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Samstag, 21. Dezember 2019

SHIRAZ - Liebe, Drama und ein bayerischer Regisseur in Indien

SHIRAZ (engl. auch SHIRAZ - A ROMANCE OF INDIA, deutsch DAS GRABMAL EINER GROSSEN LIEBE)
Indien/Deutschland/Großbritannien 1928
Regie: Franz Osten
Darsteller: Himansu Rai (Shiraz), Enakshi Rama Rau (Selima/Mumtaz Mahal), Charu Roy (Khurram/Shah Jahan), Seeta Devi (Dalia), Maya Devi (Kulsam), Profulla Kumar (Kasim)

Shiraz und Selima
SHIRAZ spielt in Indien, genauer gesagt im Mogulreich, zur Zeit der Großmoguln Jahangir und Shah Jahan im 17. Jahrhundert. Der Film gliedert sich chronologisch in drei Zeitebenen, von denen die mittlere die weitaus längste ist, so dass man die anderen beiden auch als verlängerten Prolog bzw. Epilog bezeichnen könnte.

Eine Prinzessin auf Reisen und ein Überfall
Durch die Wüste zwischem dem Nordwesten des Reichs und Persien zieht eine Karawane. Sie ist reich mit Wertgegenständen beladen, doch wichtigstes "Transportgut" ist eine kleine Prinzessin. Die Reise endet jäh, als eine berittene Räuberbande die Karawane überfällt, einen Teil der Mannschaft und die Begleiterin der Prinzessin tötet und mit der Beute und Gefangenen abzieht. Einzig das Kleinkind bleibt durch Zufall zurück, allein in der Wüste. Es wäre dem Tod geweiht, würde nicht im passenden Moment der arme Töpfer Hassan mit seinem Esel des Wegs kommen und es mit in sein Dorf nehmen. Zur gleichen Zeit hat Hassans Frau durch einen Wahrsager ein Orakel für Shiraz, den Sohn des Paars, erstellen lassen. Er werde aus der Wüste viel Liebe, Sorgen und unsterblichen Ruhm empfangen, lautet die Prophezeiung, und als Zuschauer weiß man sogleich, dass sich das auf das Findelkind bezieht. Dieses hat ein Amulett mit sonderbaren Zeichen bei sich, doch damit kann niemand etwas anfangen. Hassan und seine Frau adoptieren die Kleine und nennen sie Selima, und sie wächst zusammen mit dem etwas älteren Shiraz auf.

Hassan rettet die Prinzessin
Erster Zeitsprung. Shiraz und Selima sind jetzt junge Erwachsene, Shiraz ist ein Töpfer wie sein Vater (und darin ein Meister seines Fachs, der aus Ton nicht nur Gefäße, sondern auch Kunstgegenstände formt), und aus den Spielkameraden und Quasi-Geschwistern ist ein Liebespaar geworden. Einer baldigen Hochzeit würde nicht mehr viel im Wege stehen, doch es kommt anders: Eine Bande von Strauchdieben und Sklavenhändlern entführt Selima und verschleppt sie in eine Stadt, um sie dort auf dem Sklavenmarkt zu versteigern. Shiraz nimmt mit ein paar Dorfbewohnern die Verfolgung auf, aber alle außer ihm selbst kehren um, als das Wasser knapp wird. Er kommt rechtzeitig in die Stadt, um der Versteigerung beizuwohnen, kann dort aber nichts ausrichten. Zahlungskräftigster Bieter ist Kasim, ein Abgesandter von Prinz Khurram, dem Kronprinzen und zukünftigen Großmogul. Er ersteigert Selima für den Harem seines Herrn.

