Frankreich 1936
Regie: Jacques Becker, Jacques-Bernard Brunius, Henri Cartier-Bresson, Jean-Paul Le Chanois, Maurice Lime, Marc Maurette, Jean Renoir, Pierre Unik, André Zwoboda (oder Zwobada, wie er eigentlich hieß)
Gesamtleitung: Jean Renoir
Darsteller in Spielszenen: Jean Dasté, Jacques-Bernard Brunius, Charles Blavette, Max Dalban, Georges Spanelly, Eddy Debray, Gaston Modot, Julien Bertheau, Nadia Sibirskaïa u.a.
als sie selbst: Marcel Cachin, Jacques Duclos, Maurice Thorez, Paul Vaillant-Couturier u.a.
Wie schon im Artikel über LE CRIME DE MONSIEUR LANGE geschrieben, war Jean Renoir in den 30er Jahren politisch ziemlich weit links. Während MONSIEUR LANGE in erster Linie ein überzeugendes Drama und nur nebenbei ein politisches Lehrstück ist, handelt es sich bei LA VIE EST À NOUS um einen Propagandafilm. Um genau zu sein: Es ist ein Wahlkampffilm von gut einer Stunde Länge, der geschickt Spielszenen und dokumentarische Aufnahmen kombiniert. Er wurde für die im Mai 1936 anstehende Wahl zur Nationalversammlung gedreht; Auftraggeberin des Films war die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF). Bei der Wahl 1936 trat erstmals (und einmalig) eine linke Volksfront (Front populaire) an, ein Bündnis der drei großen Linksparteien der Kommunisten, Sozialisten und Radikalsozialisten. Die Partei der Sozialisten trug damals den etwas komplizierten Namen Section française de l'Internationale ouvrière (SFIO, dt.: Französische Sektion der Arbeiter-Internationale). Erst 1969 ging daraus die heutige Sozialistische Partei hervor, die Partei von Mitterrand und Hollande. Die Partei der Radikalsozialisten mit dem ebenso komplizierten Namen Parti républicain, radical et radical-socialiste oder kurz Parti radical war, anders als es der Name vermuten lässt, innerhalb der Koalition am wenigsten links. Es handelte sich um eine gemäßigt linke Partei, die vor allem Angestellte, Selbständige und sonstige Kleinbürger vertrat. Sie hatte zuvor schon sowohl mit den Sozialisten als auch mit Mitte- und Rechtsparteien koaliert und mehrfach den Premierminister gestellt. Von den drei Parteien neigte Renoir 1935/36 den Kommunisten zu. Weniger aus ideologischen Gründen - er war zwar links, aber kein Marxist -, sondern weil er der Überzeugung war, dass die PCF in Frankreich (und international die Sowjetunion) am entschiedensten dem Faschismus entgegentrat - und damit hatte er wohl Recht. Renoir war im Januar 1933 in Berlin und erlebte die Machtergreifung der Nazis mit, und deutsche Freunde wie Carl Koch, Lotte Reiniger und Bert Brecht informierten ihn über die weitere Entwicklung. Er wusste, um was es ging.
