Posts mit dem Label Mariana Hill werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Mariana Hill werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 18. November 2013

René Magritte und das Strandmonster

BLOOD BEACH („Blood Beach – Horror am Strand“)
USA 1980
Regie: Jeffrey Bloom
Darsteller: David Huffman (Harry), Marianna Hill (Catherine), Burt Young (Sergeant Royko), Otis Young (Lieutenant Piantadosi), John Saxon (Captain Pearson), Darrell Fetty (Hoagy), Stefan Gierasch (Dr. Dimitrios)



Mit JAWS schuf Steven Spielberg nicht nur einen Meilenstein des Sommer-Blockbuster-Kinos, der drei direkte Sequels nach sich zog, sondern löste auch eine ganze Welle an Filmen aus, die ähnlich gelagerte Geschichten verarbeiteten. Das betraf nicht nur Sharksploitation-Filme im engeren Sinne, sondern auch andere Horrorfilme mit Ungeheuern, die gerne Menschen in Gewässern oder am Strand verspeisen, wie zum Beispiel ORCA (1977), PIRANHA (1978) oder ALLIGATOR (1980). Zweifelsohne ist auch BLOOD BEACH ein Jawsploitation-Film und enthält auch eine kleine augenzwinkernde Hommage an JAWS 2. Dessen Tagline „Just when you thought it was safe to go back in the water...“ wird von einer der Figuren nach etwa einem Drittel des Films ausgesprochen – und mit dem Zusatz „you can‘t go to it!“ versehen.

Das hat folgenden Hintergrund: am Strand einer Gemeinde im Los Angeles-Bezirk verschwindet spurlos eine ältere Dame. Dann geht ein Hund am Strand spazieren, und wenig später wird er ohne Kopf gefunden – der wurde ihm nämlich abgerissen oder abgebissen. Die Nacht danach geht eine adrette junge Frau am Strand spazieren und wird von einem Mann sexuell angegriffen: sie kann ihn mit einem gezielten Tritt an einer empfindlichen Stelle abwehren, und als er, bereits etwas geschwächt, auf sein Opfer zukriecht, wird ihm sein bestes Stück von unten weggebissen, oder weggerissen...

Oben: Harry & Catherine; Piantadosi & Royko
Unten: Captain Pearson & Dr. Dimitrios
Der Zuschauer weiß schon nach drei Minuten, was „Sache ist“, oder zumindest annähernd: wir sehen nämlich, dass die ältere Dame einfach so vom Sand verschluckt wird. Die Figuren im Film haben hingegen am Anfang überhaupt keine Ahnung, was da eigentlich passiert. Catherine zum Beispiel, die Tochter der älteren Dame, vermutet zunächst, dass ihre Mutter nur vermisst ist. Der Küstenwächter Harry, der mit Catherine vor Jahren eine Beziehung hatte, befürchtet zu Recht, dass die Dame tot ist. Seine Freundin, eine Stewardess, verschwindet wenig später dann auch im Sand (womit einer Neuauflage der Harry-Catherine-Romanze nichts mehr im Weg steht). Harrys bester Kumpel Hoagy sieht das ganze zunächst viel lockerer, muss dann aber auch rasch seine Freundin trösten, die nach dem Vergewaltigungsversuch am Strand unter Schock steht. Die Polizei tappt völlig im Dunkeln. Der überkorrekte Lieutenant Piantadosi und sein prollig-schmieriger Assistent Royko sind ziemlich hilflos und müssen dann auch rasch Schelte von ihrem Vorgesetzten Pearson einstecken, der sich nicht nur mit aufgebrachten Bürgern, sondern auch mit Tierschutzvereinen und der Handelskammer abplagen muss. Es ist der Wissenschaftler Dr. Dimitrios, der schlussendlich recht hat: ein Monster, zumindest eine nicht-bekannte Spezies, wohnt unter dem Strand und frisst ahnungslose Menschen auf. Eine Obdachlose hat möglicherweise auch einen guten Durchblick, aber das ist nicht sicher: sie ist permanent so übel gelaunt, dass sie kaum etwas verständliches von sich gibt und ist zudem wahrscheinlich auch leicht verrückt.

