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Samstag, 14. März 2015

In eigener Sache: Alles nur geklaut ...

Im August 2013 habe ich hier über den schönen neuseeländischen Film UTU berichtet. Vor ungefähr einem Monat erschien UTU nun unter dem Titel DIE LETZTE SCHLACHT DER MAORIS in Deutschland auf einer DVD der Edel Germany GmbH. Als Inhaltsangabe ist Folgendes auf der Rückseite des Covers abgedruckt:
Neuseeland 1870: In der britischen Kolonie gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Kolonialtruppen und europäischen Siedlern (von den Maori Pakeha genannt) einerseits und den Maori andererseits. Aber nicht wenige Maori dienen auch als Soldaten und Scouts in der britischen Armee, darunter Te Wheke. Am Anfang wird ein Maori-Dorf ohne Anlass von einer Einheit der Armee überfallen und alle Einwohner - Alte, Frauen, Kinder - niedergemetzelt. Kurz darauf erscheint ein weiterer Trupp, der nichts davon weiß, und Te Wheke erkundet mit zwei anderen Soldaten die Lage. Entsetzt betrachtet er das Resultat des Gemetzels, dem auch sein Onkel zum Opfer gefallen ist, und er wechselt auf der Stelle die Fronten...
Diese Sätze kamen mir gleich irgendwie bekannt vor - kein Wunder, ich hatte sie ja selbst geschrieben. Das ist exakt der Anfang meines Artikels. Ich hatte aber weder der Edel Germany GmbH noch sonst jemandem Verwertungsrechte dafür eingeräumt. Die Edel Germany GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der Edel AG, die nach Angaben auf ihrer Website über 800 Mitarbeiter beschäftigt. Es handelt sich also nicht um unbedarfte Amateure, die keine Ahnung vom Urheberrecht haben. Der fragliche Textteil von mir tauchte auch in Produktbeschreibungen der DVD auf Amazon, Ebay und in diversen anderen Online-Shops auf, wo man die DVD bestellen kann.

Irritiert bat ich Edel über ein Kontaktformular auf ihrer Website um eine Erklärung, erhielt jedoch keine Antwort. Das wurde mir nach einigen Tagen zu bunt, und ich beauftragte einen im Urheberrecht bewanderten Anwalt. Nach einer kostenlosen ersten Beratung verfasste der Anwalt eine Abmahnung gegen Edel. Diese enthielt die Forderung, Schadensersatz zu zahlen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Außerdem sollte die Gegenseite, wie in solchen Fällen üblich, das Honorar meines Anwalts übernehmen. Die Abmahnung enthielt auch ein Angebot zu einer gütlichen Einigung: Gegen Zahlung von 600 Euro an mich (sowie der Anwaltskosten) sollte der Schaden abgegolten und die weitere Nutzung meines Textes erlaubt sein. Zur Erfüllung der Forderungen wurde eine Frist von einer knappen Woche gesetzt. Edel hat das Einigungsangebot im Prinzip angenommen, aber noch ein bisschen gefeilscht (was in solchen Fällen wohl nicht unüblich ist) und den Betrag auf 450 Euro heruntergehandelt. Auch der Gegenstandswert wurde von 10.000 auf 7500 Euro reduziert, wodurch das Honorar meines Anwalts (das sich laut einschlägigem Gesetz (RVG) am Gegenstandswert orientiert) etwas geringer ausfiel. Diese Verhandlung wurde telefonisch zwischen den beiden Anwälten geführt. Ich nahm daran nicht teil, sondern gab nur nachträglich meine Zustimmung zum Ergebnis. Ich hatte aber auch schon im Vorfeld meinem Anwalt signalisiert, dass es mir nicht unbedingt darum geht, eine maximale Summe herauszuholen, und dass ich mit einem Betrag im mittleren dreistelligen Bereich durchaus zufrieden bin. Die Edel Germany GmbH zahlt nun also 450 Euro an mich und ca. 730 Euro an meinen Anwalt (und wenn der Anwalt von Edel nicht einer ihrer Hausjuristen ist, sondern, wonach es aussieht, eine externe Kanzlei beauftragt wurde, dürften der Firma dadurch noch weitere Kosten entstehen). Damit ist die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit erledigt.