Shiraz und Selima sind ein Paar - vorerst
Selima wird zu Khurram in die Hauptstadt Agra im zentralen Nordindien gebracht, und Khurram entpuppt sich als edler Prinz, wie er im Buche steht. Selima lebt sich schnell im Palast ein, und mit ihrer stolzen Art erweckt sie Khurrams Interesse und Sympathie. Und sie bringt Khurram Respekt und Zuneigung entgegen, wenn auch nicht sofort Liebe, weil sie Shiraz nicht so schnell vergessen kann. Doch die Zeit arbeitet für Khurram - früher oder später wird er Shiraz erobern. Es gibt aber ein formales Hindernis. Nach dem Gesetz, dem sich auch der zukünftige Großmogul nicht entziehen kann, darf er nur eine Dame von vornehmer Herkunft heiraten, aber keinesfalls die Tochter eines Töpfers oder eine Sklavin. So könnte Shiraz allenfalls Khurrams Mätresse werden.

Sklavenhändler verschleppen Selima durch die Wüste
Zwei Personen haben etwas dagegen. Erstens natürlich Shiraz, der weiß, wo sich Selima befindet. Er treibt sich in der Nähe des Palastes herum, doch er weiß nicht, wie er hineinkommen soll. Um nicht aufzufallen, und um ein Einkommen zu haben, verdingt er sich vorerst als Assistent eines alten Töpfers in der Stadt. Und zweitens hat Selima eine Nebenbuhlerin, von der sie nichts weiß: Dalia, die ebenso verwöhnte wie berechnende Tochter eines Generals in Khurrams Diensten. Sie kennt nur einen Ehrgeiz - sie will Khurram heiraten und damit nach dessen Thronbesteigung Kaiserin im Mogulreich werden. Dafür ist ihr jedes Mittel recht, und sie weiß, dass Selima eine Gefahr für ihre Pläne ist. Dalias Gelegenheit zum Zuschlagen ergibt sich, als sich Shiraz wieder einmal am Palast herumdrückt und durch eine Lücke im Mauerwerk eine der Dienerinnen darin anspricht. Dabei ist er an Kulsam geraten, die zugleich eine Helferin von Dalia bei deren Plänen ist. Dalias Vater, der General, hat die Befugnis, Passierscheine für den Palast auszustellen. Dalia "leiht" sich sein Stempelsiegel und fälscht damit einen Passierschein für Shiraz, den ihm Kulsam am nächsten Tag zusteckt. Zugleich schreibt Dalia einen anonymen Brief an Khurram, der gerade zu einer Reise nach Delhi aufgebrochen ist, und fordert ihn zur Rückkehr und einem Kontrollbesuch bei Selima auf. Der Plan sieht natürlich vor, dass Shiraz und Selima zusammen im Palast ertappt werden, und dass nach diesem Skandal Selima mindestens die Verbannung, wenn nicht Schlimmeres droht. Der Weg wäre frei für Dalia.

Shiraz kann am Sklavenmarkt nichts ausrichten
Dalias Plan geht zunächst auf. Shiraz muss zu seinem Erstaunen feststellen, dass Selima nicht als Gefangene im Palast schmachtet und auf ihre Rettung wartet, sondern dass es ihr gut geht und sie bleiben will. Und dann werden die beiden von Khurram persönlich überrascht. Der kocht vor Wut, aber immerhin macht er nicht kurzen Prozess, sondern ordnet eine Untersuchung an. Vor allem will er wissen, welche seiner Dienerinnen Shiraz den Zugang zu den Frauengemächern ermöglicht hat. Shiraz könnte Kulsam verraten und damit seinen Kopf retten, doch in Unkenntnis von deren genauer Rolle schützt er sie und schweigt - und wird deshalb zum Tod verurteilt. Kulsam weiß, dass sie Shiraz ihr Leben zu verdanken hat, und darüber gerät ihre Loyalität Dalia gegenüber ins Wanken. Weil sie dadurch selbst zu einer Gefahr wird, wird sie von Dalia kurzerhand vergiftet. Die Hinrichtung von Shiraz soll sofort und auf eine malerische Art erfolgen: Er wird liegend an den Boden gekettet, wo ihn ein Elefant tottrampeln soll.

