Titanic
(Titanic, Deutschland 1943)
Regie: Herbert Selpin
Darsteller: Sybille Schmitz, Hans Nielsen, Kirsten Heiberg, Ernst Fritz Fürbringer, Karl Schönböck, Charlotte Thiele, Otto Wernicke, Franz Schafheitlin, Sepp Rist, Claude Farell u.a.
In a solitude of the sea
Deep from human vanity
And the pride of Life that planned her, stilly couches she.
(Thomas Hardy)
Geschichtliche Ereignisse werden mit Bedeutung gefüllt. Das wusste auch Goebbels, der "seine" Erkenntnis - dem Künstler spezielle Fähigkeiten zugestehend - in pathetische Worte fasste: “Man wird ... von einem geschichtlichen Darsteller nicht verlangen können, dass er der Geschichte gegenübertritt wie der Historiker. Der Künstler ... hat das Recht, ich möchte sagen, intuitiv in geschichtliche Vorgänge einzugreifen und sie aufgrund einer intuitiven Einsicht zu gestalten. Und es hat sich dann immer erwiesen, dass grosse Künstler geschichtliche Vorgänge in einem höheren Sinne wahrheitsgetreu gesehen und dargestellt haben, als die Historiker.” --- Dass die zitierten Sätze vor allem die der Naziideologie dienlichen Verdrehungen der vom Filmfanatiker angeordneten Historienschinken rechtfertigen sollten, versteht sich von selber.
Der Propagandaminister hatte lange gezögert, filmisch mit schwerem Geschütz gegen die Briten aufzufahren, galten sie doch eigentlich als Arier und somit als unantastbar. Der Weltkrieg machte jedoch eine Dämonisierung Englands auch im Film unumgänglich. Sie setzte 1940 mit “Die Rothschilds” ein, einem propagandistischen Streifen, der antisemitisches Gedankengut mit antibritischem verband. Etwa zur gleichen Zeit wurde ein Film über den Untergang des Luxusliners RMS Titanic im Jahre 1912 angekündigt. Die Schiffskatastrophe stand, wie die ersten Zeilen aus dem Gedicht “The Convergence of the Twain” (1912) von Thomas Hardy zeigen, von Anfang an für die menschliche Hybris, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Überzeugung, man könne mit der modernen Technik alles bewältigen, sogar ein unsinkbares Schiff bauen - der nun die Natur oder Gott Paroli bot, indem der anmassenden Eitelkeit ihre Grenzen aufgezeigt wurden. Goebbels wollte jedoch den Untergang dank seiner “intuitiven Einsicht”, Lügen und erwiesene Verdrehungen in Kauf nehmend, mit einer völlig anderen Bedeutung füllen.
Mehrere Regisseure und Drehbuchautoren standen zur Diskussion. Und bevor sich die Tobis auf Herbert Selpin und seinen Autor Walter Zerlett-Olfenius, einen aufrechten Nazi, der für subtile, aber unmissverständliche Hetze gegen die Engländer sorgen sollte, einigen konnte, wurde das Publikum mit anderen Filmen gegen das plutokratische Denken der Briten und ihre Vergangenheit als Kolonialmacht aufgehetzt (“Der Fuchs von Glenarvon”, 1940, “Ohm Krüger”, 1941, “Anschlag auf Baku”, 1942). - Selpin, der eigentlich gar nicht antibritisch eingestellt war, hatte in den 30ern einige höchst erfolgreiche Streifen mit Hans Albers gedreht, und es schien nur folgerichtig, ihm statt Harlan und seiner "Reichswasswerleiche" eine der bis anhin kostspieligsten Produktionen des deutschen Films zu übertragen. Dass diese Produktion in mehrfacher Hinsicht ein Debakel werden sollte, ahnte Goebbels nicht, auch nicht, dass der fertige Film eher zur Allegorie des Untergangs "seines" Dritten Reichs als zum antibritischen Propagandastreifen werden sollte. Tatsächlich nahm "Titanic" den eigenen Untergang sogar derart offensichtlich vorweg, dass er zwar in von Deutschland besetzten Gebieten und der Schweiz, im Reich selber jedoch nicht gezeigt wurde (eine gekürzte Fassung mutete man dem deutschen Publikum erst 1950 zu).
