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Samstag, 8. Februar 2014

Man müsste Klavier spielen können! Oder lieber doch nicht?

DIE 5000 FINGER DES DR. T. (THE 5,000 FINGERS OF DR. T.)
USA 1953
Regie: Roy Rowland, Stanley Kramer (uncredited)
Darsteller: Hans Conried (Dr. Terwilliker), Tommy Rettig (Bart), Peter Lind Hayes (Mr. Zabladowski), Mary Healy (Mrs. Collins)

Der Erzschurke und sein Widersacher
Der kleine Bart Collins wird von seiner verwitweten Mutter zum Klavier spielen angehalten, doch er hasst das Instrument, und insbesondere seinen Klavierlehrer Dr. Terwilliker. Als er eines Tages beim Üben eindöst, hat er einen Albtraum: Er befindet sich im festungsartigen, von elektrischem Stacheldraht umgebenen Terwilliker-Institut, und der im echten Leben zwar unsympathische, aber sonst normale Dr. Terwilliker ist zu einem Superschurken geworden, zu einer Mischung aus Musiker und Mad Scientist - sozusagen ein Mad Pianist. Sein teuflischer Plan ist es, dem Klavier zur uneingeschränkten musikalischen Weltherrschaft zu verhelfen, mit sich selbst als obersten Maestro. Zu diesem Zweck lässt er alle Musiker, die ein anderes Instrument als Klavier spielen, einfangen und im großen mehrstöckigen Verlies unter dem Institut einkerkern. In der geräumigen Haupthalle des Instituts hat Dr. Terwilliker ein riesiges, bandwurmartig gewundenes Klavier errichten lassen. Als Höhepunkt des dämonischen Plans lässt er 500 Jungen entführen, die bei der in Kürze stattfindenden offiziellen Eröffnung des Terwilliker-Instituts alle zusammen (mithin mit 5000 Fingern) ein natürlich vom Doktor selbst komponiertes Stück zur Aufführung bringen sollen - und Bart ist einer von ihnen. Als ob das noch nicht reichen würde, fungiert seine unter hypnotischem Zwang stehende Mutter als Terwillikers Assistentin, und der Schurke hat auch noch angekündigt, sie demnächst zu heiraten.

Das Bandwurm-Klavier: Nur mit Bart, und voll besetzt
Doch Bart ergibt sich nicht in sein Schicksal. Statt sich in die ihm zugewiesene Zelle zu begeben, entflieht er in die labyrinthischen Gänge des Instituts. Der einzige, der ihm jetzt helfen könnte, ist der sympathische Klempner August Zabladowski, der gerade dabei ist, die Sanitäranlagen des Instituts zu installieren. Doch Zabladowski glaubt Barts Beteuerungen nicht - bis er erfährt, dass er selbst nach Abschluss der Installationsarbeiten in Dr. Terwillikers Desintegrator aufgelöst werden soll. Nach dem Vorbild eines Geruchsabsorbers (den sie im Verlies zur Luftverbesserung einsetzen) konstruieren die beiden einen Musikabsorber, der alle musikalischen Klänge aus der Luft in sich aufsaugt und somit unhörbar macht. So gelingt es, das Zwangskonzert zu sabotieren und Dr. Terwilliker in die Kapitulation zu treiben. Doch der Musikabsorber ist, dem Zeitalter entsprechend, atomic, und er beginnt, verdächtig zu qualmen und Funken zu sprühen ...

