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Sonntag, 2. Oktober 2016

Intergalaktischer Klassenkampf mit Schlangen, Lederfetischisten und Acid aus der Sprühdose

Ein Produkt des VEB Halluzinogene für Weltraum-Trips Zünrow (made in GDR)



IM STAUB DER STERNE
Deutsche Demokratische Republik 1976
Regie: Gottfried Kolditz
Darsteller: Jana Brejchová (Akala), Alfred Struwe (Suko), Ekkehard Schall (der Chef), Milan Beli (Ronk), Leon Niemczyk (Thob), Violeta Andrei (Rall), Sylvia Popovici (Illic), Regine Heintze (My)


Ein Raumschiff vom Planeten Cynro ist auf dem Weg zum Planeten Tem, der einen Hilferuf versendet hat. Bei der Landung kommt es aufgrund von Störungen (oder sind es Angriffe?) fast zum Absturz. Die Kosmonauten unter der Leitung von Akala werden auf Tem vom Sicherheitsbeauftragten Ronk empfangen, der seinen Gästen sehr resolut, fast schon grob, versichert, dass es keinen Hilferuf gegeben habe und dass sie wieder nach Cynro zurückfliegen sollten. Vor ihrem Abflug werden sie aber auf eine Abendparty eingeladen, auf der auch alle außer Navigator Suko erscheinen, der gemäß Protokoll im Raumschiff bleibt und es überwacht. Nach der Feier leiden die Cynroer bis auf Suko allesamt an Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, Gedächtnislücken und Ausbrüchen erratischen Verhaltens. Suko will sich den Planeten jetzt genauer ansehen, geht auf Entdeckungstour mit einem Minihelikopter und findet heraus, dass in unterirdischen Bergwerken Hunderte Zwangsarbeiter Kohle schippen: es sind die Turi, die Einheimischen Tems, die von den Besatzern (also den Personen, die die Cynro-Expedition empfangen haben) versklavt wurden. Suko wird bei seiner Entdeckungstour von den Sicherheitskräften Tems erwischt, gefangen genommen, anschließend befragt und gefoltert. Akala wird derweilen zum exzentrischen Chef von Tem gebeten, der sie mit Nachdruck bittet, zusammen mit ihrer Mannschaft Tem zu verlassen und ihr anschließend den mittlerweile gehirngewaschenen Suko zurückgibt. Auf dem Raumschiff erinnert ein Zufall die bewusstseinsgestörten Kosmonauten daran, dass sie eigentlich wegen eines Hilferufs hergekommen sind und dass dieser offenbar von den gefangenen Ureinwohnern des Planeten, den Zwangsarbeitern unter Tage, gesendet worden ist. Die Besucher aus Cynro sind sich unsicher, ob sie schleunigst verschwinden oder ob sie bleiben und den Turi (also den Ureinwohnern Tems) helfen sollten. Die Besatzer Tems sind sich unschlüssig, ob sie die unerwünschten Gäste ausweisen oder gefangen halten sollten. Beim Hin-und-Her kommt es zum Showdown. Die Mannschaft aus Cynro fliegt mit dem Raumschiff schließlich weg. Zurück bleiben Suko und Akala. Ersterer stirbt beim Absturz des Erkundungshelikopters und wird von den Turi würdevoll zu Grabe getragen. Akala bleibt, nachdem sie einem gefangenen Turi-Mädchen Mut zugesprochen hat, ratlos und einsam in der Wüstenlandschaft Tems zurück...

