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Montag, 4. Juli 2011

Her mit der deutschen DVD! - die Siebente

Unsere kleine Stadt
(Our Town, USA 1940)

Regie: Sam Wood
Darsteller: William Holden, Martha Scott, Frank Craven, Beulah Bondi, Thomas Mitchell, Guy Kibbiee, Fay Bainter u.a.

Das amerikanische Drama stieg erst im 20. Jahrhundert zu internationaler Bedeutung auf. Eugene O’Neill gilt als die entscheidende Figur, die es in der ersten Jahrhunderthälfte prägte. Nicht weit hinter ihm steht jener Autor, der das wohl populärste und weltweit am meisten gespielte amerikanische Bühnenstück schrieb: Thornton Wilder. “Our Town”, im fiktionalen Crover’s Corners, New Hampshire, der Jahrhundertwende angesiedelt, schien sich zwar bei seiner Uraufführung 1938 zum veritablen Flop zu entwickeln, galt aber bald als exemplarisches Beispiel für die so genannte Americana. Es erforschte scheinbar die traditionellen amerikanischen Werte: Religion, Gemeinschaftssinn, Familienleben und die Freude an den einfachen Dingen. - Dass sich das Stück im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit grosser Beliebtheit erfreute, hatte vor allem mit den minimalen Requisiten (Stühle, Tische, eine Bank), die es erforderte, auch mit seiner teilweisen Anlehnung an das Brecht’sche Lehrstück, zu tun.. Und man erkannte rasch: “Our Town” war keineswegs eine amerikanische Kleinstadt-Idylle, sondern beschäftigte sich mit dem Leben als solchem, war, wie es Wilder selber ausdrückte, bestrebt, angesichts der Vergänglichkeit sogar den unbedeutendsten Ereignissen unseres täglichen Daseins einen Wert abzugewinnen. Man hatte es mit einem kleinen Welttheater zu tun.

Hollywood sicherte sich rasch die Filmrechte und plante Grosses. Ernst Lubitsch sollte das Stück in Technicolor verfilmen; später kam William Wyler ins Gespräch. Als man sich dann entschloss, Sam Wood die Regie für die Verfilmung von “Our Town” zu übertragen, schien dies der Zeit angemessen. Der heutige Zuschauer fühlt sich zuerst allerdings einmal abgeschreckt: Wood (der auch in “Gone With the Wind”, 1939, involviert war) gilt nämlich, obwohl er zwei der Marx Brothers-Filme (“A Night at the Opera”, 1935, “A Day at the Races”, 1936) gedreht hatte, als einer der reaktionärsten Regisseure seiner Zeit (Groucho Marx versah ihn mit dem Attribut "Faschist"), der 1947 mit grosser Freude vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe aussagte (er denunzierte unter anderem Lewis Milestone und John Cromwell) und dessen Stern nach seinem Tod im Jahre 1949 merklich verblasste. In einer ohnehin den Patriotismus fördernden Phase der amerikanischen Geschichte machte er sich jedoch einen Namen mit  Fetzen wie "Rangers of Fortune" (1940),  “The Pride of the Yankees” (1942) - und verhalf in “Kings Row” (1942) einem später zum Präsidenten der Vereinigten Staaten avancierten Schauspieler, der sich in sentimentalen Momenten gern daran zurückerinnerte ("Where's the rest of me?"), zu seiner besten Rolle...


Dass aus dem Film nicht  eine peinliche Hymne auf Amerika wurde, dürfte in erster Linie dem Produzenten Sol Lesser, einem entschiedenen Gegner des in den USA vorherrschenden hysterischen Antikommunismus, zu verdanken sein. Er besprach jedes Detail mit dem Autor des Stücks und sorgte dafür, dass die Adaption diesem weitgehend, auch den (gekürzten) Text übernehmend, folgte. Selbstverständlich ermöglichte eine Hollywood-Produktion nicht die für die Bühne geforderte minimale Ausstattung; man bemerkt aber rasch den Unterschied zu den mit Dekors überfüllten MGM-Filmen jener Zeit, erkennt in den Bildern ein Bemühen, sich auf das Nötigste zu beschränken. Und gerade diese Pflicht, sich auf das Nötigste zu beschränken, erforderte kameratechnische Experimente, für die wohl keiner besser geeignet war als Bert Glennon, der schon mit Josef von Sternberg und John Ford zusammengearbeitet hatte. Diesem wunderbar einfallsreichen Mann verdankte Wood Bilder, die immer wieder vergessen lassen, dass man es mit der Verfilmung eines Bühnenstücks zu tun hat: von der üblicherweise mit Orson Welles’ “Citizen Kane” (1941) in Verbindung gebrachten “Deep focus cinematography”, die eine möglichst grosse Tiefenschärfe im Film zu erreichen versucht, wird wiederholt Gebrauch gemacht, und wenn die Kamera einen unvergesslichen, oft Details betonenden Effekt nicht einzufangen vermochte, half man mit Post-Produktions-Techniken nach. Ein Film, der sich also schon durch seine scheinbar alltäglichen Schwarzweiss-Aufnahmen. die dennoch so vollkommen waren,  von anderen Hollywood-Streifen der Zeit abhob.

