Mittwoch, 14. September 2011

Kriegsfilm ohne Schauspieler: WESTERN APPROACHES

WESTERN APPROACHES
Großbritannien 1944
Regie: Pat Jackson
Darsteller: Mitglieder der britischen Handelsmarine


Vor einigen Wochen las ich einen Nachruf auf Pat Jackson, der mit 95 Jahren gestorben war - ein Regisseur, von dem ich bis dahin noch nichts gehört hatte. Als sein Hauptwerk wird darin WESTERN APPROACHES (der Titel bezieht sich auf einen westlich der britischen Inseln gelegenen Abschnitt des Atlantik) gerühmt, ein unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen entstandener Kriegsfilm im semidokumentarischen Stil, der den Beitrag der Handelsmarine zum Erfolg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg feiert. Der Film wurde seinerzeit als Meisterwerk gerühmt, geriet aber etwas in Vergessenheit, bis er vom britischen Imperial War Museum zuerst auf Video und dann auf DVD veröffentlicht wurde. Da die DVD nicht viel kostet, habe ich sie bestellt, und es hat sich gelohnt.


Bekanntlich haben Konvois aus Frachtschiffen, die von Kriegsschiffen begleitet wurden, durch die Lieferung von Kriegsmaterial und sonstigen Gütern aus Nordamerika nach Großbritannien dazu beigetragen, dass die Briten den Zweiten Weltkrieg siegreich überstanden. Gefahr drohte von deutschen U-Booten - es starben im Weltkrieg mehr Mitglieder der britischen Handelsmarine als Angehörige der Royal Navy oder der anderen Teilstreitkräfte. WESTERN APPROACHES verfolgt zunächst parallel zwei unabhängige Handlungsstränge: Während sich ein Konvoi von New York aus auf den Weg über den Atlantik macht, kämpft die Besatzung der versenkten Jason in einem Rettungsboot ums Überleben. Da ein Funkgerät intakt und die eigene Position bekannt ist, besteht Hoffnung auf Rettung, aber die Vorräte sind knapp. Unterdessen verliert ein Frachtschiff im Konvoi, die Leander, den Anschluss und damit den militärischen Schutz. Die Handlungsstränge kreuzen sich, als die Leander, allein unterwegs, einen Funkspruch mit Positionsmeldung aus dem Rettungsboot empfängt. Doch in unmittelbarer Nähe des Rettungsbootes taucht ein deutsches U-Boot, das den Funkspruch ebenfalls aufgefangen hat. Das Rettungsboot wird als zu mickrige Beute ignoriert, dafür legt sich das U-Boot auf die Lauer, um das zur Rettung herannahende Schiff zu torpedieren. Doch einer der Männer der Jason entdeckt das Periskop des U-Boots, und es gelingt, die Leander noch zu warnen. Das U-Boot hat nur noch zwei Torpedos an Bord, von denen einer danebengeht und der andere zwar trifft, aber die Leander nur beschädigt, so dass sie manövrierfähig bleibt. Der Kapitän des U-Boots will der Leander mit seiner Bordkanone den Rest geben, aber auch die Leander hat eine Kanone an Bord. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt ...


Pat Jackson entstammt der britischen Dokumentarfilmbewegung der 30er Jahre. Keimzelle der Bewegung war die von John Grierson geleitete Filmabteilung des General Post Office (GPO), in der Regisseure wie Grierson, Humphrey Jennings, Harry Watt und Alberto Cavalcanti den Dokumentarfilm als eigenständiges künstlerisches Genre etablierten. Jackson stieß noch als Jugendlicher zu dieser Truppe und war z.B. an der Entstehung von NIGHT MAIL (1936), einem der erfolgreichsten dieser Filme, beteiligt, und ab 1938 inszenierte er selbst kurze Dokumentarfilme. WESTERN APPROACHES war sein erster Spielfilm. Als der Kriegsausbruch zunehmend Dokumentarfilme mit kriegsbezogenem oder propagandistischem Inhalt hervorbrachte, wurde GPO Films dem Informationsministerium eingegliedert und in Crown Film Unit umbenannt, und die Crown Film Unit war es, die WESTERN APPROACHES produzierte, mit Unterstützung der Handels- und der Kriegsmarine. Zunächst war ein reiner Dokumentarfilm geplant, und die Marine wünschte Harry Watt (der mit TARGET FOR TONIGHT (1941) schon eine die Royal Air Force feiernde Dokumentation gedreht hatte) als Regisseur, aber Produzent Ian Dalrymple setzte Pat Jackson durch.


