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Freitag, 19. Juli 2019

BORN OF FIRE - wenn der Teufel Flöte spielt

BORN OF FIRE (DIE MACHT DES FEUERS)
Großbritannien 1987
Regie: Jamil Dehlavi
Darsteller: Peter Firth (Paul Bergson), Suzan Crowley (die Frau), Stefan Kalipha (Bilal), Oh-Tee (= Orla Thorkild Pedersen, Master Musician), Nabil Shaban (der Stumme), Jean Ainslie (Pauls Mutter)

Im Rhythmus der Musik ist ein Geheimnis verborgen. Wenn ich es preisgeben würde, würde es die Welt zum Umsturz bringen. (Jalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī)

Mit diesem Zitat des persischen Dichters und Mystikers aus dem 13. Jahrhundert (in Form einer Einblendung) beginnt BORN OF FIRE, und das mit dem Umsturz der Welt, um nicht zu sagen Untergang derselben, nimmt der Film durchaus ernst. Denn kein Geringerer als der Teufel persönlich bläst hier die Flöte, und zwar nicht zur Erbauung seiner Zuhörer.

Der Master Musician - seine Attribute sind Flöte und Feuer
Doch nach dem Vorspann beginnt es in England, fernab vom eigentlichen Ort der Handlung, mit profaneren Flötentönen: Der berufsmäßige Flötist Paul Bergson gibt ein Konzert (Peter Firth wird musikalisch gedoubelt vom nordirischen Virtuosen James Galway). Doch mitten beim Spiel überfallen ihn merkwürdige akustische und visuelle Visionen, er meint, eine orientalische Flöte zu hören, und muss das Konzert abbrechen. Zuvor hatte eine Astronomin, deren Namen man nie erfährt (in den Credits ist sie "the woman"), bei einer Sonnenfinsternis Merkwürdiges beobachtet: Der Mond, der sich vor die Sonne schob, sah plötzlich wie ein Totenkopf aus, und die Messgeräte zeichnen merkwürdige Veränderungen der Sonne auf, die mit einem Vulkanausbruch in Anatolien zusammenzuhängen scheinen - und dabei hörte sie dieselben Flötentöne wie Paul. Sie sucht ihn auf, und Pauls Mutter, die im Sterben liegt, scheint sie wiederzuerkennen. Es gibt offenbar irgendeine mysteriöse Verbindung zwischen Paul und der Frau, obwohl sie sich bisher nicht kannten. Vor ihrem Tod murmelt Pauls Mutter etwas kaum Verständliches über einen "Master Musician". Gemeinsam kommen Paul und die Frau zu der Überzeugung, dass der Schlüssel für die seltsamen Vorgänge in Kappadokien im Herzen der Türkei liegen muss. Dort kannte Pauls schon lange toter Vater, ebenfalls ein begnadeter Flötist, einen Master Musician, war sogar kurz sein Schüler - und ist dort kurz darauf auf bizarre Weise beim Flötenspiel verbrannt. Und genau dort ist nun der Vulkan Erciyes ausgebrochen (in Wirklichkeit ruht dieser über 3900 m hohe eindrucksvolle Vulkan schon seit langer Zeit).

Bizarre Architektur in Kappadokien
Die Sonne liefert immer noch ungewöhnliche Spektrallinien, und die Astronomin will den Ursachen auf den Grund gehen. Doch ihr Antrag auf eine Dienstreise nach Anatolien wird von ihrem Chef brüsk abgewiesen (die Sonne als Hauptreihenstern ist per se stabil, basta!), und so nimmt sie Urlaub, um auf eigene Rechnung hinzufahren. Dort, in der Nähe des Erciyes, läuft sie Paul über den Weg, der schon da ist und nun den Master Musician sucht. Hier in Kappadokien spielt nun der Hauptteil des Films. Gleich bei seiner Ankunft hätte Paul fast eine seltsame, schwarz verschleierte Frau über den Haufen gefahren. Man erkennt sie nicht auf Anhieb, aber auch sie wird wie die Astronomin von Suzan Crowley gespielt - sie ist auf irgendeine Art eine weitere Inkarnation von the woman. Die lokale Bevölkerung wirkt auf Paul abweisend und versteht ihn wohl auch überhaupt nicht (er kann ja nicht Türkisch), nur einer spricht Englisch, und er wird zum unersetzlichen Führer für die beiden Engländer: Bilal, der örtliche Muezzin und Imam. Er kannte schon Pauls Vater, und er weiß über den Master Musician Bescheid. Zu Pauls Verblüffung erklärt Bilal, dass die seltsame Frau auf der Straße ein Djinn, ein aus Feuer geschaffener Geist, gewesen sei. Noch eine ungewöhnliche Begegnung hat Paul: Mit einem stark verkrüppelten, kleinwüchsigen und sprachlosen Mann, der von allen nur "der Stumme" genannt wird.

