Mittwoch, 14. Juli 2010

Es gibt eine deutsche DVD!!!

Ich widmete eine Besprechung dieses Films schon an anderer Stelle Alex ("Hypnosemaschinen"), damit er als "Master of Horror" auch mal wieder über ein paar Gespenster so richtig lachen kann. Diese Widmung soll selbstverständlich  hier wiederholt werden.

Zwei Engel ohne Flügel (Alternativtitel: Topper - Das blonde Gespenst)
(Topper, USA 1937)
Regie: Norman Z. McLeod
Darsteller: Constance Bennett, Cary Grant, Roland Young, Billie Burke, Alan Mowbray, Eugene Pallette, Arthur Lake, Hedda Hopper u.a.

1934 wurde der so genannte “Hays Code”, den die “Catholic League of Decency” gefordert hatte, für Hollywood-Produktionen verpflichtend. Er sollte dafür sorgen, dass Filme im Hinblick auf “Obszönität”, Vulgarität und Gewaltverherrlichung rigide überprüft und notfalls einer Zensur unterworfen würden. Der Kodex blieb bis in die 60er Jahre hinein in Kraft und wurde mal mehr, mal weniger streng angewandt. --- Die Moralapostel, die nach ihrem “Erfolg” vielleicht ernsthaft mit einer Überfülle an sittlichen und dem Seelenheil des Zuschauers bekömmlichen Filme gerechnet hatten, unterschätzten freilich den Erfindungsreichtum der verärgerten Regisseure und Produzenten. Diese sorgten dafür, dass gerade die - oft von raffiniert versteckten Freizügigkeiten wimmelnde - Hollywood-Komödie ab Mitte der 30er Jahre bis Mitte der 40er ihre Glanzzeit erlebte. Was vorher recht offen ausgesprochen worden war, wirkte als Anspielung in den Screwball Comedies, deren Erfindung je nach Vorliebe Howard Hawks oder Frank Capra (rückblickend gelegentlich auch Ernst Lubitsch) zugeschrieben wird, noch viel anzüglicher - was nicht zuletzt mit dem rasanten Tempo und dem Wortwitz dieses sich an der Grenze zur Farce bewegenden Subgenres zu tun hatte, in dem sich die Geschlechter einen unerbittlichen Kampf lieferten, der nicht selten mit einem Sieg der Frau und einem Kater am Morgen danach endete.

Als der komödienerprobte Regisseur Norman Z. McLeod (er hatte die Marx Brothers-Filme “Monkey Business”, 1931, und “Horse Feathers”, 1932, gedreht) 1937 von Hal Roach für die Verfilmung eines Romans von Thorne Smith eingesetzt wurde, bot ihm dies die Möglichkeit, die klassische Screwball Comedy auf interessante Weise zu variieren, indem er sie um die Komponente des Übernatürlichen erweiterte, sie also zum witzigen Gespensterfilm machte. - Marion und George Kerby sind ein äusserst lebenslustiges junges Ehepaar, das nicht nur fahrlässig mit seinem sportlichen Buick in der Gegend herumrast, sondern auch in den ersten zehn Minuten des Films mehr säuft als Nick und Nora Charles in der ganzen “Thin Man”-Reihe. Die beiden Turteltauben befinden sich auf dem Weg zur Bank, über die der langweilig-penible und von einer dominanten Gattin überwachte Cosmo Topper waltet - und vor der sie zuerst einmal vor den Augen der staunenden Passanten den halben Morgen verschlafen, bevor George als Mehrheitsaktionär an einer Aufsichtsratssitzung teilnimmt und diese mit seinem Benehmen sabotiert. Kurz darauf geschieht das Unausweichliche: George baut einen Unfall, und das Paar erhebt sich seltsam durchsichtig, um die eigenen leblosen Körper, die vor ihm auf dem Boden liegen, zu diskutieren. Die Erkenntnis folgt bald: Marion und George müssen tot sein, befinden sich aber noch nicht im Himmel. Also beschliessen sie, die zwar keine grossen Sünder, aber doch etwas gar frivol waren, eine gute Tat zu vollbringen - und als Opfer suchen sie sich ausgerechnet den biederen, bierernsten Toppy (wie ihn Marion liebevoll nennt) aus. Empfand dieser das freizügige Paar jedoch schon zu dessen Lebzeiten als Landplage, fühlt er sich von den sich nach Belieben sichtbar oder unsichtbar machenden “Engeln” erst recht in den Wahnsinn getrieben. Eine Katastrophe voller Gags bahnt sich an...


“Topper” ist tricktechnisch alles andere als auf dem damals aktuellen Stand; die “Gespensterszenen” werden jedoch derart genussvoll in den Film eingebettet (etwa wenn Cosmo Topper nach einer Schlägerei vor dem Richter von einer unsichtbaren Marion zurecht gemacht oder ein Liftboy veräppelt wird), dass dies keine Rolle spielt. Besonders herrlich ist ein Radwechsel, den der nicht mehr unter den Lebenden weilende George Kerby auf Geheiss seiner Frau vornehmen muss. Er brummt: “All right, I’ll change the tire ... But I’ll be darned if I’ll waste any ectoplasm doing it!” - worauf er sich unsichtbar macht und vor den Augen des staunenden Cosmo die leidige Angelegenheit hinter sich bringt.

Für Constance Bennett, die als einst bestgekleidete Frau der Welt ihre grosse Zeit bereits hinter sich hatte, erwies sich “Topper” als kleines Comeback, Cary Grant konnte als Lebemann genau das Gegenteil jenes Männertyps spielen, den er ein Jahr später in Hawks’ “Bringing Up Baby” verkörpern sollte - und Roland Young erhielt eine Oscar-Nominierung als bester männlicher Nebendarsteller. Ebenfalls erwähnenswert: Billie Burke (sie sollte 1939 in Victor Flemings “The Wizard of Oz” die Glinda spielen) als vom eigenartigen Benehmen ihres von Geistern besessenen Gatten aus dem Alltag gerissene Mrs. Topper und Alan Mowbray als Butler der Familie (“Can’t you even look like a human being?” - “I don’t know, sir, I’ve never tried.”). Sogar Hedda Hopper, eine der grossen Klatschtanten Hollywoods, darf einen Kurzauftritt hinlegen.