Der dokumentaristische Hintergrund von Jackson und der Crown Film Unit manifestierte sich vor allem in zwei Aspekten. Erstens wurden alle auf See spielenden Szenen - und das ist bis auf drei oder vier Szenen in einem Besprechungsraum und in der Einsatzzentrale der Konvois der gesamte Film - auch tatsächlich in der irischen See gedreht - wie eingangs schon erwähnt, unter gefährlichen und sehr schwierigen logistischen Bedingungen. (Die in Jacksons IMDb-Biographie erwähnten Aufnahmen mit Modellen im Studio sind nichts als Unsinn.) Und zweitens wurde der Film gänzlich ohne professionelle Schauspieler gedreht. Vielmehr besteht die Besetzung aus echten Matrosen, Unteroffizieren und Offizieren der Marine, die sich - innerhalb einer fiktionalen Handlung - mehr oder weniger selbst spielen (einzige Ausnahme ist Pat Jackson, der selbst eine Rolle in seinem Film übernahm). Die unverbrauchten Gesichter, die authentische Sprache (die Seeleute durften ihre Dialoge innerhalb eines gewissen Rahmens improvisieren) und die automatisch sitzenden Bewegungsabläufe sorgen für eine ungemeine Authentizität des Films. (Was die Sprache betrifft, so erhob das British Board of Film Censors an mehreren Stellen Einwände wegen zu drastischer Ausdrücke. Die Authentizität wird etwas getrübt dadurch, dass die Besatzung des deutschen U-Boots, die im Film nur Deutsch spricht, von Holländern gespielt wird, was unsereins am Akzent leicht bemerkt. Da das dem britischen Publikum kaum auffallen konnte, sollte man dem Film diesen kleinen Schönheitsfehler nachsehen.) Und es ergeben sich atmosphärisch äußerst dichte Momente, die das Zusammengehörigkeitsgefühl und den schwierigen Alltag der Seeleute wiedergeben, wie das ein mit Stars besetzter Film eines großen Studios kaum könnte.


Zwei andere Aspekte des Films verweisen jedoch darauf, dass WESTERN APPROACHES auch ein spannender Spielfilm ist: Zum einen die symphonische Musik von Clifton Parker, die dramatische Akzente an den richtigen Stellen zu setzen weiß (wie in so vielen britischen Filmen wurde sie vom Routinier Muir Mathieson eingespielt). Vor allem aber beeindruckt die grandiose Kameraarbeit. WESTERN APPROACHES wurde in Technicolor gedreht - bei britischen Filmen der Kriegsjahre ein seltenes Privileg (einziges anderes mir bekanntes Beispiel ist Laurence Oliviers HENRY V). Die Kamera führt kein Geringerer als Jack Cardiff, und ihm gelingen eindrückliche und stimmungsvolle Aufnahmen, die sowohl dokumentarische als auch dramatische Qualitäten aufweisen. Die gelungene Kombination dieser beiden Aspekte insgesamt ist es, was WESTERN APPROACHES zu einer sehenswerten Ausgrabung macht.


Wie oben schon erwähnt, ist WESTERN APPROACHES in einer DVD-Reihe des Imperial War Museum erschienen. Die Scheibe enthält einen Audiokommentar, der von Pat Jackson und Toby Haggith, einem Historiker aus dem Filmarchiv des Imperial War Museum, gemeinsam bestritten wird, sowie einen Bonusfilm.

