Samstag, 29. Januar 2011

Whoknows Discriminator

- definitely not starring Arnold Pleitenegger - 

Hallo Meute!

Wie euch ein Blick auf meine Sidebar zeigt, habe ich eine neue Blogroll hinzugefügt. Sie enthält Blogs, die seit vier Monaten oder länger nicht aktiv waren und nun abgestraft werden. - Ist ja auch eine Frechheit, der  man mit apokalyptischen Drohbebärden (Ritter, Tod und Teufel) beikommen muss. Grrr...

In Wirklichkeit ist es natürlich so: Eine Blogroll wächst mit der Zeit, da ich mich für zufällig entdeckte Links zu meinem Blog meist gern revanchiere  -  und der eventuelle Leser (ihr trudelt ja selten genug ein, Bande!) soll ein wenig den Überblick über aktive und nicht aktive Blogs behalten. Andererseits möchte ich Blogger, die so lieb waren, mir einst Herberge zu gewähren, nicht einfach rauswerfen, auch wenn sie zwischenzeitlich anderen Interessen frönen (der Eintritt in Swingerclubs im EU-Raum ist zumindest für Schweizer gerade erschwinglich). Aus diesem Grund entschloss ich mich zu einer Aufteilung, die die faulen Säcke ein wenig zum Weitermachen ermuntern soll. - Denn nach einiger Zeit in der Blogroll der Schande fliegt ihr raus!!! Also macht euch an die Arbeit, damit ihr wieder nach oben zurückkehrt!

Mittlerweile trage ich mich mit dem Gedanken, weitere Unterteilungen vorzunehmen: Blogs, deren Betreiber an die Jungfrauengeburt glauben, Blogger, die mich nicht inbrünstig begehren, Porno-Blogs (betrifft Seiten, die über Filme schreiben, welche die FSK erst ab 12 freigegeben hat), Blogs, die ich aus meiner Blogroll geschmissen habe oder gar nie aufnähme etc. --- Weitere Vorschläge, so sie denn nicht der Eigenwerbung dienen, werden gerne entgegengenommen und mit Sicherheit nicht verwirklicht. - Oder, um einen ehemaligen Gouverneur von Kalifornien zu bemühen, der vermutlich manche seiner "Quotes" gerne ungesagt machen würde: "Failure is not an option. Everyone has to succeed." Äh - ja. - Vermutlich bringt mich dieser Eintrag direkt in die Hölle...

Montag, 24. Januar 2011

Kurzbesprechung: Sunshine State


Land des Sonnenscheins
(Sunshine State,  USA 2002)

Regie: John Sayles

Es ist in den letzten Jahren zumindest hierzulande erstaunlich still geworden um John Sayles, den wohl bedeutendsten Independent-Filmer der 90er Jahre (“Passion Fish”, 1992, “Lone Star”, 1996). Obwohl er munter weiter Filme drehte, gelangte in Deutschland nach “Limbo” (1999) nur noch der von Schweizer Kritikern schon früh gelobte “Casa de los babys” (2003) mit grosser Verspätung in die deutschen Kinos. Könnte es daran liegen, dass sich Sayles auf  uramerikanische Themen beschränkt - und dass er diese mit einem Ernst angeht, der den Europäern nicht so liegt?

