltsame Wesen mehr zur jungen Frau heran, die noch immer von einer Vergangenheit erzählt, in der sie zu leben scheint. Zwischen Maler und Modell entwickelt sich eine Liebesbeziehung, deren eigentümlich übersinnliches Wesen von Jennie stets erneut betont wird (“The strands of our lives are woven together and neither the world nor time can tear them apart”).  - Als Ebden Adams in einem Kloster Erkundigungen über seine Geliebte einholt, erfährt er, dass sie vor Jahrzehnten bei einem Sturm ums Leben kam. Vermag er sie durch einen “Sprung” in ihre Zeit zu retten und in die seine herüberzuholen? - Oder benötigte der Maler - diese Möglichkeit räumt insbesondere Miss Spinney immer wieder ein - die angebliche Erscheinung lediglich als Inspiration für sein einziges künstlerisch vollendetes Werk?

Wie gesagt: der Stoff für eine bezaubernde Fantasy-Liebesgeschichte, die - dies hatte schon “The Ghost and Mrs. Muir” (1947) gezeigt - durchaus Erfolg versprechend  gewesen wäre. Doch Selznick drohte bereits im Trailer (“...perhaps the most unusual David O. Selznick production since ‘Gone With the Wind‘...”) mit einem ehrgeizigeren Projekt. Und tatsächlich sollte dem 89 Minuten dauernden Filmchen ein Prolog vorangestellt sein, der uns hoch über den Wolken - begleitet von den geheimnisvollen Klängen, die Dimitri Tiomkin und Bernard Herrmann, Motive von Claude Debussy intensiv beanspruchend, komponiert hatten -   nicht nur schier endloses pseudophilosophisches Raunen (“Since time began, man has looked into the awesome reaches of infinity and asked the eternal questions: What is time? What is life? What is space? What is death? ...”) zumutet, sondern auch noch Euripides und Keats bemüht, bevor anstelle der Credits das verheissungsvolle “And now: Portrait of Jennie!” ertönt. - Darauf folgen durchaus ansprechende Aufnahmen eines herbstlichen New Yorks (Selznick bestand auf Originalschauplätzen, was die Kosten des Films enorm in die Höhe schnellen liess), durch das ein resignierter Joseph  Cotten schlendert, der uns bei jeder unpassenden Gelegenheit aus dem Off erzählen muss, wie er sich gerade fühlt und was er gerade tut (Bewunderer des grossen Schauspielers, der seine Gefühle und sein Handeln durchaus ohne Kommentare zum Ausdruck zu bringen vermochte, warten ängstlich auf ein “And then I sneezed”, worauf man dann tatsächlich ein Niesen in Grossaufnahme zu sehen bekäme). - Aber letztlich dient eben alles der raunenden Beschwörung des Geheimnisvollen, muss sich dem “Übersinnlichen“ unterwerfen, welches auch durch eine völlig unglaubwürdig inszenierte atmosphärische Veränderung der Stadt und das Einsetzen der Debussy-Klänge vor dem “Erscheinen” des  geheimnisvollen Wesens vermittelt werden soll.

Joseph Cotten - er hatte schon zweimal mit Jennifer Jones zusammengearbeitet - vermag trotz seiner 43 Jahre den jungen Maler überzeugend darzustellen, zeigt wie auch die grosse Ethel Barrymore und Lillian Gish, dass es Selznick noch immer gelang, einzigartige Schauspieler für ein geradezu peinlich aufgeplustertes Projekt zu gewinnen. - Die 29-jährige Hauptdarstellerin hingegen wirkt schon als Schulmädchen  höchst gekünstelt; und Selznick zelebriert sie als schmachtende junge Frau in derart aufdringlichen Bildern, dass die Effekthascherei unübersehbar ist. - Als Gegensätze zur übernatürlichen Grundstimmung sollen - auch dies ein Fehlgriff, der Selznick zu verdanken sein dürfte - David Wayne und Albert Sharpe als höchst diesseitige komödiantische Figuren dienen, für die der Maler in einem irischen Pub ein patriotisches Bild herstellt.



Der allmächtige Produzent bestand auf einer Viragierung (“film tinting”)  der beiden Teile am Schluss des Films: die Szene, in der Adams seine Geliebte im Sturm zu retten versucht, nimmt einen grünen Farbton an, sein Erwachen und ein letztes Gespräch mit der Galeristin einen braunen. Vermutlich wollte Selznick die Stimmung des Höhepunkts auf diese Weise noch deutlicher vermitteln. (Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinen Freunden von MovieMaze bedanken, die mich darauf hinwiesen, dass Viragierungen keineswegs nur in Stummfilmen vorkamen, sondern etwa auch in Kriegsszenen von Samurai-Filmen bewusst eingesetzt werden. Es scheint, als habe gelegentlich jede farbliche Tönung ihre spezielle Bedeutung.) - Am Schluss von “Portrait of Jennie” sieht man das vollendete Bild in Farbe im Museum hängen, ein Effekt, der ganz offensichtlich von Albert Lewin’s “The Picture of Dorian Gray” (1945) übernommen wurde.