Klingt nicht gerade sehr spannend? Wem das etwas alles etwas trocken erscheint, sehe sich die folgenden Screenshots aus dem Film an:








Ein Science-Fiction-Film aus der DDR, einem Land, das im Gegensatz zur Sowjetunion oder auch zu Polen keine besonders ausgeprägte Science-Fiction-Tradition hatte... Nun, das alleine macht IM STAUB DER STERNE noch sicherlich nicht zu einem besonderen Film. Was ihn besonders macht, ist sein auffallender Hang zum Bizarren, zum Exzentrischen, zum Psychedelischen, zum Surrealistischen, zum blanken Irrsinn, der zwar nicht den kompletten Film durchherrscht, aber immer wieder in mehr oder weniger ausgedehnten Szenen hervorblitzt. Es sind eben diese Momente, die IM STAUB DER STERNE letztlich wahrhaftig faszinierend machen – ihm aber bislang auch einen sehr schweren Stand beschert haben. Es gibt im Internet nur wenige Texte, die ihn ernst nehmen. Wahlweise wird der Film als mieser Billig-Trash oder als lustiger Party-Biertrink-Trash mit ulkigen DDR-Akzenten bezeichnet. IM STAUB DER STERNE jegliches Camp-Potential abzusprechen dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein, und dass Cynro von allen Beteiligten ausgesprochen wird, als handle es sich um ein Dorf in Sachsen („Zünrow“) lässt sich auch nicht leugnen. Dennoch: Jim Morton, Betreiber des „East German Cinema Blog“ mit Sitz in San Francisco, lobt IM STAUB DER STERNE als ultimatives Beispiel dafür, dass experimentelles Filmemachen in der DDR auch im Rahmen des Mainstream- und Genre-Kinos möglich war.

In den ersten paar Minuten sieht IM STAUB DER STERNE tatsächlich so aus, wie man sich einen Science-Fiction-Film aus der DDR im allgemeinen so vorstellt: trotz eines Fast-Absturzes sehr mäßig actionreich oder zumindest holperig in der Actioninszenierung, mit Kostümen, die ein bisschen wie leicht umgenähte Trainingsanzüge einer osteuropäisch-sozialistischen Armee aussehen, mit Dekoren, die das Beste aus Mangelwirtschaft machen und mit einem fremden Planeten, der wie eine stillgelegte Salzmine im Osten Rumäniens aussieht (wahrscheinlich deshalb, weil der Film tatsächlich teilweise auf einer solchen gedreht wurde). Dass hier aber dennoch nicht alles mit „rechten“ bzw. „ostdeutsch-bieder-sozialistischen“ Dingen zugeht, wird klar, als die Kosmonauten nach ihrer Landung von einer Temerin begrüßt werden, die in ihrem Kleid wie eine Indianerin aussieht. Wird aus dem Film jetzt doch ein Western?

Bei dem Empfang durch den Sicherheitschef wird dann als erstes ein Tablett mit, nun ja, Mundsprays herumgereicht. Jeder sprüht sich etwas in den Mund. Thob, der Witzbold unter den Cynroer Kosmonauten, läuft rot an, verdreht die Augen und hustet so stark, dass zu befürchten ist, er würde gleich an einem Erstickungsanfall sterben. Ronk, der Temer Sicherheitschef, beruhigt die Anwesenden: „Blau ist süß, rot ein wenig scharf.“ Thob hatte einen roten Mundspray. Trotzdem: haben die sich eben gerade alle Drogen reingepfiffen?

Eine... Indianerin (?) begrüßt die Gäste aus Cynro,
doch statt Friedenspfeife gibt es Drogen aus der Sprühdose.

So richtig verneinen lässt sich die Frage wenige Minuten später nicht mehr, denn dann fängt die Party an. Leicht bekleidete Damen tanzen ekstatisch zu einer elektronischen Prog-Rock-Jazz-Fusion-Musik. Die Besucher aus Cynro haben sich mit ihren allerschicksten Party-Overalls aus knallrotem Leder aufgebretzelt und mischen sich unter den Einheimischen. Die Szene wird von mehreren Extremnahaufnahmen geschminkter Augen unterbrochen (die wohl den Temer Tänzerinnen gehören). Das Büffet mit den lokalen Köstlichkeiten – zu „trinken“ gibt es außerdem große Spray-Dosen, von hübschen Temerinnen auf Tabletts herumgereicht – hat eine recht interessante Deko: lebende Riesenschlagen, die nonchalant zwischen den Speisen umherkriechen. Offensichtlich ist es nicht verboten, mit der Deko zu spielen, denn einige Einheimische und auch eine Cynro-Kosmonautin tanzen später im Duett mit einer der Schlangen. Die Gäste aus Cynro bekommen dann sogar (unfreiwillig) ein Spezialprogramm: eine kleine ferngesteuerte Gehirnwäsche, die sich als strahlender Punkt auf ihrer Stirn sichtbar macht...

