Freitag, 15. April 2022

Diese zwei obskuren Objekte der Begierde

Viele Freunde von Luis Buñuel kennen wahrscheinlich seinen letzten Film DIESES OBSKURE OBJEKT DER BEGIERDE, und wer sich für Josef von Sternberg und/oder Marlene Dietrich interessiert, hat vielleicht auch THE DEVIL IS A WOMAN gesehen, den letzten der gemeinsamen Spielfilme der beiden. Beide Werke beruhen auf derselben Vorlage, dem 1898 erschienenen Roman La Femme et le pantin von Pierre Louÿs (1870-1925), einem Schriftsteller, der auf erotische Literatur spezialisiert war (David Hamiltons BILITIS wurde von seiner Gedichtsammlung Die Lieder der Bilitis lose inspiriert). La Femme et le pantin wurde von 1920 bis 2007 noch mehrfach verfilmt. Hier geht es nun um zwei französische Fassungen, die erste davon ein Stummfilm, die beide den Titel des Romans tragen. Pantin bedeutet Marionette, Hampelmann - auch im übertragenen Sinn. Es geht also um einen Mann an den Fäden einer Frau.

Der Mann, ein Spielball der Frauen (Francisco de Goya: El Pelele. 1791/92, Museo del Prado)
LA FEMME ET LE PANTIN (dt. DAS SPIELZEUG EINER FRAU, auch WENN DU ZUM WEIBE GEHST...)
Frankreich 1929
Regie: Jacques de Baroncelli
Darsteller: Conchita Montenegro (Conchita), Raymond Destac (= Tristan Sévère, Don Mateo), Henri Lévêque (André Stévenol), Jean Dalbe (als Jean d'Albe, Morenito), Andrée Canti (Conchitas Mutter)

Spanien um die vorletzte Jahrhundertwende. Der reiche, nicht mehr ganz junge Aristokrat und Lebemann Don Mateo lernt in einem Zug die temperamentvolle junge Tänzerin Conchita kennen, und zwischen den beiden funkt es. Zwar verlieren sie sich zunächst aus den Augen, aber nach einiger Zeit treffen sie sich zufällig in Sevilla wieder, wo beide leben. Don Mateo besucht Conchita regelmäßig in ihrer Wohnung, doch sie lässt ihn zappeln. Mal sagt sie, dass sie ihn liebt, mal liebt sie ihn wieder nicht, mal wirft sie ihm vor, dass er sie nicht oder nicht genug liebe. Das Wechselbad der Gefühle beginnt, an Mateos Nervenkostüm zu zehren. Und dann ist da auch noch der schnieke junge Habenichts Morenito, angeblich der Bruder einer Freundin von Conchita. Ob er etwas von Conchita will (und sie von ihm), bleibt vorerst offen, aber schon seine gelegentliche Anwesenheit in ihrer Nähe macht Mateo eifersüchtig. Und zweimal verlässt sie Mateo und Sevilla "endgültig", und stürzt ihn damit immer tiefer in die Krise. Beim ersten Mal kehrt sie nach einiger Zeit in die Stadt zurück und setzt ihr Katz-und-Maus-Spiel fort, beim zweiten Mal findet sie Don Mateo zufällig in einer Spelunke in Cádiz, wo sie vor Einheimischen und Touristen tanzt.

Conchita und Éva, Mateo und Matteo
Als sie einen Nackttanz hinlegt, rastet er vor Eifersucht aus und will sie fast umbringen, aber sie besänftigt ihn und wickelt ihn nun endgültig um den Finger. Er will sie heiraten, und sie stimmt zu - unter der Bedingung, dass er ihr ein Haus und allerhand Reichtümer schenkt, und zwar vor der Hochzeit - damit niemand sagen könne, sie hätte ihn nur wegen des Geldes geheiratet. Mateo hält das für eine gute Idee und stellt ihr eine Villa hin, fast schon einen Palast im maurischen Stil, und überhäuft sie mit Geschmeide und Juwelen. Und dann, man hat es schon geahnt, lässt sie ihn wieder zappeln. Mehr noch, sie verlacht und demütigt ihn. Und siehe da, Morenito entpuppt sich tatsächlich als ihr Liebhaber. Sie küsst ihn im Hof der Villa, und Mateo steht draußen vor dem verschlossenen Eisengitter und muss zusehen. Der Film könnte hier zu Ende sein (es sind auch schon 90 Minuten rum), aber er nimmt noch eine unerwartete Wendung. Mateo bekommt zufällig mit, wie Morenito eine andere Frau küsst, mit Geldscheinen wedelt und der Frau erzählt, dass er das Geld von Conchita bekommen hat. Mateo meint nun, dass Conchita ihrerseits auf einen Betrüger hereingefallen ist. Er stürzt sich auf Morenito und kann nur mit großer Mühe davon abgehalten werden, ihn zu erwürgen. Doch dann wird ihm glaubhaft versichert, dass die andere Frau Morenitos Verlobte ist, und dass er von Conchita nur für etwas Geld engagiert wurde, um Mateo in der Villa eine Komödie vorzuspielen - eine Komödie, über die schon ganz Sevilla lacht.