Schulkinder fragen sich, wo Frankreichs Reichtum abbleibt |
Dass sich erstmals die PCF mit anderen Linksparteien zum Front populaire zusammenschloss, hatte innen- wie außenpolitische Gründe. Als Anfang der 30er Jahre die Weltwirtschaftskrise auch Frankreich ereilte und außerdem Skandale wie die Stavisky-Affäre das Land erschütterten, bekamen rechtsradikale Gruppierungen, von denen einige schon seit den 20er Jahren existierten, aber vorerst bedeutungslos blieben, neuen Aufschwung. Vor allem die paramilitärische Organisation Croix-de-Feu unter ihrem Führer Colonel de La Rocque war besorgniserregend. Die "Feuerkreuzler" unterhielten uniformierte Kampftruppen, die an die SA erinnerten, und veranstalteten regelmäßig martialische Umzüge. De La Rocques genaue Pläne blieben im Dunkeln, aber nicht wenige befürchteten, dass er einen faschistischen Umsturz plante. Die Zahl seiner Anhänger ist umstritten. Für 1936 werden Zahlen von bis zu 2 Millionen genannt. Auch wenn es weniger gewesen sein sollten, dürften es auf jeden Fall einige Hunderttausend gewesen sein. Daneben gab es weitere Gruppierungen und Milizen, von denen sich einige offen als faschistisch bezeichneten. Die Ereignisse kulminierten am 6. Februar 1934. Die rechtsradikalen Gruppen gingen in Paris auf die Straße, es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen, und ein Teil der Demonstranten versuchte, zum Parlamentsgebäude vorzudringen, um es zu stürmen. Die Polizei machte von der Schusswaffe Gebrauch, um das zu verhindern, und am Ende gab es 17 Tote und über 2300 Verletzte. Am nächsten Tag trat die Linksregierung aus Sozialisten und Radikalen zurück und wurde durch eine Mitte-Rechts-Regierung ersetzt. Auch wenn die Ereignisse vom 6. Februar vermutlich kein koordinierter Umsturzversuch waren (ausgerechnet Croix-de-Feu nahm zwar auch teil, hielt sich aber auffallend zurück), musste es damals vielen Beobachtern so erscheinen, und Gegenmaßnahmen schienen dringend nötig. Am 9. und am 12. Februar kam es zu großen Gegendemonstrationen und einem Generalstreik, zu denen die Kommunisten und die Sozialisten getrennt aufgerufen hatten, die sich dann aber zu gemeinsamen Veranstaltungen entwickelten. Eine Volksfront der linken Kräfte schien ebenso greifbar wie notwendig.
Ein Vorstandsvorsitzender (Jacques-Bernard Brunius) |
Dazu kam für die Kommunisten Rückenwind aus Moskau. Bis 1934 hatten die KPdSU und von ihr abhängige Kommunistische Parteien in Europa Sozialdemokraten und andere nichtkommunistische Linke als "Sozialfaschisten" verunglimpft und oft sogar als Hauptgegner betrachtet. Aber diese Politik war grandios gescheitert. Nicht nur in Deutschland und Italien gab es faschistische Diktaturen, sondern auch in Portugal, Österreich und in diversen ost- und südosteuropäischen Ländern. Die Zersplitterung der linken und liberalen Bewegungen hatte den Aufstieg des Faschismus zwar nicht verursacht, aber erheblich erleichtert. So kam es ab 1934 zur Kehrtwende, und den in der Kommunistischen Internationale organisierten Parteien wurden Bündnisse mit Sozialdemokraten und sogar bürgerlich-liberalen Parteien anempfohlen. Offizielle Doktrin der Komintern wurde das erst 1935 unter ihrem Vordenker, dem stalintreuen Bulgaren Georgi Dimitrow. "Jetzt haben die arbeitenden Massen nicht länger die Wahl zwischen bürgerlicher Demokratie und Diktatur des Proletariats, sondern nur noch zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus." (Dimitrow). So wurde also im Sommer 1934 ein loses Bündnis zwischen Kommunisten und Sozialisten geschlossen, das ein Jahr darauf unter Einbeziehung der Radikalsozialisten konkreter gefasst wurde, und für die Wahl im Mai 1936, für die Siegchancen prognostiziert wurden, wurde im Januar des Jahres ein gemeinsames Wahlprogramm ausgearbeitet. Zu dieser Zeit entstand die Idee zu LA VIE EST À NOUS.
