Dienstag, 28. Februar 2012

Mr In-Between

A Murder Ballad (Alternativtitel: Mr. In-Between)
(Mr In-Between, Grossbritannien 2001)

Regie: Paul Sarossy

Wir alle lassen uns gelegentlich zum Kauf eines angeblichen Geheimtipps verleiten, der gerade verdächtig günstig zu haben ist. Üblicherweise stellen wir dann rasch fest, dass wir unser Geld verschwendet haben. In seltenen Fällen hat man aber wirklich einen Geheimtipp entdeckt. Die einzige Regiearbeit des Kameramannes Paul Sarossy, der sich unter anderem durch seine Zusammenarbeit mit Atom Egoyan einen Namen machte, buhlte - wie ich später herausfand - als “Geheimtipp des Fantasy Filmfests 2002” nicht nur in Deutschland, sondern auch im englischsprachigen Raum gleich mit zwei verschiedenen Titeln (“The Killing Kind”) vergeblich um Anerkennung, schien also eine meiner Fehlinvestitionen zu sein. - Und doch lässt der Film mich auch nach der dritten Sichtung verwirrt und unentschlossen zurück. Die beiden Seelen, die in meiner Brust um ihn kämpfen, tauchen freilich in Foren ebenfalls auf, scheinen sogar “Rotten Tomatoes” in Beschlag genommen zu haben - und aus diesem Grund ist die DVD wohl noch nicht längst im Müll gelandet, sondern darf sich auf weitere “Annäherungen” gefasst machen:


Jon ist ein eiskalter Auftragskiller, der seinen Beruf mit einer geradezu pedantischen Gewissenhaftigkeit ausübt und seinem Auftraggeber, der sich als sein Lehrer und zweiter Vater aufführt, vollkommen ergeben ist. Die einzige oberflächliche Verbindung zu einer Welt, die nicht mit Mord oder (Drogen-)Schlaf in seiner ebenfalls pedantisch gereinigten weissen Wohnung zu tun hat, sind zwei Kumpel, mit denen er sich wie ein harmloser Versicherungsvertreter gelegentlich im Pub trifft. Doch dann begegnet er eines Tages einem alten Klassenkameraden und dessen Frau, in die er einst verliebt war. Der Wunsch, seiner bizarren Welt wenigstens gelegentlich zu entkommen und mit normalen Menschen zusammen zu sein, nimmt überhand. Dies macht ihn aber zu einer Gefahr für seinen Boss, der die heile Welt, die seinem Killer Zuflucht gewährt, in seine Zerstörungswut miteinbezieht und Jon am Ende nur die Auswahl zwischen zwei Möglichkeiten lässt: gestossen zu werden oder selber zu springen.


Die Geschichte des Berufskillers, der aussteigen und seiner  Welt entkommen will, ist eigentlich banal und schon vielfach filmisch umgesetzt worden. Sarossy geht es bei seinem erstaunlich langsam erzählten “Mr In-Between“, der mit bemerkenswert wenig expliziter Gewalt auskommt (die Morde werden meist als bruchstückhafte Rückblenden des halluzinierenden Jon miterlebt) aber nicht um das Nachahmen eines Vorgängers, sondern um den Aufbau einer seltsamen Atmosphäre, die geradezu melancholisch wirkendes Reales mit absurd-komisch Irrealem verwischen will. Jon befindet sich zum Beispiel auch während seiner präzise durchgeführten Aufträge in einem “realen”, alltäglichen England, nimmt dieses aber nicht als solches wahr. Dies zeigt der Beginn des Films: Ein  in einem Strassenzug spielendes Mädchen entdeckt einen Mann, der scheinbar harmlos seine Fenster putzt; es ist jedoch der in einer fremden Welt "tätige" Killer, der Blutspritzer von den Scheiben entfernt. Dass dieses “normale” England nicht (mehr) seine gewohnte Welt ist, deutet neben seiner seltsam sterilen Wohnung das tropfende Kanalsystem unter den Strassen Londons an, wo sein “Lehrer”, ein Gourmet, einen Lammbraten für ihn zubereitet und ihm in der gediegenen Bibliothek die benötigten Drogen und Ratschläge (die ihr banales Leben fristenden Menschen  lassen Tausende verhungern) verabreicht. Dieser offenbar wohlhabende, der guten Gesellschaft angehörende Auftraggeber und väterliche Freund (warum haust er in einem solchen Rattenloch?) verwandelt sich wiederum in einer abgelegenen Villa in ein tätowiertes Tier, das mit kindischer Freude selber gierig mordet. Die Atmosphäre ist der Aufhänger; sie will den Zuschauer in ein seltsames "Dazwischensein" mit eigenartig-faszinierenden Bildern  locken.


Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, “Mr In-Between” erhebe den Anspruch, im Gegensatz zu “verwandten” Aussteigerfilmen nicht ein Psychodrama, sondern ein surrealistisches Kunstwerk zu sein; und man weiss nicht, ob man die diese Zwischenwelt begleitenden scheinbar tiefsinnigen Bilder und Phrasen als solche akzeptieren soll. Denn vielleicht, und auch dieser Gedanke drängt sich im Verlauf des Films auf, sind sie nur gewollt tiefsinnig, führen den Zuschauer an der Nase herum, indem sie ihm ein Universum vorgaukeln, das so hintergründig nun auch wieder nicht ist. - Dennoch: der britische Film ist hervorragend besetzt, man nimmt Andrew Howard den Soziopathen, der sich nach Normalität zu sehnen beginnt, durchaus ab. Einzelne Szenen wirken sogar auf eigenartige Weise äusserst glaubhaft, etwa die Beichte des Killers und die Reaktion des Priesters auf die Frage, ob er ihn trotz all seiner Verbrechen liebe. Dieser erteilt ihm nicht die Absolution, sondern - kotzt. --- Ein Film, über den ich kein Urteil zu fällen vermag, weil ich seine Geschichte verstehe, aber aus seiner Intention - falls er denn eine hat - nicht schlau werde. Das kommt manchmal vor, und dazu sollte man stehen. 

6 Kommentare:

  1. "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
    Den Vorhang zu und alle Fragen offen."

    Weder vom Film noch vom Regisseur habe ich schon mal gehört. Beim Lesen des Textes hatte ich sehr vage Assoziationen an PERFORMANCE, aber das ist wahrscheinlich abwegig.

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  2. Sarossy ist in der Tat vor allem als Kameramann bekannt. Dass er mehrmals für Egoyan arbeitete ("The Sweet Hereafter", 1997, "Felicia's Journey", 1999) lässt auf sein eigentliches Talent schliessen. Interessant, dass "Mr In-Between", an den er meines Wissens nur zufällig als Regisseur kam, trotz mancher Hymnen bislang sein einziger Film blieb.

    An "Performance" dachte ich in diesem Zusammenhang eigentlich gar nicht. Der Film wirkt seltsamerweise durchaus in seiner Zeit (dem tristen England der späten 90er verankert, inklusive Arbeitslosigkeit etc.)verhaftet. Ich werde nicht schlau aus dem Ding, möchte es aber auch nicht guten Gewissens weiter empfehlen.

    A propos: Vernehme ich die Stimme von Marcel Reich-Ranicky oder die von einem meiner Lyrik-Götter persönlich? ;)

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    1. A propos: Vernehme ich die Stimme von Marcel Reich-Ranicky oder die von einem meiner Lyrik-Götter persönlich? ;)

      Das war natürlich das Brecht'sche Originalzitat, von dem MRR zumindest laut Wikipedia leicht abgewichen ist.

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    2. Stimmt: Er wich ab. Und er selber muss seinen Abschluss für eine Flunkerei gehalten haben. Hatte er doch jede, aber auch jede Frage gültig beantwortet! Es war zwar ein "Vergnügen", sich "Das literarische Quartett" zu genehmigen; manchmal wäre man aber über eine Auseinandersetzung, die nicht zwangsläufig in MMR münden musste, dankbar gewesen. Um ehrlich zu sein: Er vergällte mir ein wenig die zeitgenössische Literatur mit seiner Rechthaberei. ;)

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  3. Auch ich habe vom Film noch nie etwas gehört, allerdings scheint mir zumindest das Setting (tristes England in den 90ern) schonmal ein Pluspunkt. Gute Darsteller ebenso. Auch dass der Film, der ein Zwischenstadium beschreibt, ein ebensolches bei dir als Kritiker auszulösen vermag, scheint mir, wenn auch mglweise für dich unbefriedigend, eine interessante Volte zu sein.

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    1. Die Faszination ist zweifellos da. Man merkt dem Film auch an, dass ein nicht unbedeutender Kameramann Regie führte. Vielleicht muss ich mich einfach noch mit ein paar seltsamen Aspekten anfreunden: dem tropfenden Kanalystem, in dem ein gediegener Auftraggeber kocht und in wunderschönen Sesseln herumsitzt (Sarossy wollte, dass sich die Begegnungen im Gegensatz zur Romanvorlage dort abspielen), während er in der Villa, die zu seinem Auftritt passen würde, zum tierischen Killer wird. - Und als Gegensatz dann eben das "reale" England, in dem sich so etwas doch einfach gar nicht abspielen kann. Man würde detailliert dargestellte Brutalität vermutlich noch eher als "realistisch" akzeptieren. --- Vermutlich habe ich tatsächlich eine DVD entdeckt, die mich noch einige Zeit beschäftigen wird.

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