Wenn Don Mateo ein Fest feiert, dann richtig
Um die erneute Demütigung auszukosten, besucht Conchita Mateo in seinem eigenen Palast. Doch jetzt hat sie scheinbar das Blatt überreizt. Er sperrt sie ein und man fürchtet schon, dass er sie umbringt, aber es setzt "nur" eine Tracht Prügel. Und seltsamerweise hat sie nun zum ersten Mal Respekt für ihn und kann ihm das auch glaubhaft machen. Die beiden raufen sich zusammen und versuchen es nochmal miteinander. Doch kann das wirklich gutgehen? - Epilog: Ein Jahr später in Paris. Um es gleich zu verraten, es ist nicht gutgegangen. Sie ist ihm nach nur zwei Wochen wieder auf der Nase herumgetanzt, und nach einigen Monaten hat sich Mateo von ihr getrennt, und diesmal endgültig mit ihr abgeschlossen, wie er einem französischen Freund versichert. Um ihm das zu beweisen, nimmt er den Freund mit in ein Varieté, wo Conchita jetzt wieder als Tänzerin arbeitet. Er werde ihr dabei ganz kühl und unbeteiligt zusehen können, meint Mateo zu dem Freund. Doch als er sie tanzen sieht und sie einem Verehrer im Publikum aufmunternde Blicke zuwirft, spricht sein eifersüchtiger Blick eine andere Sprache. Und dann lässt er ihr einen Zettel zustecken mit der Botschaft, dass er ihr verzeiht, und dass er ihr die Füße küsst. Er wird nie von ihr loskommen, so wie eine Marionette nie vom Puppenspieler loskommt.

Conchita will auch zu den Reichen ... mit Erfolg
LA FEMME ET LE PANTIN, ital. FEMMINA, dt. EIN WEIB WIE DER SATAN, auch DIE FRAU UND DER HAMPELMANN
Frankreich / Italien 1959
Regie: Julien Duvivier
Darsteller: Brigitte Bardot (Éva Marchand), António Vilar (Don Matteo Diaz), Michel Roux (Albert), Jacques Mauclair (Stanislas Marchand), Lila Kedrova (Manuela), Espanita Cortez (Maria Teresa), Dario Moreno (Arabadjian)

Duvivier und seine Co-Autoren beim Drehbuch verlegten die Handlung in die Gegenwart der 1950er Jahre. Das kann man ohne weiteres machen, ohne großen Schaden oder Nutzen. Und aus Conchita wird Éva, eine Französin in Sevilla - als Spanierin wäre Brigitte Bardot nicht besonders glaubwürdig gewesen. Problematischer sind für mich zwei (miteinander korrespondierende) andere Änderungen: Während Don Mateo bei Baroncelli abgesehen davon, dass er ein paar Freunde hat, ein Mann ohne Bindungen ist, ist Don Matteo verheiratet. (In den Quellen findet man sowohl "Mateo" als auch "Matteo", und der Film selbst gibt keinen Aufschluss. Zur besseren Unterscheidbarkeit bleibe ich bei der zweiten Inkarnation bei "Matteo".) Seine Frau Maria Teresa, wie er selbst wohl in den 40ern, sieht eigentlich gut aus, aber sie ist gehbehindert, und das rechtfertigt es in Matteos Augen offenbar, sie nicht als vollwertige Partnerin zu sehen, und immer eine bis zwei Geliebte nebenher zu haben. Maria Teresa weiß über seine Eskapaden Bescheid, und sie leidet darunter, aber sie nimmt sie zähneknirschend hin, um ihn nicht ganz zu verlieren. Und Matteo findet nichts dabei, sie dreist anzulügen, obwohl er weiß, dass sie ihn durchschaut. Baroncellis Mateo mag ein reicher Schnösel sein, aber er tut im Film eigentlich nichts, was ihn unsympathisch macht. Soll man ihm vorwerfen, dass er ein Opfer seiner Triebe wird? Das, was ihm mit Conchita widerfährt, hat er so eigentlich nicht verdient. Duviviers Matteo dagegen ist ein selbstsüchtiger und arroganter Unsympath, der mehr Strafe verdient hätte, als er am Ende empfängt. Und sozusagen komplementär dazu ist Conchita eine Femme fatale von den Haar- bis zu den Zehenspitzen, Éva dagegen ist eine Moralistin. Sie benimmt sich oft kokett, manchmal fast wie eine Hure, doch in Wirklichkeit ist sie noch Jungfrau. Und diese ganz andere Figurenkonstellation nimmt Duviviers Film den Biss. Er ist eine moralische Erzählung, eine schaumgebremste Version der Geschichte.

