Mittwoch, 19. Januar 2011

Her mit der deutschen DVD! - die Sechste

Judex
(Judex, Frankreich/Italien 1963)

Regie: Georges Franju
Darsteller: Channing Pollock, Francine Bergé, Edith Scob, Michel Vitold, Jacques Jouanneau, Théo Sarapo, Sylva Koscina u.a.

Während die Engländer eine Vorliebe für skurrile, aber rechtschaffene und mit Ausnahme von Sherlock Holmes (er käme heute wegen seines Kokain-Konsums in Schwierigkeiten) gesetzestreue Detektive hatten, die jeden noch so kniffligen Fall mit unerbittlicher Logik lösten, zogen die Franzosen für ihre Krimis eine andere Art von Helden vor. Es handelte sich um dunkle, zwiespältige Gestalten, von denen man nie so recht wusste, ob nun das Gute oder das sie verlockende Verbrecherische in ihrer Seele am Ende obsiegen würde. Und mit Ausnahme des Meisterdiebs Arsène Lupin, dessen Erschaffung wir dem Schriftsteller Maurice Leblanc verdanken, gingen alle, möge es sich nun um reine Erfindungen oder historische Gestalten wie Louis Mandrin und Eugène François Vidocq, einst Krimineller, später Kriminalist, gehandelt haben, durch die Feder von Arthur Bernède (1871-1937), der auch den Roman “Belphégor” schrieb. - Diese “Nationalheiligen” des französischen düsteren Krimis wurden selbstverständlich  in Filmen verewigt, manche bereits im Stummfilm,  andere in den 50er- oder 60er Jahren. Sogar das neue Millenium entdeckte für sich den Reiz jener  zwielichtigen Aura, die solche Helden umgab (“Vidocq”, 2001, “Arsène Lupin”, 2004).


Eine der von Bernède erfundenen Figuren ist zumindest hierzulande in Vergessenheit geraten, obwohl ihr bereits der Stummfilm-Regisseur Louis Feuillade zwischen 1914 und 1918 eine ganze Serie gewidmet hatte: Judex, der geheimnisvolle, stets in Schwarz gekleidete Rächer, Meister der Verwandlungskunst, der sich in unterirdischen Gängen bewegt und von ihm nahezu ebenbürtigen Bösewichten verfolgt wird, jedoch immer auf ein ganzes Netzwerk an Helfershelfern bauen kann. - Dieses Vorläufers der amerikanischen Superhelden nahm sich 1963 der französische Regisseur Georges Franju (“Les yeux sans visage”, 1960) an und drehte einen Film, der als regelrechtes Tribut  an die episodische Stummfilmversion betrachtet werden kann, jedoch eine eigene Handschrift aufweist, und den  Kritik und Publikum damals höchstens lauwarm aufnahmen, weil er so gar nicht in die Zeit zu passen schien. - Heute wird er jedoch im französischen und angelsächsischen Raum als Meisterwerk gewürdigt.

Georges Franju war ein Regisseur, der im Gegensatz zu René Clair nicht der “Nouvelle Vague” wich, sondern eigentlich zusammen mit ihrem Aufkommen erst seine grossen Filme zu drehen begann, die ihren eigenen Weg gingen, sich einem Stil verpflichtet sahen, der als “magischer Realismus” bezeichnet wird, und die mit ihren Fabelwesen und einer höchst detaillierten Ausstattung, in die das Unwirkliche, Gespenstische umso überraschender einbricht, sowohl an Jean Cocteau als auch an Surrealisten wie Salvador Dalí und Luis Buñuel erinnern.

Die Geschichte, die “Judex” erzählt, ist denkbar einfach und geradlinig, gewinnt jedoch durch die eigenwillige Gestaltung an Komplexität. Sie umfasst einen korrupten Bankier und dessen schöne unschuldige Tochter Jacqueline, in die sich der Rächer verliebt, die eigentliche Gegenspielerin Diana Monti, ebenfalls eine Meisterin der Verkleidung, einen falschen Vater auf der Suche nach seinem Sohn und einen völlig inkompetenten Detektiv, der nebenbei im ebenfalls von Feuillade verfilmten Roman “Fantômas” (eines jener Elemente des hintergründigen Humors, die den Film auflockern) liest: Eines Tages erhält der Bankier Favraux den Brief eines ihm unbekannten Mannes, der sich Judex nennt und damit droht, ihn umzubringen, wenn er sein zu Unrecht erworbenes Vermögen nicht den betrogenen Besitzern zurückzahle. Tatsächlich erscheint an einem Maskenball zu Ehren der Verlobung von Favraux’ Tochter ein Fremder, der sich einen überdimensionalen Vogelkopf übergestülpt hat, eine scheinbar (der Schein spielt im Film eine bedeutende Rolle) tote Möwe in der Hand hält und die Gäste mit seinen Zaubertricks überrascht. Plötzlich fällt Favraux scheinbar (!) tot um, wurde jedoch von Judex nur betäubt und entführt, damit er ihn unter Druck setzen kann. Mittlerweile kehrt die frühere Angestellte des Bankiers, Diana Monti, in dessen Schloss zurück, um sich sein Vermögen anzueignen. Als sie bemerkt, dass er noch lebt, entführt sie Jacqueline, die gar keinen Anspruch auf das Geld erhebt. Von nun an beginnt ein eigenartiges Katz und Maus-Spiel, innerhalb dessen der Zuschauer unfreiwillig immer wieder Partei für den weiblichen Bösewicht ergreift, weil ihr Judex mit seinem aus Zirkusartisten und anderen vermummten Gestalten bestehenden Netzwerk stets einen Schritt voraus ist, ohne selber kaum je wirklich in Gefahr zu geraten.

