Spanien/Frankreich 2010
Regie: Álex de la Iglesia
Darsteller: Carlos Areces (Javier, der traurige Clown), Antonio de la Torre (Sergio, der lustige Clown), Carolina Bang (Natalia)
Ein Soldat tötet mehrere Dutzend gegnerische Krieger in einem Gefecht – in einem entfesselten und gnadenlosen Bürgerkrieg keine wirklich bemerkenswerte Tatsache. Eher außergewöhnlich ist jedoch, dass es sich um einen lustigen Clown in einem Frauenkleid handelt, der sein blutiges Handwerk mit einer Machete verrichtet. Wenige Minuten zuvor hatte er noch kleine Kinder mit einer etwas traditionelleren Clowns-Aufführung unterhalten. Die republikanische Einheit, die ihn rekrutiert hatte, verliert das Gefecht und der Clown wird von den Faschisten gefangen genommen. Seinen kleinen Sohn schwört er darauf ein, sein Dasein fortan als traurigen Clown zu fristen und ihn zu rächen. Jahrzehnte nach der Etablierung der franquistischen Diktatur heuert der nun erwachsene und leicht pummelige Javier bei einem Wanderzirkus als trauriger Clown an. Sein Vorgesetzter, der lustige Clown Sergio, entpuppt sich als unberechenbarer Psychopath, der seine Umgebung und ganz besonders seine Freundin, die Trapez-Künstlerin Natalia, mit unkontrollierten Gewaltausbrüchen terrorisiert. Natalia erträgt den Zirkus-Tyrannen mit geradezu stoischer, sogar latent masochistischer Gelassenheit, versucht aber auch offen mit Javier anzubandeln. Der lustige Clown findet dies alles andere als lustig und bearbeitet den traurigen Clown mit einem Vorschlaghammer. In dem Moment, wo er wieder auf zwei Beinen stehen kann, flüchtet Javier (in einem Hinten-Ohne-Krankenhaushemd) aus dem Hospital. Er überrascht Sergio und Natalia beim Liebesspiel (oder bei einer Vergewaltigung) und bearbeitet wiederum seinen Vorgesetzten mit einer Trompete.
Dies ist der Moment, wo es erst richtig absurd wird. Nach dem Angriff auf Sergio flieht Javier in den Wald und lebt von da an monatelang völlig nackt, wie ein Urmensch, in einer Jägerhöhle. Hier wird er von einem Oberst aus dem direkten Umfeld des Diktators Franco bei der Jagd entdeckt. Javier wird zum Jagdhund degradiert, der das geschossene Wild in seinem Maul apportieren soll. Doch er rebelliert und beisst dem Caudillo höchstpersönlich in die Hand. Er schmeckt Blut und nach einer Halluzination, in der Natalia ihn auffordert, zum Todesengel zu werden, verpasst er sich ein schickes „permanent make up“, schlüpft in ein karnevaleskes Bischofskostüm und zieht schwer bewaffnet und wild um sich ballernd durch die Straßen Madrids.
