(Dällebach Kari, Schweiz 1970)
Regie: Kurt Früh
Darsteller: Walo Lüönd, Lukas Ammann, Annemarie Düringer, Ellen Widmann, Hans Gaugler, Erwin Kohlund u.a.Im Anschluss an eine Sichtung des in Deutschland leider unbekannt bleibenden Schweizer Dokumentarfilms "Der letzte Coiffeur vor der Wettsteinbrücke" (2003), der auf liebenswerte Weise vom Basler Stadtoriginal Charly Hottiger, einem Friseur der alten Schule, erzählt, geriet ich ins Grübeln über die vielfältigen Rollen, die diesem Beruf in der Filmgeschichte zukommen. Man denkt zuerst wohl gern an die tuckigen Nebenfiguren, die in den prüden Hollywood-Komödien bis in die 60er Jahre hinein gerade noch durchgingen. - Tatsächlich gibt es derart viele Filme, in deren Mittelpunkt ein Friseur in unterschiedlichen Funktionen steht, dass man beinahe eine Arbeit darüber schreiben möchte. - Ich erwähne bloss ein paar aus dem Ärmel geschüttelte Stücke und lasse “You Don’t Mess With the Zohan” (2008) mal aussen vor: “The Great Dictator” (1940), “Blanc” (1994) von Kieslowski, “The Big Tease” (1999), “Chain of Fools” (2000), “The Man Who Wasn’t There” (2001), “Blow Dry” (2001)... - Könnte man da nicht direkt in Versuchung geraten, die Liste zu erweitern und ihrer Bedeutung nachzugehen?
Zufällig erzählt auch der 1970 entstandene Spielfilm “Dällebach Kari” von einem Friseur, der wie der mit seinem Salon vielen Menschen eine Heimat bietende Basler Charly Hottiger zu einem Stadtoriginal wurde, allerdings zu einem Stadtoriginal der ganz anderen Art:
Dällebach Kari gilt weit über die Stadt Bern hinaus als der Possenreisser und Witzeerzähler, um den sich Legenden ranken, neue Witze bilden und von dem viele letztlich wohl gar nicht wissen, ob er, der Coiffeur mit der Hasenscharte, je existiert hat. Jede Stadt dürfte solche Figuren haben, denen bessere oder schlechtere Witze zugesprochen und -gedichtet wurden und die zugleich unter einer körperlichen Auffälligkeit, die zum sie kennzeichnenden “Makel” erhoben wurde, litten (im Moment fallen mir dank einer Suchmaschine gerade der Mannheimer Blumenpeter oder der Aachener Lennet Kann ein). - Kurt Früh, der lange Zeit unerträglich behäbige, das Kleinbürgerliche feiernde Schweizer Filme wie “Polizischt Wäckerli“ (1955) oder “Bäckerei Zürrer” (1957) gedreht hatte, nahm sich der Figur an, unter dem Einfluss des “Jungen Schweizer Films” aber auf eine Weise, die den Zuschauer im Innersten zu treffen vermag, sozusagen durch Mark und Bein geht. Denn bei ihm wird “Dällebach Kari” zum an sich und seiner Umgebung leidenden Neurotiker, den das biedere Bern, das hier als beinahe schaurige Kulisse dient, sehr wohl duldet, so lange er sich an seine Rolle als Hofnarr hält, von dem, dem zunehmend dem Alkohol Verfallenden, man aber nicht hören will, dass er bald sterben werde. Und so nimmt man weder seine unglückliche Liebe noch seine Krebserkrankung zur Kenntnis. Sogar als er, der sich aus Verzweiflung das Leben nahm, nach zehn Tagen aus der Aare gefischt wird, sagt einer jener fetten Bürger, der im öffentlichen Aushang die Zeitung liest: “Dällebach Kari und zehn Tage lang Wasser saufen? Wenn das nicht ein Witz ist!”