Klingonen auf dem Schirm? Nein, das ist nur das Terwilliker-Institut, nicht die Enterprise
THE 5,000 FINGERS OF DR. T. ist ein ziemlich schräges, fantasievolles und surreales Musical. Die Vorlage und die Liedtexte stammen von dem in den USA ungemein populären Kinderbuchautor "Dr. Seuss" (Theodor Seuss Geisel), dessen bei uns bekannteste Kreation der "Grinch" ist. Zusammen mit Allan Scott, der vor allem durch seine Bücher für etliche Fred-Astaire-Filme in Erinnerung geblieben ist, schrieb Dr. Seuss auch das Drehbuch. Die Musik stammt im Wesentlichen von Friedrich Hollaender, aber Heinz Roemheld und Hans Salter trugen auch etwas dazu bei. Weil Regisseur Roy Rowland krank wurde, hat Produzent Stanley Kramer, bekanntlich selbst ein Regisseur von Filmen wie FLUCHT IN KETTEN oder DAS URTEIL VON NÜRNBERG, einen Teil der Szenen gedreht. Dr. Seuss soll sogar behauptet haben, dass das meiste von Kramer inszeniert wurde. Ihren Teil zum Charme des Films tragen die zwar billigen, aber fantasiereichen Kulissen bei. Manche Sets wirken wie eine Disneyland-Version von Dr. Caligaris Cabinet, andere wie eine Reminiszenz an FLASH GORDON (oder ein Vorgriff auf STAR TREK), und auch die Kostüme sind dazu passend gestaltet. Ein erfahrener Routinier war der aus Böhmen stammende Kameramann Franz Planer, der schon vor seiner Emigration in Österreich und Deutschland bekannte Filme wie SODOM UND GOMORRHA, DIE FINANZEN DES GROSSHERZOGS und DIE DREI VON DER TANKSTELLE gedreht hatte. In Hollywood arbeitete er mit Regisseuren wie Ophüls, Siodmak, Litvak, Wyler, Dmytryk, Zinnemann und Huston.


Tommy Rettig war 1953 schon ein gefragter Kinderstar, aber richtig berühmt wurde er erst, als er 1954-57 in den ersten drei Saisonen die menschliche Hauptrolle in LASSIE spielte. Als er im Erwachsenenalter seine Karriere nicht fortsetzen konnte, geriet er vorübergehend in Turbulenzen, aber in späteren Jahren war er ein erfolgreicher Softwareentwickler (u.a. an dBASE, Clipper und FoxPro beteiligt). Seine Lieder in THE 5,000 FINGERS OF DR. T. singt Rettig nicht selbst, sondern er wird von Tony Butala synchronisiert, der als Erwachsener eine Sangeskarriere bei den Lettermen verfolgte. Hans Conried, in Baltimore geborener Sohn eines jüdischen Emigranten aus Wien, war ein vielbeschäftigter Film- und Fernsehschauspieler. Er stand zwar meist nur in der zweiten oder dritten Reihe, dafür verschafften ihm seine stimmlichen Qualitäten auch zahllose Engagements als Sprecher im Radio und bei Animationsfilmen. Die Chance, die sich ihm als Dr. Terwilliker bot, nutzte er mit sichtlicher Spielfreude. Mit seiner exaltierten Darstellung hat er mich etwas an Vincent Price erinnert. Mary Healy und Peter Lind Hayes, die in THE 5,000 FINGERS OF DR. T. wie füreinander geschaffen sind, waren im wirklichen Leben tatsächlich miteinander verheiratet. Anfang der 60er Jahre spielten die beiden die Titelrollen in der Sitcom PETER LOVES MARY, und auch sonst traten sie in ihrer langen Karriere oft gemeinsam auf. Auch ihre Biografie schrieben die beiden gemeinsam.


THE 5,000 FINGERS OF DR. T. war bei Publikum und Kritik ein grandioser Flop, und selbst Dr. Seuss hat den Film als "debaculous fiasco" bezeichnet, und in seiner offiziellen Biografie wird er vornehm verschwiegen. Dabei hat er das überhaupt nicht verdient. Zwar reissen einen nicht alle Musiknummern vom Hocker (zumindest mich nicht), aber als Gesamtpaket sind die 5000 FINGER ein sehr unterhaltsamer Spaß, der sich im Lauf der Jahre eine gewisse Fangemeinde erobert hat. Nach der mißlungenen Premiere wurde der Film um ungefähr eine Viertelstunde auf 89 Minuten gekürzt. Diese gekürzte Version ist u.a. in den USA, Spanien und Frankreich auf DVD erhältlich. Eine in privater Initiative erstellte vorläufige restaurierte Fassung von 102 Minuten kann man hier auf YouTube ansehen. Zur Einstimmung hier der Trailer.

Keine Angst, das ist nur der Liftboy im Fahrstuhl zum Verlies