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Sonntag, 27. August 2023

Endliche Ehen und unsterbliche Liebe: Bericht vom 9. Festival des italienischen Genrefilms Terza Visione


Mittwoch, 19. Juli 2023


ab 19:15 Uhr

Das 9. Terza Visione fing mit einem ungewöhnlichen Format an. Da ein Umstieg mit der Bahn auf der Herfahrt statt geplanten 9 Minuten schlussendlich 3 Stunden dauerte, verpasste ich den ersten Film des "inoffiziellen" Eröffnungstags, Dario Argentos L'UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO. Dafür gab es als Einstieg ein Regisseursgespräch im Foyer des deutschen Filmmuseums. Der Gast, ja Stargast, war... Dario Argento, der für zwei Tage in Frankfurt am Main verweilte, um die ihm gewidmete Retrospektive des Filmmuseum Frankfurt zu besuchen. Diese schloss sich in einem Synergieeffekt mit dem Terza zusammen.
Es war die zweite Gesprächs-Session, und Argento sprach unter anderem über die Zusammenarbeit mit Ennio Morricone (der Score zu seinem ersten Film L'UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO wurde von Morricone und einigen seiner engsten Mitarbeiter recht spontan improvisiert), darüber, wie er als Gast und stiller Beobachter im Haus des Drehbuchautors Sergio Amidei (u. a. ROMA, CITTÀ APERTA und PAISÀ) das "Handwerk" lernte (die Essenz liegt darin, dass das Autorenteam zunächst mit "Smalltalk" sich menschlich synchronisiert, bevor es an die "harte" Arbeit geht), über seine Einflüsse (im Gegensatz zur gestellten Frage eher seine auf andere Regisseure, und nicht umgekehrt), über seine besondere Wertschätzung für Michelangelo Antonioni, über seine Begegnung mit Rainer Werner Fassbinder (den er als schweigsamen, aber extrem nervösen Mann wahrnahm) und über sein erstes prägendes Kinoerlebnis (die Stummfilmfassung von "Das Phantom der Oper").

Wie jedes Jahr wurde auch dieses Terza exklusiv mit analogen Filmkopien bestritten, geliehen aus über einem Dutzend Institutionen aus sieben Ländern.


ab 21:00 Uhr

IL FANTASMA DELL'OPERA ("Das Phantom der Oper")
Regie: Dario Argento
Italien 1998
98 Minuten, OmU
Paris, gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ein von Ratten aufgezogenes Findelkind haust in den Eingeweiden der Pariser Oper und meuchelt hier und da neugierige Kanalarbeiter weg. Das "Phantom" (Julian Sands – im Gegensatz zu anderen Varianten des Stoffs ohne Verstümmelung/Maske) verliebt sich dann aber in die Nachwuchssängerin Christine (Asia Argento) und ist nur allzu bereit, deren Karriere-Hindernisse aus dem Weg zu räumen...
Das gängige Narrativ zu Dario Argento ist, dass seine Regiekunst nach den 1980er Jahren einen allmählichen Niedergang erlebte, mit Variationen in der Frage, ob PHENOMENA und OPERA noch zu den "Guten" gehören. Wie schön, dass es mit Terza Visione auch immer den Blick über den Tellerrand gibt. IL FANTASMA DELL'OPERA, den ich 2019 beim Italo-Horrorfilmwochende in Nürnberg schon zum ersten Mal sah, erwies sich bei der Zweitsichtung sogar als etwas stärker als vor vier Jahren. Argento lehnte es im Filmgespräch zwar ab, ihn als "Liebesfilm" bezeichnet zu sehen, aber tatsächlich kommt er dem in Argentos Werk wohl am nächsten, gleichwohl es sicherlich keine besonders "gesunde" Liebe ist. Zumindest ist Christine hin- hergerissen zwischen einer "gesunden", gesellschaftlich respektablen aber offenbar eher sex- und keimfreien und zumindest bis zum letzten Drittel eher "kalten" Liebe zum Baron Raoul und der "ungesunden", gesellschaftlich verachteten, gefährlichen, latent von Gewalt geprägten aber eben auch extrem geilen und dreckig-animalischen Liebe zum Phantom.
Ein Liebesfilm steckt in IL FANTASMA DELL'OPERA, aber auch andere Atmosphären stecken drin: gerade in der Nebenfigur des operneigenen, unfassbar dreckigen und schmierigen Rattenjägers (gespielt von dem renommierten ungarischen Theaterschauspieler Bubik István) lebt Argento offensichtlich auch eine geheime Liebe zum Slapstick aus und erinnert daran, wieviel Humor er eben auch hat. Bubik wirft sich voll rein in die Rolle, und es macht unglaublich Spaß, die kleinen Subplots um den Rattenfänger zu sehen: Höhepunkt ist die Jungfernfahrt des steampunkig-retrofuturistischen Gefährts mit Staubsauger und rotierenden Klingen, das er durch die unterirdischen Gänge der Oper steuert, um diese von Ratten zu befreien. Diese Liebesgeschichte, und dann noch dieser Humor: das hat der Gorebauer-Fraktion unter Argentos Fans sicherlich nicht gefallen.
Noch weniger dürfte ihnen gefallen haben, wie sehr gerade im letzten Drittel und im Showdown sich ein Wille zum entfesselten Melodrama zeigt, der schon sehr faszinierend ist: mit der Verfolgungsjagd auf das Phantom, der inneren Zerrissenheit Christines zwischen ihren beiden Liebhabern und der anschwellenden Musik Morricones zielt Argento direkt auf Herz und auch auf die Tränendrüsen der Zuschauer. Der Showdown straft alle Lügen, die ihn nur als seelen- und emotionslosen Technokraten perfekt choreografierter Gewaltszenen sehen wollen.
Zwei Details hatte ich von der Nürnberger Sichtung vergessen: die extravagante und unfassbare Szene in dem Hallenbad-Edelbordell. Da scheint sich ein Stück Jess Franco oder Joe D'Amato in den Film reingeschlichen zu haben, wenn da halbnackte oder ganz nackte Männer und Frauen (und eine Trans-Frau? ich bin nicht mehr ganz sicher) in einem Luxusbad essen, trinken, turteln und sich vergnügen. Der Baron, der nach einer Abfuhr von Christine sich dort auf andere Gedanken bringen möchte, entpuppt sich als Verzichter, aber auch als ungehobelter Krawallmacher: als eine junge Dame, die sich "bocca di velluto" (Samt-Mund) nennt, ihm mit eindeutigen Zungenbewegungen eindeutige Zeichen macht, sieht der Baron plötzlich Christine das machen – eine zu wilde Vision für ihn, weshalb er dann als Party-Pooper anfängt, zu randalieren.
Ganz vergessen hatte ich auch die großbürgerlichen Creeps, die mit teuren Pralinen versuchen, die Aufmerksamkeit von ungefähr 10-jährigen Ballettschülerinnen zu gewinnen (der Film wendet hier für kurze Zeit die Mechanismen des Rape-And-Revenge-Genres an, als einer dieser Creeps eine Schülerin zu tief in die unterirdischen Gänge der Oper verfolgt und es dort vom Fantom heimgezahlt bekommt).
Die Vorstellung lief im Rahmen der Argento-Retrospektive, war zugleich aber auch eine Hommage an den viel zu früh, Anfang 2023 verstorbenen Julian Sands: ein faszinierender Darsteller, dem immer etwas Jungenhaft-Verträumtes anhängt. Scheinbar unpassend für gewalttätige Dämonenfiguren wie hier (oder als Warlock) – und dabei doch passend, seine Figuren immer leicht verundeutlichend, ihre dunkel-abgründige Romantik betonend.


Donnerstag, 20. Juli 2023


ab 13:00 Uhr

URLATORI ALLA SBARRA
Regie: Lucio Fulci
Italien 1960
83 Minuten, OmU
Die "Schreier" des Titels sind eine Gruppe von Rock'n'Rollern (Joe Santieri, Adriano Celentano, Mina): protegiert und gastlich empfangen von einem Senator a.D., angeworben von der Jeans-Industrie zu Werbezwecken, teils angefeindet und angeworben von einem quotengeilen TV-Produzenten – aber immer mit einem flotten Song in petto.

I brutos: Auftritt als ländliche Sängertruppe

Ursprünglich war Fulcis OPERAZIONE SAN PIETRO aka "Die Abenteuer des Kardinal Braun" programmiert: eine Heist-Komödie mit Heinz Rühmann, Lando Buzzanca, Jean-Claude Brialy und Edward G. Robinson (sic!). Ich bin nicht mehr sicher, warum die Kopie unpässlich war (starker Rotstich?), jedenfalls war angesichts der Fülle an gedrehten Filmen ein Ersatz aus Lucio Fulcis früher Komödienphase rasch zu finden. Zur Erinnerung: Der "Godfather of Italian Gore Cinema" hat wesentlich mehr Komödien als Horrorfilme in seiner Karriere inszeniert. In seiner Einführung betonte der (pausierende) Ex-Terza-Co-Organisator Christoph, dass die erste Werksphase sehr zu unrecht vernachlässigt oder gar als unwichtig abgetan wird: das Narrativ, Fulcis echte Bestimmung sei der Horror gewesen und alles vorher könne man skippen, sei komplett falsch. Komödien waren für den Drehbuchautoren, Regieassistenten und schließlich Regisseur Fulci knapp 15 Jahre lang das zentrale Metier, in dem er auch seine Meisterschaft entwickelte.
Der geneigte Terza-Stammzuschauer wusste davon bereits einen Teil und erinnerte sich wohlig an LE MASSAGGIATRICI bei der Festival-Ausgabe von 2018. URLATORI ALLA SBARRA war Fulcis dritter Film und war sicherlich nicht so großartig wie LE MASSAGGIATRICI, aber dennoch ein launischer Start in den "offiziellen" oder "Post-Argento-Besuch"-Teil des Terza Visione. Nach einem Prolog, der in zwei Minuten eine Kulturgeschichte des Schreiens humoristisch darlegt, geht es auch mit den ersten Musiknummern los. Adriano Celentano ist dabei (die Premiere knapp einen Monat nach LA DOLCE VITA, in dem er nur einen kurzen Cameo hatte) sowie Mina und Joe Sentieri, zu dieser Zeit wohl größere Stars als Celentano. Besonders bemerkenswert für Jazz-affine Zuschauer: in der Rolle eines dauermüden oder schlafenden Amerikaners, der Teil der musizierenden Jugendtruppe ist, gibt es den Trompeter Chet Baker zu sehen, schon offensichtlich stark lädiert von seiner Heroinsucht.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass URLATORI ALLA SBARRA ein schöner Gute-Laune-Film ist, zu Weihen à la LE MASSAGGIATRICI reicht es nicht. Vielleicht zersplittert er sich zu sehr in zu viele Episoden mit zu vielen Figuren und Subplots. Joe Sentieri war so etwas wie eine der Hauptfiguren: ich finde ihn aber intuitiv irgendwie antipathisch, und dass er fünfzehn Jahre älter ist als sämtliche anderen Mitglieder der Jugendbande ist und man dies auch sieht, wirkt seine Figur bestenfalls unglaubwürdig, schlimmstenfalls leicht creepy. Eine viel bessere Hauptfigur wäre da Turi Pandolfini als alter Senator a.D. mit eindeutigen Sympathien für die "Urlatori" (er ist sowieso schwerhörig, da sollen sie doch ruhig lauter spielen), die er bei sich in der Wohnung beherbergt. Auf der Antagonisten-Seite gibt es Mario Carotenuto als schmierig-intriganter TV-Sender-Chef, der zuerst Stimmung gegen die "Urlatori" macht, bevor er herausfindet, dass er sie auch einfach kommerziell ausbeuten kann: eine Figur, die man zu hassen einfach nur liebt!
Am Ende ist URLATORI ALLA SBARRA vor allem eine schöne Nummern-Revue. Besonders hervorzuheben dürfte Minas Nummer "Whisky" sein, in der sie in einer stilisierten Bar voller geifernder Verehrer die Vorzüge des Trinkens besingt. Pastoraler wurde es bei einer anderen Nummer: ein Cameo der Sänger- und Komiker-Gruppe "I Brutos" (darunter ein junger Aldo Maccione), die bei einem Picknick der Urlatori auf dem Land als singende Schäfer zu sehen sind und mit ihrem eskalierenden Minenspiel den Saal in eine Raserei aus freudigem Toben und lauten Lachkreischern brachte.






ab 15:30 Uhr

METTI, UNA SERA A CENA (wörtlich: "Sagen wir mal, eines Abends beim Abendessen", im Programmheft: "Warum nicht eines Abends bei Tisch")
Regie: Giuseppe Patroni Griffi
Italien 1969
125 Minuten, OmU
Der Autor Michel (Jean-Louis Trintignant) schreibt gerade an einem neuen Stück: darin soll es um eine mögliche Affäre zwischen seiner Frau Nina (Florinda Bolkan) und seinem besten Freund Max (Tony Musante) gehen. Ohne Michels Wissen gibt es diese Affäre schon lange. Doch auch Max' ehemaliger Liebhaber Rick (Lino Capolicchio) kommt ins Spiel und beginnt eine Affäre mit Nina – während Michel mit der entfernten Bekannten Giovanna (Annie Girardot) ins Bett landet.
Über historische Erfolge und Misserfolge von Filmen nachzudenken, ist manchmal schon interessant, gerade auf einem Festival wie dem Terza Visione. 2022 stellte sich bei LE CINQUE GIORNATE die Frage, was wohl aus Dario Argento geworden wäre, wenn sein Slapstick-Komödien-/Period-Politdrama erfolgreich gewesen wäre und nicht ein fulminanter Flop. 2023 stellte sich für viele im Publikum wohl eher die Frage, wie der von Argento geschriebene METTI, UNA SERA A CENA einer der erfolgreichsten italienischen Filme von 1969 werden konnte (und ein Film, der gerade Dario Argento als Co-Autor zum heißesten Scheiß auf dem Kinoautorenmarkt werden ließ)? Dario Argento war schließlich damals ein Nobody und würde erst ein paar Jahre später ein Superstar des italienischen Kulturlebens werden. Das Theaterstück, auf dem der Film basierte, war auf den römischen Bühnen ein Hit, aber reichte es, um das Kinopublikum zu ziehen? Jean-Louis Trintignant dürfte zu dem Zeitpunkt der berühmteste Schauspieler des Casts gewesen sein, aber ein Massenpublikumsmagnet, gerade in Italien? Die deutsche Wikipedia erwähnt die Musik von Ennio Morricone als Faktor für den Erfolg...
Wie die Antworten auch immer lauten: METTI, UNA SERA A CENA wurde von einem bedeutenden Teil des Terza-Publikums als Flop des Festvials gesehen, und ich geselle mich durchaus dazu (gleichwohl ich prinzipiell ein Freund davon bin, das Terza Visione mit "Grenzgängern" am Rande des klassischen Genre-Kinos zu erweitern). Im Grunde erzählt der Film eine recht simple Vierer-Beziehungsgeschichte mit einem fünften Rad, der das Gefüge noch mehr durcheinander bringt. Mit an den großen Kinoerneuerungsbewegungen geschulten Erzählweise zerlegt der Film die Chronologie, um das ganze Stück für Stück zusammenzusetzen. Nicht per se völlig unspannend, aber tatsächlich bleiben sämtliche fünf Hauptfiguren des Films eher reine Drehbuch-Behauptungen, durch überlange und sehr steife Dialoge nur notbehelfsmäßig zusammengehalten, als dass echte Charaktere lebendig wurden. Die achronologische, elliptisch-puzzleartige Erzählweise lässt alles noch eher steifer und konstruierter wirken, als dass es Dynamik bringt. Dass hier (mit Ausnahme des fünften Rad am Wagens, des von Lino Capolicchio gespielten Künstlers) allesamt gutbürgerliche Figuren ihr Ennui zwei Stunden lang spazieren führen und über Probleme der Ehe sich sehr, sehr verbos austauschen, lässt auch nicht gerade große Gefühle zu, besonders nicht, weil der Erkenntnisgewinn der langen Dialoge eher minimal ist. Ein bisschen hat mich das strukturell an Roman Polanskis CARNAGE erinnert: ein theaterhaftes (weil zu sichtbar von einem Theaterstück adaptiertes) bürgerliches Selbstvergewisserungsdrama.
Faszinierend dabei ist, dass die fünf tollen Darsteller da wenig ausrichten konnten. Jean-Louis Trintignant trägt ja grundsätzlich immer ein wenig Ennui in seiner Mine mit sich – in den meisten Rollen schafft er es aber, das produktiv einzusetzen: nicht hier, wo er wirklich nur gelangweilt aussieht. Annie Girardot kämpft gefühlt die ganze Zeit gegen ihre schlecht geschriebene Figur und wirkt, als würde sie im falschen Film spielen. Lino Capolicchio, so wunderbar als Hobbyermittler in Antonio Bidos Venedig-Giallo SOLAMENTE NERO, wandelt wie ein aufgezogenes Stehaufmännchen durch den Film (aber sein gequälter Künstler, der viele Marotten hat, unter anderem eine Hakenkreuzfahne als Decke, ist schon ein sehr weinerliches Klischee). Nur Tony Musante und Florinda Bolkan ließen manchmal ihre Brillanz durchscheinen: wer beide aber in einer wirklich spektakulären, symbiotischen Chemie zusammen spielen sehen möchte, sollte lieber das wunderbare Venedig-Melodrama ANONIMO VENEZIANO mit den beiden als Protagonisten schauen.
Die Sichtungsumstände waren natürlich dem Film auch nicht sehr wohlgesonnen: die Kopie war mechanisch sehr mitgenommen (weil als Hit wohl extrem oft gespielt) und ein ziemliches Inferno aus Klebestellen und Fehlstellen. Die Live-Untertitelung hatte deshalb kaum eine Chance, über längere Zeit synchron zu bleiben, zumal angesichts des kaskadenartigen Schwalls an Dialogen: bei Rollenwechseln wurde zwei (oder drei?) Mal pausiert, um wieder Untertitelung und Film synchron zu bringen. Eine besonders dicke und/oder schlecht gemachte Klebestelle brachte dann auch die Kopie zum Stillstand: bei einem Einzelbild stehen geblieben, schmorte die Projektionslampe das stehengebliebene Einzelbild an, und nach der Manier von TWO-LANE BLACKTOP verbrannte ein Teil der Kopie vor unseren Augen – das Bild löste sich auf, und der entstehende Rauch war dabei deutlich auf der Leinwand mitprojiziert (und wirkte finster und bedrohlich). Als Sichtbarmachung von Materialität des Kinos (und ihrer Fragilität) war das ohne Zweifel ein besonderes Erlebnis. Es ist schon ein wenig schade, wenn dieser Vorfall quasi das Beste am Film war. Aber nein, so ganz stimmt das nicht, denn der große Show-Stehler des Films ist Ennio Morricones fantastischer Score, der aus einem wohl nur täuschend einfachen Motiv ein ganzes Gefühlsuniversum aufbaut (hier reinhören). METTI, UNA SERA A CENA war für diese Terza-Ausgabe allerdings auch der Startpunkt für eine ganze Reihe von Filmen, die problematische und krisenhafte Ehen thematisieren.