Was Franjus Film auszeichnet, ist nicht zuletzt die oft verblüffende Langsamkeit, die ein Grauen ohne Blutvergiessen erzeugt, weil man nie so recht voraussagen kann, wie eine seiner unheimlichen Szenen enden wird. Bezeichnend dafür sind etwa das von Maurice Jarres effektvoller Musik begleitete Auftauchen des Rächers am Maskenball, sein mehrere Minuten andauerndes Durchschreiten des Saals, oder die Szene, in der sich die als Nonne verkleidete Maria Monti  in einer Mühle über die bewusstlose Jacqueline beugt, sich gemütlich eine Zigarette anzündet und dann eine Nadel aus ihrem Kleid holt, mit der sie sie umbringen will. Nichts geschieht hektisch, selbst Marias Verwandlung von einer Nonne in eine katzenhafte “Lederbraut”, die boshafte Version von Emma Peel, verläuft langsam - obwohl sie doch auf der Flucht ist. Und als - eines der bezeichnenden “Deus ex machina”-Elemente gegen das Ende hin - die Artistin Daisy auftaucht, die den für einmal gefesselten Helden befreien soll, erklettert sie gemütlich die Hausfassade und bleibt vor dem Balkon für einen Augenblick lächelnd stehen (als führe sie ihre Nummer vor einem Publikum auf), bevor sie das Zimmer betritt. - Die häufig in der Dunkelheit spielenden Szenen (Strassen, durch die vermummte Gestalten eilen) werden gelegentlich von Bildern abgelöst, deren Helligkeit beinahe beängstigend wirkt. Und das Abheben der Silhouetten vom Hintergrund (die Artistin im weissen Kleid etc.) zeugt vom Willen, das Schwarweiss-Spektrum zur Gänze auszunutzen. - Unvergesslich die Szene, in der der leblose Körper von Jacqueline den Fluss hinunter getrieben wird - oder der wie ein Tanz arrangierte Kampf zwischen der "Damsel in distress" und Diana Monti.

Für die Besetzung der Hauptfigur erlaubte sich Franju einen ganz besonderen Coup: Er engagierte den amerikanischen Magier Channing Pollock, der bis anhin nur in wenigen Filmen mitgespielt hatte. Pollock galt damals als der berühmteste Magier der Welt, der überdies für sein gutes Aussehen bekannt war (er war eine Art Vorläufer von David Copperfield mit dem Gesicht von Rudolpho Valentino). Der Amerikaner bewältigt die Rolle erstaunlich gut, darf sogar einige seiner berühmten Zaubertricks zum Besten geben. - Maria Monti sollte ursprünglich mit Brigitte Bardot besetzt werden; Françine Bergé erweist sich jedoch als Idealbesetzung und vermag trotz ihrer Boshaftigkeit in ihrer Todesszene das Mitleid des Zuschauers zu erwecken.

Ich erinnere mich, als Junge eine Ausstrahlung von “Judex” im deutschen Fernsehen verfolgt zu haben. Später geriet der Film in Vergessenheit. Mittlerweile wird der vielen kaum bekannte Name des grossen Regisseurs von Kennern immer wieder lobend erwähnt; sein Weg zwischen den zum Teil seichten französischen Komödien der 60er Jahre, denen man auch die Neuverfilmungen von “Fantômas” zuordnen möchte, und der oft nur ein intellektuelles Publikum ansprechenden “Nouvelle Vague”  als künstlerisch überragend betrachtet. “Judex” ist im französischen und englischsprachigen Raum als DVD erhältlich. Es scheint mir an der Zeit, ihm auch hier endlich eine Chance zu geben.

Freitag, 14. Januar 2011

Die glückliche Hure

Sonntags... nie!
(Pote tin Kyriaki, Griechenland/USA 1960)

Regie: Jules Dassin
Darsteller: Melina Mercouri, Jules Dassin, Giorgos Foundas, Titos Vandis, Mitsos Ligizos u.a.

“Pote tin Kyriaki” veränderte in den 60er Jahren mimisch-affektives Verhalten und Begriffskonnotationen diverser schwer arbeitender Hausfrauen, die sich nach dem Schrubben des Holzbodens neidisch die weiblichen Stars auf den Titelblättern von Boulevardzeitschriften anschauten, auf eigenartige Weise. So pflegte etwa meine Mutter gegenüber dem fragenden Sohn Liz Taylor als “Metze” zu bezeichnen; Gina Lollobrigida war ein “Luder”, Brigitte Bardot gar eine “Schnalle”. Erblickte sie jedoch Melina Mercouri, erhellte sich ihr Gesicht augenblicklich, und ihre Augen begannen zu leuchten. Dann sagte sie freudig-erregt: “Das da ist eine Hure!” - So wurde mein Interesse an der Wortfeldtheorie geweckt...

