Sonntag, 16. Mai 2021

Black Power Coming Home

RIVERBEND
USA 1989
Regie: Sam Firstenberg
Darsteller: Steve James (Major Samuel Quentin), Margaret Avery (Belle Coleman), Tony Frank (Sheriff Jake), Julius Tennon (Sergeant Tony Marx), Alex Morris (Lieutenant Butch Turner), Troy Dale (Cook), Vanessa Tate (Pauline), Al Evans (Bürgermeister)


Titeleinblendung: wer genau hinschaut, erkennt die Black-Power-Faust im I


Marco Siedelmann: "It's your Howard Hawks movie in many ways"

Sam Firstenberg: "Wow, thank you. I'm sure happy to hear it!"


RIVERBEND ist möglicherweise Firstenbergs "grand film malade", sein "großer kranker Film" nach François Truffauts Definition: ein abgebrochenes, gestörtes Meisterwerk, das vielen Pannen und Fehlentscheidungen zum Opfer gefallen ist; ein fehlerhafter, "kaputter", dabei aber auch leidenschaftlicher, ehrlicher und absolut faszinierender Film. Es war Sam Firstenbergs erster Film nach seiner künstlerisch und kommerziell höchst erfolgreichen Zeit bei Cannon, wo er REVENGE OF THE NINJA, NINJA III: THE DOMINATION, BREAKIN' 2: ELECTRIC BOOGALOO, AMERICAN NINJA, AVENGING FORCE, AMERICAN NINJA 2: THE CONFRONTATION gedreht hatte: seine wahrscheinlich besten Filme, zumindest aber die Höhepunkte seiner Karriere im Bereich kreative Kontrolle und finanzielle sowie materielle Ressourcenausstattung. Nach seinem Rausschmiss aus Cannon (dazu später mehr) erreichte Firstenberg nie mehr dieses Niveau an produktionstechnischen Annehmlichkeiten: wirklich winzige Budgets (selbst im Vergleich zu den schon übersichtlichen Budgets bei Cannon) und entsprechender Produktionsdruck, Einmischungen, Konflikte, Produktionspannen würden von nun an Firstenbergs weitere Karriere begleiten. Wo seine Cannon-Filme wie aus einem Guss erschienen, wurden ab 1989 produktionsbedingte Brüche, Pannen, Probleme in seinen Filmen sichtbar. Seine Brillanz als Regisseur wurde eher in kleinen Details deutlich. Das macht seine Post-Cannon-Filme nicht weniger interessant. Und RIVERBEND ist zumindest für mich der interessanteste aus dieser zweiten Karrierephase. 


Von den sagen wir mal weniger gelungenen Firstenberg-Filmen ist mir RIVERBEND der liebste, ja fast schon ein Herzensfilm. Es ist ein Film, der von seinem geringen Budget teils etwas gelähmt wirkt, der in seinen verfügbaren Sichtungsversionen zumal auch nur mit viel Geduld sichtbar ist, und trotzdem kann ich nicht anders, als ihn ganz fest in mein Herz zu schließen. Wie viele Filme haben schon die Ambition, Elemente von Western, Vietnamheimkehrerfilm, Anti-Rassismus-Drama, Blaxploitation und Melodrama zu vereinen, und das ganze auch noch mit dem wunderbaren Steve James in einer raren Hauptrolle, inszeniert von Sam Firstenberg mit seinem üblichen Gespür für atmosphärische Set-Pieces sowie dieser tollen Mischung aus geradezu herzerwärmender Naivität und diesem Willen, den maximalsten Spaß aus seinen Genre-Formeln rauszuziehen.


Wir befinden uns in der Kleinstadt Riverbend, Georgia, im Jahr 1966. Der schwarze Bevölkerungsteil der Stadt wird vom rassistischen Sheriff Jake regelrecht terrorisiert: seine rassistischen Beschimpfungen sind noch das harmloseste, vielmehr nimmt er sich heraus, Schwarze zu misshandeln und zu ermorden, als Geisel zu entführen und zu vergewaltigen. Der Film beginnt auch damit, dass Marcus Coleman, der einem Richter belastende Dokumente zur Anklage Jakes vorbeibringen will, vom Sheriff in den Rücken geschossen und getötet wird. Selbst einige Weiße protestieren gegen Jakes Treiben, so etwa der Stadtrat Cook, aber wirklich etwas unternehmen tut doch niemand, weil sie alle Angst vor Jake haben.

Eines Tages fährt ein Auto der Militärpolizei in der Gegend vorbei, mit drei Gefangenen: Major Samuel Quentin, Sergeant Tony Marx und Lieutenant Butch Turner werden gerade in Richtung eines Bundesgefängnisses gebracht, um dort vor ein Militärgericht gestellt zu werden (wie man später erfährt: weil sie in Vietnam einen Befehl zur Ermordung von Zivilisten verweigert haben). Mit einer List entkommen die drei Soldaten und flüchten in das etwas von der Stadt abgelegene Haus der frischgebackenen Witwe Belle Coleman, deren Ehemann kürzlich von dem Sheriff ermordet wurde. Eigentlich wollen die drei Soldaten sich nur für wenige Nächte dort verstecken und dann weiter fliehen. Major Quentin kriegt allerdings rasch mit, dass die schwarze Bevölkerung der Stadt von einem rassistischen Sheriff terrorisiert wird – und beginnt außerdem eine Affäre mit Belle. Er entscheidet sich, die Schwarzen in Riverbend zu unterstützen und die Stadt mit ihnen zu besetzen (nicht nur aus uneigennützigen Motiven: er will auch für den eigenen Fall eine Öffentlichkeit schaffen). Sergeant Tony, der sich eigentlich überhaupt nicht für die "Südstaaten-Hinterwäldler" und für diesen "Southern shit" interessiert, wird nur mit letzterem Argument überzeugt, mitzumachen.

Gesagt, getan: Major Quentin und seine beiden Adjutanten organisieren für alle schwarzen Männer der Stadt ein geheimes militärisches Ausbildungscamp im Wald. Als das Training zu Ende ist, übernehmen sie nachts die Kontrolle über die Stadt: überfallen das Sheriff-Büro und sperren Jake und seinen Gehilfen ein, verbarrikadieren und verminen die Zugangsbrücke zur Stadt, verhaften die weiße Bevölkerung der Stadt und sperren sie in der Kirche ein, um sie als Geiseln zu halten.

Als Staatspolizisten am nächsten Tag an die verbarrikadierte Brücke gelangen, kommt es zum ersten Scharmützel. Dem ranghöchsten Polizisten übermittelt Major Quentin seine Forderungen: der Gouverneur des Staates Georgia soll mit Vertretern der Presse innert 24 Stunden erscheinen, ansonsten werde er die Geiseln hinrichten lassen. Quentin will ebenso wenig wie einst in Vietnam Zivilisten ermorden und hat sorgsam darauf geachtet, die Stadtbesetzung ohne Blutvergießen zu organisieren. Doch unter den frischen Soldaten Riverbends steigt der Rachedurst gegen die ehemaligen Peiniger, ebenso wie bei Pauline, die vom Sheriff vergewaltigt wurde. Und um die Situation zu verschlimmern, gerät auch Tony zunehmend außer Kontrolle, weil seine Motivation, die Riverbender zu unterstützen, sinkt und zugleich seine Lust auf Gewalt steigt...


Oben: Major Samuel Quentin und Belle Coleman
Unten: Lieutenant Butch Turner und Sergeant Tony Marx mit ihrem militärischen Vorgesetzten


RIVERBEND krankt an vielen Stellen, und das ist im Angesicht der chaotischen und pannengeplagten Produktionsumstände (dazu gleich mehr) auch nicht wirklich verwunderlich. "But what I wanted to say is that such a subject really deserved a much better script and a much bigger production. Much bigger and much more serious. Because the script – as interesting as it was – wasn't deep enough when it comes to character development. A story like this calls for a deep understanding of the characters and a deep analysis of the situation the characters are involved in. This script didn't go deep enough", so Firstenberg selbst in dem Buch Stories from the Trenches: Adventures in Making High Octane Hollywood Movies with Cannon Veteran Sam Firstenberg.

Tatsächlich bleiben die meisten Figuren von RIVERBEND eher schablonenhaft, im schlimmsten Fall sind sie Klischees, im besten Fall unausgegorene Entwürfe. Belles Figur ist besonders undankbar: von der trauernden Witwe wird sie in Handumdrehen zur Liebhaberin des im Grunde aus dem Nichts reingeschneiten Quentin (und später "erklärt" sie das dann ihrem verstorbenen Ehemann, niederknieend an seinem frischen Grab, in einer Szene, die sehr daneben wirkt). Im weiteren Verlauf wird sie mehr oder weniger zur Stichwortgeberin degradiert. Die Liebesgeschichte zwischen ihr und Quentin wirkt eher kitschig und unglaubwürdig: zwar humpelte ihr Ehemann Marcus, was man als verklausulierte Impotenz lesen kann, so dass nahe liegt, dass es vor allem sexuelle Anziehung ist, die an Major Quentin fasziniert – doch tatsächlich ist eher Blümchenliebe und idealistische Komplizenschaft zwischen den beiden zu sehen und spätestens im letzten Drittel wirken die beiden unglaubwürdigerweise wie ein altes (und sexloses) Ehepaar, das sich schon seit Jahrzehnten kennt.

Auch Sheriff Jake schrammt hart an der Karikatur vorbei: ein dauerhaft Vulgaritäten, Anzüglichkeiten, Beschimpfungen und Drohungen ausspuckender Mann, den man in nur wenigen Sekunden zu hassen liebt. Die personifizierte, hässliche Fratze des Rassismus (worüber man, abgesehen von einer kurzen Szene im Stadtrat, fast vergessen könnte, dass Rassismus ein strukturelles Problem ist, kein individuelles).

Major Quentins Figur kann und muss sich auch voll und ganz auf Steve James' Charisma verlassen, während die Abgründe von Tonys Figur nur sehr oberflächlich angedeutet werden. Butch hingegen ist im Trio fast nur Beiwerk und bekommt gesamten Film gerade mal zwei kurze Szenen, in denen er etwas sagt.


Oben: Sheriff Jake und Stadtrat Cook (Produzent Troy Dale in einer Nebenrolle)
Unten: Pauline und der Bürgermeister


Aber genug des Jammerns... RIVERBEND ist gerade in seiner Verbindung von Western und Vietnamheimkehrer-Film ungemein faszinierend. Um den Verweis auf Hawks aus dem Eingangszitat wieder aufzunehmen: RIVERBEND wirkt ein bisschen wie der in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung engagierte, vergessene und unterschlagene gemeinsame Cousin von RIO BRAVO und dem ersten Rambo-Film FIRST BLOOD, der dann auch noch gegen seine beiden Verwandten rebelliert. 2020 habe ich mehrmals gelesen, dass Spike Lees DA 5 BLOODS (2020) der erste Film sei, der spezifisch schwarze Vietnamveteranen-Geschichten erzähle, aber RIVERBEND widerspricht dem ganz offensichtlich. Die rohe Brutalität, mit der Sheriff Jake gegen Schwarze vorgeht, wirkt manchmal übertrieben, aber wie wir wissen ist sie selbst im Jahr 2020 und 2021 leider noch von großer Aktualität.

Der Vietnamheimkehrerfilm (denn auch das ist er, nicht nur ein Actionfilm) FIRST BLOOD handelte von einem Außenseiter, der "seinen" ganz "persönlichen" Vietnamkrieg in ein kleines Provinzstädtchen brachte und dort entfesselte. RIVERBEND reichert dieses Motiv (Vietnamsoldaten bringen "ihren" Krieg in die US-Heimat zurück) nun mit dem afroamerikanischen Kampf um Bürgerrechte an: die Soldaten kehren aus einem Krieg in einem fernen Land zurück, doch das Land, für das sie gekämpft haben, führt nun wiederum Krieg gegen sie selbst. Im Gegensatz zu John Rambo geht es aber nicht darum, angespuckt zu werden, sondern auf offener Straße "legal" ermordet zu werden. Während Rambo einen "persönlichen" Krieg kämpfte, führt Quentin einen politischen und gesellschaftlichen Kampf, einen Krieg gegen Rassismus.

(Trotz der Unterschiede zu Rambo: Das Motiv des Verrats durch die Vorgesetzten taucht auch in RIVERBEND auf. Als sich Quentin in Vietnam weigerte, gefangen genommene Frauen und Kinder zu ermorden, wurde er degradiert, dann ebenso seine sich weigernden formalen Nachfolger Tony und Butch – und alle wurden dann von den eigenen Leuten bombardiert)

Ein weiterer Unterschied zu den Rambo-Geschichten ist, dass RIVERBEND, obwohl er als Actionfilm gilt und als solcher vermarktet wurde, eher als eine Art (revisionistischer) Western erzählt ist: eine Kleinstadt wird von einem brutalen Verbrecher terrorisiert (wobei dieser Verbrecher der Sheriff ist), ein Revolverheld und seine zwei Gehilfen kommen in den Ort und sagen dem Verbrecher den Kampf an (wobei dieser Revolverheld ein von der Militärpolizei gesuchter Soldat ist). So entspinnt sich dann ein RIO BRAVO unter umgekehrten Vorzeichen.

Hinzu kommt dann auch eine Prise Southern Gothic Americana: wie in all seinen Filmen hat Firstenberg ein besonderes Flair für die Räume, in dem der Film spielt. Diese sind in RIVERBEND an einer Hand abzuzählen: es gibt einen zentralen Platz in Riverbend, wo auch das Büro des Sheriffs und das Gebäude der Stadtverwaltung stehen, dazu eine Grünfläche mit einem kleinen Pavillon – trotz der Autos fast wie aus einem Western oder einem Tennessee-Williams-Melodrama, das in den 1920ern spielt. Dann die Kirche, in der die Geiseln gefangen genommen werden. Belles großes, aber auch etwas verfallenes Haus außerhalb der Stadt. Eine Kneipe für ein schwarzes Publikum außerhalb der Stadt. Und natürlich die symbolische Brücke, die zur Stadt führt, die Marcus Coleman zu Beginn auf seinem (gewaltsam unterbrochenen) Weg zum Richter überquert und schließlich verbarrikadiert und dann belagert wird. Ein kleine, abgeschlossene Welt, in die Major Quentin und seine beiden Adjutanten eintreten.