ab 20:00 Uhr

BUIO OMEGA (dt. Verleihtitel: "Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf")
Regie: Joe D'Amato
Italien 1979
93 Minuten, OmU
Es war einmal in den Alpen... Francesco (Kieran Canter) ist unsterblich in seine Verlobte Anna (Cinzia Monreale) verliebt, doch diese ist leider allzu sterblich und erliegt einer akuten Erkrankung – möglicherweise von Francescos besitzergreifenden Haushälterin Iris (Franca Stoppi) mit der beauftragten Voodoo-Hexerei einer lokalen Hexe ausgelöst. Der leidenschaftliche Tierpräparator wendet seine Kenntnisse der Leichenkonservierung auf seine ausgegrabene Geliebte an. Doch allzuviele Menschen wollen das selige Liebesglück zwischen ihn und Anna stören und müssen deshalb ins Jenseits befördert werden...

Liebe bis zum Tod – und auch danach: Francesco rettet seine tote Geliebte aus dem Friedhof

BUIO OMEGA ist ein berühmt-berüchtigtes Artefakt der Zensurgeschichte, vielfach zensiert, verstümmelt, verboten, beschlagnahmt. Gegner sehen ihn als schlechten B-Movie-Splatter-Schund, die lautstärksten Befürworter hingegen waren hingegen jahrelang die Gorebauer-Fraktion.
Seine "Freigabe" aus dem Kerker der deutschen Video-Nasties (die Indizierung wurde im Frühjahr 2023 aufgehoben) bietet nun die Möglichkeit, sich etwas unaufgeregter diesem Stück Kino- und Zensurgeschichte zu nähern. Das Terza Visione war der ideale Rahmen, um BUIO OMEGA als das zu entdecken (für viele im Publikum auch: wieder entdecken), was er wohl im Grunde immer war: ein kleines Meisterwerk, gleichzeitig derangiert-abseitiger Horrorfilm und dunkelromantisch-morbider Liebesfilm.
Die wunderbare, längere Einführung von Terza-Co-Organisator Sven und Joe-D'Amato-Spezialist Arthur war für D'Amato-Junioren und Buio-Jungfrauen wie mich wahrscheinlich ebenso erhellend wie für größere Kenner des Films und seines Regisseurs und Kameramanns. Sven erhellte die Ursprünge des Stoffs im traditionellen Gothic-Horror und in der filmischen Vorlage IL TERZO OCCHIO mit Franco Nero, geschrieben und inszeniert von Mino Guerrini (dessen Remake BUIO OMEGA ist). Arthur verwies auf die vielfältigen Motive und Themen des Films: auf seine Qualitäten als emotional ergreifender Liebesfilm über eine bislang nicht "konsumierte" Liebe, auf seine Andeutungen von Klassenkampf, auf die Versuche des Protagonisten nicht im engeren Sinne nekrophil tätig zu werden sondern andere Personen als "Proxys" für den (ersten!) Sex mit der geliebten Anna zu benutzen, auf die "dynastische" Dimension der Geschichte im Rahmen eines Adeligenhauses, auf die Bedeutung der vielen im ganzen Haus verteilten ausgestopften Tiere, von denen zwei als "nicht-heimisch" hervorstechen, auf die eigensinnige Erzählstruktur, die den Zuschauer immer mehr dazu auffordert, Leerstellen selbst zu befüllen. Und was ich persönlich sehr hilfreich fand: der Hinweis, auf das Medaillon zu achten, das als einer von mehreren roten Fäden sich durch die Hälfte des Films zieht.
Sven und Arthur wiesen darauf hin, dass BUIO OMEGA ein untypischer Horrorfilm sei. Wahrscheinlich ist es eh richtiger, von einem Hybrid aus Horror-Schocker, schwelgerisch-verträumtem, zärtlichem Liebesfilm, schwarzer Komödie, absurder Groteske, rohem Sleaze, Essay über Adel und Dekadenz sowie berauschendem Melodrama zu sprechen. Das Herausragende dürfte wohl darin liegen, dass alle Elemente funktionieren. Wenn Francesco riesige Säureflaschen ("Salzsäure" und "Schwefelsäure" deutsch beschriftet) wie Penisverlängerungen vor sich haltend in die Badewanne schüttet, während Iris daneben die Leiche der unglücklichen Autostopperin in Stücke hackt, dann ist das in seiner schieren ekligen Bestialität so unfassbar wie grotesk. Wenn die Leichenrestepampe dann im Gartenloch verbuddelt ist und Iris in der Küche dann erst mal zwei Suppenteller aus dem Regal holt, zeigt sich BUIO OMEGA von seiner schwarzhumorigsten Seite (nach getaner Arbeit erst mal gut futtern!) – ein Lacher ging durch den Saal, der gleich im Halse erwürgt wurde, als dann Iris den liebevoll zubereiteten Gulasch auf eine so viehische Weise verschlingt, dass selbst Bud Spencer und Terence Hill im Vergleich wie feine Pinkel wirken. Auch das feierliche Verlobungsdinner mit den offenbar schwer inzestgestörten Familiengästen (einer nimmt sein Gebiss raus und säubert es mit dem Taschentuch) ist von einer Komik und einer wilden Bissigkeit, die Buñuels Bourgeoisie-Satiren hinter sich lässt. Daneben gibt es immer wieder die Momente, in denen Francesco in schwelgerischer Liebe selbstvergessen mit seiner (toten) Anna verbringt: liebevolle Blicke, kleine Gesten der Zärtlichkeit (ein schönes Detail: Iris, als sie der frisch verstorbenen Anna noch wohlgesonnen ist, lackiert ihr die Fingernägel). Irgendwo dazwischen Francesco, der sich von Iris in einem Moment verzweifelter Trauer die Brust geben lässt (ein Motiv, das auch in D'Amatos IL PIACERE wiederkehren würde) oder der zur rasenden Bestie geworden der Autostopperin anfängt, einzeln die Fingernägel auszureissen. Paradox eigentlich: D'Amato-typisch schreitet der Film in einem meditativen, kontemplativen Rhythmus vor sich hin – und ist doch auch eine wilde Achterbahn der Gefühle.
Dass BUIO OMEGA sich mit Filmen wie L'ANTICRISTO und COSA AVETE FATTO A SOLANGE? den Kameramann teilt, sieht man ihm auch an: er ist elegant fotografiert, in vielen Szenen hat er fast was von Postkartenmotiven – die idyllische südtirolische Berglandschaft voller satter Grüns, malerischer Panoramen, pittoresker Waldflecken und schmucken Häusern reibt sich wunderbar an den unfassbaren Vorgängen. BUIO OMEGA ist auch ein Film, der die Wirkmächtigkeit des Kuleschow-Effekts mithilfe einer toten Figur aufzeigt: während Anna im mütterlichen Bett regungslos liegt (sie ist ja schließlich tot!), macht sich Iris an Francesco ran und holt ihm einen runter, während Francesco eher von Annas Präsenz als von Iris Tätigkeiten wirklich angeregt wird; eine Montage von Anna, dann Francesco, der einen Orgasmus bekommt und dann wieder Anna lässt die Zuschauer glauben, dass die verblichene Geliebte von Francescos Höhepunkt zu einem seligen Lächeln gebracht wird. Pure Kinomagie.


ab 22:45 Uhr

EVA MAN
Regie: Antonio D'Agostino
Italien/Spanien 1980
78 Minuten, OmU
Eva (Eva Robin's) ist sowohl Frau als Mann – und daher die ideale Testperson für Professor Popovs (Ramón Centenero) neu konzipierten "Sexmaker", der das Lustempfinden auf Knopfdruck steigern kann. Doch auch üble Gangster haben es auf die Maschine abgesehen und wollen Eva entführen. Mit der Kampfbereitschaft Evas und ihrer wackeren Freundin Ajita (Ajita Wilson) haben die Böswatze allerdings nicht gerechnet!

Ajita und Eva beschützen gemeinsam den Sexmaker

Trans-Personen, die im italienischen Genre-Kino der 1970er Jahre marginalisiert waren (und eigentlich auch im internationalen Kino sämtlicher Couleurs), bekommen in EVA MAN eine liebevolle Bühne als zentrale Protagonistinnen, als positive Heldinnen, als charismatische Ikonen, als durchschnittlichen Sterblichen bei weitem überlegene Sex-Göttinnen.
EVA MAN ist ob seines niedrigen Budgets ein durchaus rumpeliger Film: im Gegensatz zu Eva, die sowohl als Frau wie auch als Mann bestens performt, funktioniert er nicht in all seinen Facetten. Der Versuch, einen SciFi-geprägten Thriller mit Gangster-Subplot zu erzählen, geht ziemlich gehörig in die Hose, denn für Spannung und Action und auch für solides narratives Erzählen hatte Antonio D'Agostino offenbar überhaupt kein Händchen. Da trübt der Film in teils sehr steifen Szenen mit Expositionsdialogen zum Füßeeinschlafen vor sich hin, und ein Portrait von Sigmund Freud an der Wand im Büro als Marker dafür, dass Professor Popov wirklich ein Wissenschaftler ist, versprüht zwar einen netten Charme, vermag den stocksteifen Erzählstil aber nicht wirklich zu kaschieren.
Als relaxter Sexfilm, als entspannter Abhängfilm und als filmische Bühne für die Style- und Sexikonen Eva Robin's und Ajita Wilson ist EVA MAN absolut großartig. Wenn beide in Zeitlupe, begleitet von einem loungigen Score des ehemaligen Morricone-Gitarristen und -Pfeifers Alessandro Allessandroni händchenhaltend und halbnackt durch einen mediterranen Garten Freudesprünge machen und dann in den Pool tauchen, um dort minutenlang voller Lebensfreude herumzutollen und zu planschen, dann ist der Film ganz bei sich.
Als Exploitationfilm ist EVA MAN von Didaktik und Thesenkino natürlich meilenweit entfernt und trotzdem hat er auch etwas Utopisches: die Art und Weise, wie er das (nicht nur) sexuelle Charisma seiner beiden Trans-Hauptdarstellerinnen feiert, so völlig unverkrampft und ohne jegliche thematische Schwere, dürfte zu dieser Zeit recht einzigartig gewesen sein. Die, die hier bloßgestellt und lächerlich gemacht werden, sind die transphoben Gangster und Handlanger. Der "Fiancé" Evas macht irgendwann nach zwei Dritteln der Laufzeit die Entdeckung, dass seine Geliebte einen Penis hat und von dem Dreier, den Ajita und Eva ihm vorschlagen, schreckt er zunächst zurück. "Kümmer du dich doch um die weiblichen Teile, dann kümmere ich mich um die männlichen" schlägt Ajita sinngemäß vor – und der "Fiancé" legt sein Zurückschrecken ab und gibt sich dann mit Eva und Ajita dem sinnlichsten und schönsten Sex im ganzen Film hin.


Freitag, 21. Juli 2023


ab 12:30 Uhr

LA CONTROFIGURA (wörtl. "Der Stellvertreter", "Der Double", dt. Verleihtitel: "Liebe ist wie ein Sturm")
Regie: Romolo Guerrieri
Italien 1971
89 Minuten, dF
Bei einem Urlaub in Nordafrika wollen sich Giovanni (Jean Sorel) und Lucia (Ewa Aulin) eigentlich entspannen. Doch der Architekt wird immer wieder von Eifersuchtsanfällen geplagt, wenn der hübsche Amerikaner Eddie (Sergio Doria) sich zu sehr in der Nähe befindet. Kurze Ruhepausen von seiner Eifersucht findet Giovanni in einer gewaltsamen Affäre mit Lucias Mutter Nora (Lucia Bosé). Zeichen eines drohenden, tödlichen Unheils kündigen sich an und verstärken sich nach der Rückkehr nach Rom.
Giallo ist eben auch viel mehr als Serienkiller mit schwarzen Lederhandschuhen – wie der herausragende LA CONTROFIGURA demonstrierte. Der Prolog* – Jean Sorel fährt in eine Garage, wird von einem Mann angeschossen, fällt in Zeitlupe um und beginnt sich zu erinnern – schafft eine erwartungsvolle Grundstimmung, aber besonders im ersten Drittel ist der Film vor allem erst einmal ein Ehekrisen-Drama, ausgetragen von Jean Sorel und Ewa Aulin an einem malerischen und einsamen marokkanischen Badestrand. Er, Giovanni, ist vor allem ein Arschloch, der seiner Frau die ganze Zeit versucht einzureden, dass sie dumm sei, sie, Lucia, vor allem eine Frau, die offenbar Mühe hat, ihren Urlaub in Präsenz eines solchen Mannes zu genießen (verständlicherweise). Taucht auf: ein mysteriöser und sehr attraktiver fremder Mann am Strand; eine anderes Ehepaar (Silvano Tranquilli und die wunderbare Marilù Tolo); und Lucias Mutter (Lucia Bosé). Das bringt nicht nur Jean Sorels Hormonhaushalt durcheinander (und offenbart seine rapey Tendenzen), sondern zersplittert auch den Film rasch in ein großes Puzzle aus Erinnerungs- und Fantasie-Fragmenten, das sich weder für chronologische oder geografische Kontinuität interessiert noch dafür, ob es sich um Realität, Erinnerung, paranoide Einbildung oder Wunschfantasie handelt.
Im Grunde genommen also etwa das, was METTI, UNA SERA A CENA auch macht, bloß als "richtiger" Genrefilm mit mehr nackter Haut, mehr Sex-Szenen und mehr blutiger und tödlicher Gewalt – und vor allem wesentlich virtuoser und fesselnder inszeniert. All das zusammengehalten von Armando Trovajolis wunderbarem Score, der im Gegensatz zu Morricones in METTI, UNA SERA A CENA nicht nur wunderschön ist, sondern auch dramaturgisch gekonnt eingesetzt: Trovajoli arbeitet mit einer Palette, die wunderschöne Lounge-Musik am Rand des Kitsches und verstörende Dissonanzen umfasst – beide Atmosphären kommen stellenweise gleichzeitig zum Zuge, um die unter der Idylle der nordafrikanischen Sonne lauernden Abgründe zu illustrieren. Jederzeit kann die Stimmung umkippen, genauso wie dissonante Klavierakkorde den sanft einlullende Lounge-Klangteppich "beschmutzen".
LA CONTROFIGURA dürfte wesentlich komplexer erzählt sein als METTI, UNA SERA A CENA, ohne dabei verkopft-bleiern zu wirken. Die Vorführung beim Terza hielt allerdings eine besondere Überraschung bereit: die letzten zwei Akte wurden vertauscht angeliefert und abgespielt, die puzzle-artige Struktur des Films wurde noch weiter aufgebrochen und durcheinander geworfen mit wohl einigen interessanten Effekten. Ein industrieller Ofen in einer Ziegelei wurde so sofort zum makabren Ort der Entsorgung einer Leiche – und war später "wieder" harmlos und doch "aufgeladen" bei der "normalen" Tagestätigkeit zu sehen (während in der richtigen Reihenfolge der Ofen zunächst als "trivialer" Produktionsort präsentiert wird, der später "produktiv" zur Leichenentsorgung verwendet wird). Eine oder zwei Sequenzen waren nun noch weniger klar als "Realität" oder "Fantasie" auszumachen. Der erste Aktwechsel führte ohne jegliche Exposition die Figuren Tranquillis und Tolos ein, so dass nicht nur ich, sondern viele andere Zuschauer das Gefühl hatten, hier bereits einen Akttausch schon erlebt zu haben – während der "wirkliche" Akttausch für mich und für viele andere zunächst unbemerkt blieb und erst aufgedeckt wurde, als dem "gefühlten" Ende des Films (rein visuell, ohne die Musikbegleitung, nur als kurze Schwarzblende ohne "Ende"-Einblendung oder Credits bemerkbar) mehr Film folgte.
*Interessantes Detail: die gezeigte deutsche Kopie enthielt im Vorspann nur den deutschen Titel des Films "Liebe ist wie ein Sturm", sämtliche Credits fehlten komplett. Es scheint so, als hätte man im Kopierwerk vergessen, die deutschen Credits einzufügen, was dazu führte, dass wir eine etwa dreiminütige, ungeschnittene Einstellung auf die Motorhaube eines fahrenden dunkelblauen Citroën DS sahen, mit zahlreichen Spiegelungen vorbeirauschender Gebäude auf der Motorhaube und mit Armando Trovajolis meisterhafter Musik untermalt.