Match Cut: Reiche Müßiggänger beim Rumballern und Faschisten bei echten Schießübungen |
Jacques Duclos, ein führender PCF-Funktionär, hatte den Einfall, einen Wahlkampffilm in Auftrag zu geben, und angeblich war es der Schriftsteller Louis Aragon, der Renoir dafür vorschlug. Auf jeden Fall war Renoir eine naheliegende Wahl. Durch LE CRIME DE MONSIEUR LANGE und etliche Zeitschriftenartikel hatte er sich als ein Sprachrohr der Linken im französischen Film etabliert, und seine fachliche Meisterschaft war unbestritten. Renoir nahm gerne an, hatte aber sogleich die Idee, das Kollektivprinzip, das schon bei MONSIEUR LANGE zum Tragen kam, noch weiter auszubauen: Nicht er selbst, sondern seine etwas jüngeren Mitarbeiter und Techniker sollten jeweils bei kleinen Teilen des Films Regie führen, und er würde nur als Produzent die Gesamtleitung übernehmen. Aufgrund der etwas chaotischen, unter Zeitdruck stehenden Produktion hat dann aber auch Renoir selbst einen Teil gedreht. Wer genau was inszeniert hat, wurde nicht bekanntgegeben - es sollte ja eben eine Kollektivarbeit sein. Entsprechend schwer tat sich die Nachwelt mit der Zuordnung, und verschiedene Autoren von Renoir-Büchern haben unterschiedliche Angaben dazu gemacht. Es ist auch nicht ganz klar, ob alle oben genannten Regisseure diese Bezeichnung überhaupt verdienen. Mal wird Maurice Lime weggelassen, mal Marc Maurette, und im kleinen, aber feinen Büchlein "Jean Renoir und die Dreissiger" gelten überhaupt nur Renoir, Becker, Le Chanois und Zwoboda als Regisseure, und die anderen fünf als Regieassistenten. Der Titel dieses Artikels ist also mit etwas Vorsicht zu genießen. Ebenso ist nicht ganz klar, ob Paul Vaillant-Couturier, ein weiterer PCF-Funktionär, am Drehbuch mitschrieb oder nicht. Aber auch wenn das der Fall gewesen sein sollte, genossen Renoir und seine Mitstreiter volle künstlerische Freiheit, wie Jean-Paul Le Chanois anlässlich der Wiederaufführung des Films 1969 betonte: "Wir hatten einige Unterhaltungen mit Jacques Duclos, der uns die Position der Partei in der Volksfront und im Wahlkampf erläuterte. Aber niemand zwang uns irgendwelche Richtlinien auf." Bei der Gelegenheit äußerte sich Le Chanois auch sehr eindeutig zu der Frage, ob man LA VIE EST À NOUS aufgrund des Modus seiner Entstehung überhaupt als Renoir-Film bezeichnen kann: "Mein Gefühl zu dieser Frage ist sehr klar; es war wirklich Renoir, der den Film machte."
Croix-de-Feu |
Alle Beteiligten arbeiteten umsonst, und einige mussten nebenbei andere Jobs ausüben, was teilweise für den Zeitdruck verantwortlich war. Natürlich gab es Kosten für Filmmaterial, Entwicklungslabor etc. - insgesamt kostete LA VIE EST À NOUS etwa ein Zehntel dessen, was bei einem französischen Film dieser Länge üblich war. Das Geld wurde bei Wahlkampfveranstaltungen der PCF eingeworben. Die Anhänger der Kommunisten waren üblicherweise nicht gut betucht, aber Kleinvieh macht auch Mist. Le Chanois erinnerte sich 1969, dass einmal ein ganzer Kartoffelsack voller Kleingeld angeliefert wurde, das er und Zwoboda dann einen ganzen Tag lang zählten und sortierten. Die Dreharbeiten fanden im Februar und März 1936 statt und wurden vom Wahlsieg einer linken Volksfront in Spanien im Februar ideell beflügelt. Nachdem die Aufnahmen im Kasten waren, verließ Renoir das Team, um sich mit seinem nächsten Film PARTIE DE CAMPAGNE zu befassen. Die Endfertigung überwachten Jacques-Bernard Brunius und Renoirs regelmäßige Cutterin und damalige Lebensgefährtin Marguerite Renoir (eigentlich Marguerite Houllé, sie waren nicht miteinander verheiratet). Renoir selbst bekam den fertigen Film 1936 überhaupt nicht zu Gesicht. Es wurde gelegentlich behauptet, dass LA VIE EST À NOUS von der Zensur verboten wurde. Aber Le Chanois bestritt, dass er überhaupt der Zensur vorgelegt wurde, weil eine kommerzielle Verwertung überhaupt nicht vorgesehen war, und weil ohnehin keine Chancen auf eine Freigabe bestanden. Wie dem auch sein mag, jedenfalls lief der Film nicht in den französischen Kinos, aber wie vorgesehen bei Wahlkampfveranstaltungen, wofür eine Freigabe der Zensur nicht notwendig war.
