Mittwoch, 28. Juli 2010

Doo Wop - Der Film zum Kontext für Frustrierte

Heerscharen von Lesern (es waren zwei, um genau zu sein) haben sich bei mir beklagt, weil ich meinem Kontext ohne Film Truffaut anstelle des von ihnen erhofften Doo Wop-Spektakels folgen liess. Ich möchte  ihre Enttäuschng wenigstens ein wenig mildern und widme mich vor der Sommerpause noch

Cry-Baby
(Cry-Baby, USA 1990)

Regie: John Waters
Darsteller: Johnny Depp, Amy Locaine, Susan Tyrrell, Polly Bergen, Iggy Pop, Ricki Lane, Traci Lords, Joe Dallesandro, Patricia Hearst u.a.

Es gäbe sicher Gründe für eine eher zurückhaltende Würdigung von “Cry-Baby”: Zum einen entfernte sich John Waters in seinem ersten Studiofilm  noch weiter von seinem Image als unangefochtenem König des schlechten Geschmacks als in “Hairspray” (1988) - und Dietrich Kuhlbrodt war wohl nicht der einzige Kritiker, der die “Verschnulzung” des Trash-Kult-Renommees bedauerte; zum anderen könnten sich Doo Wop-Fans wegen des schlechten Abschneidens der von ihnen vergötterten Musikrichtung, die erst noch durch zwei beinahe zu oft recycelte Titel (“Sh-Boom” und einem im Nachthemd und mit Schlafmütze wenigstens ironisch spiesserhaft vorgetragenen “Mr. Sandman”) vertreten war, sogar regelrecht diskriminiert vorkommen.

Aber: Auch John Waters dürfte bemerkt haben,  dass seine Umwertungen herkömmlicher Vorstellungen (etwa durch das Propagieren  des Genusses von Hundekot) mit der Zeit ihren provokativen Charakter verloren hatten, dass er dabei war, sich ungewollt vom Underground-Filmer zum gesellschaftlich akzeptierten, wenn nicht gar verhätschelten kleinen “Bürgerschreck” zu entwickeln. Weshalb also nicht nach dem Tanzfilm über die 60er gleich noch eine augenzwinkernde Verbeugung vor den 50er Jahren, die zugleich eine leicht boshafte Erinnerung  an seine Jugend in Baltimore war und beinahe unweigerlich die Form eines Musicals (viele Kritiker sprechen von einem “Grease” mit Grips) annehmen musste? Und kam er bei dieser Gelegenheit darum herum,  die Wahrheit über die musikalische Entwicklung  in jenen Jahren zur Sprache zu bringen? Der Doo Wop, der mit seinen Nonsense-Silben in den 40ern noch ganz den Afroamerikanern (“The Clovers”, “The Five Keys” etc.) gehört hatte, zog Mitte der 50er Jahre zunehmend weisse Jugendliche in seinen Bann und mauserte sich (erste ausschliesslich aus weissen Mitgliedern bestehende Gruppen waren entstanden) zur Musik, deren harmlose Liebestexte sich die Mädchen aus gutem Hause im Gegensatz  zum “den Charakter verderbenden”   Rock‘n’Roll einer aufbegehrenden Jugend anhören durften. - Gleichzeitig wies Waters, um dessen Drehbuch sich die Studios gerissen haben sollen, darauf hin, wie nahe sich Doo Wop und Rock‘n’Roll im Grunde genommen doch standen: Waren die jungen Rebellen erst einmal verliebt, fielen sie (dies sollte später auch Elvis Presley beweisen) rasch einmal dem unumgänglichen mehrstimmigen Gesangsarrangement zum Opfer und stimmten im Kitchen zusammen mit den anderen Häftlingen  ein schnulziges “Teardrops Are Falling” an...

In einem Punkt blieb John Waters seinem “Enfant terrible“-Image treu:  Da man ihm nach dem unerwarteten Erfolg von “Hairspray” freie Hand bei der Wahl der Darsteller gelassen hatte, fügte er seiner bewährten Truppe (Ricki Lane, Kim Webb, Alan J. Wendl) eine Schauspielerriege hinzu, wie sie aus unterschiedlicheren Winkeln nicht hätte zusammengesucht werden können: So traf Ex-Porno-Star Traci Lords auf die einst für einen Golden Globe nominierte Polly Bergen, das ehemalige Entführungsopfer Patricia Hearst begegnete dem “Godfather of Punk” Iggy Pop, der als nackt in einem Blecheimer badender Uncle Belvedere seinen Leuten ein “Woo-Wee, you caught me in my birthday suit, butt-naked!” entgegenrief - und der eher aus Fernsehserien bekannte “brave Amerikaner” David Nelson durfte sich am Neuling Kim McGuire erfreuen, die als Hatchet Face, der Frau mit dem schönsten Gesicht, das je auf der Leinwand zu bewundern war (“There’s nothing the matter with my face. I got character!”), ihr Messerchen zeigte und den Leuten ein “GET CUT!” zu-“flüsterte”. Sie alle arbeiteten mehr oder weniger talentiert auf eine herrliche Weise zusammen, betrieben gnadenlos das, was als “Overacting” bezeichnet wird - und verliehen so dem Film doch jene grellen, anarchischen Trash-Züge, die man sich von einem Meister des “Camp” erhofft (man soll auch hinter der Kulisse zusammengehalten haben: in einer kritischen Situation erzählten alle einander, weshalb sie selber schon - wenn vielleicht auch nur für eine Nacht - “gesessen” hatten). - Waters’ eigentliches As im Ärmel war jedoch ein bildhübscher, unwiderstehlichen Bad Boy-Charme versprühender Bengel, den man hierzulande für einen Sänger hielt (dass Johnny Depp in “Cry-Baby” gar nicht selber singen durfte, erfuhr man erst später, auch über seinen bereits vollzogenen Karrierestart als Schauspieler in den USA war kaum etwas bekannt ) und von dem man mit Bedauern annahm, er werde wohl nie wieder in einem Film zu sehen sein. Welch ein Irrtum!