“Sunshine State”, ein Film, der seine Weltpremiere immerhin noch an den Internationalen Filmfestspielen von Cannes feiern durfte, beschäftigt sich mit den verlockenden Versuchen hinterhältiger Bodenspekulanten, in Florida den alteingesessenen Küstenbewohnern ihr Land abzuluchsen, um es in Golfplätze und Nobelvillen-Parzellen zu verwandeln. - Die Einwohner von Delrona Beach, einst ein exklusives Seebad für die afroamerikanische Bevölkerung, heute ein Symbol für die real existierende Rassentrennung im Süden der USA, sind hin- und hergerissen zwischen familiären Verpflichtungen und der Aussicht auf Gewinn: Mary, die das Motel und Restaurant ihres beinahe erblindeten Vaters führt, möchte gerne verkaufen und einen Strich unter ihre Probleme mit Männern ziehen. Der alte Dr. Elton Lloyd, ein Mann, der die Vergangenheit heraufbeschwört, leistet heftig Widerstand gegen die Pläne der Immobilienhaie. - Unterdessen findet in Delrona Beach das alljährliche Seeräuber-Fest statt, dem sich die “typische Amerikanerin” Francine (eine Glanzrolle für Mary Steenburgen) mit Inbrunst widmet, obwohl das Prunkstück des Fests, ein Schiff, in Flammen aufgegangen ist - während sich ihr wettsüchtiger Ehemann vergeblich das Leben zu nehmen versucht. --- Und in diese Situation hinein platzt die schwarze Schauspielerin Desiree, die  einst von ihrer Mutter fortgeschickt wurde, weil sie sich in der High School schwängern liess...

Dies sind nur einige Figuren, denen wir in John Sayles’ hervorragend besetztem und fotografiertem Ensemble-Film begegnen. Und alle diese Figuren wollen sich aussprechen, wollen abrechnen, finden oft gar nicht einmal die richtigen Worte für ihre Gefühle, was “Sunshine State” zu einem ausserordentlich beredten, um nicht zu sagen: geschwätzigen Film macht. Obwohl einige snobbististische Golfspieler zu Beginn und in der Mitte des Films auf dessen eigentliches Thema und die (mögliche?) Zukunft von Delrona Beach hinweisen, beschwört der Regisseur derart viele gesellschaftskritische Elemente und Einzelschicksale, die im Gegensatz zum Problem der grenzüberschreitenden Adoption in “Casa de los babys” höchstens angetippt, jedoch nie wirklich stimmig ausgelotet werden, herauf, dass der Zuschauer sich oft nicht mehr einzufühlen oder die schönen Bilder zu würdigen vermag - und 134 sich in die Länge ziehende, leider etwas leere und poesielose Minuten hinter sich bringt. Schade! Aus “Sunshine State” hätte sich durchaus ein die Situation eines in sich zerrissenen Städtchens spannend wiedergebendes Erlebnis machen lassen.

Mittwoch, 19. Januar 2011

Her mit der deutschen DVD! - die Sechste

Judex
(Judex, Frankreich/Italien 1963)

Regie: Georges Franju
Darsteller: Channing Pollock, Francine Bergé, Edith Scob, Michel Vitold, Jacques Jouanneau, Théo Sarapo, Sylva Koscina u.a.

Während die Engländer eine Vorliebe für skurrile, aber rechtschaffene und mit Ausnahme von Sherlock Holmes (er käme heute wegen seines Kokain-Konsums in Schwierigkeiten) gesetzestreue Detektive hatten, die jeden noch so kniffligen Fall mit unerbittlicher Logik lösten, zogen die Franzosen für ihre Krimis eine andere Art von Helden vor. Es handelte sich um dunkle, zwiespältige Gestalten, von denen man nie so recht wusste, ob nun das Gute oder das sie verlockende Verbrecherische in ihrer Seele am Ende obsiegen würde. Und mit Ausnahme des Meisterdiebs Arsène Lupin, dessen Erschaffung wir dem Schriftsteller Maurice Leblanc verdanken, gingen alle, möge es sich nun um reine Erfindungen oder historische Gestalten wie Louis Mandrin und Eugène François Vidocq, einst Krimineller, später Kriminalist, gehandelt haben, durch die Feder von Arthur Bernède (1871-1937), der auch den Roman “Belphégor” schrieb. - Diese “Nationalheiligen” des französischen düsteren Krimis wurden selbstverständlich  in Filmen verewigt, manche bereits im Stummfilm,  andere in den 50er- oder 60er Jahren. Sogar das neue Millenium entdeckte für sich den Reiz jener  zwielichtigen Aura, die solche Helden umgab (“Vidocq”, 2001, “Arsène Lupin”, 2004).