Kurt Früh gibt in seinem episodenhaft-balladenartigen Film (der Aufbau erinnert entfernt an Arthur Penn’s “Bonnie and Clyde”, 1967) durchaus einige der berühmten Dällebach-Sprüche und -witze (etwa wie er einem Nationalrat nur die eine Hälfte der Haare schneidet, weil er aus einem "halben" Kanton komme, oder sämtliche Kunden einseift, um anschliessend ins Restaurant zu gehen) zum Besten; aber sie wirken bewusst schal, unbedeutend und mit Traurigkeit erfüllt, wenn man in der nächsten Szene den völlig besoffenen Coiffeur durch die Gegend schwanken sieht und vom Tod reden hört. Auf diese Weise werden dem “Original” all jene volkstümelnden Eigenschaften entzogen, die es zu einer witzigen Figur machen wollen. Und auf diese Intention bereitet uns bereits der Beginn des Films, der nicht zu Unrecht als einer der besten Schweizer Filme überhaupt betrachtet wird, vor: Wir sehen die nächtliche Brücke, die Kari den Sprung in die Erlösung ermöglicht hat und hören in einer Ballade des berühmten, jung verstorbenen Berner Troubadours Mani Matter (1936 - 1972), der in der Schweiz selber zur Legende wurde, worauf wir uns gefasst machen müssen - nämlich auf eine abseits vom gewohnten Heimatkitsch liegende Geschichte. - Dann entdecken zwei Polizisten den Abschiedsbrief des Coiffeurs mit dem Wunsch, man möge sich beim Leichenmahl der Gemütlichkeit und dem Humor hingeben, zum Abschluss aber sein Lieblingslied “Wie die Blümlein leise zittern” singen; und schon sieht man die Trauergemeinde (darunter etwa Lukas Ammann, der in Deutschland durch die Serie “Graf Yoster gibt sich die Ehre” bekannt wurde) beim Fressen und der “Wisst ihr noch?”-Legendenbildung. - Dass uns die Figur des “Dällebach Kari” derart ergreift, ist in erster Linie das Verdienst des grandiosen Walo Lüönd, der unter anderem auch in Wolfgang Petersens "Die Konsequenz" (Deutschland 1977) mitspielte und den ich ausserordentlich schätze.. Er, der heute leider kaum mehr bekannte Meister des Einfühlens in eine Figur, fand als an seiner Existenz verzweifelnder und unverstandener “Kari” die Rolle seines Lebens und wird sogar von amerikanischen Filmkennern als Oscar-würdig erachtet. - Leider wird der Film ausserhalb der Schweiz immer ein Geheimtipp bleiben.
Dällebach Kari gilt weit über die Stadt Bern hinaus als der Possenreisser und Witzeerzähler, um den sich Legenden ranken, neue Witze bilden und von dem viele letztlich wohl gar nicht wissen, ob er, der Coiffeur mit der Hasenscharte, je existiert hat. Jede Stadt dürfte solche Figuren haben, denen bessere oder schlechtere Witze zugesprochen und -gedichtet wurden und die zugleich unter einer körperlichen Auffälligkeit, die zum sie kennzeichnenden “Makel” erhoben wurde, litten (im Moment fallen mir dank einer Suchmaschine gerade der Mannheimer Blumenpeter oder der Aachener Lennet Kann ein). - Kurt Früh, der lange Zeit unerträglich behäbige, das Kleinbürgerliche feiernde Schweizer Filme wie “Polizischt Wäckerli“ (1955) oder “Bäckerei Zürrer” (1957) gedreht hatte, nahm sich der Figur an, unter dem Einfluss des “Jungen Schweizer Films” aber auf eine Weise, die den Zuschauer im Innersten zu treffen vermag, sozusagen durch Mark und Bein geht. Denn bei ihm wird “Dällebach Kari” zum an sich und seiner Umgebung leidenden Neurotiker, den das biedere Bern, das hier als beinahe schaurige Kulisse dient, sehr wohl duldet, so lange er sich an seine Rolle als Hofnarr hält, von dem, dem zunehmend dem Alkohol Verfallenden, man aber nicht hören will, dass er bald sterben werde. Und so nimmt man weder seine unglückliche Liebe noch seine Krebserkrankung zur Kenntnis. Sogar als er, der sich aus Verzweiflung das Leben nahm, nach zehn Tagen aus der Aare gefischt wird, sagt einer jener fetten Bürger, der im öffentlichen Aushang die Zeitung liest: “Dällebach Kari und zehn Tage lang Wasser saufen? Wenn das nicht ein Witz ist!”