Die Geschichte, die “Cry-Baby” erzählt, ist eigentlich banal und nimmt jenes Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Weltanschauungen, das Waters von “Pink Flamingos” (1972) bis zum wieder nicht mehr so gesellschaftsfähigen “A Dirty Shame” (2004) beinahe durchgehend beschäftigte, zum Ausgangspunkt für eine “Romeo und Julia”-Variation. Im Baltimore des Jahres 1954 bekämpfen sich zwei Gruppen: die langweiligen “Squares” aus gutem Hause, deren Anstandswauwau Mrs. Vernon-Williams, Leiterin einer Benimmschule, wo natürlich dem Doo Wop gehuldigt wird, ist, und die rebellischen “Drapes” mit ihrem unsittlichen Haarschnitt und Gesang. Ausgerechnet Mrs. Vernon-Williams’ jungfräuliche Enkelin Allison hat es satt, mit ihrem Freund Baldwin, einem Pat Boone-Verschnitt, rumzuhängen und schliesst sich dem “Drape” Cry-Baby Walker und seiner aus herrlichen Freaks bestehenden Truppe, die eben im “falschen” Quartier haust, an. Dort, im Turkey Point, wird aus Allison ein richtiger “Drape” gemacht, und beim gemeinsamen Singen von “King Cry-Baby” verlieben sich die beiden jungen Leute, die sich schon beim Impfen in der Schule schmachtende Blicke zugeworfen hatten,  endgültig ineinander - wobei Allison nicht nur erfährt, dass Zungenküsse keine Mononukleose verursachen, sondern auch, dass Cry-Baby wie sie ein Waisenkind ist (sein Vater war der Alphabetbomber, den man auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet hatte). - Das sich anbahnende Glück passt Baldwin und seinen gar nicht so braven “Squares” natürlich nicht in den Kram, und sie zetteln eine Schlägerei an, die vor dem Richter endet - der ausgerechnet den unschuldigen Cry-Baby in eine Jugendstrafanstalt verbannt, wo er sich schon bald eine Träne unter sein Auge eintätowieren lässt.

Wie sich das Schicksal nicht nur der beiden Liebenden trotz kleiner Komplikationen zum Guten wendet, soll hier nicht verraten werden, lebt doch der Film gerade von all diesen gelegentlich durchaus konventionell-witzigen, dem Mainstream  entgegenkommenden, manchmal aber immer noch an frühere Geschmacklosigkeiten erinnernden Details (wenn etwa Allison ein mit Tränen gefülltes Glas austrinkt oder  die berüchtigte Zungenkuss-Szene beinahe in eine “Schlacht der Zungen” ausartet). - All diese Details, die auch den Nebenfiguren in Erinnerung bleibende Auftritte ermöglichen (ich denke an frömmelnd-fundamentalistische Eltern, die ihren Kindern Kreuze entgegenstrecken und  vor Gericht "in Zungen" zu sprechen beginnen, an das von Traci Lords gespielte Flittchen Wanda, das als Austauschschülerin nach Schweden verfrachtet werden soll und lieber in den Wagen eines stadtbekannten Spanners steigt - oder an die fröhlich schwangere Schülerin Pepper, die ihre ersten beiden Kinder in einer irrwitzigen Aktion aus dem Waisenhaus befreien muss), machen “Cry-Baby” natürlich nicht zum kleinen Klassiker, vielleicht nicht einmal zu Kult. Sie gewährleisten jedoch jedem einen unterhaltsamen (Sommer-)Abend, der sich dem Spektakel nicht mit festgefahrenen Erwartungen an einen Waters-Film annähert . Hinzu kommen die Musiknummern, die gelegentlich den 50ern alle Ehre machen (“Doin’ Time for Bein’ Young”  ist eine wunderschöne Hommage an den jungen Presley), im Falle des von Allison auf einer Kühlerhaube stehend gesungenen und von den “Drapes” begleiteten “Please, Mr. Jailer” sogar die Protestsongs der Vietnam-Generation vorwegzunehmen scheinen. --- Und wir begegnen einem Schauspieler  in einer seiner frühen Rollen, dem es später vergönnt sein sollte, in herausragenden Filmen wie “What’s Eating Gilbert Grape” (1993), “Ed Wood” (1994) oder “Dead Man” (1995) mitzuwirken - der sich jedoch gelegentlich auch für Projekte zur Verfügung stellte, über die ich mich hier lieber nicht auslassen möchte, da es mir nur Ärger einbrächte, würde ich mich zu weit aus dem “Secret Window” hinauslehnen.

“Cry-Baby” wurde übrigens nicht zum von den Studios erwarteten Erfolg und spielte in den Kinos der USA die Produktionskosten nicht ein. Erst TV-Ausstrahlungen und die Veröffentlichung auf DVD verhalfen dem Film zu Anerkennung und einer Fangemeinde. Diese erkannte auch, dass Johnny Depp der weitaus  bessere John Travolta war.

So! Damit verabschiedet sich ein völlig ausgebrannter Whoknows  für drei, vier Wochen von seinem Blog und begibt sich mit rund 700 Doo Wop-Titeln und nicht viel weniger Filmen in die hoffentlich verdiente





Freitag, 23. Juli 2010

Kleiner Sprachkurs für deutsche Touristen

Der Schweizer Franken ist stark; ausser Ölscheichs und deutschen Film-Bloggern kann sich niemand  mehr Ferien im Land leisten, das mit "Heidi", feiner Schokolade, dem Fujiyama (oder so) und  der Kuckucksuhr, die in Wirklichkeit aus dem Schwarzwald kommt, aufzutrumpfen vermag. Also nutzt eure Chance, bevölkert die sauteuren Hotels, besteigt unsere Berge und käuflichen Damen,  deckt euch mit Ricola-Kräuterzucker ein, bedenkt aber eine Kleinigkeit: Wenn ihr mit eurem gewohnten Deutsch antrabt, werden euch die Schweizer ihren berüchtigten "Sch**** Ausländer!"-Blick entgegenschleudern. - Deshalb hier ein paar Hinweise:

Eignet euch ein perfektes Schweizerdeutsch an! Wobei hinzugefügt werden muss: der Dialekt der Basler wird  (wie die Menschen) von den Zürchern nicht geschätzt (und umgekehrt), ein Dialekt aus der Ostschweiz führt in der restlichen deutschsprachigen Schweiz unweigerlich zur höhnischen Bemerkung "Der kommt aus Mostindien...", Innerschweizer haben ein hoffnungslos veraltetes Sprach- und Weltbild - und das arme Wesen aus dem Wallis (ein Yeti?) wird überhaupt von niemandem verstanden. - Komplizierte Verhältnisse, nicht wahr? Es gibt allerdings einen Dialekt, mit dem ihr euch überall im Blocherland - pardon! - in der Schweiz nur Freunde schafft: das Berndeutsch! Und noch liebevoller wird man euch behandeln, wenn ihr euch für die Emmentaler-Variante des Berndeutschs entscheidet.