Der Film - es handelte sich verständlicherweise um William Dieterle’s einzige Zusammenarbeit mit Selznick - erwies sich als Flop. Die Zuschauer waren mit dem leeren Pathos, das er ihnen auftischte, aus für mich einleuchtenden Gründen nicht zufrieden. Man könnte sagen, in “Portrait of Jennie” seien grosse Darsteller, grosse Komponisten  und Fotografen - vielleicht sogar gute Drehbuchschreiber, die nach den Eingriffen Selznick’s nichts mehr von dem entdecken konnten, was sie geschrieben hatten - für die verworrene Beweihräucherung einer Schauspielerin verheizt worden. - Wer heute Recherchen anstellt, muss jedoch zur Kenntnis nehmen, dass er kaum noch auf negative Beurteilungen des damaligen Debakels stösst. Im Gegenteil: “Portrait of Jennie” wird von vielen nicht nur als “kleine Perle des phantastischen Films” betrachtet, sondern geradezu kultisch verehrt. Und die Anhängerschaft kann sich auf keinen Geringeren als Luis Buñuel berufen, der sagte, Selznick’s Ausflug ins Übersinnliche habe ihm "ein grosses Fenster geöffnet”. - Ein jeder möge sich sein eigenes Urteil bilden!

Sonntag, 5. September 2010

251 Erinnerungsfetzen

Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte
(Deutschland 2008)

Regie:  Michael Althen, Hans Helmut Prinzler

“Geschichte” - ein diffuser Begriff, der  in unserer schnelllebigen Zeit oft nur wenig mit dem pedantischen Aufarbeiten eines Ereignisses aus der Vergangenheit oder einer in die Gegenwart hineinreichenden Entwicklung, wie wir es von der Schule her kennen, zu tun hat. So mag es denn auch nicht erstaunen, dass eine Dokumentation, die über hundert Jahre deutsches Kino in 106 Filmminuten verpackt, als “eine Geschichte” bezeichnet wird. Was aber hat uns diese “Geschichte” zu bieten?

In erster Linie sind es einmal Erinnerungsfetzen aus sage und schreibe 251 Filmen, die einander gelegentlich vielsagend gegenübergestellt  (Leni Riefenstahl, die derart viel Zeit hinter der Kamera verbrachte, dass sie von allem nichts merken wollte, dem Schauspieler Joachim Gottschalk, der sich zusammen mit seiner jüdischen Frau 1941 für den Freitod entschied), manchmal aber auch zu Motivblöcken zusammengefügt werden, die den Eindruck erwecken, man wolle dem “deutschen Wesen”, das es natürlich nicht gibt, auf die Spur kommen (die Blicke der Männer, deren “teutonische Andersartigkeit” lediglich der Schminktechnik zuzuschreiben ist, das Rauchen, Küssen, Telefonieren etc. im deutschen Film, das sich kaum von dem in Filmen anderer Länder unterscheiden dürfte). Und oft stehen diese Fetzen auch wenig begründet nebeneinander.

Spannend wird es, wenn einzelne Themenbereiche oder geschichtliche Epochen dann doch anhand von Filmausschnitten näher beleuchtet werden: die Zeit des Nationalsozialismus mit ihrem Repertoire, das von musikalischer Unterhaltung über Veit Harlans Rührstücke - er liess seine Frau Kristina Söderbaum bekanntlich auf alle erdenklichen Weisen sterben - bis hin zu den schändlichen Propagandastreifen reichte, für deren schlimmsten, “Jud Süss”, 1940, auch Harlan als Regisseur verantwortlich war; die Geschichte der Berliner Mauer von ihrem Bau bis zum Fall und der diesen Fall verschlafenden Mutter in “Good Bye, Lenin” (2003) - oder die “Geschichte” eines Deutschlands auf der Strasse. - Leider wird wenig über den Film der DDR gesagt; man beschränkt sich neben einer etwas eingehenderen Besprechung von “Solo Sunny” (1980) vor allem auf von der Parteileitung verbotene Werke - während zumindest ich auch gerne Ausschnitte aus jenen Ablenkungsmusicals gesehen hätte, die offenbar als eine Art Pendant zu den Heintje- oder Roy Black-Glücklichmachern des Westens zu betrachten sein dürften.

Diesen Erinnerungsfetzen werden zehn Filmschaffende zugesellt, die sich kurz über einen ihrer Lieblingsfilme - auf oft sehr persönliche Art - äussern dürfen. Hier stört die höchst unterschiedliche Qualität der Besprechungen ein wenig: Man dürstet regelrecht nach einer neuen Sichtung von Helmut Käutners “Unter den Brücken” (1944), wenn man Christian Petzolds Analyse einer einzigen Szene aus diesem “Desertionsfilm” (das Wegblasen einer in die Stirn fallenden Locke) gesehen hat; wird von Hanns Zischler an die zutiefst beeindruckende Kälte in Alexander Kluges “Abschied von gestern” (1966), einem frühen “Neuen Deutschen Film”, erinnert - oder gar von Dominik Graf auf ein geradezu vergessenes Werk aufmerksam gemacht: Klaus Lemkes “Rocker” (1971), dessen lange zurückliegende Ausstrahlung im Fernsehen mir plötzlich wieder lebhaft vor Augen stand. - Wenig ergiebig, gelegentlich lediglich selbstgefällig hingegen etwa  Tom Tykwers Bemerkungen zu Murnaus “Nosferatu” (1921) oder die von Doris Dörrie, die über “Alice in den Städten” (1974) einen neuen Blick auf Deutschland gefunden haben will. Auch das wohl grösste deutsche Filmereignis der Nachkriegszeit, Edgar Reitz’ “Heimat” (1984), dem man sich gerne wieder einmal in Form eines “Kino-Marathons” aussetzen würde, wird nicht seiner Bedeutung entsprechend gewürdigt. --- Geradezu peinlich: die immer wieder eingeschobenen Assoziationszwänge, denen die Filmschaffenden unterworfen wurden - und über deren Sinn der Zuschauer im Dunkeln gelassen wird.