...und dafür sorgt, dass sie auf der Party nicht nur sehr viel Spaß haben, sondern danach so ziemlich alles wieder vergessen haben (vor allem, dass sie wegen eines Hilferufs gekommen waren) und sich etwas merkwürdig benehmen. Alle kommen recht betrunken zurück zum Raumschiff, wo sie ein stocknüchterner Suko tadelnd erwartet. Einige schlafen ein, Akala bleibt erstmal mit Kopfschmerzen wach und eine Crew-Frau geht nach dem Duschen in den Aufenthaltsraum, legt das Badetuch ab und beginnt, zur Radiomusik (Radio Tem sendet offenbar in Dauerschleife Prog-Rock-Jazz-Fusion-Mäßiges) nackt und in Trance zu tanzen. Das ist vielleicht der bemerkenswerteste Moment im ganzen Film: ein drogeninduzierter Nackttanz, wunderschön als Silhouette vor einer gelb beleuchteten Wand mit geometrischem Relief gefilmt.

Die Temer feiern wilde Parties mit Speis, Trank, Tanz, Drogen, Fetisch-Kleidung,
extravaganter Deko und telepathischen Spielchen.

Ein Nackttanz nach Ende der Feierlichkeiten 

Danach wird es wieder ein Tick ruhiger. Zeit, um ein bisschen Plot abzuarbeiten: Suko entdeckt die Zwangsarbeiter, wird erwischt, gefoltert, Akala wird als Kommandantin der Cynroer zum Chef gebeten. Hier nur ein kleiner Einschub: dass eine Frau Kommandantin einer Raumschiff-Expedition ist, wird hier nicht im geringsten thematisiert oder gar problematisiert, und zwar weder von den Mitgliedern der Mannschaft selbst (in der jede/r jede/n duzt und die Hierarchien zugegeben sehr flach sind), noch von den Besatzern Tems. Vielleicht das „unsichtbarste“ oder zumindest „unscheinbarste“ typische DDR-Element des Films?
Zurück: Wer also denkt, dass IM STAUB DER STERNE nun schon alles verpulvert hat, hat den Chef von Tem noch nicht kennen gelernt (er bleibt namenlos: man sieht ihn zwar mit einer Brosche in B-Form, doch vielleicht könnte das auch für „Boss“ stehen). Die Eingangstür zu seinem Empfangsraum wird von starken Männern in Lederstiefeln, Lederröckchen und Hemden mit offenen Maschen bewacht – als kämen sie gerade aus Londons extravagantester S&M-Fetisch-Boutique (und nicht aus der Kostümabteilung eines ostdeutschen Filmstudios). Im Eingang des Chef-Raums wird Akala von einer merkwürdigen Form der Installationskunst empfangen: Köpfe in Schaufenstern, die sich bewegen und sie dann auch grimmig anschauen. Dann folgt ein Spiegelkabinett und Akala stößt sich mehrmals an Glas, bevor sie dann den Salon findet, wo sich wieder lebende Deko (sprich: eine Schlange) tummelt. Der Chef ist nun auch da und empfängt Akala mit frisch in Blau eingesprühten Haaren (wir sahen ihn kurz vorher beim, ähm... „Friseurtermin“). Er schnappt sich die Schlange und spielt mit ihr. „Haben Sie keine Angst: sie ist giftig, aber sie gehorcht auf‘s Wort.