ab 16:00 Uhr

UN AMORE (wörtlich: "Eine Liebe", dt. Verleihtitel: "Junge Haut")
Regie: Gianni Vernuccio
Italien/Frankreich 1965
95 Minuten, OmU
Antonio (Rossano Brazzi), ein wohlhabender Architekt, der auch jenseits seines 40. Geburtstags noch bei Mutti lebt, verliebt sich in die Tanzschülerin Laïde (Agnès Spaak), die er über ein... Institut zur Anbahnung von Bekanntschaften kennenlernt. Als Antonio mehr als nur eine Gelegenheitsbekanntschaft will, wird es kompliziert, denn Laïde scheint mehr als nur einen Verehrer zu haben.

Laïde und Antonio: kein Traumpaar

 
UN AMORE ist eine Variation des Themas "Junge Frau verführt reiferen Mann in die Narrerei". Ich muss zugeben, dass mich der Film ein bisschen kalt gelassen hat. Das Terza Visione ist aber zum Glück auch ein Ort des vielseitigen Austauschs und beim anschließenden Gespräch am geselligen Abendessentisch eines Frankfurter Apfelwein-Restaurants erläuterte ein Co-Zuschauer in sehr schlüssigen Argumenten, warum er den Film so toll fand:
Zunächst war da einmal die Stärke, dass der Film seinen Figuren viel Raum zu Ambivalenzen lässt, wenig Schwarzweiß und dafür viele Grauschattierungen lässt: UN AMORE ist kein Film über ein Flittchen, das einen armen alten Herrn ins Verderben führt noch ein Film über einen alten Wüstling, der ein unschuldiges Mädchen verführt – beide durchleben eine Dynamik von Situationen, die für beide Unangenehmes beinhaltet. Es ist auch ein Film, der letztendlich nicht an eindeutigen Klärungen interessiert ist: wieviel von dem, was Laïde Antonio auftischt, wirklich wahr oder erlogen ist, interessiert ihn weniger als tatsächlich das fragile Gefüge ihrer Beziehung, und wie beide FIguren mit der Situation umgehen. Dabei hat UN AMORE besonders ein Talent für Situationen der "social akwardness": die Silvesterfeier im Dreier mit Laïde, ihrem "Cousin" Marcello (Gérard Blain) und ihrem "Onkel" Antonio nimmt in ihrer Schmerzhaftigkeit fast schon Züge eines schwarzen Horrorfilms an.
Dann ist UN AMORE auch ein wirklich toll fotografierter Film. Besonders hervorstechend sind Visionen und Träume Antonios, bei denen Figuren durch ein komplett mit weißem Licht durchflutetes Nichts wandeln und Gegenstände (etwa die Armlehne eines Stuhls) nur sichtbar werden, wenn sich Antonio im dunklen Anzug davor platziert.
UN AMORE ist auch ein Film der vielen kleinen Ideen – und hier etwas, was ich schon während des Films super fand: Laïde lässt Antonio für ein Mittagessen einfach stehen, und übergibt ihren kleinen Schoßhund in seine Obhut, damit sie sich mit ihrem "Cousin" Marcello vergnügen kann. Antonio ist also versetzt worden für das Mittagessen. Dann halt eben Mittagessen mit dem Hund So sitzt er dann auch einsam in einem Restaurant, auf einem Stuhl neben ihm das Schoßhündchen. Ein extravagant großes Steak wird vom Kellner auf einem mobilen Grill fertig gebraten: Antonio gönnt sich offenbar was Schönes. Das Steak wird auf ein Teller gehievt, und das Ganze dann dem Schosshündchen vor die Nase platziert. Der Hund ist mit dem Stück Fleisch, das etwa zwei mal so breit ist wie er selbst, sichtlich überfordert.


ab 20:00 Uhr

PIZZA CONNECTION
Regie: Damiano Damiani
Italien 1985
116 Minuten, dF
Der Mafia-Hitman Mario (Michele Placido), der als Tarnung einen Pizzaladen in New York führt, bekommt den Auftrag, in der alten Heimat, in Palermo, einen Staatsanwalt zu ermorden. Dort versucht er, seinen jüngeren Bruder Michele (Mark Chase) für seinen Attentatsplan zu rekrutieren.

Brüder und Rivalen beim Männlichkeitstest: wird Michele auf das Pony schießen?

 

Nachdem ich mit UN AMORE nicht so ganz warm geworden bin, hielt sich meine Begeisterung bei PIZZA CONNECTION leider noch etwas mehr in Grenzen. Allerdings bin ich generell eher nicht ein guter Ansprechpartner, wenn es um italienische Polizei- und Mafiafilme der 1970er geht, die Subgenres des italienischen Genrekinos, mit denen ich wahrscheinlich im Allgemeinen am wenigsten anfangen kann (auch wenn ich wohl gerade die sehr "extremen" Vertreter goutiere: sei es Deodatos UOMINI SI NASCE POLIZIOTTI SI MUORE, Fulcis LUCA IL CONTRABBANDIERE oder Bianchis QUELLI CHE CONTANO).
PIZZA CONNECTION hat sich für mich wie ein wenig gelungener Hybrid aus melodramatischem Familien-Drama und ultratrockenem Mafia-Procedural angefühlt. Angereichert mit einigen rohen Sleaze-Spitzen (der Subplot um die Zwangsprostitution von Micheles Teenager-Liebe durch ihre drogenverseuchte Familie) für den Melo-Teil und sehr arm an Action-Attraktionen für den Procedural-Teil (um nicht zu sagen, dass da teilweise sogar durch Ellipsen bewußt alle Thrills abgeblockt werden). Beide Hauptfiguren haben mich auch eher kalt gelassen.
Sehr bizarr: der Prolog und der Epilog spielen beide in New York City. Und beide dürften wohl meine liebsten Teile des Films sein, vielleicht, weil beide Teile für sich kleine geschlossene Perlen des Spannungskinos sind, mit jeweils einem Auftragsmord, der langsam vor unseren Augen vorbereitet und durchgeführt wird.


ab 22:45 Uhr

STRIDULUM (US: THE VISITOR, dt. Verleihtitel: "Die Außerirdischen")
Regie: Giulio Paradisi
Italien/USA 1979
101 Minuten, EF
Das Böse from outer space versucht, die Erde zu knechten. Barbara (Joanne Nail) kann das Böse vererben, ohne selbst böse zu sein, und deshalb soll Raymond (Lance Henriksen), deren Lebensgefährte, Manager eines Basketball-Teams und Henchman des irdischen Stakeholders (Mel Ferrer) der außerirdischen Macht, mit ihr den Antichristen zeugen. Dieser soll zusammen mit seiner bereits achtjährigen großen Schwester Katy (Paige Conner), einem echten Satansbraten vor dem Herren, das auf Geburtstagsfeiern schon für makabre "Unfälle" sorgt, das Böse in der Welt verbreiten. Doch Jerzy Colsowicz (John Huston), der nicht aus Warschau oder Krakau kommt, sondern von den außerirdischen Absolut-Guten, steigt auf die Erde hinab, um gegen das Böse zu kämpfen, unter anderem mit der Unterstützung von Barbaras Haushälterin (Shelley Winters).

Katy: Süßes Gesicht, mörderische Absichten

 
Ein sehr bizarrer Cocktail aus Star-Power (John Huston, Mel Ferrer, Lance Henriksen, Shelley Winters, Glenn Ford, Sam Peckinpah, Franco Nero), Rip-Off-Elementen (THE EXORCIST, THE OMEN, ROSEMARY'S BABY, CARRIE, THE FURY, CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND und Strukturelemente der Polit-Paranoia-Thriller der 1970er Jahre stecken drin), einem faszinierend teurem Look (in dem Film steckte wohl viel mehr Geld drin als bei den meisten anderen Filmen dieses Terzas), völlig wahnsinnigen Ideen (u. a. Franco Nero als Jesus-Double from outer space mit einer knallgelben Wikinger-Damenperücke) und einer kompletten Ungerührtheit dabei – ja, das mögen vielleicht etwas zu viele Zutaten sein, damit das wirklich rund wird, aber faszinierend war STRIDULUM doch auf jeden Fall.
Die wirklich hart verstrahlten Elemente konzentrieren sich vornehmlich auf den Prolog. John Huston als eine Art Gottfigur beschwört Wolken in einer Art Outer-Space-Wüstenlandschaft und erzählt dann einer Gruppe von glatzköpfigen Kindern in weißen Uniformen (sie sollen "gut" sein, sehen aber eher wie eine Gruppe von gehirngewaschenen potentiellen Selbstmord-Attentätern aus) eine komplizierte Geschichte über den Kampf zwischen Gut und Böse, die wohl nicht nur ich, sondern wahrscheinlich auch niemand sonst im Saal im Detail verstanden hat, weil sie so verschlungen-verzweigt und mit unzähligen Namen vollgestopft war. Das darauffolgende Basketballspiel, bei dem Barbara und Katy sowie Raymond eingeführt werden, ist da wieder etwas weltlicher und baut sehr geschickt eine sehr ominöse Spannung auf: dass Katy das vorher von Huston beschworene Böse ist, wird an ihrem Blick klar. Die Auflösung, der Twist der Szene allerdings ist wieder... bizarr? Mel Ferrer wird dann später als weltlicher Vertreter des intergalaktischen Bösen präsentiert – als Vorsitzender einer Gruppe ominöser Geschäftsmänner, die Lance Henriksen in einem riesigen, prunkvoll-pompösen Verschwörungsgruppen-Saal erwarten und von ihm fordern, endlich Barbara zu begatten, damit das Böse sich potenzieren kann.
"Ripoffs" haben oft den Vorteil, dass sie ihren Stoff komplett verdichten können, bis es anfängt zu krachen. Das würde es am übernächsten Tag bei LADY TERMINATOR zu sehen geben, wo die Südseekönigin auf Rachefeldzug jeglichem Terminator das Fürchten lehren sollte und auch hier ist es so: Paige Conners Katy lässt Damien aus THE OMEN (oder auch die bereits besessene Regan aus THE EXORCIST) im direkten Vergleich wie ein süßes kleines Kind wirken, dem man den Kopf tätscheln und einen Keks in die Hand drücken möchte. STRIDULUM ist Terrorkinder-Kino der Extraklasse und das ist vielleicht der klarste rote Faden des Films. Katy sagt nicht nur zu Polizisten (gespielt von Glenn Ford) liebreizende Sätze wie "Go fuck yourself", schlägt nicht nur ihrer Mutter vor, "mit Raymond Liebe [zu] machen, damit ich bald einen kleinen Bruder bekomme" (und schleicht sich dafür zu später Stunde an das mütterliche Bett), sondern schlägt auch ganz alleine eine Bande von Halbstarken auf einer Mall-Schlittschuhbahn, lässt einige von ihnen gar durch die Fenster nahe gelegener Restaurants krachen.
Es gibt etwa 15 bis 20 Minuten vor Ende die vielleicht merkwürdigste Szene im ganzen Film, ganz ohne extravagante Dekors und total verrückten Ideen: es ist einfach nur ein etwas längerer Dialog zwischen John Huston und Shelley Winters. Hier kommt raus, dass die Haushälterin offenbar durchaus irgendwie mit den Kräften des Guten verbündet ist. Ein etwas überraschender Twist, aber das ist es nicht: der Dialog zwischen Huston und Winter ist von einer fast jenseitigen Zärtlichkeit, eine elektrisierende Chemie ist spürbar, als würden sich hier zwei austauschen, die schon seit Jahrzehnten intim sind. Sie sprechen ziemliche Banalitäten, die irgendwie von Abschied handeln, aber durch die Präsenz und das Mimenspiel der beiden Darsteller wird hier fast eine Art romantischer Sub-Liebesfilm innerhalb des Films angedeutet. Andere Co-Zuschauer sahen darin sogar ein Verhandeln von Altern im Hollywood-Starsystem. Wie dem auch sei: auf eine eigensinnige Weise war diese nur scheinbar banale Szene wohl der magischste Moment von STRIDULUM.