Sonntag, 11. September 2011

Loblied auf drei Blogs (inklusive Tipps für Blogger)

Ich nehme mir gelegentlich die Freiheit, auf Blogs hinzuweisen, die ich zwar meistens nicht selber entdeckt habe, die sich aber neu oder schon während längerer Zeit in unserer Blogroll befinden - und mehr Beachtung verdienen. Heute gibts zusätzlich ein paar gruftige Hinweise, wie man sich diese Beachtung selber erarbeiten und Leser respektive Freunde finden kann.

Kintopp gehört schon beinahe zu meinen Oldies, und man muss unoculus auch zugestehen, dass er alles unternimmt, um sich zu präsentieren. Er ist Mitglied der Aktion DÖS, glänzt mittlerweile in diversen Blogrolls - und erhält trotzdem noch nicht die zahlreichen Kommentare, die seine ausserordentlich spannenden Besprechungen verdienen. - Auch Leons Filmreviews und Buchrezensionen schuftet sich seit 2009 ab und muss hier endlich lobend erwähnt werden. Ich entdeckte ihn zufällig dank der gegenwärtig grassierenden Filmstöckchen-Seuche und bemerkte, dass er das Blog nachtsichtgeräte meines Spezis mono.micha in seiner bislang kleinen Blogroll besonders empfahl - was mich ausserordentlich freute und zu seinem Leser machte. - Das dritte Blog, das ich euch heute ans Herz legen möchte, wird von einem viel versprechenden Neuling (für den ich ihn allerdings nicht halte) betrieben, dessen Schwerpunkt mich besonders begeistert: humphreyboagart von Opas Filmkiste beschäftigt sich nämlich kenntnisreich mit Hollywood-Oldies, stellt zudem auch spannende Neuveröffentlichungen älterer Filme auf DVD vor. Hoffentlich lässt er uns nicht nach den ersten Einträgen bereits sitzen...

Diese drei Blogs verlangen Aufmerksamkeit, Leute! Sie wollen gelesen, kommentiert und verlinkt werden. Tut es!

***

Und da wir schon mal dabei sind: Neulinge und Blogger, die sich bereits seit geraumer Zeit etwas einsam in unserer virtuellen Welt tummeln, können natürlich auch selber aktiv werden und etwas für sich tun. Ich möchte hier wenigstens auf die wichtigsten und aussichtsreichsten Möglichkeiten der Präsentation seiner eigenen Arbeit hinweisen:

- Kommentare in anderen Blogs sind noch immer die beste Methode, wenn man auf sich aufmerksam machen will. Sie bringen nicht einfach nur Klicks, sondern bald auch interessierte Leser, die sich gerne revanchieren. Ich bezeichnete das Kommentieren gegenüber einem Stummfilm-Spezialisten  mal als “Sich-Einschleimen”, was es natürlich nicht ist. Jeder Blogger, der sich nicht bereits in einer höheren Sphäre wähnt, ist dankbar, wenn er sieht, dass er wahrgenommen wird. Und kein Kommentierender wird je auf die Idee kommen, sämtliche Postings mit einem billigen “Hey, ist das geil!” zu quittieren. Ergänzungen, freundlich-spassige Bestätigungen oder höflich formulierte und begründete Ablehnungen einer Meinung sind der Anfang einer guten Beziehung. Die Frage nach einer gegenseitigen Verlinkung mag - falls überhaupt nötig - der nächste Schritt sein.