“Titanic” kostete bekanntlich seinen Regisseur das Leben. Selpin hatte Zerlett-Olfenius als Regieassistenten nach Gotenhafen vorausgeschickt, wo dieser mit seinem Team Aussenaufnahmen auf der ‘Cap Arcona’, einem ehemaligen Luxusschiff, vorbereiten sollte. Als er nachkam, war kaum etwas geschehen, weil sich diverse Marineoffiziere der Komparsinnen angenommen hatten und jetzt auch bei Nacht stattfindende Aufnahmen mit ihren Blitzlichtern sabotierten. Selpin verkrachte sich darauf mit Zerlett-Olfenius und äusserte sich bei dieser Gelegenheit gegenüber der Wehrmacht und gewissen NSDAP-Grössen ziemlich unvorteilhaft. Zerlett-Olfenius kündigte und verpfiff ihn augenblicklich beim Chef der Reichskulturkammer Hinkel, worauf man Selpin aufforderte, seine Beleidigungen zurückzunehmen. Als er sich - wohl langsam seine Ohnmacht erkennend - weigerte, wurde er verhaftet. Am nächsten Morgen fand man ihn erhängt in seiner Zelle. Bis heute wird darüber diskutiert, ob es sich um einen fingierten Selbstmord handelte. Manche Selpin-Freunde stellten Fragen, hielten auch heimliche Versammlungen ab. Erst unmissverständliche Warnplakate in den Ateliers brachten sie zum Schweigen. Der Film wurde von Werner Klingler fertig gestellt. - Doch dies war nur die erste Katastrophe, die die Geschichte des Propagandastreifens begleiten sollte...
Selpins Film sollte sich vor allem auf Geiz und Gier der britischen Upper Class konzentrieren. Es ging also nicht um eine möglichst wahrheitsgetreue Rekonstruktion des Untergangs der Titanic auf ihrer Jungfernfahrt; auch Kitsch, wie man ihn in Jean Negulesco’s Version (1953) im Übermass finden würde, hatte nur am Rande Platz. Im Mittelpunkt standen vielmehr Sir Bruce Ismay, der Besitzer der White Star Line, und der unermesslich reiche John Jacob Astor IV, der flugs zum Engländer umfunktioniert wurde (er und seine Frau werden als Lord und Lady Astor eingeführt). Ihre Gier und ihre hinterhältigen Aktienspielchen sollten für den Tod von über 1500 Menschen verantwortlich gemacht werden.
Zu Beginn des subtilen Hetzstreifens informiert Ismay seine Aktionäre, dass die White Star Line wegen des Baus des Überdampfers vor dem Bankrott stehe. Dieser könne nur abgewendet werden, wenn es der Titanic gelänge, auf ihrer Jungfernfahrt in Rekordzeit den Atlantik zu überqueren und sich das berüchtigte “Blaue Band” zu holen. Und während der Reederei-Besitzer dem Kapitän des Schiffs für jede Stunde, die man früher in New York eintrifft, Geld verspricht, findet sich eine illustre Gesellschaft im Prunksaal des Dampfers ein. Zu dieser gehört Astor, von dem es heisst, er könnte die Titanic kaufen. In Wirklichkeit hat der kalte, machtgierige Mann (von Karl Schönböck hervorragend als “englischer” Gentleman verkörpert) noch mehr vor: Er will die ganze White Star Line, weshalb er die Aktien der Firma künstlich nach unten drückt und die anderen Aktionäre zum Verkauf drängt. Seine sich vernachlässigt fühlende Frau “tröstet” er mit den Worten: “Für mich mehr Macht, für dich mehr Schmuck.” - Ein weiterer Gast ist die geheimnisvolle Baltin Sigrid Olinsky, an die sich Ismay augenblicklich heranpirscht, weil auch sie über Reichtümer verfügen soll. Das Herz der Schönheit ist allerdings längst an den sie abweisenden 1. Offizier Petersen vergeben, einen Deutschen, den die Engländer nicht gern auf ihrem Schiff sehen, der jedoch - selbstverständlich! - als einziger vor den Gefahren einer zu schnellen Überfahrt warnt; dies in Worten, die so brav, pflichtbewusst und öde sind, dass ihm der heutige Zuschauer das Ersaufen am meisten wünscht.