Die von einem jazzigen, ebenfalls für einen Oscar nominierten Soundtrack untermalte Geistergeschichte erwies sich als derart erfolgreich, dass sie zwei Fortsetzungen nach sich zog und später auch zu einer Fernsehserie verarbeitet wurde. In “Topper Takes a Trip" (1938) kehrt Marion noch einmal auf die Erde zurück, um ihrem Toppy, dessen Frau nun plötzlich die Scheidung will, beizustehen. Cary Grant ist in diesem mehr auf Situationskomik als auf Wortwitz setzenden Film bloss noch in der Eingangssequenz zu sehen, was ich den Machern nie verzeihen werde. “Topper Returns” (1941) lässt Roland Young ohne Constance Bennett, aber mit Joan Blondell als Gespenst in einem unheimlichen Haus einen Mordfall aufklären. Dieser dritte - enttäuschende - Teil zeigt, dass aus der Topper-Geschichte eigentlich schon alles herausgeholt war.

“Topper” war einer der ersten Filme, die nachträglich eingefärbt erneut ins Kino kamen, ein Versuch, der insbesondere im Zusammenhang mit Curtiz’ “Casablanca” erbitterte Diskussionen auslöste. Der kleine Klassiker “Zwei Engel ohne Flügel” war im deutschsprachigen Raum lange Zeit nur als VHS-Kassette erhältlich, was Fans ausserordentlich bedauerten; denn das Original lebt nicht zuletzt von seinem Wortwitz, der sich nicht ohne weiteres in andere Sprachen übersetzen lässt. Jetzt ist endlich eine "Topper Edition" mit allen drei Filmen erhältlich, die es dem Zuschauer ermöglicht,  zwischen der deutschen und der englischsprachigen Fassung zu wählen.

Und zum Schluss: Für 2010 ist ein Remake des Films mit Steve Martin als Cosmo Topper angekündigt. Diese Drohung dürfte sich in absehbarer Zeit bewahrheiten, was mich (der Kerl verhunzte schon den mir lieben Film “Cheaper by the Dozen”, 1950, mit Clifton Webb und Myrna Loy, aus dem er ein Pseudo-Remake machte!) zu einem Amoklauf veranlassen wird. Ich hoffe, die wenigen Leser dieses Beitrags werden sich mir anschliessen. Könnte lustig werden...

Montag, 12. Juli 2010

Kleine Zwischenbemerkung

Roman Polanski ist frei!!! Die Schweizer Behörden haben entschieden, ihn nicht an die USA auszuliefern, und er befindet sich seit heute Mittag auf freiem Fuss. - Endlich kann ich mich auch als Schweizer rücksichtslos über seine Filme hermachen.

Donnerstag, 8. Juli 2010

Der Film zum Kontext

Nicht nur Dion & The Belmonts taten sich schwer mit der Einsicht, dass ein Mond  lediglich aus Papier gemacht sein könnte; auch der  Fimfreund möchte manchmal vergessen, dass er sich voller Inbrunst   Illusionen hingibt. Dabei vermag doch das Kino weit mehr als einen Papiermond wie einen echten Erdtrabanten aussehen zu lassen; es verwandelt sogar am Tag gedrehte Szenen mittels eines technischen Verfahrens auf wundersame Weise in  Nacht. Man bezeichnet dieses Verfahren bekanntlich als "Day-for-Night" oder

Die amerikanische Nacht
(La nuit américaine, Frankreich 1973)
Regie: François Truffaut
Darsteller: Jean-Pierre Léaud, Jacqueline Bisset, Valentina Cortese, Jean-Pierre Aumont, François Truffaut, Dani, Nathalie Baye, Alexandra Stewart, Graham Greene u.a.

Auf dem Platz herrscht reges Treiben. Ein grüner Bus fährt vorbei, man  beobachtet  eine Frau in einer roten Jacke, die sich eine Illustrierte kauft und  die Treppe zur U-Bahn-Station hinabgeht. Wenige Sekunden später taucht von unten ein junger Mann auf. Er überquert den Platz, geht langsam auf einen älteren Mann zu und verpasst ihm vor den Augen der Menge eine Ohrfeige. - Plötzlich erscheint in Grossaufnahme das Gesicht eines Regisseurs, der durch ein Megaphon sein schrilles  “Cut!” brüllt und zu bemängeln beginnt, was alles nicht nach seinen Plänen lief. Scheinwerfer tauchen auf, man sieht eine Kamera und vom Schauspieler bis zum Scriptgirl versammeln sich alle auf jenem “Platz”, der offensichtlich nichts weiter als eine Attrappe in einem Filmstudio im Süden Frankreichs ist. Selten zuvor wurde der Zuschauer aus einer perfekten Illusion derart überraschend in die banale Realität des Filmemachens geworfen.

Dies die Eingangssequenz von Truffauts “La nuit américaine”, der 1974 mit dem “Auslandsoscar” ausgezeichnet und im Folgejahr für weitere Oscars nominiert worden war, heute aber eher zu den vergessenen Filmen des Regisseurs gehört. Die Geschichte ist denkbar einfach: Eine Filmequippe ist mit den Dreharbeiten zu einem  unbedeutenden Melodram mit dem Titel “Je vous présente Pamela” (es handelt von einer jungen Frau, die sich mit dem Vater ihres Gatten in eine Affäre einlässt)  beschäftigt, das von den Hauptdarstellern bis zur Assistentin des Scriptgirls während der hektischen Wochen als zukünftiges Meisterwerk und Sinn ihres Daseins betrachtet werden muss und dessen Herstellung ein Privatleben nur in fragmentarischer Form zulässt, weil das Einbringen  persönlicher Probleme ein solches Projekt rasch gefährden könnte. Dennoch hat der Regisseur Ferrand, der derart für den Film lebt, dass er ausser in seinen Träumen gar nicht mehr als  Wesen mit menschlichen Regungen wahrgenommen wird, rasch einmal mit mehr als den üblichen technischen Pannen (eine wichtige Szene wird im Kopierwerk zerstört) und der Auswahl  von passenden Perücken und Pistolen zu kämpfen. Denn seine Mitarbeiter teilen die Devise, wonach der Film wichtiger sei als das Leben, nur in der Theorie...