Februar 1934: Aufruf zum Generalstreik |
LA VIE EST À NOUS lässt sich grob in drei Teile gliedern. Am Anfang referiert eine Stimme aus dem Off über Frankreich: Über seine landschaftlichen Schönheiten, seine landwirtschaftlichen Erzeugnisse, seine Industrie. Dazu passende dokumentarische Bilder, dynamisch montiert, illustrieren die Worte. Nach einiger Zeit bekommt die Stimme ein Gesicht: Ein Lehrer (Jean Dasté) hält den Vortrag vor seiner Schulklasse. Er fährt fort, nennt statistische Zahlen, betont mehrfach die Spitzenstellung Frankreichs auf diversen Gebieten. Nach Ausführungen zu Architektur und Kunst landet er schließlich bei Paris, der "meistgeliebten Stadt der Welt", einer Hauptstadt des Geistes ebenso wie einer Hauptstadt der Luxusgüter. Dann entlässt er die Schüler. Wozu diese Glorifizierung? Damit der Kontrast umso größer ausfällt, wenn sich die Schüler auf dem Heimweg fragen, wo denn der ganze Reichtum bleibt. Wieso sind sie und ihre Eltern so arm, wenn Frankreich ein so reiches Land ist? Die Antwort folgt auf dem Fuß: Es liegt an der ungleichen Verteilung, daran, dass die führenden "200 Familien" der Großkapitalisten die Gewinne einstreichen - so skandiert es eine Kommunistin, und ein Chorus repetiert die Sentenz mehrfach. Eine Spielszene konkretisiert das unverzüglich: Ein Vorstandsvorsitzender (J.B. Brunius) erläutert im Konferenzzimmer seinen Direktoren, wie man durch künstliche Verknappung von Lebensmitteln und anderen Gütern die Preise und damit die Gewinne hochtreibt, und unter Krokodilstränen verkündet er vertraut klingende Parolen, dass man den Gürtel leider enger schnallen müsse. Dazwischen geschnitten ist eine Sequenz, in der derselbe Vorstandsvorsitzende im Spielcasino ungerührt 2 Mio. Francs verzockt - so wird deutlich gemacht, wer den Gürtel enger schnallen muss und wer nicht. Zurück im Konferenzraum, kündigt er Lohnkürzungen an, und die versammelten Direktoren pflichten ihm einhellig bei. Danach sieht man einige Damen und Herren der Oberschicht, wie sie zum Vergnügen in einem Park mit Pistolen auf Pappkameraden schießen, die Arbeiter symbolisieren. Das geht durch einen Match Cut in Aufnahmen von Croix-de-Feu-Leuten über, die paramilitärische Schießübungen veranstalten. So wird eine recht eindeutige Verbindungslinie Großkapitalismus -> Faschismus gezogen.