Samstag, 22. Juli 2023


ab 14:00 Uhr

LA CORONA DI FERRO ("Die eiserne Krone")
Regie: Alessandro Blasetti
Italien 1941
109 Minuten, OmU
Der mittelalterliche Tyrann Sedemondo (Gino Cervi) versucht nach seinem Putsch die Territorien zu konsolidieren und muss dabei sowohl eine legendäre Krone wie auch seinen eigenen kleinen Sohn in eine weit entfernte Todesschlucht verbannen. Die Krone ist tief versunken und der kleine Junge totgeblaubt – doch dieser kehrt 20 Jahre später als junger Mann (Massimo Girotti) zurück, um an einem Tournier zur Verlosung der Hand von Sedemondos Tochter teilzunehmen.
LA CORONA DI FERRO wurde vor der "großen" Ära des italienischen Genrekinos produziert, die im Mittelpunkt des Terza Visione steht. Ein Vorläufer des Peplums mit einigen Motiven des Mantel- und Degenfilms und einigen mystisch-mythologischen Fantasy-Elementen – das ganze vornehmlich als Mittelalter-Schlachten-Epos, der seine Entstehungszeit in der faschistischen Ära zwar nicht ganz zu verstecken vermag, andererseits viel Pathos und Pomp durch lockere Verspieltheit, Freude an witzigen Ideen, purem Quatsch und einer Begeisterung für schiere Schauwerte zu vermeiden weiß.
 Skepsis und Freude hielten sich bei mir etwas die Waage. Trotzdem die Erzählung wahrscheinlich nicht sonderlich kompliziert sein sollte, wirkte sie für mich verwirrender als manch ein verschlungener Giallo. Viele Texttafeln (grafisch schön aufbereitet als aufgeklapptes Buch, um die märchenhafte Stimmung zu betonen) arbeiteten manchmal sehr oberflächlich, manchmal überakribisch detailliert Exposition ab. Die Dramaturgie des Films navigierte sehr brüsk zwischen harten Ellipsen und vielen Szenen, die mühsam (aber nicht immer schlüssig) eine Brücke zwischen verschiedenen Sinneinheiten bilden sollten. Kurz: ich hatte große Mühe, der Geschichte zu folgen – dadurch aber auch viel Muße, um mich an den vielen schönen Setpieces zu erfreuen. LA CORONA DI FERRO war schon ein "Blockbuster", ein Prestige-Projekt der Zeit und das viele Geld, das in diesen teuren Film gesteckt wurde, sieht man ihm auch durchaus an: opulente, detailreiche, glitzernd-verführerische Set-Designs, denen dem Ton des Films entsprechend weniger daran gelegen ist, ein "realistisches" Bild des Mittelalters zu zeichnen als viel mehr eine kleine Traumwelt zu erschaffen.
Auf der Schauspielerseite auch ein wenig Ambivalenz. Einerseits fand ich den Haupthelden, Arminio, gespielt von Massimo Girotti, eine ziemlich nervtötende Figur und auch die Königin eher blass gespielt von Elisa Cegani. Aber das macht nichts, wenn dafür Gino Cervi (bekannt als Peppone aus den französisch-italienischen Don-Camillo-Filmen mit Fernandel) den König Sedemondo als ruppig-rabiaten und unkultivierten Raufbold spielt, der ständig seine Umgebung mit der Beschimpfung "bestià" bedachte (beispielsweise seine Dienerschaft "Dammi da bere, bestià!" anschnauzend, wenn er zwischendurch jetzt, sofort (!) saufen möchte). Und eine noch bemerkenswertere Darstellung gibt es von Luisa Ferida als militante Kämpferin und "henchwoman" Tundra, die in langen Stiefeln und kurzen Hotpants eine Prise Domina und eine Messerspitze Femme Fatale in ihre Figur bringt. Was für eine wunderbare alternde Grande-Dame hätte sie in der Giallo-Welle der späten 1960er und frühen 1970er werden können, aber sie wurde 1945 zusammen mit ihrem Lebensgefährten Opfer einer summarischen Hinrichtung durch anti-faschistische Partisanen.


ab 16:30 Uhr

NEROSUBIANCO ("Attraction")
Regie: Tinto Brass
Italien 1969
76 Minuten, dF
Barbara (Anita Sanders) wird am Hyde-Park von ihrem Ehemann Paolo aus dem Auto gelassen. Während er noch Geschäfte machen muss, wird ihr Spaziergang durch Swinging London zu einem wilden Trip zwischen Sex, Pop und Politik.

Ein kurzes Cameo des Regisseurs: Tinto Brass als Gynäkologe

 
Mit NEROSUBIANCO feierte das Terza in seiner neunten Ausgabe seine Tinto-Brass-Premiere, und zwar nicht mit einem seiner erotischen Werke der mittleren oder späten Phase, sondern mit einem Film aus seiner frühen Phase, als er noch der experimentellen, avantgardistischen Seite des europäischen Neue-Welle-Kinos nahe stand. Ein Grenzgänger-Film also am Rande dessen, was man noch Genre-Kino (ja gar narratives Kino) nennen kann, eine knapp 80-minütige "Psychedelic Pop Art Experience", wie ein Filmplakat versprach. Ein Film, der wohl leider bei einem großen Teil des Terza-Publikums durchfiel.
Eine gewisse Neigung für Experimentalfilm dürfte wohl nicht schaden, um NEROSUBIANCO zu goutieren. Es ist ein harter, wilder und mit schwindelerregender Intensität geschnittener Ritt durch Swinging London, durch Popart- und Comic-Bilder, durch krieseliges Dokumentar-Found-Footage, begleitet von einem kakophonischen Sound-Design und tranceartige Voiceovers, die ab und zu Platz machen für Song-Einlagen der Band Freedom.
NEROSUBIANCO ist wie gesagt am Rande dessen, was man noch narrativer Film nennen kann, aber Spuren von roten Fäden gibt es dennoch. So steckt auch (schon wieder!) ein Ehekrisen-Drama in diesem Film: Barbaras Ehe mit Paolo ist offenbar erkaltet, nicht unbedingt in abgründige Untiefen als vielmehr in gelangweilte Routine gefangen. Der Spaziergang durch Swinging London bietet ihr die Möglichkeit, mal abseits ihrer Routine nach Eindrücken und Inspirationen zu suchen.
NEROSUBIANCO ist tatsächlich eher eine "Experience" als ein "normaler" Film. Ich bin gerne mit Barbara durch Swinging London gebummelt und habe mich gerne von dem Bilder- und Sound-Strom mitreissen lassen, besonders auf einer großen Kinoleinwand. An vieles kann ich mich schon nicht mehr genau erinnern, dafür ist der Film auch viel zu voll und dicht, aber das ist okay. Wenn Godard sich etwas mehr für nackte Haut, Sex und Erotik interessiert hätte und ein bisschen mehr Spaß und Jux in ihm gesteckt hätte, dann hätten manche seiner Filme vielleicht so aussehen können wie NEROSUBIANCO.


ab 20:00 Uhr

BLINDMAN ("Blindman, der Vollstrecker")
Regie: Ferdinando Baldi
Italien/USA 1971
102 Minuten, dF
Ein blinder Revolverheld (Tony Anthony) ist hinter einer Gruppe von 50 "Mail Order Brides" her, die er zu ihrer Bestimmung eskortieren muss und die ihm von mexikanischen Militärs und amerikanischen Banditen abgeknüpft wurde.

Auch ohne Augenlicht schlägt sich der Revolverheld gegen Banditen und Militärs

 
Wie einst PER UN PUGNO DI DOLLARI sich vor dem japanischen Kino verbeugte (wobei das japanische Vorbild selbst von Dashiell Hammett inspiriert wurde), so transponierte BLINDMAN nun die Figur des blinden Samurais in den wilden Westen. So wie mein Verhältnis zu Leones erstem Western 2017 (kurz vor meinem ersten Terza) erkaltete, konnte ich mich für BLINDMAN leider nicht wirklich erwärmen. Die Titelfigur hat mich weitestgehend kalt gelassen: ob es an der Art, wie die Figur geschrieben war (über weite Strecken scheint der Film mit seiner Blindheit nichts anzufangen) oder am Darsteller (und Co-Produzent und Co-Autor) Tony Anthony selbst lag, der für mich merkwürdig blutleer wirkte – ich bin mir unschlüssig. Auch die Erzählweise des Films, die sich für mich ein bisschen zu sehr wie "Und dann passiert das, und dann das, und dann das, und dann das..." anfühlte, hat mich nicht wirklich mitgerissen. Ist der ganze Film zu zynisch-ironisch-distanziert und hat mich deshalb kaum involviert? Die Mail-Order-Brides schienen mir fast vollkommen belanglos in der Erzählung zu sein, wie ein Element, das halt so im Drehbuch steht – ebenso gut hätte es auch eine Viehherde oder irgendein seltenes Gewehr oder ein Goldschatz sein können. Oder für den Hofbauer-Kongress-Stammgast: das hätte auch eine zünftige Geschichte über Zwangsprostitution im sleazigen Wilden Westen (statt in einer europäischen Großstadt im sleazigen Noir-Ambiente) sein können, aber dann halt nicht (und wozu dazu den blinden Revolverhelden)... Und Ringo Starr als Bruder des Hauptbösewichten scheint mir auch leicht verschenkt.
Nun, irgendwie nicht mein Film, auch wenn das eher Jammern auf hohem Niveau ist: er plätscherte nett vor sich hin. Es gibt jedoch ein kleines Detail, das ich gerne besonders hervorheben möchte. Von dem Gebrüder-Duo der Bösewichte wird knapp nach der Hälfte einer von Blindman getötet. Als der Bruder zusammen mit seinen Schergen die Leiche entdeckt, folgt keine formelhafte Beschwörung von Rache, sondern ein emotionaler Moment der Trauer. Ein Mann hat hier seinen Bruder gewaltsam verloren, ist davon sichtlich gerührt und diese Rührung überträgt sich auch auf seine Schergen und auf die Zuschauer: für eine kurze Zeit steht der Film hier still und räumt der Trauer Platz ein. Das wird mir wohl länger im Gedächtnis bleiben als sämtliche Schießereien und Kämpfe und erzählerischen Wendungen und Kniffe.


ab 22:30 Uhr

PROFUMO (dt. Verleihtitel: "Lorenza")
Regie: Giuliana Gamba
Italien 1987
98 Minuten, OmU
Lorenza (Florence Guérin) hat genug davon, von ihrem allumfassend besitzergreifenden Ehemann Guido (Luciano Bartoli) sexuell erniedrigt und terrorisiert zu werden. Sie flieht und startet ein neues Leben mit dem Gärtner Eddie (Robert Egon Spechtenhauser). Als Guido gewaltsam gegen das frischverliebte Paar vorgeht, täuscht Lorenza ihren Tod vor und heckt einen Racheplan aus, bei dem sie Guido von seinen eigenen Methoden kosten lässt.
PROFUMO war nicht nur für mich eines der großen Highlights des Terza Visione 2023. Mit dem 1980er-Sleaze-Saxofon-Thema (interessante Variation: Altsaxofon statt dem üblichen Tenor-Saxofon – und später davon wieder eine Variation mit Bassklarinette) verführte mich der Film schon, bevor überhaupt das erste Bild zu sehen war und führte uns dann nach den Credits in ein bizarr-groteskes Bordell, bei dem die Grenzen zwischen Kundin / Prostituierte, Security-Angestellter / Freier, Vergewaltigung / Rollenspiel, Körper / Gegenstand ins Strudeln gebracht wurden – ein absolut meisterhafter Prolog, der bereits viele Themen und Motive des Films enthält und in ein... nun, schon wieder, Ehe-Drama führte (und den thematischen roten Faden dieses Terzas seit METTI, UNA SERA A CENA fortspann).
Besonders spannend erscheint mir, wie der Film mit seinen Sets umgeht, man könnte sagen: neureich-dekadenter 80er-Barock, mit Inneneinrichtungen, die allesamt sehr teuer, dabei aber auch erstickend, leblos, leer, seelenlos, minimalistisch um des Minimalismus willen aussehen, hermetisch gegen Tageslicht abgeschirmt, reduziert auf totale Funktionalität (in Guidos riesigem Arbeitszimmer gibt es praktisch nur einen riesigen Schreibtisch mit einem Computer drauf, daneben steht ein Fernrohr, mit dem er die Nachbarn bespannt) oder auf reine Repräsentation (eine Hotel-Lounge mit schweren, erstickenden Teppichen und überteuerten Designer-Möbeln). Lorenza wandelt in ihrem Zuhause und in ihren Hotels durch kalte Landschaften, die sehr gut dem emotionalen Zustand ihrer Ehe entsprechen. Befreiung gibt es hier teilweise am Strandhaus, an dem sie vor ihrem Ehemann entfliehen kann und eine Affäre mit dem tollpatschigen aber süßen Junior-Hausmeister und -Gärtner anfängt, aber wahrscheinlich nur, weil mehr Sonnenlicht zu sehen ist, wenn sie und ihr Toyboy am Strand auf dem nassen Sand Sex haben.
Ich verdanke PROFUMO auch, dass ich in meinem Leben nie wieder eine Dose Coca-Cola mit unschuldigen Augen werde sehen können. Es fängt harmlos an: Lorenza und Edward, am Rand des Pools am Strandhaus, schütteln die Dosen und spritzen sich gegenseitig mit Cola voll, aber die phallische Dose und vor allem ihr Inhalt werden danach von Lorenza auf sehr kreative Weise in ihr Liebesspiel eingebaut. Da kann Christie aus NINJA III: THE DOMINATION ihren V8-Tomatensaft einpacken! Es wird geträufelt und geleckt, dass einem Sehen und Hören vergeht und die Kinnlade runterklappt. Und dann verschwimmen – wie im Prolog angekündigt – wieder die Grenzen und Zehen nehmen die Funktion von Penissen ein...
Motive aus Filmen wie Lucio Fulcis furiosem Melodrama am Rande des selbstzerstörerischen Wahnsinns IL MIELE DEL DIAVOLO, Brian De Palmas Meditation über Voyeurismus und die Inszenierung von Verführung als Performance BODY DOUBLE und Yves Boissets genre- und gender-fluiden Identitäts-Psychogramm LA TRAVESTIE waren für mich bei PROFUMO spürbar: allesamt Filme, die ich letztes Jahr zum ersten Mal gesehen habe, auf unterschiedliche Weisen (aber stets sehr hohem Niveau) für meisterhaft halte und in deren Reihe ich jetzt ohne zu zögern PROFUMO stellen würde. Eine Frau, die von einer latent gewalttätigen Beziehung in die Enge getrieben wird; die performative Inszenierung von Körpern zur Irreleitung sehgieriger Voyeure; das geschlechtsübergreifende Spiel mit verschiedenen Identitäten.
Besonders letzteres führt in der zweiten Hälfte des Films zu schier unglaublichen Momenten, als Lorenza das Geschlecht "wechselt" und sich mit Kurzhaar-Perücke und Maßanzug als Yuppie inszeniert (die Ähnlichkeit mit Nicole aus Boissets LA TRAVESTIE war verblüffend) und Edward mit ein bisschen Makeup und Stöckelschuhen in eine passende "Trophy-Wife" verwandelt wird – und beide ihre Performances zunächst in der Öffentlichkeit ausprobieren, bevor sie dann auch gewalttätigen Sex (Lorenza nimmt Edward hart von hinten) hinter der Gaze des Vorhangs proben, der für Fernrohr-Voyeure das Spektakel verundeutlicht und umso anregender macht.
Die überaus charismatische Florence Guérin legt hier nicht weniger als eine Jahrzehnt-Performance ein und hat weit mehr als ein schönes Äußeres zu bieten. Schade, dass ein Großteil des damaligen (und wohl auch heutigen) Publikums niemals auf die Idee käme, Schauspieltalent in einem kostengünstigen Sexfilm zu sehen. Und wie gut, dass es da eben Terza Visione gibt. Oder kurz: gemeinsam mit BUIO OMEGA war PROFUMO der große, alles überragende Höhepunkt dieses Terzas.


Sonntag, 23. Juli 2023


2022 wurde beim Terza Visione der "internationale Tag" eingeführt: gezeigt wurden Genrefilme nicht-italienischer Produktion. Der Blick "über den Tellerrand" soll die Perspektiven auf das italienische Genrekino erweitern und die transnationalen Verflechtungen des Genrekinos im internationalen Kontext verdeutlichen. Also gewissermaßen den Dialog zwischen Subgenres eines einzelnen Landes erweitern zu einem Dialog des Genrekinos jenseits von Ländergrenzen.
Als Anhänger der Programmierung von italienischen "Grenzgängern" (also Filmen am äußersten Rande dessen, was noch "Genrekino" genannt werden kann) fand ich die Idee schon letztes Jahr sehr schön und gelungen. Dieses Jahr wurde das allerdings sogar noch weiter getoppt, angefangen mit einem "Übergangsfilm", nämlich einer italienischen Bearbeitung der US-amerikanischen Version eines japanischen Films...



ab 12:45 Uhr

GODZILLA
Regie: Luigi Cozzi, Ishiro Honda, Terry Morse
Italien/Japan/USA 1977
97 Minuten, OmU
Am 6. August 1945 wird Hiroshima durch die Atombombe zerstört. Knapp zehn Jahre später ist es ein ungeheuerliches Monster, das Tokyo zerstört. Und der amerikanische Journalist Steve Martin (Raymond Burr) muss das hilflos mit ansehen.

