Sonntag, 5. Juni 2011

Kurzbesprechung: BLUT AN DEN LIPPEN

BLUT AN DEN LIPPEN (LES LÈVRES ROUGE, auch LE ROUGE AUX LÈVRES, engl. DAUGHTERS OF DARKNESS, auch BLOOD ON THE LIPS und weitere Alternativtitel)
Belgien/Frankreich/Deutschland 1971
Regie: Harry Kümel
Darsteller: Delphine Seyrig (Elisabeth Bathory), John Karlen (Stefan), Danielle Ouimet (Valerie), Andrea Rau (Ilona), Paul Esser (Portier), Georges Jamin (Kriminalbeamter), Fons Rademakers (Mutter)

Ein frisch verheiratetes junges Paar, mit dem Zug unterwegs nach England, macht Halt in Ostende und steigt in einem Luxushotel am Strand ab - eigentlich nur für eine Nacht. Bis auf den alten Portier scheint das Hotel menschenleer. Doch dann treffen zwei weitere Gäste ein: Die ungarische Gräfin Elisabeth Bathory und ihre Zofe Ilona. Der Portier meint sich zu erinnern, dass die Gräfin schon einmal im Hotel abgestiegen ist - aber in seiner Jugend, also vor Jahrzehnten.


Das junge Paar gerät schnell in den Bann der mysteriösen Fremden. Die Gräfin scheint sich für Valerie, die Braut, zu interessieren, was Stefan, den Bräutigam, nervös und Ilona eifersüchtig macht. Valerie lernt dunkle Seiten ihres Ehemannes kennen, von denen sie bisher keine Ahnung hatte. Ein pensionierter Kriminalbeamter bringt weitere Unruhe. Er ist den beiden Ungarinnen aus Brügge hinterhergereist, wo sie zuvor abgestiegen waren - und wo mehrere junge Frauen ermordet und völlig blutleer aufgefunden wurden ...


Delphine Seyrig (LETZTES JAHR IN MARIENBAD, DER DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE, JEANNE DIELMAN) in einem (wenn auch zahmen) Horrorfilm am Rande der Exploitation? Harry Kümel hat es zuwege gebracht, mit Hilfe von Alain Resnais. Resnais war nicht nur Seyrigs Regisseur bei MARIENBAD und MURIEL ODER DIE ZEIT DER WIEDERKEHR, er und Seyrig waren damals auch ein Paar. Und er war und ist ein Fan von solchen Genrefilmen, und er überredete Seyrig, das Angebot anzunehmen. Mit ihrer mondänen Erscheinung und ihrer rauchigen Stimme ist sie die Idealbesetzung. Und ihre Kleider! Kümel nahm sich vor, sie in Szene zu setzen, wie es einst Josef von Sternberg in seinen Hollywoodfilmen mit Marlene Dietrich gemacht hatte, und das ist ihm gelungen. Manche Aufnahmen von ihr sind ziemlich atemberaubend.


Der Belgier Harry Kümel konnte 1971 mit seinem Geniestreich MALPERTUIS noch einen draufsetzen, dann verflachte seine Karriere etwas. Neben Arbeiten für Fernsehen und Theater wirkte er auch als Dozent für Film. Mit seiner Mischung von sanftem Horror am Rande des Trash und dezenter Erotik wandelt BLUT AN DEN LIPPEN in ähnlichen Spuren wie Filme von Jean Rollin aus dieser Zeit, z.B. der ähnlich betitelte LÈVRES DE SANG. Aber bei Kümel ist alles viel gediegener. Die Innenaufnahmen fanden in zwei sehr noblen Hotels in Brüssel bzw. Ostende statt, und Kümels Budget war zwar nicht üppig, dennoch hatte er viel mehr Geld zur Verfügung als Rollin jemals.


Das lag auch am Coproduzenten Luggi Waldleitner, der auch Andrea Rau einbrachte. Sie hatte zuvor in einigen deutschen Nackedeifilmchen mitgespielt. Eine große Schauspielerin vor dem Herrn ist sie wohl nicht, aber das musste sie hier auch nicht sein. Mit ihrem Schmollmund und ihrem Talent für laszive Bewegungen (sie hat eine Ausbildung als Tänzerin) ist sie ziemlich perfekt. Mit seinem luxuriösen bis schwülstigen Dekor und den schönen Frauen ist BLUT AN DEN LIPPEN ein Film für's (nicht nur männliche) Auge. Für Horrorfans im engeren Sinn ist er weniger geeignet. Dafür passiert zu wenig, und die Stimmung ist auch nicht wirklich unheimlich, eher morbid bis fatalistisch.


BLUT AN DEN LIPPEN ist in Deutschland, England, USA und weiteren Ländern auf diversen DVDs erschienen, die sich in Bildqualität und Bonusmaterial stark unterscheiden. Die üblichen Quellen wie OFDb und DVD Beaver bieten nähere Informationen. Der Film wurde aufgrund der internationalen Besetzung auf Englisch gedreht, die Sprachfassungen sind also überall identisch.

Mittwoch, 1. Juni 2011

Des Bloggers Trost?

Ein paar Verse von Walther sîne bruoder mit dem vogel


(und seid mal froh, dass ich dies Kleinod von einem Poem nicht
in Mittelhochdeutsch verfasset habe!)