Februar 1934: Massendemonstrationen gegen rechte Umtriebe |
Die nächsten Minuten behandeln die nationale und internationale faschistische Gefahr. Es gibt Aufnahmen von einem großen Aufmarsch des Croix-de-Feu, mit Colonel de La Rocque an der Spitze, der verhöhnt wird, indem dazu Julius Fučíks Marsch "Einzug der Gladiatoren" ertönt, besser bekannt als "Zirkusmarsch". Auch Hitler wird veräppelt: Man sieht ihn bei einer Rede, hört dazu aber das Bellen eines Hundes. Doch es wird schnell wieder ernst: Aufeinanderfolgende Bilder von Mussolini, von Bombenangriffen im italienischen Kolonialkrieg in Äthiopien und von toten Soldaten evozieren sehr deutlich die Assoziationskette Faschismus - Krieg - Tod. Ebenfalls zu sehen sind Dokumentaraufnahmen von den Unruhen am 6. Februar 1934 und von den eindrucksvollen Gegendemonstrationen am 9. und 12. Februar, sowie dazwischengeschnitten Titelblätter der kommunistischen Parteizeitung L'Humanité, die zu diesen Demonstrationen aufrief. Danach wird die Solidarität mit der Sowjetunion beschworen, und es sind vier kurze Filmschnipsel mit Lenin, Stalin, Dimitrow und dem PCF-Veteranen André Marty zu sehen. Nach diesem kurzen Zwischenspiel war es das weitgehend mit dem Thema Sowjetunion - die PCF schlug zu dieser Zeit durchaus gemäßigt nationale Töne an, statt das Mantra des Internationalismus zu predigen (und im Film kommt die Marseillaise ebenso prominent vor wie die Internationale).
Marcel Cachin; ein Fabrikarbeiter (Charles Blavette); ein Auktionator wird düpiert (links Gaston Modot, rechts Eddy Debray); der Ingenieur und seine Geliebte (Julien Bertheau und Nadia Sibirskaïa) |
Eine sehr kurze Spielszene leitet zum zweiten Hauptteil des Films über: Drei Croix-de-Feu-Mitglieder überfallen einen Verkäufer der L'Humanité und wollen ihn verprügeln. Doch umstehende Passanten eilen sofort herbei und schlagen die Angreifer in die Flucht - ein Lob auf Solidarität und Zivilcourage. Vom einfachen Zeitungsausträger wechselt die Handlung ins Büro von Marcel Cachin, der 40 Jahre lang Herausgeber der L'Humanité war. 1936 war er schon ein älterer Herr mit väterlichem Erscheinungsbild, wovon der Film geschickt Gebrauch macht. Aus einem Berg (fiktiver) Leserbriefe an ihn fischt (der echte) Cachin drei heraus und liest sie, und ihr Inhalt wird in drei längeren Spielhandlungen ausgebreitet, jeweils umrahmt von Cachin an seinem Schreibtisch. Die drei Sequenzen führen den Wert der Solidarität weiter aus, und sie präsentieren die PCF als Hort dieser Solidarität. Zugleich repräsentieren sie die drei Säulen der Anhängerschaft der Partei: Arbeiter, Bauern, und "Intelligenz".
In einer Fabrik wurde der Akkordlohn gesenkt und ein Vorarbeiter (Max Dalban) installiert, der nichts tut, als die anderen mit seiner Uhr zu überwachen. Als ein älterer Arbeiter die Vorgaben nicht mehr erfüllen kann, wird er gefeuert. Den nun aufwallenden Protest lenkt ein PCF-Mitglied unter den Arbeitern (Charles Blavette) in geordnete Bahnen, organisiert einen Streik, und der Fabrikbesitzer (G. Spanelly) wird gezwungen, alle Maßnahmen rückgängig zu machen.
Eine Familie von Kleinbauern kann ihre Schulden nicht bezahlen, und die Zwangsversteigerung des ganzen Anwesens steht bevor. Doch der Neffe (Gaston Modot), wiederum ein PCF-Mitglied, sorgt mit seinen Parteifreunden mit sanftem Druck dafür, dass kein Interessent ein ernsthaftes Gebot abgeben kann. Er selbst "ersteigert" alles zu einem Spottpreis, zusammen wenig mehr als 100 Francs. Die Schulden sind getilgt, und die Familie bekommt ihr Hab und Gut zurück.
Ein arbeitsloser junger Elektroingenieur (Julien Bertheau) will seiner Freundin (Nadia Sibirskaïa) nicht auf der Tasche liegen und macht sich auf die zermürbende Arbeitssuche. Er nimmt sogar einen Job als Autowäscher an, fliegt aber gleich wieder raus. Vor Hunger und Verzweiflung dem Zusammenbruch nah, wird er von zwei PCF-Genossen aufgelesen und ins nächste Parteilokal gebracht. Dort wird er mit einer warmen Mahlzeit, mit schönem Chorgesang (der Chorale Populaire de Paris probt gerade Arbeiterlieder) und mit ideellem Zuspruch wieder aufgerichtet. Und er bekommt auch gleich etwas Sinnvolles zu tun, nämlich einen großen Scheinwerfer zu reparieren und zu bedienen, der bei einem Parteikongress zum Einsatz kommt.
