Liebe Leserin, lieber Leser!
Werte Freunde (so es euch gibt)!
Ihr werdet das kurze Schweigen
von Whoknows/Zodiac bestimmt nicht vermisst haben, gibt es doch viele und
wesentlich klügere Stimmen zum Thema „Film“ im virtuellen Raum. Speziell für
meine Freunde (insbesondere für den, der sich via PN nach meinem Verbleib
erkundigte) möchte ich aber doch den Grund für meine Abwesenheit erläutern:
Stellt euch vor, ihr leidet seit
Wochen unter einer Lethargie, die sich
später als unerklärlicher Abfall des Hämoglobins erweist! Ihr fragt euch,
weshalb ihr euch einfach nicht an die Besprechung eines versprochenen Buñuel machen könnt,
obwohl ihr genau wisst, was ihr schreiben wollt – und kompensiert eure
Müdigkeit mit dummen Sprüchen (@The Critic: Weisst du noch, wie du dich über
meine Bemerkung, der Arzt habe mich mit einem „Hallo Leiche!“ begrüsst,
geärgert hast?), die man im Nachhinein als Vorahnung interpretieren könnte.
Dann setzt an einem Sonntag die
leichte Temperatur ein, begleitet von Gliederschmerzen und einem unangenehmen
Husten. Ein Grund, zum Doktor zu gehen? Besonders jetzt, wo ihr eure Mutter am
Mittwoch zum Friseur begleiten sollt (das alte Mädchen behauptet nämlich, es
sei nicht in der Lage, den Bahnhofplatz allein zu überqueren). - Am Mittwoch
steht ihr mit einem starken Schwindelgefühl auf. Nach dem dritten Versuch kommt
ein heiseres „Du musst den Termin verschieben!“ raus. Splatti ruft den Hausarzt an, und der will
augenblicklich eine Ambulanz.
Noch im Ambulanzwagen stöhnt ihr,
es wäre auch mit Taxi gegangen, und ihr jammert, jetzt gehe Mutti bestimmt
nicht zum Friseur. Der Sanitäter beruhigt. – Auf der Notfallstation meint nach
Stunden die Oberärztin, sie hätten im Blut Anzeichen einer kleinen Infektion
entdeckt; und sie fragt: Was machen wir nun mit Ihnen, Herr Vögelin? Schicken
wir Sie nach Hause, und Sie werden in zwei Tagen erneut eingeliefert? Oder
behalten wir Sie für zwei Nächte hier? – Da Splatti mir mittlerweile am Handy
mitgeteilt hat, sie habe den Sprung über den Bahnhofplatz doch gewagt und
befinde sich mit neuem Haarschnitt bereits auf dem Heimweg, ist mir jetzt
wurscht, was sie mit mir machen.
Ich werde in den 6. Stock
verfrachtet, wo ich erst noch unter den
Fittichen des HIV-Spezialisten gesunden soll. Der denkt sich – wie er
mir später erzählt - nach der Untersuchung, ich sei ein Fall für zwei Nächte.
Dass ich ihm den Schock seines jungen Lebens verpassen werde, ahnt er noch
nicht. - In meinem Zimmer befindet sich ein Herr aus dem Waldenburgertal,
dessen öde Sprüche ich mit höflichem Lächeln über mich ergehen lasse. Ich höre
mir an, wie viele Mieter er und seine Frau schon aus dem Haus vertrieben haben,
in dem sie eine Eigentumswohnung (mit verglastem Balkon!) besitzen, nehme zur
Kenntnis, dass der Spitalkoch keine Ahnung habe, wie man für unter Zölliakie Leidende koche – und schwebe
mit meinen Gedanken davon. Nach dem Essen kann ich mich wenigstens auf die
Seite drehen und schlafe ein.
Mitten in der Nacht muss ich zur
Toilette gehen. Ich will aufstehen,
huste zugleich – und falle aus dem Bett. Trotz aller Versuche gelingt es mir
nicht, mich wieder halbwegs aufzurichten, und ich muss förmlich auf dem Arsch
zur Türe hopsen, damit ich mich in den Korridor legen und auf eine Schwester
hoffen kann. Irgendwann kommt tatsächlich eine vorbei und ruft: „Was ist denn
mit Ihnen los, Herr Vögelin?“ Ich murmle etwas von Husten; aber sie fasst mir
an die Stirn und meint, es sei das hohe Fieber. – Wer nicht nach einer
Schwester läutete, sondern meine Versuche genussvoll beobachtete, war der Herr
aus dem Waldenburgertal. Er wird dafür umgehend ein eigenes Zimmer verlangen,
weil er es mit einem Schwerstkranken wie mir nicht aushält. Dafür bin ihm
dankbar. Mit seinen öden Sprüchen im Hintergrund wäre ich nicht in der Lage
gewesen, zu meiner Gesundung beizutragen. (Man steckte ihn in ein Viererzimmer.)