„Balada triste de trompeta“ ist keineswegs ein Meisterwerk, aber sowohl als künstlerisch anspruchsvoller Film wie auch als Auseinandersetzung mit der diktatorischen Vergangenheit Spaniens sollte man den Film jedoch ernst nehmen. Gerade die Opening Credits (hier zu sehen) erscheinen als ein Manifest für einen kreativen cinematographischen Umgang mit Geschichte, der auch aus der Perspektive der Erinnerungskultur absolut sinnvoll erscheinen kann. Die Vermengung von verfremdeten Fotografien aus dem Bürgerkrieg und der franquistischen Zeitgeschichte mit faschistischen Insignien, Darstellungen des katholischen Klerus sowie spanischer Kulturpersönlichkeiten, Fahndungsfotos von ETA-Terroristen, Werbebilder für Strandurlaub und nicht zuletzt Screenshots angelsächsischer Horrorfilme in einer Montage-Sequenz ist zwar oberflächlich gesehen geschmacklos, provozierend, und politisch unkorrekt. Der Zeitzeuge Iglesia kann sich aber gut daran erinnern, dass er als Kind an einem Abend eine Komödie und einen Horrorfilm im Fernsehen sah, mit dazwischen ausgestrahlten Nachrichten, ohne, dass er diese Eindrücke analytisch ordnen und filtern konnte. Die Horrorfratze von Frankensteins Monster neben das Antlitz Francos zu stellen erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur aus künstlerischer Perspektive anregend. Iglesia hat eben nicht „mit unzähligen Zeitzeugen und Wissenschaftlern“ gesprochen, weil er überhaupt nicht nach Authentizität sucht, sondern zutiefst persönliche Erinnerungen, Visionen und Obsessionen cinematographisch umsetzt – damit versucht eben nicht wie manch anderer, seinen Film als „authentisch“ zu legitimieren und zu adeln. Davon abgesehen weist der Regisseur in den Opening Credits auf sehr provokante Art und Weise auf die enge Verflechtung der katholischen Kirche mit dem Franco-Regime.
Nichtsdestotrotz liegt natürlich die Allegorie auf die Diktatur Francos auf der Hand: das franquistische Spanien erscheint hier als chaotischer Zirkus, das von einem tyrannischen lustigen Clown regiert wird – eine Vorstellung, die Menschen mit akuter Coulrophobie wohl ganz besonders beunruhigend finden dürften. Dieses System erscheint als die Hölle auf Erden: die Untertanen, die alle wie kleine Kinder behandelt werden, sind gezwungen, die ganze Zeit über die schlechten Witze des Oberclowns lachen. Das Nichtlachen erscheint dabei als Akt radikalen Widerstandes. Javier ist beim ersten auswärtigen Essen mit seinen neuen Arbeitskollegen der einzige, der über Sergios Witz mit dem zermatschten Kind nicht loslacht. „Ein Volltrottel versaut uns den Abend, weil er den Witz nicht versteht“, meint der lustige Clown daraufhin und verprügelt vor den Augen aller anwesenden Zirkuskollegen seine Freundin Natalia. Über die Mechanismen passiver Akzeptanz gegenüber einer Diktatur durch Gruppendynamik, ja gar über den Rückhalt oder die Massenbasis des Franquismus in der spanischen Gesellschaft ist diese schockierende Szene wahrscheinlich sehr viel aussagekräftiger, als man auf den ersten Blick denken könnte – auf jeden Fall aussagekräftiger als so „realistische“ „Das Leben der Anderen“, in dem es keinerlei Gesellschaft gibt, sondern nur böse Individuen und gute Individuen.
Die gemarterte Natalia drängt sich geradezu als Inkarnation der spanischen Nation auf. Regelmäßig wird sie von Sergio verprügelt und vergewaltigt. Ihre Reaktionen auf die Gewalttaten sind ambivalent. Sie nimmt ihren brutalen Freund in Schutz: er würde nur unter Alkoholeinfluss gewalttätig (dabei trinkt er natürlich jeden Tag). Sie scheint auf fast masochistische Weise die Gewalt zu genießen, leckt ihr eigenes Blut. Und doch rennt sie immer wieder vor dem Gewalttäter weg, zu Javier: „Bei dir fühl ich mich anders, so geborgen.“ Javier selbst ist schließlich das ungerade Element, das in einem Iglesia-Film natürlich nicht fehlen kann. Vielleicht ist gerade er noch mehr die Verkörperung Spaniens als Natalia, da er im Film nacheinander multiple Rollen ausfüllt: Bürgerkriegs-Waise, resignierter Untertan, politischer Oppositioneller, Öko-Eskapist, Terrorist, Faschist, Pieta der Nation.