Eine der von Bernède erfundenen Figuren ist zumindest hierzulande in Vergessenheit geraten, obwohl ihr bereits der Stummfilm-Regisseur Louis Feuillade zwischen 1914 und 1918 eine ganze Serie gewidmet hatte: Judex, der geheimnisvolle, stets in Schwarz gekleidete Rächer, Meister der Verwandlungskunst, der sich in unterirdischen Gängen bewegt und von ihm nahezu ebenbürtigen Bösewichten verfolgt wird, jedoch immer auf ein ganzes Netzwerk an Helfershelfern bauen kann. - Dieses Vorläufers der amerikanischen Superhelden nahm sich 1963 der französische Regisseur Georges Franju (“Les yeux sans visage”, 1960) an und drehte einen Film, der als regelrechtes Tribut  an die episodische Stummfilmversion betrachtet werden kann, jedoch eine eigene Handschrift aufweist, und den  Kritik und Publikum damals höchstens lauwarm aufnahmen, weil er so gar nicht in die Zeit zu passen schien. - Heute wird er jedoch im französischen und angelsächsischen Raum als Meisterwerk gewürdigt.

Georges Franju war ein Regisseur, der im Gegensatz zu René Clair nicht der “Nouvelle Vague” wich, sondern eigentlich zusammen mit ihrem Aufkommen erst seine grossen Filme zu drehen begann, die ihren eigenen Weg gingen, sich einem Stil verpflichtet sahen, der als “magischer Realismus” bezeichnet wird, und die mit ihren Fabelwesen und einer höchst detaillierten Ausstattung, in die das Unwirkliche, Gespenstische umso überraschender einbricht, sowohl an Jean Cocteau als auch an Surrealisten wie Salvador Dalí und Luis Buñuel erinnern.

Die Geschichte, die “Judex” erzählt, ist denkbar einfach und geradlinig, gewinnt jedoch durch die eigenwillige Gestaltung an Komplexität. Sie umfasst einen korrupten Bankier und dessen schöne unschuldige Tochter Jacqueline, in die sich der Rächer verliebt, die eigentliche Gegenspielerin Diana Monti, ebenfalls eine Meisterin der Verkleidung, einen falschen Vater auf der Suche nach seinem Sohn und einen völlig inkompetenten Detektiv, der nebenbei im ebenfalls von Feuillade verfilmten Roman “Fantômas” (eines jener Elemente des hintergründigen Humors, die den Film auflockern) liest: Eines Tages erhält der Bankier Favraux den Brief eines ihm unbekannten Mannes, der sich Judex nennt und damit droht, ihn umzubringen, wenn er sein zu Unrecht erworbenes Vermögen nicht den betrogenen Besitzern zurückzahle. Tatsächlich erscheint an einem Maskenball zu Ehren der Verlobung von Favraux’ Tochter ein Fremder, der sich einen überdimensionalen Vogelkopf übergestülpt hat, eine scheinbar (der Schein spielt im Film eine bedeutende Rolle) tote Möwe in der Hand hält und die Gäste mit seinen Zaubertricks überrascht. Plötzlich fällt Favraux scheinbar (!) tot um, wurde jedoch von Judex nur betäubt und entführt, damit er ihn unter Druck setzen kann. Mittlerweile kehrt die frühere Angestellte des Bankiers, Diana Monti, in dessen Schloss zurück, um sich sein Vermögen anzueignen. Als sie bemerkt, dass er noch lebt, entführt sie Jacqueline, die gar keinen Anspruch auf das Geld erhebt. Von nun an beginnt ein eigenartiges Katz und Maus-Spiel, innerhalb dessen der Zuschauer unfreiwillig immer wieder Partei für den weiblichen Bösewicht ergreift, weil ihr Judex mit seinem aus Zirkusartisten und anderen vermummten Gestalten bestehenden Netzwerk stets einen Schritt voraus ist, ohne selber kaum je wirklich in Gefahr zu geraten.

