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Dienstag, 16. April 2019

Film noir trifft Eiskunstlauf trifft Salvador Dalí

SUSPENSE (EIN GEFÄHRLICHER RIVALE, auch DER TODESREIFEN)
USA 1946
Regie: Frank Tuttle
Darsteller: Belita (Roberta Elva), Barry Sullivan (Joe Morgan), Albert Dekker (Frank Leonard), Eugene Pallette (Harry Wheeler), Bonita Granville (Ronnie), George E. Stone (Max), Edit Angold (Nora)


Um es vorwegzunehmen: Salvador Dalí hat sich an diesem Film nicht beteiligt, anders als etwa an Hitchcocks SPELLBOUND, der im Jahr zuvor entstand. Es gibt hier nur eine Dekoration, die offensichtlich von den Werken des surrealistischen Großmeisters inspiriert ist. Da es sich dabei um die Kulisse einer Eislaufrevue handelt, kommt der Film auch ohne Traumsequenzen und dergleichen aus. - Der abgerissene Herumtreiber Joe Morgan kommt aus New York nach Los Angeles und sucht einen Job. Er bekommt einen als Erdnussverkäufer in der besagten Eisrevue in einem Vergnügungspark, die Frank Leonard gehört. Dieser ist ein feiner Pinkel, aber nicht unsympathisch. Star der Show ist die blonde Eisläuferin Roberta Elva, die zugleich Leonards Frau ist. Joe hat eine Idee, wie man die Show noch etwas aufpeppen kann: Roberta Elva springt nun nicht mehr durch einen mit Papier bespannten Reifen, sondern durch einen, der mit langen schwertähnlichen Messern besetzt ist - der "Todesreifen", der dem Film einen seiner beiden deutschen Titel gab. Frank Leonard ist von Joes Initiative angetan und befördert ihn zum Assistenten seiner rechten Hand Harry Wheeler. Der selbstbewusste Joe hat zuvor schon ein Auge auf Roberta Elva geworfen, und nun macht er sich verstärkt an sie heran - zunächst mit wenig Erfolg. Frank ahnt nichts davon, und er befördert Joe sogar erneut, zu seinem Stellvertreter, während er selbst für eine Woche in Chicago ist, um eine weitere Eishalle zu kaufen. Joe ergreift bei Roberta wieder die Initiative, wird dabei aber von seiner Verflossenen Ronnie gestört, die überraschend auftaucht und Ansprüche auf ihn geltend macht.

Frank Leonard (l.o.), Joe Morgan (r.o.), Roberta Elva und Harry Wheeler
Nach seiner Rückkehr aus Chicago schließt Frank spontan die Show für ein paar Tage, um mit Roberta einen Kurzurlaub in seiner luxuriösen Jagdhütte (die mehr eine Bergvilla ist) in der Sierra Nevada zu machen. Doch Joe lässt sich nicht abhängen. Unter einem Vorwand fährt er hinterher, und weil es bei seiner Ankunft schon spät ist und schneit, wird er von Frank zum Übernachten eingeladen. Aber Joe überreizt seine Karten. Als er in einem scheinbar unbeobachteten Moment Roberta küsst, werden sie von Frank belauscht, und der holt am nächsten Morgen zum Gegenschlag aus. Mit einem großkalibrigen Gewehr mit Zielfernrohr macht er sich auf in den Bergwald, um Joe aus der Ferne zu erschießen. Doch der Schuss geht nach hinten los: Frank schießt nicht nur daneben, der Schuss löst auch eine Lawine aus. Drei Einheimische finden nur noch das Gewehr und Franks Mütze, er selbst bleibt verschwunden. Offenbar ist er unter meterhohem Schnee begraben, und die Leiche wird erst im Frühjahr nach der Schneeschmelze auftauchen.