Ja, Melina Mercouri war in “Pote tin Kyriaki” tatsächlich eine Hure, und was für eine. Sie war Ilya, ein lebensfrohes und herzensgutes Mädchen, das im Hafen von Piräus mit Begeisterung anschafft, sich darüber freut, dass ihm alle Männer nachschauen, wenn es zum Schwimmen im Meer eilt - und das sich seine Freier (jeden Tag einen anderen) selber aussuchen kann - eine Regel aber einhält: Sonntags... nie! Diesen Tag will der Star unter den Prostituierten für sich allein.

Das beneidenswerte Leben voller Leichtigkeit nimmt ein jähes Ende, als der ebenso gebildete wie verklemmte amerikanische Tourist Homer Thrace, der sich auf der Suche nach der ewig gültigen Wahrheit befindet, in Ilya die Verkörperung klassischer Schönheit zu entdecken glaubt, sich aber am Bildungsniveau der Frau, die jede griechische Tragödie so umdichtet, dass sie ein glückliches Ende nimmt (“and they all go to the seaside”), stört. Als er hören muss, wie sie Medea zu einer Geschichte macht, in der die Männer nicht gut wegkommen (Medea ist eine süsse Frau, die eben ihre Launen hat, aber der Nebenbuhlerin sogar einen Kuchen bäckt und ihre Kinder vor dem Mann versteckt, bis er zu ihr zurückkehrt!), kauft er sich ihre Gunst für zwei Wochen, die er allerdings nicht mit Sex vergeuden, sondern als Gelegenheit nutzen will, der Schönheit seine Vorstellungen von klassischer Kultur zu vermitteln. Dass der Möchtegern-Pygmalion Ilya mit seinem “Wissen”, der klassischen Musik und den Gemälden, die ihre Fussballclub-Poster ersetzen, nur unglücklich macht, erkennt er erst, als er mit Gewalt auf die wirklichen Probleme von Prostituierten aufmerksam gemacht wird. Und am Ende seiner denkwürdigen “Suche nach der Wahrheit” ist es Homer, der mit einer nicht mit Geld aufzuwiegenden Bereicherung nach Hause fahren darf: Er hat nicht nur das Tanzen, sondern das Fühlen des Sirthakis erlernt.


Was machte diesen Film über eine Prostituierte so “hausfrauentauglich”, während etwa Billy Wilder im prüden Amerika noch 1964 mit “Kiss Me, Stupid!” die Karriere von Kim Novak so gut wie zerstörte? - Es war wohl vor allem seine noch heute faszinierende Leichtigkeit, die das frivole Sujet recht harmlos erscheinen lässt; und es dürfte an der grossen Mercouri gelegen haben, die die Rolle der Ilya im Alter von 40 Jahren (!) annahm und aus ihr keine geschminkte Erotik-Bombe, sondern ein unbeschwertes Wesen machte, dessen herbe, natürliche Schönheit ganz andere Vorstellungen weckte als die der gestylten Hollywood-Stars oder von Brigitte Bardot, die 1956 mit dem ziemlich substanzlosen “Et Dieu créa la femme” noch für ein Skandälchen gesorgt hatte. - Dassins folkloristische Hymne auf den Süden wirkt zwar auch reichlich harmlos-verklärend und erreicht in technischer Hinsicht nicht annähernd die “Qualität” der zu jener Zeit gedrehten Hollywood-Gähner, wartet aber neben dem berühmten, mit rauher Stimme vorgetragenen Titelsong “Ta Pedia tou Pirea”, der von Sängerinnen aus der ganzen Welt gecovert wurde, mit höchst einfallsreichen Bildern und Szenen (man sieht die im Gleichschritt marschierenden Beine der Prostituierten, die gegen ihren Zuhälter demonstrieren; Ilyas Reaktion, nachdem sie mit dem Fernglas ein Schiff mit neuen Freiern erspäht hat, ist von herrlicher Kindlichkeit durchdrungen) auf. --- “Pote tin Kyriaki” wurde erstaunlicherweise für mehrere Oscars nominiert (Regie, Drehbuch, weibliche Hauptdarstellerin) und erhielt die Trophäe für die Titelmusik. Melina Mercouri wurde an den Internationalen Filmfestspielen von Cannes zur besten Darstellerin gekürt.