Es wäre übrigens auch möglich gewesen, nicht nur gegen den Hersteller der DVD vorzugehen, sondern auch Amazon, Ebay-Verkäufer und alle anderen Shops, in denen mein Text auftaucht, abzumahnen und auf Unterlassung zu verpflichten. Davon habe ich Abstand genommen, weil die alle den Text ja in dem guten Glauben übernommen haben, dass sie es dürfen. Aber merke: Man kann auch unwissentlich eine Urheberrechtsverletzung begehen und dafür abgemahnt und zur Kasse gebeten werden. - Ein Aspekt hat bei der juristischen Betrachtung keine Rolle gespielt, ich möchte ihn aber nicht unerwähnt lassen. Auf dem Cover der DVD steht auch noch Folgendes:
"GROSSES KINO ÜBER UNSERE UREINWOHNER" NZ NEWS
"EIN GENIALER MAORI-WESTERN, TARANTINO HÄTTE SPASS DARAN" WHOKNOWSPRESENT.DE
Ich weiß nicht, ob es die NZ News wirklich gibt, und ob darin etwas über UTU geschrieben steht. Das zweite Zitat ist jedenfalls nicht authentisch. Zwar ist die URL falsch (hier hat copy&paste plötzlich nicht mehr funktioniert), es ist aber offensichtlich, dass wir damit gemeint sind. Der fragliche Satz steht aber überhaupt nicht in meinem Artikel, und auch sonst nirgends auf Whoknows Presents. Und ich hätte diesen Blödsinn auch nie geschrieben, denn wenn man ausgerechnet Tarantino als Referenz heranzieht, dann suggeriert man damit ja, dass UTU so etwas wie eine vergessene Trash-Perle ist - und das ist er bestimmt nicht. Hier wird mir also ein frei erfundenes Zitat mehr oder weniger in den Mund gelegt, auch wenn mein Name nicht genannt wird.

Zum Schluss noch ein paar Gedanken zur Höhe des Betrags von 450 Euro. Das ist viel und wenig zugleich, je nach Blickwinkel. Wenn man bedenkt, wieviel (oder eher wie wenig) viele Autoren und Journalisten nicht für fünf oder sechs Sätze, sondern für ganze Artikel bekommen (siehe beispielsweise hier), dann ist 450 Euro für einen Absatz mit gerade mal etwas über 100 Wörtern fast schon absurd hoch. Doch andererseits: Erstens hätte der Schuss für mich theoretisch auch nach hinten losgehen können. Edel war ja nicht verpflichtet, die Abmahnung zu akzeptieren. Wenn sie sich verweigert hätten, hätten wir vor Gericht ziehen und eine einstweilige Verfügung beantragen müssen. Und wenn wir vor Gericht gescheitert wären, wäre ich natürlich auf den Kosten sitzengeblieben, die zudem noch deutlich höher ausgefallen wären als bei einer bloßen Abmahnung (nämlich irgendwo im vierstelligen Bereich). Zwar war offensichtlich, dass der fragliche Text von mir stammt, aber es war nicht 100-prozentig sicher, ob er lang genug ist, um urheberrechtlich geschützt zu sein. Mein Anwalt war sich hier zwar ziemlich sicher, aber eben nicht absolut sicher, auch wenn es schon einschlägige Urteile in unserem Sinn gab. Als Ausgleich für dieses Kostenrisiko, das bei einem normalen Autorenhonorar natürlich nicht besteht, scheint mir 450 Euro durchaus angemessen zu sein. Und zweitens ist der Betrag ja das Ergebnis einer Einigung mit Edel. Ohne Einigung hätte sich unsere Schadensersatzforderung nach der Zahl der verkauften DVDs bemessen. Hier besteht ein Auskunftsanspruch, Edel hätte uns die Zahlen also übermitteln müssen (das hat sich durch die Einigung aber erübrigt, so dass ich nichts über die Verkaufszahlen weiß). Außerdem hätten wir dann Unterlassung verlangt, Edel hätte das Cover also durch ein anderes ersetzen müssen. Das alles wäre sicher deutlich teurer gewesen, Edel hat sich durch die Einigung also wahrscheinlich viel Geld gespart, ohne dass ich das jetzt beziffern könnte.