“Our Town” dreht sich um zwei benachbarte Familien, deren Kinder sich ineinander verlieben und heiraten. Ihnen werden andere Bewohner zugesellt, über die uns der Stage Manager informiert, ein tatsächlich als All American Man, als gemütlicher Farmer-Typ mit Pfeife, in Erscheinung tretender Voice Over-Ersatz,  der uns  Banales und Tiefgründiges mitteilt, gelegentlich auf Zukünftiges verweist, aber auch mal ironisch einen verklemmten Professor um Informationen zur Geschichte des Städtchens  bittet (Frank Craven hatte die Rolle schon am Broadway gespielt und legt sie auch hier, ein bloss imaginäres Publikum ansprechend, mit einer unvergleichlichen Nonchalance hin). - Im ersten Teil geht es um das alltägliche Leben: Dr. Gibbs kehrt am frühen Morgen von einer Entbindung heim, die er in Polish Town, dem Viertel der Zugezogenen, vornehmen musste. Der Zeitungsjunge, von dem wir erfahren, dass er einen hervorragenden Schulabschluss machen, aber im Ersten Weltkrieg umkommen wird (“All that education for nothin’!”), wechselt ein paar Worte mit ihm. Der Milchmann liefert Mrs. Gibbs die Milch. Anschliessend weckt sie wie ihre Nachbarin, Mrs. Webb, die Kinder. Zwischen dem jungen George Gibbs, der später Farmer werden möchte, und der gleichaltrigen Emily Webb, bahnt sich, wie man rasch bemerkt, eine jugendliche Romanze an. Die tägliche Arbeit wird von den Nachbarsfrauen für ein Schwätzchen genutzt. Mrs. Gibbs erzählt ihrer Freundin, sie würde gerne einmal nach Paris reisen (“It seems to me, once in your life, before you die, you ought to see a country where they don’t speak any English and they don’t even want to.” ). Ihr Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen, denn wir haben vom Stage Manager bereits erfahren, dass sie in wenigen Jahren an einer Lungenentzündung sterben wird. Nichtigkeiten, die doch immer wieder hintergründig wirken, auf die Vergänglichkeit aufmerksam machen. - Der Tag endet mit der wöchentlichen Chorprobe, die die Frauen mit dem einzigen “enfant terrible” der Stadt, dem stets alkoholisierten Kirchenorganisten, zusammenbringt - während Emily George von Fenster zu Fenster unschuldig flirtend bei den Hausaufgaben hilft.

Der zweite Teil spielt drei Jahre später am Tag der Hochzeit der Nachbarskinder. In einer Rückblende wird gezeigt, wie sie in einer Eisdiele zueinander fanden. Das alltägliche Leben hat sich ein wenig, aber kaum merklich geändert. - Neun Jahre vergehen, und der Stage Manager führt uns zum Friedhof von Crover’s Corner. Hier ruhen alle Menschen, die mittlerweile verstorben sind. Zu ihnen gehört auch Emily, die bei der Geburt ihres zweiten Kinds starb.  In einer überwältigenden Szene verwandeln sich die Grabsteine in die Toten, die Emily, eine Frau, die noch nicht loszulassen vermag und von ihrem Leben mit George erzählt, empfangen. Die Reaktion einer Frau auf das Erzählte verweist auf die Notwendigkeit des Vergessens, fasst jedoch auch das zusammen, was alle diese Alltäglichkeiten, denen der Zuschauer begegnete, bedeuteten: “I’d forgotten all about that. My, wasn’t life awful - and wonderful.” Trotz der Mahnungen der Toten wünscht sich Emily, noch einmal an einen der glücklichsten Tage ihres Lebens zurückzukehren und sucht sich ihren sechzehnten Geburtstag aus. Als sie erkennen muss, wie sie sich selber beobachtet, ohne sich den plötzlich so jung scheinenden Eltern mitteilen zu können, kehrt sie resigniert zu den Toten zurück: “They don’t understand, do they?”

Und an diesem Punkt weicht der Film entscheidend von der Vorlage ab: Man war sich sicher, dass das Kinopublikum eine tote “Heldin” nie und nimmer goutieren würde. Deshalb fügte man mit Erlaubnis von Thornton Wilder, der für das Drehbuch mitverantwortlich war, leider ein kitschiges Happy End an, das die von der Geburt noch geschwächte Emily aus einem tiefen Traum erwachen lässt. Die Botschaft des Stücks, so es denn explizit eine hatte (der Tod ist Teil jener wunderbaren Alltäglichkeiten, die unser Leben ausmachen, verlangt aber auch, dass wir sie angesichts des unvergänglichen Universums vergessen), ging verloren.


Abgesehen von diesem Fauxpas ist die Verfilmung von “Our Town” ein unterschätzter Klassiker, der nicht nur Neulinge mit einem bedeutenden Bühnenstück vertraut macht, sondern sich auch durch eine ebenso eigenwillige wie gelungene Bildersprache (den Hühnern im Hof wird mehr Bedeutung zugemessen als der sie fütternden Hand, ein Gesicht darf sich bei dieser Schilderung des Alltäglichen ruhig einmal hinter einem Küchenbalken verstecken) auszeichnet und mit Schauspielern aufwartet, die ein bemerkenswertes Ensemble bilden. Dass Martha Scott, die die Emily schon auf der Bühne gespielt hatte, eine Oscar-Nominierung erhielt, zeigt, wie richtig man lag, als man die Rolle nicht mit einem “Star” besetzte. - Stünde nicht noch das unbestreitbare Meisterwerk “For Whom the Bell Tolls” (1943) im Raum, möchte man sagen: Ein Film, der eine deutsche DVD verdient, obwohl Sam Wood Regie führte.