- Blogverzeichnisse wie bloggerei, Blogscene etc. bringen kaum Besucher, könnten aber für Anfänger, die sich ein wenig über andere Filmblogs informieren möchten, von Interesse sein. Nicht jedes dieser Verzeichnisse fordert Backlinks; de facto wird man jedoch meistens erst nach einer Verlinkung freigeschaltet. Ob ihr euch Blog-Rankings wie “Wikio” aussetzen wollt, müsst ihr selber entscheiden. - Was ich - und diesen Hinweis verdanke ich meinem Co-Admin Manfred Polak - hingegen empfehlen möchte: Tragt eure Filmreviews bei der OFDb ein! Während (gelegentlich schweinische) Google-Sucher in eurem Blog oft gar nicht das finden, was sie sich erhoffen, will jemand, der euch von dort aus anklickt, genau das lesen, was ihr geschrieben habt. Und je einzigartiger eine Besprechung im deutschsprachigen Raum ist, desto glücklicher wird der Leser eurer Review sein (er könnte leicht zu einem bleibenden Gast werden).

- Werft - es sei denn, ihr vermögt wie etwa ChristiansFoyer immer mit verschiedenen News zu glänzen - nicht mehrere Postings am gleichen Tag in euer Blog! Man wird euch ohnehin nur einmal anklicken, sich vielleicht sogar rasch überfordert fühlen. Und eines Tages werdet ihr froh sein, wenn ihr auf Besprechungen zurückgreifen könnt, die sich noch in eurer Pipeline befinden (es gibt sie, diese Phasen, in denen man sich schlicht ausgelaugt fühlt). - Ich könnte hinzufügen: Schreibt im Gegensatz zu mir keine halben Bücher! Tue ich aber nicht.

- Dass ein ansprechendes Layout das Tüpfelchen auf dem "i" ist, muss man niemandem sagen: Ihr erweist euch ja oft schon als wahre Profis, wenn ihr “auf Sendung" geht.

So, das wars mal wieder an Nötigem und Unnötigem für Blogger, die wohl oder übel ein wenig Zeit aufwenden müssen, wenn sie sich nicht “lost in space” fühlen und mit der Zeit ihre spannende Tätigkeit aufgeben wollen. Vieles dürfte bekannt sein; es schien mir dennoch an der Zeit, mal wieder daran zu erinnern.

Dienstag, 6. September 2011

Was Sie schon immer über Nägel wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten

Drei Kurzfilme von Shūji Terayama

Teil 1: Schere, Stein, Papier, oder: Militarismus als Affenzirkus
Teil 2: Publikumsbeschimpfung auf Japanisch

DER PROZESS (SHINPAN)
Japan 1975


Ein Mann schlägt einen ziemlich langen Nagel mitten in den Boden einer Straße. Ein anderer Mann schlägt einen Nagel in eine Wand, und im selben Moment krümmt sich ein Dritter vor Schmerz und bricht zusammen, als ob er den Nagel in den Unterleib bekommen hätte. Ein Liebespaar in einem Zimmer: Sie liegt nackt auf einem Bettgestell aus Metall ohne Matratze, er kniet daneben auf dem Boden und schlägt in regelmäßigen Abständen mit seinem Hammer auf einen Nagel; jedesmal, wenn er trifft, stöhnt die Frau auf und krümmt sich vor Lust. Ein hagerer nackter Mann, der einen riesigen gekrümmten Nagel geschultert hat, wankt damit durch eine Landschaft, die durch einen violetten Farbfilter verfremdet ist. Eine Frau im Kimono öffnet in einem Zimmer ein kleines Kästchen, das verpackt ist wie ein Geschenk; als sie sieht, dass die Innenwände des Kästchens mit kleinen Nägeln gespickt sind, erschrickt sie, als ob sie die Büchse der Pandora geöffnet hätte.


Und so geht es weiter: Nägel in allen Größen, in absurden, surreal anmutenden Situationen. Die Frau im Kimono muss hilflos und angsterfüllt zusehen, wie ein großer gekrümmter Nagel - vielleicht derselbe, den der Mann durch die Gegend trägt - scheinbar aus eigenem Antrieb in ihr Zimmer eindringt. Der zunehmend entkräftete Mann, der seinen Nagel zu tragen hat, kehrt mehrfach wieder; seine Szenen sind mit sehr schöner melodischer, aber auch etwas rätselhaft-beunruhigender Musik unterlegt - dies und die violett eingefärbte Szenerie verleihen den Sequenzen einen ungewöhnlichen ästhetischen Reiz. Ein Mann mit Vollbart und Brille, der wie ein Gelehrter wirkt, schlägt auf würdevolle Art große Nägel in ein aufgeschlagenes dickes Buch. Ein weiteres Liebespaar: Sie treiben es auf konventionelle Weise, doch dann lugt ein riesiger Nagel (wohl der größte im Film) durch das offene Fenster herein. Und noch einiges mehr - Nägel, immer wieder Nägel.