Der Town Square von Riverbend (gedreht wurde in Texas)

Die besetzte Brücke, die Riverbend mit der Welt verbindet


RIVERBEND ist in Firstenbergs Filmografie auch ein recht einzigartiger Hybrid. Über seine ursprünglichen Pläne für seine Karriere ist Firstenberg in Stories from the Trenches und in anderen Interviews ein bisschen ambivalent: er betont immer wieder, dass er schon immer US-amerikanisches Genre-Kino drehen wollte – und spricht andererseits auch von seinen Ambitionen, sozial engagiertes Kino zu machen (so wie in seinem ersten abendfüllenden Film, ONE MORE CHANCE, über einen entlassenen Häftling, der seinen Sohn sucht). In RIVERBEND löst sich diese Dichotomie auf: es ist gleichzeitig ein "social problem film" und ein Genrefilm, Anti-Rassismus-Film und Western in einem.

Bevor Firstenberg RIVERBEND drehen konnte, "musste" er erst einmal bei Cannon rausfliegen... In wenigen Jahren hatte er sich als zuverlässiger Regisseur bei Menahem Golans und Yoram Globus' unabhängiger Produktionsfirma etabliert, mit AMERICAN NINJA hatte er einen von Cannons größten Kassenhits inszeniert. Ein Auftrag folgte dem nächsten: am letzten Tag des Schnitts (Firstenberg war beim Editing seiner Cannon-Filme stets von Anfang bis Ende involviert) von AVENGING FORCE flog er nach Südafrika, um nahtlos und ohne jegliche Pause AMERICAN NINJA 2: THE CONFRONTATION zu drehen. In Südafrika, während des Drehs, wurde Firstenberg von Menahem Golan gedrängt, nach dem Dreh sofort nach L.A. zurückzukehren, um einen nächsten Film, diesmal mit Chuck Norris, zu inszenieren. Firstenberg weigerte sich, sondern nahm nach dem Ende des Südafrika-Drehs ohne Rücksprache zwei Wochen Urlaub in Israel mit seiner Frau und seiner Tochter. Das brachte ihm wieder zornige Anrufe Golans (der ihn doch ausfindig gemacht hatte): der Cannon-Chef orderte ihn dringend in die USA. Zurück in den USA erwies sich das alles als nicht ganz so dringend, wie Golan das hatte klingen lassen: in den ersten Zügen geplant wurde MISSING IN ACTION 3, den Firstenberg inszenieren sollte. Nach sechs Filmen (darunter großen Kassenschlagern) hintereinander wollte er nun aber über eine Anpassung seines Gehalts sprechen, was Golan so sehr "erfreute", dass kein Wort mehr mit seinem besten Ninja-Regisseur wechseln wollte und die Kommunikation zwischen beiden danach nur noch indirekt über Firstenbergs Agent lief. Während diese Diskussionen liefen, wurde Firstenbergs Ehefrau schwanger: eine Schwangerschaft mit Komplikationen, die sie ans Bett fesselte. Firstenberg entschied sich, bis zur Geburt seines zweiten Kindes nicht mehr zu arbeiten: eine Entscheidung, die Golan dazu brachte, Firstenberg gänzlich von Cannon zu verbannen. Die Regie von BRADDOCK: MISSING IN ACTION III wurde dem Regie-Neuling Aaron Norris, Chucks jüngerem Bruder, übertragen (der Dreh auf den Philippinen wurde zu einer Katastrophe, als ein von Cannon gemieteter Armeehubschauber abstürzte und vier Menschen dabei starben). Firstenberg verblieb bis zur glücklichen Geburt seiner zweiten Tochter bei seiner Ehefrau, arbeitete aber nie wieder mit Menahem Golan zusammen und war bei Cannon erst einmal raus (er inszenierte später noch AMERICAN SAMURAI für die kurzlebige Reinkarnation von Cannon unter Yoram Globus, ohne Menahem Golan: auch das keine glückliche Erfahrung für Firstenberg, als der Chef der Post-Produktion den Film umschneiden ließ. Nach dem Rezept von Orson Welles schickte Firstenberg ein Memo an den Cannon-Produktionschef Christopher Pearce, in dem er seine Schnittentscheidungen erklärte, was allerdings ignoriert wurde. AMERICAN SAMURAI ist auch tatsächlich der einzige Film, von dessen Endschnitt-Fassung sich Firstenberg explizit distanziert).


Es begann also Firstenbergs Post-Cannon-Karriere, und seinen nächsten Auftrag bekam er nicht von einem Filmproduzenten, nicht von einem Filmstudio – sondern von einem texanischen Bauunternehmer-Ehepaar! Troy Dale und Regina Dale hatten sich in Fassaden-Dekorationselemente spezialisiert, waren damit steinreich geworden, verkauften einen Teil ihres Geschäfts und hatten jetzt Lust, Geld im Filmgeschäft zu investieren. Ihre Sekretärin, Valerie Vance, vermittelte den Kontakt zu ihrem Ehemann, Samuel Vance, selbst nach eigener Aussage ein Vietnamveteran, der ein Filmdrehbuch in der Schublade hatte. Das Doppel-Paar Dale und Vance tat sich also zusammen und entschied sich, einen Film auf Grundlage von Samuel Vances Drehbuch zu machen. Dafür brauchten sie einen schwarzen Hauptdarsteller und so begannen sie in der Actionabteilung der Videothek ihres Vertrauens zu recherchieren. Sie kamen auf Steve James, dem charismatischen Nebendarsteller in AMERICAN NINJA. Die Credits im Video gaben einen gewissen "Sam Firstenberg" als Regisseur aus. Also sollten Steve James und Sam Firstenberg mit von der Partie sein. Gemäß dieser Erzählung von Marcus Manton, dem Cutter von RIVERBEND (vorher auch von Firstenbergs BREAKIN' 2: ELECTRIC BOOGALOO und AMERICAN NINJA), kamen also Hauptdarsteller und Regisseur auf diese Weise zu diesem Projekt (diese Geschichte über die Auswahl von Hauptdarsteller und Regisseur anhand eines geliehenen Videos erzählt Firstenberg selbst nicht, auch wenn er die Anfänge des Projekts durch die Ehepaare Dale und Vance bestätigt).


Abgesehen von Firstenberg, Steve James, Margaret Avery und Assistent David Womark (ein ehemaliger Kommilitone Firstenbergs an der Filmhochschule in L.A. und langjähriger Cannon-Veteran) war die Drehcrew fast komplett lokal, also texanisch. Gedreht wurde in sechs Wochen à sechs Drehtage in April und Mai 1988 in den texanischen Gemeinden Maypearl, Venus und Waxahachie (mit knapp über 18.000 Einwohnern im Jahr 1990 die größte der drei). Diese drei Drehorte teilt sich RIVERBEND übrigens mit BONNIE AND CLYDE. Das Period-Feeling war mit relativ geringen Mitteln zu erreichen, da diese Städtchen Ende der 1980er Jahre nicht wesentlich anders als Mitte der 1960er Jahre aussahen.

Steve James war natürlich schon damals bekannt aus diversen Nebenrollen in Actionfilmen von Cannon (darunter Curtis Jackson in AMERICAN NINJA). RIVERBEND war eine seltene Hauptrolle für den vielleicht schauspielerisch nicht besonders filigranen, dafür aber umso mehr charismatischen und markanten Darsteller. Damals war noch nicht vorauszusehen, dass RIVERBEND zu seiner späten Karrierephase gehören würde: James verstarb 1993 mit nur 41 Jahren an Krebs.

Mit Margaret Avery war sogar eine Oscar-nominierte Schauspielerin (1985, als Nebendarstellerin für Spielbergs THE COLOR PURPLE) dabei, auch wenn die Figur der Belle leider nicht besonders mit Komplexität glänzen darf. Eine sehr denkwürdige, geradezu bombastische Performance gibt auch der Texaner Tony Frank, der viel für das Fernsehen gedreht hatte (aber auch Nebenrollen für Walter Hill, Oliver Stone und Clint Eastwood): für den im echten Leben ganz und gar antirassistisch eingestellten Frank war die Rolle des Sheriff Jake besonders herausfordernd.


Das Projekt gestaltete sich aus Firstenbergs wie auch Mantons Sicht von Anfang an eher schwierig. Die Ehepaare Vance und Dale, die von Problemen des Filmemachens kaum etwas verstanden, stellten sich offenbar sehr beratungsresistent. Samuel Vances Originaldrehbuch war extrem lang und Firstenberg empfahl sowohl dem Vance- als auch dem Dale-Ehepaar, es zu kürzen, um eine praktikable Arbeitsgrundlage zu haben. Doch er wurde angewiesen, das Drehbuch Seite für Seite zu verfilmen: "He (the producer) focused on maximizing his investment instead of concentrating on seeking less material but rather make it better material. His attitude was 'I want every page filmed!' So from my point of view, this was not good, but it was his investment, his intention, and he did not listen to me." Mit anderen Worten: Firstenberg musste ein in dieser Form und in diesem Umfang eigentlich unfilmbares Drehbuch filmen, mit einem eher mäßigen Budget und in einer Drehtagzahl, die die bereits nicht üppige Anzahl der üblichen Drehtage bei Cannon noch unterschritt.


Die Quitting kam dann, als das Material abgedreht war und geschnitten werden musste: Marcus Manton begann, den Film zu schneiden. Aufgrund der enormen Fülle des Materials kam er nur langsam voran. Bei der Hälfte des geplanten Films war er schon bei über anderthalb Stunden Laufzeit: der in dieser Form geschnittene Film hätte also über drei Stunden gedauert. Dale ließ daraufhin den Schnittprozess abbrechen. Es war genau das passiert, wovor Firstenberg gewarnt hatte: ein zu langes Drehbuch, zu viel Drehmaterial – alles zu viel. Manton wurde angeordnet, den Work-in-Progress-Schnitt zu verwerfen und das ganze Material nunmehr so schnell wie möglich auf eine "normale" Spielfilmlänge nach Gutdünken zusammenzuschneiden. In dem Buch Stories from the Trenches bemerkt Manton dann auch: "It would have been much smarter to cut the whole thing down in the first place, and put all the money into the ninety minutes. This way they put it into three hours and threw half of it away." Manton sieht RIVERBEND aus heutiger Sicht auch als völlig zerschnitten: "I don't remember feeling it plays as a movie."


Irgendwann während des Prozesses kam es dann auch zu einem Streit zwischen Samuel Vance und Troy Dale: Dale bootete die Vances aus und übernahm das Projekt in eigene Hände. Nach der Fertigstellung von Mantons Schnitt fügte er auch selbst die Musik bei – mit einem nicht immer sicheren Händchen: die wiederkehrende, bluesige und dann in leichten Variationen wiederkehrende Titelmelodie ist recht gelungen, aber an manch anderer Stelle klingt es so, als hätte Dale bei Aerobic-Trainingsvideos den Score geklaut: Szenen, die mit der passenden Musik wahrscheinlich viel emotionaler wirken könnten, werden teils "sabotiert".


Ein versöhnliches, fast utopisches Ende


In Stories from the Trenches spart Firstenberg nicht mit Kritk an dem, was nicht so gut gelaufen ist (das Gespräch zwischen Quentin und Belle auf ihrer Terrasse, die die Romanze beginnt, sieht er als misslungen und emotional nicht involvierend), steht aber, wie auch bei den meisten seiner Filme, durchaus fest dahinter: "All those moments ended up in the movie exactly the way I envisioned them to be. [...] Let's say RIVERBEND is ninety-five percent my version." Zwischen den Zeilen meint man auch zu spüren, dass Firstenberg RIVERBEND einen besonderen Platz in seiner Filmographie einräumt. Der Bemerkung Marco Siedelmanns, dass der Film an einigen Stellen doch zu dunkel sei, widerspricht Firstenberg vehement und verweist auf die schlechte Qualität der verfügbaren Versionen.

RIVERBEND kam tatsächlich nie in eine reguläre Kinoauswertung. Der Film wurde beim Houston Film Festival im Frühjahr 1989 gezeigt. Zum Vertrieb wurde er an Paramount verkauft. Paramount soll wohl einige Testscreenings durchgeführt haben, die nicht besonders erfolgreich ausfielen und hat danach den Film nur auf VHS herausgebracht (Firstenberg vermutet, dass der Film thematisch zu explosiv war und deshalb als Direct-to-Video-Actioner vermarktet wurde). Die Subfirmen von Paramount, die für den Vertrieb verantwortlich waren, existieren nicht mehr und die Rechte bleiben ungeklärt. Firstenberg schreibt zwar, dass der Film an keine anderen Länder verkauft wurde, aber auf IMDb findet sich ein Hinweis auf eine deutsche Videopremiere und in der OFDb finden sich gleich zwei deutsche VHS-Fassungen (wenngleich keine Spur auf eine Kinoauswertung).

Der Film ist bislang nur auf VHS verfügbar, im beschnittenen Format von 1.33:1 statt 1.85:1. Der Film läuft da 96 Minuten (in vielen Quellen ist als Originallänge 106 Minuten zu finden). Rips einer solchen VHS-Version findet man online, eines davon auf Sam Firstenbergs persönlichen YouTube-Channel (in einem der Kommentare dort merkt er an, dass es ein Herzensprojekt war, diesen Film wieder verfügbar zu machen). Die Bildqualität ist leider grausig, eine unheilvolle Allianz aus trübstem VHS-Matsch und völlig ausgefransten digitalen Pixelwolken und macht die Sichtung unabhängig vom Standpunkt zum Film leider zu einer harten Durchhalteprobe.

Sonntag, 21. Februar 2021

In eigener Sache: Audiokommentar zu "Gangster sterben zweimal"


Wer auf "Whoknows Presents" meine Texte liest, sollte in der Regel ein bisschen Zeit mitbringen. Und wer mich gerne lange liest, kann mir demnächst auch lange zuhören, sogar über 100 Minuten: am 19. März erscheint Mino Guerrinis Heist-Movie GANGSTERS '70 ("Gangster sterben zweimal") in einer wunderschönen Liebhaber-Bluray-Edition beim Label Forgotten Film Entertainment, zum ersten Mal ungeschnitten und im korrekten Scope-Bildformat (hier bestellbar direkt bei Forgotten Film Entertainment). Unter den zahlreichen Bonusmaterialien befindet sich unter anderem auch ein Audiokommentar mit dem wunderbaren Robert Wagner von Eskalierende Träume sowie meiner Wenigkeit. Wir fachsimpeln zusammen unter anderem über die Verbindungen zwischen Mickey Mouse und Mario Bava, über Nasenstift-Fetischismus und die niederschmetternde Glamourlosigkeit von Lunches unter Kriminellen, über die Nutzung von Rouge bei alternden Männern und exklusive Auto-Sonderserien von Lamborghini... Wem das zu langweilig wird, kann natürlich auch zum anderen Audiokommentar mit Udo Rotenberg und Konstantin Hockwin switchen. Oder einfach wieder zum Filmton wechseln...