Ein B-Monster-Film nach Schema F also? Bei meiner Erstsichtung vor einem Jahr hat mich BLOOD BEACH von Beginn an absolut fasziniert, und relativ schnell wurde auch klar, warum. Nun, bei der erneuten Sichtung, ergibt der Anfangsverdacht noch wesentlich mehr Sinn. Das auffälligste an dem Film ist zweifelsohne sein bizarrer Look, der einem sehr eigenwilligen Einsatz von Licht geschuldet ist. Dieses ist ständig sehr diffus gefilmt, und wenn direkte Lichtquellen es in den Blickfeld der Kamera schaffen, dann verschwimmen große Teile des Bilds zu einer fast schon abstrakten Farbkomposition. Dieser exzessive Mangel an Kontrast, wenn das so richtig formuliert ist, findet seinen Höhepunkt nach knapp zwei Dritteln Laufzeit in einem wunderschönen Moment, den ich aus einleuchtenden Gründen gerne als den „Magritte-Shot“ bezeichnen möchte – Harry und Catherine haben gerade ein romantisches Date, die Kamera bewegt sich dabei nach links und für knapp eine Sekunde verschwindet ihr Gesicht vollkommen im diffusen Licht der Kerzenflamme:



Und hier ist ein Bild von René Magrittes Gemälde „Le principe du plaisir“ (Das Lustprinzip) aus dem Jahre 1937:



Vom "fahlen Licht des Todes" ergriffen
Die ikonografische Ähnlichkeit ist, denke ich, augenscheinlich: der Kopf verschwand und ward zu Licht! Der Candle-Light-Dinner-Moment ist sicherlich die radikalste Umsetzung von Magrittes „Lustprinzip“, da sich hier die Lichtquelle auch räumlich vor eine Figur schleicht. Doch auch der Rest des Films strotzt nur so von „Magritte-Shots“. Immer wieder schweben Lichterpunkte über den Köpfen der Figuren. Der allererste „Magritte-Shot“ – und zwar einer, der dem späteren Candle-Light-Dinner-Moment recht ähnlich kommt – taucht gleich zu Beginn auf, als die ältere Spaziergängerin mit dem Sand kämpft, der sie verschluckt. Sind diese ganzen Lichter, die über die Figuren schweben, also ein Symbol für die diffuse Bedrohung, die von dem Strandmonster ausgeht? Wer weiß! In einer anderen Besprechung ist vom „fahlen Licht des Todes“ die Rede.

Weitere "Magritte-Shots"
Es liegt natürlich bei einem „solchen“ Film wie BLOOD BEACH (Stichwort: Wertung von 4,1 bei imdb, Stand: November 2013) auf der Hand, diese Ästhetik als nett anzusehender Kollateralschaden inszenatorischen Dilettantismus' abzutun. Auch mir ging dieser Gedanke bei der Erstsichtung durch den Kopf, und ich deutete ihn allerdings auch sogleich positiv aus: die Unfähigkeit, „normale“ Bilder zu schaffen, als künstlerische Chance. Die Zweitsichtung nährt allerdings die These, dass wir es eher mit dem bewussten Unwillen zu tun haben, „normale“ Bilder zu filmen. Die restliche inszenatorische Detailverliebtheit von BLOOD BEACH stützt diese These. So wird die Kameraführung relativ stringent der Dramaturgie angepasst. Das Monster etwa, das man bis auf die letzten wenigen Minuten gar nicht sieht, hat einen ganz eigenen Point-Of-View-Stil: eine nervöse und „suchende“ Handkamera mit Untersicht. Immer wieder werden mehr oder weniger kurze solcher „Monster-Shots“ in die Handlung montiert, teils nur für wenige Sekunden. Der Rest des Films ist in eher ruhigen und langen Einstellungen inszeniert.

Auch das „Versprechen“ anderer Filme, nämlich die Spannung dadurch zu erhöhen, dass das Monster kein Gesicht hat (heisst: nicht gezeigt wird), löst BLOOD BEACH in einem ungleich radikaleren Ausmaß ein – natürlich: sicher auch budgetbedingt. Das Ungeheuer sieht man sogar in den letzten Minuten nur als amorphe Masse auf dem Übertragungs-Bildschirm einer Infrarot-Überwachungskamera oder in mysteriösen Detailaufnahmen. Da das Monster am Schluss undefiniert bleibt, kann auch seine Bedrohung letztlich auch nicht aus der Welt geschaffen werden. Logisch: wie löst man ein Problem, wenn man nicht richtig weiß, was das Problem eigentlich ist! Das Epilog des Films führt diesen Gedanken bis in die letzte bittere und ironische Konsequenz (bei einem Arthouse-Film würde man das wohl als „offenes Ende“ bezeichnen).