Mit seinem Film über die glückliche Hure und den verklemmten Amerikaner vermochte Jules Dassin, der in den Staaten zum Opfer des McCarthyismus geworden (Edward Dmytryk hatte ihn 1951 - sicher auch nicht freiwillig! - vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe verpfiffen) und nach Frankreich ausgewandert war, seinen ehemaligen Landsleuten zu zeigen, wozu es ein Vertriebener in Europa bringen konnte. Zwar hatte auch er einige Jahre in Armut verbracht; mit “Du rififi chez les hommes” (1955) war ihm jedoch ein Klassiker gelungen, der ihm den Weg zu weiteren erfolgreichen Filmen ebnete. Mit der Griechin Melina Mercouri, die er 1966 heiratete, drehte er noch andere Filme, darunter den berühmten “Topkapi” (1964), in dem u.a. Maximilian Schell und Peter Ustinov erneut auf “Rififi” machen durften, “Promise at dawn” (1970) und “A Dream of Passion” (1978). Zusammen mit seiner Frau setzte er sich engagiert für die Rückkehr Griechenlands zur Demokratie ein und liess sich nach dem Sturz der Militärjunta 1974 in seiner Wahlheimat nieder. Melina Mercouri (“Ich bin als Griechin geboren und werde als Griechin sterben!”) betätigte sich zunehmend politisch und wurde von Papandreou als Kulturministerin in sein Kabinett berufen (sie verstarb 1994 an Lungenkrebs). - Hinter der scheinbar so leichten, sehenswerten Geschichte über die Hure Ilya und den Amerikaner Homer, der die Freude am Leben lernen muss, versteckt sich also auch ein Teil der Geschichte jenes Phänomens, das Wallraff/Spoo als “unseren Faschismus nebenan” bezeichneten - und des Kampfs um seine Überwindung!

Samstag, 8. Januar 2011

Kurzbesprechung: Die Frau in Weiss


Die Frau in Weiss
(Die  Frau in Weiss, Deutschland 1971)

Regie: Wilhelm Semmelroth

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts vermochte das Deutsche Fernsehen gelegentlich noch eine ganze Nation vor die - wesentlich weniger - Bildschirme zu locken. Dafür zuständig waren nicht unbedingt Olympische Spiele oder königliche Hochzeiten, sondern die Mehrteiler des britischen Krimischriftstellers Francis Durbridge (u.a. “Das Halstuch”, 1962, “Melissa”, 1966), die am Arbeitsplatz, beim Friseur oder am Stammtisch diskutiert wurden, kurz: identitätsstiftend waren. Mit der Zeit begann die Qualität der “Strassenfeger” von Durbridge jedoch merklich nachzulassen, obwohl sie jetzt in Farbe und mit wesentlich grösserem Aufwand gedreht wurden; und spätestens “Das Messer” (1971) kündigte mit seinen billigen Spannungselementen das Ende jener Zeit an, als es der ARD noch gelang, sich bis zu 90% der Zuschauer zu sichern.

In diesem kritischen Augenblick entdeckten Drehbuchautor Herbert Asmodi und Regisseur Wilhelm Semmelroth, Chef der Fernsehspielabteilung des WDR, einen Autor für sich, der in England als kleiner Klassiker galt, im deutschsprachigen Raum aber offensichtlich wenig bekannt war: Wilkie Collins (1824-1889), Freund von Charles Dickens, für dessen Zeitschrift “All The Year Round” er “Mystery Novels” schrieb, die in Fortsetzungen abgedruckt wurden und die Leser begeisterten. Die äusserst komplex konstruierten Romane (sie bestanden aus Tagebucheinträgen, Briefen und Geständnissen mehrer Personen, gaben die Ereignisse also aus verschiedenen Blickwinkeln wieder) schienen sich wenig für Verfilmungen zu eignen. Dennoch hatte man gerade “The Woman in White” (1860) schon mehrfach - auch als Stummfilm - auf die Leinwand gebannt.

Und so sassen denn auch 1971 an drei Sonntagabenden noch einmal unzählige deutsche Zuschauer vor ihren Fernsehern und verfolgten eine im viktorianischen England spielende Geschichte, hinter deren gepflegtem Grusel  schon bald ein finsteres, möglicherweise perfektes Verbrechen vermutet werden durfte, dessen Auflösung man gespannt entgegenfieberte: Der junge Maler Walter Hartright soll auf einem abgeschiedenen Landsitz die beiden Halbschwestern Marian und Laura im Zeichnen unterrichten. Auf dem Weg dorthin begegnet ihm nachts eine unheimliche, offensichtlich verwirrte Frau in Weiss, der, wie Walter bald feststellen muss, die schöne Laura zum Verwechseln ähnlich sieht. Laura wiederum, in die er sich augenblicklich verliebt, ist dem jähzornigen Sir Percival Glyde versprochen, der es zusammen mit seinem Freund, dem schleimigen Conte Fosco, lediglich auf ihr Vermögen abgesehen hat. - Die deutschen Schauspieler, neben Heidelinde Weis, der die Doppelrolle sichtlich Spass bereitete, Christian Bantzer, Pinkas Braun und Eva Christian auch schrullige Nebenfiguren darstellende Künstler wie Helmut Käutner als hypochondrischer Sir Frederic Fairlie oder Jennie Thelen als eisige Frau Catherick schreiten überzeugend über die knarrenden Holzböden englischer Häuser und durch die Landschaft Cornwalls, wo der Dreiteiler gedreht wurde.

Wer wissen möchte, welcher “Plüschkrimi” uns seinerzeit das Nägelkauen lehrte, kann sich “Die Frau in Weiss” zusammen mit dem weniger gelungenen Nachfolger “Der rote Schal” (1973) auf DVD anschauen (er wurde in der Reihe “Strassenfeger” veröffentlicht). Die Romanverfilmung ist ein beeindruckendes  und noch immer grosses Vergnügen bereitendes Dokument deutscher Fernsehgeschichte.