Am meisten zweifelt man an der Zuverlässigkeit des noch nicht  im Studio angekommenen Hollywood-Stars Julie Baker, die erst kürzlich einen Nervenzusammenbruch erlitt. Doch da gibt es auch ihren neurotischen Co-Star Alphonse, (warum wohl wurde die Rolle mit Jean-Pierre Léaud, der als Truffauts “alter ego” galt, besetzt?), der seine neueste Geliebte Liliane als Assistentin des Scriptgirls anheuern liess, damit er ständig die Bewegungen ihres Hintern beobachten und sämtliche Männer am Set mit der Frage belästigen kann, ob Frauen magisch seien.  Die alternde Schauspielerin Severine wiederum sucht Trost im Alkohol und kann ihren Text nicht mehr behalten, weshalb sie sich erkundigt, ob sie stattdessen nicht einfach wie bei Fellini Zahlen vor sich her sagen dürfe. Es bleibt noch Alexandre, einst wohl halbwegs ein Star, der seinen jungen Liebhaber als Sohn adoptieren möchte. - Wundert es da noch, dass der von Truffaut selber gespielte und nur von seiner Assistentin Joelle bedingungslos unterstützte Regisseur das Drehen eines Films mit einer Kutschenfahrt im Wilden Westen vergleicht: am Anfang freue man sich auf eine schöne Reise, später hoffe man sie zu überleben?

Julie Baker, die mit ihrem neuen Gatten, einem Arzt, eintrifft, erweist sich entgegen der Erwartungen als professionell und äusserst teamfähig, was die Arbeit  zu erleichtern scheint - Hingegen begleiten während der ganzen Zeit  lästige Journalisten die Dreharbeiten und verlangen von jedem, der ihnen über den Weg läuft, Auskünfte über den Film. Die Antworten von Schauspielern und Crew zeigen, wie unterschiedlich man dem Projekt gegenübersteht, wie oberflächlich man sich mit dem Drehbuch auseinandergesetzt hat - und auch, wie wenig man an der Aufgabe anderer und persönlichen Tragödien interessiert ist. Einzig Julie Baker geht mit ihrem Bedürfnis, Menschlickeit in eine letztlich egozentrische Arbeitsgemeinschaft auf Zeit einzubringen, ungewollt zu weit:  Als sich die Geliebte von Alphonse mit einem Stuntman aus dem Staub macht, verbringt sie aus lauter Mitgefühl sogar  die Nacht mit dem Flegel, der ihre Ehe aufs Spiel setzt und  lauthals verkündet, er werde nie wieder in einem Film mitspielen. Dann soll auch noch der tödliche Autounfall eines Darstellers unerwartete Probleme mit sich bringen und kurzfristige Drehbuchänderungen nötig machen...

Als Truffaut “La nuit américaine” drehte, hatte der ehemalige Kritiker beim Kinomagazin "Les Cahiers du cinéma" schon mehr als ein Jahrzehnt praktische Erfahrung als Filmemacher gesammelt, und es ist deshalb nicht verwunderlich, dass er neben Hommagen an von ihm bewunderte Regisseure (der ständige Knopf im Ohr will zum Beispiel als Verbeugung vor Luis Buñuel verstanden werden) auch  "Erinnerungen" an eigene Arbeiten in den Film einbringt: So scheint eine Szene, in der eine Katze ständig von einem  Tablett  wegläuft (sie sollte sich hinter die Milch machen), auf “La peau douce” (1964) zu verweisen, in dem ebenfalls ein Tablett vor die Türe gestellt wird. Und Jacqueline Bissets Nebenjob als Übersetzerin für den Stuntman, der kein Französisch versteht, entspricht zweifellos der Aufgabe von Julie Christie während der Dreharbeiten zu “Fahrenheit 451” (1966): Truffaut, der des Englischen kaum mächtig war, hatte sich gezwungen gesehen, den Film in einem englischen Studio zu drehen und nahm Julie’s Hilfe dankbar an, weil sich Oskar Werner, gerade für einen Academy Award nominiert aus Hollywood zurückgekehrt, nur noch über den Regisseur, mit dem er einst erfolgreich zusammengearbeitet hatte, lustig machte. - Letztlich sind Ferrands nächtliche Träume (die Träume eines ganz dem Film Verfallenen, der schon als Kind nachts zu einem Kino schlich, um Bilder von “Citizen Kane“ zu stehlen)  natürlich  “Les quatre cents coups” (1959), dem ersten Teil des Doinel-Zyklus, entnommen. --- Es erstaunt auch nicht, dass sich ausgerechnet Truffaut an ein kleines Subgenre wagte, das schon andere “besessene” Regisseure angelockt hatte und weiterhin anlocken sollte: das des Films über das Filmemachen (als berühmte Beispiele seien genannt: “Le mépris”, 1963, von Jean-Luc Godard, “Otto e mezzo”, 1963, von Federico Fellini, “Stardust Memories”, 1980, von Woody Allen).

Es ist denn auch gerade die Beschäftigung mit dem Herstellungsprozess, die “La nuit américaine” zu einem sehenswerten Ereignis macht, welches das Mysterium “Film” dennoch nicht zerstört, da Truffaut, wie er selber sagte, nur Teile der Wahrheit, nicht die Wahrheit zeigt: das Füllen eines ganzen Platzes mit künstlichem Schnee, der nicht “zu weiss” aussehen darf, eine von der Kamera begleitete und von Scheinwerfern beleuchtete Autofahrt, Jacqueline Bisset, die eine Leiter hinauf zur  minimalen Andeutung eines Fensters klettern muss, damit in einer Szene der Eindruck entsteht, sie wohne ihren “Schwiegereltern” direkt gegenüber. Und neben diesen Aufsehen erregenden Dingen werden wir Zeuge von Details wie dem Arrangieren der Hände der Hauptdarstellerin, den Problemen mit der Aufnahme eines Doubles oder dem Versuch, eine Türe für die in Rage geratene Severine zu markieren, die in einer Szene fälschlicherweise ständig den Schrank öffnet, wenn sie das Zimmer verlassen will. - Allein aus solchen Elementen hätte sich ein wunderschöner abendfüllender Film, der dem von Truffaut angepeilten Dokumentarischen gerecht geworden wäre, machen lassen. Was jedoch stört: die Überfülle an persönlichen Problemen, an Bettgeschichten, kleinen privaten Episoden am Rande. Diese vielen “menschelnden” Bestandteile dürften den Film gerade beim amerikanischen Publikum seinerzeit so beliebt gemacht haben, greifen sie doch alle Klischees auf, mit denen die Regenbogenpresse ihre Leserinnen bedient (eine Schauspielerin wird während des Drehs schwanger,  ein Mitarbeiter ständig von seiner eifersüchtigen Frau gegängelt, auf Severine wird Rücksicht genommen, weil ihr Sohn - was freilich nicht ausgesprochen werden darf! - krank ist etc.); sie sind  unnötig, zum Teil regelrecht peinlich, und lassen den Film, von dem eigenartigerweise immer wieder gesagt wurde,  er zeichne sich durch eine melancholisch-heitere Grundstimmung aus, stellenweise lediglich  hektisch wirken, erwecken beim heutigen Zuschauer den Eindruck er schaue sich eine “Daily Soap” an, in der die Figuren auch während einer einzigen Folge mehr durchleben als jeder normale Mensch in einem Jahr. Man erinnert sich nach einer Sichtung gar nicht mehr an alle  Kleinigkeiten, weiss deshalb auch nicht mehr, was nun eigentlich als relevant eingestuft werden soll. - Dabei geht es doch - dies deutet auch die wunderschöne Musik von Georges Delerue immer wieder an - einzig um den Triumph des Filmemachens über alles, sogar über das fertige Produkt. Hätte man sich da einiges an Trivialitäten nicht ersparen können?