Raymond Burr als ultimative Popart-Ikone des Reaction-Shots

 
GODZILLA, auch als "Cozzilla" bezeichnet (die für den Film geschaffene Produktionsfirma trug tatsächlich diesen Namen), ist ohne Zweifel die bizarrste Entdeckung des diesjährigen Terzas. Luigi Cozzi, großer Liebhaber von US-Monsterfilmen der 1950er Jahre, wollte nach dem großen Erfolg von KING KONG 1976 aus diesem etwas Kapital schlagen und eigentlich "nur" irgendeinen Monsterfilm neu verleihen. Es wurde GODZILLA, doch statt des originalen japanischen Films wurde die US-amerikanische Version genommen, die nachgedrehte Szenen mit Raymond Burr enthielt. Aber ein Schwarzweiß-Film im Jahre 1977 wieder in die Kinos zu bringen, das ging doch nicht – außerdem war der mit 80 Minuten zu kurz. So schnitt Cozzi dokumentarisches Material zu den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki in den Film, dazu noch ein paar Schnipsel aus weiteren japanischen Monsterfilmen und hier und da noch Second-Unit-Material aus anderen Filmen (u. a. aus Frankenheimers THE TRAIN) und in einem umständlichen Verfahren (wohl teilweise mit Einzelframe-Bearbeitungen) wurden mit Gel gefärbte Schablonen genutzt, um aus dem Schwarzweißfilm einen "Farbfilm" zu machen. Und das ganze für den italienischen Markt noch italienisch synchronisiert, zumindest die meisten Szenen – aber nicht alle: einige japanische Dialoge sind unbearbeitet im Film verblieben.
Ein Kommerzprojekt also, das sich vom Erfolg von KING KONG ein schönes Scheibchen abschneiden wollte und die Kolorierung als Prozess mit dem klangvollen Namen "Spectorama 70" vermarktete... und das aus heutiger Sicht eher teilweise wie abstrakte Videoinstallationskunst aussieht. Oder wie das Programmheft beschrieb: wie ein "postmoderner Experimentalfilm".
Luigi Cozzis GODZILLA hat wohl viele Zuschauer im Publikum ganz fürchterlich gelangweilt, und ich kann durchaus verstehen, warum das so ist. Auch die Aussage "Muss ich mir niemals wieder antun" kann ich ein Stück weit nachvollziehen. Mich hat der Film allerdings vollkommen fasziniert. In seiner Einführung erwähnte Sven den Gedankengang, dass GODZILLA in dieser Fassung quasi zu den Ursprüngen des Kinos als Jahrmarktattraktion zurückkehrte. Tatsächlich hatte der Film ein komisches Feeling: teilweise wie ein Artefakt des Ur-Kinos in seinen ersten 20 Jahren; teilweise sehr in seiner Entstehungszeit verankert mit dem Disco-gefärbten Elektroscore (von Vince Tempera und Fabio Frizzi); teilweise wie ein undefinierbares retrofuturistisches Etwas, das unaufhaltsam vor sich hinwaberte und den Zuschauer wahlweise K.O.-mäßig langweilte oder unaufhörlich hypnotisierte.
Die Kolorierung sieht eben nicht aus wie eine Stummfilm-Virage, mit einer einheitlichen Farbe, sondern unterschiedliche Areale des Bilds werden mit gelben, oder grünen, oder blauen, oder magentafarbenen, oder roten Schattierungen eingefärbt, teils einzeln, teils mit drei oder vier Farben gleichzeitig. Das Verfahren führte auch zu einem leichten Schärfeverlust der einzelnen Bilder, machte sie noch etwas weicher. Traumartiger auch: GODZILLA scheint man weniger zu sehen als zu träumen. Auch wenn stellenweise die Einfärbungen dramaturgischen Rahmenbedingungen folgten (ein sagen wir mal teilweise gelblich eingefärbtes Bild wird teilweise in Blau eingetaucht, nachdem eine Figur in einem Raum den Lichtschalter ausknipst) – den größten Teil der Laufzeit tut sie es nicht! Jedes einzelne Bild wird hier zu einem Ereignis gemacht (an dieser Stelle frage ich mich, ob Andy Warhol wohl GODZILLA gemocht hätte) und das machte für mich den Film so spannend: jede nächste Szene, jedes weitere Bild war potentiell eine Überraschung. Verblüffend sind nicht die Bilder mit ihrem Inhalt an sich, sondern eher, dass halbwegs vertraute Bilder mit bekannten Monsterfilmmotiven derartig verfremdet werden (durch die Kolorierung, durch den Score, durch die italienische Synchro), dass etwas komplett Neues entstand, das wesentlich weiter geht als nur elektronische Musik zu einem Stummfilm, sondern vielleicht eher vergleichbar ist mit Bill Morrisons Collagen degradierter alter Filmkopien. Es zählt natürlich für alle Filme, die beim Terza liefen, aber für diesen Film wohl noch mehr: es ist ein Werk, das man definitiv im Kino auf einer guten 35mm-Kopie sehen sollte.
Der Film nimmt durchaus Gesten eines engagierten Plädoyers gegen die Atombombe ein – er tut es mit diskutablen Mitteln, die man je nach Neigung als völlig geschmacklos oder sehr interessant ansehen kann, denn der Prolog zerrt den Subtext des originalen GODZILLA gnadenlos in den Scheinwerfer: eine Einblendung datiert uns auf den 6. August 1945, es folgen dokumentarische Bilder des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, inklusive materiellen Zerstörungen und auch Bildern von Schwerverletzten und Leichen, das ganze mit einem Score untermalt, der hybrid zwischen Disco und Industrial schwankt. Der Begleittext im Programmheft spricht von "Mondo-Qualitäten", in der Einführung zum Film wurde die Lust an Gewalt erwähnt. Im Kontext der 1970er Jahre sprechen wir von einer Zeit, in der Bilder von Hiroshima und Diskurse um Hiroshima eher Teil von Subgruppen (Friedensbewegung) oder von "intellektuelleren" Kunstformen (sagen wir dem Autorenkino) waren, und nicht etwas, was in den Mainstream der Popkultur vorgedrungen war.
Und dazwischen Raymond Burr, in der amerikanischen Fassung von GODZILLA so etwas wie der "kulturell nähere" Erzähler, der wahrscheinlich auch dort schon viel vor sich hin starren musste: hier wird er zu einer Pop-Art-Ikone des Reaction-Shots. (Oder zum Meta-Kommentar über die amerikanische Präsenz in Zeiten der Atombombe und des Kalten Kriegs, wie andere Zuschauer danach meinten). Tokyo wird von einem Monster in kleine Stücke kaputt gehauen und getreten, ein Liebes-Dreieck mit großem Melo-Einschlag entfaltet sich vor seinen Augen zwischen zwei japanischen Männern und einer Frau, aber er kann nur fassungslos da stehen und starren, während gelbe, blaue, magentafarbene Schleier ihm durch das Gesicht flimmern.
Der Film endet mit der mahnend-fragenden Einblendung "Fine?" über einem knallroten Bild. Die Antwort war auf gewisse Weise "ja". Am Ende des Kassensturzes war der Film mittelmäßig erfolgreich in Rom und Mailand: kein Flop, aber auch kein richtiger Hit. Cozzi hat mit GODZILLA ein komplett eigenes Subgenre geschaffen – und dessen (wahrscheinlich) einziger Vertreter. Ruggero Deodatos LA MOGLIE DI FRANKENSTEIN, Lucio Fulcis DEVIAZIONE PER L'INFERNO, Umberto Lenzis LA COSA DA UN ALTRO MONDO, Alberto De Martinos IL PENSIONANTE – das wäre doch was gewesen! Später machte wenigstens Dario Argento IL FANTASMA DELL'OPERA, aber der war "nur" ein "normaler" Film.


ab 16:30 Uhr

COŽ TAKHLE DÁT SI ŠPENÁT ("Wie wäre es mit Spinat?")
Regie: Václav Vorlíček
ČSSR 1971
86 Minuten, OmU
Zemanek und Liška sind kleine Fische, die in ihrer Fabrik für organisierte Schieber einmal zu oft stehlen, einige Zeit absitzen und dann schon an den nächsten Coup gelangen: ein Ganove (Jurai Herz, der Regisseur von DER LEICHENVERBRENNER), der auf Friseur umgesattelt ist, möchte eine für die Rinderzucht konzipierte Verjüngungsmaschine als Verjüngungskur für zahlungskräftige Kunden missbrauchen. Leider hat die Verjüngungskur ungeahnte und schwere Nebenwirkungen, wenn die bestrahlten Subjekte vorher Spinat gegessen haben...

Der Geist eines hungrigen Säuglings im Körper einer Erwachsenen in einem Nobel-Restaurant: das kann nicht gut gehen!

 
Wer sich schon immer gefragt hat, wo der Missing Link zwischen Howard Hawks' MONKEY BUSINESS und HONEY, I SHRUNK THE KIDS liegt: in der Tschechoslowakei, genauer gesagt im Barrandov-Filmstudio!
COŽ TAKHLE DÁT SI ŠPENÁT war der Ersatzfilm für den ursprünglich geplanten PANE, VY JSTE VDOVA! ("Mein Herr, Sie sind eine Witwe!") des gleichen Regisseurs (Václav Vorlíček, Regisseur des in Deutschland berühmten Märchenfilms DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL) und des gleichen Drehbuchautors (Miloš Macourek), deren siebenter gemeinsamer Film. Beide begannen ihre Zusammenarbeit 1966 und konnten nach der Niederschlagung des Prager Frühlings nahtlos weiterarbeiten, um populäre Komödien zu drehen.
Aller Anfang ist schwierig, und so begann "Wie wäre es mit Spinat?" auch eher zäh, mit einer eher schwerfälligen Exposition, die die beiden kleinen Betrüger Liška und Zemanek erst einmal in den Knast bringt, um sie dann auf ihrer neuen Arbeit auf eine Verjüngungsmaschine treffen zu lassen. Daneben werden auch die anderen Charaktere, darunter die Chefin einer argentinischen Rinderzuchtfarm auf Geschäftsreise, eher wenig elegant in den Film geführt. Dann aber fängt es an, für die Figuren richtig schief zu laufen – und der Film selbst beginnt, Fahrt zu nehmen. Nach einer geruhsamen Nacht neben der geliebten Frau bzw. Freundin wachen unsere beiden Gauner als Kinder auf: sie werden nun von Kinderdarstellern gemimt, die von den ursprünglichen Darstellern synchronisiert werden – kleine Jungs also, die mit röhrenden Stimmen und erwachsenem Jargon sprechen.
Im letzten Drittel gewinnt der Film eine Dynamik, eine Beschleunigung, schließlich eine Rasanz, ein Niveau an totaler Eskalation der Gags und der puren Action und der Lust an Chaos und Zerstörung, die sich durchaus mit Hollywood und Hawks messen können. Das Set: Eingangsbereich, Speiseaal und Küche eines Prager Hotels. Die Protagonisten: die zwei nunmehr gealterten Ganoven, ein körperlich aber geistig nicht gealterter weiblicher Säugling, ein jähzorniger Koch und viele Gäste. Die Action: eine komplette Verwüstung des Speisesaals und der Küche, mit Verfolgungsjagden über und unter die Tische, mit Verschüttung und Verschmierung unzähliger creme-haltiger Saucen und Desserts, mit einer obsessiven Jagd nach den letzten Resten von Spinat (notfalls auch vom Jackett-Rücken am Träger, der eben in einen Spinatbottich gefallen ist, abzukratzen und abzulecken), Verwechslungen von bratfertigen Lämmern und Säuglingen und dazwischen werden noch Leute geschrumpft. Eine filmische Lachexplosion erster Güte!


ab 20:00 Uhr

PEMBALASAN RATU PANTAI SELATAN ("Lady Terminator")
Regie: Tjut Djalil
Indonesien 1989
82 Minuten, EF
Es gelingt einfach keinem Mann, die Südseekönigin zu befriedigen. Deshalb murkst sie jeden Sexpartner ab. Nur einer schafft es, ihr die Schlange zwischen den Beinen zu entwinden und daraus einen Dolch zu zaubern. Die Südseekönigin nimmt übel und schwört Rache für in 100 Jahren. Ihr Fluch fällt auf eine Doktorandin der Anthropologie (Barbara Anne Constable), die vom Geist der Königin besessen wird und in den Straßen Jakartas ein Blutbad nach dem anderen veranstaltet. Können der Polizist Max und die Sängerin Erica sie stoppen?

In rasender Zerstörungswut durch Jakarta: Barbara Anne Constable als "Lady Terminator"

 
LADY TERMINATOR gehörte mit seinem verheißungsvollen Plakat ("She mates. Then she terminates" plus Barbara Anne Constable mit großer Wumme gleich fünf mal) und seinem eher exotischen Ursprungsland zu den heiß erwarteten Filmen des internationalen Tags. Die Versprechen wurden mehr als eingelöst: in kompakten, knapp 80 Minuten dürfte der Film mehr knallige Action und blinde Zerstörungswut auffahren als die kompletten sechs Teile von TERMINATOR zusammengenommen – und dazwischen auch mehr ruppigen Sleaze. Die Szene, als die Titelheldin (ja-ja, eigentlich Antagonistin) in ein Polizeirevier einfällt und es Raum für Raum, Korridor für Korridor, Stockwerk für Stockwerk in nicht weniger als eine monströse Schlachteplatte kaputt und tot schießt, war alleine schon der Eintritt wert. Der Film weiß dann auch ganz genau, was er an der charismatischen Barbara Anne Constable hat, die er in ihrer leider einzigen Filmrolle leicht von unten gefilmt in eine Action-Ikone verwandelt, in eine tödliche Göttin der Zerstörung. (Als sie noch nicht besessen ist, mimt sie die tollpatschige, leicht naive Anthropologie-Doktorandin. Nach ihrer Inbesitznahme durch die Südseekönigin ist sie eine komplett andere Person. Bei aller Action ist LADY TERMINATOR zumindest für die Hauptfigur auch Schauspielerkino, gleichwohl Max' Christopher J. Hart wie ein Jeff Daniels mit eingefrorenem Gesicht und vergessenem Text wirkt).
Der internationale Anspruch der Produktion zeigt sich nicht nur in den Darstellern, mit einigen anglo-amerikanischen Protagonisten sowie rein indonesischen Side-Kicks und Komparsen, sondern auch in einigen geschickt eingefügten Second-Unit-Shots von New York (man sieht die Twin-Towers), die die geografische Verortung verundeutlichen: die Discos, Malls, Hinterhofgassen, Straßen und mehrspurigen Schnellstraßen scheinen aber offenbar alle in (Süd)ostasien zu liegen – ihre kalte Großstadtdschungel-Anonymität bilden den idealen Boden für rasante Verfolgungsjagden zu Fuß und mit dem Auto.
Faszinierend ist auch, dass PEMBALASAN RATU PANTAI SELATAN (also wörtlich "Die Rache der Südseekönigin") kein reiner TERMINATOR-Ripoff ist, sondern eher Motive aus James Camerons Film in eine mythologische Horror-Märchengeschichte einbaut. Und die ersten paar Minuten erinnern dann auch eher an Softerotik-Sleaze-Hobel italienischer Provinienz als an US-SciFi-Action der Zeit: glitschig-schmieriger Sex, fotografiert in edel glitzernden (aber doch sichtbar billigen) Dekoren, mit einem bösen Ende für den von der Südseekönigin berittenen Mann, der seinen Penis von der Schlange abgebissen bekommt, die sich in ihrer Vagina befindet und dem dann nichts anderes bleibt, als sich selbst mit Blut voll zu spritzen (same procedure as 100 years ago, als dann die besessene Anthropologin schmierige Hotelbedienstete und in Punk-Klamotten gekleidete Halbstarke verführt).
Wenn eines, dann zeigt LADY TERMINATOR dass gutes Exploitationkino international ist. 34 Jahre, eine bewegte Zensurgeschichte mit leicht ummontierter internationaler Fassung und 11.000 Kilometer zwischen Jakarta und Frankfurt am Main ändern nichts daran, dass der Film an diesem Sonntagabend sich ganz direkt in die Herzen des Publikums hineinballerte.


ab 22:15 Uhr

LE FRISSON DES VAMPIRES ("Das Schaudern der Vampire" aka "Sexual-Terror der entfesselten Vampire")
Regie: Jean Rollin
Frankreich 1971
95 Minuten, OmU
Isla und Antoine haben frisch geheiratet und möchten die Cousins der Braut in deren Schloss besuchen. Gerüchte über deren Tod erweisen sich als falsch – oder auch nicht: die beiden Exzentriker sind Vampire geworden und ihr vampiristisches Entourage übt auf Isla einen wesentlich größeren Reiz aus als die Aussicht auf den Vollzug der ersten Ehenacht mit ihrem Gemahl.