                          Der Sommer naht; es schwinden Clicks und Kommentare -
                          So mancher Blogger kommt sich vor wie Ausschussware.
                          Er fragt sich: “Sinds die Neuzugänge? Liegts an mir?”
                          Ertränkt den Kummer in viel Schnaps und noch mehr Bier.


                          “O nein!”, entgegne ich, es liegt an Trieben,
                          Die - grob geschätzt - Ende August verfliegen.
                          Bis dahin haben Leser wie auch Leserin ihr bisschen Lust verspritzt,
                          Und kehren reuevoll zu dir zurück - wenn auch verschwitzt.


                          Du wirst sie nicht mit Worten wie “Versager!” oder ”Blöde Gans!” verletzen,
                          Sie meistens auch nicht nach zwei Dates bereits versetzen.
                          Doch brüllt die Horde “Her mit Postings! Meäh! Noch meäh!” erbost,
                          Dann nennt man sie des Bloggers Fluch - nicht Trost.
       
                                                                                                                 (für gabelingeber)                                                                                                              

Samstag, 28. Mai 2011

Kurzbesprechung: Life with Father


Unser Leben mit Vater
(Life with Father, USA 1947)

Regie: Michael Curtiz

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann ein sich zunehmend der moralischen Heuchelei hingebendes Hollywood zu erkennen, mit welch frivolen, verwerflichen, ja geradezu kommunistisch unterwanderten Machwerken es sein Publikum dem Teufel ausgeliefert hatte, als es dieses in den 30ern und frühen 40ern mit den erfolgreichen Screwball Comedies in die Kinosäle lockte.  Deshalb: Neue Konzepte für Komödien mussten her; und nachdem man sich eine Zeitlang noch auf lustige Weise mit dem Krieg auseinandergesetzt hatte, galt es auch das Fernsehen mit seinem familientauglichen Programm als Konkurrenten ernst zu nehmen. Also familientaugliche Komödien, an denen selbst ein Senator McCarthy, dessen "Geruch" sich schon vor seinem Antritt bemerkbar machte, nichts auszusetzen haben würde! Und was war familientauglicher als Komödien, in denen es gleich um eine ganze Familie (Vati, Mutti und eine mehr oder weniger grosse Kinderschar) ging? - So entstanden um 1950 eine ganze Reihe von Filmen,  die vielleicht als ganz nett zu bezeichnen sind, ohne je den frechen Charme einer Screwball Comedy zu erreichen: “Sitting Pretty” (1948), “Mr. Blandings Builds His Dream House” (1948), “Cheaper By the Dozen”, 1950, nicht annähernd so billig wie das “Remake” mit Steve Martin (2003). - William Wyler benutzte 1956 für seinen meisterhaften “Friendly Persuasion” sogar Elemente der “Familienkomödie”, aus denen er dann aber eine mit tragischen Wendungen versehene Geschichte über den amerikanischen Civil War formte.

Ich weiss nicht, welches die erste dieser "Familienkomödien” über eine Familie war, vermute aber, der einst gefeierte “Life with Father” sei ziemlich am Anfang gestanden. Der eher aus einzelnen Anekdoten bestehende, auf einem höchst erfolgreichen Broadwaystück basierende Film erzählt vom cholerischen rothaarigen Wall Street Broker Clarence Day, Sr., der in den 1880ern seine Familie und seine Umwelt mit mehr als fester Hand zu regieren glaubt, ohne zu bemerken, dass es sein trautes Weib Vinnie ist, das im Hintergrund die Dinge  ihren Weg gehen lässt, sich auch der Probleme der vier rothaarigen Söhne, deren ältester sich in die junge Elizabeth Taylor verliebt, dem Rat des Vaters folgend das zarte Pflänzchen aber beinahe gefährdet, annimmt.  Während Gary Cooper im erwähnten Wyler-Film jedoch die streng gläubige Quäker-Gattin gar oft hinters Licht würde führen dürfen, ist es hier die von Kritikern als “the lady Gandhi of the Screen” bezeichnete moralische Allzweck-Waffe Irene Dunne, die sich Sorgen um den ungläubigen, offenbar nie getauften Mann macht (“I don’t go to church to be preached at as though I were some lost sheep!”). - Und mit Hilfe des braven Rev. Dr. Lloyd, dessen Predigt sich auch der Zuschauer eine geschätzte Ewigkeit lang anhören darf, scheut das gottesfürchtige Ding keine Mühe, Vati mit sanfter Tyrannei auf den rechten Weg zu leiten.

William Powell, der als trinkfester Nick Charles in diversen “Thin Man”-Filmen  wahrhaft  schon bessere Zeiten gesehen hatte, aber in der Rolle des zu Selbstgesprächen neigenden und sämtliche Dienstmädchen vertreibenden Polterheinis für eine der vier Oscar-Nominierungen, die sich die Komödie holte, zuständig war, musste sich - der Production Code war am Werk! - diverse im Bühnenstück vorkommende “Damns!” verkneifen. Denn schliesslich sollte hier ein moralisches Exempel statuiert werden. - Der Film erschien in Deutschland im Rahmen einer DVD-Reihe, die den Titel “Vergessene Filmklassiker” trägt. Nun ja, vergessen ist er...

Montag, 23. Mai 2011

Vom Marlene-Ersatz mit Paprika im Blut

Frauen sind doch bessere Diplomaten
(Frauen sind doch bessere Diplomaten, Deutschland 1941)

Regie: Georg Jacoby
Darsteller: Marika Rökk, Willy Fritsch, Aribert Wäscher, Hans Leibelt, Georg Alexander, Leo Peukert, Erika von Thellmann, Herbert Hübner, Rudolf Carl, Inge Landgut u.a.