Éva lebt also (als angehende Tänzerin) in Sevilla, zusammen mit ihrem Vater Stanislas und dessen neuer Partnerin, der egozentrischen und etwas vulgären Spanierin Manuela. Stanislas war einst in Frankreich ein bekannter Schriftsteller, doch aus Gründen, die zunächst obskur bleiben, ist er in der Heimat nicht mehr wohlgelitten und weitgehend vergessen, und deshalb im spanischen Exil. Éva hat einen Verehrer, den eloquenten, aber letztlich etwas biederen Fremdenführer Albert, ebenfalls ein Franzose. Es ist ziemlich klar, dass Évas Freundschaft mit ihm platonisch bleibt, und nachdem sie einen Heiratsantrag von ihm ablehnt, verschwindet er (nach einer guten Stunde im Film) nach Paris, und damit aus der Handlung. Schon ganz am Anfang hat Éva bei einem Fest in den Straßen von Sevilla Matteo kennengelernt und mit ihm kokettiert, und er sucht sie in ihrer Wohnung auf, wo er zwar von Stanislas' und Manuelas aufdringlichem Verhalten in die Flucht geschlagen wird, aber später Éva und ihren Vater zu sich einlädt. Auch Matteo ist ein reicher Aristokrat in einem maurischen Palast, und obendrein züchtet er Kampfstiere und setzt sich gelegentlich selbst aufs Pferd, um in der Arena Stiere anzustechen. Éva weiß von Anfang an über seine Geliebten und nach der Einladung auch über Maria Teresa Bescheid, und sie ist gleichzeitig angezogen und abgestoßen von ihm. Auch sie spielt jetzt etwas Katz und Maus, aber aus etwas anderen Gründen als Conchita - solange sich Matteo benimmt wie jetzt, kann sie keine Beziehung mit ihm eingehen.

Cádiz
Éva hat erst kürzlich ihre Ausbildung als Tänzerin beendet, und nun nimmt sie ein erstes Engagement an, und zwar bei dem schmierigen Wirt Arabadjian (in Wikipedia und Lexikon des Internationalen Films findet man gleich drei andere Schreibweisen des Namens, aber er heißt wirklich Arabadjian), gegen den ausdrücklichen Rat ihres seriösen alten Tanzlehrers. (Kleine Randnotiz: Arabadjians Darsteller Dario Moreno war auch Sänger, und er veröffentlichte 1961 eine recht erfolgreiche Single über Brigitte Bardot.) Während im Hof des Lokals Flamenco-artige Tänze aufgeführt werden, absolviert Éva im Obergeschoß eine "zweite Schicht", indem sie sich vor zahlungskräftigen Touristen entblättert. Matteo "überrascht" sie dort und macht eine Szene, doch er wurde von Éva selbst durch eine gezielte Indiskretion hingelockt, um ihm eine Lektion zu erteilen. Ähnlich wie bei Baroncelli in der Szene in Cádiz wickelt sie ihn um den Finger, und er verspricht ihr nun ein Haus und Reichtümer. Doch dann nimmt sie einen von ihm ad hoc ausgestellten Scheck über 100.000 Peseten und zerreißt ihn demonstrativ in kleine Fetzen. Conchita hat zwar ihren Stolz, aber letztlich ist sie käuflich (auch wenn sie selbst dann nicht liefert), Éva nicht. Wie gesagt, eine Moralistin. Kurz darauf geht sie mit Arabadjian und seiner ganzen Tanz- und Musiktruppe in einem klapprigen Bus auf Tournee durch Andalusien, und der nun schon nervlich angeschlagene und äußerlich etwas derangierte Matteo fährt einfach mit.