“Auge in Auge” macht deutlich, dass es nicht DIE Geschichte des deutschen Films ist, sondern lediglich “eine” von vielen möglichen. Nun, meine ist es nicht. So mühsam das Zusammensuchen von Filmausschnitten gewesen sein mag, es kam doch in erster Linie ein Ratespiel (aus welchem Film stammt dieser Ausschnitt doch gleich?) dabei heraus, im besten Fall eine kleine Aufforderung, sich gewisse - oft beliebig herausgepickte - Streifen doch mal wieder anzusehen. - Mir wäre jedoch eine pedantisch aufgearbeitete Geschichte des deutschen Films - möge sie auch 251 Stunden in Anspruch nehmen! - lieber; oder etwa eine Dokumentation, die sich auf spannende Weise (eine Epoche erhellend) eines einzigen Streifens annimmt. - Wem es ähnlich erging wie mir, sei etwa “Das Leben geht weiter” (2002), die äusserst beeindruckend aufgearbeitete Geschichte des letzten nationalsozialistischen Propagandafilms, der nie ins Kino kam und heute als verschollen gilt, ans Herz gelegt.


Dienstag, 31. August 2010

Endlich Polanski!

Ich lästere zwar ungern über meine Blogger-Freunde; aber "fincher" (Blockbuster Entertainment) ist ein raffinierter kleiner Erpresser! Kaum erwähnt man ihm gegenüber den Titel eines Films oder den Namen eines Regisseurs,  schon  folgt die hinterhältige Bemerkung, er würde sich über eine Besprechung freuen. Und da er meine Sanftmut und Nachgiebigkeit kennt, nutzt er mich schamlos aus. - Also, "fincher", this one is especially for you:

Der Tod und das Mädchen
(Death and the Maiden, USA/Grossbritannien/Frankreich 1994)

Regie: Roman Polanski
Darsteller: Sigourney Weaver, Ben Kingsley, Stuart Wilson

Roman Polanski wurde am 12. Juli aus seinem Hausarrest in Gstaad entlassen, und niemand wird mir unterstellen können, ich verpasse ihm den endgültigen Todesstoss, wenn ich eingestehe, zu seinen Filmen ein “zwiespältiges” Verhältnis zu haben. - Es ist durchaus nichts Aussergewöhnliches, dass sich Filmfreunde an “Macken”, an als Schwächen empfundenen Eigentümlichkeiten bedeutender Regisseure stören. So wurde etwa Howard Hawks wegen seiner “Kamera auf Augenhöhe” immer wieder kritisiert, während Brian de Palma mit dem in Rezensionen  ständig vorgebrachten Vorwurf, er sei lediglich ein Hitchcock-Epigone, leben muss. Die Liste liesse sich beliebig verlängern.

Was ich Polanski vorwerfe: Sein mangelndes Gespür für “Tempowechsel”.  Diese wohl nur von mir als Schwäche empfundene Eigenart hängt direkt mit seinem unbändigen Perfektionismus zusammen, der jede Szene gleichwertig neben der anderen stehen lassen, sozusagen Höhepunkt an Höhepunkt reihen will und gelegentlich - den für eine Geschichte nötigen Spannungsbogen missachtend -  schlicht Langweile anstelle intelligenter Unterhaltung erzeugt. Einige üblicherweise gelobte Filme, die meines Erachtens besonders unter diesem Mangel an “Tempovariationen” leiden: “The Fearless Vampire Killers” (1967), ein Film, der überwältigende Bilder, jedoch keine überzeugende Entwicklung zu einem Höhepunkt hin bietet (allein schon die Solonummer des sich als Schauspieler gebärdenden Regisseurs in der Gruft scheint eine Ewigkeit zu währen), von dessen letzter Fassung sich Polanski allerdings auch ausdrücklich distanzierte; die äusserst detailgetreue Thomas Hardy-Verfilmung “Tess” (1979), von der man sagen kann, sie vergöttere die Kinski in jeder Aufnahme, erzähle deshalb jedoch in Überlänge keine zusammenhängende Geschichte vom Niedergang einer “pure woman” mehr, vermöge von Episode zu Episode keine Verbindung zu schaffen (es handelt sich vermutlich um die Adaption eines Hardy-Romans, der ich jedoch aus dem erwähnten Grund eine später zu besprechende vorziehe); und letztlich - dies mag Verehrern des Regisseurs als Blasphemie erscheinen! - der als Hommage an Hitchcock gedachte “Frantic” (1988), der nicht  nur wegen seiner überraschungsarmen Story und einem geradezu peinlichen MacGuffin, sondern auch “dank” seines gleichmässigen Vor-Sich-Hinplätscherns, seiner Unfähigkeit, Spannung aufzubauen, nichts von alledem zu bieten hat, was einen Thriller ausmacht.