Die beiden Inkarnationen der Frau; unten Getier in Großaufnahme
Paul hat auch Visionen von der verhüllten Frau, also dem Djinn, wie sie von einer Gruppe von Derwischen gesteinigt wird, und Bilal klärt ihn auf: Als die Frau noch ein Wesen aus Fleisch und Blut war, wurde sie vom Master Musician Pauls Vater zugeführt, der sie geheiratet hat. Kurz danach starben mehrere Kinder im Dorf, und die Frau wurde dafür verantwortlich gehalten, und so wurde sie von den Derwischen, die unter dem Einfluss des Master Musician stehen, zu Tode gesteinigt. Doch zuvor hatte sie noch ein missgestaltetes Kind zur Welt gebracht - keinen anderen als den Stummen, der also Pauls Halbbruder ist. Wie Bilal weiter erklärt, ist der Master Musician durch sein Flötenspiel der Herr des Feuers, und er ist gerade dabei, seine Herrschaft auszuweiten und die Welt in ihrer bisherigen Form zu vernichten - der Vulkanausbruch und die Vorgänge in der Sonne sind die ersten Anzeichen. Es gibt nur einen Weg, das Unheil abzuwenden - Paul muss den Master Musician in einem epischen Flötenduell besiegen und ihn damit vernichten. Freilich braucht er dazu eine innere Stärke, die er momentan noch nicht besitzt, und die auch seinem Vater abging, so dass er sein Duell verlor und vom Master Musician in seinem magischen Feuer geröstet wurde. Während Paul also von Bilal an seine große Aufgabe herangeführt wird, entwickelt sich die Frau zunehmend ambivalent. Es kommt ihr vor, als sei sie früher schon hier gewesen und kenne alles, und die anfangs sachliche, wenn auch sensible und empathische Wissenschaftlerin wirkt nun zunehmend animalisch und verhält sich befremdlich. Es wirkt, als hätte der Djinn, die andere Inkarnation von the woman, einen Teil ihrer Persönlichkeit übernommen, und als würde der Master Musician Einfluss auf sie gewinnen. Das kulminiert darin, dass sie auf mysteriöse Weise im Schnelldurchgang hochschwanger wird - und in den Wehen qualvoll stirbt, nachdem sie zuvor ein monströses lebendes Etwas in der Höhle des Master Musician abgelegt hat.

Bilal bereitet Paul auf seine Aufgabe vor; r.u. der Stumme
Während dieser Geschehnisse hat schon mehrfach der Master Musician eingegriffen, der wie ein uralter Dämon nackt in einer riesigen Tropfsteinhöhle im Berg haust (die freilich vom Feuer und nicht vom Wasser dominiert wird). Er weiß längst um die Anwesenheit der beiden Fremden und kennt ihre Absichten, er stößt bei Gelegenheit einen Feuerstrahl aus, und er faucht, aber er spricht kein einziges Wort. Wer oder was ist nun dieser Master Musician eigentlich? Man könnte zunächst an einen Dämon Lovecraft'scher Provenienz denken, doch eine Stelle aus der 15. Sure des Koran, aus der Bilal am Ende des Films in seiner Eigenschaft als Muezzin rezitiert, legt nahe, dass es sich um Iblis persönlich handelt, die islamische Variante das Satans. Nachdem Paul letzte Instruktionen von Bilal erhalten hat, ist er nun zum Duell bereit - und er erweist sich als der bessere Flötist (was genau das in diesem Kontext auch heißen mag), außerdem wird er von einem von Wasser umgebenen Steinkreis geschützt, und der Stumme unterstützt ihn mit einer Art von körperbetontem Gebet. Jedenfalls gewinnt Paul das Duell, die Höhle des Master Musician wird von hereinbrechenden Wassermassen geflutet, und der Erzdämon ertrinkt darin. Die Welt ist gerettet, Bilal ruft in seiner Moschee zum Gebet, und die lange aus dem Film verschwundenen Dorfbewohner tauchen wieder auf. Doch ist der Master Musician wirklich vernichtet? Eine der letzten Szenen des Films weckt Zweifel. Vielleicht geht der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen der von Allah gegebenen Ordnung und seinem Widersacher, nur in eine neue Runde, vielleicht wird er nie enden ...