Ich weiss vieles von dem, was folgte, nicht, oder habe nur
bruchstückhafte Erinnerungen. Man soll
mich auf die onkologische Untersuchungsstation gebracht haben, ich konnte nur
noch unter stärksten Schmerzen schlucken, und die Hälfte des Geschluckten kam
wieder hoch. Der HIV-Spezialist (es gab später ein paar „intimere“ Gespräche,
und ich lernte einen unglaublich lieben Menschen kennen, für den der Beruf Arzt
nicht Titel und Karriere bedeutet) wollte Krebs bei meiner Vorgeschichte
unbedingt ausschliessen. Ich wurde im Rollstuhl in die HNO-Abteilung gefahren
(dies trotz meines Protests, dazu sei ich nicht in der Lage) und dachte auf dem
holprigen Weg: „Jetzt fahren sie mich sogar im Rollstuhl zum Krematorium!“).
Man verlieh mir eine Tapferkeitsmedaille bei der Knochenmarkentnahme, obwohl
ich – naiv – dachte, die andere Seite würde ich nicht mehr aushalten. Die
Schwester war entsetzt, weil ich nur die Hälfte des Kontrastmittels für die CT
zu trinken vermochte, was aber dort unten cool zur Kenntnis genommen wurde – Zusätzlich
verdonnerte man mich, als das Fieber langsam auf 39° Grad runterging, zum
Inhalieren mit einer Wasserpfeife und Cortison. Mein HIV-Spezialist schaute
vorbei und sagte, er wolle nun noch eine Lungenspiegelung machen, um jede Form
von Krebs ausschliessen zu können. Dann würde ich nämlich unter etwas leiden,
was sich bei einem nicht immungeschwächten Menschen als schwere bakterielle
Bronchitis äussere, bei mir – vermutlich ohne es zu wollen – tödlich hätte verlaufen können. Ich fragte nach dem Namen
des Bakteriums, weil ich wenigstens via Internet mit ihm abrechnen wollte. Er
meinte, wir würden seinen Namen wohl nie erfahren, weil ich es schon vor Wochen eingeatmet hätte und es nach
getaner Arbeit wieder entschwunden sei. Zurückgeblieben war ein Körper, bereit für die schwere Entzündung.
Nach der Lungenspiegelung (völlig
abwesend) fragte mich die Schwester, die am Morgen meinen Blutdruck (75/35) zu
überwachen hatte, ob ich hungrig sei. Erstaunlicherweise war ich es, musste aber vorher ein Stündchen
ruhen. Dann kam sie mit dem Tablett herein und meinte entschuldigend, es sei eben das Eintrittsmenu. Ich sah
Kalbsgeschnetzeltes und schmale Nudeln, zwei gedämpfte Tomatenhälften und
Karotten in Ringen. Zum Dessert ein Schoko-Flan. – Und ich frass und frass,
soff literweise Wasser (obwohl ich wegen meiner Austrocknung doch intravenös
mit genügend Flüssigkeit versorgt
wurde). Die Schwester soll (kleine
Indiskretion einer Kollegin!) beinahe hysterisch in der Gegend herumgerannt sein und gerufen haben: „Er
hat alles aufgegessen! Er hat alles aufgegessen!“ – Ich begann unsere
Spitalküche zu würdigen und bekam am Sonntag Hirschragout mit Spätzli und
Rosenkohl in einer Qualität vorgesetzt, für
die man sonst in eine Nobel-Spelunke gehen müsste.
Dass ich langsam lernen musste,
wie das Gehirn die richtigen Befehle an die Beine weiterleitet, versteht sich.
Am Anfang lief ich rum wie ein besoffener Donald Duck; als ich gestern nach
meiner Entlassung unbedingt die verordneten Medikamente im Städtchen Liestal
holen wollte, schaffte ich schon John Wayne in „Rio Bravo“. Und jetzt sitze ich
vor meinem Laptop und schreibe den Bericht, den ich im Blog und bei filmforen.de (dort im Off-Topic)
veröffentlichen möchte.
