Wer mit dieser Besprechung nicht zufrieden ist, möge sich bei "mono.micha" (Schneeland) beschweren: er hat mir die DVD geschenkt. Sollte mein Geschwätz jedoch unerwartet Anklang finden, nehme ich gern weitere Filme entgegen. Mit etwas Glück werden auch sie hier besprochen.
Lieben Sie Brahms?
(Goodbye Again,
Frankreich/USA 1961)
Regie: Anatole Litvak
Darsteller: Ingrid Bergman, Anthony Perkins, Yves Montand, Jessie Royce Landis, Pierre Dux, Jocelyn Lane, Jean Clarke, Michèle Mercier, Uta Taeger u.a.
Böse Zungen könnten “Goodbye Again” als Dreiecksgeschichte mit Überlänge bezeichnen, in der grosse Schauspieler in eleganten Dekors meist um den heissen Brei herumreden und in der sich im Grunde genommen gar nichts von Bedeutung ereigne. Die Herausgeber der deutschen DVD leisten einer solchen Betrachtungsweise sogar noch Vorschub, indem sie den nicht gerade schmeichelhaften Kommentar des “Lexikons des internationalen Films” zitieren: “Elegant inszenierte, in der Auslotung der Konflikte jedoch an der Oberfläche bleibende Verfilmung eines Romans von Françoise Sagan, die sich in erster Linie auf das bemerkenswerte Spiel der Hauptdarsteller stützt.”
Ganz so belanglos kann der Film, der zu Beginn der 60er in den Vereinigten Staaten sogar für einen kleinen Skandal sorgte, jedoch nicht sein, mag er heute - leider! - auch eher zu den vergessenen Ingrid Bergman-Streifen gehören. Er beschäftigt sich nämlich mit einem Problembereich, der in den prüden 50er Jahren völlig ausgeblendet worden war, dessen Thematisierung um 1960 offenbar aber förmlich in der Luft lag: dem der Liebesbeziehung einer reiferen Frau zu einem jungen Mann. - 1959 liess der britische Regisseur Jack Clayton in einem der grossen Filme des Free Cinema, “Room at the Top”, eine unglücklich verheiratete Französin (Simone Signoret) einem zehn Jahre jüngeren Mann verfallen, der mit ihr erste - erstaunlich realistisch dargestellte - sexuelle Erfahrungen sammelte. 1962 durfte sich Lilli Palmer in “Julia, du bist zauberhaft”, der unterschätzten Adaption einer Erzählung von W. Somerset Maugham, als alternde Schauspielerin für eine Weile einem jungen Steuerberater hingeben - und zur Erkenntnis gelangen, dass ein Beefsteak und Bratkartoffeln der Liebe letztlich überlegen seien.
Der insbesondere in den 40er Jahren erfolgreiche Regisseur Anatole Litvak (er hatte sich schon in “The Snake Pit”, 1948, des Tabuthemas “Psychiatriekliniken in den USA” angenommen) bemüht sich in seinem Film um einen Mittelweg zwischen dem düsteren Meisterwerk von Clayton (die von Signoret gespielte Figur nimmt sich das Leben) und der Leichtigkeit, die den Palmer-Film durchzieht. Dies hat unweigerlich zur Folge, dass im gepflegten Pariser Milieu (wir bekommen im Schwarzweissfilm tatsächlich eine “Stadt der Lichter” geboten) mit seinen luxuriösen Wohnungen und edlen Bars vieles nur zwischen den Zeilen ausgesprochen wird, ja gelegentlich oberflächlich erscheint. In Wirklichkeit führt uns diese “Oberflächlichkeit” jedoch direkt in den Konflikt der im Mittelpunkt stehenden, von Bergman gespielten Figur hinein, lässt erkennen, was sie, die Alternde, Tag für Tag unausgesprochen hinunterschlucken muss. Und sie vermag jenen Moment, in dem sich eine völlig aufgelöste Bergman nicht mehr hinter ihrer Fassade verstecken kann, umso intensiver wirken zu lassen.