Es lebt sich nicht schlecht als zukünftiger Großmogul
Doch zwei Missgeschicke (aus Dalias Sicht) bringen den perfiden Plan zu Fall. Erstens hätte Shiraz den Passierschein im Palast an Kulsam aushändigen sollen, die das potentiell kompromittierende Beweisstück sofort vernichtet oder an Dalia weitergereicht hätte. Doch Shiraz vergaß vor lauter Aufregung den Schein bei der Palastwache am Tor. Und zweitens war die Giftdosis für Kulsam zu gering. Diese stirbt zwar, aber nicht schnell genug. Als sie merkt, wie es um sie steht, lässt sie sich mit letzter Kraft zu Khurram schleppen und beichtet alles, bevor sie das Leben aushaucht. Mit dem herbeigeholten Passierschein ist Dalia endgültig als Intrigantin überführt, und sie wird lebenslang aus dem Mogulreich verbannt. Selima dagegen ist rehabilitiert, und Shiraz' Hinrichtung wird im allerletzten Moment gestoppt. Doch er muss hinnehmen, dass sich Selima jetzt endgültig für Khurram entscheidet. Shiraz ist zutiefst deprimiert, doch er kann gar nicht anders, als sich mit der Entscheidung abzufinden. Und nebenbei beseitigt er noch ein letztes Hindernis: Er übergibt das Amulett, das Selima bis zu ihrer Entführung und danach Shiraz bei sich getragen hatten. Ein Weiser im Palast entziffert den Inhalt: Das Amulett weist die Trägerin als Prinzessin Arjumand aus, eine Nichte von Nur Jahan, der wichtigsten der 20 Frauen von Khurrams Vater Jahangir - die Prinzessin war vor 18 Jahren als Kleinkind auf einer Reise in den Norden spurlos verschwunden. Damit ist Selimas noble Abkunft erwiesen, und einer Hochzeit mit Khurram steht nichts mehr im Weg. Dieser will Shiraz als Trostpflaster reich mit Juwelen beschenken, doch der lehnt ab - weltliche Güter können ihm nicht seine verlorene Liebe Selima ersetzen.

Im Harem gibt es Wächterinnen mit Schwertern; unten: so reist man in Indien erster Klasse
Zweiter Zeitsprung, wir sind jetzt im Epilog. Weitere 18 Jahre sind vergangen. Khurram, der sich nach der Thronbesteigung Shah Jahan nennt, und Selima/Arjumand, die den Thronnamen Mumtaz Mahal angenommen hat, haben eine gute und glückliche Ehe geführt und sind beim Volk beliebt. Doch jetzt stirbt Mumtaz Mahal. Shah Jahan ist untröstlich. Um seinen Schmerz etwas zu dämpfen, und um seine übergroße Liebe für die Nachwelt zu dokumentieren, will er für Mumtaz ein prächtiges Mausoleum errichten lassen, und dafür fordert er Entwürfe von Künstlern und Baumeistern aus dem ganzen Land an. Shiraz hat während der vergangenen 18 Jahre immer in der Nähe des Palastes gelebt - er konnte sich nie wirklich von Selima lösen und seinem Leben eine neue Richtung geben. Im Lauf der Zeit hat sein Augenlicht nachgelassen, und jetzt ist er so gut wie blind - aber das Töpfern beherrscht er immer noch wie kaum ein Zweiter. Unter den Entwürfen für das Mausoleum, die zunächst eingesandt werden, kann keiner Shah Jahan überzeugen, doch dann trifft einer ein, der ihn sofort restlos begeistert. Und natürlich ist es kein anderer als Shiraz, der ihn geschaffen hat. Der (zunächst unbekannte) Künstler wird in den Palast geladen, und nach vorübergehender Wirrnis wird Shiraz von Shah Jahan wiedererkannt. In den nächsten Jahren wird nun in Agra nach Shiraz' Entwurf das Taj Mahal errichtet, als Mausoleum und als Zeugnis der Liebe gleich zweier Männer zu Selima bzw. Mumtaz Mahal. Die beiden gealterten Männer werden in dieser Zeit noch so etwas wie Freunde. Am Schluss stehen Aufnahmen des prächtigen fertiggestellten Taj Mahal, und unsere schöne, traurige Geschichte ist zu Ende.

