Einige Kurzfilme von Norman McLaren
Teil 1: Ein Regisseur mit Festanstellung auf Lebenszeit
Teil 2:
Pixil(l)ation
Teil 3:
Minimalismus mit Linien und Kugeln
OPENING SPEECH
Kanada 1960
Regie und Darsteller: Norman McLaren
BEGONE DULL CARE
Kanada 1949
Regie: Norman McLaren und Evelyn Lambart
PAS DE DEUX
Kanada 1968
Regie: Norman McLaren
Tänzer: Margaret Mercier, Vincent Warren
Lassen wir zunächst Norman McLaren selbst einige Worte an das geschätzte Publikum richten:
Damit ist eigentlich schon alles Wesentliche gesagt - außer vielleicht, dass Norman McLaren (1914-87) einer der genialsten Animationsfilmer aller Zeiten war. Dazu verwendete er eine ganze Reihe von Techniken und Stilen, beispielsweise direkt auf das Filmmaterial gemalte oder eingeritzte abstrakte Filme wie BEGONE DULL CARE. Nachdem der gebürtige Schotte noch als Student Preise auf Amateurfilmfestivals in Glasgow gewonnen hatte, wurde John Grierson auf ihn aufmerksam und holte ihn nach London zur Filmabteilung der Britischen Post (GPO Film Unit). Grierson, der Pionier der britischen Dokumentarfilmbewegung, versammelte dort nicht nur reinrassige Dokumentarfilmer, sondern auch experimentierfreudige junge Leute wie McLaren und den Neuseeländer Len Lye, der wie McLaren zu einem der führenden Vertreter des abstrakten Films werden sollte. So arbeitete McLaren also in den 30er Jahren für das GPO, und er drehte in dieser Zeit als Kameramann auch einen Film über den spanischen Bürgerkrieg (Regie führte Ivor Montagu), der von seiner sozialistischen und pazifistischen Einstellung geprägt war, ebenso wie der ungestüme Antikriegs- und Antikapitalismusfilm HELL UNLIMITED, den er gemeinsam mit Helen Biggar realisierte. 1939 ging er dann in die USA und lebte fast zwei Jahre in New York, wo er als angestellter Mitarbeiter für Mary Ellen Bute und Ted Nemeth arbeitete, die seit 1934 gemeinsam abstrakte Filme drehten (seit 1940 waren sie auch miteinander verheiratet), und McLaren drehte in dieser Zeit auch einige kleinere eigene Filme. Eigentlich wollte er in New York bleiben, aber dann holte ihn John Grierson nach Kanada. Grierson hatte in einem Report für die kanadische Regierung die Einrichtung einer nationalen Filmbehörde empfohlen. Daraufhin wurde das
National Film Board of Canada (NFB, bzw. auf Französisch
Office national du film du Canada, ONF) ins Leben gerufen, und Grierson wurde der erste Vorsitzende. Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, McLaren zum Leiter der Animationsabteilung des NFB zu berufen, wobei er nicht nur selbst Filme drehen, sondern auch die Ausbildung von Nachwuchskräften leiten sollte. Grierson konnte traumhafte Bedingungen bieten, so dass McLaren 1941 schließlich nach Kanada zog, wo er bis an sein Lebensende blieb. McLaren bekam eine feste Anstellung und gesicherte Finanzierung für seine Projekte - Bedingungen, von denen die meisten seiner Kollegen nur träumen konnten (beispielsweise konnte der in die USA emigrierte Oskar Fischinger in den letzten 20 Jahren seines Lebens keinen Film mehr realisieren, weil er das nötige Geld nicht auftreiben konnte). Da das NFB eine staatliche Einrichtung ist, besaß McLaren fast so etwas wie Beamtenstatus. Im Lauf der Jahre und Jahrzehnte wurde er der wichtigste kanadische Animationsfilmer, und schließlich der Übervater des NFB - das Hauptquartier des NFB in Montreal heißt heute
Norman McLaren Building. Eine Auswahl seiner zahlreichen Preise und Auszeichnungen (insgesamt über 200) kann man in
Wikipedia nachlesen.
Sehen wir uns jetzt BEGONE DULL CARE an, einen abstrakten Film zu einer Musik vom Oscar Peterson Trio (bei entsprechender Bandbreite kann man die Qualität auf 1080p erhöhen):
Die Musik wurde vor dem Film aufgenommen, aber in enger Kooperation mit McLaren eigens für BEGONE DULL CARE geschrieben und in einer viertägigen Aufnahmesitzung, an der McLaren aktiv teilnahm, eingespielt. Dann wurde die exakte zeitliche Struktur der Musik mit sehr detaillierten Zeitangaben in ein Schema auf Papier übertragen, und damit wiederum wurden auf 35mm-Filmmaterial Zeitmarkierungen zwischen den Perforationslöchern angebracht, so dass letztendlich Musik und Bilder genau synchronisiert werden konnten. Wie oben schon erwähnt, wurde der Film ohne Zuhilfenahme einer Kamera manuell direkt auf Filmmaterial aufgebracht. Dazu wurden einzelne Filmstreifen auf ein mehr als vier Meter langes Brett gespannt. Im ersten und dritten Satz wurden die Bilder zum größten Teil in einem überaus komplizierten Prozess auf beide Seiten von Klarfilm gemalt. Um zu verdeutlichen, wie diffizil das war, lassen wir McLaren selbst (in einem Statement von 1949) zu Wort kommen:
In various ways, almost too many to list, we applied all kinds of transparent coloured dyes, and scratched or engraved on them. [...] We applied the dyes with big and little brushes, with stipple brushes, with sprayers, with finely crumpled paper, and with cloths of various textures. We pressed dry, textured fabrics into washes of still wet dye. Netting, mesh and fine lace were stretched out tightly in various ways against the celluloid, to act as stencils when dye was sprayed on the film. Different types of dust were sprinkled on wet dye, which formed circles as it recoiled from each dust speck. We found a black opaque paint which, as it dried, created a crackle pattern. And so on.