Derwische - hier in der Realität nicht in Kappadokien, sondern auf dem Nemrut Dağı, und r.u. in Pamukkale
BORN OF FIRE ist ein visuell sehr beeindruckender Horrorfilm mit vielen bizarr-surrealen Sequenzen, der von der Gedankenwelt der islamischen Mystik zehrt - schon allein das macht ihn in der Welt des westlichen Horrorfilm zu einem ungewöhnlichen Exemplar. Immer wieder wird eine beklemmende Atmosphäre kreiert, indem die Aktionen der Menschen und übernatürlichen Wesen mit Zwischenschnitten auf negativ konnotiertes Getier (Schlangen, Echsen, Insekten etc.) in teilweiser extremer Großaufnahme angereichert werden. Höhepunkt in dieser Hinsicht ist die Wehen- und Sterbeszene der Frau, zu der in Parallelmontage das von ihr in der Höhle abgelegte Wesen, eine Art von übergroßem verpupptem Insekt, sich aus seiner Hülle freiknabbert und den sehr unangenehmen Eindruck erweckt, als würde die Frau selbst von innen her angeknabbert und daran sterben. Diese grandiose Szene hat mich ein bisschen an ALIEN und auch an den Schluss von ERASERHEAD erinnert. Unterstützt werden diese und weitere beklemmende Sequenzen vom dichten Soundtrack des englischen Komponisten Colin Towns, der ohne vordergründige Schockmomente sehr gekonnt die unheimliche Atmosphäre unterstützt bzw. selbst aufbaut. Erwähnt sei noch, dass die orientalische Nay-Flöte im Film vom türkischen Komponisten und Flötisten Kudsi Ergüner gespielt wird - James Galway hatte ich ja bereits erwähnt.


Die größte Stärke von BORN OF FIRE, dessen türkischer Teil vor Ort an echten Schauplätzen in der Türkei (und dort nicht nur in Kappadokien, sondern über halb Anatolien verteilt) gedreht wurde, ist für mich die organische Einbindung dieser teilweise grandiosen Schauplätze in die Handlung. Byzantinische, wenn nicht gar frühchristliche Kirchen und Fresken, kappadokische Höhlen- und geradezu bizarre Tuffkegelarchitektur, die kolossalen Statuenfragmente auf dem Nemrut Dağı, und vor allem die berühmten weißen Kalksinterterrassen von Pamukkale - all das und noch mehr ist zwanglos und überaus wirkungsvoll integriert. Auch die Bilder vom Vulkanausbruch sind kein Archivmaterial, sondern wurden eigens für den Film gedreht, allerdings nicht in der Türkei, sondern auf Réunion (mehr darüber an anderer Stelle).

Die Frau ist tot, und der Stumme trauert um sie
Der 1944 im damaligen Kalkutta geborene Jamil Dehlavi ist der Sohn eines pakistanischen Diplomaten und einer Französin, und er ist aufgrund des Berufs seines Vater schon früh weit herumgekommen, hat exquisite Schulen und Universitäten besucht und spricht fünf Sprachen. Nach einem in New York gedrehten Kurzfilm folgte 1975 der mittellange, in Pakistan gedrehte TOWERS OF SILENCE, und 1977 drehte er ebenfalls in Pakistan THE BLOOD OF HUSSEIN, in dem die Geschichte des von den Schiiten verehrten Prophetenenkels Hussein in die Gegenwart versetzt und mit einer Militärdiktatur verquickt wird. Zwar war das laut Aussage von Dehlavi auf einem allgemein-abstraktem Niveau gemeint und nicht auf Pakistan gemünzt, aber dem Militär im Land gefiel das gar nicht, und obwohl der Film von einer staatlichen pakistanischen Filmagentur gefördert worden war, wurde er von der Zensur verboten, bevor er überhaupt fertiggestellt war. Und kurz nach Abschluss der Dreharbeiten putschte auch noch das Militär, und General Zia-ul-Haq übernahm die Macht. Jetzt wurde auch noch Dehlavis Reisepass eingezogen, und er erhielt Berufsverbot im Filmgeschäft. Zum Glück hatte er das Negativ von THE BLOOD OF HUSSEIN bereits zur Entwicklung nach London geschickt, sonst wäre es wohl vernichtet worden. Zwar hätte Dehlavi auf Schleichwegen das Land verlassen können, wie er selbst meint, aber aus Rücksicht auf seine Mutter und auf seinen Bruder, der wie der Vater im diplomatischen Dienst stand, hielt er aus und hielt sich mit Werbeclips für das Fernsehen über Wasser. Aber nach zwei Jahren hatte er dann doch genug, entwich über den Khyberpass nach Afghanistan und flog von dort nach Europa.