Selima im Goldenen Käfig - mit schönem Ausblick
Sie ist nicht wahr, diese Geschichte, aber gut erfunden. Die echte Arjumand wuchs natürlich wohlbehütet auf, fernab von Töpfern und von Sklavenfängern, und das Taj Mahal wurde auch nicht von einem armen Töpfer entworfen, sondern von mehreren, teils aus Persien stammenden Architekten. Der wahre Kern besteht darin, dass das Taj Mahal tatsächlich als Mausoleum und als Monument der großen Liebe zwischen Shah Jahan und Mumtaz Mahal errichtet wurde. Erdacht hat die fiktive Backstory des berühmten Bauwerks der bengalische Dramatiker, Drehbuchautor und Filmregisseur Niranjan Pal (1889-1959), dessen Laufbahn eng mit der von Franz Osten und Himansu Rai verknüpft war. Pals auch in London aufgeführtes Bühnenstück "Shiraz" war die direkte Vorlage für das Drehbuch, das William A. Burton (1883-1958) schrieb, ein zunächst nach Kanada emigrierter und dann nach England zurückgekehrter Brite, der auch kurze Hollywood-Erfahrung besaß. Nach seiner Rückkehr in die Heimat arbeitete er für British Instructional Films, dem britischen Partner bei der Drei-Länder-Produktion SHIRAZ. Später ging Burton erneut, und diesmal endgültig, nach Kanada. Ein Cousin von ihm war Pflegevater und Namensgeber von Richard Burton. British Instructional Films (BIF), das der Produzent und Regisseur Harry Bruce Woolfe gegründet hatte, existierte von 1919 bis 1932 und wurde dann von einem größeren Studio geschluckt. BIF produzierte Spiel- wie Dokumentarfilme; eine besondere Spezialität, die wohl auf einer persönlichen Vorliebe von Woolfe beruhte, waren heroische Filme über den Ersten Weltkrieg. Ich weiß nicht genau, wie BIF bei SHIRAZ an Bord kam, aber Anfang bis Mitte der 20er Jahre lebten Niranjan Pal, Himansu Rai und dessen spätere Frau Devika Rani (die eine berühmte Schauspielerin wurde) alle in London. Sie lernten sich dort nicht nur kennen und begannen ihre Zusammenarbeit, sondern knüpften auch erste Kontakte zur Filmwelt.

Im Palast
Der illustre Himansu Rai (auch Himanshu Rai geschrieben, 1892-1940) war eine zentrale Gestalt im frühen indischen Film. In seiner Zeit in London war er im Hauptberuf Anwalt, und nebenbei Schauspieler (er stand auch in einem Stück von Niranjan Pal auf der Bühne). Doch es zog ihn zum Film. Obwohl er wie Niranjan Pal aus Bengalen stammte, wurde er (mit Franz Ostens Hilfe) zu einem der Gründerväter des Hindi-Films, und damit des späteren Bollywoods (Bengali-Filme wurden erst mit Regisseuren wie Satyajit Ray und Ritwik Ghatak überregional bedeutsam). Himansu Rai konnte sich zunächst nicht so recht entscheiden, ob er im Film Schauspieler, Regisseur oder Produzent werden wollte - und machte deshalb alles zusammen. Er wollte von Anfang an Filme auf hohem technischen Niveau produzieren, und dazu importierte er europäisches Know-how in Form von Filmtechnikern und Equipment. Dabei wollte er sich nicht mit England begnügen, sondern auch die Ressourcen der deutschen Filmindustrie anzapfen. Rai spekulierte auch darauf, dass orientalische Stoffe in den europäischen Kinos Erfolg haben könnten, wo etwa schon Lubitschs SUMURUN (1920) und Joe Mays DAS INDISCHE GRABMAL (1921, Drehbuch von Fritz Lang und Thea von Harbou) dieses Gebiet erfolgreich beackert hatten.