“ – versichert er Akala. Na, da kann die Chefin der Cynro-Expedition aber beruhigt sein! Dann zeigt er ihr etwas anderes: eine komische Spielzeugkonsole mit vielen bunten Knöpfen. Er bedient sie, und schon tauchen im ganzen Spiegelkabinett leicht bekleidete Tänzerinnen auf. Ist das ein Projektionssystem, oder handelt es sich einfach nur um Tänzerinnen, die auf Knopfdruck erscheinen? Man weiß es nicht wirklich (wenngleich IM STAUB DER STERNE in plotreichen Sequenzen durchaus Expositionsdialog auffährt, so lässt er besonders die etwas irrsinnigeren Elemente ohne jegliche Erklärung – gut so!). Beim Druck bestimmter Knöpfe können die Tänzerinnen und die Musik offenbar schneller „abgespielt“ werden. Akala scheint davon nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Der Chef hat offensichtlich aber Vergnügen daran. Ja er scheint gar davon regelrecht sexuell erregt zu werden, und wie er schwer atmend die Knöpfe bedient sieht er auch ein bisschen so aus, als würde er zur Begrüßung mal eben vor seinem Gast masturbieren. Dann klinkt er sich wieder ein und erklärt Akala „Manchmal spiele ich damit viele Stunden lang“ – was die eben genannte Vermutung nicht gerade entkräftet. Da wir uns immer noch in einem Spiegelkabinett befinden, sind übrigens alle Bilder während der kompletten Szene permanent durch mehrfache Spiegelungen „zerbrochen“, so dass der Chef „normalen“ Dialog teilweise so bestreitet, als würde er nicht mit Akala, sondern mit seinem eigenen Spiegelbild sprechen – für eine so neurotische und offenbar auch schwer narzisstische Persönlichkeit wie ihn irgendwie passend. Später, im gleichen Spiegelkabinett, hat der Chef dann einen kleinen Anfall, dröhnt sich mit einem großen „Schluck“ aus einer Spraydose zu und vollführt dann eine Art Schamanentanz vor seinen eigenen Spiegelbildern und in Gesellschaft seiner lieben Giftschlangen. Am Schluss schließlich, als die Kosmonauten aus Cynro (bis auf zwei) fliehen, zerstört er in einem Wutanfall das Spiegelkabinett und starrt erschrocken in sein zerbrochenes Spiegelbild.

Merkwürdige Installationskunst, ein verwirrendes Spiegelkabinett,
wunderliche Haustiere und außergewöhnliche Hobbies: Akala lernt den exzentrischen Chef kennen

Wie gesagt: als rein narrativer Science-Fiction-Film ist IM STAUB DER STERNE kein überragender Wurf. Die Handlung ist nicht gerade besonders spannungs- oder überraschungsreich. Auf eine Geschichte von Imperialisten (Besatzer Tems), die Völker aus Entwicklungsländern (die versklavten Einwohner Tems) wirtschaftlich und kolonial unterdrücken und dann von einer revolutionären Avantgarde (die Kosmonauten aus Cynro) vertrieben werden, kann der Film aber auch nicht reduziert werden: dafür ist nicht nur die Inszenierung viel zu unkonventionell, sondern schlussendlich auch die Auflösung viel zu offen und zu pessimistisch. Am Ende ist der Status Quo auf Tem geblieben: nach der Beerdigung werden die Turi wahrscheinlich wieder Kohle schippen, der Chef der Besatzer wird sich weiterhin seiner Spielzeugkonsole erfreuen – nur Akala bleibt verwirrt und hilflos zurück.