Revue auf dem Eis, und Roberta Elva ist der Star
Oder etwa doch nicht? Da erst etwas mehr als die Hälfte des Films vorbei ist, ahnt man gleich, dass da noch etwas nachkommt. Und tatsächlich, zurück in LA mehren sich die Hinweise, dass Frank noch lebt und etwas im Schilde führt - sowohl Joe als auch Roberta meinen gelegentlich, ihn in der Nähe zu spüren. Nur widerstrebend wird Roberta nun Joes Geliebte, aber glücklich werden die beiden nicht - die Spannung zerrt an den Nerven und zermürbt sie. Obendrein nervt Ronnie, die mit Hilfe des Schießbudenbesitzers Max herausfindet, warum Joe New York überstürzt verlassen hat, und ihn damit unter Druck setzen will. Der einzige, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, ist Harry Wheeler - er nimmt es gelassen, dass Joe jetzt sein Boss ist. Und eines Nachts ist es dann soweit: Frank taucht in Joes Büro auf, das früher sein eigenes war, und es kommt zum tödlichen Showdown der beiden Rivalen - und auch Roberta droht durch das in böser Absicht manipulierte Todesrad Unheil ...

Ronnie taucht auf, doch dann fährt Joe in die Berge (das schwere Gewehr
an der Wand wird am nächsten Morgen fehlen)
SUSPENSE ist ein Film noir, dessen Handlung sich weitgehend in bekannten Bahnen bewegt. Vor allem gibt es augenfällige Parallelen zum drei Monate früher erschienenen GILDA mit Rita Hayworth als der ikonischen Titelfigur und Glenn Ford als ihrem Liebhaber, und auch mit weiteren Werken des Genres wie dem sechs Wochen vor SUSPENSE erschienenem THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE bestehen Ähnlichkeiten. Da SUSPENSE schon im Herbst/Winter 1945 gefilmt wurde, praktisch parallel zu GILDA, muss man keinen direkten Einfluss der genannten Filme unterstellen, aber durch besondere Originalität oder Innovationskraft zeichnet sich das von Philip Yordan geschriebene Drehbuch jedenfalls nicht aus. Einziges Alleinstellungsmerkmal ist die Integrierung des Eisrevue-Milieus einschließlich vier recht ausgiebig dargebotener Nummern, über den Film verteilt. Philip Yordan hat eine lange und durchaus beeindruckende Liste von Credits vorzuweisen, doch nicht überall, wo "Philip Yordan" draufsteht, ist auch Philip Yordan drin. Denn während der McCarthy-Ära hat er als Strohmann seinen Namen für Drehbuchautoren auf der Schwarzen Liste zur Verfügung gestellt. Das wurde ihm nicht nur positiv ausgelegt - gelegentlich warf man ihm vor, er habe die Kreativität anderer ausgenutzt, um selbst Geld und Ruhm einzukassieren. Wer mehr über ihn erfahren möchte, dem sei dieser ausführliche Artikel über ihn empfohlen. Wie immer man Yordan beurteilen mag - die antikommunistische Hexenjagd in Hollywood begann erst 1947, SUSPENSE hat er also selbst geschrieben.

Der Mordanschlag
Produziert haben den Film die Brüder Frank und Maurice King für Monogram, ein Studio aus der Poverty Row von Hollywood. Doch es war ein ambitionierter Film - mit Kosten von gut einer Million Dollar der bis dahin teuerste von Monogram. Für ein Studio aus der dritten Reihe ist SUSPENSE mit 101 Minuten auch relativ lang, aber wie schon erwähnt, sind darin auch vier Eislaufnummern enthalten. Diese sind durchaus ansprechend gefilmt, nicht statisch vom Rand des Eisfelds aus, sondern die Kamera ist teilweise nah dran an Belita und den anderen Eisläufern und folgt ihnen dynamisch. "Belita" war der Künstlername der britischen Eiskunstläuferin (Olympiateilnehmerin 1936 auf Rang 16) Maria Belita Jepson-Turner (1923-2005), nachdem sie ins Schauspielfach gewechselt war. Darin folgte sie ihrer elf Jahre älteren norwegischen Kollegin Sonja Henie, die freilich sowohl sportlich als auch in Hollywood deutlich erfolgreicher war. Doch für einige Jahre hatte auch Belita Erfolg, und in SUSPENSE macht sie ihre Sache nicht schlecht. Nicht dass sie bleibende Glanzpunkte wie eine Rita Hayworth, Lauren Bacall oder Barbara Stanwyck setzen würde, aber schlechter als viele "gelernte" Schauspielerinnen war sie auch nicht. Und auf dem Eis war sie in Hollywood abgesehen von Henie sowieso ohne Konkurrenz.