Trotzdem wurde es für Edel nicht ganz preiswert. Nun, die Firma wird dadurch nicht gleich in den Ruin getrieben. Billiger wäre es allerdings gewesen, wenn Edel auf meine erste Kontaktaufnahme reagiert und mir ein Angebot unterbreitet hätte. Dann hätte ich mich auch mit einem geringeren Betrag zufrieden gegeben, vor allem aber wären keine Anwaltskosten entstanden. Noch billiger wäre es geworden, wenn mich Edel von vornherein um Erlaubnis gefragt hätte - dann hätten sie diese paar Zeilen wohl für einen zweistelligen Betrag bekommen. Am allerbilligsten wäre es freilich gewesen, wenn sich ein Mitarbeiter von Edel selbst irgendeinen Text aus den Fingern gesaugt hätte - doch dazu hat es offenbar aus irgendwelchen Gründen nicht gereicht. So bin ich also nun um 450 Euro und eine interessante Erfahrung reicher. Und die Moral von der Geschicht: Fürcht' den Gang zum Anwalt nicht!     :-Þ

Falls jemand einen Kommentar dazu abgeben will, bitte ich sehr darum, sachlich zu bleiben!

Samstag, 17. August 2013

UTU - Maori auf dem Kriegspfad

UTU
Neuseeland 1983
Regie: Geoff Murphy
Darsteller: Anzac Wallace (Te Wheke), Bruno Lawrence (Williamson), Kelly Johnson (Lt. Scott), Tim Elliott (Col. Elliot), Wi Kuki Kaa (Wiremu), Tania Bristowe (Kura), Merata Mita (Matu), Faenza Reuben (Henare), Martyn Sanderson (Vikar)


Neuseeland 1870: In der britischen Kolonie gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Kolonialtruppen und europäischen Siedlern (von den Maori Pakeha genannt) einerseits und den Maori andererseits. Aber nicht wenige Maori dienen auch als Soldaten und Scouts in der britischen Armee, darunter Te Wheke. Am Anfang wird ein Maori-Dorf ohne Anlass von einer Einheit der Armee überfallen und alle Einwohner - Alte, Frauen, Kinder - niedergemetzelt. Kurz darauf erscheint ein weiterer Trupp, der nichts davon weiß, und Te Wheke erkundet mit zwei anderen Soldaten die Lage. Entsetzt betrachtet er das Resultat des Gemetzels, dem auch sein Onkel zum Opfer gefallen ist, und er wechselt auf der Stelle die Fronten: Er erschießt den einen Soldaten und schickt den anderen mit einer Botschaft zum kommandierenden Colonel Elliot: Diese Rechnung wird bald beglichen werden. Mit einer Schar von Gleichgesinnten beginnt er nun einen Guerillakrieg gegen die Truppen und die Siedler. Nach außen hin dokumentiert er das dadurch, dass er sich eine traditionelle polynesische Tätowierung verpassen lässt, sozusagen als neue Uniform als Ersatz für die britische. Te Whekes erstes Opfer ist ein Vikar, und zwar mitten im Gottesdienst. Er predigt gerade über eine Stelle im Matthäus-Evangelium, vor einem Publikum aus Maori: "Denn wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen!" Doch es handelt sich um keine pazifistische Botschaft, sondern um eine Polemik gegen die Aufständischen, die als Jünger des Teufels gebrandmarkt werden. Der Vikar kann die Predigt nicht vollenden: Te Wheke erscheint in der Kirche und enthauptet ihn mit einer Axt. Dann setzt er selbst die Predigt fort, als Plädoyer in eigener Sache.