Was Franjus Film auszeichnet, ist nicht zuletzt die oft verblüffende Langsamkeit, die ein Grauen ohne Blutvergiessen erzeugt, weil man nie so recht voraussagen kann, wie eine seiner unheimlichen Szenen enden wird. Bezeichnend dafür sind etwa das von Maurice Jarres effektvoller Musik begleitete Auftauchen des Rächers am Maskenball, sein mehrere Minuten andauerndes Durchschreiten des Saals, oder die Szene, in der sich die als Nonne verkleidete Maria Monti  in einer Mühle über die bewusstlose Jacqueline beugt, sich gemütlich eine Zigarette anzündet und dann eine Nadel aus ihrem Kleid holt, mit der sie sie umbringen will. Nichts geschieht hektisch, selbst Marias Verwandlung von einer Nonne in eine katzenhafte “Lederbraut”, die boshafte Version von Emma Peel, verläuft langsam - obwohl sie doch auf der Flucht ist. Und als - eines der bezeichnenden “Deus ex machina”-Elemente gegen das Ende hin - die Artistin Daisy auftaucht, die den für einmal gefesselten Helden befreien soll, erklettert sie gemütlich die Hausfassade und bleibt vor dem Balkon für einen Augenblick lächelnd stehen (als führe sie ihre Nummer vor einem Publikum auf), bevor sie das Zimmer betritt. - Die häufig in der Dunkelheit spielenden Szenen (Strassen, durch die vermummte Gestalten eilen) werden gelegentlich von Bildern abgelöst, deren Helligkeit beinahe beängstigend wirkt. Und das Abheben der Silhouetten vom Hintergrund (die Artistin im weissen Kleid etc.) zeugt vom Willen, das Schwarweiss-Spektrum zur Gänze auszunutzen. - Unvergesslich die Szene, in der der leblose Körper von Jacqueline den Fluss hinunter getrieben wird - oder der wie ein Tanz arrangierte Kampf zwischen der "Damsel in distress" und Diana Monti.

Für die Besetzung der Hauptfigur erlaubte sich Franju einen ganz besonderen Coup: Er engagierte den amerikanischen Magier Channing Pollock, der bis anhin nur in wenigen Filmen mitgespielt hatte. Pollock galt damals als der berühmteste Magier der Welt, der überdies für sein gutes Aussehen bekannt war (er war eine Art Vorläufer von David Copperfield mit dem Gesicht von Rudolpho Valentino). Der Amerikaner bewältigt die Rolle erstaunlich gut, darf sogar einige seiner berühmten Zaubertricks zum Besten geben. - Maria Monti sollte ursprünglich mit Brigitte Bardot besetzt werden; Françine Bergé erweist sich jedoch als Idealbesetzung und vermag trotz ihrer Boshaftigkeit in ihrer Todesszene das Mitleid des Zuschauers zu erwecken.

Ich erinnere mich, als Junge eine Ausstrahlung von “Judex” im deutschen Fernsehen verfolgt zu haben. Später geriet der Film in Vergessenheit. Mittlerweile wird der vielen kaum bekannte Name des grossen Regisseurs von Kennern immer wieder lobend erwähnt; sein Weg zwischen den zum Teil seichten französischen Komödien der 60er Jahre, denen man auch die Neuverfilmungen von “Fantômas” zuordnen möchte, und der oft nur ein intellektuelles Publikum ansprechenden “Nouvelle Vague”  als künstlerisch überragend betrachtet. “Judex” ist im französischen und englischsprachigen Raum als DVD erhältlich. Es scheint mir an der Zeit, ihm auch hier endlich eine Chance zu geben.

Freitag, 14. Januar 2011

Die glückliche Hure

Sonntags... nie!
(Pote tin Kyriaki, Griechenland/USA 1960)

Regie: Jules Dassin
Darsteller: Melina Mercouri, Jules Dassin, Giorgos Foundas, Titos Vandis, Mitsos Ligizos u.a.