Die schauspielerischen Leistungen sind durchwegs beachtlich: Valentina Cortese stiehlt als dem  Hochprozentigen zugeneigte Diva der alten Schule natürlich allen die Show, aber auch Jean-Pierre Léaud verleiht seinem unreifen Bengel, der sicher beim Film bleiben wird, ein herrlich trotziges Gesicht (manche glauben, er habe als Alphonse die Rolle seines Lebens gefunden) - und Jacqueline Bisset zeigt, dass sie eine der sinnlichsten Schauspielerinnen ist, die je auf der Leinwand zu bewundern waren (ich frage mich immer wieder, weshalb sie nie zum Superstar aufstieg und sich in den 80er und 90er Jahren sogar für Machwerke wie “Rich and Famous”, 1981, und “Wild Orchid”, 1990, hergeben musste). --- Wenn ich “La nuit américaine” trotzdem als verpasste Chance, ein Meisterwerk über das Filmemachen zu drehen, betrachte, tröste ich mich mit dem Gedanken, dass der Film besonders in Frankreich zum Teil wegen  seiner unkritischen Begeisterung und dem mangelnden Interesse an der politischen  Dimension des Themas wesentlich heftiger kritisiert wurde. Die Beziehung Truffauts zu seinem langjährigen Weggefährten Godard ging damals sogar endgültig in die Brüche. - Es scheint mir, Truffaut habe im von manchen für überschätzt gehaltenen “Le dernier métro” (1980) zu jener Ökonomie gefunden, die auch “La nuit américaine” gut angestanden hätte: Es geht in diesem Film unter anderem auch um eine Dreiecksgeschichte, unverrückbar im Mittelpunkt steht dort jedoch diese nicht zu stillende Leidenschaft für das Theater in einer schweren Zeit.

Samstag, 3. Juli 2010

Kontext ohne Film?

Ach, was soll in Sommernächten
Ich zu Liebesfilmen schmächten - äh - schmachten, 
Wenn am hohen Himmelszelt
Etwas leuchtet, was gefällt?

Schon diese frühe Fassung eines heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Gedichts - "Füllest wieder Busch und Tal" - von Goethe (der 1764 seiner Geliebten Charlotte von Stein gewidmete Versuch wurde erst kürzlich in ihrer Nachttischschublade entdeckt) zeigt, dass der hysterisch dreinblickende Typ weder fürs  Reimen noch fürs Dichten im Speziellen gemacht war. Immerhin muss man ihm zugestehen, ein Motiv entdeckt zu haben, auf das meine Doo Wop-Götter auch immer wieder zurückkamen, wenn sie in herrlichen Tönen die Liebe besangen: den Mond!


So nahmen etwa The Capris die Anwesenheit des Leuchtkörpers gerührt zur Kenntnis (There's a Moon Out Tonight") und wussten auch, was  in solchen Nächten alles anzufangen wäre, während The Chaperones gleich zu einem Cruise to the Moon ansetzten. Die offenbar farbenblinden The Marcels stellten ihn sich blau vor und schafften es mit "Blue Moon" sogar in einen John Landis-Klassiker, was The Enchanters nicht davon abhielt, "Spellbound by the Moon" zu sein. The Del Vikings hielten es für nötig, sich das Ding freundlich zu stimmen ("Friendly Moon"), und Frankie Love erhob es gleich zum Moon of Love. - Ist es da noch verwunderlich, dass The Olympics sogar zu einem Dance by the Light of the Moon einluden? --- Die ernüchternde Feststellung, dass auch ein Mond nur aus Papier sein könne ("It's Only a Paper Moon"), blieb jedoch ausgerechnet dem Mädchenschwarm Dion vorbehalten, der in den frühen 60er Jahren zusammen mit seinen  Belmonts noch einmal alle grossen Doo Wop-Titel recyceln sollte:



Was nun - wird sich der geneigte Viertel-Leser, der mir noch geblieben ist, fragen - will uns der Film-Blogger damit verkünden? Geht es ihm einfach darum, uns zu sommerlicher Stunde von den schrecklichen RomComs (Romantic Comedies) abzuhalten, mit denen Hollywood seit einigen Jahren die Video-Läden füllt (das erste Jahrzehnt dieses Milleniums kündete bekanntlich mit Fetzen wie "Rumor Has It", 2005, oder "Must Love Dogs", 2005,  den Untergang der RomCom an!)? Bietet er uns die hehre - nächtliche - Natur als Alternative an --- und möchte uns dort eventuell vernaschen? - Oder sollte der Doo Wop lediglich als Vorwand für seine Liebe zur Malerei herhalten?  Will er uns etwa mit Caspar David Friedrich vergraulen?

Oh, lieber Viertel-Leser! Kannst du dir nicht vorstellen, dass diesem Kontext sehr wohl noch ein Film folgen wird, dass ich dich lediglich ein wenig auf die Folter spannen möchte, nachdem ich mich nun mutig als alter Doo Wop-Freak geoutet habe? - Lass dir doch einfach ein paar Möglichkeiten durch den Kopf gehen, während ich die lauen Sommerabende geniesse! Vielleicht finde ich endlich den Mut, "American Graffiti" (1973) zu besprechen; eventuell lasse ich mich auch zum Science Fiction-Klassiker "Le Voyage dans la Lune" (1902) von Georges Méliès hinreissen oder trabe boshaft mit "The Man in the Moon" (1991) an? Und welche Freude würde dir gar Aufgewärmtes zu "An American Werewolf in London" (1981) bereiten? Sollte ich in ein paar Tagen Chabrols "Die Wahlverwandtschaften" (1981) lobpreisen, zu denen das Dichterlein selber das Drehbuch schreiben wollte (zum Glück liess man den alten Knacker, der ohnehin nach "Mehr Licht!" verlangte, gar nicht erst ran)?

