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Freitag, 13. Januar 2012

Zwangsneurotisches Oscarvehikel

Aviator
(The Aviator, USA/Deutschland 2004)

Regie: Martin Scorsese

Darsteller: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Kate Beckinsale, John C. Reilly, Alec Baldwin, Alan Alda, Ian Holm, Danny Huston, Gwen Stefani, Jude Law, Adam Scott, Matt Ross, Kelli Garner u.a.

“There’s too much Howard Hughes in Howard Hughes.” - Diese der Schauspielerin Katharine Hepburn in den Mund gelegte Bemerkung fasst vielleicht das zusammen, was die Amerikaner auf der Leinwand von ihrer Ikone zu sehen bekommen wollten: einen Mann, der vom Ehrgeiz getrieben das vergass, was einen Menschen ausmacht, der aber seine Energie in so unterschiedliche Bereiche investierte, dass er stattdessen zum Mythos avancierte und  in einer längst versunkenen Glitzerwelt den “American Dream” verkörperte - um letztlich, während ihm die Welt zu Füssen lag, von seinen Obsessionen eingeholt zu werden und innerlich zu scheitern. Die Bemerkung weist aber auch auf Probleme hin, mit denen sich ein Film, der sich mit der Figur beschäftigt, konfrontiert sieht: Wie soll er dieses “too much”  dem Zuschauer, der doch vor allem an den Erfolgen eines Amerikaners, der angeblich die Zukunft gestaltete, teilhaben will, vermitteln, ohne ihn einer banalen “Rise and Fall”-Geschichte auszusetzen? Und wie viel von diesem “too much”, das den historischen Howard Hughes ausmachte, darf er ihm tatsächlich zumuten? Soll er auch auf das Dunkle im Wesen des Tycoons zu sprechen kommen? Wobei ich mit dem Dunklen beileibe nicht dessen Zwangsneurose und ihre Auswirkungen meine...

Howard Hughes war für mich in den 70er Jahren vor allem der steinreiche Exzentriker, der seit langer Zeit versteckt in einer Hotel-Suite in Las Vegas lebte, die auf den ewig gleichen Bildern in Zeitschriften, die in Friseursalons herumlagen, von einem dicken Pfeil “attackiert“ wurde. Er hatte (warum eigentlich?) einst für Jane Russell einen speziellen Büstenhalter kreiert und den Film “Hell’s Angels” gedreht, liess aber so gut wie niemanden mehr an sich heran (seine Pionierleistungen im Bereich der Aviatik interessierte die Damen in Lockenwicklern wenig). Erst als der in einem Flugzeug verstorbene verwahrloste und nur Windeln tragende Milliardär (“mit Fingernägeln wie Krallen”) vom FBI identifiziert werden musste, begann ich mich ein wenig mehr mit ihm und seinem Leben zu beschäftigen. Und wieder einmal bestätigte sich mein boshaftes Vorurteil, dass steinreiche Männer keineswegs in erster Linie die grossen und vielleicht wegen ihrer “Leiden” zu bedauernden Figuren sind, als die sie gerne in die Geschichte eingingen:  Der seiner Zwangsneurose ausgesetzte Hughes war seit jeher auch ein hemmungsloser Rassist und Antisemit mit entsprechenden Verbindungen während des Zweiten Weltkriegs, leistete sich nicht nur Politiker in Massen, sondern unterhielt sogar  enge Verbindungen zur Mafia (der er später halb Las Vegas abkaufte). Nach dem Krieg entwickelte er einen geradezu krankhaften Wahn gegen die angeblich die USA infiltrierenden Kommunisten, weshalb er 1948 die Kontrolle über die RKO übernahm und sie von "Verdächtigen" säuberte. Über seine zweifelhafte Rolle im Watergate-Skandal wurde viel geschrieben, auch über seinen misslungenen Versuch, der CIA bei der Bergung. eines gesunkenen sowjetischen U-Boots zu helfen. Dass der böse Juan Trippe mit seiner angeblich übermächtigen Pan Am ihn und seine "kleine" TWA je an die Wand zu drücken vermochte, gehört hingeben ins Reich der Legende. - Man könnte Howard Hughes - und ich stimme hier einem hervorragenden Artikel von David Walsh in der  “World Socialist Web Site” zu - als “gangster-industrialist”, der Kontakte zu den schlimmsten Diktatoren der Welt nicht scheute, bezeichnen.