Die Geschichte ist bekannt: Goebbels wollte die Dietrich. Die aber dachte nicht im Traum daran, nach Nazi-Deutschland zurückzukehren. Ersatz musste her, und man fand ihn in der Schwedin Zarah Leander, die wohl ebenso ergreifend wie Marlene barfuss in die Wüste gezogen wäre,  für diese Szene jedoch weite Hüllen benötigt hätte. Denn die Leander, die anlässlich der “Orgien” in ihrer Villa im Grunewald  jeden SS-Mann unter den Tisch soff, hatte wesentlich mehr als ein paar Pfündchen  zu viel auf den Knochen  (was man in ihren Filmen geschickt zu kaschieren wusste). - Sie mochte sich also für die schmachtende Seite von Marlene eignen, sogar mit prägnanter Altstimme brillieren; die etwa in "Destry Rides Again" (1939) vorgeführte verführerische Ausgelassenheit deckte sie nicht ab. - Doch auch hierfür fand man Ersatz. Er hatte zwar wesentlich kürzere Beine als die Hollywood-Ikone, verfügte jedoch über eine umfassende Tanzausbildung, wartete mit  beeindruckenden gesanglichen Fähigkeiten auf - und hatte (eine “Auszeichnung”, mit der sie, obwohl von den Nazis verliehen,  noch in den 70ern kokettierte)  Paprika im Blut.

Marika Rökk, Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin ungarischer Abstammung, wurde 1934 von der Ufa unter Vertrag genommen, und ihr Aufstieg ging förmlich Hand in Hand mit dem der Nationalsozialisten. Man schrieb ihr ihre Rollen in Gute-Laune-Filmen, die die Kinogänger mit eingängigen Melodien (“Ich brauche keine Millionen”, "Kauf Dir einen bunten Luftballon") von der Realität und den Verbrechen der Machthaber ablenken sollten, auf den Leib, baute sie bewusst nicht zuletzt mit gelegentlich für die sich bieder gebende Zeit recht frivolen Szenen zu einem Publikumsliebling auf - und tatsächlich entwickelten  sie und Johannes Heesters  sich unter der Regie ihres späteren Mannes Georg Jacoby zum Traumpaar des Revuefilms. - Man darf annehmen, dass die Rökk völlig in der Glitzerwelt, in die sie geschubst worden war, aufging, sich wegen ihrer mangelnden Kritikfähigkeit auch später nie wirklich von ihr distanzieren konnte und deshalb noch in ihren 1974 erschienen Memoiren schrieb, sie habe sich nach ihrer ersten Einladung zu einem Empfang bei Hitler vor allem überlegt, was sie anziehen solle. Obwohl sie, die zusammen mit ihrem Mann nach Kriegsende vorübergehend mit einem Betätigungsverbot belegt worden war, vielleicht nicht ihre Bedeutung als “Kriegsartikel” (Goebbels: "Die gute Laune ist ein Kriegsartikel. Unter Umständen kann sie nicht nur kriegswichtig, sondern kriegsentscheidend sein.") verstand, jedoch das Geschehene in seiner Grausamkeit hätte ermessen können, fügte sie sogar noch neckisch-naiv hinzu, sie habe immer auf den Führergruss verzichtet, da sie das Heben des rechten Arms als unkleidsam empfand. - Es war sicher lächerlich, sie 1945 der Spionage zu verdächtigen; ihre uneinsichtige Selbstbezogenheit, die sie auch in ihren Filmen der Nachkriegszeit zur Schau stellte, vermag den heutigen Zuschauer jedoch schon zu befremden, ja anzuwidern.


“Frauen sind doch bessere Diplomaten”, eine musikalische Komödie, in der die Rökk für einmal nicht in einer der für sie typischen Rollen (verkanntes Talent feiert am Ende auf der Bühne Erfolge) besetzt wurde, war der erste abendfüllende Farbfilm der Ufa in Agfacolor. Das etwas geschwätzige, aber luftig-lockere, in der Biedermeierzeit angesiedelte Lustspiel erzählt von der verführerischen Tänzerin Marie-Luise, die für ihren Onkel, einen Spielbankendirektor in Bad Homburg, bislang vor allem Männer  zum Geldverlieren animierte. Als 1848 das Kasino auf Beschluss der Frankfurter Nationalversammlung aus “moralischen” Erwägungen dichtgemacht werden soll, stellt sie sich als Vermittlerin zur Verfügung, gerät jedoch in die Gefangenschaft hannoveranischer Truppen, die die Schliessung durchsetzen sollen. Mit ihren kindlich-launischen Kapriolen bringt sie ihren Bewacher, den Rittmeister von Karstein, derart in Verwirrung, dass ihr die Flucht gelingt. Natürlich entwendet sie auch die Truppenpläne, die sie fälscht (sie fügt jeder Zahl eine Null hinzu), um den Homburgern eine kriegerische Auseinandersetzung aus dem Kopf zu schlagen. - Als die Hannoveraner nach einer weiteren Mission der Diplomatin tatsächlich als Freunde in Bad Homburg einmarschieren, setzt sie sogar die Einquartierung des Rittmeisters in ihrem Hause durch, obwohl doch die Frau des Bürgermeisters endlich einen passenden Galan für ihre lispelnde Tochter finden möchte. Doch ein überwältigendes Gartenfest mit Tanz und Gesang  führt noch lange nicht zum Happy-End. Denn einerseits möchte ein etwas eigenwilliger Vertreter der Reichsexekutive die Schliessung mit Gewalt durchsetzen; andererseits weiss von Karstein  nicht so recht, ob die Diplomatin Marie-Luise ("Sie erinnern mich an Helena: schön, aber kalt.") nun wirklich eine in ihn verliebte Frau, eine listige Schlange, die eine Schliessung mit allen Mitteln zu verhindern versucht  oder, wie von  des Bürgermeisters Gattin mehr als angedeutet, eine Verführerin sämtlicher Männer ist. Am Ende lässt er sich sogar von einem anderen Verehrer der Schönen zum Duell auffordern...