... denn die Hauptattraktion der Edition bleibt natürlich der Film selbst: eine Heist-Geschichte um einen alternden Gangster (Joseph Cotten), der frisch aus dem Gefängnis entlassen einen letzten großen Coup, nämlich einen Raubüberfall auf einen Geldtransport am Flughafen, wagen möchte – wobei schon recht früh vieles schief geht. Klingt zunächst sehr klassisch, doch schon nach wenigen Minuten fällt auf, dass "Gangster sterben zweimal" vor allem visuell ein ungemein aufregender Film ist: ein prachtvoller Scope-Film mit einer sehr expressiven Bildgestaltung, bei der immer wieder Figuren von Gegenständen an den Rand gedrängt werden, mit Jumpcuts und gekippten Perspektiven (teils kopfüber), einigen spektakulären Handkameraszenen, Zooms, dazu immer wieder lange Momente, die komplett in Spiegelungen gefilmt oder von gespiegeltem Glas verdeckt sind. Einige der kurzen, eruptiven Actionsequenzen und Schiessereien erinnerten Robert an die Actioninszenierung des Hong Konger Kinos der 1980er (hier sozusagen etwa 15 Jahre vorweg genommen). GANGSTERS '70 wird in der restaurierten Edition von Forgotten Film Entertainment als zweite Veröffentlichung der "Italo-Cinema Collection" fantastisch aussehen. Und er wird toll klingen: die Bilder werden von Egisto Macchis dissonant-avantgardistischen Score wunderbar getrieben.


Der Regisseur, Mino Guerrini, hatte mich in seinem an THE IPCRESS FILE angelehnten Eurospy-Film SICARIO 77, VIVO O MORTO schon beim Terza Visione 2018 mit seiner expressiven Inszenierung beeindruckt. Von den Darstellern ist natürlich vor allem Joseph Cotten bekannt, doch im Laufe des Films avanciert der eher unbekanntere Giulio Brogi zur eigentlichen schauspielerischen Attraktion des Films. Er spielt einen durch Drogensucht gefallenen Sportschützen-Champion, der unter Not in den Coup involviert wird. Seine Figur erinnert ein wenig an Yves Montands trinksüchtigen Scharfschützen in Jean-Pierre Melvilles zwei Jahre später in die Kinos gestarteten LE CERCLE ROUGE. Mit Melvilles Film teilt "Gangster sterben zweimal" auch die melancholische, schwermütige, pessimistische und bedrückende Atmosphäre und das Gefühl einer merkwürdig entvölkerten, abstrakten Genre-Parallelwelt (hier gleichwohl weniger amerika-fetischistisch).


"Gangster sterben zweimal" – der deutsche Verleihtitel ist tatsächlich sehr schön und treffend – ging, soweit ich es nachvollziehen konnte, trotz Vertrieb bin in die USA beim Publikum Ende der 1960er Jahre unter. Als poliziesco all'italiana kam er in Italien wohl zu früh, vor der großen Welle (und der Originaltitel war wohl nicht gerade sehr catchy). Als klassischer, amerikanisch inspirierter Heist-Movie kam er wohl zu spät (bzw. konnte nicht wie Melville mit publikumswirksamen Stars aufwarten). Seine größtenteils unsympathischen und schwierigen Charaktere machen ihn eher unwohlfühlig... Jetzt müsste aber endlich die Zeit für ihn gekommen sein. In vier Sichtungen innerhalb von knapp drei Monaten, vom ersten Kennenlernen bis zum gemeinsamen Einsprechen des Audiokommentars mit Robert, hat mich der Film immer wieder gefesselt und verblüfft.


Und jetzt kann er auch dich immer wieder fesseln und verblüffen, lieber Leser!

Montag, 15. Februar 2021

Dr. Wise erklärt, wie man das Virus besiegt - und wie man es nicht macht!



Der Film wurde 1919 vom britischen Local Government Board (LGB), das u.a. für Fragen der öffentlichen Gesundheit zuständig war, als Reaktion auf die verheerende Spanische Grippe in Auftrag gegeben. Sir Arthur Newsholme, der damalige Chief Medical Officer des LGB, dürfte den Anstoß dazu gegeben haben, der eigentliche Produzent war aber Joseph Best (der zuvor auch schon einen Film über Geschlechtskrankheiten gemacht hatte). Ob Best auch als Regisseur fungierte, und wer die sonstigen Mitwirkenden waren, weiß ich nicht. Der Film lief wohl im Vorprogramm der regulären Kinos, aber erst 1919, als die zweite Welle der Spanischen Grippe (die in England im Oktober 1918 begonnen hatte) schon im Abklingen war, und angeblich gab es auch nicht genügend Kopien für einen wirklich flächendeckenden Einsatz. Viele Kinobetreiber hatten auch keine Lust mehr, ständig "Public Information Films" vorführen zu müssen. Es ist also fraglich, ob DR. WISE ON INFLUENZA überhaupt eine größere Wirkung entfaltete. Nicht zuletzt als Reaktion auf die Pandemie und die unzureichenden Maßnahmen dagegen wurde 1919 in Großbritannien ein Gesundheitsministerium eingeführt, auf das die gesundheitspolitischen Aufgaben des LGB übertragen wurden.

DR. WISE ON INFLUENZA ist fast ein Unikum, denn ansonsten wurde die Spanische Grippe im britischen Film praktisch totgeschwiegen - weder im Spielfilm noch in Wochenschauen wurde sie thematisiert. Man wollte wohl zunächst in Kriegszeiten alles vermeiden, was die Bevölkerung in Panik hätte versetzen können, und nach Ende des Ersten Weltkriegs kam man nur schwer wieder aus diesem Modus heraus. Es scheint aber zumindest 1920 noch einen weiteren (und nur 90 Sekunden dauernden) Influenza-Film gegeben zu haben, den sich Christopher Addison, der erste Gesundheitsminister, als Erfolg auf die Fahnen schrieb. Angeblich haben den 30 Mio. Briten gesehen, so behauptete zumindest Addison. DR. WISE ON INFLUENZA hat in den Archiven des British Film Institute (BFI) die Zeiten überdauert und wurde im letzten Sommer aus naheliegenden Gründen erneut der Öffentlichkeit präsentiert. Die hier eingebettete Version wurde allerdings stark bearbeitet. Nicht nur die Farbe wurde künstlich hinzugefügt, es wurden auch viele Szenen stark gekürzt. Vielleicht wurde auch die Abspielgeschwindigkeit etwas erhöht. Auf dem YouTube-Kanal des BFI gibt es die unbearbeitete Version des Films, die dem ursprünglichen Seherlebnis offensichtlich viel näher kommt. Da hat man dann auch genug Zeit, um in Ruhe die Zwischentitel zu lesen.

Viele der vom fiktiven Dr. Wise empfohlenen Maßnahmen wirken für uns von der Pandemie Gebeutelten erstaunlich zeitgemäß und vertraut. Nur das Gurgeln mit Kaliumpermanganat würde man heute wohl nicht mehr empfehlen. Und es gibt im Film sogar Bilder des Erregers zu sehen! Oder etwa doch nicht? Nein, natürlich nicht. Bekanntlich wird die Grippe, und damit auch die Spanische Grippe, von Viren verursacht, und die konnte man in den damaligen Lichtmikroskopen überhaupt nicht sehen. Das gelang erst mit dem Elektronenmikroskop, doch das wurde erst in den 30er-Jahren entwickelt. Außerdem wimmelt und wuselt da nichts, sondern das Elektronenmikroskop liefert nur statische Bilder. Uns werden hier also x-beliebige Mikroben als angebliche Erreger untergejubelt (wenn nicht gar ein begabter Animationskünstler am Werk war). Freilich sollte man nachsichtig sein, denn das Influenzavirus wurde auch erst in den 30er-Jahren als Verursacher der Krankheit nachgewiesen - vorher zog man auch Bakterien in Betracht. Das BFI allerdings schrieb begleitend zur Neuveröffentlichung des Films: "Look out for some impressive microscopic footage of the deadly microbes in question [...]" - und das ist dann doch eine etwas dreiste Aufschneiderei. Aber zum Ausgleich dafür hat uns das BFI auch diesen lesenswerten Artikel von Bryony Dixon über den Film und seine Begleitumstände spendiert, in dem übrigens auch auf die Nöte der damaligen Kinobetreiber eingegangen wird, die den heutigen durchaus ähnlich waren. Interessante Informationen enthält auch dieser Artikel über die damalige Situation auf der Insel und die Maßnahmen des LGB.

Dienstag, 2. Februar 2021

Eine Seuche aus China und der Faschismus

BÍLÁ NEMOC (DIE WEISSE KRANKHEIT)
Tschechoslowakei 1937
Regie: Hugo Haas
Darsteller: Hugo Haas (Dr. Galén), Zdeněk Štěpánek (der Marschall), Bedřich Karen (Prof. Sigelius), Václav Vydra (Baron Krog), František Smolík (Krogs Buchhalter), Helena Friedlová (dessen Frau), Ladislav Boháč (Pavel Krog), Karel Dostal (Propagandaminister)

Wir befinden uns im Jahr 1937 in einer ungenannten und halb fiktiven europäischen Großmacht, die aber Parallelen zu Nazi-Deutschland aufweist. Das Land wird diktatorisch regiert von einem Marschall, dessen Name ungenannt bleibt und auch unwichtig ist - "der Marschall" ist im Film so eindeutig wie in der damaligen Realität "der Führer" oder "der Duce". Abgesehen von seinen Uniformen erinnert der Marschall äußerlich nicht sehr an Mussolini oder Franco und gar nicht an Hitler, eher an Juan Perón (der aber erst in den 40er Jahren die große Bühne betrat). Doch der Diktator verfolgt eine aggressive Aufrüstungspolitik, die in die Eroberung neuen "Lebensraums" münden soll, wie er in Reden vor den jubelnden Massen ganz unverblümt verkündet. Es wird nicht explizit gesagt, dass dieser Lebensraum "im Osten" liegen soll, aber die Parallele zu Hitlers Eroberungspolitik ist trotzdem offensichtlich. Erstes Ziel soll ein kleines und scheinbar wehrloses Nachbarland sein, das auch nicht namentlich genannt wird, in dem man aber zwanglos die damalige Tschechoslowakei erkennen kann. Eine wichtige Stütze der militärischen Pläne ist der Rüstungsindustrielle Baron Krog, der in seinen Fabriken nicht nur Flugzeuge und Panzer, sondern auch Giftgas produzieren lässt. Sein Neffe Pavel ist der Adjutant und zukünftige Schwiegersohn des Marschalls - die Allianz der deutschen Schwerindustrie (Krupp, Flick, Thyssen etc.) mit Hitler lässt grüßen.

Der Marschall hält eine Rede; der Zivilist links ist der Propagandaminister, der natürlich an Goebbels erinnert
BÍLÁ NEMOC ist also eine politische Allegorie auf die damaligen Zeitumstände, aber es gibt einen wichtigen zusätzlichen Punkt: Es grassiert eine tödliche Pandemie, die ihren Ursprung in China hat. Offiziell heißt die Krankheit Morbus Chengi, nach dem chinesischen Wissenschaftler, der sie in Peking erstmals nachgewiesen und beschrieben hat. Doch allgemein wird sie "die Weiße Krankheit" genannt, nach dem ersten Symptom: kleine weiße Flecken auf der Haut, in denen die Sinnesrezeptoren abgestorben sind. Die Flecken vergrößern sich, und die Haut und das Gewebe darunter gehen ähnlich wie bei Lepra in Verwesung über, was üblen Gestank und heftigste Schmerzen verursacht und in wenigen Monaten zum sicheren Tod führt. Anders als eine wohlbekannte heutige Pandemie wird die Weiße Krankheit von Bakterien verursacht. Sie befällt aber nur Personen ab einem Alter von ungefähr 45 bis 50, die Jüngeren sind immun. Ein Heilmittel gibt es nicht, und Prof. Sigelius, Leiter einer großen Klinik und wichtigste medizinische Autorität im Land, empfiehlt zur Behandlung nur Desinfektionsmittel gegen die Geruchsbelästigung und Morphium für die Kranken im Endstadium. Der Marschall aber spielt die Seuche herunter und wähnt sich immun, gewissen heutigen Staatenlenkern nicht unähnlich.

Prof. Sigelius - in seiner Klinik ein Diktator im Kleinen
Die Lage ändert sich, als der einfache Hausarzt Dr. Galén (der Name ist eine Referenz an Galen, neben Hippokrates berühmtester Arzt der Antike) in der Klinik von Prof. Sigelius vorstellig wird. Er hat nämlich als bislang einziger doch ein Heilmittel für die Seuche entdeckt und in seiner Armenpraxis erfolgreich angewendet. Nur sehr mühsam kann er den arroganten Professor, der gegenüber seinen Untergebenen und dem einfachen Arzt Galén selbstherrlich und gegenüber dem Marschall subaltern auftritt, davon überzeugen, in der Klinik einen kontrollierten Versuch mit dem Medikament zu gestatten. Doch dieser gerät zu einem vollen Erfolg, der auch dem Marschall nicht verborgen bleibt, und Sigelius sonnt sich in dem Erfolg. Es gibt aber einen Haken. Dr. Galén hatte sich ausbedungen, die Kranken in der Klinik selbst zu behandeln, und er weigert sich, die Rezeptur des Heilmittels an den Professor oder sonst irgendwen zu verraten. Genauer gesagt, er knüpft es an eine Bedíngung: Erst wenn der Marschall und andere bedeutende Staatschefs dem Militarismus abschwören und eine allgemeine Friedensordnung ausrufen, wird er seine Formel der Öffentlichkeit übergeben. Bis dahin wird er neben der genau bemessenen Zahl der Versuchspatienten in der Klinik nur die Armen in seiner Praxis behandeln. Als Galén in der Klinik einer Abordnung von Journalisten von seiner Bedingung berichtet, wird er vom erbosten linientreuen Sigelius hinausgeworfen und zieht sich erst mal in seine Praxis zurück.