Dieser vom Filmteam inszenierte Kongress mit echten PCF-Spitzenfunktionären bildet den ersten Teil des letzten Hauptabschnitts von LA VIE EST À NOUS. Unter dem zuhörenden Parteivolk befinden sich auch die Hauptprotagonisten der drei Episoden aus dem vorigen Abschnitt. Die schon erwähnten Marcel Cachin, Jacques Duclos und Paul Vaillant-Couturier sowie PCF-Generalsekretär Maurice Thorez und drei weitere Funktionäre werden jeweils mit kurzen Rede-Ausschnitten gezeigt, wobei jeder ein anderes Thema anspricht. Diese Passage dauert sechs Minuten, also für jeden im Schnitt weniger als eine Minute. So wird ein breites Spektrum abgedeckt, ohne dass der Zuschauer mit nicht enden wollenden Reden (wie etwa in TRIUMPH DES WILLENS) gequält wird. Es fällt der moderate Ton dieser Reden auf. Schon in der Fabrik-Episode standen ordentliche Arbeitsbedingungen auf dem Programm, aber keine gesellschaftlichen Umstürze, keine Enteignung der Kapitalisten, und Gewalt wird ausdrücklich als kontraproduktiv abgelehnt. In den Reden verhält es sich ähnlich. Zwar beschwört Thorez noch einmal verbal Marx, Engels, Lenin und Stalin, aber abgesehen vom zeitgebundenen Aspekt des Kampfes gegen den Faschismus ist es eigentlich kein kommunistisches, sondern ein sozialdemokratisches Programm, das hier präsentiert wird (natürlich kein Programm im Geist der Agenda 2010, sondern eher eines im Geist des Godesberger Programms). Hier zeigen sich sehr deutlich die Kompromisse, die vom Front populaire erzwungen wurden: Weder die neuen Koalitionspartner (insbesondere die Radikale Partei, die in dieser Hinsicht heikler war als die Sozialisten) noch potentielle Wähler aus dem bürgerlich-liberalen Lager durften verschreckt werden. Der Film endet schließlich in einem (ebenfalls inszenierten) Aufmarsch der Massen, die die Internationale singen, und wiederum erkennt man die Gesichter von Blavette, Modot, Bertheau, Sibirskaïa und weiteren Protagonisten der Spielszenen in der Menge (sowie an prominenter Stelle Vladimir Sokoloff, der zuvor im Film nicht in Erscheinung trat), und ganz am Ende gibt es nochmal eine kurze Montage-Sequenz, die an diejenige vom Anfang des Films erinnert. - Wie wirkt LA VIE EST À NOUS nun heute? Das hängt natürlich auch vom politischen Standpunkt des Betrachters ab. Während Renoir sonst Klischees und Stereotypen zu vermeiden trachtete, gibt es hier jede Menge davon. Und die unhinterfragte Heilsgewissheit in den Armen der Kommunistischen Partei kann schon zwiespältige Gefühle auslösen. Aber man kann auch von einem Wahlkampffilm schlecht verlangen, dass er seine eigenen Behauptungen in Frage stellt. Und trotz einer gewissen Ungeschliffenheit, die der schnellen und billigen Produktion geschuldet ist, zeigt LA VIE EST À NOUS nicht nur den politischen Enthusiasmus, sondern auch die künstlerische Imaginationskraft seiner Macher. Er ist ein Propagandafilm, aber sicher einer der interessantesten der 30er Jahre.