Ihr werdet verstehen, dass ich
mit noch immer bescheidenen Hämoglobin-Werten, aber hoffentlich rasch
ansteigenden CD4-Helferlein noch nicht in der Lage bin, über Filme zu
schreiben, sondern mich zuerst mal ein wenig erholen muss. Erholen heisst jetzt
insbesondere: Ich werde mir abends gemütlich einen Film reinziehen. Unter
anderem wurde extra für Mutti „Ferris Bueller’s Day Off“ bestellt, weil mich
der junge Matthew Broderick an meinen HIV-Spezialisten erinnert, der sich grün
und blau ärgerte, wenn ich ihn neckisch als „Koryphäe“ bezeichnete. --- Ich
verspreche aber (dies @Bastro/mono.micha): Der erste Film, den ich hier wieder
bespreche, wird „Los olvidados“ sein. Gelobte ich sogar in der Spitalkapelle,
die ich – wie bei mir in religiösen Dingen üblich – am Montag mit einem Tag
Verspätung besuchte. Und sollte Gott
zufällig gerade anwesend gewesen sein, dürfte ihn mein „Danke!“-Flennen definitiv vertrieben
haben.
Euer
Whoknows, Zodiac, Bruno Vögelin
13.9.2012
Gute Besserung. Und schön, dass du auf Selbstmitleid in deinem Bericht verzichtest. Wirst hoffentlich bald wieder gesund und Filme im Bettchen schauen, ist ja auch nichts das schlechteste. ;)
AntwortenLöschenDu meine Güte! Selbst nach deiner letzten Mail hätte ich nicht gedacht, dass es so schlimm war. Also auch hier nochmal gute Besserung.
AntwortenLöschenSelbstverständlich werde ich jetzt nie ins Waldenburgertal fahren! (Ich weiß sowieso nicht, wo das überhaupt ist.)
Auch von mir gute Besserung! Freut mich, dass es nach dem Schock so "glimpflich" ausgegangen ist. Auch sehr schön geschrieben, das hätte ich nach so einer Tortur bestimmt nicht hinbekommen... ;)
AntwortenLöschenDann erhol dich mal gut! Die Filme laufen ja nicht weg.
Gute Besserung auch von meiner Seite aus! Ich freue mich schon, wenn es mit dem Schreiben wieder los geht. Und bis dahin: erhol Dich gut mit schlafen, Filme gucken und natürlich dem Mitlesen der Seiten auf Deiner Blogroll! :)
AntwortenLöschenGute Besserung wünscht Revolver!
AntwortenLöschenWilde Geschichte..schön, dass du diese surreal unguten Tage überstanden hast. Gute Besserung und viel Ruhe zum Erholen, Paul
AntwortenLöschenIch danke euch von Herzen für eure lieben Wünsche. Mittlerweile habe ich mich in einem Mail gegenüber Manfred auch zu einer Art Gelöbnis durchgerungen, das so in die Richtung "Whoknows'll be back!" zielt. - Und nächsten Sommer könnten wir uns, wenn alles klappt, auf der Ruine Waldenburg zum Braten von Würsten und Steaks treffen - und uns königlich darüber amüsieren, dass der Alte die Burg noch nicht okkupiert hat, uns also zähneknirschend hinter seinem verglasten Balkon erdulden muss. :)
AntwortenLöschenIch wünsche Dir auch alles Gute & freue mich schon auf den Buñuel-Text – wobei ich eine Würdigung meines Lieblings-80er-Klassikers »Ferris Bueller's Day Off« auch gerne lesen würde. Bis denne … :)
AntwortenLöschenGute Besserung wünscht auch der Gastautor und Co-Admin von "Whoknows Presents"... in freudiger Erwartung auf die "Los Olvidados"-Besprechung und auch auf die anderen Texte, die noch friedlich in der Pipeline und in Whoknows' eloquenter und spitzer Feder vor sich hin schlummern...
AntwortenLöschenHab das aus der Ferne mit etwas Verzögerung gelesen und bin besorgt (und dann doch auch erleichtert, dass die Koryphäe Dich wieder auf die richtige Spur gebracht hat). Gute Besserung auch von mir. FERRIS BUELLER'S DAY OFF würde ich als Review ebenfalls gerne lesen.
AntwortenLöschenGute Besserung! Ich hoffe, auf dem Grill ist auch Platz für Gemüse.
AntwortenLöschenAu, fiese Sache...
AntwortenLöschenIch wünsche dir gute Besserung!
Aha! Schon geht es los mit den Begehrlichkeiten. mono.micha will Gemüse auf dem Grill (wobei ich mir einen Grillabend ohne Peperoni und Tomaten zu Fleisch und Chips ohnehin nicht vorstellen kann). Und david wünscht sich - hier lasse ich meiner Intuition freien Lauf - bestimmt eine um Mitternacht erscheinende Burg-Jungfrau, die sich gnadenlos in ihn verliebt. Lässt sich bewerkstelligen; notfalls engagieren wir Ursula Andress. :P - Ob das mit einer "Ferris"-Review klappt, steht freilich in den Sternen.