Der Farbfilm war für Goebbels Chefsache, betrachtete er ihn doch als Propagandawaffe. Er und sein Führer liebten das Kino, und voller Neid schauten sie sich die seit Mitte der 30er Jahre  im Technicolor-Verfahren hergestellten Farbfilme aus Hollywood an, konnten es beinahe nicht ertragen, in “Gone With The Wind” (1939) die filmische Zukunft zu erkennen - und forcierten mitten im Krieg die Perfektionierung des - wesentlich billigeren - deutschen Farbfilm-Pendants Agfacolor, mit dem die Konkurrenzfähigkeit des Ufa-Films zur Schau gestellt werden sollte. Dabei wollte Goebbels seine “Kino-Wunderwaffe” wirklich in erster Linie für beinahe ideologiefreie Unterhaltungsfilme einsetzen (lediglich Veit Harlans “Kolberg“, 1945, wurde ein Propaganda- respektive Durchhaltefilm in Farbe), deren erster “Frauen sind doch bessere Diplomaten” sein sollte. - Der Umgang mit dem neuen Farbfilm-Material erwies sich jedoch als ausserordentlich schwierig, zahlreiche Szenen mussten noch einmal gedreht werden und die Fertigstellung des Films, mit dessen Dreharbeiten 1939 begonnen worden war, nahm beinahe zwei Jahre in Anspruch, von den zusätzlichen Kosten gar nicht zu reden. Vielleicht hielt sich das Urteil des Propagandaministers über das Resultat, das die gleichgeschaltete Presse anlässlich seiner Kinopremiere über alle Massen zu feiern hatte,  deshalb in Grenzen: “Stoff schlecht, aber Farbwirkung gut.”


Nein, der Stoff war keineswegs schlecht, schloss er doch nahtlos an eines der wenigen grossen deutschen Lustspiele an, dessen Struktur vom Erschaffer, dem man einfach diesen “Nathan” verübelte, nicht von den Franzosen oder Engländern übernommen wurde, sondern “auf eigenem Boden gedieh“. G.E. Lessings “Minna von Barnhelm” (1767), als “Das Fräulein von Barnhelm” 1940 von Hans Schweikart ebenfalls verfilmt, beweist freilich zur Genüge, dass Frauen die besseren Diplomaten sind, lässt sich jedoch immer wieder erneuern und - was man  dem Jacoby-Film zugestehen muss - einer bunten, leicht frivolen Geschichte anpassen, die mit gelegentlich atemberaubenden Aufnahmen glänzt. - Nach einem etwas zähen Einstieg, der uns die vom Regisseur  in vielen Grossaufnahmen vergötterte Rökk als sich unschuldig gebende, aber raffinierte Gefangene (ihrem ironisch-befehlenden “Na, dann los! Folgen Sie mir!” fügt sie schon bald ein mütterliches "Kochen ist Sache der Hausfrau" hinzu) eines zwischen Pflicht und Neigung hin- und hergerissenen Rittmeisters zeigt, gewinnt das leicht operettenhafte Geschehen an Schwung, was nicht zuletzt einigen sich eher tölpelhaft gebenden Figuren (dem geldgierigen Spielbankenbesitzer, dem müden Landgrafen, einem nach Marie-Luise gierenden Spielsüchtigen - und der Frau Bürgermeisterin mit lispelnder Tochter nebst anderen ledigen Homburgerinnen, die gern einen Soldaten - natürlich zum Einquartieren - möchten) zu verdanken ist. Von Karsteins Bursche Karl, der sich so manches Mädchen anzulachen versucht (ein “Ewig dein” auf einem Lebkuchen, den er bei einem Soldatenfest um den Hals trägt, könnte es nicht besser ausdrücken), übernimmt jenen “niederen”, robusten Part, der auch bei Lessing dem Dienerpaar zugeordnet wird.