Aus diesem Grund möchte ich euch Gelegenheit geben, euch mit diesem Emmentaler-Deutsch anhand eines Trailers vertraut zu machen. Es handelt sich um einen Trailer zum Film "Die Herbstzeitlosen" (2006), der von ein paar älteren Damen handelt, die in einem Emmentaler-Dorf eine Lingerie-Boutique eröffnen. Ich will der 90-jährigen Hauptdarstellerin Stephanie Glaser, die immer noch munter Filme dreht, eine Besprechung nicht antun. Nur dies: Einige Schweizer waren tatsächlich beleidigt, weil "Die Herbstzeitlosen" es nicht in die engere Auswahl für den Oscar  (bester fremdsprachiger Film)  schafften. - Aber uns gehts ja um den Wert der Sache für einen angenehmen Aufenthalt in der Schweiz:



Mich werdet ihr Sch**** Ausländer (noch ein Pardon, ist mir nur so rausgerutscht!) allerdings nicht treffen, wenn euch die Bedienung als vermeintlichen Emmentalern mit einem Lächeln und der freundlichen Bemerkung "U hie heit dr de no euri Merängge!" den Teller auf den Tisch stellt; denn auch ich werde - womit ich schon dezent auf die nahende Sommerpause des Blogs hinweisen möchte - in die Ferien gehen. Sie führen  mich dieses Jahr durch die Halbinsel Balkonien, wo man mir zwar die üblichen fiesen Kommentare in eure Blogs, jedoch keine Einträge in meinen gestattet. Vorher gibts aber sicher noch einen Film. - Und was meinen Sprachkurs anbelangt: Nichts zu danken!

Sonntag, 18. Juli 2010

Über den gezielten Einsatz des Oberflächlichen


Videocracy
(Videocracy, Schweden/Dänemark/Grossbritannien/Finnland 2009)
Regie: Erik Gandini

Italiens Langzeit-Ministerpräsident Silvio Berlusconi wird von vielen Filmemachern seines Landes als ihr persönlicher Feind wahrgenommen, als ein Diktator, der ihnen vorzuschreiben versucht, mit welchen Illusionen sie ihr Publikum von der Wirklichkeit abzulenken haben Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sie ihn immer wieder angreifen und seine Machtmechanismen aufzudecken versuchen.  Nach Nanni Morettis “Il Caimano” (2006) sorgte vor allem der Dokumentarfilm “Videocracy” des Italo-Schweden Erik Gandini, der sich gleich der “unheiligen” Verbindung zwischen dem italienischen Fernsehen und der Regierung annimmt, für Aufsehen, scheint er doch ins Herz jenes eigenartigen Systems vorzudringen, das von den Italienern verführend Besitz ergriff und dem sie sich nur allzu willig auslieferten. Gelegentlich wurde Gandinis Darstellung eines Medienfaschismus “made in Italy” Oberflächlichkeit vorgeworfen, weil sie aus einzelnen Figuren Repräsentanten für eine These mache, unzulässig verallgemeinere. Mir stellte sich nach der Sichtung eher die Frage: Wie soll der Zuschauer auf einen Film reagieren, der ihn auf unangenehme Weise daran erinnert, dass die angeschnittenen Themen wohl nicht nur für Italien - wenn dort auch besonders ausgeprägt - gültig sind?

Es begann vor rund dreissig Jahren, als der erste kommerzielle Lokalsender des Landes (im Besitz von Berlusconi) auf die Idee kam, eine Late-Night-Quiz-Show mit Strip-Einlagen für die Unterschicht attraktiver zu gestalten: Wann immer eine Frage richtig beantwortet wurde, entschloss sich eine durchschnittliche Hausfrau im billig zusammengeschusterten Studio, sich eines Kleidungsstücks zu entledigen. Dies war die Geburtsstunde des Präsidentenfernsehens, der Beginn einer “kulturellen” Revolution. Denn heute bevölkern auf nahezu allen Sendern zur Prime Time halbnackte Frauen seichte Shows, locken die Massen vor die Fernsehgeräte und gaukeln ihnen eine stets sonnige Welt der Reichen, Schönen und Mächtigen vor. - Und die Zuschauer träumen davon, eines Tages selber im Fernsehen, das zu ihrer Realität geworden ist, auftreten zu dürfen. Sie sind sowohl Opfer als auch Teilnehmer in diesem riesigen Imperium, über das Silvio Berlusconi, gleichzeitig Ministerpräsident und Medienmogul (ihm gehören die drei grössten Privatsender, und er hat das Sagen über das staatliche Fernsehen), waltet.


Da ist zum Beispiel Ricky, Mitte zwanzig und noch bei Mutti wohnend. Er ist von Beruf Mechaniker, möchte jedoch als eine Mischung aus Jean-Claude van Damme und Ricky Martin (kurzlebigen) Ruhm erlangen. Er nimmt als kickboxender Sänger an Talent Castings teil, sitzt in den Shows in den vordersten Reihen - und weiss genau, was seiner Karriere im Weg steht: Die wunderschönen vollbusigen Mädchen, die die Blicke der Zuschauer auf sich ziehen und nur dürftig bekleidet als “veline” vom meist in die Jahre gekommenen, widerlich grinsenden Moderator ablenken. - Sie sind es, nach denen Berlusconis Unterhaltungsmaschinerie sucht, und ihnen kommt eine verantwortungsvolle Aufgabe zu: zu lächeln, nichts zu sagen und gut auszusehen. Sie dürfen sich überdies mit einem “eigenen” 30 Sekunden dauernden Tanz (einem Stacchetto) Aufmerksamkeit verschaffen. Und ein solcher Job kann durchaus Folgen haben: Berlusconi ernannte eine frühere “velina” zur Ministerin für Gleichberechtigung. Ist es da nicht verständlich, dass viele junge Frauen alles dafür täten, um eine “velina” zu werden?


Lele Mora ist einer jener einflussreichen Agenten, durch dessen Bett  die Karrieren vieler weiblicher und vermutlich die der meisten männlichen Fernseh-Berühmtheiten geführt haben dürften. Er brüstet sich damit, seine Villa an der Costa Smeralda in Sardinien, wo sich die “Glanzvollen” tummeln, vollkommen in Weiss eingerichtet zu haben; und er erweckt den Eindruck eines kleinen selbstgefälligen Jungen, wenn er einem der muskulösen Männer, die  um seinen Pool herumlungern, einen Klaps gibt oder stolz darauf hinweist, ein persönlicher Freund Berlusconis und ein Bewunderer von Mussolini zu sein (Berlusconi ist für ihn ein Mann, der zwar nicht ganz an die “Methoden” des Duce anzuknüpfen vermag, aber dennoch als grosser “Führer” gelten darf).