Mr. und Mrs. Williamson
Ungefähr zur selben Zeit trifft der junge Lieutenant Scott bei der Truppe ein. Er bringt zwei nützliche Voraussetzungen mit: Im Gegensatz zum arroganten Engländer Col. Elliot ist er in Neuseeland geboren, und er konnte in Südafrika in den Kriegen zwischen Buren und Einheimischen erfolgreiche Guerilla-Taktiken studieren. Doch seine einheimische Geburt macht ihn zu "a colonial", wie ihn der versnobte Elliot mit deutlichem Naserümpfen wissen lässt, was ihm einen schweren Einstand verschafft. Nur widerwillig nimmt Elliot Scotts Vorschlag an, Te Wheke mit kleinen schnellen Einheiten zu bekämpfen, statt mit großem Aufgebot in geschlossener Formation, wie es das Regelbuch vorsieht. - Eines von Te Whekes nächsten Zielen ist die Farm von Jonathan Williamson und seiner Frau Emily, ein für damalige Verhältnisse luxuriöses Anwesen - es gibt im Haus sogar ein Klavier. Die meisten ihrer Nachbarn haben sich in den Schutz einer größeren Stadt oder Garnison geflüchtet, doch die Williamsons wollen ausharren, mit genug Vorräten und Munition und vernagelten Fenstern. Doch die Vorbereitungen waren nicht ausreichend, und Te Wheke und seine Leute dringen ins Haus ein und verwüsten es. Dabei stirbt Emily Williamson - zwar nicht durch Vorsatz, sondern weil sie von einer Brüstung im Obergeschoß zu Tode stürzt, aber das macht für ihren Mann keinen Unterschied. Williamson selbst wird angeschossen und für tot gehalten, aber er überlebt, und nun ist er es, der blutige Rache schwört. War er bisher schon ein vierschrötiger Typ, so wird er nun durch seine Rachebesessenheit zum halbverrückten Sonderling. Das macht ihn aber nicht weniger gefährlich, ganz im Gegenteil. Er spricht die Sprache der Maori, er kennt die Gegend fast ebenso gut wie sie, und er braucht auf nichts und niemand Rücksicht zu nehmen. Seine zweiläufige Schrotflinte rüstet er so um, dass er beide Läufe gleichzeitig laden und auch beide gleichzeitig abfeuern kann. Nach einiger Zeit reicht ihm das nicht mehr, und er montiert zwei solche Schießeisen nebeneinander, so dass er nun vier Läufe gleichzeitig laden und abfeuern kann. Der Rückstoß bläst ihn fast um, aber in einem Test zerlegt er damit eine Holzhütte in wenigen Sekunden zu Kleinholz.

Te Wheke vor und nach seinem Austritt aus der britischen Armee
Unterdessen hat Lt. Scott seine Operationen aufgenommen. In Streifzügen in die feuchten Bergwälder Neuseelands versucht er mit seiner kleinen Kavallerie-Einheit, Te Wheke zu stellen. Auf seine Spur setzt er sich mit Hilfe von Wiremu, einem Maori, der als Corporal in der Truppe dient, und den, wie man erst am Ende des Films erfährt, ein Geheimnis mit Te Wheke verbindet. In einer Kampfpause lernt Scott die junge Maori Kura kennen, und sie werden ein Liebespaar. Mit Wiremu als Scout kommt Scotts Einheit den Gegnern zwar immer wieder nahe, aber es kommt nur zu kleinen Scharmützeln ohne Entscheidung. Auch Williamson, der, wie er meint, die Maori riechen kann, taucht gelegentlich auf und greift ins Geschehen ein. Als aber für Scott schnelle Erfolge ausbleiben und er auch noch angeschossen wird, wird er von Col. Elliot zurückgepfiffen. Nun will der Colonel selbst in voller Truppenstärke ausrücken, um die Rebellen zur Strecke zu bringen. Als das Regiment in einer Siedlung auf freiem Feld Stellung bezieht, will Te Wheke den Colonel düpieren, indem er ihn hier angreift, wo es keiner erwartet. Dazu lässt er einen Teil seiner Männer als bewegliche Büsche getarnt vorrücken. Wer sich dadurch an "Macbeth" erinnert fühlt, liegt richtig - Te Wheke las daraus bei der Verwüstung von Williamsons Haus, offenbar genau an der richtigen Stelle. Später wird er aus dem Gedächtnis eine Zeile des Barden zitieren: "It is a tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing." Aber mit dem Überfall überhebt sich Te Wheke trotzdem - Williamson ist auch in der Siedlung, und durch seine Wachsamkeit wird der Plan vereitelt. Te Whekes Truppe wird stark dezimiert und muss fliehen. Er ist nun eindeutig in der Defensive und versucht, mit seinen Leuten, darunter etlichen Verwundeten, in ein schwer zugängliches Bergmassiv zu flüchten. Doch die Soldaten unter Wiremus Führung sind ihm dicht auf den Fersen, stellen ihn schließlich im dichten Bergwald und schießen seine Leute zusammen, wobei auch tragbare Mörser zum Einsatz kommen. Te Wheke wird gefangen genommen, und ein improvisiertes Kriegsgericht an Ort und Stelle unter Vorsitz von Lt. Scott verurteilt ihn zum Tod. Doch gleich mehrere der Anwesenden beanspruchen jetzt das Recht, aufgrund ihrer Rache das Urteil auszuführen und Te Wheke zu erschießen: Williamson, Kuras Tante Matu, und auch Scott selbst als kommandierender Offizier. Die Frage wird auf unerwartete Weise entschieden ...