Eine Kritik des Films beschrieb das so:
„Der Unterschied zwischen zwei historisch-sozialen Epochen müßte [...] für den Zuschauer in der Fabelführung, vor allem aber in den Haltungen der Figuren erlebbar gemacht werden; in der Begegnung von Persönlichkeiten unterschiedlicher historischer und sozialer Ordnungen, im Aufzeigen des Widerspruchs läge der Sinn der Geschichte, läge ihre besondere Spannung. Diese Spannung herzustellen, gelingt Gottfried Kolditz jedoch [...] kaum. Das Gleichnis [...] geht nicht auf.“

Was wie die völlig entgeisterte Reaktion eines provinziellen DDR-Filmkritikers klingt, der nachts mit seinem SED-Parteibuch unter dem Kopfkissen schläft (auf den ersten Blick las sich das so für mich auf der deutschen Wikipedia-Seite des Films), sind übrigens die Worte des Wuppertaler Science-Fiction-Schriftsteller Ronald M. Hahn. Das Gleichnis geht also nicht auf – aber wer braucht schon Gleichnisse, wenn es fetzige Nackttanzeinlagen auf LSD und Bösewichte mit blauen Haaren und Dracula-Capes gibt? Als „straighter“ Science-Fiction-Film wäre IM STAUB DER STERNE lediglich nur solide inszeniert, wahrscheinlich nach der Hälfte der Laufzeit schon etwas dröge – und würde wohl von mehr Zuschauern geschätzt und vor allem ernst genommen werden. Das selbe Schicksal ereilte später ja auch den wohl besten und vor allem bizarrsten und irrsinnigsten Teil von STAR WARS (RETURN OF THE JEDI). Mit 800.000 Zuschauern lief IM STAUB DER STERNE bei den ostdeutschen Zuschauern jedenfalls ganz gut (auf die heutige Bundesrepublik hochgerechnet wären das 3,75 Millionen Kinobesucher). Trotz seines Hangs zum Irrsinnigen blieb er trotz allem – ein Mainstream-Film für das breite Publikum.

Mit Gottfried Kolditz hatte IM STAUB DER STERNE tatsächlich einen der produktivsten Routiniers des Genre-Films in der DDR auf dem Regiestuhl sitzen. Kolditz begann in den 1950er Jahren als Schauspieler und Regisseur an verschiedenen Theatern, wechselte dann zur DEFA. Dort machte er sich rasch einen Namen als fähiger und dennoch durchaus experimentierfreudiger Regisseur von Märchen-Filmen und Musicals. Kolditz blieb Ende der 1960er Jahre weiterhin dem Genrefilm verpflichtet, nun als Spezialist für Science-Fiction und Westerns bzw. sogenannte „Indianerfilme“. Kurz vor dem Dreh eines neuen Indianerfilms starb der gebürtige Sachse 1982 mit nur 59 Jahren bei Drehvorbereitungen in Dubrovnik, IMDb meint alternativ Ljubljana – DER SCOUT wurde auf Grundlage von Kolditz' Drehbuch von Dshamjangijn Buntar und Konrad Petzold noch gedreht.
Jim Morton bezeichnet Kolditz als einen der besten Regisseure der DDR, als ein Filmemacher, der trotz der extremen Genre-Disparität zwischen seinen Filmen immer ein sehr gutes Gespür für Inszenierung, Farbdramaturgie und Musikuntermalung hatte. Bis auf die Westerns (bzw. „Indianerfilme“) enthalten gemäß Morton nicht nur die Musicals, sondern praktisch alle Kolditz-Filme eine Musical-Nummer oder zumindest ein musikalisches Intermezzo – so natürlich auch IM STAUB DER STERNE, wo es reichlich Musik bei der Party und beim Nackttanz gibt. Kolditz war in seiner Karriere mehrmals bei internationalen Filmprojekten beteiligt. Der Märchenfilm DIE GOLDENE JURTE von 1961, eine deutsch-mongolische Produktion, inszenierte Kolditz etwa in Co-Regie mit dem Mongolen Rawsha Dorshpalam, basierend auf einer Erzählung des mongolischen Autors Sengiin Erdene. Der Science-Fiction-Film SIGNALE – EIN WELTRAUMABENTEUER war eine deutsch-polnische Ko-Produktion, gefilmt auf 70mm in Polen mit einer deutsch-polnisch-sowjetisch-rumänischen Crew, ein Film, der wohl so etwas wie die osteuropäisch-sozialistische Antwort auf Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY sein sollte. Gemäß Morton ziehe SIGNALE gegenüber 2001 ganz klar den kürzeren im Bereich der Effekte und sei im direkten Vergleich zu IM STAUB DER STERNE weniger interessant, besteche aber mit einigen interessanten Szenen, so etwa ein verspieltes musikalisches Intermezzo in der Schwerelosigkeit. Seine Westerns drehte Kolditz hingegen größtenteils in Rumänien. Hier filmte Kolditz, nach seinem eigenen Drehbuch, auch IM STAUB DER STERNE, und zwar bei den Schlammvulkanen von Berca (beim englischen Wikipedia-Artikel finden sich einige Bilder, die nach der Sichtung des Films durchaus bekannt vorkommen) sowie in einer stillgelegten Salzmine in der Nähe. Die Innenszenen wurden in Babelsberg gedreht.