Mora weist auch auf die Parties hin, die im Milliardärsclub an der Costa Smeralda Nacht für Nacht geschmissen werden und die eher den Eindruck von Orgien erwecken. Geile alte Böcke starren auf tanzende Mädchen, von denen sich jedes einen Job als Wetterfee für zwei Wochen in einem Sender von Berlusconi erhofft. - Auf diesen Parties trifft man die Fotografin Morella, die zwar mit Leuten wie Mora nichts zu tun haben will, als Nachbarin von Berlusconi den Ministerpräsidenten aber für authentisch, weil natürlich, hält (er ist ein Mann, der Spass haben will und ihn sich eben “kaufen“ kann). Sie bietet die Bilder, die sie von den Prominenten an den Parties macht, im Internet zum Kauf an. Diese Bilder zeigen italienische Promis, deren lachende Mäuler über mindestens 64 Zähne zu verfügen scheinen - und plötzlich sieht man auch Zähne, die nicht zu einem Italiener gehören, sondern zu Tony Blair. - Spätestens in dem Moment fragt sich der Zuschauer: Haben wir es überhaupt mit einem rein italienischen Phänomen zu tun?  Trifft sich hier nicht alles, was sich für die “Elite” der Welt hält? Und  erhält man vielleicht nur Einblick in eine der vielen Vergnügungsveranstaltungen jener “Supermenschen”, die über wahrhafte Macht verfügen? -  Man mag vielleicht den Pauschalisierungen eines Filmemachers auf den Leim gegangen sein; aber es  könnte  hinter den Kulissen einer scheinbar braven Bambi-Verleihung  ähnlich zugehen wie auf den Parties an der Costa Smeralda. Und womöglich zeigen uns unsere Illustrierten  auch nur das, was Berlusconis Illustrierten den Italienern zeigen.


Sogar die scheinbare Opposition, die Berlusconi in Form der Paparazzi erwächst, unterliegt dem System. Die Leute von  Fabrizio Corona sorgen zwar für Schnappschüsse von Prominenten in misslichen Situationen, verkaufen diese jedoch anschliessend wiederum den Opfern oder dem Ministerpräsidenten, der sie nach Lust und Laune in den Zeitungen, die er kontrolliert, veröffentlicht.  Corona selber, der “Chef” der Paparazzi, ein eitler Macho, der dem Zuschauer  minutenlang vorführt, wie er sich zwischen den Beinen eincremt, will auch nur eines: möglichst oft im Fernsehen auftreten. Selbst seine Entlassung aus dem Gefängnis (man hatte ihn wegen Erpressung zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt) inszeniert er vor den Reportern als Ereignis, das unweigerlich zu einer Einladung in eine Talk Show führen muss.  Er selber betrachtet sich als modernen Robin Hood, der das Geld von den Reichen nimmt und  für sich behält. - Was er dabei akzeptiert: dass er es von Berlusconi nimmt, der es versteht, auch seine Gegenspieler zu integrieren.

Wie intensiv der Ministerpräsident das Fernsehen für den Ausbau seines "Vierten Reiches" benutzt, zeigt etwa eine Hymne auf ihn, die im Hinblick auf seine Wahl mit Untertiteln zum Mitsingen ständig ausgestrahlt wird. Will er eine politische Ansprache auf einem Sender halten, muss die Show auf einem anderen Sender entsprechend früher beendet werden. Alles um ihn herum ist Werbung, Effekthascherei und Ablenkung.   Die Macht bestimmt, was gezeigt werden darf und was nicht. Es versteht sich von selber, dass im italienischen Fernsehen für “Videocracy” nicht geworben werden durfte. - Man fühlt sich an dunkelste Zeiten erinnert.

Und dennoch: Möchte man die in “Videocracy” angeschnittenen Themen, nicht augenblicklich  auch auf die USA übertragen? Hatten wir zu Beginn des Privatfernsehens (Leo Kirchs Sat.1, RTL, das mit Hugo Egon Balders Nackedei-Show “Tutti Frutti“ konterte) nicht Ähnliches zu befürchten? Und können wir uns so sicher sein, dass wir von einem von den “Mächtigen” gelenkten  Fernsehen nicht auch bis zu einem gewissen Grad am Gängelband geführt werden, bloss naiverweise an die gelobte Pressefreiheit glauben? - Dies waren in etwa die früher gekonnt verdrängten Fragen, die mich während der Sichtung des teilweise tatsächlich pauschalisierenden und polemischen Films, dem eine Prise beissende Satire gut getan hätte, beschäftigten; und sie sorgten dafür, dass mir stellenweise beinahe übel wurde, als ich Einblick in den gezielten Einsatz der wackelnden Brüste und Ärsche, der primitiven Unterhaltung, schlicht des Oberflächlichen erhielt. Ich möchte mir “Videocracy” nicht noch einmal ansehen, bin jedoch froh, mich ihm ausgesetzt zu haben, als ihn der ORF, was ich dem Sender hoch anrechne, ausstrahlte.

Die DVD ist ab September in Deutschland erhältlich. Man sollte sich “Videocracy” - im wahrsten Sinne des Wortes - antun!

Mittwoch, 14. Juli 2010

Es gibt eine deutsche DVD!!!

Ich widmete eine Besprechung dieses Films schon an anderer Stelle Alex ("Hypnosemaschinen"), damit er als "Master of Horror" auch mal wieder über ein paar Gespenster so richtig lachen kann. Diese Widmung soll selbstverständlich  hier wiederholt werden.

Zwei Engel ohne Flügel (Alternativtitel: Topper - Das blonde Gespenst)
(Topper, USA 1937)
Regie: Norman Z. McLeod
Darsteller: Constance Bennett, Cary Grant, Roland Young, Billie Burke, Alan Mowbray, Eugene Pallette, Arthur Lake, Hedda Hopper u.a.