Bei der Zweitsichtung ist mir nun auch aufgefallen, wie liebevoll die Figuren des Films eigentlich gezeichnet sind – zumal sie allesamt von überaus fähigen Darstellern verkörpert werden. Es sind glaubwürdige Menschen aus Fleisch und Blut (deshalb schmecken sie dem Monster wahrscheinlich auch so gut), die keine besonderen heldenhaften oder sonstige außergewöhnliche Eigenschaften besitzen. Sie unterhalten sich oft über Sachen, die nicht im engeren Sinne Drehbuch-relevant sind und deren Hintergrund nur sie selbst verstehen (was war das zum Beispiel mit der Uhr, die repariert werden soll?). Ja, die Dialoge sind oftmals auch akustisch fast unverständlich, weil die Hintergrundgeräusche zu laut sind oder die sprechende Person eine Zigarre oder einen angekauten Hotdog im Mund hat. Aber warum sollte das ein Problem sein? Nur weil die Figuren sprechen, müssen wir sie nicht die ganze Zeit wörtlich begreifen, um sie menschlich zu verstehen. Geradezu akribisch zeigt sie der Film, und irgendwo kann man auch Mitleid mit ihnen bekommen: sie sind alle "nur" normale Menschen, und daher umso hilfloser gegenüber der Gefahr, der sie am Strand begegnen müssen. Da gibt es keinen Held, der energisch durchgreift und zupackt. Wo könnte man denn auch „zupacken“? Das macht BLOOD BEACH in einem klassischen dramaturgischen Sinne ziemlich sperrig, aber gerade auch diese Eigenwilligkeit macht den Reiz des Films aus.

Höchst interessant sind auch die zahlreichen Musik(er)-Einlagen, die dramaturgisch nicht viel Sinn ergeben, aber die lebendige Textur des Films stark verdichten. Immer wieder sind Straßen-Musiker im Bild zu sehen: ein Saxofonist am frühen morgen, ein Mundharmonika-Spieler zur Mittagspause, ein Violinist zum Sonnenuntergang. Auch ein Drehorgelspieler taucht immer wieder auf, jedoch nicht im Bild (man hört nur seine Musik im Hintergrund). Und schließlich ist Hoagy selbst auch Musiker in seiner Freizeit: er singt Duette mit seiner Freundin. Mit ihr hat er auch eine Band (beide singen, er haut noch auf einem Umhänge-Keyboard in die Tasten), die des Abends ab und zu in einer kleinen Hafenspelunke spielt. Was gespielt wird, vermittelt in einer solchen Umgebung sicherlich mehr Lebensfreude als ästhetische Stilsicherheit. Es ist allerdings auch im positiven Sinne überraschend, wie sich die Figuren eine kleine Pause von ihren Alltagssorgen nehmen (zum Beispiel vom Problem, dass ein Monster am Strand Menschen auffrisst). Da wirkt auch ein Umhänge-Keyboard plötzlich herzerwärmend. Die extradiegetische Musik weiß durchaus in einem klassischeren Sinne zu faszinieren. Das Hauptthema erinnert, sicherlich bewusst, an John Williams' JAWS-Thema, unbewusst auch an John Carpenters minimalistische Soundtracks, weiß aber durchaus eigene Akzente zu setzen.

À propos John Carpenter: BLOOD BEACH ist produktionstechnisch ein Independent-Film. Er wurde 1981 von der Vertriebsfirma „The Jerry Gross Organization“ in einer relativ geringen Kopienzahl in die US-Kinos herausgebracht. Ein Jahr später folgte eine zweite Runde, diesmal im Vertrieb der „Compass International Pictures“, die drei Jahre zuvor auch Carpenters HALLOWEEN in die Kinos gebracht hatte und wenig später aufgelöst wurde.