Mit dem Einmarsch der Hannoveraner in ein malerisches Bad Homburg  beginnt jene das neue Verfahren feiernde farbenfrohe Rastlosigkeit, die ihren Höhepunkt im Gartenfest findet, das Marika Gelegenheit bietet, ihre vielfältigen Fähigkeiten zum Lied “Einen Walzer für dich und für mich” zur Schau zu stellen. Von Paaren, die aus allen Büschen zu springen scheinen, umgeben, wirbelt sie tanzend in den schönsten Bewegungen von Ort zu Ort, betätigt sich als Balletteuse, scheint einfach omnipräsent zu sein. Die Szene verfügt nicht über die Perfektion der damaligen Hollywood-Musicals, vermittelt jedoch mit ihrer "Unruhe" (jedes Bild ist Bewegung pur) eine unterschwellige Botschaft: Seht, das ist sie, die vorwärts drängende deutsche Jugend, die sich entschlossen ihren Weg bahnt und sich nicht von den alten Männern (auf sie, etwa den eigenwilligen Kerl, der das Parlament als “Quasselbande” bezeichnet, wird das Böse abgewälzt) aufhalten lässt! Man mag zwar nicht Hollywood sein; aber man zimmert sich sein eigenes Hollywood vor deutschem Hintergrund, ein mutig die Welt eroberndes Hollywood - wie ein Bild suggeriert - “unter deutscher Eiche”. - Das Finale des Films erlaubt Marika Rökk sogar eine bescheidene Dietrich-Persiflage: Sie darf als Torero verkleidet zum Lied “Ach, ich liebe alle Männer” verschiedene Damen im Publikum zärtlich anlächeln und zwar nicht wie die von Goebbels Ersehnte in “Morocco” (1930) küssen, aber immerhin am Kinn streicheln. Interessant, dass von den von Franz Grothe für den Film komponierten Melodien gerade das eher bescheiden vorgetragene “Wenn ein junger Mann kommt” zum Evergreen wurde.

Was die Rökk nicht wissen konnte: Der IG-Farben Zweigbetrieb Agfa beschäftigte vor allem in seinem Werk in Wolfen, das für die Perfektionierung des Farbfilms zuständig war, tausende Sklavenarbeiter. Aber vermutlich hätte auch dieses Wissen sie nicht mit Entsetzen erfüllt. Denn sie wollte ja mit Paprika im Blut lediglich eines beweisen: “Frauen sind gescheiter als Männer; deshalb sind sie die besseren Diplomaten.” - Armes, egozentrisches Wesen!
***
Nachtrag

Es gab zum Beispiel in Hollywood mit Sicherheit noch viel mehr Schauspieler als in Nazi-Deutschland oder im ehemaligen Ostblock, die keine Ahnung hatten und sich auch nie darum kümmerten, für welche unterschwelligen Botschaften sie sich in ihren Unterhaltungs- oder Action-Filmen zur Verfügung stellten; und auch wir als Zuschauer erkennen das Tendenziöse in solchen Filmen, wenn es sich nicht gerade regelrecht aufdrängt, meist nicht. Dies ist nicht erstaunlich, haben sich die USA mittlerweile doch "bereits" zur historischen Entschuldigung bei den Indianern durchgerungen. - Dass es uns möglich ist, in Filmen des Dritten Reichs oft bis ins Detail unterschwelligen tendenziösen Aspekten nachzugehen, darf deshalb vom heutigen Deutschland  nicht als “Anklage” missverstanden werden. Es zeigt vielmehr, dass deutsche Historiker die Vergangenheit vorbildlich (manche würden sagen: selbstquälerisch) aufgearbeitet haben. Und es scheint mir wichtig, dass wir aus dieser Aufarbeitung gerade in der heutigen Zeit, in der sich in ganz Europa - auch in der Schweiz (die vom Milliardär Blocher mit unvorstellbaren Geldsummen gefütterte SVP) - rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen den Menschen anbiedern, Nutzen ziehen, weil sie zu zeigen vermag, wohin unwidersprochene Ausgrenzung, Selbstverherrlichung und all die die Nazis kennzeichnenden Merkmale führen. - Dass ich hier also sogar einen scheinbar harmlosen Unterhaltungsfilm mit Aufgearbeitetem anreichere, sollten Leser aus Deutschland eher als Kompliment auffassen: Zumindest eure Akademiker haben ihre Aufgaben gemacht!  Und ich gebe, Idealist, der ich bin, die Hoffnung nicht auf, dass Aufklärung tendenziell menschenfeindliche Bewegungen, wozu ich auch die neue Regierung in Finnland zähle, zu Phänomenen macht, die letztlich vorübergehender Natur sind, mag auch eine durch Übersättigung krank gewordene Gesellschaft gerade Gefallen an ihnen finden.

Dienstag, 17. Mai 2011

EIN GROSSER GRAUBLAUER VOGEL







Aktion DÖS

EIN GROSSER GRAUBLAUER VOGEL
Deutschland 1970
Regie: Thomas Schamoni
Darsteller: Klaus Lemke (Tom-X), Bernd Fiedler (Knokke), Umberto Orsini (Morelli), Rolf Becker (Lunette), Thomas Braut (G.O. Gio), Olivera Vuco (Diana), Sylvie Winter (Luba), Lukas Ammann (Cinque), Marquard Bohm (Bill), Walter Ladengast (Belotti), als Gast Robert Siodmak

"Es konnte eigentlich nur schief gehen." (Thomas Schamoni)
"Der Thomas Schamoni hat für die Vorbereitung vom GROSSEN GRAUBLAUEN VOGEL mindestens so viel ausgegeben, wie unser Film [LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD] ganz gekostet hat, nur für die Vorbereitung, fürs Telefonieren und fürs Rumfliegen und fürs Schauspielerengagieren." (Rainer Werner Fassbinder)

Thomas Schamoni ist der weniger bekannte Bruder von Peter (SCHONZEIT FÜR FÜCHSE, POTATO FRITZ) und Ulrich Schamoni (ES, CHAPEAU CLAQUE; ein vierter Bruder war Kameramann beim Fernsehen, der Vater war Filmwissenschaftler). Neben seiner sporadischen Tätigkeit als Regisseur, Autor und Produzent gehörte er 1971 zu den Gründern des Filmverlags der Autoren. Es hat den Anschein, als wollte er gleich in seinen ersten Spielfilm alles hineinstopfen, was er jemals in einen Film zu stecken gedachte. Entsprechend überfrachtet wirkt EIN GROSSER GRAUBLAUER VOGEL. Dass der teure Film kein kommerzieller Erfolg wurde, lag auch an den Schwierigkeiten, überhaupt einen Verleih zu finden, und an der Pleite des italienischen Coproduzenten. Aber immerhin gewann er zwei Filmbänder in Gold.