Das Brautpaar und die Dienerinnen der Vampire

 
Die letzten Terzas endeten immer auf einer jenseitigen Note: Fulcis L'ALDILÀ und QUELLA VILLA ACANTO AL CIMITERO 2021 und 2019. Dieses Jahr wurde der Ausklang mit Jean Rollin weitergeführt, nachdem LA ROSE DE FER 2022 das Terza im Jenseits eines Friedhofs beziehungsweise am jenseitigen Strand von Pourville beendet hatte. Einen Friedhof gibt es auch in LE FRISSON DES VAMPIRES und er endet auch am Strand von Pourville.
Rollin ist gewissermaßen der Ozu des europäischen Vampirfilms: ein Teil seiner Filme mit ihren vielen ähnlichen Vampir-Titeln wirken zusammengedacht fast wie ein einziger Film, und so hat mich das letzte Drittel von LE FRISSON DES VAMPIRES, den ich 2018 kennengelernt habe, merkwürdig auf dem falschen Fuß erwischt, weil ich wohl Teile mit dem Ende (oder zumindest längeren Passagen) von LE REQUIEM DES VAMPIRES verwechselt habe. So fühlte ich mich im letzten Drittel "wie im falschen Film" – letztendlich ein Meckern auf sehr hohem Niveau, das bestätigt, dass ich LE FRISSON etwas weniger mag als REQUIEM und ihn in Kenntnis von mittlerweile ein paar Rollins nicht mehr zu den Tops zähle.
Aber es ist natürlich immer noch Rollin. Über LE REQUIEM DES VAMPIRES schrieb ich einst: "Karge französische Landschaften, in denen die Figuren ganz klein und verlassen erscheinen; leicht verfallene, mystisch aufgeladene Friedhöfe; ein Schloss, das man ohne Mühe als denkmalgeschütztes historisches Gebäude identifizieren kann, das aber Rollin mit der Kamera in eine Art Paralleldimension hebt. Abgesehen von einem Klecks Kunstblut hier und da und einer gelegentlichen Beleuchtung in Primärfarben entfaltet sich Rollins Vampirmär völlig ohne Spezialeffekte, denn für den Franzosen ist das Kino selbst der Spezialeffekt." Und wo merkt man letzteres besser als in einem Kino?
Völlig außerweltlich war Rollin dennoch nicht. Ihn als politischen Regisseur zu bezeichnen, würde wohl nicht vielen auf den ersten Blick einfallen, aber LE FRISSON DES VAMPIRES zeigt wieder seine Sympathie für die Verstoßenen, die Freaks, die Außenseiter, die Marginalisierten, die außerhalb der gängigen gesellschaftlichen und sexuellen Normen stehen, während die spießigen, geradlinigen Alpha-Männchen mit ihren kleinbürgerlichen und engstirnigen Vorstellungen als Antagonisten wirken – und auch mal bloßgestellt und ins Lächerliche gezogen werden, etwa in der fantastischen Bibliotheksszene, in der Antoine wie von unsichtbarer Hand die ganzen Bücher über den Kopf geworfen bekommt. LE FRISSON DES VAMPIRES war auch der ideale Abschluss für das Thema, das sich, angefangen mit METTI, UNA SERA A CENA, durch das ganze Festival zog: Ehe in der Krise. Denn Rollin erzählt hier auch die Geschichte einer dysfunktionalen Ehe und einer Frau, die außerhalb dieser pappigen und unwürzigen Ehe und ihrer Restriktionen (Antoine ist furchtbar besitzergreifend, auch wenn er seine "erste Nacht" nicht bekommt) von den köstlichen Früchten des nicht-heteronormativen Sex, des Vampirismus und des Lebens außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft kostet.
Des weiteren schrieb ich über Rollin einmal: "Seine Filme fließen wie Träume vorbei. An nicht alles kann man sich erinnern und wenig scheint vernünftig zu sein – aber nach dem Aufwachen scheint die Realität noch etwas öder, und mit dem nächsten Schlaf lockt eine süße Versuchung!"
Und ich bin sicher: das nächste Terza wird mit vielen weiteren süßen Versuchungen locken!

Ende am Strand von Pourville

 

Samstag, 24. Dezember 2022

Zärtlich, lustvoll und wüst in der Messestadt

Bericht vom außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos im Luru-Kino, Leipzig, 9.-12. Juni 2022


Editorische Notiz:

Zwischen dem Leipziger Hofbauer-Kongress und der Veröffentlichung dieses Textes ist viel Zeit vergangen. Teile des Berichts wurden am Montag und Dienstag, dem 13. und 14. Juni 2022, entworfen. Andere Teile kamen später, als die Erinnerung an die entsprechenden Filme bereits etwas verblasst war. Starke Qualitätsschwankungen im Text kommen (unter anderem) daher.



Nach über zwei Jahren pandemiebedingter Pause lud das Hofbauer-Kommando im frühen Sommer 2022 recht kurzfristig zu einem neuen Kongress unter dem Motto "Zärtlich, lustvoll, wüst" ein – und gönnte sich dabei ein Auswärtsspiel im Leipziger Luru-Kino. Zu entdecken gab es ein schönes, kleines, atmosphärisches Kino auf einem ehemaligen Industriegelände im Westen Leipzigs. Ein wunderbares Feature: auf dem kleinen Platz vor dem Kinoeingang konnten Filme spätabends in Open-Air-Vorstellungen gezeigt werden. 



Der leicht versteckte Eingangsbereich des Luru-Kino


Donnerstag, 9. Juni 2022


20.00 Uhr


CLAUDE ET GRETA ("Greta – Die Fremde kam nackt")

Regie: Max Pécas

Frankreich 1970

91 Minuten, 35mm, DF

Die naive schwedische Studentin Greta kommt nach Paris, wo sie unter die Protektion der reichen Lesbierin Claude gerät. Die ohnehin angespannte Beziehung zwischen den beiden Frauen wird herausgefordert, als Greta sich in Jean verliebt – der wiederum in einer angespannten Beziehung mit dem schwulen Künstler Mathias lebt.

Eine Sexploitation-Geschichte für das Bahnhofskino, erzählt in den erlesenen, slicken Bildern des hochpreisigen "Qualitäts"-Kino: visuell ist CLAUDE ET GRETA – auch trotz des leichten Rotstichs bei der gezeigten Kopie – absolut makellos, ja vielleicht sogar etwas zu makel- und kantenlos. Die Sexszenen sind durch Schleier fotografiert und wirken dadurch gleichzeitig sehr geschmackvoll, aber eben auch ein bisschen körperlos...

Da ich mir zu diesem Film keine Notizen gemacht hatte, fällt es mir viele Monate später sehr schwer, mich an Einzelheiten zu erinnern. Nur ein wohliges Gefühl schöner Bilder bleibt. Und ein sehr unwohliges Gefühl bezüglich seiner moralisierend-reaktionärer Heteronormativität, die weniger unterschwellig als sehr prononciert ist: der Film legt es schon drauf an, die beiden homosexuellen Figuren als wahlweise intrigant-manipulativ oder lächerlich darzustellen (wenn er dabei scheitert, Claude und Mathias also offensichtlich entgegen den Absichten des Films ein Eigenleben als würdige Charaktere entfalten, ist der Film am interessantesten – während Greta und Jean schon eher fade Trüblinge bleiben).



Vorbereitetes Open-Air am Luru-Kino



22.00 Uhr

Open Air


DAS STACHELTIER: DAS GROSSE ABENTEUER

Regie: Richard Groschopp

DDR 1953

10 Minuten, 35mm

Ein Bayer fährt zu einer Messe nach Leipzig, voller Angst, von der Stasi verhaftet und nach Sibirien deportiert zu werden.

Ein interessanter Film darüber, wie sich Ostdeutsche in der Hochphase des Kalten Kriegs (und noch im Stalinismus) den Ottonormal-Bayern vorgestellt haben: mit Lederhose und einem großen Proviant an Bier im Reisegepäck ausgestattet, etwas trottelig, aber eigentlich auch herzensgut. Die "Stasi-Leute", die ihn "verhaften" kommen, entpuppen sich als Mitbewohner für das Zimmer im messebedingt ausgebuchten Hotel – beruhigt kann da das Reiseproviant an Bier und Weißwürsten gemeinsam vernichtet werden! Wäre der Handelsreisende bloß in Leipzig geblieben – denn zurück in Bayern gerät er richtig in Schlamassel!



HUT AB, WENN DU KÜSST!

Regie: Rolf Losansky

DDR 1971

86 Minuten, 35mm

Die Automechanikerin Petra (Angelika Waller) wird von ihrem Verlobten, dem Ingenieur Fred (Alexander Lang) regelmäßig gerügt, weil sie sich zu männlich benehme. Ihres trüben Fiancés überdrüssig lässt sich Petra nur allzu gerne den Hof machen von Juan (Rolf Römer), dem Neffen eines spanischen Konsuls, der zu Besuch bei der Leipziger Messe weilt.

HUT AB, WENN DU KÜSST! stellte eine Premiere beim Hofbauer-Kongress dar: der erste abendfüllende Film aus der DDR, der bei dieser Veranstaltung lief. Nun, Sexfilme gab es in der DDR offiziell natürlich nicht... doch Lust, Begehren und Erotik konnten sich natürlich doch in der einen oder anderen Form in eine Komödie oder in ein Melodrama einschleichen (siehe dazu einige meiner Ausführungen zu DIE SCHÖNSTE, DU UND ICH UND KLEIN-PARIS, REIFE KIRSCHEN und DIE ENTFERNUNG ZWISCHEN DIR UND MIR UND IHR, die beim 1. Jenaer Paradies-Filmfestival liefen). Der Leipziger Kongress griff nun also zu dieser Leipziger RomCom, um das sleazologische Terrain der DEFA zu erkunden. Die Aussicht war schön, wenn auch nicht sonderlich spektakulär: zu sehen gab es eine Neo-Screwball-Komödie, die dank eines hohen Tempos und vieler witziger Ideen ein sehr kurzweiliges Vergnügen bereitete (auch wenn der Film ein verblüffend reaktionäres Bild von Geschlechterbeziehungen und Ehe hat: hier gut vergleichbar mit REIFE KIRSCHEN – und möglicherweise Ausdruck einer konservativen Familienpolitik in der DDR der 1970er?). Szenen, die in Schwarzweiß mit schneller Klaviermusik zu kleinen Slapstick-Nummern stilisiert werden; einige witzig-amouröse Verfolgungsjagden durch ein internationales Messe-Hotel; ein sehr denkwürdiges gemeinsames Duschen des enttäuschten und traurigen Fred mit einem Arbeitskollegen in der Werksdusche, bei der das tröstende Gespräch mit der Vernichtung rauher Mengen an Radeberger-Pils einhergeht; dazu immer wieder Verwechslungssituationen, wenn Petra wahlweise in "männlichem" Mechanikeroverall oder "weiblicher" Abendgarderobe von Leuten nicht erkannt wird. Und der große Höhepunkt: Petras lange, singende und sehr befreiende Radtour durch die Leipziger Innenstadt, gefilmt in einer einzigen langen und ausgelassenen Plansequenz on location.




Freitag, 10. Juni 2022


14.00 Uhr


SCHÖN IST DIE MANÖVERZEIT – "KARTOFFELSUPP, KARTOFFELSUPP"

Regie: Erich Schönfelder

Deutschland 1931

77 Minuten, 35mm

Im Internat der Baronin Wittenau sind zwar Lola, Fritzi, Vera und Elsa untergebracht – aber ein Mann, das fehlt! Das ändert sich, als eine Armeeeinheit mit vielen feschen, jungen Soldaten für ein nahegelegenes Manöver einquartiert wird.

Die sleazologischen Expeditionen des Hofbauer-Kommandos im deutschen Kino haben bei diesem Kongress zum ersten mal in die DDR geführt – das Vorkriegskino wird schon länger ausgelotet. Dass das Weimarer Kino mehr ist als Expressionismus und Fritz Lang, hat diese schöne Ausgrabung wieder einmal deutlich gemacht: eine frische, spritzige, vergnügliche, teils verblüffend moderne und teils erstaunlich pikante Komödie. Atmosphärisch und inhaltlich wird einiges abgedeckt: es gibt Gesangseinlagen, Slapstick, Romantik, leises Begehren und derbe Erotik, subtile Gags und schenkelkopfenden Klamauk – und an jeder Ecke lauert eine Verwechslung.

Es beginnt damit, dass Ida Wüst breitbreinig in einem androgynen Reiterkostüm eine Reitgerte lustvoll verbiegt und mehrmals sehr bestimmt "Wir brauchen Männer!" sagt. Ida Wüst wird dann auch ein wenig der schauspielerische Fixstern des Films bleiben: das fetischistische Kostüm wird sie dann gegen klassische Hausherrin- und eleganter Abendgarderobe tauschen, aber ihre charismatische Präsenz wird die gleiche bleiben. Als ich meinte, der Film sehe sehr modern aus, meinte ich besonders die Stellen, in denen Wüst scheinbar aus der Rolle fällt, vor unkontrollierbaren Lachkrämpfen durchgeschüttelt wird: Szenen, die normalerweise einen Retake bräuchten, hier aber im Film geblieben sind (und diese Momente sehen viel frischer als ein "sauberer" Take aus).

Der andere schauspielerische Fixstern des Films ist Oscar Sabo (?) als Feldwebel, der seine Soldaten gerne bestialisch beschimpft (so heftig, dass ihn sein Vorgesetzter ermahnt, weniger Tierbegriffe zu benutzen) und überhaupt als Soldat ein ziemliches Arschloch ist, aber in zwei Bereichen einen unstillbaren Hunger hat: Essen und junge Frauen. Die Köchin der Baronin entpuppt sich als eine frühere Liebschaft und ein ganzer Nebenplot des Films dreht sich dann darum, wie der Feldwebel den Avancen seiner früheren (und – wie er selbst natürlich – nicht mehr blutjungen) Geliebten zu entkommen versucht, um den jüngeren Bewohnerinnen des Internats nachzustellen – UND gleichzeitig aber auch versucht, in den Genuss der kulinarischen Köstlichkeiten zu kommen, die ihm besagte Ex-Geliebte zubereitet, weil Liebe ja durch den Magen geht. Die Köchin, die ja nicht auf den Kopf gefallen ist, merkt das und versucht ihn dann (durchaus erfolgreich) mit Dirty-Talk heiß zu machen: "Erinnere dich an meine Kartoffelpuffer... und an den Schweinebauch!". Als Worte nicht mehr reichen, um ihn in der Küche festzuhalten, bereitet sie ihm dann auch was zu: "Kalbsbraten... Kalbsbraten... Kalbsbraten" – ihm den Teller mit besagter Köstlichkeit unter die Nase haltend lockt sie ihn auch erfolgreich an den Küchentisch. Schweinebauch, Kalbsbraten, Kartoffelpuffer und natürlich die titelgebende Kartoffelsuppe (die allerdings sowohl die vier Internatsschülerinnen wie auch die Soldaten praktisch jeden Tag essen müssen und deshalb verschmähen) wurden unter den Kongressniki zu den gastronomischen Bonmots dieses Kongresses (wie "Kakao" beim 18. Kongress).

SCHÖN IST DIE MANÖVERZEIT kam 1931 heraus und wurde Opfer einer Schmutzkampagne aus nationalkonservativen und rechtsradikalen Kreisen: mit einem antisemitischen Grundton (der Regisseur, der Drehbuchautor und der Produzent des Films waren jüdischer Herkunft) wurde dem Film eine Verunglimpfung der Armee vorgeworfen. Trotz der antiautoritären Frische, die durch den Film weht, ist dieser Vorwurf aus heutiger Sicht wenig haltbar. Die Soldaten und Offiziere sind eher als überzogene Genretypen (wie die Keystone-Kops) und weniger als wirkliche Vertreter einer realen Institution gezeichnet. Zumindest in den USA schien der Film ein Kritikererfolg zu sein. Wie er dies- und jenseits des Atlantiks beim Publikum ankam, ist mir unbekannt. Die gezeigte 35mm-Kopie war gut in Schuss – aber er ist offenbar doch ein weiterer Film, der von offiziösen Filmrestaurationsbemühungen ignoriert wird, weil METROPOLIS nach der 22. Restauration nun auch die 23. braucht.




16.00 Uhr


RANDY

Regie: Phillip Schuman, Zachary Strong

USA 1980

72 Minuten, 35mm, OV

Randy, eine junge Frau, die Schwierigkeiten hat, zum Orgasmus zu kommen, bietet sich an, bei einem Forschungsinstitut als Versuchsperson teilzunehmen. Dort findet man heraus, dass sie beim Kommen eine sehr potente Substanz namens "Orgasmin" produziert, was lustvolle Leute und Verrückte mit Weltherrschaftsfantasien auf den Plan bringt.

Auch hier (leider) eine große Gedächtnislücke: ein sehr schick fotografierter Film mit schönen Bildern, schönen Menschen bei lustvollen (Softcore-)Akrobatiken, fetziger Musik, einigen durchaus recht gelungenen humoristischen Einlagen und Dialogen und einer recht entspannten, vor sich hinfließenden Atmosphäre – auch wenn ich mich an Details kaum noch zu erinnern vermag. Das größte Rätsel beim Abendessen danach war, ob es eine Hardcore-Version gibt, aber dagegen spricht, dass viele Szenen sehr offensichtlich mit Softcore-Kamerawinkeln fotografiert waren.