Während die Aktionäre ihren geldgierigen Geschäften nachgehen, spielen sich auf dem Dampfer auch private Geschichten ab: Es geht um den geheimnisvollen blauen Diamanten, der Unglück verheisst, um einen Dieb, der an Bord ist - und natürlich um die Liebe, die gar keine Zeit findet, sich zu entfalten. Da gibt es den 1. Geiger Franz Gruber, der die blonde, für die Maniküre der arroganten Damen zuständige, Hedy kennen lernt (eine hoffnungsvolle deutsche Verbindung auf dem Schiff, mag sie auch unter dem schnippischen englischen Pack, das sie gar nicht zur Kenntnis nimmt, zu leiden haben), und es gibt Petersen, der die mittlerweile zur Armut verdammte Olinsky natürlich trotzdem lieben möchte, vor lauter Pflicht und Warnungseifer aber gar nicht die Zeit dafür findet. Und schon bald macht der Satz “eine Frau, die man lieben könnte” die Runde. Denn während im Heizraum geschaufelt und im Zwischendeck getanzt wird, naht der Eisberg; da findet sich zwischen Geldgier und Katastrophe nicht noch viel Zeit für Romantik à la “Grand Hotel” (1932).
Zeichnete sich der erste Teil des Films vor allem durch dröge, uninspirierte Dialoge aus, so zeigt Selpin im Katastrophenteil, was er drauf hat: Die Wassermassen füllen das Schiff mit eindrücklicher Wucht, Ismay nimmt die Meldung von der Kollision mit einem Blick entgegen, den man nicht vergisst, die Passagiere flüchten in wildem Durcheinander (nur ein von der Nationalität her nicht näher gekennzeichnetes Paar im Zwischendeck, das an die Figuren auf Grant Wood’s Gemälde “American Gothic” erinnert, führt vorbildlich vor, wie man sich in einer solchen Situation verhält) - und Bilder von Menschen im Ozean, die von den Rettungsbooten aufgenommen werden wollen, nehmen apokalyptische Züge an. - Der brave 1. Offizier erhält, damit der Kitsch wenigstens nicht ganz verloren geht, noch Gelegenheit, ein in einer Kabine zurückgelassenes Mädchen zu retten, und am Ende - hier vergibt Selpins "Titanic" die Gelegenheit, den Zuschauer zu Tränen zu rühren - sitzen alle braven Paare in den Rettungsbooten, um erschüttert zuzusehen,, wie der Rumpf des Schiffes im Meer versinkt. --- Auch Ismay hat sich einen Platz in einem Boot ergattert. Er wird am Schluss von Petersen vor Gericht heftig angeklagt, aber freigesprochen. Und dann leistet sich der Film seine einzige explizit propagandistische Botschaft: In grossen Lettern wird dem Zuschauer mitgeteilt, der Tod von über 1500 Menschen auf der Jungfernfahrt der Titanic bleibe “eine ewige Anklage gegen Englands Gewinnsucht”.
Die Darstellung der Katastrophe gelang Selpin tatsächlich derart beeindruckend, dass sogar der um Authentizität bemühte britische Film “A Night to Remember” (1958) einzelne Bilder übernahm. Das Ausmass dieser “eingebauten Bilder” dürfte jedoch ähnlich übertrieben worden sein wie die angeblichen Anleihen, die in James Cameron’s dreistündigem Untergang (1997) “entdeckt” wurden (Motive bieten sich nun einmal an). - Goebbels hingegen wird in den um ihr Leben rennenden Menschen auf dem Schiff sehr wohl die vor den Bomben der Alliierten Flüchtenden in deutschen Städten erkannt haben und von einem seltsamen Unbehagen erfüllt worden sein, einem Unbehagen, das ihn ahnen liess, wie wenig die Kinobesucher jetzt einen Film sehen wollten, in dem sie sich und ihren Untergang selber miterlebten. Einigen Quellen zufolge wurde der Mix aus Fakten, längst widerlegten Verdrehungen und Melodrama in Deutschland gar nicht freigegeben, weil man defätistische Wirkungen befürchtete. Es wird auch behauptet, das Kino, in dem die Uraufführung geplant war, sei samt Kopie des Films am Tag vor dem Ereignis bombardiert worden, was den Propagandaminister zu seiner Entscheidung veranlasst habe.