 Nun ist das Biopic in seiner amerikanischen Ausprägung seit jeher ein tendenziell reaktionäres Subgenre, dem es um die Verherrlichung seiner Hauptfigur und ihrer Leiden geht. Diese Verherrlichung nimmt es mit den geschichtlichen Abläufen (die Hepburn galt zum Beispiel noch nicht als “Kassengift”, als sie Hughes kennenlernte), auch mit der Wahrheit nicht sehr genau. Sie reduziert das Leben ihres “Sterns”, der sich von den (hier prominent besetzten) Nebenfiguren wie die Sonne von Planeten umkreisen lässt, auf seine Glanzzeit oder einen entscheidenden Wendepunkt - und bringt im besten Fall grosse Unterhaltung mit beschränkter Glaubwürdigkeit zustande. Einige der stilprägenden Biopics verdanken wir den 50er Jahren (“The Glenn Miller Story”, 1954, “Love Me Or Leave Me”, 1955, “I’ll Cry Tomorrow”, 1955 etc.). Was zu dieser Zeit verschwiegen werden musste, verschweigen interessanterweise auch die bekanntesten biographischen Schlaftabletten, die uns dieses Millenium bescherte (etwa “Ray”, 2004, “Walk the Line”, 2005): das, was dem Mythos schaden könnte.


Gerade Martin Scorsese schien freilich der Regisseur zu sein, der dieses ungeschriebene Gesetz der reinen Verherrlichung zu brechen in der Lage war, verkörperte er doch selber einen Mythos: Er galt als Mann, der die Fähigkeit besass, tief in die von ihm ins Auge gefassten Figuren und ihr Umfeld einzudringen und auf diese Weise zusätzlich die amerikanische Geschichte mit ihren Schattenseiten schonungslos aufzuarbeiten. Was das für das Biopic bedeutete, hatte er in seinem grandiosen Boxerfilm „Raging Bull“ (1980) gezeigt; und der leider gefloppte „New York, New York“ (1977) bewies, dass er seine Schwäche für den alten Hollywood-Film, der er bestimmt auch bei einer Verfilmung des Lebens von Howard Hughes würde nachgehen können, gezielt zur Beleuchtung dessen, was sich hinter all dem Glamour abspielte, einsetzen konnte. – Scorsese wartete aber auch seit den späten 70er Jahren vergeblich auf seinen Regie-Oscar, und es war vielleicht damit zu rechnen, dass er das eigentlich für Michael Mann konzipierte Spektakel als Gelegenheit betrachten würde, sich auf beeindruckende Weise – wenn auch vergeblich - an Hollywood anzubiedern. Wie schwierig das Resultat dieses Sich-Anbiederns zu beurteilen sein sollte, zeigte sich an den Reviews, die das Oscarvehikel  zum Teil brüsk ablehnten, die Schuld für sein Scheitern dem unterschätzten  Leonardo DiCaprio oder Cate Blanchett, die aus Katharine Hepburn eine Karikatur machte, in die Schuhe schoben – oder es manchmal mit bemühten Argumenten, oft aber oberflächlich doch zum Meisterwerk erhoben.


„The Aviator“ kommt tatsächlich als beinahe altmodisches Epos daher, will – und dies deuten verschiedene Kleinigkeiten wie das den Filmen der jeweiligen Epoche entsprechende Einfärben einzelner Szenen an – ein gigantischer alter Hollywood-Reigen mit überwältigenden Bildern sein. Er ist im Gegensatz zu anderen Biopics jener Jahre auch ein zumindest vorübergehend berauschendes Erlebnis: Das sich wiederholende Umfahren der mächtigen Flugzeuge wirkt, als möchte die Kamera sie – besässe sie denn Arme – umschlingen. Bachs berühmte Toccata und Fuge in d-Moll wird zur Untermalung solcher Aufnahmen bemüht. Ruhm, Ausschweifungen und Obsessionen, aber auch Hughes‘ Absturz mit der XF-11 in ein Wohngebiet von Beverly Hills werden in Bilder eingefangen, von denen man den Eindruck erhält, man würde sie für immer im Gedächtnis behalten. Für mich besonders beeindruckend: die Gestaltung des nächtlichen Telefonats mit dem „Mädchen für alles“ Noah Dietrich, nachdem Hughes seine Kleider verbrannt hatte (kleine Berichtigung: er tat dies in Wirklichkeit nicht, weil die Hepburn ihn verliess, sondern weil er von der Syphilis erfuhr, die er sich einfing und die auch ihren Anteil an seiner späteren Entwicklung gehabt haben dürfte). – Aber ist dieser Film denn mehr als eine Feier seiner selbst und des Filmemachens der alten Schule? Entfernt er sich nicht vor lauter Gier nach Glanz weit von seinem Thema und der eigentlichen Wahrheit? - Vor allem aber: Warum muss man anlässlich einer zweiten Sichtung zugeben, dass man sich kaum an den Bilderrausch zu erinnern vermag?