“Pote tin Kyriaki” veränderte in den 60er Jahren mimisch-affektives Verhalten und Begriffskonnotationen diverser schwer arbeitender Hausfrauen, die sich nach dem Schrubben des Holzbodens neidisch die weiblichen Stars auf den Titelblättern von Boulevardzeitschriften anschauten, auf eigenartige Weise. So pflegte etwa meine Mutter gegenüber dem fragenden Sohn Liz Taylor als “Metze” zu bezeichnen; Gina Lollobrigida war ein “Luder”, Brigitte Bardot gar eine “Schnalle”. Erblickte sie jedoch Melina Mercouri, erhellte sich ihr Gesicht augenblicklich, und ihre Augen begannen zu leuchten. Dann sagte sie freudig-erregt: “Das da ist eine Hure!” - So wurde mein Interesse an der Wortfeldtheorie geweckt...

Ja, Melina Mercouri war in “Pote tin Kyriaki” tatsächlich eine Hure, und was für eine. Sie war Ilya, ein lebensfrohes und herzensgutes Mädchen, das im Hafen von Piräus mit Begeisterung anschafft, sich darüber freut, dass ihm alle Männer nachschauen, wenn es zum Schwimmen im Meer eilt - und das sich seine Freier (jeden Tag einen anderen) selber aussuchen kann - eine Regel aber einhält: Sonntags... nie! Diesen Tag will der Star unter den Prostituierten für sich allein.

Das beneidenswerte Leben voller Leichtigkeit nimmt ein jähes Ende, als der ebenso gebildete wie verklemmte amerikanische Tourist Homer Thrace, der sich auf der Suche nach der ewig gültigen Wahrheit befindet, in Ilya die Verkörperung klassischer Schönheit zu entdecken glaubt, sich aber am Bildungsniveau der Frau, die jede griechische Tragödie so umdichtet, dass sie ein glückliches Ende nimmt (“and they all go to the seaside”), stört. Als er hören muss, wie sie Medea zu einer Geschichte macht, in der die Männer nicht gut wegkommen (Medea ist eine süsse Frau, die eben ihre Launen hat, aber der Nebenbuhlerin sogar einen Kuchen bäckt und ihre Kinder vor dem Mann versteckt, bis er zu ihr zurückkehrt!), kauft er sich ihre Gunst für zwei Wochen, die er allerdings nicht mit Sex vergeuden, sondern als Gelegenheit nutzen will, der Schönheit seine Vorstellungen von klassischer Kultur zu vermitteln. Dass der Möchtegern-Pygmalion Ilya mit seinem “Wissen”, der klassischen Musik und den Gemälden, die ihre Fussballclub-Poster ersetzen, nur unglücklich macht, erkennt er erst, als er mit Gewalt auf die wirklichen Probleme von Prostituierten aufmerksam gemacht wird. Und am Ende seiner denkwürdigen “Suche nach der Wahrheit” ist es Homer, der mit einer nicht mit Geld aufzuwiegenden Bereicherung nach Hause fahren darf: Er hat nicht nur das Tanzen, sondern das Fühlen des Sirthakis erlernt.