„Balada triste de trompeta“ kann auch als Rache- bzw. Amoklauf-Thriller gesehen werden, geht es doch letztlich auch um einen Mann, der unter den Bedingungen der Diktatur seine Trauer, seinen Zorn und seine Frustrationen in sich fressen musste und zur tickenden Zeitbombe wurde. Und der schlußendlich mit einem Schlag wirklich explodiert und fürchterliche Gewalttaten begeht. In seinem Blutrausch wird Javier selbst zum Faschisten und er gibt dies schließlich Natalia gegen Ende des Films offen zu: er wolle wie Sergio werden, auf dass sie ihn, den traurigen Clown, begehre. Im Gegensatz zu Gerd Wiesler wird Javier für seine Sünden vom Regisseur auf eine fast klassisch moralische Art zur Verantwortung gezogen: er wird zum ewigen Traurigsein verurteilt. Dem Schlachtfeld, das Javier und Sergio in ihrem Endkampf (hochsymbolisch: auf dem Heiligen Kreuz beim "Tal der Gefallenen") gegeneinander gelassen haben, ist schlussendlich auch Natalia/Spanien zum Opfer gefallen: durch eine Zweiteilung. In der erschütternden finalen Filmszene sitzen sich die beiden völlig entstellten Clowns in einem Polizeiwagen gegenüber. Der arg entstellte Leichnam Natalias wird vor ihnen Augen abtransportiert. Sergio fängt an zu lachen, während Javier bitter zu weinen beginnt. Lachen und Weinen können aber nahe beieinander liegen: bei der Erstsichtung schien mir, dass beide lachten. Erst die Zweitsichtung machte deutlich, dass Javier von einem hysterischen Lachen in ein verbittertes Weinen gleitet. Wie diese ambivalente Schlussszene auch immer zu interpretieren ist – vielleicht als zynischer Kommentar darüber, dass sich die führenden Franquisten lachend vor der Verantwortung für ihre Massenverbrechen entziehen konnten –, sie entlässt den Zuschauer mit einem höchst unguten Gefühl aus dem Film. Dieses extreme Unbehagen ist ein weiterer Punkt, der „Balada triste de trompeta“ emotional radikaler und intellektuell anregender macht als „Das Leben der Anderen“.
Vielleicht ist aber Iglesia trotzdem mit der Transition zufrieden – nicht in allen Aspekten, jedoch in ihrer grundlegenden, friedlichen Form. Sein Film lässt sich schließlich auch als ein kontrafaktisches Experiment sehen: was, wenn es einen zweiten Bürgerkrieg gegeben hätte? „Balada triste de trompeta“ spielt dabei auch sehr direkt auf den urbanen Terrorismus der baskischen ETA an (Iglesia ist übrigens selbst baskischer Herkunft). Diese wählte einen gewaltsamen Weg des Widerstandes gegen den Franquismus. Ihr berühmtestes Attentat in der Franco-Zeit war die Ermordung des Regierungspräsidenten und informellen Stellvertreter Francos, Luis Carrero Blanco. Das Bombenattentat auf seine Limousine wird im Film auch dargestellt und bildet einen Hintergrund für den urbanen Amoklauf Javiers. Während dieser zum Titelthema aller Medien avanciert, wird Sergio zu einer fast bemitleidenswerten Figur. Die Bearbeitung seines Gesichts mittels einer Trompete hat eine erstaunliche Wandlung herbeigeführt. Sie hat ihm die hübsche Maske des lustigen Verführer-Playboys und Alpha-Männchens entrissen. Übrig geblieben ist ein hässlicher Freak, der kleine Kinder mit seinem entstellten Gesicht zwar erschrecken kann, von den Erwachsenen jedoch ausgelacht und gemieden wird. Dies ist ein überaus interessanter Kommentar des Zeitzeugen Iglesia auf den seit Anfang der 1970er Jahre immer offensichtlicheren körperlichen Verfall Francos, der sich vor allem gegen Ende zunehmend als geradezu groteskes und latent peinliches öffentliches Spektakel gestaltete. Der Clown hatte ausgedient, der Clown ging.