Vielleicht aber - und auch das muss mal ernsthaft in Erwägung gezogen werden - habe ich  einfach keine Lust, dich während des ganzen Sommers alle fünf Tage mit einem ellenlangen Essay zu beliefern, derweil du mit deiner neuesten Eroberung auf einer Waldbank rumknutschst (was bei einem Viertel-Leser ohnehin reichlich komisch aussehen dürfte).  - Immerhin solltest du dem offensichtlichen Anachronismus in meinem kleinen Text auf die Spur gekommen sein: Goethe hatte als 15-Jähriger selbstverständlich noch keine Affäre mit der steinigen Charlotte! Vermutlich hatte er noch gar keine Haare am Pimmel und nahm wie eine grosse Figur des deutschen Films den Photoapparat mit ins Bett, wenn er gewisse Dinge - ausprobierte.

Montag, 28. Juni 2010

Zorniger junger Taugenichts


Samstagnacht bis Sonntagmorgen
(Saturday Night and Sunday Morning, Grossbritannien 1960)
Regie: Karel Reisz
Darsteller: Albert Finney, Shirley Ann Field, Rachel Roberts, Norman Hossington, Hylda Baker u.a.

Im Gegensatz zur noch immer heiss diskutierten und umstrittenen französischen "Nouvelle Vague" samt Ausläufern (François Truffaut scheint als Frühverstorbener wohl der einzige Regisseur dieser Stilrichtung zu sein, der allgemeine Anerkennung geniesst) ist das etwa zeitgleich entstandene britische "Free Cinema" ziemlich in Vergessenheit geraten - zu Unrecht, wie ich meine. Die Filme, die in den späten 50er und frühen 60er Jahren von jungen Regisseuren gedreht wurden, sind kaum mehr im Fernsehen zu sehen; nicht einmal Programmkinos kämen auf die Idee, eine Retrospektive auf die Beine zu stellen.

Man muss vielleicht zuerst betonen, dass das "Free Cinema" (dummerweise auch "New Wave" genannt) so gut wie nichts mit der "Nouvelle Vague" gemeinsam hat: Während sich die Franzosen gegen eine eingefahrene Bildsprache und einen vorhersehbaren Erzählfluss wandten, stattdessen dem Individualismus des schöpferischen Filmemachers huldigten, ging es den Briten um eine beinahe dokumentarische Nachzeichnung des Alltags (vor allem der Arbeiterklasse in Nordengland), welche  schon   die Literatur, die den Filmen oft zugrunde lag, vorweggenommen hatte. - Die englische Literatur der 50er Jahre hatte sich bewusst gegen einen internationalen Modernismus gewandt, der etwa mit dem späten Joyce und Pound an einem Endpunkt angelangt war. Sie tat dies durch Rückbesinnung auf traditionelle Formen, die die kleinen Menschen mit ihren aufbegehrenden Plänen und ihrem oft unausweichlichen Scheitern schildern sollten. Die Regisseure des "Free Cinema" erkannten in diesen Vorlagen eine Gelegenheit, sich endlich mit einem eigenen Profil gegen die biederen Ealing-Comedies und das übermächtige Hollywood zu behaupten, das es den Engländern schon wegen der fehlenden Sprachbarriere immer schwer gemacht hatte, ein eigenständiges Kino zu entwickeln. So entstanden in einem Zeitraum von wenigen Jahren meist in Schwarzweiss gedrehte Meisterwerke über das Banale, die Schilderung der sozialen Realität letztlich gestrandeter Existenzen, die an Originalschauplätzen gedreht wurden und sich durch ihre Umgangsprache auszeichneten. Es waren etwa Verfilmungen der Werke von Kingsley Amis, John Osborne oder Keith Waterhouse: "Lucky Jim" (John Boulding, 1957), "Look Back in Anger" (Tony Richardson, 1959), "Billy Liar" (John Schlesinger, 1963) - und vor allem "The Loneliness of the Long Distance Runner" (Tony Richardson, 1962) nach einer Erzählung des am 25. April dieses Jahres verstorbenen Alan Sillitoe.

Auch Karel Reisz’s “Saturday Night and Sunday Morning”, ein Film, der als eines der Schlüsselwerke des “Free Cinema” gilt, beruht auf einer Vorlage von Alan Sillitoe. Erzählt wird die Geschichte des jungen Arthur Seaton, der die Woche über in der Industriestadt Nottingham als Akkordarbeiter in einer Fahrradfabrik malocht und nur für das Wochenende lebt, das ihm Gelegenheit bietet, sein hart verdientes Geld im Pub zu versaufen oder für weibliche Eroberungen auszugeben. Arthur, der sich damit brüstet, im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht vor den Vorgesetzten zu kuschen, hat ein Verhältnis mit Brenda, der Frau eines älteren Arbeiters. Gleichzeitig lernt er die ungebundene Doreen kennen, die sich jedoch nicht mit gelegentlichem Sex begnügt, sondern von Heirat und einem bürgerlichen Leben im Einfamilienhaus träumt. - Als Brenda von Arthur schwanger wird, will er sie zu einer Abtreibung überreden und schleppt sie sogar zu einer Tante, deren “Anweisungen” (eine halbe Flasche Gin in der mit warmem Wasser gefüllten Badewanne) allerdings auch nicht helfen.  Brendas Mann erfährt, was hinter seinem Rücken getrieben wird und lässt  Arthur von zwei Soldaten heftig verprügeln. Am Ende erleben wir den jungen Mann, der sich während eines Sonntagsspaziergangs mit Doreen über eine gemeinsame Zukunft unterhält. Ob man ihm eine echte Veränderung seiner Vorstellungen von der Zukunft abnehmen kann, bleibt ungewiss: Er selber reagiert auf die Bitte seiner Freundin, nicht mit Steinen auf ein Plakat zu werfen, mit einem “It won’t be the last one I throw”.