Intrigantin: Dalia
Rai reiste nach Deutschland und fand in München mit Franz Osten genau den richtigen Partner für seine Pläne. 1925 drehten sie dann in Indien und im heutigen Pakistan (damals natürlich auch ein Teil Indiens) PREM SANYAS/DIE LEUCHTE ASIENS, eine Coproduktion von Himansu Rais Firma und Ostens Hausstudio Emelka. Rai war Produzent und teilte sich mit Osten die Regie (manchmal wird auch Osten allein die Regie zugeschrieben), Niranjan Pal war der Autor (nach einer älteren Vorlage eines Edwin Arnold), die beiden Kameramänner Willi Kiermeier und Josef Wirsching hatte Osten aus Deutschland mitgebracht. DIE LEUCHTE ASIENS ist eine Biografie von Gautama, aus dem Buddha werden sollte, wobei die sehr karge historische Überlieferung mit den üblichen Legenden ausgepolstert wurde. Himansu Rai spielt auch die Titelrolle, und Seeta Devi, die Dalia in SHIRAZ, gibt hier Gautamas Gefährtin Gopa. Charu Roy (Khurram in SHIRAZ) war hier als Set- und Kostümdesigner dabei (später betätigte er sich auch als Regisseur). DIE LEUCHTE ASIENS war ein großer Erfolg, vor allem in Europa (weniger in den USA), und wurde weltweit verliehen. Das Wagnis war gelungen, und Himansu Rai konnte seinen Weg fortsetzen.

Selima lebt sich ein
SHIRAZ war dann der nächste Streich. Rai "beschränkte" sich jetzt auf die Hauptrolle und die Position des Produzenten, die Regie überließ er Osten allein. Auf deutscher Seite produzierte jetzt nicht mehr die Emelka, sondern die UFA, und die Engländer waren nun auch an Bord. Kameramänner waren jetzt Emil Schünemann und der Engländer Henry Harris. Schünemann war der deutlich ältere und erfahrenere der beiden, ich weiß aber nicht, ob sich daraus eine interne Hierarchie ergab, oder ob beide Kameramänner gleichberechtigt waren. Weiterer personeller Input von der Insel bestand aus einem Victor A. Peers, der als Produktionsleiter und Ostens Regieassistent fungierte (später war er Direktor eines Fernsehsenders), und aus dem schon erwähnten Drehbuchautor William A. Burton. Die Schauspieler dagegen kamen alle aus Indien. Himansu Rai zeigt gelegentlich eine leichte Neigung zum Overacting, aber es hält sich im Rahmen und wird nie lächerlich. Alle anderen spielen sehr dezent, und Seeta Devi ist eine wahre Freude als verschlagene Dalia - eine echte indische femme fatale des 17. Jahrhunderts. Leider wurde ihre Karriere durch den Tonfilm beendet.

Prinz Khurram (rechts oben mit Kasim) und ein weiser Zeichendeuter
Nächster und vorerst abschließender Film des indisch-britisch-deutschen Teams war PRAPANCHA PASH/A THROW OF DICE/SCHICKSALSWÜRFEL von 1929, wiederum mit Himansu Rai, Seeta Devi und Charu Roy in den Hauptrollen, Rai als Produzent, Osten als Regisseur, und Pal und Burton als Autoren (und ein Max Jungk war noch an der deutschen Fassung beteiligt). Es handelt sich um die freie Interpretation eines Handlungsstrangs im ausladenden Nationalepos Mahabharata, in dem zwei rivalisierende Könige um ihre Reiche (und im Film auch um eine schöne Frau) würfeln. Die drei Stummfilme des Osten-Rai-Teams werden gerne als Trilogie zusammengefasst, was mir auch berechtigt erscheint, auch wenn das vielleicht nicht von Anfang an so geplant war. Denn danach gab es erst mal eine Zäsur, und die war auch in Indien von der Einführung des Tonfilms geprägt.