Die Handlung ist kompliziert - weniger wohlwollend könnte man auch sagen "wirr". Ein alter Landstreicher names Belotti nimmt sich das Leben, als man ihn zu entführen versucht. Beobachtet und gefilmt wird die schiefgegangene Entführung von einer Truppe Journalisten. Der bullige und geschäftstüchtige Reporter Gio ist die treibende Kraft; er ist der einzige bürgerliche Typ in der Gruppe, seine Kollegen sind dagegen hippiesk angehaucht: Der Kameramann Knokke, der flapsige Bill, die toughe Luba und der Dichter Tom-X, der die Hälfte seiner Zeit von Drogen benebelt zu verbringen scheint - jedenfalls erweckt sein Verhalten diesen Eindruck. Tom-X kannte Belotti schon einige Zeit und erfuhr von diesem eine erstaunliche Geschichte: Er, Belotti, gehörte vor ca. 30 Jahren zu einer Gruppe von fünf Wissenschaftlern, die an einer Erfindung zur Manipulation des Raum-Zeit-Kontinuums arbeiteten. Eine Maschine, mit der man "den Raum verflachen", die Zeit manipulieren und ähnliche Dinge anstellen konnte. Doch dann, kurz vor dem 2. Weltkrieg, verschwanden die Fünf mitsamt ihrer Erfindung spurlos, angeblich, um eine militärische Nutzung zu verhindern. Seitdem gelten die Forscher offiziell als tot, doch scheinbar leben sie noch unerkannt und treffen sich regelmäßig. Angeblich haben sie die Formel ihrer Erfindung in einem Gedicht codiert, von dem jeder nur einen Teil kennt, der gleichzeitig zum Nachweis seiner Identität dient. Gio witterte eine große Story und einen Haufen Geld, deshalb war seine Truppe Belotti auf den Fersen, aber nach dessen Tod rückt Tom-X nur widerwillig und bruchstückhaft mit den Informationen heraus, die er von ihm erhielt. Es hat aber den Anschein, als ob Tom-X von Belotti als eine Art Erbe seines gesamten Wissens eingesetzt wurde - wenn diese ganze Geschichte überhaupt stimmt.


Hinter Belotti waren auch andere Leute her, wie die mißglückte Entführung zeigt. Drahtzieher im Hintergrund ist der mysteriöse, im Rollstuhl sitzende Cinque. Er beauftragt seine Leute, mit den Journalisten Kontakt aufzunehmen, und fährt dabei zweigleisig. Einerseits setzt er den Wissenschaftler Morelli auf sie an, der in Cinques Auftrag an derselben Erfindung arbeitet wie seinerzeit die Fünf. Andererseits soll eine ganze Schar von Agenten unter Führung des coolen Lunette die Journalisten überwachen, aber auch Morelli, der möglicherweise eigene Pläne verfolgt. Doch auch Lunette scheint ein doppeltes Spiel zu spielen. Überhaupt ziehen sich unklare Fronten durch den ganzen Film. In einer Villa an einem (italienischen?) See trifft man sich. Dort logiert bereits die mondäne und rätselhafte Diana, die eine Nichte von Belotti sein soll. Angeblich sollen sich die verschwundenen Wissenschaftler demnächst in dieser Gegend treffen - eine Voraussage, die offensichtlich nur auf der Intuition von Tom-X beruht. Oder will er nur Diana nahe sein, mit der er ein Verhältnis hat (wie auch mit Luba, während sich Diana dann auch mit Morelli einlässt - auch hier unklare Fronten)? Gio hat sich inzwischen mit Lunette geeinigt, sehr zum Mißfallen seiner Kollegen, die den Agenten mißtrauen. Ziel der versammelten Gäste der Villa ist es, alle sich am Ort aufhaltenden alten Männer zu filmen, um anhand alter Fotos die Forscher zu identifizieren. Inzwischen hat sich herauskristallisiert, dass Cinque selbst einer der Fünf ist, abzüglich des toten Belotti werden also noch drei Kandidaten gesucht - und tatsächlich ausfindig gemacht. Sie werden zu Cinque in ein kleines Bergschloss gebracht, und anhand des ominösen Gedichts, in dem der titelgebende "große graublaue Vogel" vorkommt (tatsächlich handelt es sich um das Gedicht "Bottom" von Arthur Rimbaud) wird ihre Identität verifiziert. Cinque will mit ihnen und mit Tom-X als Belottis Nachfolger neu anfangen und die Forschungen wieder aufnehmen. Doch dann gibt es im Schloss und im umgebenden Bergwald eine wilde Schießerei, die mehr Leichen als Lebende zurücklässt ...