Blutiger Geister-Strand
Die Verbindung zu John Carpenter besteht übrigens auch durch den Kameramann Steven Poster. 1986 war er Second Unit-Kameramann bei STARMAN und BIG TROUBLE IN LITTLE CHINA. Als solcher Mann der „zweiten Reihe“ arbeitete er mit anderen berühmten Regisseuren zusammen, etwa mit – hier wiederum die JAWS-Connection – Steven Spielberg (CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND), Ridley Scott (BLADE RUNNER), Brian De Palma (MISSION TO MARS) und M. Night Shyamalan (UNBREAKABLE). BLOOD BEACH war Posters erstes Engagement als „director of photography“ bei einem Spielfilm. Als solcher wirkte er später an solch unterschiedlichen Werken wie LIFE STINKS oder DONNIE DARKO mit und war 2002 für ein Jahr Präsident der „American Society of Cinematographers“.

Von Steven Spielberg über John Carpenter bis Mel Brooks: da gehört Jeffrey Bloom zu den eher obskureren Filmemachern, mit denen der Erschaffer der „Magritte-Shots“ zusammen gearbeitet hat. Bloom, Jahrgang 1945, war angeblich in seiner Kindheit in den 1950er Jahren Mitglied einer tourenden Magier-Truppe und drehte mit BLOOD BEACH seinen dritten von nur insgesamt vier Kino-Filmen. In den 1980er und frühen 1990er Jahren inszenierte er Filme in allen möglichen Genres (von Melodrama bis Sci-Fi) für das Fernsehen, betätigte sich aber vor allen Dingen als Drehbuchautor. Auch dies tat er hauptsächlich für das Fernsehen, und schrieb unter anderem das Drehbuch für drei Folgen von COLUMBO. In den 1990er Jahren kehrte er dem Filmbusiness den Rücken und betätigt sich seither als professioneller Fotograf. Wer seine Fotografen-Website besucht, wird sehen, dass eine ganze Rubrik („all creatures“) Tieren gewidmet ist, und zwar hauptsächlich Hunden. Bloom scheint ein ausgesprochener Hundeliebhaber zu sein. Sein erster Film DOGPOUND SHUFFLE, für das er wie für alle seiner vier Kinofilme als Regisseur auch das Drehbuch schrieb, handelt von einem Obdachlosen, der sich auf die Suche nach seinem verlorenen Hund begibt. Wenn also in BLOOD BEACH einem solchen Vierbeiner der Kopf abgebissen wird, so ist das Tier in diesem Licht durchaus als ernsthaftes Opfer zu sehen, und nicht als reines plot-treibendes MacGuffin.

Aber es ist ja nur ein Film: dem Hund ging es am Set bestimmt ganz gut. Im realen Leben tragischer hingegen verlief das weitere Schicksal des BLOOD BEACH-Hauptdarstellers, TV-Stars und Theater-Schauspielers David Huffman: im Februar 1985 ertappte er in San Diego in flagranti einen Wohnwagen-Einbrecher, der ihn daraufhin erstach. Huffman verstarb mit nur 39 Jahren.




BLOOD BEACH ist in Deutschland, Kanada und den USA auf DVD erschienen. Gemäß imdb hat der Film ein Bildformat von 1.85:1. Auf der deutschen DVD befindet sich allerdings nur eine Version in 1.33:1-Vollbild. Es scheint aber auch keinerlei andere Veröffentlichung zu geben, die den Film im 1.85:1-Format enthält. Es ist natürlich möglich, dass BLOOD BEACH nach dem open matte-Prinzip gedreht wurde, also im 1.33:1-Format, und später bei Kinoprojektionen Bildareale oben und unten zugedeckt wurden. Letzteres halte ich aber für eher unwahrscheinlich. Es könnten natürlich auch für alle Heimauswertungen Teile des Films links und rechts beschnitten worden sein (auch wenn die meisten Bilder des Films meiner Meinung nach "vollständig" aussehen). Oder imdb hat sich geirrt (dort hat dieser eigentlich großartige Film ja auch nur eine Bewertung von 4,1!).
An der deutschen DVD gibt es, bis auf mangelnde Untertitel, nicht viel zu mäkeln.