AntwortenLöschenIch hänge auch schon lange einem Wunschtraum nach, wobei ich mir bewusst bin, dass er wohl ein Wunschtraum bleiben wird. Er handelt von einem E-Mail, in dem Sieben Berge fragt: "Darf ich in eurem Bunde sein der Vierte?" - Wie gesagt: Wir sprechen von einem Traum; aber von einem schönen Traum.
Danke euch allen für eure lieben Reaktionen auf meinen kleinen Bericht! Mittlerweile sind bereits vier der bestellten DVDs eingetroffen - und ich weiss gar nicht, ob mich hinter eine Klamotte ("Die Besucher") oder eine Schnulze ("Another Year") machen soll.
Du machst Sachen. Gute Besserung und Appetit. Ich hoffe die geilen Schwänze konnten dich etwas beschwingen :)
AntwortenLöschenIch fühle mich nicht nur beschwingt, sondern regelrecht beschwengelt. :D - Ui! Was für Kommentare ich doch in anderen Blogs hinterlasse und - wie bei Schweinigeleien üblich - anschliessend verdränge. :blush:
LöschenNanu, was du wieder fabrizierst ... Gute Besserung!
AntwortenLöschenUnd so entdeckt man unbekannte Blogs. Es hat eben alles sein Gutes. Bist in der Blogroll.- Und vielen Dank für deine lieben Wünsche!
LöschenOh, ich habe das gerade erst gelesen und will dir auch gute Besserung wünschen! Stimmt, Appetit ist auch ein guter Wunsch von vannorden, dem ich mich anschließen möchte. Und das, wovon du rot wirst, auch :D Boah, Whoknows, du bist echt ein tapferes Kerlchen, über diese Krankenhausexperience so unterhaltsam schreiben zu können! ;-)
AntwortenLöschenDa kann man wohl nur willkommen zurück sagen. Nun, es mag egozentrisch klingen, aber die letzten Tage kämpfte ich nunmal auch, vielleicht nicht mit dem Leben, aber doch mit schweren Symptomen, die man neumodisch vielleicht als Burnout klassifizieren würde, die sich für mich letztlich nur in einer unglaublichen Müdigkeit und Lustlosigkeit äußerten. Was mich nun etwas schockiert ist, daß sich ferner die körperlichen Gebrechen auch bei mir seit heute Morgen mit dem Hervorhusten irgendwelcher Gewölle zeigten. Ich nehme das also mal zum Anlaß, doch den Doc zu besuchen, wo ich normal von einem grippalen Infekt ausgegangen wäre, dessen Vorzeichen all das ja gewesen sein kann. Und normal geht das halt mit oder ohne Medikamenten immer gleich schnell. Wer weiß wozu es gut ist. Vielleicht bist du ja ein Exempel der vorbildlichen Frühdiagnose. ;)
AntwortenLöschenIhr seid lieb. :)
AntwortenLöschen@Silvia: Appetit ist sicher sehr hilfreich (mein Hämoglobin steigt schon zögernd wieder an und wird mit Injektionen beschleunigt). Dummerweise hat sich Splatti jetzt noch eine Nesselsucht geholt und treibt mch damit in den Wahnsinn. :(
@Intergalactic Ape-Man: Stimmt! Ich und die Frühdiagnose sind eine Sache für sich (du hättest mein Toben in der Ambulanz miterleben sollen). Was du für ein Burnout gehalten hast, könnte tatsächlich die Vorbereitung auf einen viralen oder bakteriellen Infekt gewesen sein. Es gibt ihn aber tatsächlich, diesen Burnout, den unsere rechtspopulisitische SVP lange Zeit unter Scheinkrankheit schubladisierte. Spätestens seit ihre Vorzeige-Sexbombe offizell unter einem Burnout leidet und sich vorübergehend aus der Politik zrückgezogen hat, muss sie sich auf die Suche nach neuen scheinkranken Schmarotzern (Scharlach? Masern?) machen.
Ein Burnout lässt sich - wie du sicher weisst - behandeln. Tausende Lehrer halten ihren Beruf ohne Medikamente nicht mehr durch, führen aber mit ihnen ein zufriedenes Leben. Also kein Grund, sich wegen eines gelegentlichen Gangs zum Facharzt zu schämen. Ich drücke dir sämtliche Daumen.