1934 wurde der so genannte “Hays Code”, den die “Catholic League of Decency” gefordert hatte, für Hollywood-Produktionen verpflichtend. Er sollte dafür sorgen, dass Filme im Hinblick auf “Obszönität”, Vulgarität und Gewaltverherrlichung rigide überprüft und notfalls einer Zensur unterworfen würden. Der Kodex blieb bis in die 60er Jahre hinein in Kraft und wurde mal mehr, mal weniger streng angewandt. --- Die Moralapostel, die nach ihrem “Erfolg” vielleicht ernsthaft mit einer Überfülle an sittlichen und dem Seelenheil des Zuschauers bekömmlichen Filme gerechnet hatten, unterschätzten freilich den Erfindungsreichtum der verärgerten Regisseure und Produzenten. Diese sorgten dafür, dass gerade die - oft von raffiniert versteckten Freizügigkeiten wimmelnde - Hollywood-Komödie ab Mitte der 30er Jahre bis Mitte der 40er ihre Glanzzeit erlebte. Was vorher recht offen ausgesprochen worden war, wirkte als Anspielung in den Screwball Comedies, deren Erfindung je nach Vorliebe Howard Hawks oder Frank Capra (rückblickend gelegentlich auch Ernst Lubitsch) zugeschrieben wird, noch viel anzüglicher - was nicht zuletzt mit dem rasanten Tempo und dem Wortwitz dieses sich an der Grenze zur Farce bewegenden Subgenres zu tun hatte, in dem sich die Geschlechter einen unerbittlichen Kampf lieferten, der nicht selten mit einem Sieg der Frau und einem Kater am Morgen danach endete.

Als der komödienerprobte Regisseur Norman Z. McLeod (er hatte die Marx Brothers-Filme “Monkey Business”, 1931, und “Horse Feathers”, 1932, gedreht) 1937 von Hal Roach für die Verfilmung eines Romans von Thorne Smith eingesetzt wurde, bot ihm dies die Möglichkeit, die klassische Screwball Comedy auf interessante Weise zu variieren, indem er sie um die Komponente des Übernatürlichen erweiterte, sie also zum witzigen Gespensterfilm machte. - Marion und George Kerby sind ein äusserst lebenslustiges junges Ehepaar, das nicht nur fahrlässig mit seinem sportlichen Buick in der Gegend herumrast, sondern auch in den ersten zehn Minuten des Films mehr säuft als Nick und Nora Charles in der ganzen “Thin Man”-Reihe. Die beiden Turteltauben befinden sich auf dem Weg zur Bank, über die der langweilig-penible und von einer dominanten Gattin überwachte Cosmo Topper waltet - und vor der sie zuerst einmal vor den Augen der staunenden Passanten den halben Morgen verschlafen, bevor George als Mehrheitsaktionär an einer Aufsichtsratssitzung teilnimmt und diese mit seinem Benehmen sabotiert. Kurz darauf geschieht das Unausweichliche: George baut einen Unfall, und das Paar erhebt sich seltsam durchsichtig, um die eigenen leblosen Körper, die vor ihm auf dem Boden liegen, zu diskutieren. Die Erkenntnis folgt bald: Marion und George müssen tot sein, befinden sich aber noch nicht im Himmel. Also beschliessen sie, die zwar keine grossen Sünder, aber doch etwas gar frivol waren, eine gute Tat zu vollbringen - und als Opfer suchen sie sich ausgerechnet den biederen, bierernsten Toppy (wie ihn Marion liebevoll nennt) aus. Empfand dieser das freizügige Paar jedoch schon zu dessen Lebzeiten als Landplage, fühlt er sich von den sich nach Belieben sichtbar oder unsichtbar machenden “Engeln” erst recht in den Wahnsinn getrieben. Eine Katastrophe voller Gags bahnt sich an...


“Topper” ist tricktechnisch alles andere als auf dem damals aktuellen Stand; die “Gespensterszenen” werden jedoch derart genussvoll in den Film eingebettet (etwa wenn Cosmo Topper nach einer Schlägerei vor dem Richter von einer unsichtbaren Marion zurecht gemacht oder ein Liftboy veräppelt wird), dass dies keine Rolle spielt. Besonders herrlich ist ein Radwechsel, den der nicht mehr unter den Lebenden weilende George Kerby auf Geheiss seiner Frau vornehmen muss. Er brummt: “All right, I’ll change the tire ... But I’ll be darned if I’ll waste any ectoplasm doing it!” - worauf er sich unsichtbar macht und vor den Augen des staunenden Cosmo die leidige Angelegenheit hinter sich bringt.

Für Constance Bennett, die als einst bestgekleidete Frau der Welt ihre grosse Zeit bereits hinter sich hatte, erwies sich “Topper” als kleines Comeback, Cary Grant konnte als Lebemann genau das Gegenteil jenes Männertyps spielen, den er ein Jahr später in Hawks’ “Bringing Up Baby” verkörpern sollte - und Roland Young erhielt eine Oscar-Nominierung als bester männlicher Nebendarsteller. Ebenfalls erwähnenswert: Billie Burke (sie sollte 1939 in Victor Flemings “The Wizard of Oz” die Glinda spielen) als vom eigenartigen Benehmen ihres von Geistern besessenen Gatten aus dem Alltag gerissene Mrs. Topper und Alan Mowbray als Butler der Familie (“Can’t you even look like a human being?” - “I don’t know, sir, I’ve never tried.”). Sogar Hedda Hopper, eine der grossen Klatschtanten Hollywoods, darf einen Kurzauftritt hinlegen.

Die von einem jazzigen, ebenfalls für einen Oscar nominierten Soundtrack untermalte Geistergeschichte erwies sich als derart erfolgreich, dass sie zwei Fortsetzungen nach sich zog und später auch zu einer Fernsehserie verarbeitet wurde. In “Topper Takes a Trip" (1938) kehrt Marion noch einmal auf die Erde zurück, um ihrem Toppy, dessen Frau nun plötzlich die Scheidung will, beizustehen. Cary Grant ist in diesem mehr auf Situationskomik als auf Wortwitz setzenden Film bloss noch in der Eingangssequenz zu sehen, was ich den Machern nie verzeihen werde. “Topper Returns” (1941) lässt Roland Young ohne Constance Bennett, aber mit Joan Blondell als Gespenst in einem unheimlichen Haus einen Mordfall aufklären. Dieser dritte - enttäuschende - Teil zeigt, dass aus der Topper-Geschichte eigentlich schon alles herausgeholt war.