Was machte diesen Film über eine Prostituierte so “hausfrauentauglich”, während etwa Billy Wilder im prüden Amerika noch 1964 mit “Kiss Me, Stupid!” die Karriere von Kim Novak so gut wie zerstörte? - Es war wohl vor allem seine noch heute faszinierende Leichtigkeit, die das frivole Sujet recht harmlos erscheinen lässt; und es dürfte an der grossen Mercouri gelegen haben, die die Rolle der Ilya im Alter von 40 Jahren (!) annahm und aus ihr keine geschminkte Erotik-Bombe, sondern ein unbeschwertes Wesen machte, dessen herbe, natürliche Schönheit ganz andere Vorstellungen weckte als die der gestylten Hollywood-Stars oder von Brigitte Bardot, die 1956 mit dem ziemlich substanzlosen “Et Dieu créa la femme” noch für ein Skandälchen gesorgt hatte. - Dassins folkloristische Hymne auf den Süden wirkt zwar auch reichlich harmlos-verklärend und erreicht in technischer Hinsicht nicht annähernd die “Qualität” der zu jener Zeit gedrehten Hollywood-Gähner, wartet aber neben dem berühmten, mit rauher Stimme vorgetragenen Titelsong “Ta Pedia tou Pirea”, der von Sängerinnen aus der ganzen Welt gecovert wurde, mit höchst einfallsreichen Bildern und Szenen (man sieht die im Gleichschritt marschierenden Beine der Prostituierten, die gegen ihren Zuhälter demonstrieren; Ilyas Reaktion, nachdem sie mit dem Fernglas ein Schiff mit neuen Freiern erspäht hat, ist von herrlicher Kindlichkeit durchdrungen) auf. --- “Pote tin Kyriaki” wurde erstaunlicherweise für mehrere Oscars nominiert (Regie, Drehbuch, weibliche Hauptdarstellerin) und erhielt die Trophäe für die Titelmusik. Melina Mercouri wurde an den Internationalen Filmfestspielen von Cannes zur besten Darstellerin gekürt.


Mit seinem Film über die glückliche Hure und den verklemmten Amerikaner vermochte Jules Dassin, der in den Staaten zum Opfer des McCarthyismus geworden (Edward Dmytryk hatte ihn 1951 - sicher auch nicht freiwillig! - vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe verpfiffen) und nach Frankreich ausgewandert war, seinen ehemaligen Landsleuten zu zeigen, wozu es ein Vertriebener in Europa bringen konnte. Zwar hatte auch er einige Jahre in Armut verbracht; mit “Du rififi chez les hommes” (1955) war ihm jedoch ein Klassiker gelungen, der ihm den Weg zu weiteren erfolgreichen Filmen ebnete. Mit der Griechin Melina Mercouri, die er 1966 heiratete, drehte er noch andere Filme, darunter den berühmten “Topkapi” (1964), in dem u.a. Maximilian Schell und Peter Ustinov erneut auf “Rififi” machen durften, “Promise at dawn” (1970) und “A Dream of Passion” (1978). Zusammen mit seiner Frau setzte er sich engagiert für die Rückkehr Griechenlands zur Demokratie ein und liess sich nach dem Sturz der Militärjunta 1974 in seiner Wahlheimat nieder. Melina Mercouri (“Ich bin als Griechin geboren und werde als Griechin sterben!”) betätigte sich zunehmend politisch und wurde von Papandreou als Kulturministerin in sein Kabinett berufen (sie verstarb 1994 an Lungenkrebs). - Hinter der scheinbar so leichten, sehenswerten Geschichte über die Hure Ilya und den Amerikaner Homer, der die Freude am Leben lernen muss, versteckt sich also auch ein Teil der Geschichte jenes Phänomens, das Wallraff/Spoo als “unseren Faschismus nebenan” bezeichneten - und des Kampfs um seine Überwindung!

Samstag, 8. Januar 2011

Kurzbesprechung: Die Frau in Weiss


Die Frau in Weiss
(Die  Frau in Weiss, Deutschland 1971)

Regie: Wilhelm Semmelroth

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts vermochte das Deutsche Fernsehen gelegentlich noch eine ganze Nation vor die - wesentlich weniger - Bildschirme zu locken. Dafür zuständig waren nicht unbedingt Olympische Spiele oder königliche Hochzeiten, sondern die Mehrteiler des britischen Krimischriftstellers Francis Durbridge (u.a. “Das Halstuch”, 1962, “Melissa”, 1966), die am Arbeitsplatz, beim Friseur oder am Stammtisch diskutiert wurden, kurz: identitätsstiftend waren. Mit der Zeit begann die Qualität der “Strassenfeger” von Durbridge jedoch merklich nachzulassen, obwohl sie jetzt in Farbe und mit wesentlich grösserem Aufwand gedreht wurden; und spätestens “Das Messer” (1971) kündigte mit seinen billigen Spannungselementen das Ende jener Zeit an, als es der ARD noch gelang, sich bis zu 90% der Zuschauer zu sichern.