Was hat das alles zu bedeuten? Bedeutet es überhaupt irgendwas? Es ist zumindest offensichtlich, dass es eine enge Verbindung zur Sexualität gibt. Man könnte den Nagel als Phallussymbol interpretieren. In einigen Abschnitten wird diese Deutung forciert - neben den Szenen mit den beiden Liebespaaren vor allem ein Blowjob mit einem überdimensionalen Nagel (siehe fünften Screenshot). In anderen Szenen will sie nicht so recht passen, wäre zumindest recht bemüht. Ein Rezensent deutet die Nägel ähnlich, aber etwas allegorischer als Symbol der männlichen Libido - ein interessanter Gedanke, der etwas für sich hat. Aber muss es überhaupt eine geschlossene Deutung des Films geben? Eher nicht. Terayama war keiner, der seinem Publikum irgendwelche Interpretationen seiner Filme aufdrängte, sondern zu eigenem Nachdenken anregen wollte, so wie auch in seinen Theaterproduktionen das Publikum oft einbezogen wurde. "Für Terayama waren seine Arbeiten Fragen und keine Antworten", sagte Henriku (oder Henrikku) Morisaki, ein langjähriger Mitarbeiter und Freund, 2008 in einem Interview - "sie mussten durch das Publikum komplettiert werden."


So kann also jeder in den Film hineinlesen, was er will - eine "richtige" oder "wahre" Interpretation gibt es nicht. Der Titel DER PROZESS ist übrigens kein deutscher Verleih- oder Fernsehtitel, sondern ein Originaltitel, und er bezieht sich auf Franz Kafkas bekanntes Romanfragment. Der alternative Titel SHINPAN ist der übliche Titel japanischer Übersetzungen von Kafkas auch in Japan berühmtem Werk. Worin der Bezug des Films zu Kafka nun tatsächlich besteht, ist mir allerdings schleierhaft.


Unabhängig von möglichen Interpretationen ist DER PROZESS ein sehr schöner Film. Neben den ungewöhnlichen und fantasievollen Bildern trägt auch der gekonnte Soundtrack von Terayamas Haus- und Hofkomponisten J.A. Seazer (gelegentlich auch J.A. Caesar geschrieben) dazu bei. Einen dreisten Coup erlaubt sich Terayama mit dem Schluss. Elf Minuten vor Ende des 35-minütigen Films erreicht der nackte Mann mit dem geschulterten Nagel torkelnd bewohntes Gebiet, und das Bild verschwindet in einer Weißblende. Und dann passiert - nichts. Man lauscht der wunderschönen sanft-melodischen, fast elegischen Musik und blickt gebannt (zumindest beim ersten Sehen) auf die Leinwand oder den Monitor, weil ja noch etwas passieren muss. Aber das Bild bleibt zehn Minuten weiß, es passiert nichts, bis die End-Credits eingeblendet werden. Was soll das nun wieder? Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte ein Rückbezug auf Terayamas ersten Spielfilm WERFT DIE BÜCHER WEG UND GEHT AUF DIE STRASSE sein. Da ist am Anfang zunächst mal die Leinwand eine Minute lang schwarz. Dann wird ähnlich wie in LAURA die "vierte Wand" durchbrochen, und der Protagonist spricht zum Zuschauer: "Was tust Du hier? Durch herumhängen bewirkt man nichts. Die Leinwand ist komplett leer." Und dann, gegen Ende des Films: "Schaltet das Licht ein! Der Film endet hier. Jetzt bin ich an der Reihe zu reden. Wenn man darüber nachdenkt, kann ein Film nur im Dunkeln existieren. Wenn die Lichter angehen, wie jetzt, wird die Welt des Film ausgelöscht." Und ganz am Ende erscheint dann eine weiße Leinwand, wenn auch nur für eine knappe Minute, bevor die End-Credits beginnen (die in diesem faszinierenden Film auch eine ganz besondere Form haben, aber das ist ein anderes Thema). Es könnte also sein, dass Terayama dieses Motiv nochmal aufgreift und ausbaut. Auf jeden Fall gibt es einen Querbezug von DER PROZESS zu A TALE OF SMALLPOX (HŌSŌTAN), einen seiner beiden anderen Kurzfilme von 1975, denn darin kommen auch Nägel vor - etwa ein Mann mit vollständig bandagiertem Kopf, in den Nägel geschlagen werden.