“Topper” war einer der ersten Filme, die nachträglich eingefärbt erneut ins Kino kamen, ein Versuch, der insbesondere im Zusammenhang mit Curtiz’ “Casablanca” erbitterte Diskussionen auslöste. Der kleine Klassiker “Zwei Engel ohne Flügel” war im deutschsprachigen Raum lange Zeit nur als VHS-Kassette erhältlich, was Fans ausserordentlich bedauerten; denn das Original lebt nicht zuletzt von seinem Wortwitz, der sich nicht ohne weiteres in andere Sprachen übersetzen lässt. Jetzt ist endlich eine "Topper Edition" mit allen drei Filmen erhältlich, die es dem Zuschauer ermöglicht,  zwischen der deutschen und der englischsprachigen Fassung zu wählen.

Und zum Schluss: Für 2010 ist ein Remake des Films mit Steve Martin als Cosmo Topper angekündigt. Diese Drohung dürfte sich in absehbarer Zeit bewahrheiten, was mich (der Kerl verhunzte schon den mir lieben Film “Cheaper by the Dozen”, 1950, mit Clifton Webb und Myrna Loy, aus dem er ein Pseudo-Remake machte!) zu einem Amoklauf veranlassen wird. Ich hoffe, die wenigen Leser dieses Beitrags werden sich mir anschliessen. Könnte lustig werden...

Montag, 12. Juli 2010

Kleine Zwischenbemerkung

Roman Polanski ist frei!!! Die Schweizer Behörden haben entschieden, ihn nicht an die USA auszuliefern, und er befindet sich seit heute Mittag auf freiem Fuss. - Endlich kann ich mich auch als Schweizer rücksichtslos über seine Filme hermachen.

Donnerstag, 8. Juli 2010

Der Film zum Kontext

Nicht nur Dion & The Belmonts taten sich schwer mit der Einsicht, dass ein Mond  lediglich aus Papier gemacht sein könnte; auch der  Fimfreund möchte manchmal vergessen, dass er sich voller Inbrunst   Illusionen hingibt. Dabei vermag doch das Kino weit mehr als einen Papiermond wie einen echten Erdtrabanten aussehen zu lassen; es verwandelt sogar am Tag gedrehte Szenen mittels eines technischen Verfahrens auf wundersame Weise in  Nacht. Man bezeichnet dieses Verfahren bekanntlich als "Day-for-Night" oder

Die amerikanische Nacht
(La nuit américaine, Frankreich 1973)
Regie: François Truffaut
Darsteller: Jean-Pierre Léaud, Jacqueline Bisset, Valentina Cortese, Jean-Pierre Aumont, François Truffaut, Dani, Nathalie Baye, Alexandra Stewart, Graham Greene u.a.

Auf dem Platz herrscht reges Treiben. Ein grüner Bus fährt vorbei, man  beobachtet  eine Frau in einer roten Jacke, die sich eine Illustrierte kauft und  die Treppe zur U-Bahn-Station hinabgeht. Wenige Sekunden später taucht von unten ein junger Mann auf. Er überquert den Platz, geht langsam auf einen älteren Mann zu und verpasst ihm vor den Augen der Menge eine Ohrfeige. - Plötzlich erscheint in Grossaufnahme das Gesicht eines Regisseurs, der durch ein Megaphon sein schrilles  “Cut!” brüllt und zu bemängeln beginnt, was alles nicht nach seinen Plänen lief. Scheinwerfer tauchen auf, man sieht eine Kamera und vom Schauspieler bis zum Scriptgirl versammeln sich alle auf jenem “Platz”, der offensichtlich nichts weiter als eine Attrappe in einem Filmstudio im Süden Frankreichs ist. Selten zuvor wurde der Zuschauer aus einer perfekten Illusion derart überraschend in die banale Realität des Filmemachens geworfen.

Dies die Eingangssequenz von Truffauts “La nuit américaine”, der 1974 mit dem “Auslandsoscar” ausgezeichnet und im Folgejahr für weitere Oscars nominiert worden war, heute aber eher zu den vergessenen Filmen des Regisseurs gehört. Die Geschichte ist denkbar einfach: Eine Filmequippe ist mit den Dreharbeiten zu einem  unbedeutenden Melodram mit dem Titel “Je vous présente Pamela” (es handelt von einer jungen Frau, die sich mit dem Vater ihres Gatten in eine Affäre einlässt)  beschäftigt, das von den Hauptdarstellern bis zur Assistentin des Scriptgirls während der hektischen Wochen als zukünftiges Meisterwerk und Sinn ihres Daseins betrachtet werden muss und dessen Herstellung ein Privatleben nur in fragmentarischer Form zulässt, weil das Einbringen  persönlicher Probleme ein solches Projekt rasch gefährden könnte. Dennoch hat der Regisseur Ferrand, der derart für den Film lebt, dass er ausser in seinen Träumen gar nicht mehr als  Wesen mit menschlichen Regungen wahrgenommen wird, rasch einmal mit mehr als den üblichen technischen Pannen (eine wichtige Szene wird im Kopierwerk zerstört) und der Auswahl  von passenden Perücken und Pistolen zu kämpfen. Denn seine Mitarbeiter teilen die Devise, wonach der Film wichtiger sei als das Leben, nur in der Theorie...

Am meisten zweifelt man an der Zuverlässigkeit des noch nicht  im Studio angekommenen Hollywood-Stars Julie Baker, die erst kürzlich einen Nervenzusammenbruch erlitt. Doch da gibt es auch ihren neurotischen Co-Star Alphonse, (warum wohl wurde die Rolle mit Jean-Pierre Léaud, der als Truffauts “alter ego” galt, besetzt?), der seine neueste Geliebte Liliane als Assistentin des Scriptgirls anheuern liess, damit er ständig die Bewegungen ihres Hintern beobachten und sämtliche Männer am Set mit der Frage belästigen kann, ob Frauen magisch seien.  Die alternde Schauspielerin Severine wiederum sucht Trost im Alkohol und kann ihren Text nicht mehr behalten, weshalb sie sich erkundigt, ob sie stattdessen nicht einfach wie bei Fellini Zahlen vor sich her sagen dürfe. Es bleibt noch Alexandre, einst wohl halbwegs ein Star, der seinen jungen Liebhaber als Sohn adoptieren möchte. - Wundert es da noch, dass der von Truffaut selber gespielte und nur von seiner Assistentin Joelle bedingungslos unterstützte Regisseur das Drehen eines Films mit einer Kutschenfahrt im Wilden Westen vergleicht: am Anfang freue man sich auf eine schöne Reise, später hoffe man sie zu überleben?