Die 40-jährige Innenarchitektin Paula ist seit fünf Jahren mit dem Landmaschinenhändler Roger liiert. Da dieser zur - lächerlichen - Bestätigung seiner scheinbaren Jugend regelmässige Affären mit jungen Damen, die er der Einfachheit halber grundsätzlich Maisie nennt, benötigt, haben sich die beiden auf eine “moderne” Form der Beziehung geeinigt, die jedem beliebige Freiheiten einräumt. Für Paula, die Roger eigentlich gerne heiraten möchte, bedeutet dies vor allem das unwidersprochene Hinnehmen einsamer Abende und mit Arbeit ausgefüllter Wochenenden, weil ihr Freund anderweitig “beschäftigt” ist. - Eines Tages begegnet sie im Haus einer Kundin dem wesentlich jüngeren Jura-Assessor Philip, der gleich mit reichlich kindischem Verhalten ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versucht (er spielt ihr eine kleine Behinderung vor, erscheint völlig betrunken in einem Tanzlokal, in dem sie sich mit Roger aufhält - und führt ihr bei einem gemeinsamen Essen hochdramatisch den Unterschied zwischen einer amerikanischen und einer französischen Gerichtsverhandlung vor). Paula, der es bis anhin gelungen ist, mit einem eleganten Lächeln von ihrem Alter abzulenken, muss jedoch bald erkennen, dass sie, auch wenn er es nicht richtig zu zeigen vermag, Philips erste grosse Leidenschaft ist, dass er, der beruflich Unambitionierte, ihr regelrecht zu verfallen droht und Tag und Nacht für sie da sein will. Geschmeichelt nimmt sie Philips Einladung zu einem Brahms-Konzert an und denkt, während der junge Mann ihre Hand zu halten versucht, an ihre erste Begegnung mit Roger zurück...
Befand sich Paula zu Beginn in der für sie schier unerträglichen Situation, gegenüber Roger ihren Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit nicht aussprechen zu dürfen, so wird sie durch das ekstatische Werben des viel jüngeren Mannes erst recht in eine Zwickmühle getrieben. Und sie weiss: wofür sie sich auch immer entscheiden mag, sie wird nur unwürdig altern. Der Film führt diesen Alterungsprozess im Verlauf eines misslingenden Emanzipationsversuchs auch hintergründig vor und lässt ihn in jene Szene münden, in der eine hilflose Frau dem die Treppe hinuntereilenden Liebhaber auf Zeit nachruft: “Philip, try to unterstand! I am old. I am old.”
Mag das Geschehen zumindest auf der Leinwand (!) heute auch etwas überholt wirken, so gelang es Litvak doch, drei überzeugende Figuren zu zeichnen, deren verbergendes Wesen den Zuschauer zu packen vermag. Dies zeigt bereits der Beginn des Films, der sie uns unabhängig voneinander am Ende eines Tages vorführt: Die von der Arbeit erschöpfte, sich aber noch immer elegant gebende Bergman verlässt ihren Laden und sucht nach einem Taxi, der alternde Montand starrt auffällig zwei jungen Frauen nach - und der offensichtlich verwöhnte, letztlich kindisch-unfähige Sohn einer reichen Mutter, Anthony Perkins, fährt in seinem modernen Wagen (man benötigt beinahe einen Schuhlöffel, um in ihn einsteigen zu können) durch Paris. - Später lassen diese Figuren zunehmend erkennen, inwieweit sie überhaupt zu Entwicklungen, Veränderungen fähig oder bereit sind. Roger wird wohl für immer der ölige Aufreisser bleiben, der sich nach dem “Beweis” für seine Jugendlichkeit die Krawatte bindet und zu Paula zurückkehrt. Paula wird, leidend alternd, die Fassade der oberflächlichen Eleganz noch eine Weile aufrechtzuerhalten versuchen - und Philip bleibt das Rätsel in dieser Dreiecksgeschichte, die doch nicht so kitschig und banal ist, wie es auf den ersten Blick scheint: War Paula tatsächlich die grosse Liebe, die er der Sekretärin seines Chefs als “a woman -- warm -- charming -- and yet sad” beschrieb? Oder kommt er bald über sie hinweg?