Nackttanz
Zuvor gab es aber noch eine Enthüllung: Stanislas ist deshalb aus Frankreich verduftet, weil er ein Anhänger des Vichy-Regimes (wenn nicht gleich der Nazis) war und mindestens einen Mann denunziert hat, der dann in Auschwitz ermordet wurde. Diese Episode ist ein ziemlicher Fremdkörper im Film, und ich fragte mich, was das eigentlich soll. Vielleicht sollte es nur rechtfertigen, dass Éva ihren bisher geschätzten Vater nun verlässt, um sich dem öligen und moralisch durchaus fragwürdigen Arabadjian anzuschließen. Aber genausogut hätte man Stanislas (und Manuela gleich dazu) auch ganz aus dem Film weglassen können. Und letztlich dient ohnehin alles, was man an Évas Verhalten fragwürdig finden könnte, nur Matteos "Läuterung" und ist damit im nachhinein gerechtfertigt - so soll man es zumindest sehen.

Conchita in ihrem neuen Palast
Éva führt Matteo weiter an der Nase herum, es gibt nun auch hier einen Morenito (einer aus der Tanztruppe), es ist aber von vornherein klar, dass das nur ein von Éva aufgestellter Köder ist, um Matteo noch mehr eifersüchtig und zum Hanswurst zu machen. Und das gelingt. Am Ende will er Éva in einem proppenvollen Lokal in rasender Eifersucht verprügeln, wird aber selbst vermöbelt, und er verbringt eine Nacht in einer Zelle im Polizeirevier. Doch als er am nächsten Morgen als gedemütigtes Häufchen Elend davonschleichen will, wartet schon Éva auf ihn. Jetzt ist er da, wo sie ihn schon immer haben wollte - zurechtgestutzt auf Normalgröße, auf menschliches Maß. Jetzt können die beiden ein Paar werden, und sie werden auch eines. Happy End. Und einen Epilog gibt es hier nicht. Oder etwa doch? In der Wikipedia steht nämlich Folgendes:
Als Matéo am nächsten Morgen entlassen wird, wirkt er wie ein anderer Mensch; seine Kleidung ist zerrissen, sein Gesicht von Wunden entstellt. Auf so etwas scheint Eva nur gewartet zu haben. Sie begegnet ihm jetzt mit überströmender Zärtlichkeit und versichert ihm ihre Liebe.

„… und seit einem Jahr ist sie meine Frau“, erzählt Matéo in einem Pariser Restaurant seinem Zuhörer Albert, dem früheren Fremdenführer, der in die französische Hauptstadt gekommen ist, um Eva wiederzusehen. Diese hat gerade ihren Tanz beendet und wendet sich nun einem athletischen jungen Mann zu. „Mit Morenito hat es angefangen. Jetzt ist es der dort, bis sie auch ihm wieder überdrüssig wird. Trotzdem bleibe ich bei ihr, weil ich sie liebe.“ Mit diesen Worten beendet Matéo seine Erzählung.
Ob hier nur ein Wikipedia-Autor seiner Fantasie freien Lauf ließ, oder ob es dieses alternative Ende tatsächlich gibt, weiß ich nicht, aber ich glaube eher Ersteres. Abgesehen von diesem Wikipedia-Artikel habe ich jedenfalls keinerlei Hinweise darauf gefunden.

Draußen vor der Tür
Es überrascht wohl nicht mehr, dass mir Baroncellis Film besser gefällt als der von Duvivier. Letzterer erfreut das Auge mit Breitbild (das verwendete Verfahren heißt DyaliScope), üppigen Farben und wunderbaren Schauplätzen, und es gibt ganze Breitseiten an andalusischer Folklore (oder was man dafür halten soll). Kameramann Roger Hubert macht seine Sache gut, etwa in dem erwähnten Massentumult im Lokal, wo die Kamera sozusagen mit der Menge mitwogt. Einen großen Anteil an den Schauwerten hat Set-Designer Georges Wakhévitch, ein Meister seines Fachs in der Tradition eines Lazare Meerson und eines Alexandre Trauner, mit denen er in seiner Karriere auch zusammengearbeitet hatte (aber auch Baroncellis Fassung hat eine sehr gediegene Ausstattung). Und natürlich hat auch Brigitte Bardot ihre Reize - sie zeigt viel Bein, Dekolleté und auch mal ihren nackten Hintern.