Der Film mag dem heutigen Zuschauer auf den ersten Blick “veraltet” vorkommen, da man alle diese Geschichten über Figuren aus der Arbeiterklasse mittlerweile zur Genüge kennt. Seinerzeit war er (er gilt  als eines der ersten “Kitchen-Sink”-Dramas)  eine ganz neue Erfahrung für die Kinogänger, beinahe ein Schock - und er rief wegen seiner angeblichen Freizügigkeit sogar die Zensurbehörden auf den Plan. Man war zwar diesen aufbegehrenden jungen Männern in Hollywood-Filmen der 50er Jahre schon begegnet (“The Wild One”, 1953, “Rebel Without a Cause”, 1955); ihre Darstellung war damals jedoch eher etwas sensationalistisch und fernab von der Realität angelegt gewesen.  Arthur Seaton  hingegen benahm sich alles andere als sensationalistisch: er schien vielmehr dem Leben direkt entsprungen zu sein, wirkte bisweilen vulgär, war ein unsympathischer Kerl mit grossen Sprüchen (“Don’t let the bastards grind you down!”, “All I want is a good time. The rest is propaganda”), der es, dies verriet Albert Finney mit jeder seinen Charakter entlarvenden Bewegung, seiner primitiven Gier, einem Überlegenheitsgehabe und dem Ausweichen, wenn es wirklich darauf ankam (etwa im Gespräch mit Brenda über ihre Schwangerschaft), nie weiterbringen würde als seine Eltern, von denen er behauptete: “They have a TV set and a packet of fags, but they’re both dead from the neck up.” - Also ein Mann, mit dem man sich kaum identifizieren wollte.




Was ist schuld an Arthur’s Situation? - Er selber führt sich zwar - etwa beim Angeln mit seinem besten Kumpel - als “Angry Young Man” auf und wälzt alles auf die Umgebung, die soziale Situation ab. Und tatsächlich: Wer die engen “terrace houses” sieht, in denen die Leute aufeinander wohnen, wer die Verhältnisse in der Fabrik (etwa den tyrannischen Vorgesetzten, der immer erzählt, früher sei alles viel schlimmer gewesen) miterlebt und darüber staunt, wie sich andere den tristen Umständen der Arbeiterklasse resigniert angepasst haben, wird schon ein gewisses Verständnis für den sich an allem Reibenden aufbringen. Was aber tut Arthur selber, um zu einem besseren Leben zu gelangen? - Er lässt sich vollaufen, bis er die Treppe hinunterstürzt, legt einer Arbeiterin eine tote Ratte vor die Nase - und verpasst mit seinem Luftgewehr einer fetten Tratschtante aus der Nachbarschaft eine Erinnerung in den Allerwertesten. Dies sind alles keine Heldentaten, auf die ein “Rebell” stolz sein kann - und der Prolet mit seinen kindischen Racheakten erweist sich sogar als vollendeter Feigling, als er auf einem Jahrmarkt die Flucht ergreift, nachdem Brendas Mann dem Verhältnis auf die Spur gekommen ist und seine Frau schlägt.

Albert Finney, der in “Saturday Night and Sunday Morning” seine erste Hauptrolle spielte und über Nacht zum Star wurde, verleiht seinem Arthur Seaton all jene trotzigen Züge, die die Figur zu einem lebensechten Antihelden machen, über den man sich oft regelrecht ärgert, weil er die Schuld an allem immer bei den anderen sucht und - dieser primitiv-“arrogante” Wesenszug ist ihm eigen - nicht den geringsten Versuch unternimmt, wirklich etwas zur Verbesserung seiner Situation beizutragen, weil sich die Situation seiner Meinung nach von selber ändern müsste. - Finney’s Darstellung allein (der Schauspieler sollte ja 1962 mit dem hierzulande zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratenen Meisterwerk “Tom Jones” Weltruhm erlangen und zu einer grossen, bis heute andauernden Karriere ansetzen), die den “Angry Young Man” auf einen - freilich durch die “Umstände” geprägten -  leeren Phrasendrescher gegen das Establishment reduziert,  macht den Film noch heute zu einem aussergewöhnlichen Erlebnis. Hinzu kommen der bemerkenswerte Jazz Score von John Dankworth, der für das britische Kino neu gewesen sein dürfte und  jene die Geschichte durchziehende Zwiespältigkeit (soziale Situation / fehlender Wille, sich zu verbessern) unterstreicht. Dies alles wird ergänzt durch  die ungeschönten Aufnahmen von der Realität einer einstigen Industriestadt in den Midlands. - Mag vielleicht “Saturday Night and Sunday Morning” aus heutiger Sicht auch nicht ganz an Filme wie “The Loneliness of the Long Distance Runner” heranreichen: er ist mit  Sicherheit ein sensibles Alltagsprotokoll der 60er Jahre und prägte eine wichtige Figur des “Free Cinema” - jenen zornigen jungen Taugenichts, in dessen eigenen Händen es liegt, seine Zukunft zu gestalten.

Der gebürtige Tscheche Karel Reisz, dem nicht die Karriere eines John Schlesinger oder eines Tony Richardson vergönnt sein sollte, widmete sich auch in späteren Filmen, die von der Kritik gelobt wurden, aber an den Kinokassen scheiterten (“Morgan: A Suitable Case for Treatment”, 1967, “Isadora”, 1968, oder “The Gambler”, 1974), der Darstellung eines exzentrischen Individualismus. Mit der Verfilmung von John Fowles’ Roman “The French Lieutenant’s Woman” (1981) gelang ihm sein grösster Wurf. - Und ich komme als Fan der Country-Sängerin Patsy Cline natürlich nicht umhin, auf das von ihm gedrehte Biopic “Sweet Dreams” (1985) hinzuweisen...

Leider war das "Free Cinema" eine Sache, die Mitte der 60er Jahre recht schnell durch Grossproduktionen abgelöst wurde. Die Bewegung hatte jedoch einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf  Filme, wie sie seit den 80ern von Ken Loach oder Mike Leigh hervorgebracht werden. Man könnte - diesen Hinweis verdanke ich meinem Blogger-Freund "tschill" (Ockhams Axt)  - vielleicht behaupten, das mangelnde Interesse am "Free Cinema" ausserhalb Englands habe damit zu tun, dass die von ihm geprägten Formen erfolgreich tradiert wurden, während über die Vertreter der "Nouvelle Vague" zum Teil  Kübel der Häme ausgegossen werden. - Trotzdem wird jeder, der sich mit der Geschichte des englischen Films beschäftigt, auf kleine Perlen stossen, wenn er sich den vergessenen Vorläufern der heute aus Grossbritannien kommenden sozialrealistischen Filmen zuwendet.