Ein anderer großer Routinier des ostdeutschen Films, der an IM STAUB DER STERNE mitwirkte, war der Komponist Karl-Ernst Sasse. Der gebürtige Bremer war von Haus aus klassisch ausgebildeter Komponist und Dirigent und arbeitete in der DDR parallel im „klassischen“ Musikmilieu – so als Chefdirigent des Sinfonieorchesters Halle (heute Staatskapelle Halle) – und in der ostdeutschen Filmindustrie. Als Leiter des DEFA-Sinfonieorchesters in Potsdam-Babelsberg war er mit der Einspielung von Filmkompositionen beauftragt, komponierte aber rasch auch eigene Filmmusik. Seine 40-jährige Karriere als Filmkomponist umfasst fast 200 Filme für Kino und Fernsehen, darunter den 1965 verbotenen KARLA, unzählige Indianerfilme, Literaturverfilmungen wie DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN und LOTTE IN WEIMAR, mehrere POLIZEIRUF-Episoden bis hin zu – nach der deutschen Einheit – Rosa von Praunheims Hirschfeld-Biopic DER EINSTEIN DES SEX sowie mehrere Neukompositionen für Stummfilme (DER GOLEM, DER MÜDE TOD, DER LETZTE MANN, ASPHALT). Jim Morton betont auf seinem Blog, wie unglaublich vielfältig Sasse (nicht nur bei Kolditz-Filmen) war, dass er sich mühelos zwischen Jazz, Rock, Klassischem und Elektronisch-Avantgardistischem bewegte. Für IM STAUB DER STERNE hat er neben dem gediegenen Titellied für Gitarre und Frauenchor eine Musik komponiert, die sich wie bereits erwähnt im Grenzbereich zwischen Prog-Rock und Jazz-Fusion bewegt, mit einigen abstrakten, elektronischen Elementen – eine fetzige, mitreissende und stimmige Musik. Sasse und Kolditz verband bis zum Tod des letzteren eine lange Zusammenarbeit. Sasse dirigierte die Musik zu Kolditz‘ Musicals DIE SCHÖNE LURETTE, REVUE UM MITTERNACHT sowie GELIEBTE WEISSE MAUS. Später komponierte er die Musik zu Kolditz‘ Westerns BRENNENDE ZELTE IN DEN SCHWARZEN BERGEN und ULZANA (und für den von Kolditz geschriebenen DER SCOUT) sowie zu all seinen drei Science-Fiction-Filmen, neben dem hier besprochenen auch den bereits erwähnten SIGNALE – ABENTEUER IM WELTRAUM sowie DAS DING IM SCHLOSS.