Don Matteo mit seinen beiden aktuellen Geliebten, mit Éva und mit Maria Teresa
Und doch ist die Version von 1929 die visuell einfallsreichere. Das beginnt schon beim Einstieg: Von Goyas Gemälde El Pelele wird auf eine Live-Darstellung der Szene überblendet - vier Frauen werfen eine männliche Strohpuppe durch die Luft, und weisen damit auf das voraus, was kommt (pelele bedeutet nicht nur "Strohpuppe", sondern auch "Hampelmann" und "Trottel"). Auch Conchitas Nackttanz ist einfallsreicher in Szene gesetzt als der von Éva. Und Baroncelli und sein Kameramann Louis Chaix liefern noch mehr solche Proben ihres Könnens. Übrigens drehten auch sie ihren Film in Farbe, in dem eher ephemeren Keller-Dorian-Verfahren, doch anscheined wurde er nach enttäuschenden Testprojektionen nie in Farbe aufgeführt. Auch auf der Blu-ray (siehe unten) liegt er in Schwarzweiß vor. Conchita Montenegro war erst 16 oder 17, als sie den Film drehte, und sie erwies sich als schauspielerisches Naturtalent.

Folklore und Flamenco
Das größere Problem bei Duviviers Film ist für mich, wie oben schon ausgeführt, die Charakterisierung der Figuren. Vielleicht hätte ich den Film mehr gemocht, wenn ich nicht direkt davor den von Baroncelli gesehen hätte. Aber das habe ich nun mal, und das spätere Werk wollte dann für mich einfach nicht funktionieren, und das blöde Happy End hat noch eins draufgesetzt. Trotzdem will ich niemanden davon abhalten, den Film anzusehen. Erstens muss natürlich niemand meine Einschätzung bezüglich "Moral" teilen. Ich finde Baroncellis amoralische Fabel erfrischend, aber man könnte sie schon auch etwas zynisch finden - dann ist man vielleicht bei Duvivier besser aufgehoben. Und wie erwähnt, sind die optischen Schauwerte durchaus prächtig. Das gilt übrigens auch für die Musik, oder zumindest die Hälfte davon. Denn es gibt einerseits jede Menge mitreißenden Flamenco und dergleichen, wie es zum Schauplatz passt, aber auch "normale" (und teilweise arg sentimentale) Filmmusik. Es sind zwei Komponisten angeführt, und ich nehme doch stark an, dass José Roca (laut Credits) bzw. Rocca (laut der üblichen Quellen), der ansonsten filmisch nicht weiter in Erscheinung getreten ist, für den "spanischen" Teil verantwortlich war, und der umso bekanntere Jean Wiener für den konventionellen.

Sevilla
Marie Joseph Henri Jacques de Baroncelli, 9e marquis de Baroncelli-Javon (und seit 1927 Ritter der Ehrenlegion), oder etwas handlicher Jacques de Baroncelli (1881-1951), kannte ich bisher nur durch seinen prächtigen L'AMI FRITZ von 1933, der den Wert von Freundschaft, Solidarität und Toleranz ebenso feiert wie den Wert von gutem und reichlichem Essen und Trinken (ohne dabei irgendwie dekadent zu sein). Baroncelli stammte aus provenzalischem Adel mit ursprünglich italienischen Wurzeln. Er drehte über 80 Filme, doch in den üblichen Quellen wird ihm bescheinigt, dass es überwiegend künstlerisch mittelmäßige Gebrauchsware gewesen sei. Doch LA FEMME ET LE PANTIN und L'AMI FRITZ sprechen eine andere Sprache, und vielleicht gibt es da ja noch mehr Schätze zu heben. Baroncellis Sohn, der Kritiker und Schriftsteller Jean de Baroncelli (er war dann auch der 10. Marquis), schrieb übrigens eine durchwachsene Besprechung von Duviviers Film in Le Monde, in der er die visuellen Meriten hervorhebt, aber die Handlung altmodisch nennt und Matteos Metamorphose als unglaubwürdig kritisiert. Das Thema "Frau treibt Mann in den Untergang" (egal ob mit oder ohne "Wiederauferstehung") konnte Duvivier tatsächlich besser, nicht nur in seinem vielleicht bekanntesten Film PÉPÉ LE MOKO, sondern etwa auch in seinem ersten Nachkriegsfilm PANIQUE, einer Verfilmung von Georges Simenons Die Verlobung des Monsieur Hire mit einem gewohnt souveränen Michel Simon in der Titelrolle. Aber natürlich hat Duvivier so viele interessante Filme hinterlassen, dass man ihm einen weniger gelungenen jederzeit nachsehen kann.