20.00 Uhr


GEFÄHRDETE MÄDCHEN

Regie: Wolfgang Glück

BRD 1958

94 Minuten, 35mm, französische Fassung mit englischen Untertiteln

Wiener Mädeln verlassen ihre schöne Operetten-Stadt, um in harten Hanseatischen Gefilden, genauer gesagt in Hamburg, St. Pauli, ihr Glück als Animiermädchen zu versuchen – und verschwinden spurlos, zumindest, bis eine ermordet wieder aufgefunden wird. Eine Wiener Polizistin ermittelt incognito im Milieu...

Möglicherweise der schwächste Film des Kongresses dieses Jahr. Auch hier sind mir Details (und eigentlich auch große Teile des Films) weitestgehend entglitten, wobei sich das hier eher nach Erdulden als nach gemütlichem Dahinfließen fühlte. Dafür folgte nach einer Pause der Höhepunkt des Kongresses und einer der besten Filme, die ich dieses Jahr sehen durfte.




22.00 Uhr

Open Air


BEVOR DER STRIP STIRBT

Regie: Günter Weiss-Thiele

BRD 1966

14 Minuten, 35mm

Was ist denn dieses Strip-Tease? Kurze Umfragen unter Passanten und dokumentarische Impressionen aus Lokalen sorgen für Klärung.



ROULETTE D'AMOUR ("Baron Pornos nächtliche Freuden")

Regie: Frits Fronz

Österreich/BRD 1969

73 Minuten, 35mm

Ein alter, obdachloser Mann läuft durch Wien, und erinnert sich an die Zeit, als er noch Alexander von Wartenberg war, der beliebteste Playboy der Wiener Nachtlokale – und daran, wie ihn die Liebe zu einer Tänzerin in den Ruin trieb. Oder spinnt sich das der obdachlose Mann beim Anblick der schicken, teuren, unerreichbaren Luxusgegenstände in den Boutiquenschaufenstern einfach nur zusammen?

Edgar Ulmers DETOUR meets Arthur Schnitzlers bzw. Max Ophüls' LA RONDE? Der obdachlose und unzuverlässige Erzähler, die Rückblendenstruktur, die Mischung aus galligem Humor und Fatalismus, der sehr selbstbewußt an die Zuschauer gerichtete Off-Kommentar, die (budgetbedingt) ultrastilisierten Dekore, eine wiederkehrende Melodie als Leitmotiv, die Erzählung vom Fall in die Gosse und die Nutzung von Matching-Cuts zur Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit haben mich zumindest strukturell stark an Ulmers B-Movie-Meisterwerk erinnert. Das Wienerische Setting und die Kettenstruktur der Geschichte (mit Objekten statt mit Personen) lassen hingegen den "Reigen" grüßen.

"Es war ein zärtlicher..." – Mund, Kuss etc. – so beginnt der Off-Kommentar jedes neue Kapitel in der Gegenwartshandlung, jeder Satz wie eine schwermütige, melancholische Gedichtrezitation vorgetragen. Den Weg in die Vergangenheit (oder in die Fieberfantasie) und wieder zurück ebnet immer wieder ein Matching-Cut mit einem bestimmten Gegenstand: ein silbern glitzernder Damenschuh, eine Packung Zigaretten, rote Rosen, ein Kofferradio. Die Erinnerungen / Fantasien breiten sich dann immer wie statische Tableaus aus – statisch nicht nur in den Momenten mit ruhiger Kamera, sondern auch in den wilden Montagen, weil der Film das Gefühl eines Fiebertraums mit sich bringt, eines Alptraums, in dem man auch beim Rennen trotzdem an Ort und Stelle stehen bleibt. Traum ist hier das zentrale Stichwort: ROULETTE D'AMOUR ist ein schwermütig-traumartiger, tranceähnlicher Film, der seine (eigentlich sehr banale und generische) Geschichte weniger linear und klassisch mit einer klaren Dramaturgie erzählt, sondern eher in losen Traumfragmenten (daher finde ich meine Interpretation, dass wir hier eine Fieberfantasie und keine reale Vergangenheit sehen, zunehmend schlüssig).

Dabei sind die unterschiedlichen Tempi beeindruckend: frenetische Montagen von Impressionen beim Prater, experimental anmutende Momente, in denen sogar mehrere Bilder übereinander gelegt werden auf der einen Seite, dann wieder die völlig entschleunigten, einlullenden Tableaus mit dem "Baron" an seinem Stammtisch, mit seinen ihn (solange er Getränke bezahlt) feiernden Groupies, dann die Bilder des mühsamen Schlurfens durch das nächtliche Wien. Der Traum-Modus hat viele Varianten, bleibt aber im Kern sehr konsistent.

Passen dazu zwei sich wiederholende Musikstücke: ein melancholisches Chanson (teils gesungen bzw. gesummt vom "Baron" selbst) und ein schnelles Tanzstück mit knüppelhartem Beat. Es gibt eine besonders denkwürdige Abwechslung zu diesen zwei Melodien: eine Orgel-Performance, bei der der Organist in kaleidoskopartig überlagerten Bildern zunehmend intensiver in die Tasten haut, sich geradezu in Trance spielt (für viele im Publikum ein großer Höhepunkt des Films). Ansonsten trägt gerade die Wiederholung der beiden Hauptmelodien noch weiter zum tranceartigen Gefühl von ROULETTE D'AMOUR bei.

Jeder Traum muss enden. Die Sonne erhebt sich über Wien. Der Baron geht ans Ufer der Donau. Vielleicht könnte er sich reinstürzen, doch stattdessen nähert sich ihm ein anderer nächtlicher Streuner. Und so schreiten der Baron und der Straßenköter am Ende nach einer langen Nacht zusammen dem Sonnenaufgang entgegen.


Die folgenden Screenshots sind aus Manfreds Text über Frits Fronz ausgeliehen:


Der Obdachlose erinnert sich – oder fantasiert im nächtlichen Wien

Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Frits Fronz als Alexander von Wartenberg




Samstag, 11. Juni 2022


14.00 Uhr


ICH SUCHE EINEN MANN

Regie: Alfred Weidenmann

BRD 1966

87 Minuten, 35mm

Barbara ist von den Männern enttäuscht und wendet sich an ein professionelles Institut, das mit solch modernen Techniken wie einer Lochkartendatenbank garantiert die richtige Person findet... oder – wie Barbara bei ihren vielen Match-Dates herausfindet – vielleicht auch nicht?

Tinder-Date gone wrong im Dutzend könnte man im heutigen Neudeutsch wohl sagen. ICH SUCHE EINEN MANN ist tatsächlich über weite Strecken eine Aneinanderreihung loser kleiner Vignetten von Barbaras "Treffern".

Da ist der feine Adelige, der sich nach einem gepflegten Restaurant-Dinner als potentieller Date-Rapist entpuppt. Ein bayerischer Landwirt und Hotelier, der sich für Barbaras Körper, ihre Person und ihre Gesundheit vor allem aus der Perspektive interessiert, seine Wirtschaft am Laufen zu halten. Der Lehrer, der Kniebeugen liebt und um den "gesunden Volkskörper" besorgt ist (und im übrigen in der Öffentlichkeit von seinen spöttischen Schülern verfolgt wird). Der Student, der sich nur für Tandemradfahren und Bowling interessiert. Und nicht zu vergessen: der trauernde Witwer, der Barbara gerne als hintere Zebrahälfte (gemeint ist eine Zirkusnummer mit einem Zebrakostüm) hätte, weil die "Nummer muss ja weiter gehen". Und außerhalb der Treffer natürlich der Angestellte des Eheinstituts, der sich um Barbaras Fall kümmert: ein Traum an Professionalität, hinter dem sich ein schüchterner, gar zu schüchterner Verehrer verbirgt (bzw. der wunderbare Harald Leipnitz).

Das klingt nach nicht viel, wird aber mit einem ordentlichen Tempo inszeniert und mit gut gewürzten Dialogen abgeschmeckt, dass es die hellste Freude ist: ein fluffiges Wölkchen von einer Komödie und sicherlich der perfekte Einstieg in den programmatisch schönsten Tag des diesjährigen Kongresses.

Die zentrale und wichtigste Zutat dieses wohlschmeckenden, spritzigen Cocktails war am Ende die bezaubernde Ghita Nørby. Ihre Figur ist natürlich erst mal ganz gut geschrieben, aber sie macht aus Barbara mit ihrem Charisma tatsächlich einen überlebensgroßen Charakter zum Mitlachen, Mitfühlen und Mitlieben.




16.00 Uhr


VERBOTENE SPIELE AUF DER SCHULBANK (Softcore-Fassung)

Regie: Jürgen Enz

BRD 1980

72 Minuten, 35mm

In die Abiturklasse kommt eine Neue – und verdreht prompt ihren Mitschülerinnen, Mitschülern und Lehrern den Kopf.

VERBOTENE SPIELE AUF DER SCHULBANK wurde beim Hofbauer-Kongress nun zum "anderthalbten" Mal gezeigt: beim 16. Kongress im Jahr 2017 lief der Film in der Hardcore-Fassung, die für Angst und Schrecken und Entsetzen sorgte. "Enz war kein Typ für harten Sex", so Hofbauer-Kommandant und Enzologe Christoph bei seiner wunderbaren und liebevollen Einführung über einen der wichtigsten HK-Säulenheiligen. Die "Director's Cuts" von Jürgen Enz waren stets die Softcore-Fassungen: Hardcore-Inserts wurden von Assistenten inszeniert oder komplett nachgedreht und nach dem Ziehen der Softcore-Kinokopien in das Negativ reingeschnitten.

Die Vorführung war auch eine Hommage an den Ende 2020 verstorbenen Regisseur. In einer Vorführung dieses Films konzentriert sich eine Essenz der Hofbauer-Kongresse. Man sitzt dort, sieht, staunt, und merkt, dass hier ein vollkommen zu Unrecht vergessenes Schlüsselwerk der deutschen Kinogeschichte gezeigt wird, das Meisterwerk eines Filmemachers mit einer extrem persönlichen Handschrift: die geradezu aufreizende Langsamkeit, tranceartig vorgetragene Dialoge, eine Inszenierung mit einem manchmal geradezu obsessiv-manischen Gestaltungswillen, die viele Szenen fast wie belebte Installationskunst aussehen lassen, die fast dystopisch anmutenden Abscheulichkeiten bundesdeutscher Spießbürgerwohnzimmer mit kackbraun-olivfarbenen Couch-Garnituren und kitschigen Deko-Elementen, die repetitive, einlullende, hypnotisierende Musik (die sich ein wenig so anhört, als hätte John Carpenter seine düsteren elektronischen Scores in heiteren Bierzelt-Versionen eingespielt) und nicht zuletzt die fast grenzenlose, naive Zärtlichkeit für alle Figuren, die in dieser tristen Umwelt immer wieder von ihren sexuellen Trieben überwältigt werden und nicht anders können, als auf den erwähnten scheusslichen Couch-Garnituren wie Tiere zu kopulieren.

Enz' große Zärtlichkeit zeigt sich wieder darin, wie er "unwichtigen" Figuren ganze Subplots schenkt. Das Pendant der beiden dauergeilen Schlossangestellten in WAIDMANNSHEIL IM SPITZENHÖSCHEN sind hier der Deutschlehrer und die Biologielehrerin, die ihren eigenen Score (eher upbeat und fröhlich) erhalten, wenn sie übereinander herfallen. Auch hier wieder Figuren, deren Äußeres nicht unbedingt 100%ig kompatibel ist mit den Ansprüchen eines kommerziellen Sexfilms und die vor allem auch die Funktion des Comic-Relief haben (sie sind leicht tollpatschig, was zu quasi-slapstickhaften Situationen führt) – und dennoch, wenn er sie im Wald während des Schulausflugs (dieser Schulausflug: Stoff für ganze filmwissenschaftliche Abhandlungen!) von hinten nimmt, sie sich an zwei jungen Bäumen dabei festhält und die Montage zwischendurch offenbart, wie die beiden Baumwipfel wackeln, dann ist das pure Kinomagie.


Oben: Die Biologielehrerin und der Deutschlehrer haben sich lieb
Unten: Lehrkörper und Schülerschaft in tristen Wohnlandschaften (mit Paprika als Deko-Elementen)


Oben: beim Schulausflug geht es zwischen Lehrkörper und Schülerschaft heiß her
Unten: Enz' Regie lässt viele Bilder immer wieder wie belebte Installationskunst aussehen



19.30 Uhr


LADY BEWARE ("Hautnah")

Regie: Karen Arthur

USA 1987

108 Minuten, 35mm, DF

Die Schaufensterdekorateurin Katya beginnt in einem Pittsburgher Kaufhaus eine neue Anstellung. Mit ihren unverhohlen erotischen Installationen zieht sie sehr effizient die Aufmerksamkeit der Passanten an – darunter auch eines Stalkers, der ihr nachspürt, ihre Post öffnet, sie mit obszönen Anrufen traktiert und schließlich sogar in ihre Wohnung einbricht. Nach einer kurzen Begegnung mit ihm beschließt Katya, zurückzuschlagen.

In den 1990er Jahren gab es auf dem französischen Sender TF1 am späten Samstagabend eine Sendereihe namens "Hollywood Night". Da liefen entgegen des Namens keine Hollywood-Klassiker (die liefen eher am späten Sonntagabend auf FR3): die Werbetrailer, die ich als Junge sah, versprachen Crime, Sex & Violence der Kategorie Direct-to-Video, und tatsächlich liefen US-amerikanische Actionfilme, Thriller und Erotikthriller der späten 1980er und frühen 1990er Jahre (darunter z. B. Filme aus dem Hause PM Entertainment). Ich glaube nicht, dass LADY BEWARE bei "Hollywood Night" mal gelaufen ist, aber Karen Arthurs Erotikthriller dürfte – jetzt im Erwachsenenalter – die ultimative Wunscherfüllung der damaligen Jungsfantasie gewesen sein, die in den Werbetrailern eine prickelnde Mischung aus Erotik, Seediness und süßem Verbotenem hineinprojizierte.

Ein urbaner US-Thriller der 1980er Jahre – das würde man wohl in New York oder in Los Angeles ansiedeln, aber LADY BEWARE spielt in Pittsburgh: kein überzeichnetes Großstadt-Moloch, sondern eine gutbürgerliche "kleine Großstadt", in der Innenstadt voller arbeitender Menschen aus den peripheren Wohngebieten: Katya etwa pendelt jeden Morgen mit dem Bus zur Arbeit, und fährt dabei über eine der zahlreichen ikonischen Brücken der Brückenstadt; der Stalker wohnt in einem Viertel, in dem man sich tatsächlich Ärzte ohne Ansprüche auf repräsentativen Luxus vorstellen kann. Beide Kontrahenten treffen schließlich bei ihrer "ersten" Begegnung (der ersten, bei der Katya ihn endlich sehen kann) auch auf einer der Pittsburgher Brücken, getaucht in rötlichem Dämmerlicht.

Das bedrohliche Szenario, das LADY BEWARE auffährt, hat seinen Ursprung nicht in den Nebengassen des Großstadt-Slums, sondern hat ein gutbürgerliches Gesicht: der Stalker, Jack, ist kein Creep aus dem dunklen Keller, sondern ein Arzt in der Röntgenabteilung einer städtischen Klinik (die direkt gegenüber von Katyas Kaufhaus liegt). Von Beruf aus schaut er also schon sehr genau auf Menschen, blickt nicht nur auf sie, sondern in sie hinein – bis auf die Knochen. Mit seinem Stalking-Objekt Katya lebt er eine sexuelle Fantasie aus, die er nicht mit seiner respektablen Ehefrau in seinem langweiligen Familienleben ausleben kann. LADY BEWARE macht deutlich, dass wir hier keine Fassade sehen, sondern naheliegend Aspekte der gleichen Person: tagsüber Arzt, abends Stalker. Ein obszöner Anruf, während nebenan die Tochter spielt (er lässt sie sogar die Nummer eingeben). Interferenzen nicht ausgeschlossen: in einer wahrlich unglaublichen Szene ruft er Katya an, spielt bereits an sich herum – und nachdem er den Hörer aufgelegt hat, eilt er erregt zu seiner Frau in die Küche und fällt lustvoll über sie her. Insofern ist es sehr geschickt von Katya, dass sie ihren Stalker dort angreift, wo es ihm richtig weh tut – in den Weichteilen seiner bürgerlichen Existenz.