Mittwoch, 23. Juni 2010

Grossmuttis Schmachtfetzen

Drei Münzen im Brunnen
(Three Coins in the Fountain, USA 1954)

Regie: Jean Negulesco
Darsteller: Clifton Webb, Dorothy McGuire, Jean Peters, Louis Jourdan, Rossano Brazzi, Maggie McNamara u.a.

Während sich die vom Krieg geschundenen Deutschen in den 50er Jahren mit Filmen zufrieden geben mussten, die ihnen die Schönheit ihres Landes schmackhaft zu machen versuchten, sehnte sich der durchschnittliche Amerikaner nach einem Trip durch bedeutende europäische Städte, und sei’s auch nur auf der Leinwand. Rom, die ewige Stadt, war besonders gefragt, was wohl nicht zuletzt damit zu tun hatte, dass in Studios hergestellte  “Bibelpornos” (ich benutze den Begriff, weil ich die Frömmelei in den betreffenden Monumentalfilmen geradezu obszön finde) wie “Quo Vadis” (1951) die Zuschauer neugierig auf das wirkliche Rom machten - oder auf das Rom, das ein amerikanischer Tourist zu sehen wünschte...

William Wyler lieferte 1953 mit “Roman Holiday” eine bis heute unerreichte Vorlage, die vorführte, wie man eine Stadt mit vielen ihrer Eigenarten grandios in eine passende Story einzubetten vermag. Diese Paramount Pictures-Produktion in Schwarzweiss versuchte Twentieth Century Fox 1954 mit dem ersten ausserhalb der Staaten gedrehten Cinemascope-Spektakel “Three Coins in the Fountain”  zu übertrumpfen. Was die Zuschauer jedoch vorgesetzt bekamen, war eine sich in einem Postkarten-Rom abspielende Soap Opera der heute eher als unerträglich empfundenen Art. - Und sie fand Anklang.

Drei amerikanische Sekretärinnen, Anita, Frances und die eben erst in Rom eingetroffene Maria stehen im Mittelpunkt der Handlung. Maria erfährt von ihren neuen Freundinnen, dass man eine Münze in den Trevi-Brunnen werfen und sich wünschen kann, ein Jahr lang in Rom bleiben zu dürfen. Anita, die in die Staaten zurückkehren will (angeblich wird sie dort heiraten; in Wirklichkeit ist sie in ihren Mitarbeiter, den Übersetzer Giorgio, verliebt, den sie - Firmenpolitik! - nicht privat treffen darf), verzichtet dieses Mal auf den Wurf, während Frances, die sich seit vielen Jahren nach ihrem Arbeitgeber, dem Schriftsteller Shadwell, verzehrt,  die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat. - Und schon bald nehmen drei belanglose Liebesgeschichten, die die Aufnahmen von der Spanischen Treppe und der Villa Borghese rechtfertigen sollen, ihren Lauf. Maria verliebt sich ausgerechnet in den Prinzen Dino, einen stadtbekannten Frauenhelden, der seine Eroberungen zu einem Ausflug nach Venedig einzuladen pflegt (die “Neue” nimmt die Einladung an, trudelt aber zusammen mit Frances, einem früheren Opfer des Prinzen, ein - was dem Bilderbuch-Film Gelegenheit bietet, Venedig zusammen mit Rom in einem Aufwasch mitzunehmen). Anita wird unterdessen von Giorgio, der später Anwalt werden will, zu einem Familienfest aufs Land eingeladen - und auch die Beziehung zwischen Frances und Shadwell scheint sich in die gewünschte Richtung  zu entwickeln. Maria versucht sogar, ihren Prinzen zu zähmen, indem sie vorgibt, die gleichen Dinge zu mögen, die er mag (Kunst, Essen, Musik). All dies führt zu “amore” vor neo-impressionistischen Gemälden im Museum, in einer Rossini-Oper, vor der Schreibmaschine und zwischen Apfelbäumen. --- Natürlich bedarf es einiger  die 102 Minuten Laufzeit notdürftig ausfüllender Komplikationen (Giorgio erhält die Kündigung, weil er zusammen mit Anita beobachtet wurde,  Shadwell erfährt, dass er an einer schweren Krankheit leidet, was der unterschätzten Dorothy McGuire - sie erhielt trotz ihrer grossen Rollen nicht einmal einen Stern auf dem Walk of Fame - nach einem Besäufnis mit ihrem Arbeitgeber die Möglichkeit bietet, noch vor Anita Ekberg in einen römischen Brunnen zu steigen), bevor das unausweichliche Glück der drei Paare besiegelt werden kann.

Die Zusammenfassung der Handlung tönt abschreckend genug. Was dem heutigen Zuschauer jedoch den Rest geben dürfte, ist der Oscar-prämierte Titelsong, den Frank Sinatra schon zu einer rund vier Minuten dauernden Pre-Credit-Sequenz von sich geben darf, die die magischen Fähigkeiten der neuen Cinemascope-Kameras, welche ein idealisiertes Rom in seiner ganzen Länge und Breite einfangen, vorführt. - Wir wissen nicht, wie unsere Grosskinder einmal über die Titelsongs der heutigen Filme urteilen werden; aber die Schmachtfetzen der 50er Jahre warteten mit einigen musikalischen Erzeugnissen auf, die nun wirklich höchstens unsere Grossmütter zum Schluchzen gebracht haben dürften. Und in meiner “Hitparade des Schreckens” nimmt “Three Coins in the Fountain” neben “Raintree County” (1957) den Spitzenplatz ein. - Fox vergass im Eifer des Gefechts übrigens, sich die Rechte am Song zu sichern, weshalb diverse Sänger und Gruppen (u.a. “The Four Aces”) ebenfalls Geld damit verdienen konnten.