Der zweite Teil enthält übrigens einen Anachronismus, auf den Fernsehansagerinnen (auch das gab es mal!) anlässlich von Wiederholungen immer wieder aufmerksam machen mussten: Während eines Spaziergangs summt der Conte eine Opernarie (es war Verdi, wenn ich mich recht entsinne) vor sich hin, die zur Zeit, in der die Geschichte spielt, noch gar nicht komponiert war.

Dienstag, 4. Januar 2011

Dies nur nebenbei






Samstag, 1. Januar 2011

Ein unterschätzter Regisseur oder "He didn't know a sh-t about construction"?

Midnight - Enthüllung um Mitternacht
(Midnight, USA 1939)

Regie: Mitchell Leisen
Darsteller: Claudette Colbert, Don Ameche, John Barrymore, Francis Lederer, Mary Astor, Hedda Hopper u.a.

1939 gilt als das “Goldene Jahr” der amerikanischen Filmindustrie, das Jahr, in dem die Traumfabrik am Vorabend einer durch den  Zweiten Weltkrieg verursachten Zeitenwende in verschiedenen Genres  Höchstleistungen hervorbrachte, von denen wir noch heute sprechen und die in ihrer Art nie wieder auch nur annähernd überboten wurden. Darf man es deshalb einem Film als Schande anrechnen, weil er - obwohl damals finanziell erfolgreich - zwischen “Gone With the Wind”, “Wuthering Heights”, “Destry Rides Again”, “Ninotchka”, “The Wizard of Oz”, “Stagecoach” und anderen Meisterwerken etwas unterging, mittlerweile sogar weitgehend in Vergessenheit geraten ist? Dies insbesondere, wenn er in jedem anderen Jahr als glanzvoller Höhepunkt der Screwball-Comedy gefeiert worden wäre?

Letzteres behaupten zumindest Fans von “Midnight”, dessen Regisseur Mitchell Leisen in diesem Zusammenhang auch als der am meisten unterschätzte Regisseur seiner Zeit bezeichnet wird. - Billy Wilder, der zusammen mit Charles Bracket das Drehbuch zum Film geschrieben hatte, sah die Sache allerdings ein wenig anders: Er war überzeugt, eine perfekte Vorlage geliefert zu haben, die Leisen, der offenbar einer schön arrangierten Vase mit weissen Lilien grössere Aufmerksamkeit schenkte als dem Dialog, regelrecht zerstörte. Mitchell Leisen, der Aesthet, der, den Launen seiner Hauptdarstellerinnen gehorchend, ganze Seiten aus einem Script herauszureissen pflegte, blieb für ihn denn auch zeit seines Lebens nichts anderes als “a window dresser”. Ähnlich äusserte sich Steven Bach, ein intimer Kenner der Filmwelt: “Leisen ... could always make a picture look better than it was, but never play better, for he had no sense of material.” Ein hartes Urteil, das da über einen Mann gefällt wurde, der seine Karriere als Dekorateur und Kostümdesigner unter dem Despoten Cecil B. DeMille begonnen hatte und Mitte der 30er Jahre langsam zum gefragten Frauenregisseur (ein Etikett, das er mit anderen schwulen* Regisseuren wie George Cukor und Vincent Sherman teilte) aufstieg, Filme wie “Frenchman’s Creek” (1944) oder “To Each His Own” (1946) drehte - und vielleicht berechtigterweise nur als Mann der alten Schule, der seinen Schauspielerinnen jeden Wunsch von den Augen ablas, sie aber nicht zu führen verstand, in Erinnerung bleibt.


“Midnight”, der ursprüngliche Titel lautete - die Essenz von “Screwball” betonend - “Careless Rapture”, erzählt tatsächlich eine Geschichte, von der man annehmen darf, sie sei in den Händen von Wilder und Bracket gut aufgehoben gewesen: Eve Peabody, ein abgebranntes amerikanisches Showgirl, landet mitten in einer regnerischen Nacht mit dem Zug aus Monte Carlo in Paris, wo sie eine “Karriere” beginnen, sprich: einen reichen Mann finden will. Der freundliche Taxifahrer Tibor Czerny erklärt sich bereit, das Mädchen, das nichts ausser seinem Abendkleid bei sich hat, von einem Nachtclub zum anderen zu fahren, um ihm ein Vorsingen zu ermöglichen. Als er ihr sogar anbietet, sie bei sich übernachten zu lassen, ergreift die nach mehr dürstende Eve die Flucht und landet mithilfe  eines Pfandscheins in einer Veranstaltung der gehobenen Gesellschaft, wo sie sich als Baronin Czerny ausgibt. Der exzentrische Millionär Flammarion entdeckt rasch, dass sie eine Hochstaplerin ist, bringt sie jedoch im Ritz unter und bietet ihr eine beachtliche Belohnung, wenn es ihr gelingt, seiner Frau den Liebhaber, einen  stadtbekannten Playboy, auszuspannen. Eve lässt sich auf den Deal ein, und das Cinderella-Abenteuer, auf das der endgültige Titel anspielt (“Don’t forget, every Cinderella has her midnight.”), nimmt seinen Lauf. - Als die Millionärsgattin Helene bemerkt, dass ihr Liebhaber tatsächlich der angeblichen Baronin verfällt, überkommt sie die Eifersucht und es gelingt ihr beinahe, Eve als Betrügerin zu entlarven. Doch dann erscheint Eves Gatte, Baron Czerni, unter der Tür. Es handelt sich natürlich um den Taxifahrer, der sich in das undankbare Wesen verliebt und sie zusammen mit seinen Freunden unaufhörlich gesucht hat...