Wenn Polanski jedoch eine Vorlage zur Verfügung stand, die es ihm erlaubte, sich seinem Streben nach Perfektionismus hinzugeben, eine sich langsam entwickelnde Geschichte - vielleicht mit spätem und unerwartet eintretendem Umschlag - zu erzählen, vermochte er tatsächlich meisterhaftes Kino zu schaffen. Dies traf mit Sicherheit auf den Film zu, der ihm zu Weltruhm verhalf: "Rosemary’s Baby” (1968). Man kann sich des - selbstverständlich irreführenden - Eindrucks nicht erwehren, Ira Levin habe seinen Roman dem Regisseur geradezu auf den Leib geschrieben, ihm die vielen Details einer scheinbar nur unter den Schmerzen ihrer Schwangerschaft leidenden Frau, die möglicherweise gegen Ende einer Hysterie verfällt, förmlich angeboten. - Und ich bin der Ansicht, dem chilenischen Bühnenautor Ariel Dorfman sei mit “Death and the Maiden” eine für Polanski filmisch nicht minder grandios umzusetzende Vorlage geglückt, mag auch das 1994 entstandene verstörende Meisterwerk  - es knüpft in vielerlei Hinsicht an die ersten Filme an! - leider nicht zu dessen bekanntesten Arbeiten gehören:


Fünf Jahre nach dem Ende einer faschistischen Militärdiktatur  in einem namentlich nicht genannten südamerikanischen Land (man nimmt an, Dorfman habe damit das Chile unter Pinochet gemeint) leben der Rechtsanawalt Gerardo Escobar und seine Frau Paulina in einem abgelegenen Strandhaus, von wo aus sie die neue, mildere Regierung zu unterstützen versuchen (Gerardo darf sich Hoffnungen auf einen Posten machen, der es ihm ermöglicht, ehemaligen Menschenrechtsverletzungen nachzugehen, zwangsläufig aber auch einige der schlimmsten Verbrecher laufen lassen zu müssen). Paulina, die selber zwei Monate lang inhaftiert war, jedoch das während dieser Zeit Durchlittene  nie vollständig zu erzählen vermochte, ist eine schwer traumatisierte Frau, die an einem stürmischen, von einem Stromausfall begleiteten Abend ungeduldig auf ihren Mann wartet und - von der Vergangenheit geprägt - ihr Essen auf dem Boden einer Vorratskammer, in die sie sich eingeschlossen hat, einnimmt. Als Escobar nach einer Reifenpanne endlich eintrifft, bringt er den hilfsbereiten Arzt Dr. Miranda mit, in dem Paulina augenblicklich jenen Mann wieder zu erkennen glaubt, der sie während ihrer Gefangenschaft (vor rund 15 Jahren!) mehrfach folterte und vergewaltigte. Während sich die beiden Männer bereits freundschaftlich unterhalten, entwendet sie das Auto des Arztes und sucht in ihm nach einem Beweis für ihren Verdacht - den sie in Form eines Tapes mit Schuberts Streichquartett “Der Tod und das Mädchen” auch rasch zu finden glaubt; denn ihr Peiniger, den sie nie wirklich zu sehen bekam, liess während seiner “Besuche” regelmässig dieses Stück laufen (was für ein Symbol, ist doch der “Knochen-Mann” im Gedicht von Matthias Claudius, von dem sich Schubert inspirieren liess, sowohl Liebhaber als auch “schlafbringender” Tod, der das “Noli me tangere!”-Motiv der ersten Strophe wegzuwischen versucht). - Dies ist der Anfang einer langen, von einem heftigen Gewitter und der Brandung der Steilklippen begleiteten Nacht, in der es sicher in mehrfacher Hinsicht um die “Wahrheit”, vor allem aber um Existenzen und die Frage geht, was sich ereignet, wenn jemand (sei es eine Gesellschaft oder ein Einzelner) Macht über eine hilflose Person erhält, in der aus einem ehemaligen Opfer ein Peiniger wird - und die in einen Morgen mündet, an dem ein seltsames Geständnis abgelegt wird, von dem vermutlich nicht einmal die involvierten Figuren  wissen, was davon der Wahrheit entspricht und welche Bedeutung ihm zukommt. 

Ben Kingsley, ein Schauspieler, der jeden Film an sich zu reissen vermag (selbst wenn er nur - wie in “Maurice”, 1987,  als Hypnotiseur  - in einer Nebenrolle auftritt), war klug genug, sich als Dr. Miranda nicht unnötig in den Vordergrund zu drängen (sein grosser Auftritt sollte ohnehin in den letzten Minuten erfolgen), sondern neben dem über weite Strecken hinweg die Position des Zuschauers einnehmenden Stuart Wilson insbesondere einer hervorragend agierenden Sigourney Weaver, deren geschundene und sich jetzt oft rätselhaft aufführende Paulina in dieser nach Rache dürstenden Nacht den Ton angibt, genügend Raum zu gewähren. Paulina ist, dies zeigt sich schon zu Beginn, nicht nur eine ungeduldige, sondern auch eine übermässig misstrauische Frau geworden, die ihren spät zurückgekehrten Mann einer regelrechten Inquisition unterzieht und nach einer unbefriedigenden Reaktion sein Essen in den Mülleimer schmeisst. Der Zuschauer fragt sich nach dieser “Szene einer keineswegs unproblematischen Ehe” deshalb unweigerlich: Bietet Dr. Miranda, ein anfangs höflicher, vielleicht unschuldiger Mann, den sie lediglich an seiner Stimme und seinem Geruch zu erkennen glaubt, ihr einfach Gelegenheit, ihre Vergangenheit zu bewältigen. Manche ihrer Reaktionen (etwa wenn sie dem Gefesselten ihren getragenen Slip in den Mund stopft oder ihn geradezu gierig beschnuppert) wirken beinahe, als wolle sie die unerträgliche sado-masochistische Erotik der Vergangenheit wieder aufleben lassen. Escobar wiederum wird zunehmend faszinierter Zeuge eines Schauprozesses, der durch Quälereien (Paulina besteht darauf, Mirandas Glied während eines Gangs zur Toilette zu halten) unterbrochen wird, auch wenn er weiterhin nicht weiss, ob er nicht dem nach einiger Zeit ebenfalls zu handfesten Ausdrücken (“Cunt!”) neigenden Dr. Miranda, der möglicherweise ein Alibi für die Zeit, in der seine Frau gefoltert wurde, vorweisen kann, glauben soll.