Kurt Früh gibt in seinem episodenhaft-balladenartigen Film (der Aufbau erinnert entfernt an Arthur Penn’s “Bonnie and Clyde”, 1967) durchaus einige der berühmten Dällebach-Sprüche und -witze (etwa wie er einem Nationalrat nur die eine Hälfte der Haare schneidet, weil er aus einem "halben" Kanton komme, oder sämtliche Kunden einseift, um anschliessend ins Restaurant zu gehen) zum Besten; aber sie wirken bewusst schal, unbedeutend und mit Traurigkeit erfüllt, wenn man in der nächsten Szene den völlig besoffenen Coiffeur durch die Gegend schwanken sieht und vom Tod reden hört. Auf diese Weise werden dem “Original” all jene volkstümelnden Eigenschaften entzogen, die es zu einer witzigen Figur machen wollen. Und auf diese Intention bereitet uns bereits der Beginn des Films, der nicht zu Unrecht als einer der besten Schweizer Filme überhaupt betrachtet wird, vor: Wir sehen die nächtliche Brücke, die Kari den Sprung in die Erlösung ermöglicht hat und hören in einer Ballade des berühmten, jung verstorbenen Berner Troubadours Mani Matter (1936 - 1972), der in der Schweiz selber zur Legende wurde, worauf wir uns gefasst machen müssen - nämlich auf eine abseits vom gewohnten Heimatkitsch liegende Geschichte. - Dann entdecken zwei Polizisten den Abschiedsbrief des Coiffeurs mit dem Wunsch, man möge sich beim Leichenmahl der Gemütlichkeit und dem Humor hingeben, zum Abschluss aber sein Lieblingslied “Wie die Blümlein leise zittern” singen; und schon sieht man die Trauergemeinde (darunter etwa Lukas Ammann, der in Deutschland durch die Serie “Graf Yoster gibt sich die Ehre” bekannt wurde) beim Fressen und der “Wisst ihr noch?”-Legendenbildung. - Dass uns die Figur des “Dällebach Kari” derart ergreift, ist in erster Linie das Verdienst des grandiosen Walo Lüönd, der unter anderem auch in Wolfgang Petersens "Die Konsequenz" (Deutschland 1977) mitspielte und den ich ausserordentlich schätze.. Er, der heute leider kaum mehr bekannte Meister des Einfühlens in eine Figur, fand als an seiner Existenz verzweifelnder und unverstandener “Kari” die Rolle seines Lebens und wird sogar von amerikanischen Filmkennern als Oscar-würdig erachtet. - Leider wird der Film ausserhalb der Schweiz immer ein Geheimtipp bleiben.
Der Coiffeurmeister Karl Tellenbach (1877 - 1931) lebte übrigens wirklich. Sein Coiffeurgeschäft in der Berner Neuengasse wurde zum Treffpunkt für alle, die sich über den Mann mit der Hasenscharte und der nasalen Sprechweise lustig machen, aber auch seine schlagfertigen Sprüche geniessen wollten. Nach zwei erfolglosen Krebs-Operationen nahm er sich das Leben, indem er von der Berner Kornhausbrücke sprang. Tellenbachs Nichte empfand Kurt Frühs Film als Ärgernis, weil einige Details nicht korrekt wiedergegeben wurden und sie sich an der Zeichnung ihres Onkels als Säufer störte. - Man sollte den Film jedoch weniger als “Biopic” denn als eine Art Mahnmal betrachten: Er zeigt uns, was eine in sich kranke kleinbürgerliche Gesellschaft aus einem letztlich verfemten Aussenseiter macht, der sie doch eine Zeitlang zum Lachen brachte: Ein Original!
Die DVD ist mit Untertiteln für Gehörlose und Leute, die des Berndeutschen nicht mächtig sind, ausgestattet. Ich will hier wirklich nicht für die Filmindustrie meines Landes Werbung machen - aber: “Dällebach Kari” sollte man gesehen haben.Wir haben es mit einem grossen und zutiefst traurigen Film, einem Meisterwerk, zu tun!