Dr. Galén
Parallel zu diesen Entwicklungen hat der Film auch die Geschichte eines Angestellten von Baron Krog verfolgt. Zunächst nur ein kleines Licht, rückt er zum Chefbuchhalter auf, weil gleich eine Reihe seiner Vorgänger in dieser Position der Weißen Krankheit erlegen sind. Der Mann ist ein reaktionärer Kleinbürger, ein Mitläufer par excellence, der auch die Kriegspläne des Herrschers voll und ganz unterstützt. Erst als er bemerkt, dass seine Frau einen jener weißen Flecken vor ihm verborgen hält, setzt langsam ein Umdenken bei ihm ein, und schließlich landet er mit seiner Frau in Galéns Praxis. Noch jemand findet sich dort ein, nämlich inkognito Baron Krog. Der hat nämlich auch einen weißen Fleck an sich entdeckt und will sich die rettende Behandlung erschleichen, indem er einen Armen mimt. Dr. Galén bestätigt die niederschmetternde Diagnose, aber er durchschaut Krogs Schwindel und weigert sich, ihn zu kurieren. Der bricht daraufhin regelrecht zusammen und fleht den Marschall an, seine Kriegspläne aufzugeben. Als der sich natürlich weigert, erschießt sich der Baron. Kurz darauf beginnt der Einmarsch in das Nachbarland, doch der Widerstand dort ist erheblich größer als erwartet und zumindest vorerst nicht erfolglos. Und dann bemerkt der Marschall, dass auch er gegen alle seine Erwartungen von der Weißen Krankheit befallen ist. Im Handumdrehen ist nun alles anders: Der Marschall ruft seine Truppen zurück, lässt eine Friedensvereinbarung aufsetzen und ruft Dr. Galén zu sich. Doch der läuft direkt vor dem Präsidentenpalast einem aufgebrachten Mob in die Hände, der die neue Situation noch nicht begriffen hat ...

Der Marschall und Baron Krog, Partner im Geschäft und in der Politik
BÍLÁ NEMOC entstand in den Prager Barrandov-Studios, in den 30er Jahren das Zentrum der florierenden tschechoslowakischen Filmindustrie. Der Film beruht auf dem gleichnamigen dreiaktigen Bühnenstück von Karel Čapek (der auch die Vorlage für KRAKATIT geliefert hatte), das im Januar 1937 in Prag Premiere hatte, fünf Monate lang aufgeführt wurde und auch erfolgreich im europäischen Ausland lief - aber natürlich nicht in Deutschland. Der deutsche Gesandte in Prag fühlte sich sogar zu einer Protestnote bemüßigt. Der im mährischen Brünn/Brno geborene Hugo Haas (1901-1968) war damals sowohl als Schauspieler wie auch als Regisseur beliebt und erfolgreich. Haas als Dr. Galén, Zdeněk Štěpánek als der Marschall und Bedřich Karen als Prof. Sigelius (und vielleicht noch weitere Darsteller) hatten ihre Rollen schon auf der Prager Bühne gespielt und wiederholten sie dann im Film, den Haas auch inszenierte (im Gegensatz zur Bühnenfassung, bei der Karel Dostal, der Propagandaminister im Film, Regie führte). Der Film hält sich weitgehend an die Vorlage und er kam im Dezember 1937 in die Kinos. Haas inszenierte ohne größere filmische Höhepunkte, aber auch ohne größere Schwächen, und allein schon als zeitgeschichtliches Dokument ist er allemal noch sehenswert. Nur eine gewisse Naivität oder grundlosen Optimismus könnte man im Rückblick bemängeln - wenn doch nur alle Kriegstreiber und Faschisten so schnell umfallen würden wie der Baron und der Marschall ... Bekanntlich entwickelten sich die Dinge in der echten Tschechoslowakei schlechter als in ihrem halb-fiktiven Filmgegenstück. Der aus einer jüdischen Familie stammende Hugo Haas floh in die USA (sein Vater und sein Bruder Pavel, ein Komponist, wurden von den Nazis ermordet) und kam in Hollywood unter, vorerst aber nur als Schauspieler. Erst 1951 hatte er so viel Geld angespart, dass er eine kleine Produktionsfirma gründete und wieder als unabhängiger Regisseur, Produzent und sein eigener Hauptdarsteller arbeiten konnte. Es handelte sich dabei durchweg um Billigproduktionen, die aber interessant gestaltet waren und heute einen guten Ruf genießen, auch wenn sie damals wenig beachtet wurden. Seinen Lebensabend verbrachte Hugo Haas dann in Österreich, er starb 1968 in Wien.

Der Marschall besucht die Klinik, und das Personal steht stramm
BÍLÁ NEMOC wurde 2016 in einer internationalen Zusammenarbeit vom Nationalen Filmarchiv Prag und vom Ungarischen Filmlabor in Budapest mit Geldmitteln aus weiteren Ländern digital restauriert. Diese Version ist in sehr guter Qualität und mit wahlweisen englischen Untertiteln auf einem YouTube-Kanal, der vom Nationalen Filmarchiv Prag gemeinsam mit weiteren Institutionen betrieben wird, ansehbar, wird dort aber unerquicklich oft von Werbung unterbrochen. Die restaurierte Fassung ist auch einzeln und zusammen mit KRAKATIT auf Blu-ray erhältlich, und es gibt auch ältere DVDs, ebenfalls einzeln und zusammen mit KRAKATIT.

Sonntag, 3. Januar 2021

2020 im persönlichen Rückblick



Ein unschönes Jahr vorbei...



Festivals, Filmveranstaltungen, Reihen


Ich bin seit 2017 zu einem regelmäßigen Besucher von Filmfestivals, Filmwochenenden, Filmretrospektiven geworden. 2019 bin ich auf ein Rekord von 11 solcher Veranstaltungen gekommen. Die Vorstellung von zwei Wochen Pauschalurlaub am Strand im Sommer gehört zu den wahrscheinlich Top-Ten meiner Visionen von der Hölle. Lieber verbringe ich meinen Urlaub über verlängerte Wochenenden verteilt bei Kinoveranstaltungen. Im Pandemiejahr – wobei angesichts der aktuellen Situation klingt das zu "abgeschlossen" ("in diesem ersten Pandemiejahr" wäre wohl korrekter) – fiel das goEast-Festival in der gewohnten Form aus, das heiß geliebte Terza Visione fiel aus, nach einer Phase, in der Kino wieder möglich war, fiel auch das Karacho-Festival des Actionfilms in Nürnberg aus, ebenso das herbstliche Italo-Filmwochenende. Zwei Veranstaltungen in Frankfurt, eine zum unabhängigen anglophonen Horrorkino der 1970er Jahre und eine zum spanischen Kino der Post-Franco-Ära, wurden vorerst verschoben. Ich habe auf Sweet Movies Mitte März verzichtet (das gerade noch knapp stattfand). Und nicht zuletzt wurde das Jenaer Kurzfilmfestival cellu l'art nicht nur einmal (für den April-Termin), sondern zweimal (für den alternativen November-Termin) verschoben und schließlich in einer reinen Online-Edition ausgetragen: als Teil des Orga-Teams, dem ich seit Dezember 2019 angehöre, war das eine aufreibende, stressige und immer wieder frustrierende Situation. Die Austragung in der Online-Edition hat mich in meinem seit 2017 erneuerten Glauben an das Kino als physischer Ort von Film verstärkt, um es mal positiv zu formulieren.


Angesichts der Umstände bin ich sehr dankbar, dass ich immerhin drei sehr schöne Filmveranstaltungen dieses Jahr besuchen konnte. Der 19. außerordentliche Filmkongress des Hofbauer-Kommandos fand Anfang Januar 2020 statt. Aufgrund eines ebenfalls Anfang Januar begonnenen neuen Jobs konnte ich nur das Zeitfenster zwischen Freitag Abend und Sonntag späten Nachmittag besuchen. Doch trotzdem: wieder Unfassbares, Unglaubliches, Faszinierendes... Ivana Massettis unklassifizierbarer DOMINO, gereicht als "Edel-Videoknüppel" am Samstag Nachmittag, der anfänglich befremdliche, aber dann zunehmend faszinierende Partyhöllen-Reportfilm MALLE, die exklusiven Sondervorstellungen zeitgenössischer 16mm-Kopien der Schwulenpornos ADAM & YVES und DRIVE aus Jack Deveaus Produktionsfirma Hand in Hand...

An die Kopienverfügbarkeit der letztgenannten knüpfte auch das Filmwochenende "Good Hot Stuff: Hommage Hand in Hand" des Filmkollektiv Frankfurt im September (ursprünglich im April geplant), auf der fünf Filme von Hand in Hand zu sehen waren. Eine schöne Gelegenheit, Jack Deveaus LEFT-HANDED (der beim 17. Hofbauer-Kongress digital lief) in analoger 16mm-Form wieder neu zu entdecken; Peter De Romes großartigen ADAM & YVES erneut zu sehen; hinter dem Titel GOOD HOT STUFF endlich den passenden Film, nämlich ein Selbstportrait der Produktionsfirma zu erleben – und den Herausgeber des sehr lesenswerten Filmbuchs "Good Hot Stuff. The Life and Times of Gay Film Pioneer Jack Deveau" wie auch des bereits hier kurz angeschnittenen Filmbuchs "Stories from the Trenches: Adventures in Making High Octane Hollywood Movies with Cannon Veteran Sam Firstenberg", den wunderbaren Marco Siedelmann, persönlich kennen zu lernen.

Der letzte Kinorausch des Jahres dann das 3. Filmarchäologen-Symposium in Nürnberg im Oktober. Ein Tag früher angereist, um noch ein bisschen King Vidor (RUBY GENTRY) und ein bisschen Kirk Douglas (Brian De Palmas THE FURY in einer 16mm-Kopie) zu genießen. Dann drei Tage lang Vergessenes aus der Filmgeschichte, in oft fragilen 35mm-Kopien: ödipale Erotik auf griechischen Inseln, Späße, Intrigen und Verwechslungen in der Welt der schummerigen Münchner Vergnügungsclubs, eine brachiale, gnadenlose, finstere und unvergessliche koloniale Dystopie in einem Inselparadies, kleine Vignetten von Liebesspielen im Italien der 1960er Jahre... Auch ein Höhepunkt dieser Tage war meine Beteiligung an einer ersten "Ernte" des Filmarchäologen-Projekts (https://www.forgotten-film-entertainment.de/filmarchaeologe), als ich zusammen mit dem wunderbaren Peter aus Hamburg im Saal des KommKino den Audiokommentar zu einem Film einsprechen konnte, der beim 1. Filmarchäologen-Symposium zu sehen war.


Das 35mm-Kino des Film e.V. Jena war weiterhin eine Quelle der Cine-Freude. DER NAME DER ROSE, ein Film, den ich seit meinen frühen Teenagerjahren nicht mehr gesehen hatte, erstrahlte in einer wunderschönen Kopie, die die wunderbaren, rauchig-neblig-dampfenden Bilder wunderbar zur Geltung brachte. Ein wirklich ganz herausragender, schöner Film. Gesehen habe ich ihn übrigens am Abend des 5. Februar 2020: da war Corona in Europa noch nicht so ein großes Thema, dafür wurde aber an dem Tag in meinem Heimat-Bundesland, Thüringen, der Vertreter einer Partei, die sich "liberal" schimpft, mithilfe von Nazis zum Ministerpräsidenten gewählt. Ein Hauch von Putsch-Atmosphäre, das Gefühl, dass irgendetwas in der gelebten Demokratie unwiederbringlich kaputt gegangen ist, schnürte wohl nicht nur mir den Magen zusammen. So komisch es klingt, aber dieser Kriminalfilm (ich würde fast sagen: "Spät-Giallo"?), der in einem norditalienischen Kloster im Mittelalter spielt, konnte gerade mit seiner Geschichte, die auch von politischen Intrigen und weltanschaulichen Kämpfen handelt, das ungute Gefühl im Bauch für kurze Zeit exorzieren.

Genauso mit einem unguten Bauchgefühl ging ich beim 35mm-Kino in die Vorstellung von APOCALYPSE NOW am 4. März, als Corona nun doch auch in Europa ein Thema wurde. Präsentiert wurde der Film in einem unerwarteten Double-Feature: eine bulgarische Kurzdokumentation aus den 1970er Jahren mit dem deutschen Titel DAS KÄNGURU lief als Vorfilm. APOCALYPSE NOW, den ich schon in einer der ursprünglichen Kinofassungen und in der Redux-Fassung kannte, erwies sich für mich bei dieser erneuten Sichtung interessanterweise als verkappte absurde, schwarze Komödie: die ersten zwei Drittel sind von einem finsteren, fiesen, galligen, verzweifelten Humor durchzogen. APOCALYPSE NOW war dann auch der letzte Film, den ich im Frühjahr 2020 im Kino sah, bevor die Kinos für über drei Monate dicht machten.

Im Spätsommer, als Kino für kurze Zeit wieder möglich war, dann noch mal zwei grandiose Höhepunkte, mit Eloy de la Iglesias LA SEMANA DEL ASESINO, der auf der großen Leinwand und auf 35mm noch mal eine Wucht und Intensität in ganz anderen Dimensionen entfaltete; sowie Carpenters ASSAULT ON PRECINCT 13.