Scorsese und Drehbuchautor John Logan beschränken sich bekanntlich auf die Jahre 1927 – 1947, die Zeit, in der Howard Hughes seine grossen Erfolge als Filmregisseur, Produzent, Flugzeugbauer und Besitzer seiner eigenen Fluglinie feierte. Wir begegnen ihm als Millionenerben, der auf dem Set von „Hell’s Angels“, dem grössten privaten Flughafen der Welt, nicht nur energisch mit Mühe zu erfüllende Befehle erteilt, sondern von seinem Meteorologen sogar „private“ Wolken für sich beansprucht („Find me some clouds!“), treffen ihn im dekadenten „Cocoanut Groove“, den er passend zum Song „I’ll Build a Stairway to Paradise“ betritt, um sich von Louis B. Mayer zwei weitere Kameras für sein hoffnungslos verschuldetes Projekt auszuleihen. Mit seinem Flugzeug fliegt er das Set eines Katharine Hepburn-Films an, weil er die Schauspielerin, eine seiner vielen Eroberungen („Actrices are cheap!“), die hier neben Ava Gardner hervorgehoben wird, zum Golf einladen möchte. Später wird ihn der Zwang zum Ruhm trotz der Warnungen seines Managers Noah Dietrich vor waghalsigen bis illegalen Geschäften zum Kauf der TWA verlocken und einflussreiche Männer mit zweifelhaften Mädchen bestechen lassen, weil er den Auftrag zum Bau der Hercules bekommen möchte.

All dies müsste  Hughes eigentlich zum abstossenden Kapitalisten mit einem unerträglich grossen Ego und einem nicht minder grossen Frauenverschleiss machen. Zum „Glück“ litt der Milliardär jedoch noch unter einer Zwangsneurose, die er sich leisten konnte und dank der man ihn mit der Aura des Bemitleidenswerten zu umgeben vermochte. Scorsese führt diese Neurose allerdings auf geradezu billige Weise auf Mutti zurück, die ihren Sohn in einer Zeit der Typhus-Epidemien mit den Worten „You are not safe“ wusch, wozu er das Wort „Q-U-A-R-A-N-T-I-N-E“ (an dem er sich später  festhalten konnte) buchstabierte. Auch in seinem weiteren Leben werden es neben den von ihm entworfenen Flugzeugen, die er liebevoll streichelt, um sie auf herausragende Nieten abzutasten, angeblich Mutterfiguren sein, die Hughes eine Zeitlang zu leiten und ihm Halt zu geben vermögen: Katharine Hepburn mit ihrer Warnung „Howard, we’re … we’re not like everyone else“ (er trinkt während eines Flugs sogar aus der gleichen Milchflasche wie sie!) oder Ava Gardner, die ihn nach seinem Elendsjahr im Vorführungsraum mit vollgepissten Milchflaschen und einer keimfreien Zone für die Anhörung vor dem Senatsausschuss wegen seiner Geschäfte, die ihn zum Kriegsgewinnler zu stempeln drohen, mit den Worten „Nothing’s clean, Howard. But we do our best“ aufrichtet, als er sich nicht waschen möchte, weil der fürchtet, das Wasser könnte nicht rein genug sein. Die anderen Gestalten in seinem Umkreis dienen ihm oder stören im schlimmsten Fall (wie der Flegel Errol Flynn, der eine Erbse von seinem perfekt arrangierten Teller isst) sein Universum. – Abgesehen von den wirklich erschütternden Bildern des völlig dem Wahnsinn verfallenden Mannes im Vorführraum kostet Scorsese vor allem Hughes‘ Waschzwang aus; das wilde Reinigen der Hände mit der Kernseife nimmt, wie verschiedentlich erwähnt wurde, geradezu masturbatorische Züge an.


Doch die Amerikaner bewundern letztlich nicht das Leiden, sondern Erfolg und Macht – und Scorsese  erliegt einer Schwäche, die kennzeichnend für viele Biopics  ist: Er will „The Aviator“, der so verschiedene Stränge verfolgte, dass es ihm ohnehin an einer Richtung fehlt, unbedingt mit einem Triumph seines Helden beenden. Dieser Triumph soll der kurze Flug mit der als „Spruce Goose“ bezeichneten Holzkiste „Hercules“ werden, der seinerzeit ein Medienereignis war, aber eigentlich nur bewies, dass das während des Weltkriegs entwickelte Monster mit voller Last fluguntauglich gewesen wäre (man verstaute das Flugzeug später in einem Hangar; seine Aufbewahrung verschlang Millionen). – Der vermeintliche Höhepunkt verbietet den oft und zu Unrecht beschworenen Vergleich mit „Citizen Kane“ (1941). Hughes bleibt im Film der unangefochten grosse Amerikaner; sein späterer Gang in die Einsamkeit des endgültigen Wahnsinns wird am Schluss nur diskret angedeutet.