Die Produktion war von Anfang an vom Pech verfolgt (ich übernehme die folgenden Informationen von Wikipedia und anderen Seiten, die sich mit dem Film beschäftigen): Ursprünglich sollte “Midnight” als Vehikel für Marlene Dietrich dienen, als Regisseur war Fritz Lang vorgesehen, für die männliche Hauptrolle Ray Milland. Später kam Barbara Stanwyck ins Gespräch; sie musste aber wegen anderer Verpflichtungen absagen. - Als nach schier endlosem Hin und Her Mitchell Leisen, der sich mit “Easy Living” (1937) als Komödien-Regisseur empfohlen hatte, verpflichtet wurde, sah er sich mit einem regelrechten Problemhaufen konfrontiert: Ein als Taxifahrer Czerny erstaunlich blass agierender Don Ameche stand nur gelegentlich zur Verfügung, weil er neben “Midnight” noch “The Story of Alexander Graham Bell” drehen musste; Mary Astor, die die Helene spielte, war unübersehbar schwanger, was man auf alle möglichen Arten verbergen musste (sie trägt stets weite Kleider und versteckt den Unterleib hinter Requisiten; dies ändert freilich nichts daran, dass sie eher schwanger als eifersüchtig oder gewohnt “bitchy” wirkt); und letztlich hatte das Alkoholproblem des berühmten “Saufkopps” John Barrymore mittlerweile dazu geführt, dass er seinen Text als Georges Flammarion nicht mehr beherrschte und so genannte Cue Cards benötigte. Francis Lederer, einst eine nicht unbedeutende Hoffnung des deutschen Stummfilms, wiederum erweckt den Eindruck, er sei nur  als dümmlich vor sich hingrinsender Schönling (ein Vorgänger von Louis Jourdan), nicht als sich glaubhaft verliebender Playboy zu gebrauchen gewesen. - Mit Claudette Colbert, der Neurotikerin, die nur ihre linke Gesichtshälfte in Profilaufnahmen zeigen wollte, soll Leisen hingegen vorzüglich ausgekommen sein: Manche behaupten, er habe ihr zu einer der besten Leistungen in ihrer Karriere verholfen; meines Erachtens gab er ihren eigenartigen Wünschen so sehr nach, dass der Zuschauer gelegentlich den Eindruck erhält, er bekomme über weite Strecken vor allem eine Wange in Grossaufnahme zu sehen - und dem schrecklichen Akzent nach zu schliessen handle es sich um die Wange einer Kuh aus einem  billigen Western. Welch ein Abfall nach “It Happened One Night” (1934) oder “Bluebeard’s Eighth Wife” (1938)!

Was aber macht Leisen aus der reizvollen Geschichte? -  Nach einem charmanten Anfang im nächtlichen Paris hangelt sich “Midnight” von einem seltenen Höhepunkt zum nächsten. Wirkliche Lacher verdanken wir Tratschtante und Teilzeit-Schauspielerin Hedda Hopper, die als unterbrochene Gastgeberin des Galaabends, in den sich Eve einschleicht, mehrmals das vom Pianisten erwartete elfte Prelude von Chopin ankündigt, bis dieser - völlig in Rage geraten - ein “It is the twelth, and it is an etude!” brüllt. Ein weiterer kleiner Glanzpunkt: Tibor versammelt sich mit sämtlichen Taxis seiner Freunde vor dem Ritz, und als man dort die Adresse von Eve nicht preisgeben will, beginnen diese gnadenlos zu hupen. - Vor allem aber reisst noch immer der grosse John Barrymore einen seiner letzten Filme an sich: Schon die Blicke, mit denen er jede Bewegung einer sich verunsichert gebenden Eve kommentiert, zeugen von dem Witz, der "Midnight" zustünde, sein hinterhältig-freundliches Auftreten in jeder Szene ist ein Genuss - und zum wahrhaften Brüller wird sein “Fake”-Telefonanruf, der ihm Gelegenheit bietet, sowohl die angebliche Mutter von Baron Czerny als auch dessen an Masern erkranktes Töchterchen zu mimen. --- Dies sind sie, die wenigen Szenen, die eine Sichtung überhaupt lohnen, wenn man sich nicht gerade mit wunderschönen Dekors und Abendkleidern (die Leisen natürlich selber entwarf) zufrieden geben mag. Denn der aufmüpfige Humor, den man von einer Screwball-Comedy erwartet, verschwindet im wahrsten Sinne des Wortes hinter den - erschlagenden! - Kulissen: Pointen, aus denen sich etwas machen liesse, sind eine Rarität (etwa Colberts offensichtlich sexuelle Anspielung, sie sei “certainly not looking for needlework at this time at night”, oder ihre Bemerkung, als Flammarion ihr sein Anwesen zeigt: “Nice little bungalow you’ve got here. I wish I’d brought my rollerskates.”). - Vor allem artet der Schluss zum billigen Schwank aus. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Drehbuchautoren von “Ninotchka” und “Ball of Fire” (1941) tatsächlich einen solchen Mist geliefert haben sollten.