Julie Baker, die mit ihrem neuen Gatten, einem Arzt, eintrifft, erweist sich entgegen der Erwartungen als professionell und äusserst teamfähig, was die Arbeit  zu erleichtern scheint - Hingegen begleiten während der ganzen Zeit  lästige Journalisten die Dreharbeiten und verlangen von jedem, der ihnen über den Weg läuft, Auskünfte über den Film. Die Antworten von Schauspielern und Crew zeigen, wie unterschiedlich man dem Projekt gegenübersteht, wie oberflächlich man sich mit dem Drehbuch auseinandergesetzt hat - und auch, wie wenig man an der Aufgabe anderer und persönlichen Tragödien interessiert ist. Einzig Julie Baker geht mit ihrem Bedürfnis, Menschlickeit in eine letztlich egozentrische Arbeitsgemeinschaft auf Zeit einzubringen, ungewollt zu weit:  Als sich die Geliebte von Alphonse mit einem Stuntman aus dem Staub macht, verbringt sie aus lauter Mitgefühl sogar  die Nacht mit dem Flegel, der ihre Ehe aufs Spiel setzt und  lauthals verkündet, er werde nie wieder in einem Film mitspielen. Dann soll auch noch der tödliche Autounfall eines Darstellers unerwartete Probleme mit sich bringen und kurzfristige Drehbuchänderungen nötig machen...

Als Truffaut “La nuit américaine” drehte, hatte der ehemalige Kritiker beim Kinomagazin "Les Cahiers du cinéma" schon mehr als ein Jahrzehnt praktische Erfahrung als Filmemacher gesammelt, und es ist deshalb nicht verwunderlich, dass er neben Hommagen an von ihm bewunderte Regisseure (der ständige Knopf im Ohr will zum Beispiel als Verbeugung vor Luis Buñuel verstanden werden) auch  "Erinnerungen" an eigene Arbeiten in den Film einbringt: So scheint eine Szene, in der eine Katze ständig von einem  Tablett  wegläuft (sie sollte sich hinter die Milch machen), auf “La peau douce” (1964) zu verweisen, in dem ebenfalls ein Tablett vor die Türe gestellt wird. Und Jacqueline Bissets Nebenjob als Übersetzerin für den Stuntman, der kein Französisch versteht, entspricht zweifellos der Aufgabe von Julie Christie während der Dreharbeiten zu “Fahrenheit 451” (1966): Truffaut, der des Englischen kaum mächtig war, hatte sich gezwungen gesehen, den Film in einem englischen Studio zu drehen und nahm Julie’s Hilfe dankbar an, weil sich Oskar Werner, gerade für einen Academy Award nominiert aus Hollywood zurückgekehrt, nur noch über den Regisseur, mit dem er einst erfolgreich zusammengearbeitet hatte, lustig machte. - Letztlich sind Ferrands nächtliche Träume (die Träume eines ganz dem Film Verfallenen, der schon als Kind nachts zu einem Kino schlich, um Bilder von “Citizen Kane“ zu stehlen)  natürlich  “Les quatre cents coups” (1959), dem ersten Teil des Doinel-Zyklus, entnommen. --- Es erstaunt auch nicht, dass sich ausgerechnet Truffaut an ein kleines Subgenre wagte, das schon andere “besessene” Regisseure angelockt hatte und weiterhin anlocken sollte: das des Films über das Filmemachen (als berühmte Beispiele seien genannt: “Le mépris”, 1963, von Jean-Luc Godard, “Otto e mezzo”, 1963, von Federico Fellini, “Stardust Memories”, 1980, von Woody Allen).

Es ist denn auch gerade die Beschäftigung mit dem Herstellungsprozess, die “La nuit américaine” zu einem sehenswerten Ereignis macht, welches das Mysterium “Film” dennoch nicht zerstört, da Truffaut, wie er selber sagte, nur Teile der Wahrheit, nicht die Wahrheit zeigt: das Füllen eines ganzen Platzes mit künstlichem Schnee, der nicht “zu weiss” aussehen darf, eine von der Kamera begleitete und von Scheinwerfern beleuchtete Autofahrt, Jacqueline Bisset, die eine Leiter hinauf zur  minimalen Andeutung eines Fensters klettern muss, damit in einer Szene der Eindruck entsteht, sie wohne ihren “Schwiegereltern” direkt gegenüber. Und neben diesen Aufsehen erregenden Dingen werden wir Zeuge von Details wie dem Arrangieren der Hände der Hauptdarstellerin, den Problemen mit der Aufnahme eines Doubles oder dem Versuch, eine Türe für die in Rage geratene Severine zu markieren, die in einer Szene fälschlicherweise ständig den Schrank öffnet, wenn sie das Zimmer verlassen will. - Allein aus solchen Elementen hätte sich ein wunderschöner abendfüllender Film, der dem von Truffaut angepeilten Dokumentarischen gerecht geworden wäre, machen lassen. Was jedoch stört: die Überfülle an persönlichen Problemen, an Bettgeschichten, kleinen privaten Episoden am Rande. Diese vielen “menschelnden” Bestandteile dürften den Film gerade beim amerikanischen Publikum seinerzeit so beliebt gemacht haben, greifen sie doch alle Klischees auf, mit denen die Regenbogenpresse ihre Leserinnen bedient (eine Schauspielerin wird während des Drehs schwanger,  ein Mitarbeiter ständig von seiner eifersüchtigen Frau gegängelt, auf Severine wird Rücksicht genommen, weil ihr Sohn - was freilich nicht ausgesprochen werden darf! - krank ist etc.); sie sind  unnötig, zum Teil regelrecht peinlich, und lassen den Film, von dem eigenartigerweise immer wieder gesagt wurde,  er zeichne sich durch eine melancholisch-heitere Grundstimmung aus, stellenweise lediglich  hektisch wirken, erwecken beim heutigen Zuschauer den Eindruck er schaue sich eine “Daily Soap” an, in der die Figuren auch während einer einzigen Folge mehr durchleben als jeder normale Mensch in einem Jahr. Man erinnert sich nach einer Sichtung gar nicht mehr an alle  Kleinigkeiten, weiss deshalb auch nicht mehr, was nun eigentlich als relevant eingestuft werden soll. - Dabei geht es doch - dies deutet auch die wunderschöne Musik von Georges Delerue immer wieder an - einzig um den Triumph des Filmemachens über alles, sogar über das fertige Produkt. Hätte man sich da einiges an Trivialitäten nicht ersparen können?