Shiraz weiß nicht, wie er in den Palast kommt
Während Rai und Osten die Stummfilme vorwiegend an Originalschauplätzen drehten und relativ wenig Studiozeit benötigten, erforderte der Tonfilm mit seiner komplizierteren Ausrüstung ein Umdenken - ein eigenes Studio musste her. Doch zunächst produzierte Rai 1933 noch KARMA, wieder eine indisch-britisch-deutsche Produktion, aber ohne Osten, sondern mit einem englischen Regisseur. Der Film zeichnet sich durch einen nicht enden wollenden und für damalige indische Verhältnisse skandalösen Kuss zwischen den Hauptdarstellern Rai (klar, wer sonst?) und Devika Rani aus (die inzwischen Rais Frau war). Und dann gründete Himansu Rai 1934 mit Geschäftspartnern das Studio Bombay Talkies - der Name war Programm. Und Osten war wieder mit an Bord, denn Rai engagierte ihn jetzt fest als Regisseur und technischen Direktor, und Osten übersiedelte nach Indien. Rai war nun so ausgelastet, dass er nicht mehr als Schauspieler auftrat (ob er vielleicht auch eine unvorteilhafte Stimme besaß, ist mir nicht bekannt). Die Produktion lief 1935 mit JAWANI KI HAWA/LEICHTSINN DER JUGEND an, und von 1936 bis 1939 drehte Osten dann jedes Jahr drei bis fünf Filme. Es war dies eine prägende Phase von Proto-Bollywood, und Rai und Osten waren mittendrin. Devika Rani spielte oft die weibliche Hauptrolle, aber auch andere weibliche und männliche Stars wurden hervorgebracht. Niranjan Pal als Autor war auch oft mit dabei, und der aus München stammende Kameramann Josef Wirsching, dem wir schon bei DIE LEUCHTE ASIENS begegnet sind, stand auch bei Bombay Talkies unter Vertrag (er blieb in Indien und starb 1967 in Bombay), und es gab noch weitere deutsche und englische Mitarbeiter. - Himansu Rais Stern strahlte hell, aber er verglühte auch schnell. Ich weiß nicht, ob es an der Arbeitsüberlastung lag, wie gelegentlich zu lesen ist, aber 1940 erlitt er einen gesundheitlichen Zusammenbruch. Über dessen Charakter kursieren nur unklare Informationen - manchmal ist von einem Nervenzusammenbruch die Rede. Jedenfalls starb Himansu Rai im Mai 1940 mit nur 48 Jahren in Bombay. Seine Witwe Devika Rani übernahm die Leitung des Studios und führte es erfolgreich weiter. Franz Osten verließ im selben Jahr Indien für immer.

Dalia und Kulsam
Franz Osten wurde 1876 als Franz Ostermayr in München geboren. Zusammen mit seinem jüngeren Brüder Peter Ostermayr (1882-1967) sammelte er erste Erfahrungen im Foto- und noch jungen Filmmetier im väterlichen Fotoatelier am Münchner Stachus, das die beiden Brüder schließlich übernahmen. (Der jüngste Bruder Ottmar Ostermayr (1886-1958) landete etwas später auch beim Film und wurde Produzent bzw. Produktionsleiter, und der Regisseur Paul May (08/15-Trilogie, SCOTLAND YARD JAGT DR. MABUSE) war der Sohn von Peter Ostermayr.) 1907 gründeten Franz und Peter das Wanderkino "Original-Physograph Company", für das sie auch schon selbst erste kurze Filme im Wochenschau-Stil drehten. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Filmlaufbahn der beiden älteren Ostermayr-Brüder, aber danach ging es erst richtig los. Peter Ostermayr hatte die Münchner Lichtspielkunst GmbH gegründet, die Anfang 1919 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Aus der gesprochenen Form der Abkürzung MLK ging der Name "Emelka" hervor. Peter kaufte im Vorort Geiselgasteig zwischen München und Grünwald ein großes Gelände, auf dem die Ateliers der Emelka errichtet wurden. Schnell wurde die Emelka eines der größten Filmstudios in Deutschland. Sie konnte zwar nicht ganz mit der UFA mithalten, aber zusammen mit Studios wie Tobis und Terra bildete sie die zweite Ebene. In den Zeiten der Hyperinflation (bis Ende 1923) konnte die Emelka sogar Großproduktionen von internationalem Format stemmen, wie den von Manfred Noa inszenierten NATHAN DER WEISE (1922) mit seinem Riesenheer an Komparsen. In ihrer ursprünglichen Form existierte die Emelka bis 1932, dann ging sie durch die Kosten, die die Umstellung ihrer Kinokette auf den Tonfilm verursachte, pleite, aber unter neuem Eigentümer und mit dem neuen Namen Bavaria Film AG wurde der Betrieb fortgesetzt. Unter den Nazis wurde die Bavaria von der UFA assimiliert, aber nach dem Krieg neu gegründet, und bekanntlich existiert die Bavaria Film an ihrer alten Stätte in Geiselgasteig bis heute.