Private Retrospektive Sam Firstenberg


Meine intensive Beschäftigung mit Sam Firstenberg zwischen April und Juli gehörte ebenfalls zu meinen großen filmischen Höhepunkten des Jahres. Über die Entstehung dieser Liebe zu Firstenbergs Filmen habe ich hier schon geschrieben. Ich belasse es hier erst mal bei einer Liste der gesehenen Filme nach Präferenz und dem Hinweis, dass noch weitere Besprechungen von Filmen Firstenbergs folgen werden:


Crème de la crème:

NINJA III: THE DOMINATION (1984)

REVENGE OF THE NINJA (1983)

BREAKIN' 2: ELECTRIC BOOGALOO (1984)

AMERICAN NINJA (1985)


Grand film malade:

RIVERBEND (1989)


Herausragend: 

MOTEL BLUE (1997)

AMERICAN NINJA 2: THE CONFRONTATION (1987)

AVENGING FORCE (1986)


Sehr gut:

THE INTERPLANETARY SURPLUS MALE AND AMAZON WOMEN OF OUTER SPACE (2003) [Hinweis: sehr verstrahlt]

THE ALTERNATE (2000)

SIMPATYA BISHVIEL KELEV (1979)

AMERICAN SAMURAI (1992)


Sehenswert mit deutlichen Abstrichen:

QUICKSAND (2002)

OPERATION DELTA FORCE (1997)


Eine bizarre und außergewöhnliche Erfahrung (suspension of classic film standard expectations strongly recommended):

MCCINSEY'S ISLAND (1998)


Für detailverliebte Firstenberg-Komplettisten:

TROPICAL HEAT: "Double Fault" (1992)

TROPICAL HEAT: "Frame Up"(1992)

TROPICAL HEAT: "Going To The Dogs"(1992)


Für fortgeschrittene Firstenberg'ianer:

CYBORG COP (1993)

CYBORG COP II (1994)


Für professionelle Firstenberg'ianer:

SPIDERS II: BREEDING GROUND (2001)

BLOOD WARRIORS (1993)



... und leider noch nicht gesehen:

ONE MORE CHANCE (1981)

NESHIKA BAMETZACH (1990)

DELTA FORCE 3: THE KILLING GAME (1991)

TROPICAL HEAT: "Deadly Switch" (1992)

TROPICAL HEAT: "Over My Dead Body" (1992)



Kino- und Filmjahr 2020


Und das aktuelle Filmgeschehen? Nun... Nicht viel gesehen, aber hier die Höhepunkte:


MALLE (Johannes Lehnen: Deutschland 2020)

– gesehen beim Hofbauer-Kongress im Nürnberger KommKino

Johannes Lehnen, Bekannter eines Hofbauer-Kommandanten, hielt zwischen 2015 und 2018 Szenen aus seinen jährlichen Aufenthalten in Mallorca mit seiner Digitalkamera (oder sogar Handykamera?) fest. Geplant war ursprünglich ein Spielfilm mit seinen Co-Urlaubern als Protagonisten (einige Szenen davon sind im Film noch enthalten), doch die exzessive Partykultur für größtenteils deutsche Touristen lieferte dann doch genug interessantes Material. Was in den ersten Minuten wie ein verwackeltes Urlaubsvideo aussieht, entwickelte in seinen knapp 70 bis 80 Minuten einen zunehmenden Sog: ein voyeuristisches, aus der Position eines stillen Beobachters gefilmtes, teilweise geradezu obsessives, in seiner Dokumentation der Exzesse gnadenloses und dennoch auch immer zärtliches Kaleidoskop einer enthemmten Party-, Trink- (und Drogen-)gemeinschaft.

Besonders in Erinnerung geblieben: drei hart verkaterte Männer, die in einem Schnellimbiss früh morgens gefrühstückt haben, dann sehr, sehr, sehr, sehr mühsam aufstehen (wobei die zwei verhältnismäßig fittesten den dritten, wirklich kaputten stützen müssen) und langsam, über Hunderte Meter hinweg zum Strand torkeln. Eine viele Minuten andauernde Szene in einer einzigen Plansequenz, die schließlich endet, als die Männer am Stand ankommen: die Kamera wendet sich dann ab, lässt die drei Männer ihrem Schicksal und begibt sich auf die Suche nach etwas Neuem.

Oder eine Obersicht auf die Tanzfläche eines Lokals, wahrscheinlich gefilmt von einer Empore: zu sehen ein tanzendes Paar mit einer Frau, die offensichtlich erotisches Interesse signalisiert und einem Mann, der nur Interesse für sein Getränk hat, schließlich irgendwann völlig fertig auf den Boden herunterschlafft und sich dann einen Schuh auszieht (Verzicht als wichtiges Motiv des Films, so Hofbauer-Kommandant Andi nach dem Film: Männer, die lieber trinken, als eine erotische Begegnung zu riskieren).

Oder der völlig regungslos im Gang des Hotels liegende Mann: in einer statischen Einstellung gefilmt; nach einiger Zeit Angst, was denn nun mit dem Mann los ist; und schließlich bricht das Schnarchen los, und durch die echolastige Akustik des Hotelgangs verwandelt sich das Schnarchen in eine geradezu kunstvolle Kakophonie.

Oder der lange lange Gang der kleinen Urlaubsgemeinschaft durch größtenteils leere Straßen zwischen dem Hotel und der Partymeile. Und unvergesslich: die Neon-Lichter der Partymeile, darunter ein Lokal namens "Die Partyfabrik" (original deutsch im Text) – wäre der wahrscheinlich ideale Alternativtitel.

MALLE gehörte zu den Höhepunkten des Hofbauer-Kongresses. Sein Blick ist wie gesagt gnadenlos, unsentimental, und trotzdem auch nie moralisch überheblich, verurteilend oder denunziatorisch. Der Film zeigt, sagt aber nicht, wie man sich zum Geschehen positionieren soll (MALLE ist zudem auch weitestgehend dialogfrei: Wortfetzen sind zu hören, aber die Geräuschkulisse der Straßen, der Musik, der Meereswellen dominieren die Tonebene): vielleicht neben der ultrarohen Ästhetik ein Grund, warum dieser Film offenbar noch nicht richtig in Kinos lief? Denn eines ist sicher: die große Leinwand hat er auf jeden Fall verdient!


UNHINGED (Derrick Borte: USA 2020)

– gesehen im Kino am Markt, Jena

Tatsächlich der einzige aktuelle Film, den ich dieses Jahr in einer regulären Kinoauswertung gesehen habe. Eine knallharte, fiese Exploitation-Granate: UNHINGED nimmt keine Gefangenen; er schießt zuerst und stellt erst später Fragen. Beginnend mit dem Prolog, in dem Russell Crowe an einem dunklen, regnerischen Abend in ein Haus eindringt, ein Paar ermordet und das Haus in Brand setzt; über die opening credits, in dem News-Reporter über steigende Kriminalität berichten und der Eindruck einer entsicherten Granate durch die fragmentierten, zersplitterten News-Bilder gestützt wird; bis schließlich zur Konfrontation zwischen dem Amokläufer und der jungen Mutter, die eben ihren Job verloren hat und ihren künftigen Peiniger bei einem kleinen Hänger im Straßenverkehr angeschnauzt hat... Der physische, im wörtlichen Sinne körperliche Dreh- und Angelpunkt des Films ist natürlich Russell Crowe als fetter, schnaufender, grunzender, schwitzender, manischer, völlig gewaltenthemmter und dabei doch eiskalt berechnend vorgehender Amokläufer.


EIN CALLGIRL FÜR GEISTER (Klaus Lemke: Deutschland 2020)

– gesehen in der Mediathek eines staatlichen Fernsehsenders

80 Jahre geworden – und dann einen frischen, luftigen, lockeren, unbekümmerten, verspielten, plotbefreiten und witzigen Film gedreht, den man vielleicht eher von einem 25-Jährigen erwarten würde. Es geht um einen Schriftsteller, der das Cover seines künftigen Buches in Buchhandlungen an echten Büchern ausprobiert. Um eine mögliche Serienkillerin in Venedig und einem Inspektor aus Italien, der dann in München den Fall untersucht. Ein abgehalfterter Popstar soll ein Comeback haben. Dazwischen geht es mal ins Kino (mit ausgedehnten Ausschnitten aus Lemkes LIEBE SO SCHÖN WIE DIE LIEBE) oder auf eine schicke Feier, wo auch ein Handtaschendieb unterwegs ist. Lemke wandert ab und zu auch mal durch das Bild... Ein kleiner, frischer Sommernachtstraum von einem Film.


COLOR OUT OF SPACE (Richard Stanley: USA/Portugal 2019)

– gesehen auf DVD

Der erste abendfüllende Spielfilm Richard Stanleys nach 27 Jahren: das ist schon ein freudiges Ereignis (wenn man sein Meisterwerk HARDWARE kennt). Ganz so ein tolles Meisterwerk war COLOR OUT OF SPACE nicht, und ich muss sagen, dass ich weit über eine Stunde gebraucht habe, um in den Film reinzukommen. Am Ende steht dennoch ein sehr außergewöhnlicher Film über die Hölle des Familienlebens, mit einem ganz grandios aufspielenden Nicolas Cage und vielen gelungenen, bizarr-surreal-grotesken Bildern.



Nachgeholt von 2019

ONCE UPON A TIME ...IN HOLLYWOOD (Quentin Tarantino: USA/UK/China 2019)

Wahrscheinlich nicht Tarantinos bester Film (ich bleibe bei DEATH PROOF), aber tatsächlich sein luftigster und freister. Zweieinhalb Stunden dauern die meisten seiner Filme, weil er immer wieder den Plot "anhält", um seinen Figuren Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, doch diese Entfaltungsmöglichkeiten waren immer gehemmt in einem Korsett von "Tarantino'ismen", plotbefreit, aber doch sehr eng gescripted. In ONCE UPON A TIME ...IN HOLLYWOOD fällt das immer wieder über lange Strecken weg, und aus Tarantino-Figuren werden tatsächlich echte Charaktere. Und die Plotbefreiung wird tatsächlich zu einem Ausloten von Zeit, die vergeht, zu einem Auskosten kleiner Momente, zu einem Raum für unverbindliche Plaudereien. Der schönste Moment war für mich dann auch das Gespräch zwischen dem verkaterten und verzweifelten Rick Dalton und der neunmalklugen Kinderdarstellerin Trudi auf dem TV-Western-Set, und die kleine Shopping-Tour Sharon Tates, die schließlich in einem Kinobesuch endet, wo sie sich enorm über die Reaktion des Publikums auf ihren Film freut.



Die besten, nicht-aktuellen Erstsichtungen



1

LA SINDROME DI STENDHAL (Dario Argento: Italien 1996)

aka Dario Argentos MARNIE

In den ersten sieben Minuten gelingt es Argento, das Stendhal-Syndrom nicht zu erklären, sondern den Zuschauer selbst durchleiden zu lassen, zusammen mit der Protagonistin Anna Manni (Asia Argento) beim Besuch der Uffizien in Florenz einen Zustand von Schwindel, Verwirrung, Sinnestäuschungen zu durchstehen. Der Film durchbricht nicht inhaltlich, aber formal die Vierte Wand, weil jegliche Grenze zwischen Anna und dem Zuschauer aufgelöst wird. Der Zuschauer, der sich auf LA SINDROME DI STENDHAL einlässt, wird in den folgenden zwei Stunden Annas Reise in den Wahnsinn miterleben und mitlieiden. Der Film enthält auch ein weiteres Meisterwerk von Maestro Ennio Morricone: ein täuschend simples Motiv, das unaufhörlich im Kreis dreht und den Zuschauer in den Strudel von Annas Passionsgeschichte unerbittlich hineinzieht.

LA SINDROME DI STENDHAL hat mich emotional völlig gerädert und stundenlang den Tränen nahe zurückgelassen. Er ist wohl nicht Argentos bester Film (diese Auszeichnung behält nach meinem bisherigen Sichtungsstand PROFONDO ROSSO), aber sein schönster, emotionalster, leidenschaftlichster, obsessivster. Als "mangelhaftes" und gerne verlachtes Spätwerk eines großen Regisseurs über die Kämpfe einer einsamen Frau gegen männliche Gewaltstrukturen und ihre inneren Dämonen hat er mich stark an Hitchcocks MARNIE erinnert (für mich Hitchcocks zwar nicht bester, aber schönster Film).

Als weitere Lektüre empfehle ich Robert Zions Artikel zu dem Film.



2

DOMINO (Ivana Massetti: Italien 1988)

Eine unklassifizierbare Mischung aus Science-Fiction, Sexfilm, Stalker-Thriller, Cyber-Punk-Noir, Experimentalfilm, Essay über die Möglichkeiten eines Billie-Holiday-Biopics und Brigitte-Nielsen-Fetisch-Film (wobei im Grunde praktisch alles in diesem Film ein Fetisch ist). Gesehen beim Hofbauer-Kongress, und nun tatsächlich der Film dieser wunderbaren Veranstaltung, der zumindest in Sichtweite unfassbaren DER ZWEITE FRÜHLING spielt. Einige Ankerpunkte mehr gibt es hier in Roberts Sehtagebuch bei den Eskalierenden Träumern (einfach in den Einträgen zum 11.01 suchen).



3

MONELLA (Tinto Brass: Italien 1998)

Die junge Lola verdreht allen Männern (und einigen Frauen) im Dorf den Kopf (sogar die Seminaristen riechen im Verborgenen an ihrem Fahrradsattel), doch eigentlich will sie nur einen haben: ihren Verlobten, den Bäckerlehrling Masetto. Den will sie aber auch sofort haben, doch der wehrt sich, Jungfräulichkeit bis zur Ehe und so (also: für die Frau – einen schönen Puffbesuch wird er sich doch gönnen können!). Also heißt es für Lola, tief in der Trickkiste zu wühlen und vielleicht das eine oder andere von ihrem libertinären Stiefvater zu lernen, damit Masetto zum Akt überzeugt wird.

Eine wunderschöne, sonnendurchflutete, manchmal mit einem kleinen Schauer abgekühlte, dann mit heißen Rock'n'Roll-Beats wieder auf Hochtouren gebrachte, lustvolle und hedonistische Sommerkomödie. Gefilmt in anbetungswürdig schönen, rauchigen, sanften Bildern



4

COSA AVETE FATTO A SOLANGE? (Massimo Dallamano: Italien/BRD/UK 1972)

Ein ganz großer Giallo. Mit seiner Geschichte um Internatsschülerinnen, die von einem Killer ermordet werden, der ihnen Dolche und Sicheln zwischen die Beine rammt zweifelsohne exploitativ bis zum Anschlag – und dennoch ist es zugleich ein einfühlsamer, poetischer und wie Dallamanos späterer LA POLIZIA CHIEDE AIUTO ein zutiefst melancholischer, trauriger, verzweifelter Film. Kameramann Aristide Massaccesi (als Regisseur später unter dem Namen Joe D'Amato bekannt) erschafft unvergessliche Bilder von beängstigender Schönheit und Poesie: Elizabeth, die den Hörer am Ohr versunken ihrer Lieblingsplatte zuhört, die ihr Liebhaber über das Telefon vorspielt; die völlig verstörte Titelheldin, die auf dem Karussellpferd reitet; das im Gras zurückgebliebene Kätzchen eines Mordopfers. Musikalisch ist das alles von einer der Großtaten Ennio Morricones begleitet, der zwischen herzzerreissender Ballade und harten Dissonanzen alterniert.

Aufgrund einer technischen Panne bei meiner Heimvideo-Edition des Films musste ich bei der Erstsichtung den Film etwa 25 Minuten vor Ende abbrechen. Nach einem unkompliziertem Umtausch mit dem britischen Label "musste" ich zwecks Qualitätskontrolle den Film natürlich noch mal schauen, also knapp drei Wochen später. Der Film offenbarte bei der Zweitsichtung noch mehr seine Schönheiten.