Verteidiger von “Midnight” haben - was ihr gutes Recht ist - eine Begründung für ihre Begeisterung: Allein schon die Änderung des Titels zeige, dass der Film das Ende jener durch die Depressionszeit hervorgerufenen eskapistischen Phase ankündige, welche die Screwball-Comedy erst möglich und nötig gemacht habe. “Midnight” nehme sogar den Skeptizismus vorweg, der die Nachkriegszeit prägen sollte. - Nun bin ich - vermutlich wiederhole ich mich - wirklich für jede nicht allzu abwegige Interpretation zu haben. Aber ein Regisseur, der vor lauter Interesse an Nebensächlichkeiten die Bedeutung des Dialogs für eine Screwball-Comedy gar nicht erkannte, als Wegbereiter einer neuen Ära, einer Ära, die aus der Komödie erst noch für längere Zeit ein oft gezähmtes, biederes Lustspielchen machte? Begegnen wir da nicht einigen  -  Lobhudeleien gar nicht rechtfertigenden - Ungereimtheiten? Und hätte Billy Wilder, zwar berühmt für seine giftigen Bemerkungen, aber doch offensichtlich das nie vergessend, was aus einem nahezu perfekten Drehbuch gemacht worden war, dann Worte für Mitchell Leisen gefunden wie: “He didn’t know a sh-t about construction”?


*Was Vincnet Sherman anbelangt: möglicherweise ein Irrtum meinerseits (siehe Kommentar von Manfred Polak!)

Dienstag, 21. Dezember 2010

Whoknows' Weihnachtsfilm

Eigentlich wollte ich keinen Weihnachtsfilm besprechen. Denn, ach, was werden sie nicht jährlich durchgekaut, diese Warnungen vor dem Licht im Dunkeln, das lediglich unsere Brieftaschen leert und zu Streitereien führt, weil wir eine derartige Ansammlung von Feiertagen gar nicht ertragen - von "A Christmas Carol" (1938) über "The Bishop's Wife" (1947) bis hin zu "The Nightmare Before Christmas" (1993) und "Love Actually" (2003)! - Doch dann erschien mir nächtens (vielleicht war ich auch nur besoffen) ein Engel und sprach also zu mir: "Gebenedeit bist du unter den Bloggern, Whoknows! Siehe: Der Herr hat dich auserkoren, über einen Weihnachtsfilm zu schreiben, der üblicherweise gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Und nun hurtig: Klemm dich in den A***h, bevor ihn dir mono.micha (woher kennen die himmlischen Heerscharen den alten Schlawiner bloss?) für seinen Schweizer-Film-Marathon vor der Nase wegschnappt!" - Na schön, dachte ich, ist immer noch besser als eine Jungfrauengeburt...


Gilberte de Courgenay
(Gilberte de Courgenay, Schweiz 1941)

Regie: Franz Schnyder
Darsteller: Anne-Marie Blanc, Erwin Kohlund, Heinrich Gretler, Ditta Oesch, Rudolf Bernhard, Jakob Sulzer, Hélène Dalmet, Zarli Carigiet, Max Knapp, Schaggi Streuli u.a.

Wer je mit der Bahn von Delémont aus Richtung Porrentruy in die Ajoie, jene seltsame nördliche Ausbuchtung der Schweiz gegen Frankreich hin, gefahren ist, darf sich rühmen, das grenznahe Dörfchen Courgenay kennen gelernt, vielleicht sogar einen Blick auf das Hôtel de la Gare erheischt zu haben, das dank eines Films beinahe zur Legende wurde. In diesem “Hôtel” arbeitete zur Zeit des Ersten Weltkriegs die junge Gilberte Montavon und bewirtete Tausende  Soldaten und Offiziere, die sie und ihr freundliches Wesen schwärmerisch verehrten. Der Bänkelsänger Hanns in der Gand komponierte sogar ein Lied, das der berühmten “Gilberte de Courgenay” gewidmet war.

Nach dem Abzug der Truppen im Sommer 1918 kehrte in Courgenay wieder Ruhe ein, und auch die berühmte Wirtstochter geriet langsam in Vergessenheit. Doch während des Zweiten Weltkriegs erfuhr sie als Vorbild für die “Geistige Landesverteidigung” eine unerwartete Renaissance und wurde zur Idealgestalt einer Soldatenfürsorgerin erhoben. Im Jahr 1939 erschienen ein Roman und ein darauf beruhendes Theaterstück, das in mehreren Schweizer Städten sehr erfolgreich aufgeführt wurde. - Der Stoff bot sich, dies erkannte Lazar Wechsler, Produzent der Praesens-Film gleich, förmlich für eine vom Nationalfonds geförderte Verfilmung an. Wechsler hatte jedoch den Unmut patriotischer Kreise auf sich gezogen, weil er die Regie für den ersten Schweizer Propaganda-Film, “Füsilier Wipf” (1938, mit Paul Hubschmid, der sich später je nach Angebot Hollywood oder den Nazis zur Verfügung stellte, ohne je ein bedeutender Schauspieler zu werden, in der Titelrolle),  dem Ausländer Leopold Lindtberg übertrug. “Gilberte de Courgenay” gehörte, dies galt als Voraussetzung für eine Förderung, in die Hände eines Schweizers - und als Wunschkandidat bot sich der junge Theaterregisseur Franz Schnyder an, der später als Verfilmer von Gotthelf-Romanen in die Geschichte des Schweizer Films eingehen sollte - und von mir an anderer Stelle “gewürdigt” wurde. Erst kurz vor den Dreharbeiten 1941 liess sich General Guisan, der dem Projekt skeptisch gegenüberstand, dazu überreden, Truppen für die Soldatenszenen zur Verfügung zu stellen.