In diesem kritischen Augenblick entdeckten Drehbuchautor Herbert Asmodi und Regisseur Wilhelm Semmelroth, Chef der Fernsehspielabteilung des WDR, einen Autor für sich, der in England als kleiner Klassiker galt, im deutschsprachigen Raum aber offensichtlich wenig bekannt war: Wilkie Collins (1824-1889), Freund von Charles Dickens, für dessen Zeitschrift “All The Year Round” er “Mystery Novels” schrieb, die in Fortsetzungen abgedruckt wurden und die Leser begeisterten. Die äusserst komplex konstruierten Romane (sie bestanden aus Tagebucheinträgen, Briefen und Geständnissen mehrer Personen, gaben die Ereignisse also aus verschiedenen Blickwinkeln wieder) schienen sich wenig für Verfilmungen zu eignen. Dennoch hatte man gerade “The Woman in White” (1860) schon mehrfach - auch als Stummfilm - auf die Leinwand gebannt.

Und so sassen denn auch 1971 an drei Sonntagabenden noch einmal unzählige deutsche Zuschauer vor ihren Fernsehern und verfolgten eine im viktorianischen England spielende Geschichte, hinter deren gepflegtem Grusel  schon bald ein finsteres, möglicherweise perfektes Verbrechen vermutet werden durfte, dessen Auflösung man gespannt entgegenfieberte: Der junge Maler Walter Hartright soll auf einem abgeschiedenen Landsitz die beiden Halbschwestern Marian und Laura im Zeichnen unterrichten. Auf dem Weg dorthin begegnet ihm nachts eine unheimliche, offensichtlich verwirrte Frau in Weiss, der, wie Walter bald feststellen muss, die schöne Laura zum Verwechseln ähnlich sieht. Laura wiederum, in die er sich augenblicklich verliebt, ist dem jähzornigen Sir Percival Glyde versprochen, der es zusammen mit seinem Freund, dem schleimigen Conte Fosco, lediglich auf ihr Vermögen abgesehen hat. - Die deutschen Schauspieler, neben Heidelinde Weis, der die Doppelrolle sichtlich Spass bereitete, Christian Bantzer, Pinkas Braun und Eva Christian auch schrullige Nebenfiguren darstellende Künstler wie Helmut Käutner als hypochondrischer Sir Frederic Fairlie oder Jennie Thelen als eisige Frau Catherick schreiten überzeugend über die knarrenden Holzböden englischer Häuser und durch die Landschaft Cornwalls, wo der Dreiteiler gedreht wurde.

Wer wissen möchte, welcher “Plüschkrimi” uns seinerzeit das Nägelkauen lehrte, kann sich “Die Frau in Weiss” zusammen mit dem weniger gelungenen Nachfolger “Der rote Schal” (1973) auf DVD anschauen (er wurde in der Reihe “Strassenfeger” veröffentlicht). Die Romanverfilmung ist ein beeindruckendes  und noch immer grosses Vergnügen bereitendes Dokument deutscher Fernsehgeschichte.

Der zweite Teil enthält übrigens einen Anachronismus, auf den Fernsehansagerinnen (auch das gab es mal!) anlässlich von Wiederholungen immer wieder aufmerksam machen mussten: Während eines Spaziergangs summt der Conte eine Opernarie (es war Verdi, wenn ich mich recht entsinne) vor sich hin, die zur Zeit, in der die Geschichte spielt, noch gar nicht komponiert war.

Dienstag, 4. Januar 2011

Dies nur nebenbei