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Samstag, 27. März 2010

Hatte es der Heilige Geist mal wieder nötig?

Agnes - Engel im Feuer
(Agnes of God, USA 1985)

Regie: Norman Jewison
Darsteller: Jane Fonda, Anne Bancroft, Meg Tilly, Anne Pitoniak, Winston Rekert, Gratien Gélinas, Guy Hoffman u.a.

1967 kam der Schriftsteller Ira Levin auf die glänzende Idee, auch den Satan mal Vater werden zu lassen - was Roman Polanski 1968 zu einem seiner besten, sich eng an den Roman “Rosemary’s Baby” anlehnenden, Filme inspirierte. In den 70ern sollte ein weiteres Bubi des Teufels  sogar das tun dürfen, wofür man ein solches Ding wohl am besten gebrauchen kann: mit dem von Richard Donner inszenierten - fragwürdigen - Machwerk “The Omen” (1976) die Welle der Splatter-Movies (wer muss wohl als nächstes auf welche abstosende Weise dran glauben?) einläuten. --- War es da nicht höchste Zeit, dem Heiligen Geist nach beinahe 2000 Jahren ebenfalls eine neue Chance zu geben? Und wer sollte als angehende Mutter in Frage kommen, wenn nicht ein frommes Nönnchen, eine unschuldige Novizin gar?

Diese Fragen scheint sich zumindest der Dramatiker John Pielmeier gestellt zu haben, als er sein Stück “Agnes of God” schrieb, das 1982 zu einem Riesenerfolg am Broadway wurde - und 1985 prompt  eine Verfilmung nach sich zog - eine Verfilmung, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist und trotz dreier Oscar-Nominierungen von der Kritik schon damals höchst unterschiedlich (oft zurückhaltend) aufgenommen wurde. Eigenartigerweise begeisterte die Arbeit von Norman Jewison, der 1987 mit “Moonstruck” ein würdiges Comeback feiern sollte, ein Grüppchen von Menschen, die sich für intellektuell hielten - und  dem, es sei beschämt eingestanden, auch ich angehörte...

In einem Kloster am Stadtrand von Montreal wird die junge, oft Zeichen von geradezu ekstatischer Verzückung zeigende Ordensschwester Agnes eines Nachts von den anderen Nonnen blutüberströmt in ihrer Zelle aufgefunden. Die Oberin entdeckt im Papierkorb ein erwürgtes Baby, dessen Mutter - und Mörderin? - Agnes wohl sein muss. Das verwirrte Kind kann sich jedoch an nichts erinnern, behauptet entschieden, noch Jungfrau zu sein -  und auch ihre Mitschwestern scheinen nie Anzeichen einer Schwangerschaft bemerkt zu haben.  Die Psychiaterin Dr. Martha Livingston, die längst aus der Kirche ausgetreten ist, soll die Hintergründe des Falls untersuchen, stösst als  Kettenraucherin im Kloster jedoch auf eine Atmosphäre eisiger Ablehnung und fühlt sich gleichzeitig von den Heiligenstatuen und anderen religiösen Symbolen bedroht. Dennoch entlockt sie nicht nur der in einer vollkommen anderen Welt lebenden Agnes,
sondern auch den Schwestern mit der Zeit so manche verdrängte Wahrheiten; selbst ihr Verhältnis zur Oberin Mutter Miriam Ruth, einer einst verheirateten und durchaus auf dem Boden der Realität stehenden Frau, scheint sich zu bessern. Martha selber muss sich hingegen plötzlich mit ihrem Verhältnis zur Religion - und dem Glauben an Wunder! - auseinandersetzen. - Als die Kirche auf einen raschen Abschluss der Untersuchungen drängt, will die Psychiaterin zum Mittel der Hypnose greifen. Nun aber besteht auch die Oberin darauf, dass Agnes, die immerhin manchmal Wundmale aufweist, von Gott auserwählt und zur Mutter seines Kindes erkoren worden sei. Haben wir es mit einer “unbefleckten Empfängnis” zu tun?

Um es gleich vorwegzunehmen: Auch wenn der Film gegen Ende  die Möglichkeit einräumt, dass Agnes in der von Tauben bevölkerten Scheune (der Heilige Geist lässt sich - siehe Bibel! - bekanntlich gern in Gestalt einer Taube blicken) von einem durchaus irdischen Wesen, bei dem es sich kaum um den ältlichen und dem Alkohol zugeneigten Beichtvater Father Martineau handeln wird, geschwängert worden sein könnte, löst sich das Rätsel - selbst für Dr.Livingston, deren Distanz zur faszinierenden Unschuld ausser Kontrolle geraten ist - nicht wirklich auf: die Schlussbilder zeigen uns die junge Nonne, die vom Glockenturm aus ihre göttliche Stimme in den winterlichen Klostergarten hinaus erklingen lässt.

Aus einem Film, der scheinbar als Mystery-Thriller angelegt war, ist also auch eine Auseinandersetzung mit Grundfragen des Glaubens geworden, mit religionsphilosophischen  Themen, die man anschneidet aber dann doch wieder fallenlässt; denn schlussendlich möchte man den Zuschauer  bei der Stange halten und ihn wieder in den Gerichtssaal zurückführen, wo die Wahrheit über jene Nacht in der Scheune aufgedeckt werden könnte. Hinzu kommen die unterschiedlichen Leben dreier Frauen, die allzu  künstlich  miteinander verknüpft werden, ohne je den eigentlichen Grund dieser Verknüpfung für den Fortgang der Handlung auch nur andeutungsweise zu erklären - was “Agnes of God” zu einer Enttäuschung macht: Der “dritte Akt” des Films, der die vergangenen 98 Minuten zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen müsste, fehlt, Probleme, die gelegentlich in den Mittelpunkt gestellt werden, rücken plötzlich wieder in den Hintergrund, weshalb sich der Zuschauer verwirrt und enttäuscht im Stich gelassen fühlt. Hinzu kommen die - wie ich erst heute weiss - schon damals völlig übertrieben  wirkenden “psychoanalytischen” Verfahren, mit denen Dr. Livingston die “Wahrheit” herausfinden will.