All dies spielt sich von wenigen Ausnahmen abgesehen in einem einzigen Raum ab, was Polanski den Vorwurf einbrachte, sein Film sei “abgefilmtes Theater”, obwohl doch gerade die kammerspielartige Inszenierung eine einzigartige klaustrophobische Stimmung, wie sie für mehrere Filme des Regisseurs  bezeichnend ist, zu erzeugen vermag, in der es den Figuren nach einer längeren Exposition gelingt, sich  in quälende und gequälte Ungeheuer zu verwandeln. - Ein solch gnadenloser Film über Schuld, Leid und Rache ist sicher nichts für Zuschauer, die sich lieber leicht verdaulicher Kost hingeben. - Wer sich jedoch auf “Death and the Maiden” einlässt, bemerkt rasch, welche Bedeutung der Film für Polanski hatte, vermochte er in ihm doch indirekt auch Erinnerungen an seine Kindheit im Krakauer Ghetto aufzuarbeiten. Das von der Kritik meist nur mit Einschränkungen gelobte Meisterwerk hätte grössere Anerkennung verdient. Es gibt ausser dem frühen “Cul-de-Sac” (1965), dem die Verfilmung von Dorfman’s Stück die deutlich ausgesprochene politische Komponente hinzufügt,  nämlich wohl keine vergleichbare Arbeit in der Geschichte des neueren Films, die mit nur drei Figuren eine derart unerträgliche Spannung zu erzeugen vermag. - Interessantes Detail: Am Anfang und am Ende von “Death and the Maiden” sieht man Paulina und Escobar in einem Konzertsaal sitzen und Schuberts Streichquartett lauschen. Am Schluss kreuzen sich ihre Blicke mit dem von Miranda, der zusammen mit seiner Familie weiter oben sitzt. Selbst dieser Schluss - und das macht Polanskis Film so faszinierend - ist interpretationsbedürftig.

Donnerstag, 26. August 2010

Fernsehtipp mit Bild des Blog-Autors

Ich habe mir neulich die Freiheit genommen, den Film “Goodbye Again” (1961) von Anatole Litvak zu besprechen. Die wenigen Leser/innen, die in der Lage waren, den ellenlangen Text durchzustehen, erfuhren vielleicht noch matten Auges, dass wir es mit der Verfilmung eines Romans der französischen Skandalautorin Françoise Sagan (1935-2004) zu tun hatten. Zufällig habe ich heute bemerkt, dass “ARTE” am Freitag (27.August) die rund dreistündige Fernsehfassung eines Biopics mit dem Titel “Bonjour Sagan” aus dem Jahre 2008 ausstrahlt, in dem eine hervorragend agierende Sylvie Testud die Schriftstellerin spielt, die nach weiteren erfolgreichen Büchern (ich werde es immer bedauern, dass “Le garde du coeur” nie verfilmt wurde, da die Geschichte Anthony Perkins eine Paraderolle beschert hätte) zunehmend zum Opfer ihres exzessiven Lebensstils wurde und in den 90ern nur noch wegen Drogendelikten und Steuerhinterziehungsstrafen für Aufsehen sorgte. - Obwohl ich sonst nicht gerne mit Fernsehtipps aufwarte, möchte ich euch das bewegende Frauenporträt ans Herz legen.

Und da ihr mich ohnehin nur wegen der Screenshots anklickt, gibts zu diesem Tipp noch ein Bild vom Blog-Autor, für das er in etwa die gleiche Menge Weichzeichner benutzte wie Robert Redford in “The Horse Whisperer” (1998).

Dienstag, 24. August 2010

Her mit der deutschen DVD! - die Vierte

Das Glas Wasser
(Das Glas Wasser, Deutschland 1960)

Regie: Helmut Käutner
Darsteller: Gustaf Gründgens, Liselotte Pulver, Hilde Krahl, Sabine Sinjen, Horst Janson, Rudolf Forster, u.a.


Ob man nun Klaus Manns 1936 erschienenen Roman “Mephisto” gelesen hat oder nicht: Gustaf Gründgens wird wohl für immer die zweifelhaft schillernde Gestalt bleiben, die um ihrer Karriere willen in einem schicksalsträchtigen Jahrhundert jeweils unverbindlich mit der Bewegung liebäugelte, von der sie glaubte, ihr gehöre die Zukunft - und die sich dann doch an den Beelezebub verkaufen musste, um nicht ganz in die Klauen des Teufels zu geraten. Was er als Intendant des Preussischen Staatstheaters, der vom Teufel dann doch zu Rollen in Propagandafilmen (“Ohm Krüger”, 1941) beordert wurde, heimlich an Menschlichem vollbracht haben mag - wir wissen es nicht. Denn das Deutschland der Nachkriegsjahre verzieh und vergass. - Ich kann als ehemaliger Germanist und Filmfreund die recht wenigen Filme des Schauspielers nicht ohne “Hintergedanken” geniessen: Hinter dem Schränker in Fritz Langs “M - Eine Stadt sucht einen Mörder” (1931) verbirgt sich für mich der Salonkommunist, der abends in den Kabaretts seine schlüpfrigen Chansons zum Besten gab, sein “Friedemann Bach” (1941) ist der - vergebliche - Versuch, schlimmeren Filmproduktionen zu entkommen. Vor allem aber muss ich ständig daran denken, dass Klaus Mann seinem Hendrik Höfgen nur in beschränktem Masse schauspielerische Fähigkeiten zugestand: Er sei der Mephisto gewesen, daneben habe er sich als Causeur in französischen Komödien glänzend gemacht; gerade “teutonische” Rolleninterpretationen (etwa sein Hamlet, den der wirkliche Gründgens ja 1959 tatsächlich an den jungen Maximilian Schell abgab) seien jedoch nicht sein Ding gewesen. 