LADY BEWARE hat die Logik und Struktur eines Rape-and-Revenge-Films, ohne, dass es eine "klassische" Vergewaltigung gibt, sondern etwas viel Tiefgreifenderes, Strukturelleres. "Ich bin in dich drin, und ich ficke mich von innen nach außen" sagt Jack seinem Opfer Katya lustvoll am Telefon. Nach vielen obszönen Anrufen, nachdem er in ihrer Post einen Brief des Vaters abgefangen hat, ihn ihr am Telefon vorliest und eine Missbrauchsgeschichte zwischen den Zeilen liest, auf die Katya sichtlich mimisch reagiert (ein Element, das nie wieder aufgegriffen wird) kommt die ultimative Grenzüberschreitung: er bricht in ihrer Abwesenheit in ihren Loft ein, inspiziert die Wohnung, schnüffelt an ihren Kleidern, trinkt genüsslich ihren Wein, gönnt sich in ihrer Badewanne ein entspannendes Schaumbad, putzt sich mit ihrer Zahnbürste die Zähne und schließlich, noch triefend nass und mit nur einem Badetuch um die Hüften, beginnt er zur Musik, die er aufgelegt hat, ekstatisch zu tanzen – der abgründige, fiese kleine Bastard-Bruder von Tom Cruises legendärem Tanz in RISKY BUSINESS: enthemmter, erotischer und von furchterregender Schönheit. Michael Woods' Körper wird von der Kamera in diesem Moment genauso erotisiert und fetischisiert wie Diane Lanes Körper, wenn sie nackt und bereit für Sex mit ihrem Liebhaber ist (und dabei von Jack heimlich beobachtet wird). Die beiden Antagonisten sind nicht nur Charaktere, sondern auch Körper, lustvolles Fleisch.

Während der Stalker seine sexuellen Fantasien in tätlichen Angriffen auf fremde Menschen auslebt, tut das Katya in ihrer Kunst – heißt: in ihren Schaufensterdekorationen, mit denen sie Parfüms, Schmuck und Joghurts bewirbt. Transgressive Kunst oder zumindest provokante Kunst in einem hyperkommerziellen Umfeld der Kaufhausschnäppchen; Kunst und Begehren vs. Kommerz. Wir sind hier fast schon am Rande der Meta-Kunst, des Meta-Kinos (Lukas Foerster bringt Brian De Palma als Stichwort zum Vergleich). Kunst, nicht nur als etwas Schönes und Erhabenes, sondern auch als Kommunikationsplattform: auf eine gewisse Weise kommunizieren Katya und Jack über Katyas Kunstinstallationen, und Jacks partielle Verwüstung von Katyas Wohnung mit sorgfältigen Arrangements der dort vorhandenen Schaufensterpuppen "liest" sich wie ein künstlerischer Kommentar.

Diane Lane ist neben Ghita Nørby (und ein bisschen auch Lina Romay) die große weibliche Figur des diesjährigen Kongresses: eine fantastische Schauspielerin, die mich anfänglich etwas an Kathleen Turner in BODY HEAT erinnert hat. Keine Femme Fatale, sondern eher der Typ der gequälten Künstlerin, die sich zwar ohne weiteres einen Liebhaber anlächeln kann, diesen dann aber nicht braucht, um sich zu wehren. Während einer Zwangsbeurlaubung gittert sie beim Höhepunkt ihrer Verzweiflung nicht nur alle Fenster ihrer Wohnung zu, sondern spannt auch eine Art Schutzkokon aus Gaze um den Kern ihres Wohnbereichs (um einige der tragenden Säulen). Nach einigen Tagen im fiebrigen Paranoiawahn und offenbar einer Metamorphose in diesem Kokon erlebt sie eine Art Wiedergeburt als entschlossene Rächerin in eigener Sache, ohne, dass sie ihre Identität als Künstlerin aufgibt. Kann man es vielleicht als einen Akt der Zärtlichkeit, der Wertschätzung, des Respekts sehen, dass sie ihrem Stalker eine eigene Kunstinstallation im Schaufenster widmet? Und ihn dann damit sogar fängt?

Regisseurin Karen Arthur hat mit LADY BEWARE ein lang gehegtes Herzensprojekt realisiert – und sich tragischerweise schließlich vom fertigen Film distanziert, nachdem das Studio den Film umschnitt. Mehr Nacktszenen mit Diane Lane wurden hinzugefügt, Szenen mit Cotter Smith (Katyas Liebhaber) wurden herausgeschnitten. Ich wäre dazu geneigt, beide Entscheidungen gutzuheißen: dass beide Protagonisten als körperliche, sexuelle Charaktere dargestellt werden, halte ich für ganz zentral für das Funktionieren des Films. Was Cotter Smith betrifft (der wie ein gemeinsamer Cousin von Billy Cristal und John Leguizamo aussieht): er spielt sicherlich nicht die interessanteste Figur, und dass im letzten Drittel alles sich nur noch um Katya und Jack dreht, spiegelt ihre zunehmende Obsession nach Rache. Es verschwinden auch der stockschwul-extravagante Arbeitskollege Katyas (die etwas peinlichen schwulen Stereotype stehen gegenüber der Tatsache, dass er ein absolut klarer Sympathieträger ist und die wohl "normalste" Figur in einem Film voller "Kaputter") und die schüchterne, schwarze Arbeitskollegin, ebenso der onkelige Chef. Diese Verdichtung macht den Film im letzten Drittel umso stärker, so dass man ihn auch "on the edge of the seat" und vor Anspannung nägelkauend sehen kann.




22.00 Uhr

Open Air


"Gli italiani si voltano"

Regie: Alberto Lattuada

Italien 1954

14 Minuten, 35mm, OV

Impressionen von Italienerinnen, die durch Rom spazieren und von Männern, die ihnen nachblicken.

Diese Episode aus L'AMORE IN CITTÀ lief bereits beim 18. Hofbauer-Kongress. Wieder ein fluffig-leichter Film, der im letzten Drittel ins Bedrohliche und Düstere kippt. Ihn – natürlich nach einer Pause – direkt nach LADY BEWARE zu schauen, war schon ziemlich passend, und hat das Unbehagliche des letzten Drittels, als eine junge Frau plötzlich zu einer echten Protagonistin wird, die hartnäckig von einem einzelnen Mann durch die ganze Stadt verfolgt wird, noch potenziert.



GRIECHISCHE FEIGEN

Regie: Siggi Götz

BRD 1977

95 Minuten, 35mm

Patricia soll nach einem Griechenland-Urlaub mit den Eltern allein nach München zurückfliegen, um dort ihr Studium zu beginnen. Stattdessen begibt sie sich auf eine lange Spritztour durch Griechenland, um Spaß zu haben und Männer aufzureissen – und lernt schließlich Tom kennen.

GRIECHISCHE FEIGEN war auf gewisse Weise der perfekte Film, um an einem warmen Frühsommertag ein Festivaltag im Freien ausklingen zu lassen (gleichwohl die Temperaturen zu später Stunde etwas sanken): ein sommerlicher Film, der größtenteils unter freiem Himmel spielt. Ein eher lose vor sich hintreibendes Roadmovie, das Etappe für Etappe, Episode für Episode ruhigen Schrittes erkundet. Die Stimmung ist insgesamt heiter, auch wenn während des ganzen Films dunkle Wolken am Horizont zu sehen sind und die Wärme immer wieder droht, in Gewitter und Unwetter umzuschlagen. Vielleicht liegt es an der zweiten Begegnung, die Patricia auf den Straßen des ländlichen Griechenlands macht: zwei Deutsche (es ist schlimm: sie sind überall! Von ein paar Engländern und einigen griechischen Komparsen abgesehen ist praktisch jede sprechende Rolle im Film deutsch) nehmen sie im Auto mit und versuchen sie schon nach wenigen Hundert Metern zu vergewaltigen – Patricia kann ihnen zwar entkommen und sie sogar der Lächerlichkeit preisgeben, aber es bleibt doch immer ein Nachgefühl von Bedrohung, das nie ganz verschwindet (auch, weil der weitere Weg der zwei Männer immer wieder zwischendurch eingeblendet wird).

Mit dem Segler Tom findet Patricia für einige Tage eine kleine Utopie des Liebesglücks. Doch auch hier ziehen Wolken auf, als Eifersucht, Besitzansprüche und teils auch einfach nur bedauernswerte Missverständnisse die Idylle angreifen.

Die größte Schwäche von GRIECHISCHE FEIGEN ist vielleicht, dass Patricia schon eine sehr, sehr unsympathische, egozentrische, teils schlichtweg asoziale Figur ist – und manchmal auch eine echte Heuchlerin, hinter deren Rebellentum und Unangepasstheit sich auch repressives Spießertum verbirgt, wenn sie etwa gegen Ende eine andere junge Frau, die fast wie ihr eigenes Spiegelbild wirkt und nun ihren Platz an Toms Seite genommen hat (wohlgemerkt nachdem sie Tom selbst zum Teufel gejagt hat) auf aggressive und demütigende Weise zur Sau macht. Insofern wirkt GRIECHISCHE FEIGEN auch ein bisschen wie ein 68er-Katerfilm: von den einstigen Träumen von freier Gesellschaft und freier Liebe sind nur Äußerlichkeiten geblieben – und auch diese blättern schnell ab, wenn der Widerstand zu groß, die Konflikte zu komplex, die Umstände zu ungünstig werden.




Sonntag, 12. Juni 2022


15:00 Uhr


PAPAYA DEI CARAIBI ("Papaya, Liebesgöttin der Kannibalen")

Regie: Joe D'Amato

Italien 1978

86 Minuten, 35mm, DF

Auf einer karibischen Insel soll ein Kernkraftwerk errichtet werden, doch das Projekt gerät ins Stocken, weil die leitenden Projektingenieure nach und nach unter mysteriösen Umständen ermordet werden. Der neue Ingenieur Vincent (Maurice Poli) soll nun das Projekt weiterführen. Zusammen mit der Journalistin Sara (Sirpa Lane) versucht er auch, das Geheimnis um die Morde zu lüften und bekommt prompt Unterstützung von der Einheimischen Papaya (Melissa Chimenti). Diese bietet ihre Hilfe nicht ganz uneigennützig an: sie ist eine der Anführerinnen des konspirativen Aufstands gegen das Kraftwerk und stets bereit, ihre gefährlichste Waffe (ihren Körper) einzusetzen.

Nach GRIECHISCHE FEIGEN ging es mit den sommerlichen Filmen nun weiter: noch höhere Temperaturen, ein noch langsameres Tempo und noch viel mehr nackte Haut leiteten den letzten Tag des Leipziger Kongresses ein. PAPAYA DEI CARAIBI mag wesentlich langsamer sein als GRIECHISCHE FEIGEN, sein revolutionärer Spirit war allerdings intakter und auch roher: die selbstherrlichen kolonialen Imperialisten, die für ihre Profite und die in Kauf genommene Umweltverschmutzung irgendetwas von "Fortschritt" faseln, werden verführt, bekommen ihren Penis abgebissen und werden dann noch lebendig verbrannt.

Die große "pièce de résistance" des Films kommt in der Mitte, als Vincent und Sara nach einer Autofahrt, einem längeren Spaziergang durch eine kleine Stadt, die gerade von einem feierlichen Umzug belebt wird, ein paar Mal zu viel "falsch" abbiegen, in ein Haus eintreten, dort überfallen und unter Drogen gesetzt werden und in ihrem Rausch einer sehr wilden, eskalierenden Voodoo-Zeremonie beiwohnen müssen. Wenn Vincent und Sara dann hilf- und wehrlos dem wilden Treiben zusehen müssen, befinden wir uns als Zuschauer in einer ähnlichen Position: die sublimen Bilder haben uns eingelullt, wir wussten, dass das nicht "gut" endet, aber wir konnten uns einfach diesem Flow nicht entziehen. In PAPAYA DEI CARAIBI sieht man wieder, welch großartiger Kameramann Aristide Massaccesi  (so Joe D'Amatos bürgerlicher Name, unter dem er seine eigenen Regiearbeiten auch fotografierte) war: ja, das ist der Mann, der L'ANTICRISTO und COSA AVETE FATTO A SOLANGE fotografiert hat (und natürlich auch EVA NERA, von den mir bislang bekannten D'Amato-Filmen der schönste). Einen erheblichen Teil zum Vergnügen trägt Stelvio Ciprianis wunderschöner Score, der sich für den Rest des Tages als sanfter Ohrwurm in meinem Kopf eingebrannt hat.

Eine deutliche Trübung des Vergnügens brachte der leider schon recht fortgeschrittene Rotstich (und Kontrastverlust) der Kopie, der die vermutlich satten karibischen Farben in ein gedämpftes Sepia verwandelte.




17:00 Uhr


LA ESCONDIDA ("Die Rebellenbraut")

Regie: Roberto Gavaldón

Mexiko 1956

99 Minuten, 35mm, DF

Mexiko, Anfang des 20. Jahrhunderts. Felipe und Gabriele wollen bald heiraten. Doch die revolutionären Wirren treiben sie auseinander: Felipe wird zum Revolutionär, Gabriele lässt sich – zunächst, um Felipe zu retten – auf eine Affäre mit einem brutalen General ein.

Die "carte blanche" des LURU-Kino hat mich persönlich gepflegt gelangweilt. Die Liebesgeschichte im Zentrum dieses Revolutionsmelodrama hat mich leider eher kalt gelassen: zu groß war in meinem Kopf die Kluft zwischen dem hölzernen Felipe-Darsteller Pedro Armendáriz, den der Film als bewundernswerter Held darstellte, und der eigentlich ganz guten Maria Félix, deren Gabriele der Film als durch und durch verdorbenes, intrigantes und teuflisches Luder zeichnete, ohne ihr freilich dabei den Glamour einer femme fatale zuzustehen.

Die Kopie war allerdings farbecht, die mexikanische Sonne brannte unerbittlich auf die trockenen und staubigen Feldwege, und eine ausgelassene Karnevalsfeier bei Nacht erstrahlte frenetisch (ja gar fast stroboskopisch) in den knalligsten Farben. Also irgendwie auch schön anzusehen.




19:00 Uhr


MIDNIGHT PARTY ("Heiße Berührungen")

Regie: Jess Franco

Frankreich/Schweiz 1975

63 Minuten, 35mm, DF

Eine Stripperin (Lina Romay) bandelt mit zwei Nachtclubkunden an, und gerät dabei in eine haarsträubende Mord- und Spionageintrige.


Joseph von Sternberg und Marlene Dietrich, Yasujiro Ozu und Setsuko Hara, Jean-Luc Godard und Anna Karina, John Cassavetes und Gena Rowlands... Alles bekannte Duos aus Regisseur und Schauspielerin, doch keines dürfte in der Intensität, Dauer und dem schieren Output an jenes von Jess Franco und Lina Romay reichen, die über fast 40 Jahre eine dreistellige Anzahl an Filmen drehten.

Vor der Vorstellung gab es eine wunderschöne Einführung von Hofbauer-Kommandant Christoph, der von der Schönheit des leidenschaftlich-obsessiven Kinos Jess Francos schwärmte und die Zuschauer passend auf den Film einstimmte. Die gezeigte deutsche Kopie hat leider viele Federn gelassen, offenbar vor allem aus den interessantesten Teilen des Films: Lina Romay, die in einer Art Rahmen-Kommentar zum Film sich in rotes Licht getaucht nackt in einem Bett räkelt, die vierte Wand brechend mit den Zuschauern im Kino plaudert, sie teils sanft anteast, teils roh anbaggert und teils einfach nur entspannt rumblödelt.

Dazwischen gibt es eine völlig haarsträubende Räubergeschichte um eine Verschwörung und eine Mordintrige, die die Protagonistin immer wieder aus den Klamotten und ins Bett treibt – Hindernisse werden gegebenenfalls mit Mitteln des Slapsticks überwunden: Luststöhnen und prustendes Gelächter sind in MIDNIGHT PARTY nie weit voneinander entfernt.

Das Ende ist dann pure Eskalation: wilde Verfolgungsjagden, Figuren werden erschossen, aber werden kurz darauf wieder lebendig. Das schwindelerregende Spielen mit den Genre-Motiven hat was von Godard (den Franco verehrte), bloß in etwas beschwingter. Kino ist Spaß, Kino ist Lust, Kino ist Entspannung, Kino ist Leben.