Khurram und Selima werden langsam ein Paar
Franz, der sich nun Franz Osten nannte, war von Anfang an einer der Hausregisseure bei der Emelka, und seine Ganghofer-Verfilmung DER OCHSENKRIEG (1920) war der erste Film, der das neue Studio in Geiselgasteig verließ (wobei große Teile in der freien Natur gedreht wurden). (Peter Ostermayr als Produzent sollte später rund 20 weitere Ganghofer-Filme hervorbringen.) Als ihn der Ruf von Himansu Rai ereilte, hatte Osten schon ca. 25 Filme inszeniert, und weil er zwischen den indischen Stummfilmen auch wieder in der Heimat drehte, kam er insgesamt auf rund 35 Stummfilme in Deutschland. Dazu kamen zwischen 1931 und 1934 noch zehn Tonfilme, z.B. DER JUDAS VON TIROL mit Fritz Rasp und Rudolf Klein-Rogge sowie Camilla Spira und Marianne Hoppe. Während die drei indischen Stummfilme in der Mythologie oder in ferner Vergangenheit angesiedelt waren und somit keinen Anlass zu politischen Kontroversen bieten konnten, verschob sich bei Bombay Talkies der Fokus hin zu zeitgenössischen und auch potentiell heiklen Stoffen. So stellte Osten in einem seiner Filme in Form einer Liebesgeschichte das Kastenwesen in Frage.

Für Shiraz wird es eng
Leider ließ es sich Osten nicht nehmen, in den 30er Jahren in die NSDAP einzutreten (für das genaue Jahr habe ich die widersprüchlichen Angaben 1934 und 1936 gefunden). Ob das seine Arbeit bei Bombay Talkies irgendwie beeinflusst hat, scheint bisher kaum erforscht zu sein. Im Booklet der Blu-ray (s.u.) wird sogar die Frage, ob Himansu Rai und Devika Rani von der NSDAP-Mitgliedschaft wussten, als offen bezeichnet. Als dann 1939 der Krieg ausbrach, wurde Osten von den Briten festgenommen und zunächst interniert. Aber während die meisten Deutschen, die in Indien interniert waren, dort bis Kriegsende ausharren mussten, wurde Osten aufgrund seines Alters und seiner schon etwas angegriffenen Gesundheit 1940 nach Deutschland abgeschoben. Er sah Indien nicht wieder. Die Kriegsjahre verbrachte Osten als Leiter des Besetzungsbüros der Bavaria, und er arbeitete dort am Aufbau eines Filmarchivs. Nach dem Krieg ließ er den Film komplett hinter sich. Osten zog nach Bad Aibling und arbeitete dort als Kurdirektor. Als Osten 1956 in seinem Wohnort starb, war der Regisseur Franz Osten schon weitgehend vergessen, doch in den letzten 20 Jahren wurde er wiederentdeckt.