Weder für den Produktionsdesigner Gerhard Helwig, noch für den Kameramann Peter Süring, noch für die Kostümdesignerin Katrin Johnsen, die drei Personen, die hinter der Kamera nebst Kolditz und Sasse wohl den größten Beitrag zum Gelingen von IM STAUB DER STERNE geleistet haben, finde ich in den jeweiligen Werkslisten viel Bekanntes. Süring und Johnsen arbeiteten mit Kolditz noch bei seinem letzten Science-Fiction-Film DAS DING IM SCHLOSS zusammen. Gerhard Helwig hat beim Set-Design von DIE ABENTEUER DES WERNER HOLT mitgewirkt und ist der einzige der drei, dessen Karriere nicht sofort mit der Wende ein Ende fand.

Eine erstklassige internationale Besetzung:
Jana Brejchová, Leon Niemczyk,
Alfred Struwe, Milan Beli
Die fünf wichtigsten Figuren von IM STAUB DER STERNE werden von Darstellern aus vier verschiedenen Ländern gespielt. Jana Brejchová, die Hauptdarstellerin, war nicht nur die zeitweilig die Ehefrau des Neue-Welle-Regisseurs Miloš Forman und später des Schauspielers Vlastimil Brodský, sondern eines der berühmtesten Gesichter des tschechischen Kinos und Fernsehens. Sie war allerdings auch west- wie ostdeutschen Zuschauern bekannt, etwa in der Tucholsky-Verfilmung SCHLOSS GRIPSHOLM von 1963.
Der Pole Leon Niemczyk, ein Veteran des Warschauer Aufstands und zeitweilig Soldat der US-Armee im besetzten Deutschland, verbrachte in der stalinistischen Ära einige Zeit im Gefängnis für versuchte Republikflucht. Er begann als Schauspieler beim Arbeitertheater und wechselte dann zum Kino. Er spielte in vielen Filmen von Regisseuren, die im weitesten Sinne der „nouvelle vague polonaise“ zugerechnet werden können: CŁOWIEK NA TORZE und EROICA von Andrzej Munk, POCIĄG von Jerzy Kawalerowicz, international am berühmtesten dürfte aber seine Rolle als der Ehemann in Roman Polańskis NÓŻ W WODZIE sein. Auch ostdeutschen Zuschauern war er durch seine Beteiligung an Spielfilmen der DEFA ein bekanntes Gesicht – unter anderem als Nebenrolle in ostdeutschen Westerns, darunter Kolditz‘ APACHEN. Niemczyk starb im November 2006 – vier Tage nach der polnischen Premiere von David Lynchs INLAND EMPIRE, der teilweise in Polen gedreht worden war und in dem Niemczyk eine Nebenrolle spielte. Niemczyk, dessen Name übrigens so viel wie „Deutsch“/„Der Deutsche“ bedeutet, war auch im privaten Leben ein kosmopolitischer Mensch: er war sechs Mal verheiratet, doch keine einziges Mal mit einer polnischen Frau. 
Alfred Struwe, der den Navigator Suko spielt, war hingegen hauptsächlich in ostdeutschen TV-Filmen und TV-Serien zu sehen – die einzigen davon, die mir persönlich etwas sagen, ist der POLIZEIRUF 110. Kolditz und er kannten sich bereits von dem Indianerfilm ULZANA (1974 – ob der Film ein direkter Versuch ist, an Robert Aldrichs ULZANA‘S RAID von 1972 anzuknüpfen, kann ich nicht beurteilen). Milan Beli, der den Sicherheitschef Ronk spielt (er sieht aufgrund seines Kostüms nicht so furchterregend aus, wie er sollte – dafür knallt er zwischendurch mit einem Pistolenkugelschreiber zum Spaß Modellflugzeuge ab), war gebürtiger Serbe, arbeitete aber gar nicht in der jugoslawischen Filmindustrie. Abgesehen von einer Nebenrolle in Erwin Dietrichs Nazi-Sexploitation-Film EINE ARMEE GRETCHEN (der internationale Titel „She-Devils of the S.S.“ war markanter) spielte er nur in ostdeutschen Produktionen mit, unter anderem als Bösewicht in Indianerfilmen. Auch er war gewissermaßen ein Kolditz-„Regular“ und war in dessen ULZANA und DAS DING IM SCHLOSS zu sehen.
Üblicherweise weder im Fernsehen, noch im Kino, sondern im Theater war der größte Besetzungsstreich von IM STAUB DER STERNE zu sehen, nämlich Ekkehard Schall, der den exzentrischen, narzisstischen Chef der Tem-Besatzer mit seinen Neigungen zu merkwürdigen Haarfarben und Kostümen spielt. Schall war ein Urgestein des Berliner Ensembles, wo ihn Bertolt Brecht 1952 geholt hatte. Dort blieb er bis 1995 als Darsteller und Regisseur, lange Jahre auch als stellvertretender Intendant. Der vielfach in Ostdeutschland und auch international preisgekrönte Theaterschauspieler galt als einer der größten Brecht-Darsteller in der DDR (nicht nur auf den Bühnen, sondern auch bei Brecht-Verfilmungen für das Kino und das Fernsehen). Die Rolle des namenlosen Chefs der Tem-Besatzer war sicherlich eine schöne und interessante Abwechslung für Schall, und noch mehr als bei den anderen scheint man ihm anzumerken, dass er wohl beim Dreh Spaß gehabt haben muss. 