Ein Vikar wird einen Kopf kürzer gemacht
Es ist nicht falsch oder despektierlich, wenn man UTU als Maori-Western bezeichnet, aber ganz bekommt man ihn damit nicht zu fassen. Viele Motive und Versatzstücke aus den Filmen über die Indianerkriege findet man hier wieder. Etwa den blasierten, aber wenig befähigten Colonel, der etwas an Colonel Thursday in FORT APACHE erinnert, und den von seiner Rache zerfressenen Williamson, der an Ethan Edwards aus THE SEARCHERS denken lässt. Und natürlich erinnert Te Wheke - mit seiner Tätowierung als "Kriegsbemalung" - an einen Indianerhäuptling, der erst durch schreiendes Unrecht auf den "Kriegspfad" gebracht wurde. Es gibt auch grandiose Landschaftsaufnahmen wie etwa bei Anthony Mann. Aber UTU ist deutlich komplexer als die meisten dieser Western. Weder die Weißen noch die Maori werden einseitig verteufelt oder glorifiziert, weder als Gruppe noch als Individuen. Am Ende haben fast alle Schuld auf sich geladen, und viele haben aus unterschiedlichen Gründen das Bedürfnis nach Rache, nach Utu. Dieses Maori-Wort bedeutet in erster Näherung "Rache", aber dahinter steht ein Konzept einer ausgeglichenen Bilanz (mehr darüber kann man z.B. hier lesen). Geoff Murphy sagte in einem Interview, das er seinem Bruder Roy Murphy gab: "UTU made extremely complex statements about the absurdity of trying to alter people's political and philosophical thinking by shooting bullets into their heads. At times that absurdity was expressed very coldly, like at the end, and at times it was expressed with pure absurdity so that the madman becomes devastating in the battlefield because that's the place of a madman." Nicht nur bei den Pakeha, sondern auch bei den Maori gibt es große individuelle Unterschiede in Ansichten und Begabung. So ist Te Wheke in der Lage, aus einem Drama von Shakespeare Nutzen für einen Angriff zu ziehen, und Wiremu spielt gut Schach, und er kann Französisch. Andere Maori wiederum können nicht lesen und wollen es auch nicht können, weil das nur Blendwerk der Weißen sei - was Wiremu mit Kopfschütteln zur Kenntnus nimmt.

Lieutenant Scott und Colonel Elliot
Die Charaktere und konkreten Ereignisse in UTU sind erfunden, aber frei nach damals tatsächlich stattgefundenen Kriegen und Massakern gestaltet. Vieles aus dieser wenig ruhmreichen kolonialen Vergangenheit, und auch aus dem nachkolonialen Neuseeland, war um 1980 noch nicht aufgearbeitet, und so kam es in den 80er Jahren zu manchen Spannungen zwischen Maori und weißen Neuseeländern. In dieser teilweise recht aufgeheizten Atmosphäre verstand Murphy seinen Film ausdrücklich dazu, auch dem Maori-Standpunkt Ausdruck zu verschaffen. Das war Neuland im neuseeländischen Film, denn zumindest in Filmen von weißen Regisseuren waren bis dahin für Maori nur stereotype Nebenrollen reserviert. Unterstützt wurde Murphy dabei von Neuseelands wichtigster Maori-Regisseurin Merata Mita, die bei UTU nicht nur die Rolle der Matu spielt, sondern auch Murphys Beraterin für Maori-Kultur sowie zuständig für das Casting war. Murphys Frau war Mita auch, aber ich weiß nicht, ob sie damals schon verheiratet waren. Ein Überraschungscoup und kleiner Geniestreich gelang Mita und Murphy bei der Besetzung von Te Wheke mit Anzac (oder kurz Zac) Wallace, der hier seine erste Rolle spielt. Er war in jungen Jahren auf die schiefe Bahn geraten, und erst, als er wegen bewaffneten Raubüberfalls im Gefängnis saß, begann er, sich Gedanken über eine andere Laufbahn zu machen. Er bildete sich fort, und nach seiner Entlassung wurde er Gewerkschaftsaktivist. Murphy sah ihn in einem Fernsehbericht, verpflichtete ihn, und Wallace entpuppte sich als Naturtalent, der Te Wheke mit enormer Intensität verkörpert. Auch Bruno Lawrence versieht seinen leicht durchgeknallten Williamson mit viel Intensität, aber auch mit grimmigem Humor. Lawrence, der auch ein guter Schlagzeuger war und die Musik professionell betrieb, war ein alter Freund von Murphy. Beide gehörten ab 1971 zur Mannschaft des Hippie-Musicals "Blerta", so etwas wie das neuseeländische "Hair" (der Name steht für Bruno Lawrence's Electric Revelation and Travelling Apparition). Lawrence spielte auch Hauptrollen in Murphys erstem großen Erfolg, dem schrägen Roadmovie GOODBYE PORK PIE, sowie im nächsten Film nach UTU, dem SciFi-Mystery-Thriller THE QUIET EARTH (in dem Anzac Wallace eine kleinere Rolle hat).