“Das Glas Wasser”, der letzte Film, in dem Gründgens neben der filmischen Adaption seiner Faust-Inszenierung nach langer Zeit wieder mitspielte, beruht auf einer solchen französischen Komödie von Eugène Scribe (1791-1861) und ist ein herrlich-flauschiges Nichts, in dem der zweifellos grosse Schauspieler noch einmal zeigen konnte, wie er mit seinem “aasigen Lächeln” (Klaus Mann) einer an sich belanglosen Geschichte den Hauch des Schlüpfrigen zu verleihen vermochte. - Das bewusst in fragmentarischen Dekors (einzelne Rückblenden werden in Schwarzweiss auf einem Hintergrund dargestellt) gedrehte Filmmusical zeigt vor allem eines: dass selbst die grössten politischen Krisen den Liebeswirren unterlegen sind und sich durch ein raffiniertes Ränkespiel in Wohlgefallen auflösen. Während des Spanischen Erbfolgekriegs im 18. Jahrhundert wird England von der willensschwachen Köigin Anna regiert. Sie steht ganz unter dem Enfluss der Herzogin von Marlborough, die den Krieg unbedingt fortsetzen will, damit sie ihren Gatten vom Hofe fernhalten und ungestört ihren amourösen Interessen nachgehen kann. Sir Henry St. John, Herausgeber einer Zeitung, ist der grösste Gegner der Herzogin. Er, der ebenso begnadete wie narzisstische Redner, entdeckt schon bald, dass weder Queen noch Herzogin dem ungelenken Charme eines jungen Fähnrichs widerstehen können - und schleust die stellenlose Abigail, die natürlich auch in den Fähnrich verliebt ist, als Hofdame bei der Königin ein; sie soll ihm dazu verhelfen, die Macht der Herzogin zu untergraben und Anna auf seine Seite zu bringen. Am Ende ist es tatsächlich ein Glas Wasser, das die Entscheidung herbeiführt...

Helmut Käutner, einer der wenigen bereits im Dritten Reich tätigen Regisseure, die ohne dunkle Flecken wegkamen (selbst der grosse Wolfgang Staudte hatte - sicher nicht freiwillig - in Harlans “Jud Süss", 1940, mitgespielt), inszenierte “Das Glas Wasser” wesentlich süffiger, unbeschwerter als etwa Kurt Hoffmann seine biederen Musicals (“Feuerwerk”, 1954, “Das Wirtshaus im Spessart”, 1957). Die herrlich vorgetragenen Chansons (“Es muss an Arthur selber liegen”, “Schöne Queen, arme Queen”, “Ich wäre gerne ehrlich”, “Das Sprichwort sagt, wer wagt, gewinnt”) haben etwas regelrecht Frivoles, sind tendenziell eher spitz als süsslich - und nehmen, wenn auch bloss dezent, Bezug auf die 60er Jahre. - Der bislang leider nicht auf DVD erschienene Film ist ein Genuss, der den Zuschauer beinahe vergessen lässt, dass er es hier nicht bloss - immanent - mit einem höchst gelungenen komödiantischen Streich zu tun hat, sondern - problemgeschichtlich - auch mit dem wohl eigenartigsten Aufeinandertreffen zweier Generationen in der Geschichte des deutschen Films. Ähnliches war zwar früher schon vorgekommen; aber hier trafen der zwielichtige Gründgens und Hilde Krahl, die ihre Karriere als Dunja im Film “Der Postmeister” (1940) richtig begründet hatte, auf Schauspieler wie Sabine Sinjen und Horst Janson. Man müsste aus heutiger Sicht annehmen, dieses Treffen sei nicht ohne Fragen (“wie war es damals wirklich?”) abgegangen. Dabei vergisst man jedoch leicht, dass man beim Film einfach für kurze Zeit zusammen arbeitet - und man vergisst vor allem jenen ungeschriebenen Generationenvertrag, der erst von den 68ern durchbrochen wurde. Ein für den heutigen Zuschauer beinahe makabres Aufeinandertreffen, wie es in dieser Form später gar nicht wieder vorkommen konnte: Gustaf Gründgens starb 1963 in Manila an einer Überdosis Schlaftabletten; ihm blieb wie Rühmann das Schicksal eines senil vor sich hin schwärmenden Johannes Heesters erspart. Und vielleicht sollte man ihn einfach mit jenem Ausruf ziehen lassen, den Klaus Mann seinem Hendrik Höfgen - zwar im spöttischen Sinn - in den Mund legte: “Ich bin doch nur ein Schauspieler!”

Donnerstag, 19. August 2010

Eine banale Dreiecksgeschichte?

Wer mit dieser Besprechung nicht zufrieden ist, möge sich bei "mono.micha" (Schneeland) beschweren: er hat mir die DVD geschenkt. Sollte mein Geschwätz jedoch unerwartet Anklang finden, nehme ich gern weitere Filme entgegen. Mit etwas Glück werden auch sie hier besprochen. 


Lieben Sie Brahms?
(Goodbye Again,  Frankreich/USA 1961)

Regie: Anatole Litvak
Darsteller: Ingrid Bergman, Anthony Perkins, Yves Montand, Jessie Royce Landis, Pierre Dux, Jocelyn Lane, Jean Clarke, Michèle Mercier, Uta Taeger u.a.