5

LA MAISON DES BOIS (Maurice Pialat: Frankreich 1971)

Ein ausladendes und doch intimes Panorama des französischen Landlebens im Ersten Weltkrieg. Größtenteils völlig plotbefreit und komplett nur in kleinen Augenblicken schwelgend: der Ministrant, der voller anerkennender Worte genüsslich vom Messwein kostet; das Familienbad im Garten; träges Herumliegen nach dem großen Picknick.



6

LA DRÔLESSE (Jacques Doillon: Frankreich 1979)

Ein junger Mann entführt ein Mädchen und hält sie in seinem Zimmer, einem umrangierten Heuschober im elterlichen Bauernhof, gefangen. Was er zunächst dem Mädchen als Spiel vorgaukelt, entwickelt nach und nach zu einer Art Freundschaft und Liebe zwischen zwei Außenseitern... LA DRÔLESSE ist trotz allem ein Film von großer Zärtlichkeit, Einfühlsamkeit, Poesie und Menschlichkeit – gerade weil die latente Bedrohlichkeit und Abgründigkeit der Grundsituation nie aufgelöst wird. Zwei junge Außenseiter bauen in einem falschen Leben, in dem sie verachtet werden, ein "richtiges Leben" auf. Eine Art fragile Utopie, die jederzeit kippen kann. Ein unglaublicher, schwieriger und dann irgendwie auch nicht schwieriger Film, der mich völlig fassungslos zurückgelassen hat.



7

PARADISE LAGOON aka THE ADMIRABLE CRICHTON (Lewis Gilbert: UK/USA 1957)

Das englische Klassensystem von den Füßen auf den Kopf gestellt, oder: Auf der Südseeinsel hört dich niemand nach deinem Butler klingeln! Nach einem Schiffbruch muss sich eine Urlaubexpedition englischer Adeliger auf einer einsamen Südseeinsel neu organisieren – und aufgrund seines unermüdlichen, durch nichts zu erschütternden Organisationstalents wird der Butler zum Gouverneur. Eine gute Gelegenheit, um klassenübergreifenden Gelüsten freien Lauf zu lassen (während die Lady sich nach dem Butler sehnt, werfen die noblen Herren ein Auge auf die Kammerzofe). Und vielleicht sogar eine gelebte Utopie? So unglaublich vergnügt diese heitere Komödie ist, so enthält sie doch das für mich tragischste Bild des Jahres neben dem Zusammenbruch Annas: der Gouverneur beendet seine eigene Hochzeit und die ganze Utopie – und tritt den Rettern der Inselgesellschaft wieder als Butler entgegen.



8

BIJOU (Wakefield Poole: USA 1972)

BIJOU als CITIZEN KANE des Schwulenpornos zu bezeichnen, führt wohl ein bisschen auf eine falsche Fährte, da der Film über weite Strecken ein reines Kammerspiel ist: ein Mann, der in einem exklusiven Club bzw. möglicherweise in seinem eigenen Unterbewusstsein stellvertretend in die Fantasien einer verunglückten Frau einspringt. Vielleicht wäre ein Vergleich mit der Stargate-Sequenz aus 2001: A SPACE ODYSSEY angebrachter: BIJOU ist ein psychedelischer Trip, nicht durch das Weltall, sondern durch erotische Fantasien. (Nur die aufwendige Orchestermusik, die stets organisch aus den Bildern zu erwachsen scheint, kann ich mangels Credits nicht zuordnen: Eigenkomposition oder unbekanntes klassisches Stück?)



9

PHASE IV (Saul Bass: USA/UK 1974)

Speaking of Stargate-like trippy sequences... Ein großartiger ökologischer Horrorfilm. So verblüffend geradlinig (im Grunde ein 3-Figuren-Kammerspiel – oder wenn man möchte ein 25-Millionen-Kammerspiel). So furchterregend: keine Riesenameisen, sondern ein analytischer Blick auf die Funktionsweisen der Ameisenkolonien – oder nur das Zeigen ihrer Arbeitsergebnisse.


10

SPITI STOUS VRAHOUS (George Zervoulakos: Griechenland 1974)

Sonne, Strand und Zweisamkeit am Ägäischen Meer. Ein junger Mann zu Besuch beim Ferienhäuschen seines Vaters, wo seine Stiefmutter bis zur Ankunft ihres Mannes alleine wohnt, arbeitet und in Sachen Archäologie forscht. Nach einer Phase der Distanziertheit die Annäherung, dann eine wilde, leidenschaftliche Liebe. Eine Utopie grenzenloser Liebe, die etwa bis zum letzten Drittel anhält, wenn Rivalinnen und die kapitalistische Zerstörungswut des Vaters reinfunken. Umwerfend schön und sinnlich.



11

UN HOMME À ABATTRE (Philippe Condroyer: Frankreich/Spanien 1967)

Ein privates Todeskommando jagt in einer ungenannten, spanischsprachigen Stadt einen ehemaligen KZ-Lagerkommandanten. Ich zitiere aus einer meiner eigenen Rezensionen: "Nicht der explosive Actionfilm, den Titel und Cover versprechen – HETZJAGD ist vielmehr ein ebenso ruhiger wie nervenzerfetzender Thriller erster Güte. Mehr als ein echter Polit-Thriller ist er vor allem ein Blick in menschliche Abgründe: die Nazi-Jäger sind rastlose Getriebene, die von ihren eigenen Obsessionen nach und nach gefressen werden, der eine (der Chef der Operation und ehemaliges Opfer des Gejagten) zur Verdrängung neigend, die anderen (unbeteiligte Söldner) sichtlich gewaltgetrieben – und voyeuristisch. Ein großer Teil von HETZJAGD besteht tatsächlich daraus, dass einige Männer unbeobachtet das Leben eines anderen akribisch anschauen, beobachten, auflauern, fotografieren, filmen, begutachten, aufzeichnen. Und damit auch ein alternatives Leben, das sie haben könnten, verdrängen – eine kleine Spur Menschlichkeit schleicht sich ein, als Nils (Jean-Louis Trintignant) eine Frau kontaktiert, die in der Nachbarschaft Schmidts wohnt, und die er ab und zu aus Muße beobachtet. Ein seltener Nebenpfad in einem ultraminimalistischen, knochentrockenen und sehr geradlinigen Film, der in einer besseren Welt wesentlich bekannter wäre."


12

THE HOTEL NEW HAMPSHIRE (Tony Richardson: UK/Kanada/USA 1984)

Eine absolute Wundertüte von einem Film entfaltete sich, nachdem ich ihn ohne jegliche Vorkenntnis in einer Fernseh-Mediathek aufgrund des bekannten Regisseurs startete: Neuengland-Nostalgie, Hotelfilm über zwei Kontinente und zwei Welten, Teenager-Lust, lustvolle Geschwisterliebe im schmerzhaften Verzicht, zärtliche Geschwisterliebe, aus dem Nichts hineinstürzende Highschool-Gang-Rapes, asketische Wienerische Terroristen, die Entstehung eines Romans, eine bittersüße Rachegeschichte, das Auslöschen der lustvollen Geschwisterliebe in einem ausgedehnten Sex-Marathon, Lachen, Weinen, Verwirrung, Trauer.



13

L'ETRUSCO UCCIDE ANCORA (Armando Crispino: Italien/BRD/Jugoslawien 1972)

Durch den deutschen Titel ("Das Geheimnis des gelben Grabes") habe ich – warum auch immer einen Abenteuerfilm erwartet, allenfalls einen Gothic-Horror-Film... Und wurde auf falschem Fuß angenehm von einem meisterlichen Giallo überrascht, der den Vergleich mit den großen Argentos, Bavas, Fulcis und Dallamanos nicht zu scheuen braucht. Vorzüglich fotografiert (Erico Menczer) und musikalisch begleitet (Riz Ortolani) glänzt der Film vor allem auch mit seinem unzuverlässigen Hobby-Ermittler-Protagonisten: ein schwer alkoholsüchtiger Archäologe, der betrunken zu erratischem Verhalten und heftigen Gewaltausbrüchen neigt, der die Liebe seines Lebens einmal fast ermordet hat, zu harten Filmrissen und großen Gedächtnislücken neigt – und potentiell vergessen hat, dass er selbst der Mörder sein könnte.



14

NOMADS (John McTiernan: USA 1986)

John McTiernans Debutfilm, inszeniert mit der Meisterschaft und Sicherheit als ob hier ein Altmeister mit 30 Jahren Erfahrung am Werk war: ein Anthropologe (Pierce Brosnan) verfolgt in Los Angeles eine Straßengang in dem Verdacht, dass sie vielleicht Dämonen in Menschengestalt sind. Ein übernatürlich angehauchter Thriller, der den Zuschauer in Unsicherheit stehen lässt mit seinen Andeutungen und seinen Perspektivbrüchen (wir erleben größtenteils den point of view einer Ärztin, die zwischendurch im Geist des Anthropologen steckt).



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ACH JODEL MIR NOCH EINEN: STOSSTRUPP VENUS BLÄST ZUM ANGRIFF (Georg Tressler: BRD/Österreich 1974)

Amazonen from outer space landen in Bayern, um dort zwecks Reproduktion Samen zu tanken und merken rasch, dass die natürliche Extraktion in freier Wildbahn mehr Spaß macht als die Extraktion unter kontrollierten Laborbedingungen. Beim geneigten Zuschauer extrahiert diese herrliche Sexklamotte unkontrolliertes Lachen mit Tendenz zu lautem Wiehern und spontanen Freudensprüngen.


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NEW YORK CITY INFERNO (Jacques Scandelari: Frankreich 1978)

Jacques Scandelari, ehemaliger Werbefilmer für Haute-Couture-Label, folgt einem Franzosen, der in New York seinen verschwundenen Liebhaber sucht und sich durch das Gay New York forscht. Der rohe dokumentarische Look hat etwas von cinema verité mit stark experimentellem Einschlag, die Tonspur wird mit Originalsongs der Village People bereichert. NEW YORK CITY INFERNO ist auch ein großartiger New-York-Film, der eine dreckige, hektische, ungeordnete, wilde und gefährliche Stadt zeigt, mit semi-dokumentarischen Impressionen des Meatpacking District und von Greenwich Village: auch als Nicht-Einheimischer zeigt sich Scandelari als geistiger Verwandter Scorseses, Lumets und Friedkins (letzterer hat den Film in Vorbereitung auf CRUISING garantiert gesehen).



17

DER FAHNDER: "Bis ans Ende der Nacht" (Dominik Graf: Deutschland 1992)

Ich zitiere mal aus der Rezension, die ich zur DVD-Box der 4. Staffel von DER FAHNDER geschrieben habe: "Schmieriger Puff, explodierende Hosen, Machtmänner, die sich genüsslich auspeitschen und unwissentlich dabei beobachten lassen, wilde Stroboskop-Parties, ein permanenter 16mm-Filmkorn-Schleier aus dichtem Nebel und Rauch, eine Polizeistation am Rande des Nervenzusammenbruchs – alles explodiert dann in einer überhitzten Geiselnahme im Präsidium, täuschende Ruhe kehrt ein, während die Nerven in einem Dreipersonenkammerspiel zerfetzt werden. Wenn man, nachdem alle Gewissheiten und ein Teil des Inventars niedergebrannt worden sind, mit schlotternden Knien, zitternden Händen und einer Angstschweißpfütze zu den Füßen wieder in das Morgengrauen entlassen wird, hat man ein unvergessliches Stück deutscher Fernsehgeschichte erlebt."



18

MARIA'S LOVERS (Andrei Konchalovsky: USA/Israel 1984)

Ein "Kollateral-Fang" meiner Beschäftigung mit Sam Firstenberg und Cannon. Die Geschichte um einen Weltkriegsveteranen (John Savage), der die Ehe mit seiner großen Jugendliebe (Nastassja Kinski) nicht vollziehen kann (bei Folterungen im japanischen Kriegsgefangenenlager dachte er, um die Qualen durchzustehen, an sie; jetzt erinnert er sich an die Folterungen, wenn er mit seiner Frau im Bett liegt), war Konchalovskys erster US-amerikanischer Spielfilm und erste Cannon-Produktion. Der Film scheint im Schatten seines berühmteren RUNAWAY TRAIN zu stehen, zu Unrecht, denn MARIA'S LOVERS ist fantastisch fotografiert und gespielt (zu sehen sind auch ein gealterter Robert Mitchum, ein frecher Keith Carradine und ein junger John Goodman), humanistisch, mit Feingespür für große Tragik und kleine Heiterkeiten, für flüchtige Erregung und andauernde Entfremdung. Toll!



19

BREAKIN' (Joel Silberg: USA 1984)

Noch ein "Kollateral-Fang" meiner Beschäftigung mit Sam Firstenberg und Cannon: Pflichtprogramm, wenn man Firstenbergs Sequel gesehen hat. Auch dieser Film ein Beweis für die Vielfalt von Cannon und für die hohe Qualität, die Golans und Globus' Produktionfirma erreichen konnte. Ein Augenschmaus von einem Film, dies- und jenseits der Musicalnummern. Ein großartiger Charakterfilm, bei dem man nicht anders kann, als permanent mit Kelly, Turbo und Ozone zu fiebern, zu lachen, zu tanzen, zu weinen. Ein kleiner Höhepunkt ist natürlich unter anderem der Besentanz Turbos.

Trauriger Nachtrag: Adolfo Quiñones alias Shabba Doo, der Ozone gespielt hat, ist am 30. Dezember 2020 verstorben.



20

"Ears, Eyes and Throats: Restored Classic and Lost Punk Films 1976-1981"

Hierbei handelt es sich nicht um einen Film, sondern um eine kuratierte Auswahl von Kurzfilmen:

• DEAF/PUNK (Richard Gaikowski: USA 1979)

• IN THE BEGINNING WAS THE END: THE TRUTH ABOUT DE-EVOLUTION (Chuck Statler: USA 1976) 

• THE RESIDENTS: THIRD REICH ‘N’ ROLL (Graeme Whifler: USA 1976)

• THE RESIDENTS: HELLO, SKINNY / ONE MINUTE MOVIES (Graeme Whifler: USA 1980)

• MX-80 SOUND: WHY ARE WE HERE? (Graeme Whifler: USA 1980) 

• RENALDO AND THE LOAF: SONGS FOR SWINGING LARVAE (Graeme Whifler: USA 1981) 

• IN THE RED (Liz Keim / Karen Merchant: USA 1978) 

• MOODY TEENAGER (Richard Gaikowski: USA 1980)

• DEBT BEGINS AT 20 (Stephanie Beroes: USA 1980)

Hintereinander gesehen eines der wahrscheinlich schönsten Kurzfilmprogramme, die man sich vorstellen kann. Konzise kuratiert und doch vielfältig: von einer Dokumentation über die Symbiose zwischen Punkrock und einem Gehörlosen-Club über surreale Musikclips bis hin zu einem Stück cinéma vérité à la punk, das von einem romantischen (gespielten?) Subplot aufgelockert wird. Zu sehen hier bei byNWR.