Kura und Wiremu
UTU wurde in Neuseeland ein enormer Publikumserfolg (auch beim speziellen Publikum der Maori), die einheimischen Kritiker mochten ihn dagegen nicht besonders. Anders im Ausland: UTU lief 1983 in Cannes, angeblich als erster neuseeländischer Film überhaupt, wenn auch außerhalb des Wettbewerbs. Und er lief 1984 erfolgreich in den USA. Hier hatte er nicht nur beim Publikum Erfolg (angestachelt durch eine aufwendige PR-Kampagne), sondern auch bei vielen Kritikern. Insbesondere Pauline Kael erging sich in ausführlichen Lobeshymnen. Dieser Erfolg (sowie der von THE QUIET EARTH) bedeutete für Murphy die Eintrittskarte nach Hollywood, wo ihm allerdings der ganz große Durchbruch versagt blieb. Öfters inszenierte er Sequels (YOUNG GUNS II, UNDER SIEGE 2 und FORTRESS 2), und gelegentlich war er auch Second Unit Director, wie bei DANTE'S PEAK (dessen Regisseur Roger Donaldson auch Neuseeländer ist) und bei DER HERR DER RINGE - und das ist ja auch nicht das Schlechteste. Daneben drehte er auch wieder eigene Filme in Neuseeland. Murphys Regieassistent bei UTU und THE QUIET EARTH war Lee Tamahori, der Sohn eines Maori und einer Britin. Nach seinem Durchbruch mit ONCE WERE WARRIORS (1994) zog es auch ihn nach Hollywood (MULHOLLAND FALLS, DIE ANOTHER DAY).

Williamson mit seinem monströsen Schießgerät
UTU liegt mittlerweile in drei verschiedenen Versionen vor. Die ursprüngliche neuseeländische Fassung von 1983 dauert zwei Stunden und erzählt die Geschichte chronologisch. Sie erschien vor gut zehn Jahren auf einer amerikanischen und einer australischen DVD (die vermutlich weitgehend identisch sind, weil bei beiden Kino Video im Spiel ist). Die Grundlage meiner Besprechung ist die australische DVD, die ein sehr matschiges Bild und keine Extras hat (was laut einschlägigen Berichten auch für die US-Ausgabe gilt). Beide Versionen sind out of print, aber von der austr. DVD könnte man bei dem einen oder anderen neuseeländischen Versender noch Restexemplare zu einem vernünftigen Preis bekommen. Ich würde aber erst mal abwarten (siehe unten). Als 1984 Don Blakeney, der Produzent von UTU, den Film auf dem US-Markt platzieren wollte, hatte er zunächst keinen Erfolg, aber man gab ihm zu verstehen, dass eine etwas andere Schnittfassung doch noch Chancen haben könnte, und Blakeney machte sich daran. Es war klar, dass das eine rein kommerziell begründete Entscheidung war. Blakeney, der Murphys Anliegen bezüglich der Darstellung der Maori teilte, war nicht sehr wohl dabei, und Murphy selbst war nicht gerade begeistert, gab aber seine Zustimmung, ohne sich selbst zu beteiligen. So kürzte Blakeney mit dem Cutter UTU um eine Viertelstunde, und er änderte die Schnittfolge. Die lineare zeitliche Struktur wurde aufgebrochen, indem kurze Ausschnitte aus dem Tribunal gegen Te Wheke vom Ende des Films herausgelöst und als Flashforward an verschiedenen Stellen weit früher in der Handlung eingefügt wurden. Blakeney hat seine Eindrücke von dieser Operation später so zusammengefasst: "We didn't even think of recutting it, but it kept coming up. It was not what Geoffrey wanted to hear, obviously, and it wasn't what I wanted to hear. As it happened, it took almost a year to do and terrific heartache and soul-searching. But with the reviews we've had and the general interest, the facts are, we did the right thing. There's no doubt now." Ich bin geneigt, ihm Recht zu geben. Nicht nur hatte diese Version, wie schon erwähnt, kommerziellen Erfolg in den USA und anderswo, sie war auch künstlerisch durchaus überzeugend. Ich sah diese Version vor langer Zeit im Fernsehen, und wenn mich die Erinnerung nicht trügt, dann wirkte UTU darin noch etwas komplexer (ohne irgendwie unverständlich zu sein) und zugleich noch etwas wuchtiger als die Fassung auf DVD. Auf jeden Fall hat mich diese Erstsichtung komplett vom Hocker gerissen, während viele Jahre später bei der DVD die Begeisterung immer noch groß, aber nicht ganz so durchschlagend war. Damit kein falscher Eindruck entsteht: UTU ist in jeder Version ein grandioser Film, der mich in seiner Wucht etwas an Sergio Leone erinnert.