Böse Zungen könnten “Goodbye Again” als  Dreiecksgeschichte mit Überlänge bezeichnen, in der grosse Schauspieler in eleganten Dekors meist um den heissen Brei herumreden und in der sich im Grunde genommen gar nichts von Bedeutung ereigne. Die Herausgeber der deutschen DVD leisten einer solchen Betrachtungsweise sogar noch Vorschub, indem sie den nicht gerade schmeichelhaften Kommentar des “Lexikons des internationalen Films” zitieren: “Elegant inszenierte, in der Auslotung der Konflikte jedoch an der Oberfläche bleibende Verfilmung eines Romans von Françoise Sagan, die sich in erster Linie auf das bemerkenswerte Spiel der Hauptdarsteller stützt.”

Ganz so belanglos kann der Film, der zu Beginn der 60er in den Vereinigten Staaten sogar für einen kleinen Skandal sorgte, jedoch nicht sein, mag er heute - leider! - auch eher zu den vergessenen Ingrid Bergman-Streifen gehören. Er beschäftigt sich nämlich mit einem Problembereich, der in den prüden 50er Jahren völlig ausgeblendet worden war, dessen Thematisierung um 1960 offenbar aber förmlich in der Luft lag: dem der Liebesbeziehung einer reiferen Frau zu einem jungen Mann. - 1959 liess der britische Regisseur Jack Clayton in einem der grossen Filme des Free Cinema, “Room at the Top”, eine unglücklich verheiratete Französin (Simone Signoret) einem zehn Jahre jüngeren Mann verfallen, der mit ihr erste - erstaunlich realistisch dargestellte - sexuelle Erfahrungen sammelte. 1962 durfte sich Lilli Palmer in “Julia, du bist zauberhaft”, der unterschätzten Adaption einer Erzählung von W. Somerset Maugham, als alternde Schauspielerin für eine Weile einem jungen Steuerberater hingeben - und zur Erkenntnis gelangen, dass ein Beefsteak und Bratkartoffeln der Liebe letztlich überlegen seien. 


Der insbesondere in den 40er Jahren erfolgreiche Regisseur Anatole Litvak (er hatte sich schon in “The Snake Pit”, 1948, des Tabuthemas “Psychiatriekliniken in den USA” angenommen) bemüht sich in seinem Film um einen Mittelweg zwischen dem düsteren Meisterwerk von Clayton (die von Signoret gespielte Figur nimmt sich das Leben) und der Leichtigkeit, die den Palmer-Film durchzieht. Dies hat unweigerlich zur Folge, dass im gepflegten Pariser Milieu (wir bekommen im Schwarzweissfilm tatsächlich  eine “Stadt der Lichter” geboten) mit seinen luxuriösen Wohnungen und edlen Bars vieles nur zwischen den Zeilen ausgesprochen wird, ja gelegentlich oberflächlich erscheint.  In Wirklichkeit führt uns diese “Oberflächlichkeit” jedoch direkt in den Konflikt der im Mittelpunkt stehenden, von Bergman gespielten Figur hinein, lässt erkennen, was sie, die Alternde, Tag für Tag unausgesprochen hinunterschlucken muss. Und sie vermag jenen Moment, in dem sich eine völlig aufgelöste Bergman nicht mehr hinter ihrer Fassade verstecken kann, umso intensiver wirken zu lassen.

Die 40-jährige Innenarchitektin Paula ist seit fünf Jahren  mit dem Landmaschinenhändler Roger liiert. Da dieser zur - lächerlichen - Bestätigung seiner scheinbaren Jugend regelmässige Affären mit jungen Damen, die er der Einfachheit halber grundsätzlich Maisie nennt, benötigt, haben sich die beiden auf eine “moderne” Form der Beziehung geeinigt, die jedem beliebige Freiheiten einräumt. Für Paula, die Roger eigentlich gerne heiraten möchte, bedeutet dies vor allem das unwidersprochene Hinnehmen einsamer Abende und  mit Arbeit ausgefüllter Wochenenden, weil ihr Freund anderweitig “beschäftigt” ist. - Eines Tages begegnet sie im Haus einer Kundin dem wesentlich jüngeren Jura-Assessor  Philip, der gleich mit reichlich kindischem Verhalten ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versucht (er spielt ihr eine kleine Behinderung vor, erscheint völlig betrunken in einem Tanzlokal, in dem sie sich mit Roger aufhält - und führt ihr bei einem gemeinsamen Essen hochdramatisch den Unterschied zwischen einer amerikanischen und einer französischen Gerichtsverhandlung vor). Paula, der es bis anhin gelungen ist, mit einem eleganten Lächeln von ihrem Alter abzulenken,  muss jedoch bald erkennen, dass sie, auch wenn er es nicht richtig zu zeigen vermag, Philips erste grosse Leidenschaft ist, dass er, der beruflich Unambitionierte, ihr regelrecht zu verfallen droht und Tag und Nacht für sie da sein will. Geschmeichelt nimmt sie Philips Einladung zu einem Brahms-Konzert an und denkt, während der junge Mann ihre Hand zu halten versucht, an ihre erste Begegnung mit Roger zurück...