Maurice Thorez (das linke Portrait zeigt Georgi Dimitrow) |
Und wie ging es nach dem Film in Frankreich weiter? Der Front populaire gewann tatsächlich die Wahlen im Mai. Die Sozialisten und die Radikalen bildeten die Regierung, die von den Kommunisten gestützt wurde, ohne sich mit Ministern daran zu beteiligen. Die Sozialisten waren die stärkste Partei, und deren Vorsitzender Léon Blum wurde Premierminister. Einige kleinere linke Gruppierungen innerhalb und außerhalb des Parlaments unterstützten die Regierung ebenfalls. Man ging mit viel Schwung an die Arbeit: Es wurde erstmals ein Anspruch auf bezahlten Urlaub und die 40-Stunden-Woche eingeführt, das Recht, kollektive Tarifverträge abzuschließen, und es wurde für Lohnerhöhungen gesorgt. Aber die materiellen Verbesserungen für die Arbeitnehmer wurden bald wieder von der Inflation aufgefressen, der Elan der Regierung verpuffte, und ideologische Differenzen traten zutage, vor allem zwischen den Kommunisten und den Radikalen. Zum größten Sargnagel für die Volksfront wurde der Spanische Bürgerkrieg. Auf Betreiben der Radikalen und Teilen der Sozialisten erklärte sich Frankreich für neutral, statt, wie von vielen erhofft, die Republikaner zu unterstützen. Im Juni 1937, nach einem Jahr im Amt, trat Blum zurück, und damit war die Volksfront mehr oder weniger gescheitert, und unter ihren Anhängern machte sich allgemeine Desillusionierung breit. Formal bestand die Koalition weiter, mit zwei Ministerpräsidenten von der Radikalen Partei, und dazwischen noch einmal für einen Monat Léon Blum, aber als Ende 1938 ein Teil der Sozialgesetze zurückgenommen wurde, um die Inflation einzudämmen, war die Volksfront endgültig am Ende. Spätestens seit dem Hitler-Stalin-Pakt, der viele bisherige Anhänger der Kommunisten (auch Renoir) entsetzte, war auch eine Neuauflage dauerhaft ausgeschlossen. Ganz umsonst war das gescheiterte Experiment aber nicht. Es blieb die Tatsache, dass die ideelle Kluft zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum in Frankreich deutlich verringert wurde, und noch ein politisches Ziel wurde erreicht: Gleich zu Beginn wurden die paramilitärischen faschistoiden Gruppierungen verboten. Colonel de La Rocque hatte offenbar damit gerechnet, denn er gründete unmittelbar darauf eine neue Partei, aber die gab sich gemäßigter als die Vorgänger-Organisation und respektierte die parlamentarischen Spielregeln. Einen ernsthaften Umsturzversuch gab es nicht, und Frankreich blieb bis zur Besetzung 1940 eine Demokratie mit bürgerlichen Freiheitsrechten.
Choreographierter Massenaufmarsch am Schluss (l.o. Vladimir Sokoloff) |
LA VIE EST À NOUS wurde für den Wahlkampf gedreht, und nach der Wahl wurde er eingemottet. Der Film verschwand so gründlich in der Versenkung, dass er mehr oder weniger verschollen war. Doch 1969 tauchte er wieder auf, und dann lief er erstmals auch in den französischen Kinos. 1973 wurde eine Kopie nach Los Angeles geschickt, und Renoir, der in Beverly Hills wohnte, sah zum ersten Mal den fertigen Film. "Ich war sehr froh, diesen Film endlich zu sehen", sagte er später. "Es freute mich, die Gesichter von so vielen alten Freunden zu sehen, von denen jetzt viele tot sind. Und er zeigte mir wieder die Gesichter der französischen Arbeiter. Er ist technisch nicht sehr geschliffen, das ist offensichtlich. Aber für einen Film, der von 20 Leuten in einem solchen Durcheinander gemacht wurde, ist er vielleicht nicht schlecht. Und vielleicht ist so etwas heute interessanter als damals. Wir können die technischen Fehler bei einem alten Film akzeptieren - er ist jetzt zu einem Dokument geworden." - LA VIE EST À NOUS ist in Frankreich auf DVD erhältlich. Englische Untertitel gibt es in den Weiten des Internet zum Download.