Die zweifellos tragischste und die ganze Nazi-Heuchelei widerlegende Katastrophe widerfuhr der ‘Cap Arcona’, auf der Teile des Films gedreht worden waren: Kurz vor Kriegsende wurde das Schiff, auf dem sich mehr als 4000 Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme, das Himmler räumen wollte, befanden, in der Nähe von Lübeck von alliierten Bombern getroffen und sank. Nazi-Truppen erschossen die wenigen Überlebenden. So forderte die ‘Cap Arcona’ wesentlich mehr Tote als die Titanic. - Der Denunziant Zerlett-Olfenius wurde 1947 zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt; die Hälfte seines Vermögens zog man ein.
Ein kleiner Epilog lässt sich nicht vermeiden: Sybille Schmitz, die als von zwei Männern umgarnte androgyne Sigrid Olinsky so etwas wie die weibliche Hauptrolle in “Titanic” gespielt hatte, fand nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kaum noch Beschäftigung und verfiel zunehmend den Drogen und dem Alkohol. 1955 tötete sich die Isolierte mit einer Überdosis Schlaftabletten. Die letzten Lebensjahre der Schmitz wurden zur Grundlage für Rainer Werner Fassbinders Film “Die Sehnsucht der Veronika Voss” (1982).
Das Paar im Zwischendeck hatte aber keine Mistgabel dabei, oder?
AntwortenLöschenDen Film habe ich irgendwann in meiner Kindheit gesehen, aber den von Negulesco mit Barbara Stanwyck und Clifton Webb auch, so dass die beiden in meiner Erinnerung verschwimmen. Mit der Goebbels'schen Bedeutungsfüllung konnte ich damals wohl noch nichts anfangen.
Hans Hinkel, der Geschäftsführer der Reichskulturkammer, an den Selpin geraten war, war auch speziell für die "Entjudung" des Filmwesens zuständig. Reichsfilmintendant war er dann auch noch, nachdem sein Vorgänger Fritz Hippler bei Goebbels in Ungnade fiel.
Eine Mistgabel hatte es nicht; aber es sah wirklich furchterregend aus. Falls es, den Ausgang auswählend, bei dem am wenigsten Zertrampelte überschritten werden mussten, das deutsche Wesen symbolisierte, an dem die Welt den Untergang überleben sollte - puh! ;)
AntwortenLöschenDie Negulesco-Fassung ist ewiger Bestandteil meiner Jugend und erinnert mich an ein überfülltes Wohnzimmer (das ganze Quartier wollte ihn sich anschauen). Barbara Stanwyck blickt mit feuchten Augen, Clifton Webb singt mit möglicherweise nicht eigenem Sohn "Nearer my Got to theee.". - Ich schmelze. Die ARD brachte übrigens auch einmal die Verfilmung aus dem Jahr 1958. Leider kann ich mich ausgerechnet an sie kaum noch erinnern.
Stimmt: Hinkel war ein Mann mit einer "grossen Karriere". Und er wurde für sie nie zur Verantwortung gezogen. - Ist dir übrigens etwas aufgefallen? Am Anfang der Aktion DÖS wurden reihenweise Flme aus der Zeit des Dritten Reichs genannt. Besprochen wurden - Irrtum vorbehalten! - bislang nur drei: vannorden von "the gaffer" schrieb über "Der verlorene Sohn" (1933/34), ich über eine Marika Rökk-Banalität, die zugleich der erste abendfüllende Farbfilm des Propagandaministers war - und jetzt hielt ich wenigstens noch "Titanic" für angebracht. Ob da doch eine plötzliche Scheu vor der Vergangenheitsbewältigung eingesetzt hat?
Beim Dritten Reich werde ich noch nachlegen, denn mein nächster Film ist ein deutscher, der 1935 fertig war (aber zunächst nicht gezeigt wurde).
AntwortenLöschen...mein nächster Film ist ein deutscher, der 1935 fertig war (aber zunächst nicht gezeigt wurde).
AntwortenLöschenWeil er sich angeblich der "Verzeichnung der Persönlichkeit des kleinen Angestelten" schuldig machte?
Übrigens: Clifton Webb sang natürlich "Nearer my God...". Offenbar flossen beim Schreiben meine Augen über...
Weil er sich angeblich der "Verzeichnung der Persönlichkeit des kleinen Angestelten" schuldig machte?
AntwortenLöschenNein, das hatte ganz andere Gründe.