Typisch Noir
Barry Sullivan als Joe kann dagegen weniger überzeugen. Nicht dass er richtig schlecht wäre, aber es fehlt schon ein bisschen an Präsenz. Ein zweiter Glenn Ford war er jedenfalls nicht, und ein Bogart oder Mitchum erst recht nicht. Allerdings bleibt Joe als Charakter auch etwas flach. Anders als in GILDA gibt es in SUSPENSE übrigens keinerlei homoerotischen Subtext zwischen den beiden männlichen Protagonisten. Nicht dass das notwendig gewesen wäre, aber irgendwie hätte man die Beziehung zwischen Joe und Frank schon noch interessanter machen können. So hat man es eher mit den zwei Beziehungen Joe - Roberta und Roberta - Frank als mit einer echten Dreiecksgeschichte zu tun. - Eugene Pallette als Harry Wheeler spielte in SUSPENSE seine letzte Rolle. Man muss diesen extremen Hollywood-Rechtsaußen nicht mögen, aber schauspielerisch wusste er durchaus zu überzeugen. Und gelegentlich fragt man sich, ob er seinen Spitznamen "Ochsenfrosch" (bullfrog) eigentlich seinem gedrungenen Körperbau oder seiner krächzenden Stimme verdankte.

Noch mehr Noir
Regisseur Frank Tuttle hat zwischen 1922 und 1959 ungefähr 75 Filme aus verschiedenen Genres gedreht, aber der Film noir gehörte zu seinen Spezialitäten. Hierzulande erfuhr er vor einigen Jahren einen gewissen Bekanntheitsschub, als mit THIS GUN FOR HIRE (DIE NARBENHAND) einer seiner bekanntesten Filme auf DVD erschien. Tuttle trat 1937 der Kommunistischen Partei Amerikas bei, und als 1947 die antikommunistischen HUAC-Hearings gegen Hollywood begannen, war seine Karriere so gut wie vorbei. Ähnlich wie Elia Kazan und Edward Dmytryk sagte Tuttle 1951 bei der zweiten HUAC-Runde aus und denunzierte Kollegen als Kommunisten - nicht weniger als 36 Namen soll er genannt haben. Trotzdem konnte er danach nur noch vier Spielfilme drehen. - Die größte Stärke von SUSPENSE ist die Kamera, die, wie man es von einem Film noir erwartet, gekonnt mit Licht und harten Schatten arbeitet. Kameramann Karl Struss war 1946 schon eine lebende Legende unter Hollywoods Kameraleuten. Seit 1919 beim Film, hatte er 1929 gemeinsam mit Charles Rosher den ersten Kamera-Oscar überhaupt erhalten (für Murnaus SUNRISE). Struss war kein ausgewiesener Noir-Spezialist, aber bei SUSPENSE braucht er sich hinter Genre-Größen wie John Alton nicht zu verstecken. - Und wer hat nun eigentlich den dalíesken Totenkopf entworfen, der bei der Nummer mit dem Todesreifen zum Einsatz kommt? Für Art Direction war ein Frank Paul Sylos zuständig, und für Set Decorations ein George James Hopkins - einer dieser beiden wird es wohl gewesen sein.

Der Todesreifen wirft seinen Schatten auf Roberta - ein schlechtes Omen?
Falls Monogram mit SUSPENSE von der dritten in die zweite Liga der Filmstudios aufsteigen wollte, so ist das misslungen. Die Einnahmen waren gut, aber nicht so, dass beim Studio gleich der Reichtum ausbrach. Und Prestige und Renommee brachte SUSPENSE auch nicht, denn die Kritiken waren eher mäßig bis schlecht. So schrieb etwa Bosley Crowther, der damalige Kritikerpapst der New York Times, einen bösen Verriss. Aber das kann uns Nachgeborenen ja egal sein - einen Blick ist SUSPENSE heute schon wert. - SUSPENSE ist (unter seinem Originaltitel) in Spanien auf DVD erschienen. Die Bildqualität ist gut, und es gibt ein Booklet mit einem achtseitigen Text über den Film, freilich nur auf Spanisch, das ich nicht beherrsche - aber das macht jedenfalls einen seriösen Eindruck. In den USA ist SUSPENSE ganz ohne Bonusmaterial auf einer DVD-R der Warner Archive Collection erschienen.

Der Sprung durch den Todesreifen