Das finale Duell kann beginnen
Als erstes nahm er nun in London die Endfertigung von THE BLOOD OF HUSSEIN in Angriff. Der Film hatte 1980 in Cannes Premiere, und ironischerweise musste ausgerechnet Dehlavis Bruder, damals Geschäftsträger in Paris, auf Geheiß seiner Regierung gegen die Vorführung protestieren, freilich ohne Erfolg. THE BLOOD OF HUSSEIN gewann auf einigen Festivals Preise, wie fast alle anderen Filme Dehlavis auch. Dehlavi lebte und arbeitete nun vorwiegend in England. Ein Verantwortlicher beim damals noch jungen und experimentierfreudigen Fernsehsender Channel 4 mochte THE BLOOD OF HUSSEIN, und der Sender übernahm die Finanzierung von BORN OF FIRE, Dehlavis nächstem Film, und strahlte ihn 1988 auch auf einem prominenten Sendeplatz aus, nachdem er zuvor schon eine Kinoauswertung im Königreich und einigen anderen Ländern erlebt hatte. Auch BORN OF FIRE hatte Erfolg auf Festivals, aber die Kritiken in England waren eher durchwachsen. Manch einer fand den Film unverständlich. In der Tat, wer bei einem Horrorfilm (oder einem Film überhaupt) Wert auf Logik und eine durchgehend verständliche Handlung legt, wird mit BORN OF FIRE nicht so recht glücklich werden. Wer dagegen einen vorwiegend visuell erzählten surrealen Albtraum zu schätzen weiß, der ist hier genau richtig. Ich kenne keinen weiteren der Filme von Dehlavi und kann deshalb keine allgemeinen Angaben zu seinem Stil und Eigenheiten machen. Immerhin erfährt man von Nabil Shaban und Colin Towns auf der Blu-ray (s.u.), dass er sich bei den Dreharbeiten in der Türkei von den Gegebenheiten vor Ort inspirieren ließ, statt starr am Drehbuch zu kleben, und dass er immer offen für Änderungsvorschläge der anderen Mitwirkenden war.

Jamil Dehlavi 2018 beim Interview
BORN OF FIRE erschien Ende der 80er Jahre auf VHS und Laserdisc, so dass er in den einschlägigen Fankreisen nicht in Vergessenheit geriet, und vor ca. zehn Jahren in den USA auf DVD. 2018 veranstaltete das British Film Institute eine große Dehlavi-Retrospektive, bei der man wohl erstmals sein Werk in der Gesamtschau überblicken konnte. Ebenfalls 2018 erschien in England BORN OF FIRE auf einer Blu-ray mit vorzüglichem Bonusmaterial. Wer Interesse hat, sollte sich sputen, denn diese Edition ist auf 3000 Exemplare limitiert - noch sind die Preise im normalen Bereich. - Noch mehr über Dehlavi und seine Filme mit kurzen Ausschnitten gibt es hier. - Leider ist es mir nicht gelungen, direkt vom Film auf der Blu-ray Screenshots anzufertigen. Die Industrie in ihrer nicht enden wollenden Weisheit hat da einen zusätzlichen Schutzmechanismus implementiert, der mir bisher bei Blu-rays noch nicht begegnet ist. Zum Glück wurde wenigstens beim Bonusmaterial auf diesen Unsinn verzichtet, und in den Interviews mit Dehlavi, Nabil Shaban, Peter Firth und Colin Towns wurden auch Ausschnitte aus dem Film untergebracht, so dass es hier doch noch Screenshots gibt, wenn auch nicht in der Auswahl und Qualität, die mir vorschwebte.