"The Aviator" ist ein Film, der im Betrachter selber ein zwangsneurotisches Verhalten auszulösen vermag. Denn es darf doch gar nicht sein, dass ein derart gigantisches Werk von Scorsese in Wirklichkeit so leer ist, viel über Howard Hughes erzählt, ohne wirklich in ihn einzudringen, ja seinen Helden stattdessen auf oberflächliche Weise preist. Man beginnt förmlich nach einer bedeutsameren Ebene hinter dem Biopic der alten Schule zu suchen. - Mich beschäftigte zum Beispiel eine Zeitlang die berühmte Szene in einer Flugzeughalle, in der sich Hughes Blaupausen ansieht (sie endet mit dem mehrfach wiederholten "Show me all the blueprints!"). Man sieht dort für einen Moment, wie rasch sich alles im Gehirn des Pioniers abzuspielen vermag, mit einem Tempo, das unserer Realität nicht mehr standhält und ihn letztlich überfordern, zum Kranken machen muss. Und ich begann mich zu fragen, ob die abrupt wechselnden Schauplätze, an denen er im Film auftritt, sein Wahrnehmen, die mangelnde Kontinuität seines Seins, wiedergeben wollen. Mit anderen Worten: Ist "The Aviator" in erster Linie gar kein Hughes-Biopic, sondern ein Film über einen Zwangsneurotiker, an dessen subjektivem Empfinden wir teilhaben. Dies würde erklären, warum wir nie auch nur einen Funken Liebe in der Liebesgeschichte zwischen ihm und Katharine Hepburn entdecken. Und dieses unfassbare Durcheinander in der "We're all socialists here"-Familie der Diva kann doch nur als weit von jeder Wahrscheinlichkeit entferntes Wahrnehmen gedeutet werden, ebenso die kleinsten Flecken, die Hughes auf den Anzügen anderer Leute stören oder der Versuch von Juan Trippe, den Rauch seiner Pfeife durch ein Türschloss zu blasen. Ich kann heute auch Georg Seßlen bis zu einem gewissen Grad verstehen, der den Film  wiederum überschwänglich als Darstellung der Geschichte der USA loben möchte, die sich als Spirale in die Barbarei erweist, in der Hughes Täter und Opfer ist. - All das mag zutreffen; aber es reicht nicht aus, kommt nicht deutlich genug zur Sprache, weshalb man es förmlich in den Film hineinlesen muss. Und spätestens wenn man abwechslungsweise einen leidenden  Howard Hughes (als Sympathieträger!) in seinem Vorführungsraum und einen vor Reportern gegen ihn hetzenden Senator Brewster sieht, erkennt man die eigentliche Intention von "The Aviator": Martin Scorsese wollte sich mit diesem Vehikel ohne Scorsese selber ein Denkmal setzen. Er, wegen seines Drangs nach Perfektion auch oft als Neurotiker betrachtet (er leidet ironischerweise unter Flugangst), scheute hier nicht vor den billigsten Effekten zurück, weil er endlich an das Ding rankommen wollte, das ihm "Departed" (2006) dann ja  bescheren sollte. Dass er mit seiner einseitigen und verlogenen Hughes-Huldigung langfristig seinen Ruf aufs Spiel setzen könnte, kümmerte ihn offenbar wenig.


In den letzten Jahren ist wenig über "The Aviator" geschrieben worden. Man erhält den Eindruck, die Leute, die den Film einst lobten, seien bemüht, ihre Worte zu verdrängen und sich eher dem vorher geschmähten Blick auf die Anfänge jenes New York, das der Regisseur in den 70ern geschildert hatte, "Gangs of New York" (2002), zuzuwenden. Andere wiederum sehen sich im Urteil von Jonathan Rosenbaum bestätigt: "There just isn't a lot to chew on once it's over." - Vermutlich werde ich mich in ein paar Jahren einer vierten Sichtung aussetzen und erneut nach dem suchen, was der Film nicht enthält. Das ist natürlich auch eine Wirkung, über deren Bedeutsamkeit sich streiten liesse...