Wie ich erst jetzt bei der Arbeit am Artikel erfahren habe, haben Murphy, sein damaliger Kameramann Graeme Cowley und sein Cutter Michael Horton seit drei Jahren an einer dritten Version gearbeitet. Auslöser war eine Ausstrahlung von UTU im neuseeländischen Maori-TV in miserabler Bildqualität, die Cowley in tiefe Betrübnis versetzte. So nahmen die drei mittlerweile älteren Herren das Originalnegativ (das bei Blakeneys Recut zerstückelt worden war) und weiteres Ausgangsmaterial, gingen in das mit allen technischen Errungenschaften ausgestattete Studio Park Road Post von Peter Jackson (mit dem Murphy ja bei HERR DER RINGE gearbeitet hatte) in Wellington und ließen das Negativ digital abtasten und mastern. Und zugleich wurde wieder neu geschnitten. Nach dem, was ich jetzt in kurzen Presseberichten gelesen habe, orientierte sich Murphy an seiner ursprünglichen chronologischen Fassung, aber um etwa zehn Minuten gekürzt, also nicht ganz so stark wie die internationale Verleihfassung. In der Originalfassung hatte Murphy einige versteckte Referenzen an die damals aktuelle politische Debatte um die Maori-Frage untergebracht (ich habe davon nichts bemerkt, aber dafür muss man sicher Neuseeländer sein). Diese Referenzen haben auch für ein heutiges neuseeländisches Publikum keine Bedeutung mehr, und Murphy hat sie entfernt. Außerdem ließ er einige seiner Meinung nach überflüssige kurze Schlenker der Handlung weg, um den Fluss etwas zu beschleunigen. Als Nebenprodukt dieser Arbeit wurde die Gründung einer New Zealand Film Foun­da­tion angeregt. Einen ausführlichen Bericht von Cowley kann man hier lesen. Die dreijährige Arbeit an dieser Fassung hat 250.000 neuseeländische Dollar gekostet, und sie hat sich offenbar gelohnt: UTU REDUX, wie die Fassung offiziell getauft wurde, hatte vor drei Wochen beim Wellington International Film Festival Premiere, und die neuseeländische Presse war sehr angetan. Die Straffung wurde gelobt (freilich ohne dass ich einen direkten Vergleich mit einer der beiden früheren Versionen gelesen hätte), und auf jeden Fall erstrahlt das Bild in bisher ungesehener Qualität. Tatsächlich sieht bereits ein Trailer auf YouTube wesentlich besser aus als meine DVD. Es würde mich wundern, wenn die Redux-Fassung nicht in absehbarer Zeit auf DVD und/oder Blu-ray erschiene (und hier würde sich Blu-ray sicher lohnen).

UPDATE: Inzwischen gibt es eine deutsche DVD von UTU, es handelt sich aber nicht um UTU REDUX! Bei der Veröffentlichung der DVD kam es zu gewissen Unregelmäßigkeiten.

Finale vor einem Kriegsgericht im Bergwald