ZÉRO DE CONDUITE (Jean Vigo: Frankreich 1933)

Wieviel Truffaut für LES 400 COUPS hier abgekupfert hat! Und tatsächlich: der Film nimmt um 25 Jahre die "nouvelle vague" vorweg. Wahnsinn! Die Kissenschlacht... die Kissenschlacht!



AFRICA ADDIO (Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi: Italien 1966)

Eine der zwiespältigsten, schwierigsten, denkwürdigsten Filmerfahrungen des Jahres. Meine Erfahrungen mit Mondo-Filmen waren bislang sehr beschränkt (SVEZIA INFERNO E PARADISO von Luigi Scattini, eine interessante, wenn auch eher negative Erfahrung, und Sergio Martinos AMERICA COSÌ NUDA COSÌ VIOLENTA, auch interessant, aber eher negativ). AFRICA ADDIO hat viele Gemeinsamkeiten mit diesen Filmen, doch die Unterschiede sind meiner Meinung nach ausschlaggebend: Jacopettis und Prosperis Film ist zum einen wesentlich besser und schöner fotografiert, weitaus mehr über Bilder als über den Off-Kommentar erzählt, visuell schlichtweg faszinierender. Und er hat vor allem ein breiteres emotionales Spektrum. SVEZIA INFERNO E PARADISO und AMERICA COSÌ NUDA COSÌ VIOLENTA kennen nur Häme, Schadenfreude, Überheblichkeit und eine garstige Verbindung von Puritanismus und Bildzeitungs-Voyeurismus. AFRICA ADDIO nutzt das alles bisweilen auch, keine Frage, aber er kennt auch Gefühle wie Trauer: die vom Helikopter aufgenommenen Bilder ermordeter Araber während der Sansibar-Revolution sind natürlich auch problematisch (gelten allerdings als einzige visuelle Zeugnisse der Massaker), doch sie vermitteln vor allem Trauer und Fassungslosigkeit. Auch Introspektion ist in zahlreichen, nicht-erzählenden "Übergangsbildern" zu spüren. Überhaupt längere Einstellungen mit mehr Luft. Dann die Bilder vom Trampolin-Springen und Musizieren und Tanzen am südafrikanischen Strand: ungehemmte, ungetrübte Lebensfreude – ein fast surrealer Moment in einem Film, der hauptsächlich von Gewalt handelt. Und immer wieder in italienischen Filmen: diese völlig unfassbare Musik – hier der möglicherweise großartigste Disney-Score, den Disney nie genutzt hat, ein herzzerreissender Schmachtfetzen von Riz Ortolani.


THE PRODUCERS (Susan Stroman: USA 2005)

Auch wenn es mir leid tut: aber Stromans Remake gefällt mir so viel besser als Mel Brooks' Original. Es war allerdings trotzdem ein schwieriger Film für mich: schwierig, nicht 150 Mal vor Lachen, Freude, Jubilieren, Verwunderung, Fassungslosigkeit vom Stuhl zu fallen. Den Gnadenschuss hat mir fast Uma Thurman als Ulla gegeben: so sehr ich sie bislang ganz gerne mochte (bekannt hauptsächlich aus Tarantino-Zusammenhängen) – aber hier beweist sie sich in der Königsdisziplin der Komödie als wahrlich große Schauspielerin.


ADAM & YVES (Peter De Rome: USA 1974)

Zwei Männer, ein Amerikaner und ein Franzose, begegnen sich in Paris und beginnen eine anonyme Liebesaffäre, bei der sie sich ihre Namen nicht verraten, sich dafür aber ihre Erinnerungen und Fantasien teils philosophisch, teils poetisch, teils popkulturell, meistens auf jeden Fall erotisch erzählen. Jean Cocteau und Greta Garbo, Pariser Impressionen und New Yorker Nostalgie, griechische Mythologie und amerikanische Blaxploitation geben sich die Klinke in die Hand, jede weitere Episode begleitet von einem eigens komponierten Score von Kammermusik über großes Orchester bis zum ausgedehnten Blues-Jam (die Credits gehen an David Earnest*) – und dazwischen Flanieren durch Paris. Gesehen beim Hofbauer-Kongress im Januar, später noch mal bei der Hand-in-Hand-Retrospektive im September.

*Musik war sowieso ein zentraler Bestandteil der Hand-in-Hand-Filme: ein großer Teil Eigenkompositionen, die der Komponist in Zusammenarbeit mit dem Cutter entwickelte



LES VAMPIRES (Louis Feuillade: Frankreich 1915-16)

Ich erwähnte vorhin 1933 als Geburtsjahr der "nouvelle vague" mit ZÉRO DE CONDUITE. Vielleicht ist das immer noch zu spät gesetzt und 1915 passt doch besser. Als großer Rivette-Fan sehe ich die allumfassende Verschwörung in Paris, die labyrinthartige Parallel-Stadt in der Unterwelt, das Kartographieren der Stadt in Einheiten der Verschwörungsgeschichte: es weht sehr viel vom Geist von LES VAMPIRES in PARIS NOUS APPARTIENT, OUT 1, CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU und LE PONT DU NORD. Und natürlich ist da Godards, später Rivettes Stammschauspielerin Anne Jamet, die sich Juliet Berto nannte, um in OUT 1 und CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU tatsächlich in Irma Veps Fußstapfen zu treten (Irma Vep, die eine ihrer Figuren Juliette Berteaux nannte).

Und LES VAMPIRES ist natürlich auch eine absolute Gaudi (während Feuillades FANTÔMAS mich ziemlich gelangweilt hat und auf Dauer eher zur Pflichtsichtung wurde): die unerschöpfliche Fantasie in Sachen Genre-Schmankerln (vom vergifteten Handschuh über die Zylinderhut-Bombe bis zur elektrisch-lautlosen Kanone), die wunderschöne, verführerische und wandlungsfähige Musidora, der verspielte Marcel Lévesque als Sidekick Mazamette (der immer wieder die vierte Wand bricht und dem Publikum belustigt zuzwinkert). Die Cinemathèque Française hat den Serial tagweise veröffentlicht: die ersten fünf Episoden habe ich gleich am Stück verschlungen. Danach musste ich brav warten – sonst hätte ich wohl tatsächlich bis drei Uhr morgens durchgeguckt.



LE MEURTRIER (Claude Autant-Lara: Frankreich/BRD/Italien 1963)

Wenn Hitchcock NORTH BY NORTHWEST in Südfrankreich gedreht hätte, wäre wohl so etwas wie LE MEURTRIER rausgekommen. Die Geschichte von überkreuzter Schuld und übertragener Schuld wird in wunderbar knackigen, kontrastreichen und tiefenscharfen Cinemascope-Bildern erzählt und von einem modernistisch-dissonanten Piano-Score Antoine Duhamels getragen. Maurice Ronet mag als Hauptdarsteller vielleicht blass wirken – oder er ist vielleicht einfach die Erdung für zwei besonders wilde Performances von Gert Fröbe (als schuldiger, rechtlich aber schon längst entlasteter Mörder mit klobigen Umgangsformen und noch klobigerer Brille) und Robert Hossein (als Polizist, der sich nach und nach als Sadist erweist, Fröbe auch mal die Brille vom Gesicht runterreisst, schallende Ohrfeigen verteilt oder sogar eine kleine Martial-Arts-Show vorführt).

Trauriger Nachtrag: Robert Hossein, der LE MEURTRIER mit seiner manischen Darstellung des sadistischen Polizisten bereichert hat, auch sonst ein toller Schauspieler und großartiger Regisseur, ist am 31. Dezember 2020 verstorben.



SILENT RAGE (Michael Miller: USA 1982)

Chuck Norris jagt einen Zombie-Serienkiller, verführt zwischendurch romantisch seine Ex-Freundin dazu, wieder seine Freundin zu sein und verteilt dazwischen ein paar Roundhouse-Kicks in einer Biker-Kneipe. Klingt erst mal blöd, ist aber tatsächlich ein großartiger, sehr präzise und effizient inszenierter Thriller. Der Text im Blog "Sauft Benzin, ihr Himmelhunde" (aus dem Dialog ist hier ein Dreiergespräch mit einem Spezialisten für Serienmörder in der Popkultur geworden) zu diesem Film ist mein allerliebster Text in diesem ohnehin tollen Projekt und eine große Lektüreempfehlung meinerseits.


DER FAN (Eckhart Schmidt: BRD 1982)

Ein Film wie ein verkitscht-süßer Schmonzetten-Traum, der sich nach und nach in einen finsteren, abgründigen Alptraum verwandelt. Aber gab es überhaupt eine klare Grenze zwischen den beiden?

Ganz zufällig sah ich DER FAN knapp eine Stunde nach Lars von Triers THE HOUSE THAT JACK BUILT: letzterer kein schlechter Film, aber ein bisschen schulbubmäßig in seinen bemühten Provokationen, wenn man ihn unmittelbar mit DER FAN vergleichen kann. Schmidts Film jedenfalls nagte wesentlich länger (pun partially intended) an mir als von Triers verblüffend schnell verpuffter Film.



NINJA III: THE DOMINATION (Sam Firstenberg: USA 1984)

Stellvertretend für Firstenbergs schönste Filme nehme ich also NINJA III: THE DOMINATION, der Film, der die nunmehr (unter anderem in Firstenbergs ebenfalls wunderschönem REVENGE OF THE NINJA) erprobte Formel des Ninja-Films mit so disparaten Elementen wie dem Exorzistenfilm, dem Poltergeistfilm und dem Disco-Tanzfilm bereichert. Die tolle Lucinda Dickey als vom Geist eines toten und rachesüchtigen Ninjas besessene phone repair woman und Aerobic-Trainerin gibt aber auch alles: tanzt ihre Schülerinnen und Schüler bei heißen Beats in Grund und Boden, verprügelt mal locker ein paar üble Typen in einem Hinterhof, keift, schreit und flucht in einer Exorzisten-Gedächtnisszene auf eine Weise, dass Linda Blair vor lauter Schreck nie wieder ein Bröckchen Erbsensuppe rauswürgen wird, mordet als dunkle femme fatale Polizisten im Hallenbad-Whirlpool, wenn sie sie nicht gerade mit Hilfe von strategisch günstig auf dem Dekolleté verteilten Tomatensaft verführt.


TRACK OF THE CAT (William A. Wellman: USA 1954)

Jonathan Rosenbaum deutete an (wenn man einen seiner Gedanken weiterspinnt) , dass TRACK OF THE CAT der beste Western sei, den Carl Theodor Dreyer nie drehte. Wellman hingegen wollte ausprobieren, wie man einen Schwarzweißfilm in Farbe drehen könnte. Herausgekommen ist auf jeden Fall ein sehr bemerkenswerter, exzentrischer Schneewestern über eine gestörte Familie am Rande des kollektiven Nervenzusammenbruchs. Dazu noch ein großartiger Robert Mitchum als de-facto-Schurke. Und diese vergebliche Jagd nach der wilden Bergkatze...



THE GUNFIGHTER (Henry King: USA 1950)

Weniger augenscheinlich exzentrisch und "arty" als TRACK OF THE CAT, aber dennoch in Rosenbaums Liste "A Dozen Eccentric Westerns". Die Geschichte eines ehemaligen Revolverhelden, der von seinem eigenen Ruf verfolgt und für ihn sogar wortwörtlich gejagt wird, erzählt als brodelndes Kammerspiel im Inneren eines Saloons. Ohne Schnickschnack und große Effekte, dafür mit einem umso direkteren emotionalen Einschlag.



MATKA JOANNA OD ANIOŁÓW (Jerzy Kawalerowicz: Polen 1961)

Nunsploitation made in post-stalinist Poland! Mehr zu diesem oberflächlich ruhigen, aber unterschwellig unglaublich wilden Film hat Manfred hier schon geschrieben.



LA VISITA (Antonio Pietrangeli: Italien/Frankreich 1963)

Heutzutage würde man sagen: Tinder date gone terribly wrong. Eine Bäuerin in der tiefen Provinz (Sandra Milo) und ein Buchhändler aus Rom (François Périer) lernen sich über eine Kontaktanzeige kennen. Er besucht sie zum Kennenlernen – und rasch kommt bei viel Gelächter für den Zuschauer heraus, dass sie nicht ein rückständiges Landei ist und er keineswegs der kultivierte Städter, als der er sich sieht. Als Extra-Schmankerl gibt es Mario Adorf als "Dorftrottel" (der intuitiv sehr schnell begreift, dass der Bewerber nichts für seine liebste Schutzpatronin ist).


ITALIA A MANO ARMATA (Marino Girolami: Italien 1976)

Der poliziesco all'italiana in "Reinform" ist das italienische Subgenre, für das ich mich bislang am wenigsten begeistern kann (mehr als ein "war ganz okay" bleibt oft nicht hängen). ITALIA A MANO ARMATA hat mir hingegen die Schädeldecke fast weggesprengt: fängt bei 180 an und legt dann noch mal eine Schippe drauf, wenn Maurizio Merlis Schnurrbart erst mal richtig zornig wird.



ICH DENKE OFT AN HAWAII.... (Elfi Mikesch: BRD 1977)

Teutonische Plattenbau-Tristesse, mediterran-pazifischer Camp und persönliche Fantasien.



MANIAC (William Lustig: USA 1980)

"Trübmörder", versprach sich ein Nürnberger Kollege mal bei einem Gespräch nach einem Film beim Giallo-Filmwochenende. Ja, das Leben als Triebmörder ist trüb in diesem dreckigen, heruntergekommenen, grauen, kalten, vernebelten New York.



EXODUS (Otto Preminger: USA 1960)

In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren musste ja gefühlt jeder amerikanische Regisseur einen "Monumentalschinken" drehen, der in einem historischen Palästina spielt – EXODUS ist gewissermaßen Premingers "Monumentalschinken", gewandelt zu einem fesselnden, zeitgenössischen Polit-Thriller. Viele Lieblingsmomente. Einer von ihnen: Ari Ben Canaan, getarnt als britischer Offizier, bittet einen virulent antisemitischen echten britischen Offizier, der sich gerade gerühmt hat, Juden von weitem zu erkennen, nach einem Fremdkörper in seinem Auge nachzuschauen.