“Gilberte de Courgenay” erzählt eine gradlinige, selbstverständlich fiktive Geschichte: Im Winter 1915/16 quartiert sich eine Artilleriebatterie in Courgenay ein. Die Soldaten (darunter mehrere Schauspieler wie Zarli Carigiet oder Schaggi Streuli, die später zu nationalen Berühmtheiten aufstiegen) denken, der Krieg sei bis Weihnachten beendet und sie könnten rechtzeitig zu ihren Familien zurückkehren. Um ihre Enttäuschung zu lindern, organisiert die junge Gilberte, die ihnen schon kurz nach der Ankunft eine deftige Berner Platte - Sauerkraut, Würste, Speck, Kartoffeln - aufgetischt hatte, für sie ein Weihnachtsfest, das - schmacht! - jeder Hollywood-Schnulze Konkurrenz zu machen vermag  - und steigt rasch zum Frauenideal der “Geistigen Landesverteidigung” überhaupt, dem besten Beispiel für die uneigennützige Einsatzbereitschaft der Frau im Dienste der Armee, auf. - Sie kümmert sich um die Sorgen der Männer, auch um die von Kanonier Hasler, den sie heimlich liebt - und auf den sie am Ende vorbildlich verzichtet.

Franz Schnyders Erstling, in dem die Vorgesetzten mit Ausnahme des Fouriers nette Kerle sind und ihre Soldaten die meiste Zeit im “Hôtel” herumsitzen lassen (eine Darstellung, die ich, der ich als Schweizer Wehrmann doch auch eine gewisse Zeit in der Ajoie verbrachte, so nicht unterschreiben kann), erhielt mässige Kritiken, wurde jedoch zum Publikumserfolg und gilt heute wohl als DER Klassiker unter den Filmen zur “Geistigen Landesverteidigung”. Dies verdankt er vor allem jener jungen Schauspielerin, die der Gilberte ein Gesicht verlieh und mit dieser Rolle sogleich den Höhepunkt ihrer (filmischen) Karriere erreichte: Anne-Marie Blanc (1919-2009) hatte zwar schon in einzelnen Filmen mitgespielt (etwa Lindtbergs Verfilmung von Gottfried Kellers Novelle “Die missbrauchten Liebesbriefe”, 1940), ihre Darstellung als ebenso charmante wie rührende Gilberte sollte sie jedoch bis an ihr Lebensende begleiten. Obwohl Anne-Marie Blanc auch vereinzelt Rollen in ausländischen Filmen annahm (sie spielte etwa Hedwig Pringsheim in “Die Manns - Ein Jahrhundertroman”, 2001), blieb sie dem Schweizer Film treu, schlug sogar einen Siebenjahresvertrag aus Hollywood aus. Dass sie sich stattdessen mit Rollen in vergessenswürdigen Machwerken wie “Palace Hotel” (1952) oder “Klassezämekunft” (1988) begnügte, dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass sie, die Autodidaktin, eine passionierte Bühnendarstellerin blieb und neben Therese Giehse und Maria Becker als dritte “Grande Dame” in die Geschichte des Zürcher Schauspielhauses einging, immer wieder in bedeutenden Uraufführungen mitspielen oder sich etwa in Peter Hacks Solostück “Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe” ausleben konnte. - Wenn man jedoch bedenkt, dass Billy Wilder in “One, Two, Three” (1961) aus der Schweizerin Liselotte Pulver eine durchaus beachtliche robuste Version der Monroe zu erschaffen vermochte, dann kommt man kaum umhin, in Anne-Marie Blancs stiller Eleganz etwas von Ingrid Bergman zu entdecken.

“Gilberte de Courgenay” wirkt gegenüber späteren Propaganda-Filmen für die Schweizer Armee wie dem primitiven “Achtung, fertig, Charlie!” (2003) noch immer liebenswert und mit Freude am Detail in Szene gesetzt, mag er auch etwas Staub angesetzt haben. Aber wer lässt sich von einer solch hübschen und fürsorglichen jungen Frau wie Gilberte schon nicht verzaubern? Und verdiente dieses holde Wesen nicht sein eigenes Lied, das  der Zuschauer natürlich auch im Film geniessen darf?




Ein solches Lied - nicht zuletzt ein Dank für das schöne Weihnachtsfest - sollte doch auch einmal unter dem heimischen Weihnachtsbaum gesungen werden. Es könnte die Glöcklein zum Wimmern und die Engel zum Kreischen bringen. - In diesem Sinne wünsche ich meinen Lesern