Mogul-Architektur - garantiert echt
Als Regisseur war Osten gewiss kein Visionär vom Rang eines Lang oder Murnau, aber er erweist sich als gediegener Handwerker, der das große Drama und menschliche Emotionen ebenso zu inszenieren wusste, wie er große Massen an Mensch und Getier souverän bewegen konnte. Zu Letzterem hatte er bei seinen indischen Stummfilmen reichlich Gelegenheit. Nach zeitgenössischen Berichten kamen bei SHIRAZ 50.000 Komparsen, 300 Kamele und sieben Elefanten zum Einsatz (die Zahl der Pferde ist anscheinend nicht überliefert, dürfte die der Kamele aber noch übertroffen haben). Selbst wenn die Zahlen übertrieben sein sollten - SHIRAZ protzt mit Schauwerten, ebenso wie DIE LEUCHTE ASIENS und dann vor allem SCHICKSALSWÜRFEL. Dazu dienen auch die vielen Originalschauplätze. Immer wieder bewegen sich die Darsteller sichtlich nicht in Kulissen aus Sperrholz und Pappmaché, sondern in den echten Forts, Palästen und Moscheen in Agra und anderswo in Indien. Ermöglicht wurde das alles nicht nur durch das Geld aus Deutschland und England, sondern vor allem durch die Unterstützung des damals noch jugendlichen und offenbar filmbegeisterten Maharajas von Jaipur (1925, als er bei DIE LEUCHTE ASIENS erstmals aushalf, war er erst 12 oder 13). Jaipur war eines jener vielen semi-autonomen Klientelfürstentümer, die innerhalb des anglo-indischen Kolonialreiches fortbestanden, und deren Herrscher erst in der unabhängigen Indischen Republik ihre Posten und Apanagen verloren. Jaipur hatte auch eine eigene Armee, und die stellte bei SHIRAZ einen Großteil der Komparserie und der Reittiere. Auch beim Zugang zu den historischen Baudenkmälern, selbst wenn sie nicht in seinem Herrschaftsbereich lagen, dürfte der Einfluss des Maharajas geholfen haben.

Der Kuss war für Indien 1928 gewagt
Seit der Jahrtausendwende wurden der Reihe nach DIE LEUCHTE ASIENS, SCHICKSALSWÜRFEL und zuletzt SHIRAZ restauriert und neu herausgebracht. (Auch DER OCHSENKRIEG wurde restauriert und war schon bei arte im Programm und in der Mediathek. Eine nicht restaurierte, leicht gekürzte Fassung ohne Musik findet man auf filmportal.de.) Die deutsche und die indische Version von SHIRAZ sind offenbar verloren, aber die englische hat in guter Kondition überlebt. Vom Kameranegativ und einem Positiv in den Beständen des British Film Institute (BFI) wurde vor einigen Jahren eine digitale Kopie in 4K erstellt und als DCP in ausgewählten Kinos und bei einigen Filmfestivals vorgeführt. Und das BFI hat diese Version als Blu-ray/DVD-Combo (mit zwei kurzen Bonus-Filmen) veröffentlicht. Die Musik für die neue Fassung schrieb Anoushka Shankar, die als Komponistin und Sitar-Spielerin schon längst aus dem Schatten ihres legendären Vaters Ravi Shankar hervorgetreten ist. Schon Ravi Shankar hatte auch Filmmusik geschrieben, z.B. für Satyajit Rays bahnbrechende Apu-Trilogie. Anoushka Shankars Score ist weitgehend indisch geprägt, aber europäische Orchesterinstrumente und Synthesizer kommen auch zum Einsatz. Das ergibt eine stimmige Mischung, die den Film gut unterstützt. Der Österreicher Artur Guttmann hatte die deutsche Premierenmusik für SHIRAZ geschrieben. Über den Verbleib der Partitur habe ich nichts gefunden - wahrscheinlich ist sie verschollen. Über die indische und englische Originalmusik konnte ich überhaupt keine Informationen finden. - In der Schweiz ist die Neuauflage von SHIRAZ bei trigon auf DVD erschienen. Die englischen Credits und Zwischentitel der BFI-Version wurden beibehalten, zusätzlich gibt es deutsche und französische Untertitel. Aber wenn man nicht auf die Untertitel angewiesen ist, hat beim Preis-Leistungs-Verhältnis die englische Ausgabe klar die Nase vorn.

Das Taj Mahal entsteht - zuerst als Modell, dann in echt

Hinten v.l.n.r. Henry Harris, Charu Roy, Franz Osten, unbekannt, Himansu Rai, Victor A. Peers, unbekannt,
Profulla Kumar, Emil Schünemann; vorne v.l.n.r. unbekannt, Seeta Devi, Maya Devi, Enakshi Rama Rau