Was also war es, das uns seinerzeit für diesen Film, dessen hanebüchene Geschichte auch noch von Dialogen begleitet wird (Goethes “Tasso“ mit seinem Prinzip von “Behauptung - Gegenbehauptung“ lässt grüssen), die schon auf der Bühne theatralisch genug gewirkt haben dürften, derart einnahm? An Jane Fonda wird es, dies behaupte ich jetzt mal retrospektiv, kaum gelegen haben, hatte die einstige Ikone doch bereits  viel von ihrem  Nimbus als Vorzeige-Frau im Kampf gegen das Establishment und den Vietnamkrieg eingebüsst und gezeigt, dass sie - als zunehmend durchschnittlich begabte Schauspielerin mit Pferdegesicht - eigentlich mit Vorliebe in Filmen auftrat, mit denen man sich in Hollywood nicht wirklich unbeliebt machte (“The Electric Horseman”, 1979, “Nine to Five”, 1980, “On Golden Pound”, 1981). So spielt sie auch ihre Rolle als kettenrauchende (man musste für die fundamentalistische Nicht-Raucherin Fonda spezielle Zigaretten ohne Nikotin entwerfen!) Psychiaterin, die sich in der Grossstadt wohl fühlt und doch mehr und mehr in den Bann des Klosters gerät, wie man es von  einer amerikanischen Schauspielerin ohne besondere Fähigkeiten  eben erwarten darf. Ihre
vorhersehbaren Gesten fallen regelrecht ab gegenüber der grandiosen Leistung von Meg Tilly, der als Agnes etwas Überirdisches (ich denke etwa an die Szene, in der sie Dr. Livingston im Glockenturm vorführt, warum sie gern unter der Glocke liegt), aber auch eine angsteinflössende Verwirrtheit regelrecht vom Gesicht abzulesen sind - und sie wirken schon ganz und gar dilettantisch,wenn man sie mit der Schauspielkunst einer
Anne Bancroft vergleicht, die einst als Mrs. Robinson den jungen Dustin Hoffman hatte verführen dürfen (1967) und jetzt als von Zweifeln geplagte Vorsteherin eines Klosters, die unerschütterlich glauben möchte, nicht weniger glänzt (sowohl Tilly als auch Bancroft wurden für einen Oscar nominiert).

Neben den schauspielerischen Leistungen sind es einzelne Szenen, die hängen bleiben. Sie betreffen weniger den ziemlich einfallslosen Stadt-Kloster-Gegensatz als z.B. den Filmbeginn (man sieht die Schwester, die das Licht im Kloster löscht, dann die nächtlichen Gänge, die plötzlich von Schreien erfüllt werden, die erschreckten Nonnen, die die Türe zu Agnes’ Zelle zu öffnen versuchen, den nur angedeuteten Anblick dessen, was sich im Zimmer befindet, die Ankunft des Krankenautos) oder  die Ankunft von Dr. Livingston im Kloster, den Blick, den ihr die Nonne an der Pforte zuwirft, das krampfhafte Bemühen, die Zigarette am Boden auszudrücken. Ich denke natürlich auch an den Aufenthalt der so gegensätzlichen und sich einander doch annähernden Frauen, die um Agnes ringen, im Klostergarten, an Mutter Miriam Ruth, die seit Jahren an ihrer ersten Zigarette zieht und sich genussvoll einem Hustenanfall nach dem anderen hingibt. - Solche Szenen machen den Film trotz seiner nicht wegzudiskutierenden Schwächen noch heute zu einem “kleinen” Ereignis, dem man sich - vorgewarnt - mal wieder aussetzen sollte.  - Und es sind vor allem die Bilder, die exzellente Fotografie, die auch eine Oscar-Nominierung verdient hätte (immerhin verdanken wir sie dem  durch seine lange Zusammenarbeit mit Ingmar Bergman geschulten Sven Nykvist). Allein schon das am Anfang von der Kamera langsam umfahrene Kreuz, das hoch über der Stadt Montreal zu leuchten scheint, übte im Kino damals eine ungeheure Wirkung aus; hinzu kamen die wuchtigen Aufnahmen vom Inneren des Klosters, die den Zuschauer spüren liessen, in welch beinahe ungesunder mystizistischer Atmosphäre sich das Ganze abspielte. Und wer könnte je dieses  Bild vergessen, das die von Tauben umflogene unschuldige Nonne in der halbdunklen Scheune zeigt:


“Agnes of God” ist ein von der Handlung und Struktur her miserables “Mystik-Drama“, das uns die zweite “unbefleckte Empfängnis” seit 2000 Jahren als Möglichkeit unterzujubeln versucht. Er ist aber, wenn die Protagonisten mal das Maul halten und auf die schrecklichen Dialoge verzichten, ein atmosphärisches Erlebnis - vielleicht  zu Recht vergessen, aber Nostalgiker doch gelegentlich wieder zu einer Sichtung verlockend .