Befand sich Paula zu Beginn in der für sie schier unerträglichen Situation, gegenüber Roger ihren Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit nicht aussprechen zu dürfen, so wird sie durch das ekstatische Werben des viel jüngeren Mannes erst recht in eine Zwickmühle getrieben. Und sie weiss: wofür sie sich auch immer entscheiden mag, sie wird nur  unwürdig altern. Der Film führt diesen Alterungsprozess im Verlauf eines misslingenden Emanzipationsversuchs auch hintergründig vor und lässt ihn in jene Szene münden, in der eine hilflose Frau dem die Treppe hinuntereilenden Liebhaber auf Zeit nachruft: “Philip, try to unterstand! I am old. I am old.”

Mag das Geschehen zumindest auf der Leinwand (!) heute auch etwas überholt wirken, so gelang es Litvak doch, drei überzeugende Figuren zu zeichnen,  deren verbergendes Wesen  den Zuschauer zu packen vermag. Dies zeigt bereits der Beginn des Films, der sie uns unabhängig voneinander am Ende eines Tages vorführt: Die von der Arbeit erschöpfte, sich aber noch immer elegant gebende Bergman verlässt ihren Laden und sucht nach einem Taxi, der alternde Montand  starrt auffällig zwei jungen Frauen nach - und der offensichtlich verwöhnte, letztlich kindisch-unfähige Sohn einer reichen Mutter, Anthony Perkins, fährt in seinem modernen Wagen (man benötigt beinahe einen Schuhlöffel, um in ihn einsteigen zu können) durch Paris. - Später lassen diese Figuren zunehmend erkennen, inwieweit sie überhaupt zu Entwicklungen, Veränderungen fähig oder bereit sind. Roger wird wohl für immer der ölige Aufreisser bleiben, der sich nach dem “Beweis” für seine  Jugendlichkeit die Krawatte bindet und zu Paula zurückkehrt. Paula wird, leidend alternd, die Fassade der oberflächlichen Eleganz noch eine Weile aufrechtzuerhalten versuchen - und Philip bleibt das Rätsel in dieser Dreiecksgeschichte, die doch nicht so kitschig und banal ist, wie es auf den ersten Blick scheint: War Paula tatsächlich die grosse Liebe, die er der Sekretärin seines Chefs als “a woman -- warm -- charming -- and yet sad” beschrieb? Oder kommt er bald über sie hinweg?    

Die darstellerischen Leistungen dürfen, wie selbst das "Lexikon der internationalen Films" zugeben muss, als herausragend bezeichnet werden. Ingrid Bergman, die wegen ihrer Beziehung zu Roberto Rossellini in Hollywood eine Zeitlang als “persona non grata” gegolten hatte und dank Anatole Litvak für “Anastasia” (1956) zu ihrem zweiten Academy Award gekommen war, nahm die durchaus gewagte Rolle der Paula mit Begeisterung an, obwohl man - absurd! - der 46-jährigen Schauspielerin später vorwarf, sie sähe für eine 40-Jährige viel zu jung aus; Perkins, der nicht nur als Norman Bates für Aufsehen gesorgt, sondern etwa auch eine ernste Rolle in Stanley Kramers “On the Beach” (1959) bewältigt hatte, verwandelt sich unerwartet glaubwürdig in einen unreifen Bengel, dem vielleicht doch die Verletzung seines Lebens zugefügt wird; und Yves Montand gefällt sich als alternder Schürzenjäger offensichtlich. Als besonderer, wenigstens für eine Prise Humor sorgender Leckerbissen gesellt sich noch Jessie Royce Landis als dümmliche, aber reiche Mutter von Philip zu diesem Trio. - Anthony Perkins scheint Litvak, für den "Goodbye Again" wohl die letzte wirklich bedeutende Arbeit sein sollte, übrigens derart überzeugt zu haben, dass er ihn 1962 in "La troisième Decade" auch noch an der Seite der Loren spielen liess.



Françoise Sagan, die die Romanvorlage für “Goodbye Again” geliefert hatte, galt zu jener Zeit als Skandalautorin. Sie hatte bereits als Achtzehnjährige mit dem 1958 von Otto Preminger verfilmten  Erstlingswerk “Bonjour Tristesse”, in dem ein junges Mädchen seine Sexualität hemmungslos auslebt, für Furore gesorgt  und vermochte  auch mit “Aimez-vous Brahms?” ein drängendesThema aufzugreifen, handelte der Roman doch nicht nur von der Liebe einer reiferen Frau zu einem jungen Mann, sondern zeigte auf, wie undenkbar es selbst für eine Frau im “gehobenen Milieu” war, sich der Fesseln der Konvention zu entledigen. - Interessanterweise nahmen sich über die folgenden Jahrzehnte hinweg  immer wieder Filme des Problembereichs "Beziehung zwischen einer Frau und einem (wesentlich) jüngeren Mann" auf unterschiedliche Weise an. Es scheint, als hofften Produzenten und Regisseure, mithilfe ihres Mediums festgefahrene Haltungen verändern zu können. Einige bekannte Beispiele: "Harold and Maude" (1971), Rainer Werner Fassbinders "Angst essen Seele auf" (1974), ein mutiger Film, der die Liebesgeschichte zwischen einer älteren Frau und einem Mann aus der Türkei erzählt, "How Stella Got Her Groove Back" (1998), "Something's Gotta Give" (2003) oder "Chéri" (2009) von Stephen Frears. - Allerdings erreichten die Filmemacher gerade mit diesem speziellen Plädoyer für eine Liebe mit Altersunterschied wenig, wird doch oft selbst in "fortschrittlichen" Kreisen ein alter Mann, der sich eine junge Frau angelt, mit leicht bewunderndem Unterton noch immer als "geiler Hengst" bezeichnet, während man über eine Frau mit jüngerem Lebenspartner ("Wie ungehörig!")  heimlich die Nase rümpft.