Die Gewalt im Film ist omnipräsent, extrem, unberechenbar und zerstört manchmal jäh Momente des Lachens oder der Rührung. Was manch Zuschauer als unnötige Übertreibungen ansieht, fängt im Grunde sehr viel ein über die latente Gewalt des Franquismus, einem Regime, das zwar ab den 1950er Jahren individuellere Formen der Repression ausübte, dessen Gründungsjahre jedoch von Massenterror geprägt waren. Subtil ist eine solche Darstellung nicht, doch sie drückt wahrscheinlich einiges über die Traumatisierungen der spanischen Gesellschaft nach dem Bürgerkrieg aus.
Wie eingangs erwähnt ist „Balada triste de trompeta“ keineswegs ein Meisterwerk. Das liegt vor allem an einem sehr grundlegenden Problem seiner Machart – der Film leidet an einer Wohlstandskrankheit, die seit mehreren Jahren vor allem in Actionfilmen grassiert: Shakycameritis. Die Wackelkamera wird ja immer wieder gerne zwecks „Realismus“ oder „Immersion“ herangezogen („als wäre man mittendrin im Geschehen“). Dabei wird gerne übersehen, dass es für die meisten Menschen nicht sehr realistisch ist, mit drei Promille Blutalkoholkonzentration durch die Gegend zu torkeln (das Gefühl, dem die ausgerechnet dafür von Karl Freund und Friedrich Wilhelm Murnau erfundene Shakycam wohl am nächsten kommt). Richtig unerträglich, mittlerweile aber von manchen Kritikern gar als „state of art“ bezeichnet, wird die Wackelkamera in Kombination mit Nah- bzw. Extremnahaufnahmen und Stakkato-Schnitt im Dreiviertelsekunden-Takt. Leider sabotiert sich „Balada triste de trompeta“ selbst, indem er diesem völlig lächerlichen und nervenden Trend immer wieder nachgibt. Das führt dazu, dass die Eingangs-Szene mit dem Macheten-Clown ein unübersichtliches Misch-Misch aus zittrig-unfokussierten Bildern ist, statt eine gute Action-Sequenz, die der Absurdität ihres Inhalts entsprechen würde. Immer wieder dringt diese Tendenz durch, und zerstört damit sowohl jegliche plastische Räumlichkeit der Bilder wie auch Entfaltungsmöglichkeiten für die durchgehend überzeugenden Darsteller.
Nicht zuletzt verlängert Shakycameritis auch die gefühlte Länge des Films massiv. Wer vor einer Leinwand voller Bilder sitzt, deren visueller Informationsgehalt gegen Null tendiert, langweilt sich tendenziell schneller. Das liegt aber sicherlich auch daran, dass dem Film eine gewisse Straffung des Drehbuchs gegen Ende wohl gut getan hätte. Was die Bilder an Emotionen jedoch nicht einfangen können, kann die absolut großartige Musik Roque Baños‘ zum Teil wieder wettmachen (hier ein Hörbeispiel). Sie etabliert sich mit ihrem einfachen Leitmotiv als ruhigen, melancholischen und nachdenklichen Kontrapunkt gegen den grotesken Gehalt der Handlung.
„Balada triste de trompeta“ spielt auf das Lied „Balada de la trompeta“ aus dem spanischen Musical-Film „Sin un adios“ aus dem Jahre 1970 an (hier der Ausschnitt). Dieser Film läuft in einem Kino, das Javier während seines Amoklaufes besucht. Der Ausschnitt des Films, den er sieht, rührt ihn zu Tränen: seit seiner Verwandlung der einzige Moment, in dem er kurz innehält – bevor er wenige Sekunden später freilich einem anderen Kinozuschauer die halbe Hand wegreisst. Der deutsche Verleihtitel ist vielleicht griffiger und kürzer als der Originaltitel, dieser jedoch fängt die tiefe Grundmelancholie und die Traurigkeit – die immer wieder von Groteske und Gewalt unterbrochen werden – des Films sehr viel passender ein. Endet „Balada triste de trompeta“ doch schließlich damit, dass eine Figur weint, wie vielleicht noch nie jemand in einem Film geweint hat...