SOLDIER BLUE (Ralph Nelson: USA 1970)

Mit seinem Ruf, einer der brutalsten US-Westerns aller Zeiten zu sein, kann einen SOLDIER BLUE dann doch überraschen. Nach dem zugegeben sehr heftigen Prolog entwickelt sich der Film für gut zwei Drittel seiner Laufzeit in einen Roadmovie mit sehr starkem, kaum verschleierten Screwballkomödien-Einschlag: eine zarte Romanze zwischen einem naiven Soldaten und einer toughen, völlig illusionsbefreiten Hawksian Woman. Then tragedy strikes...


NACH DIRNDL ODER LEDERHOS GEHT'S JETZT AUF MÜNCHNER MADEL LOS (Rolf Olsen: BRD/Schweiz 1969)

Die Tochter eines Sittendezernenten bessert ihr Studiengeld in einem Lokal auf, das Papa schließen will – während der Lokalbesitzer sich als "Kosta Kokaleikas" beim Sittendezernenten als alter Schulfreund vorstellt, sanften (Erpresser)druck ausübt und seiner Frau den Kopf verdreht. Wer weiß, wie hart Rolf Olsen die Daumenschrauben filmischer Eskalation anziehen kann, ist für diese "einfältige Verwechslungskomik" (Filmdienst) vorgewarnt, wenn auch kaum vorbereitet. Eine große Komödie (in Deutschland bisher leider nur sehr klein ausgewertet).


"Fata Marta" (Antonio Pietrangeli), in: LE FATE (Luciano Salce, Mario Monicelli, Mauro Bolognini, Antonio Pietrangeli: Italien/Frankreich 1966)

Vier erotische Episoden von vier Regisseuren. In "Fata Sabina" von Salce verdreht eine Autostopperin den Autofahrern den Kopf (die Episode punktet mit einem unglaublich erotischen Moment, als einer der Autofahrer anhält, um mit seiner Verlobten zu telefonieren, ihr zärtliche Worte zuhaucht, während die Fee Sabina sich ihm immer mehr annähert). Monicellis "Fata Armenia" um eine bettelarme Betrügerin, die einen Kinderarzt um den Finger wickelt, war für mich die schwächste, zumal grobklotzigste Episode. Bologninis "Fata Elena" suggeriert fast so etwas wie eine Zeitschleifengeschichte, wenn ein Mann sich mit seiner gelangweilten Nachbarin vergnügt, nur um dann seine eigene Ehefrau zuhause gelangweilt vorzufinden – mit dem Nachbarsgatten unschuldig daneben sitzend.

Antonio Pietrangelis "Fata Marta" (sein letzter vollendeter Film vor COME, QUANDO, PERCHÈ) war dann der unbestrittene Höhepunkt: auf einer eleganten Villenfeier der Schönen und Reichen stürzt sich die Ehefrau (Capucine) eines reichen Arztes im schwer betrunkenen Zustand geradezu auf den Butler Giovanni (Alberto Sordi), um sich im Bett dann umso devoter hinzugeben ("Mach mich zu deiner Sklavin!"). Am nächsten Tag tritt Giovanni seinen neuen Job an – ausgerechnet bei Marta als neuer Arbeitgeberin. Die zeigt ihm die kalte Schulter, tut so, als wäre nie etwas gewesen... bis sie dann wieder etwas trinkt. In knapp einer halben Stunde (die längte Episode von LE FATE) entspinnt Pietrangeli eine von Klassenbewusstsein getrübte und zugleich von sadomasochistischen Spitzen gewürzte "amour fou", eine Achterbahnfahrt, ein Wechselbad von eisiger Kälte und brodelnder Hitze.


L'URLO (Tinto Brass: Italien 1970)

Als "unrealistische und narrativ konfuse Farce" wird L'URLO im "Dizionario dei film" bezeichnet (die italienische Entsprechung des "Lexikon des internationalen Films"?). Tatsächlich der wohl wildeste Trip von einem Film, den ich dieses Jahr gesehen habe. Eine Art Intervention zu 1968 (das Jahr, in dem der Film gedreht wurde, bevor ihn die Zensur zwei Jahre lang auf Eis legte): Musical, Klamauk, Kannibalenfilm, Roadmovie, Sexfilm, anarchistisches Manifest, Knastfilm, Screwball-Komödie, Polit-Essayfilm, absurde Komödie, Kriegsfilm – alles da, teilweise gleichzeitig. Überwältigend.


NOA NOA (Ugo Liberatore: Italien 1974)

Wie der phonetisch ähnliche BORA BORA von Liberatore spielt auch NOA NOA auf einer Südseeinsel und erzählt die mögliche Nachgeschichte der Meuterer der "Bounty", nachdem sie zusammen mit einigen Tahitianern auf einer unbewohnten Insel eine Kommune gründen. Die ehemaligen Freiheitskämpfer entpuppen sich nach und nach als tyrannische Kolonialisten, als brutale Gewalttäter, als skrupellose Sklaventreiber, die eine Utopie in ein Blutbad verwandeln. (In diesem Licht könnte man NOA NOA auch als besonders brachialer Post-68er-Katerfilm sehen)

Die Restauration der vorgeführten italienischen 35mm-Kopie war ein Akt bedingungsloser Kinoliebe jenseits jeglicher Vernunft. Die Kopie hatte einen Ölschaden (sic!) über die komplette Länge, wurde in einer dreistelligen Stundenarbeitszeit gereinigt und wieder vorführbar gemacht (zusätzlich wurde Film dann noch eigenhändig untertitelt), wenngleich viel vom Schaden noch zu sehen war. Klebestellenmassaker und ein leichter Braunstich erhöhten den "grindhouse'igen" Charakter der Vorführung. Der Film sah daher tatsächlich auch "hässlich" aus, im Gegensatz zum farbenfrohen, sonnigen BORA BORA: durchgehend bewölkt, mit gedämpften Farben, viel tristes Grau. Ob der Film in einem besseren Zustand "schöner" wäre: schwer zu sagen. Die "Hässlichkeit" passte zu diesem unerfreulichen, harten und doch faszinierenden Film.



THE CASSANDRA CROSSING (George Pan Cosmatos: Italien/UK/BRD 1976)

Vielleicht lasse ich mich von solchen All-Star-Vehikeln zu leicht beeindrucken. Vielleicht ist meine Meinung, dass die Besetzung Burt Lancasters für jeden Film bereits die halbe Miete ist, zu dogmatisch. Aber es will mir einfach nicht gelingen zu verstehen, warum dieser toll inszenierte Film im kollektiven Filmgedächtnis so sehr als "baddie" verankert ist. Er geht problemlos mit einem Dutzend Figuren um, für die heutzutage wohl mindestens zweieinhalb Qualitätsserienstaffeln draufgehen müssten. Er inszeniert auf den Punkt seine verschiedenen Atmosphären zwischen Ensemblefilm, Katastrophenfilm, Melodrama, Quasi-Horrorfilm und Paranoia-Politthriller. Von A bis Z zum Nagelkauen. Ich verstehe diese Einschätzung einfach nicht.



MY DINNER WITH ANDRE (Louis Malle: USA 1981)

Der ultimative Gesprächsfilm. Ein Schmankerl für Ohren-Voyeure. Ein Traum für Leute wie mich, die bei Tischgesprächen manchmal gerne einfach nur konzentriert und gespannt zuhören.


POLIZEIRUF 110: WÖLFE (Christian Petzold: Deutschland 2016)

Ein melancholischer Krimi über Alkoholismus, Werwölfe, türkische Nazis, einsame Wölfe, unerwiderte Liebe.



DEAD END DRIVE-IN (Brian Trenchard-Smith: Australien 1986)

Eine Dystopie über das Abschieben von unerwünschten Elementen in ein Lager: ein umzäuntes, ansonsten aber regulär laufendes Autokino (in dem unter anderem Brian Trenchard-Smiths THE MAN FROM HONG KONG läuft). Soweit, so spaßig, und tatsächlich holt der Film einiges aus seiner Prämisse heraus. Im letzten Drittel kommt dann noch einiges an Würze dazu: einige der Gefangenen werden selbst zu kleinen Faschisten, als auch massenhaft Asiaten inhaftiert werden. Der simpel gestrickte Exploitationfilm bekommt plötzlich eine anfänglich ungeahnte politische Dimension.



ONE-EYED JACKS (Marlon Brando: USA 1961)

Noch ein exzentrischer Western. Voller brodelnder Leidenschaft. Mit einem perversen Racheplan, der keinen schnöden Mord, sondern die Verführung der Stieftochter vorsieht. Mit einer sadomasochistischen Folterung als metaphorische (wenn auch reversible) Kastration. Dazwischen die Blicke voller lustvoller Hassliebe zwischen Marlon Brando und Karl Malden.



SCARFACE (Howard Hawks: USA 1932)

Mir fällt nichts ein, was moderne Gangsterfilme (Post-)New-Hollywoods haben, was nicht schon in SCARFACE enthalten ist. Die dynamische Inszenierung, das hohe Tempo, der gerade noch in der Pre-Code-Ära mögliche Inzest-Subplot, die für 1932 verblüffende Härte, die Aufstieg-und-Fall-Epik (in kompakten anderthalb Stunden erzählt). Der Film hat viele tolle Momente (besonders die Blicke der Frauen – Hawksian women at their toughest), aber fast vom Stuhl gefallen bin ich, als das Vergehen der Zeit mit einem Abrisskalender visualisiert wurde – dessen Blätter von einer Maschinenpistole weggeschossen werden!


RITA, SUE AND BOB TOO (Alan Clarke: UK 1987)

Alan Clarke kann nicht nur Schläge in die Fresse, sondern in dieser Geschichte um einer Dreieck-Beziehung zwischen zwei Schülerinnen und einem verheirateten Mann auch lustig und sexy (gleichwohl die Darstellung des trist-grauen Alltags in Thatchers England kaum schmeichelhafter ist als in MADE IN BRITAIN oder THE FIRM).



... AND THE PURSUIT OF HAPPINESS (Louis Malle: USA 1986)

Der Blick eines Außenseiters auf die USA als multikulturelles Land – eines Außenseiters, der tatsächlich seinen Blick und sein Ohr zu vergeben hat: ... AND THE PURSUIT OF HAPPINESS erzählt nicht über Einwanderer, sondern spricht mit ihnen und lässt sie vor allem erzählen. Und lässt seinen Blick ruhen. Durch diese Erzählweise wird die Aneinanderreihung von Trivialitäten, von Alltagsnormalitäten fast zu einer Art Utopie.

In Deutschland nur als "Bonus" bei MY DINNER WITH ANDRE erschienen. Schade, der Film könnte durchaus eine eigenständige Veröffentlichung vertragen (Criterion ordnet ihn zumindest in einer Louis-Malle-Dokumentarfilm-Box ein).


GOOD HOT STUFF (Jack Deveau: USA 1975)

Ein augenzwinkerndes und sehr vergnügliches Selbstportrait der Produktionsfirma Hand in Hand, mit Darsteller und Production Coordinator Mark Woodward, der als eine Art Gastgeber durch verschiedene Aspekte der Produktion von Schwulenpornos führt, den Zuschauer mit den Mitgliedern der "Hand-in-Hand-Familie" bekannt macht und Filmausschnitte präsentiert.

Auch natürlich eine Art abendfüllender Werbefilm für die Firma, die sich damit als handwerklich kompetent und künstlerisch ambitioniert präsentierte. Als HISTOIRE D'HOMME war GOOD HOT STUFF der erste Schwulenporno, der einen regulären Kinostart in Frankreich hatte: der Film wurde in Frankreich sehr gut aufgenommen, Jack Deveau nicht nur als Schwulenpornograf, sondern als ernsthafter Filmemacher besprochen.

Und auch interessant: GOOD HOT STUFF war zugleich ein Abschreibungsprojekt für einen während der Produktion abgebrochenen Film (BAGDAD von James Bidgood, dem Regisseur von PINK NARCISSUS, der sich als extrem kreativ, aber auch logistisch sehr unzuverlässig erwies). Die fertig gedrehten Szenen des unvollendeten BAGDAD wurden mit einem Score versehen und innerhalb von GOOD HOT STUFF komplett gezeigt. Alleine für diese Orgienszenen in einem psychedelisch-barocken orientalischen Palast lohnt sich der Film!


BLACK CHRISTMAS (Bob Clark: Kanada 1974)

Ein wohl etwas zu offensichtlicher Midnight Movie für den 23. Dezember... Toll ist er aber auf jeden Fall. Besonders erwähnenswert sind schönen Nebencharaktere wie Mrs. MacHenry, die in wirklich jedem Winkel des Hauses ein Fläschchen zum Nippen versteckt hat, und Mr. Harrison, der statt einer Wirbelsäule offenbar einen Stock aus 100 % Puritanismus im Allerwertesten stecken hat – und mit Augen aus fast 100 % Melancholie blickt.




Die besten, nicht-aktuellen Erstsichtungen: lobende Erwähnungen


THE BROKEN BUTTERFLY (Maurice Tourneur: USA 1919)

SHIRAZ (Franz Osten: UK/Deutschland 1928)

OLIVIA (Jacqueline Audry: Frankreich 1951)

RUBY GENTRY (King Vidor: USA 1952)

GIDEON'S DAY (John Ford: UK/USA 1958)

LE TROU (Jacques Becker: Frankreich/Italien 1960)

THE WRONG BOX (Bryan Forbes: UK 1966)

OVOCE STROMŮ RAJSKÝCH JÍME (Věra Chytilová: ČSSR/Belgien 1970)

DOROTHEAS RACHE (Peter Fleischmann: BRD/Frankreich 1974)

LES GUICHETS DU LOUVRE (Michel Mitrani: Frankreich 1974)

LONG WEEKEND (Colin Eggleston: Australien 1978)

OVER THE BROOKLYN BRIDGE (Menahem Golan: USA 1984)

RIVERBEND (Sam Firstenberg: USA 1989)

SPANGLISH (James L. Brooks: USA 2004)

DOG EAT DOG (Paul Schrader: USA 2016)


So... 2020 vorbei!



Ich wünsche all unseren Leserinnen und Leser ein schönes und gesundes Jahr 2021. Möget ihr mit vielen interessanten Filmen gesegnet werden!