Beide Filme wurden in den letzten Jahren restauriert und sind in Frankreich bei Pathé jeweils in einer Blu-ray/DVD-Combo erschienen. Es gibt in beiden Fällen optionale englische Untertitel, aber nur für die Filme selbst, nicht für das Bonusmaterial. Für die Stummfilmfassung gab es laut Credits eine Originalmusik, aber die findet sich nicht auf der aktuellen Veröffentlichung - vielleicht ist die Partitur verschollen. Stattdessen gibt es eine sehr gute neue Musik von Günter A. Buchwald, die von dem Ensemble L'Octuor de France eingespielt wurde.
Arabadjian (oben links, rechts Évas Tanzlehrer)
Matteo reist nicht mehr ganz standesgemäß mit Arabadjians Truppe

2 Kommentare:

  1. Buñuels und von Sternbergs Verfilmungen habe ich beide bei einem Kino-Double-Feature im Sommer 2005 im Rahmen des Weimarer Kunstfests gesehen (da gab es eine Filmreihe zum Thema Begierde oder Verführung oder Leidenschaft oder irgendetwas in diese Richtung). Aber von de Baroncellis und Duviviers Versionen höre ich zum ersten Mal.
    de Baroncellis L'AMI FRITZ ist in der Tat ein wunderbarer Film (vielen Dank noch mal für deinen damaligen Tip, ohne den ich ihn verpasst hätte). Sein LA FEMME ET LE PANTIN werde ich wohl demnächst mal bestellen. Denn wie kann man einem Film widerstehen, in dem ein Fächer mit Gucklöchern benutzt wird?
    Bei Duviviers Version zögere ich ein wenig: der scheint eher für Komplettisten zu sein. Die Folklore- und Flamenco-Bilder erinnern mich aber spontan ein wenig an Nicholas Rays HOT BLOOD (auch Scope, viele rote Elemente, exotische/exotisierte Folklore in stilisierter Studio-Künstlichkeit).
    Die Nebenepisode mit dem Vater, der das Vichy-Regime unterstützt und Leute denunziert hat, scheint zumindest wiederkehrende Themen in Duviviers Nachkriegskino aufzugreifen. 1959, im gleichen Jahr, drehte Duvivier auch MARIE-OCTOBRE (den würde ich allerdings sehr bedingungslos als herausragend empfehlen), in dem ehemalige Résistants nach dem Krieg bei einem gemeinsamen Abendessen einen Verräter unter ihnen identifizieren wollen.
    Gleichzeitig direkter und auch metaphorischer scheint mir PANIQUE (auch bedingungslos zu empfehlen) von Kollaboration und französischer Schuld im Zweiten Weltkrieg zu handeln: unter dem schlichten Verbrechenskomplizin-verführt-Mann-Noir lauert eine sehr abgründige Abrechnung mit kleinstädtischer fremdenfeindlicher/antisemitischer Paranoia, Denunziantentum und Lynch-Mentalität, die kurz nach Ende des Krieges wohl kaum anders denn als Kommentar auf die unrühmlichen Seiten aktuellster französischer Zeitgeschichte zu sehen war (vielleicht ein Grund, warum der Film nicht so gut ankam in Frankreich). Auf jeden Fall ein toller und verblüffend finsterer Film.

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    1. Denn wie kann man einem Film widerstehen, in dem ein Fächer mit Gucklöchern benutzt wird?

      Ha, das wird jetzt Einzug in die Filmhochschulen der Welt halten: Dreht Filme mit Gucklöchern in Fächern, dann kann nichts mehr schiefgehen!

      Ja, MARIE-OCTOBRE ist einer der Filme, wegen denen man Duvivier auch mal einen schlechteren verzeiht. Und was für ein Gegensatz - hier Breitbild, üppige Farben, Sonne, und dort ein Kammerspiel in s/w, aber mit was für einem Ensemble. Und mit deiner Interpretation von PANIQUE hast Du natürlich völlig Recht, da war nur im Artikel nicht der richtige Platz dafür. Mich hat er in dieser Hinsicht an Clouzots LE CORBEAU erinnert, und der hat die Franzosen ja regelrecht in Aufruhr versetzt, weil sie sowas nicht sehen wollten. Aber Duvivier und Clouzot waren nicht die einzigen, die da "Gesprächsbedarf" sahen. Carnés erster Nachkriegsfilm LES PORTES DE LA NUIT ist auch sehr düster, und das Thema Kollaboration ist hier in der Figur von Serge Reggiani direkt präsent.

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