EIN GROSSER GRAUBLAUER VOGEL zeichnet sich durch eine Vielzahl von komplexen und dynamischen Bild- und Tonmontagen aus, in denen auch die treibende Musik von Can, seinerzeit eine der progressivsten Krautrockbands, eine tragende Rolle spielt. Und immer wieder werden von Knokke mit seiner tragbaren 16mm-Kamera aufgenommene Filmschnipsel von den Protagonisten angesehen und kommentiert; ein Teil der Geschichte wird durch diese Aufnahmen und somit nichtchronologisch erzählt. Auch Genre-Elemente wie rasante Autofahrten, Schießereien und Flugszenen sowie spektakuläre Schauplätze sind geschickt integriert. Beim ersten Sehen des Films dauert es lange, in dieser Collage einen roten Faden zu finden, den man dann doch immer wieder zu verlieren droht. Auch beim wiederholten Ansehen lichten sich die Nebel nicht vollständig, was sowohl die Details der Handlung als auch den tieferen Sinn des Ganzen betrifft. Es ist klar, dass einem der Film etwas sagen will - doch was eigentlich? "Die überkomplizierte Handlung, das aufdringliche Pop-Beiwerk und die Überfrachtung mit Krimi-Klischees dürften das eigentliche Thema kaum verständlich werden lassen, nämlich das gestörte Vertrauen in die Wirklichkeit und das Herrschen der Einbildungskraft über die Wirklichkeit." (Lexikon des internationalen Films) - Mag sein. Klar scheint immerhin, dass die ominöse Erfindung als Metapher für das Medium Film dient: Auch hier wird "der Raum verflacht" und die Zeit eingefroren und manipuliert. Knokke heißt so (oder er nennt sich so) wie die belgische Stadt, in der insgesamt fünfmal ein einflussreiches Experimentalfilmfestival stattfand, und er sagt einmal, dass er in seiner Arbeit nur der Wahrheit verpflichtet sei und profane Zwecke ablehne. Doch gegen Gios Geschäftstüchtigkeit und die Gewalt der Agenten zieht er den Kürzeren. Als Gio wegen seinem Pakt mit Lunette von seinen Kollegen angegriffen wird, verteidigt er sich, er habe sie nicht verkauft, sondern gerettet, weil sie alle schon auf der Abschussliste standen. Und Robert Siodmak hat einen Gastauftritt im Film, als ein Mann, der von den Agenten drangsaliert wird. Man könnte aus all dem vielleicht den Schluss ziehen, dass hier verklausuliert die Situation des Autorenfilmers angesprochen wird, der den Zwängen des Kommerz ausgesetzt ist und Kompromisse eingehen muss, wenn er überleben will. Das würde nicht zuletzt Schamonis eigene etwas verfahrene Situation damals widerspiegeln. Aber auch dieser Interpretationsansatz ist letztlich nur eine vage Möglichkeit. Einige Interpreten fragten sich, ob die bizarren Teile der Handlung womöglich nur Hirngespinste von Tom-X sein könnten - was für mich eigentlich keinen rechten Sinn ergibt, aber wer weiß? Wie dem auch sein mag - EIN GROSSER GRAUBLAUER VOGEL ist ein schillernder, ein ambitionierter und wohl überambitionierter Film, der mehrfaches Sehen verlangt, der einen dann trotzdem etwas ratlos zurücklässt, aber gleichwohl zu faszinieren vermag.


EIN GROSSER GRAUBLAUER VOGEL ist in einer Box mit 50 Filmen vom Filmverlag der Autoren auf DVD erschienen. Die DVD ist gelegentlich einzeln bei eBay zu bekommen. [Update: Inzwischen ist der Film auch einzeln in der Edition Deutscher Film von Zweitausendeins erschienen.]

Samstag, 14. Mai 2011

Des Schweizers Stolz und seine Schande

Achtung, fertig, Charlie!
(Achtung, fertig, Charlie!, Schweiz 2003)

Regie: Mike Eschmann
Darsteller: Michael Koch, Melanie Winiger, Myriam Aegerter, Marco Rima, Martin Rapold, Nicolas Steiner, Mike Müller u.a.

Es war einmal ein Schweizer Bundesrat, der von seiner Partei nur als halber Bundesrat betrachtet wurde, weil er ihr nicht fremdenfeindlich genug war und offenbar nur unwesentlich  mehr zustandebrachte als sein Nachfolger, der ihn als halben Bundesrat bezeichnet hatte, jedoch entschieden fremdenfeindlicher ist. Dieser halbe Bundesrat hatte die hehre Schweizer Armee unter sich und kam eines Tages zusammen mit seinen Beratern auf die Idee, es sei mal wieder an der Zeit, einen süffigen Werbefilm zu drehen, damit inskünftige Rekruten auch Freude am Soldatendasein bekämen. - Tatsächlich wurde man seit meiner Zeit (und ich rede von Äonen!) lediglich mit jenen öden Informationsstreifen beliefert, die uns zeigten, dass Füsiliere mit vielen Handgranaten im Kampfanzug und dem Sturmgewehr in der Hand über hügeliges Gelände zu hüpfen hatten, damit sie dem Feind auch gleich als  Kanonenfutter zur Verfügung stünden, dass Funker ohne Garantie auf Sprecherlaubnis schwere Kisten mit sich herumschleppen mussten, während die Küchenmannschaft den Kochwein soff und die Sanitäter in der Sonne liegend genussvoll ihre Patienten vor sich hinsiechen liessen. Aus den wenigen intelligenten Stellungspflichtigen machte man hingegen Nachrichtensoldaten, die in atomsicheren Kommandoräumen mit Raffinesse den Feind im letzten Augenblick überrumpelten. Was war wohl ich? Na? Na?