Und so geht das noch einige Absätze weiter. (Quelle: Booklet des DVD-Set
Norman McLaren. The Collector's Edition. Mehr zu DVDs am Ende des dritten Teils der Artikelserie). Im langsamen Mittelteil (und an einigen wenigen kurzen Stellen im ersten und dritten Teil) wurden die Bilder mit Messern in Schwarzfilm (
black leader) unter Zuhilfenahme einer
Moviola eingeritzt.
Co-Regisseurin Evelyn Lambart war in den 40er Jahren eine von McLarens Schülerinnen in der Animations-Abteilung des NFB, und dann mehr als zehn Jahre lang seine engste Mitarbeiterin. (Sie hatten aber nichts miteinander, denn McLaren war schwul und lebte 50 Jahre lang mit dem Film- und Fernsehproduzenten Guy Glover zusammen.) BEGONE DULL CARE ist der schönste und komplizierteste Film, den McLaren auf die beschriebene Weise erschaffen hat. Ein weniger elaborierter Vorläufer ist beispielsweise
BOOGIE-DOODLE von 1941; seine ersten Versuche mit handgemaltem Film machte McLaren bereits auf der Kunsthochschule in Glasgow. Der fertige Filmstreifen von BEGONE DULL CARE diente als Master-Positiv, von dem ein Negativ und davon schließlich die Vorführ-Kopien gezogen wurden.
Kommen wir jetzt zu PAS DE DEUX:
Um den Zeitlupeneffekt zu erzielen, wurde mit doppelter Geschwindigkeit (48fps) gefilmt, mit weiß gekleideten Tänzern in einem komplett schwarzen Studio (was für die Tänzer ziemlich schwierig war). Die Beleuchtung erfolgte von schräg hinten. Das war essentiell - nur dadurch, dass nur die Umrisse der Tänzer zu sehen sind, kommt die Überlagerung positiv zur Geltung. Bei Beleuchtung von vorn hätten sich damit nur verschwommene weiße Flecken ergeben. Die wirklich erstaunlichen Überlagerungseffekte wurden durch den virtuosen Einsatz eines
optischen Printers erzielt. Dabei wurden bis zu elf einzelne Bilder übereinandergelegt. Der zeitliche Versatz der Einzelbilder - der dann den räumlichen Abstand im Gesamtbild bestimmt - betrug meist drei, vier oder fünf Frames, gelegentlich auch bis zu zwanzig Frames (bei weniger Frames ergibt sich eine dichte, bei mehr Frames eine räumlich weit auseinandergezogene Überlagerung). Am NFB wurde übrigens auch Pionierarbeit zur Computeranimation geleistet, McLaren selbst hat aber nie Computer für seine Filme verwendet.
Bei PAS DE DEUX entstanden erst die Bilder und dann der Soundtrack. Die Musik stammt in ihrer ursprünglichen Form vom rumänischen Panflötisten Constantin Dobre. Das Problem dabei war, dass das Stück nur drei Minuten dauert und der Film dreizehn. Die nötige Streckung übernahm Maurice Blackburn, ein am NFB fest angestellter experimentierfreudiger Komponist, der oft und intensiv mit McLaren zusammenarbeitete. Er zerlegte das Stück in sehr kurze Teile, die auf Magnetband gespeichert und dann nach einer elektronischen Bearbeitung mit Hilfe eines Toningenieurs in geeigneter Weise wieder zusammengesetzt wurden, so dass sich der nahtlos dahinfließende Soundtrack ergab.
Was für eine "Opening Speech"! Ich dachte mir die ganze Zeit: So müsste eine Oscar-Verleihung aussehen; dann würde ich mir die Veranstaltung wieder anschauen. ;)
AntwortenLöschenUm ehrlich zu sein: Obwohl sich das Schweizer Fernsehen eine Zeitlang spät abends in der Reihe "Delicatessen" mit Animationsfilmen beschäftigte, höre ich zum ersten Mal von Norman McLaren und staune einfach, auf welch komplizierte Weise ein feenhaftes Kunstwerk wie "Pas de deux" hergestellt werden musste. Und welch unglaublicher Reichtum an Ideen. - Ich bin schlicht begeistert!
Möchte hinzufügen: Nur ein Schwuler verfügt über diese Genialität mit Humor verbunden. Aber dann müsste der Herr im Himmel eigentlich auch mich damit beschenkt haben - wenigstens mit einem Anflug davon...
Ich bin ebenso von McLaren begeistert. Die Vielfalt des Mannes - sowohl was Themen, Techniken wie auch emotionale Ausdruckspaletten betrifft - ist erstaunlich! Besonders „Pas de deux“ macht wirklich sprachlos...
AntwortenLöschenSehr kurios und interessant sind die jeweils mehrsprachigen Vor- und Abspanne.