Vom Berliner Ensemble zum psychedelischen Planeten Tem:
der wunderbare Ekkehard Schall als exzentrischer Chef

IM STAUB DER STERNE gibt es in zwei, wahrscheinlich identischen Editionen auf DVD zu sehen, einmal als Einzelfilm, einmal als Teil der „Science-Fiction-Special-Edition“ zusammen mit EOLOMEA und DER SCHWEIGENDE STERN. Beide Editionen kommen vom Icestorm-Label, das exklusiv die Filme der DEFA-Stiftung auf DVD vertreibt.
In beiden Editionen gilt der Film gemäß OFDb als gekürzt, was folgenden Hintergrund haben könnte: offenbar wurde aus dem Vorspann und dem Nachspann das Logo gekürzt, das darauf hinweist, dass der Film von der Künstlerischen Arbeitsgruppe defa futurum produziert wurde. Allerdings fehlen mehr als nur ein paar Sekunden, die dieses Logo ausmachen würde. Es fehlt auch jegliche Spur von einem Nachspann: wie bei fast allen Filmen, die das Label Icestorm veröffentlicht, wird das Ende recht abrupt abgeschnitten und das unfassbar hässliche Banner „Bundesarchiv – Filmarchiv – DEFA-Stiftung“ zusammen mit einem Copyright-Vermerk eingeblendet. Und wie bei allen Editonen des Labels Icestorm wird auch IM STAUB DER STERNE nicht-anamorph präsentiert, wenngleich hoffentlich – aber vollkommen sicher bin ich mir da nicht – im richtigen Bildformat, zumindest aber mit halbwegs okayer Bildqualität.
Nun... über den Anlass der Deutschen Einheit in diesen Tagen wollte ich eigentlich keine großen Worte verlieren, aber vielleicht wäre es jetzt, immerhin 26 Jahre „danach“, mal an der Zeit, dass das Filmerbe der DDR nicht mehr einem vorgestrigen Ramsch-Label überlassen wird, das noch nie etwas von anamorpher Codierung gehört hat, oder von ästhetisch ansprechender Cover-Gestaltung, oder davon, dass man Abspänne vielleicht nicht durch hässliche Copyright-Vermerke ersetzen sollte oder, bei sowjetischen Filmen, davon, dass manche Leute heutzutage gerne auch die Originalsprachfassung sehen möchten, und wenn es geht vielleicht sogar auch noch im richtigen Bildformat. So ungnädig, unwürdig und schäbig wird wohl kaum irgendeine Gruppe von Filmen in Deutschland behandelt. Bis sich das allerdings geändert hat, bleibt die Icestorm-Edition von IM STAUB DER STERNE (und vieler anderer Filme) alternativlos – leider.