Jetzt also sollte etwas Zeitgemässes, Lustiges her. Und der halbe Bundesrat unterstützte die geplante Rekrutenkomödie anfänglich mit Begeisterung. Als er über das Resultat  - auf welchem Wege auch immer - informiert wurde, legte diese  sich erheblich, und auf die Frage, ob er “Achtung, fertig, Charlie!” gesehen habe, erwiderte er: “Nein! Ich habe die Klamotte unterstützt mit Kasernen, Waffenplätzen, Panzern und Helikoptern. Aber die Endfassung zielte dann haarscharf an meinem Alterssegment vorbei.” - Ich nehme ihm die Antwort ab, bin mir auch ziemlich sicher, dass er noch nie eine Gummipuppe gefickt hat. Was seinen fremdenfeindlichen Nachfolger, der sich für einen ganzen Bundesrat hält, anbelangt: Nun ja, er hat mit Sicherheit noch nie eine Gummipuppe, die sich nicht als echte Schweizerin mit reinem Stammbaum auszuweisen vermochte, gefickt.

Worum gehts? Der Secondo (in der Schweiz aufgewachsener Italiener) Antonio wird von der Militärpolizei direkt vom Traualtar weg zur Rekrutenschule geschleppt, weil er sein Aufgebot völlig zu vergessen beliebte. Und da ihn seine Braut samt mafioser Verwandtschaft aus Sizilien zur Hochzeit drängen, lautet die Devise: Nichts wie raus aus dem Club, der sich Schweizer Armee nennt! Diesem Ansinnen steht sein ständig fluchender Hauptmann (“Es ist so, so war es immer, und so wird es auch weiterhin bleiben!”) leider ablehnend gegenüber. Also muss Antonio, der zusammen mit seinem Kumpel einen vergeblichen Plan nach dem anderen ausheckt, sämtliche Wochen, in denen er den Umgang mit dem Gewehr im Dreck, den Häuserkampf, das Ficken einer Gummipuppe oder das Ausharren in einer Hütte mit Tränengas erlernt, durchleben, anfangs gelegentlich im Knast (fundamentalistisch-evangelikale Kreise zeigten sich über eine Szene empört, in der er dort auf seine Bibel masturbiert, obwohl diese doch mit so hübschen Pornobildern vollgeklebt ist), später zunehmend begeistert bei der Sache, weil sich die weibliche Kampfsau (wichtige Info an Rekruten: heutzutage gibts auch Frauen in der Armee!), die ihn am Anfang nicht ausstehen konnte, als vollwertiger Ersatz für die Gummipuppe erweist. Und dann hütet der stets finster dreinblickende Hauptmann natürlich noch ein dunkles Geheimnis, das ich hier nicht verraten werde, weil sich unser Intergalactic Ape-Man bereits gierig auf die DVD stürzen möchte (er ist - dies unter uns! - der Vater der weiblichen Kampfsau). - Mag das Geschehen, in dessen Verlauf sich unter anderem zeigt, wie unterlegen die arroganten Grenadiere den Füsilieren sind, auch zunehmend unübersichtlicher werden - am Ende beweist “Achtung, fertig, Charlie!”, dass in der Rekrutenschule hetero, schwul und  möglicherweise sogar Gummipuppe den Partner fürs Leben findet, was doch das Dasein als Soldat erstrebenswert macht.

Wer je einen “American Pie” hinter sich brachte, wird nach der Sichtung dieses “Swiss Army Pie”  von den begnadeten Schauspielern, die er damals geniessen durfte, schwärmen. Denn der Werbefilm des halben Bundesrats glänzt mit Gestalten, die noch bockiger in der Gegend herumstehen als wir es damals taten, während die weibliche Kampsau von einer ehemaligen Miss Schweiz, die dem Irrtum verfiel, ihr Miss-Titel mache sie zur zweiten Duse, “dargestellt” wird - und dann gibt es noch diesen eigenartigen Hauptmann mit Schnauzer, der den Eindruck erweckt, man habe ihn schon irgendwo erblickt. Ah ja, Marco Rima! Aber wie sollte der sich in diesem untalentierten Haufen, dessen einzige herausragende Figur die Gummipuppe ist, entfalten können?

“Achtung, fertig, Charlie!” wurde zum erfolgreichsten Schweizer Film seit Rolf Lyssys “Die Schweizermacher” (1978). Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass immer mal wieder die Drohung in den Raum gestellt wird, man fasse eine Fortsetzung ins Auge. Sollte der fremdenfeindliche, sich für einen ganzen Bundesrat haltende Nachfolger des "halben" Samuel Schmid  das Ding unterstützen, kann natürlich mit keinem Secondo als zentraler Figur gerechnet werden, eher mit einem  Alp-Öhi, der von Anfang an stolz darauf ist, der Schweiz dienen zu dürfen. Ob er aus Altersgründen noch fähig wäre, über eine Bibel zu masturbieren, wissen freilich höchstens die Götter und SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger tatsächlich  ein ganzer Clown ist.