Die darstellerischen Leistungen dürfen, wie selbst das "Lexikon der internationalen Films" zugeben muss, als herausragend bezeichnet werden. Ingrid Bergman, die wegen ihrer Beziehung zu Roberto Rossellini in Hollywood eine Zeitlang als “persona non grata” gegolten hatte und dank Anatole Litvak für “Anastasia” (1956) zu ihrem zweiten Academy Award gekommen war, nahm die durchaus gewagte Rolle der Paula mit Begeisterung an, obwohl man - absurd! - der 46-jährigen Schauspielerin später vorwarf, sie sähe für eine 40-Jährige viel zu jung aus; Perkins, der nicht nur als Norman Bates für Aufsehen gesorgt, sondern etwa auch eine ernste Rolle in Stanley Kramers “On the Beach” (1959) bewältigt hatte, verwandelt sich unerwartet glaubwürdig in einen unreifen Bengel, dem vielleicht doch die Verletzung seines Lebens zugefügt wird; und Yves Montand gefällt sich als alternder Schürzenjäger offensichtlich. Als besonderer, wenigstens für eine Prise Humor sorgender Leckerbissen gesellt sich noch Jessie Royce Landis als dümmliche, aber reiche Mutter von Philip zu diesem Trio. - Anthony Perkins scheint Litvak, für den "Goodbye Again" wohl die letzte wirklich bedeutende Arbeit sein sollte, übrigens derart überzeugt zu haben, dass er ihn 1962 in "La troisième Decade" auch noch an der Seite der Loren spielen liess.
Françoise Sagan, die die Romanvorlage für “Goodbye Again” geliefert hatte, galt zu jener Zeit als Skandalautorin. Sie hatte bereits als Achtzehnjährige mit dem 1958 von Otto Preminger verfilmten Erstlingswerk “Bonjour Tristesse”, in dem ein junges Mädchen seine Sexualität hemmungslos auslebt, für Furore gesorgt und vermochte auch mit “Aimez-vous Brahms?” ein drängendesThema aufzugreifen, handelte der Roman doch nicht nur von der Liebe einer reiferen Frau zu einem jungen Mann, sondern zeigte auf, wie undenkbar es selbst für eine Frau im “gehobenen Milieu” war, sich der Fesseln der Konvention zu entledigen. - Interessanterweise nahmen sich über die folgenden Jahrzehnte hinweg immer wieder Filme des Problembereichs "Beziehung zwischen einer Frau und einem (wesentlich) jüngeren Mann" auf unterschiedliche Weise an. Es scheint, als hofften Produzenten und Regisseure, mithilfe ihres Mediums festgefahrene Haltungen verändern zu können. Einige bekannte Beispiele: "Harold and Maude" (1971), Rainer Werner Fassbinders "Angst essen Seele auf" (1974), ein mutiger Film, der die Liebesgeschichte zwischen einer älteren Frau und einem Mann aus der Türkei erzählt, "How Stella Got Her Groove Back" (1998), "Something's Gotta Give" (2003) oder "Chéri" (2009) von Stephen Frears. - Allerdings erreichten die Filmemacher gerade mit diesem speziellen Plädoyer für eine Liebe mit Altersunterschied wenig, wird doch oft selbst in "fortschrittlichen" Kreisen ein alter Mann, der sich eine junge Frau angelt, mit leicht bewunderndem Unterton noch immer als "geiler Hengst" bezeichnet, während man über eine Frau mit jüngerem Lebenspartner ("Wie ungehörig!") heimlich die Nase rümpft.
Habe den Film vor Jahren bei Arte gesehen und erinnere mich nur noch an eine große Szene: Ingrid und die Scheibenwischer.
AntwortenLöschenStimmt! Die Szene ist derart auf Wasser hin stilisiert (Tränen, Regen, hoffnungslos gegen die Nässe ankämpfende Scheibenwischer), dass man sich fragt, wie jemand in der Realität eine solche Fahrt durch Paris überleben könnte ;)
AntwortenLöschenach... ich sag mal so: ingrid bergman ist schon eine geile sau (ihre tochter übrigens auch...) und ich werde mir diesen film mal vormerken, da ich mich schon immer gut mit den charakteren, die perkins gespielt hat, identifizieren konnte.
AntwortenLöschenSie hatte natürlich schon ein "gewisses Alter", als sie den Film drehte, die Ingrid (sollte sie ja auch). Aber Perkins überraschte mich mit seiner Fähigkeit, ein verwöhntes und gleichzeitig liebendes Bubi zu spielen, enorm. Es ging mir nämlich wie jenny: Ich hatte "Goodbye Again" seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.