Die schauspielerischen Leistungen sind durchwegs beachtlich: Valentina Cortese stiehlt als dem  Hochprozentigen zugeneigte Diva der alten Schule natürlich allen die Show, aber auch Jean-Pierre Léaud verleiht seinem unreifen Bengel, der sicher beim Film bleiben wird, ein herrlich trotziges Gesicht (manche glauben, er habe als Alphonse die Rolle seines Lebens gefunden) - und Jacqueline Bisset zeigt, dass sie eine der sinnlichsten Schauspielerinnen ist, die je auf der Leinwand zu bewundern waren (ich frage mich immer wieder, weshalb sie nie zum Superstar aufstieg und sich in den 80er und 90er Jahren sogar für Machwerke wie “Rich and Famous”, 1981, und “Wild Orchid”, 1990, hergeben musste). --- Wenn ich “La nuit américaine” trotzdem als verpasste Chance, ein Meisterwerk über das Filmemachen zu drehen, betrachte, tröste ich mich mit dem Gedanken, dass der Film besonders in Frankreich zum Teil wegen  seiner unkritischen Begeisterung und dem mangelnden Interesse an der politischen  Dimension des Themas wesentlich heftiger kritisiert wurde. Die Beziehung Truffauts zu seinem langjährigen Weggefährten Godard ging damals sogar endgültig in die Brüche. - Es scheint mir, Truffaut habe im von manchen für überschätzt gehaltenen “Le dernier métro” (1980) zu jener Ökonomie gefunden, die auch “La nuit américaine” gut angestanden hätte: Es geht in diesem Film unter anderem auch um eine Dreiecksgeschichte, unverrückbar im Mittelpunkt steht dort jedoch diese nicht zu stillende Leidenschaft für das Theater in einer schweren Zeit.

Samstag, 3. Juli 2010

Kontext ohne Film?

Ach, was soll in Sommernächten
Ich zu Liebesfilmen schmächten - äh - schmachten, 
Wenn am hohen Himmelszelt
Etwas leuchtet, was gefällt?

Schon diese frühe Fassung eines heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Gedichts - "Füllest wieder Busch und Tal" - von Goethe (der 1764 seiner Geliebten Charlotte von Stein gewidmete Versuch wurde erst kürzlich in ihrer Nachttischschublade entdeckt) zeigt, dass der hysterisch dreinblickende Typ weder fürs  Reimen noch fürs Dichten im Speziellen gemacht war. Immerhin muss man ihm zugestehen, ein Motiv entdeckt zu haben, auf das meine Doo Wop-Götter auch immer wieder zurückkamen, wenn sie in herrlichen Tönen die Liebe besangen: den Mond!


So nahmen etwa The Capris die Anwesenheit des Leuchtkörpers gerührt zur Kenntnis (There's a Moon Out Tonight") und wussten auch, was  in solchen Nächten alles anzufangen wäre, während The Chaperones gleich zu einem Cruise to the Moon ansetzten. Die offenbar farbenblinden The Marcels stellten ihn sich blau vor und schafften es mit "Blue Moon" sogar in einen John Landis-Klassiker, was The Enchanters nicht davon abhielt, "Spellbound by the Moon" zu sein. The Del Vikings hielten es für nötig, sich das Ding freundlich zu stimmen ("Friendly Moon"), und Frankie Love erhob es gleich zum Moon of Love. - Ist es da noch verwunderlich, dass The Olympics sogar zu einem Dance by the Light of the Moon einluden? --- Die ernüchternde Feststellung, dass auch ein Mond nur aus Papier sein könne ("It's Only a Paper Moon"), blieb jedoch ausgerechnet dem Mädchenschwarm Dion vorbehalten, der in den frühen 60er Jahren zusammen mit seinen  Belmonts noch einmal alle grossen Doo Wop-Titel recyceln sollte:



Was nun - wird sich der geneigte Viertel-Leser, der mir noch geblieben ist, fragen - will uns der Film-Blogger damit verkünden? Geht es ihm einfach darum, uns zu sommerlicher Stunde von den schrecklichen RomComs (Romantic Comedies) abzuhalten, mit denen Hollywood seit einigen Jahren die Video-Läden füllt (das erste Jahrzehnt dieses Milleniums kündete bekanntlich mit Fetzen wie "Rumor Has It", 2005, oder "Must Love Dogs", 2005,  den Untergang der RomCom an!)? Bietet er uns die hehre - nächtliche - Natur als Alternative an --- und möchte uns dort eventuell vernaschen? - Oder sollte der Doo Wop lediglich als Vorwand für seine Liebe zur Malerei herhalten?  Will er uns etwa mit Caspar David Friedrich vergraulen?

Oh, lieber Viertel-Leser! Kannst du dir nicht vorstellen, dass diesem Kontext sehr wohl noch ein Film folgen wird, dass ich dich lediglich ein wenig auf die Folter spannen möchte, nachdem ich mich nun mutig als alter Doo Wop-Freak geoutet habe? - Lass dir doch einfach ein paar Möglichkeiten durch den Kopf gehen, während ich die lauen Sommerabende geniesse! Vielleicht finde ich endlich den Mut, "American Graffiti" (1973) zu besprechen; eventuell lasse ich mich auch zum Science Fiction-Klassiker "Le Voyage dans la Lune" (1902) von Georges Méliès hinreissen oder trabe boshaft mit "The Man in the Moon" (1991) an? Und welche Freude würde dir gar Aufgewärmtes zu "An American Werewolf in London" (1981) bereiten? Sollte ich in ein paar Tagen Chabrols "Die Wahlverwandtschaften" (1981) lobpreisen, zu denen das Dichterlein selber das Drehbuch schreiben wollte (zum Glück liess man den alten Knacker, der ohnehin nach "Mehr Licht!" verlangte, gar nicht erst ran)?

Vielleicht aber - und auch das muss mal ernsthaft in Erwägung gezogen werden - habe ich  einfach keine Lust, dich während des ganzen Sommers alle fünf Tage mit einem ellenlangen Essay zu beliefern, derweil du mit deiner neuesten Eroberung auf einer Waldbank rumknutschst (was bei einem Viertel-Leser ohnehin reichlich komisch aussehen dürfte).  - Immerhin solltest du dem offensichtlichen Anachronismus in meinem kleinen Text auf die Spur gekommen sein: Goethe hatte als 15-Jähriger selbstverständlich noch keine Affäre mit der steinigen Charlotte! Vermutlich hatte er noch gar keine Haare am Pimmel und nahm wie eine grosse Figur des deutschen Films den Photoapparat mit ins Bett, wenn er gewisse Dinge - ausprobierte.