Das Cinemascope-Verfahren betont die herrlichen Schauplätze dermassen, dass die Darsteller  in den luxuriösen Innenräumen, vor den Bildern, die ein antikes und ein modernes Rom einzufangen versuchen, beinahe verloren gehen, was angesichts ihrer begrenzten Möglichkeiten, sich in diesem flachen Liebesfilmchen zu entfalten, nicht weiter bedauerlich ist: Louis Jourdan spielt eben das, was er  schon immer spielen konnte: einen Schönling. Die Schauspielerinnen müssen sich  hingegen wie Dummchen erster Güte aufführen, die nur die Liebe respektive das Einfangen von Männern im Kopf haben - was eigentlich entwürdigend wirkt. Einzig der grosse Clifton Webb kann als blasierter Schriftsteller mit herrlich britischem Akzent einige Szenen für sich verbuchen. - Was jedoch am meisten stört: Im Gegensatz zu Wyler bezieht “Three Coins in the Fountain” Rom in keinster Weise in die Geschichte mit ein. Man geht zwar am berühmten “Mund der Wahrheit” vorbei, sieht das Kolosseum im Hintergrund - aber all dies nur, damit der amerikanische Kinogänger überhaupt erfährt, dass sich die Dinger in Rom befinden. Einzig der Brunnen von Trevi wird mit derart kitschiger Bedeutung aufgeladen, dass die Legende entstand, erst seit dem Film würden Münzen hineingeworfen. Abgesehen davon wird Rom - und das sagt eigentlich schon alles - höchstens durch ein paar Trauben heraufbeschworen, die sich in einer Schale auf einem Tisch mit grundsätzlich kariertem Tischtuch befinden. - Es verwundert nicht, dass “Three Coins in the Fountain” auch für die beste Farbkamera einen Oscar bekam; dass man das traurige Ereignis jedoch neben Meisterwerken wie “On the Waterfront” und “The Caine Mutiny” als “Besten Film” nominierte, ist ein Skandal.

Man mag sich fragen, weshalb ich diesen Film über Rom, dem wahrlich bessere entgegenzustellen wären (neben “La dolce vita”, 1960, etwa sogar “Only You“, 1994), überhaupt bespreche. Nun, es geht mir nicht zuletzt um die Figur, die ich bis jetzt bewusst ausgespart habe: den Regisseur. - Der rumänischstämmige Jean Negulesco (1900 - 1993) gehört nämlich wohl zu den eigenartigsten, sich dem heute an der Geschichte des Hollywood-Films Interessierten am meisten entziehenden Figuren der Traumfabrik. Dies mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass sein Name hierzulande höchstens im Zusammenhang  mit gelegentlich ausgestrahlten Belanglosigkeiten wie “How to Marry a Millionaire” (1953) oder “Titanic” (1953) auftaucht.  - Tatsächlich war Negulesco jedoch einmal ein gerade wegen seiner Melodramen (“Humoresque”, 1946,  oder “Johnny Belinda”, 1948, der ihm seine einzige Oscar-Nominierung einbrachte) ausserordentlich geschätzter Regisseur. Er erwies sich aber auch als äusserst “anspassungsfähig” im  Sinne von “gefällig“, weshalb er der Gunst der Kritiker mit der Zeit verlustig ging (spätere Filme wie “Jessica”, 1962, oder “The Pleasure Seekers”, 1964, eine Verlegung des hier besprochenen Films nach Madrid, wirken heute regelrecht peinlich). Diese “Anpassungsfähigkeit” überfiel den Regisseur allerdings  erst mit seinem Ruhm (er galt auch  als einer der frühen Meister des Cinemascope-Verfahrens); sie war nicht von Anfang an vorhanden, und es ist in seinem Werk vielleicht nur eine Konstante auszumachen: die Vorliebe für Episodenfilme, Filme, in denen mehrere Handlungsstränge nebeneinander  herlaufen, wobei man beinahe behaupten könnte, Negulesco sei - obwohl er diese “Neurose” längst nicht in allen seinen Arbeiten kultivieren konnte - auf die Zahl “Drei” geradezu  fixiert gewesen (vgl. neben den hier erwähnten Werken etwa auch “Three Came Home“, 1950).


Negulesco wollte ursprünglich Maler werden, stürzte sich auf Anraten eines Kritikers jedoch ins Filmgeschäft und debütierte nach beinahe zehn Lehrjahren 1944 mit dem Film noir “The Mask of Dimitrius”,  den er unbedingt mit Sydney Greenstreet und dem von ihm ausserordentlich geschätzten Peter Lorre besetzen wollte. Es folgten zwei weitere “Noirs” mit Lorre, von denen “Three Strangers” (1946) als besonders sehenswert bezeichnet werden darf. - Diese frühe Gruppe von “Films noirs”, der noch “Nobody Lives Forever" (1946) hinzuzufügen wäre, ist vielleicht als der  eigentliche  Höhepunkt im filmischen Schaffen des Regisseurs zu bezeichnen, scheint sie doch kompromisslos jenes seltsam Mysteriöse, beinahe Abergläubische (kann man sein Schicksal umgehen?) einzubringen, das anderen “Noirs” fehlte, weil es eben zu einem noch nicht von der Traumfabrik willig “geformten” Negulesco gehörte, etwas Eigenes war. Leider sind die erwähnten Filme, derer sich das ZDF vor Jahren annahm, in Deutschland nicht auf DVD erhältlich.

Wirkliche Berühmtheit erlangte der Regisseur jedoch mit seinen grossen Melodramen der 40er Jahre - und er verfiel bald dem Reiz jener “Anpassungsfähigkeit” (die Engländer würden von “versatility” reden), die ihn wohl sich auf unangenehme Weise derart entziehend  macht, weil er letztlich weniger als jeder andere Hollywood-Regisseur etwas Individuelles zu bewahren vermochte. Man erkannte seine technischen Fähigkeiten, und er liess sich nur zu gerne “verwenden” - wofür auch immer. “Titanic” schrie geradezu nach mehreren Handlungssträngen, und es war verlockend, mit “How to Marry a Millionaire” den zweiten Cinemascope-Film von Fox zu verwirklichen. Vermochte diese reizvolle Komödie jedoch mit Stars wie Marilyn Monroe und Lauren Bacall aufzuwarten, bot “Three Coins in the Fountain” nur noch technische Meisterschaft verschwendet für eine Banalität. Von Negulescos späteren Filmen ist höchstens noch “Daddy Long Legs” (1955) mit Fred Astaire erwähnenswert, der Rest lief der Zeit hinterher - und das belanglose Wesen, zu dem sich dieser im Ansatz interessante Regisseur entwickelt hatte, zeigt sich vielleicht besonders deutlich in einer seiner nichtssagenden Äusserungen gegenüber der “Los Angeles Times”: “I have found nothing to compare to the beauty of the American girl... - She is more confident and independent than the girls in Europe, and she stays young longer.” --- Was für eine tiefgründige Einsicht nach vielen Jahren im Film-Business!!!

Eigentlich ein merkwürdiger Kerl, dieser Jean Negulesco. Man möchte ihn mit Händen greifen, seine mögliche  Grösse beschreiben - und man könnte es vielleicht auch, hätte er weiterhin Filme gedreht, in denen seine Handschrift derart deutlich zur Geltung gekommen wäre wie in den ersten - hierzulande leider vergessenen - Arbeiten.