AntwortenLöschenDer Perkins hatte schon so einiges drauf. Äußerst gelungen ist auch Curtis Harringtons TV-Film How awful about Allan, in dem er zwar auch wieder einen Norman Bates-ähnlichen Charakter spielt, aber interessante andere Facetten in den Vordergrund stellt.
AntwortenLöschenIch wusste gar nicht, dass er auch mal für Curtis Harrington (von dem ich leider nur "What's the Matter With Helen?" und "Ruby" kenne) arbeitete. Danke für den Tipp! Vermutlich weisst mal wieder nur du, wie man an den Film rankommt ;) - Meine erste Reaktion auf seine Leistung in "Goodbye Again": Ich bestellte mir augenblicklich "La décade prodigieuse" von Chabrol, von dem ich vorher noch nie etwas gehört hatte.
AntwortenLöschenVielen Dank für diesen wunderbaren, auch kritischen Text. Ich war bei Erstsichtung völlig von den Schauspielerleistungen eingenommen, und so auch von A. Perkins. Die elegante, flüssige Inszenierung tut ihr übriges. Meiner Meinung ein zu unrecht etwas in Vergessenheit geratenes Juwel.
AntwortenLöschenProst und Merci!
PS: Das Verschenen von DVDs sollte uns nicht zum Blogeintrag zwingen; umso erfreuter war ich um Dein Engagement!
Das war doch kein Zwang, eher die geschickt versteckte Forderung nach mehr, mehr, mehr (die bis jetzt leider von allen überlesen wurde). ;)
AntwortenLöschenIm Ernst: Ich muss den Film ähnlich wie "jenny" vor Jahren das letzte Mal gesehen haben und verband mit ihm Erinnerungen an eine noch frühere Sichtung (meine Mutter liess mich bekanntlich als Kind an das Zeugs ran), die mich fasziniert hatte. - Und während des Schreibens meines Eintrags ist tatsächlich mal wieder das passiert, worauf ich dich im Zusammenhang mit Kleist hingewiesen habe: es kam zu einer "allmählichen Verfertigung der Gedanken". Dafür wiederum bin ich dir zu grossem Dank verpflichtet.
Habe mir den Film gestern nochmal angeschaut, und kann nur noch einmal betonen, wie gelungen ich deinen Text finde.
AntwortenLöschenEin Aspekt, der mir bei der Neusichtung stärker auffiehl betrifft Paula. Obwohl es ja zu dieser "ungehörigen" Beziehung kommt, ist sie doch nie 100%ig involviert. Sie verliert ihre Traurigkeit nicht, es gibt kein "Fest der Liebe" - was so auch ein politisches Statement gewesen wäre. Und Perkins sagt ihr dann ja auch auf den Kopf zu: du liebst ihn immer noch. Er (Montand) müsse nur ein Wort sagen, und schon... usw. Es kommt dem konservativen Geschmack seiner Zeit sicher entgegen, wenn die Frau ihr eigenes Verhältnis nicht mit der nötigen Liebe führen kann, ganz so, als ob sie etwas zurückhielte. Und du zitierst dann ja auch ihren verzweifelten Ausbruch an der Treppe ("I'm old!"). Am Ende nimmt alles seinen "geregelten Lauf" - man muss die Verletzung Perkins' akzeptieren (aber der ist ja noch jung...) und das Unglück Paulas. Dennoch ist das gesellschaftliche Reglement am End' wieder erfüllt worden. Bestätigt hat es sich allerdings nicht.
Das sehe ich auch so; und deshalb wirkt das verzweifelte Herausschreien ihrer Gefühle so überwältigend (sie könnten sogar eine Ausrede sein, die Angst vor dem Wagnis, ihr tristes Leben auf den Kopf zu stellen). Montand gibt in dieser Hinsicht das dominierende - pardon! - Arschloch, der Mann, der in diesem konservativen Lebensverständnis auch der "besseren Gesellschaft" über die Frau bestimmt.
AntwortenLöschenVielen Dank für das unverdiente Lob. Es freut mich sehr, dass mein Text mit deinen Seherlebnissen übereinstimmt. Man müsste sich in diesem Zusammenhang mal wieder eine Sichtung von Weidenmanns "Julia, du bist zauberhaft" gönnen, weil die Palmer diese Situation - zumindest oberflächlich - wesentlich weniger ernst zu nehmen scheint. Aber eben: oberflächlich.