Von allen Kurzfilmen Terayamas ist DER PROZESS für mich der interessanteste. Seine sämtlichen Kurzfilme (bis auf den ersten von 1960, der verschollen ist) sind in einer Box mit vier DVDs in Japan erschienen, die jedoch nicht mehr erhältlich ist. Einige Kurzfilme und Ausschnitte aus den Spielfilmen findet man bei YouTube.

Samstag, 3. September 2011

Publikumsbeschimpfung auf Japanisch

Drei Kurzfilme von Shūji Terayama

Teil 1: Schere, Stein, Papier, oder: Militarismus als Affenzirkus
Teil 3: Was Sie schon immer über Nägel wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten

LAURA (alternativ ROLLER, jap. RŌRA)
Japan 1974


Drei leicht bekleidete Grazien (von denen eine ein Transvestit sein könnte) in einem abgedunkelten Bühnenraum fast ohne Einrichtungsgegenstände. Sie durchbrechen die "vierte Wand" und sprechen den Zuschauer vor der Leinwand direkt an:

"Du da, in der zweiten Reihe von vorne! Womit fummelst Du da herum? Wir sind genau vor dir. Wir können dich perfekt sehen. Hör auf damit! Warum kommst Du nicht her? Mach es nicht selbst! Es ist schlecht für dich. Was, wenn es den Kerl vor dir trifft? Er müsste dann so heimgehen. [Gelächter] Und was ist mit dir? Glotz nicht! Tu nicht so, als ob Du nicht würdest! [...] Wir sind nicht nur Licht und Schatten auf der Leinwand. Wir haben Augen genau wie Du. Wir kennen die Typen, die in Experimentalfilme kommen. [...] Andere Kerle glauben, "Avantgarde" bedeutet eine nackte Frau! [Lachen] Ich lass dich mal schauen, wenn Du willst. Das ist es, was manche von ihnen wollen. Wir haben auch Geschäftsleute als perverse Spanner. Und ehrgeizige Literaturkritiker. [...] All die Möchtegernkritiker in der Menge kommen in Filme wie diesen."

Und so weiter. Etwas später wird einer der Geschmähten auf unergründliche Weise durch die Leinwand zu den drei Vamps gezogen. Mit sanfter Gewalt ziehen sie ihn aus und verlustieren sich an ihm, seinen halbherzigen Protesten zum Trotz. Am Ende entschwindet der Gebeutelte auf die selbe Art, wie er gekommen ist, wieder in den Zuschauerraum. Und die drei Grazien kündigen für das nächste Mal ein Melodram an ...


Ich fühlte mich durch den Film etwas an Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" erinnert - um genau zu sein, an den Schluss dieses Sprechstücks, in dem das Publikum die meiste Zeit über gar nicht beschimpft wird. Das ist kein abwegiger Gedanke. Terayama war sehr an zeitgenössischer europäischer, auch deutschsprachiger, Literatur interessiert, und in der posthum veröffentlichten Essaysammlung "Hakaba made nan mairu?" (How Many Miles to the Graveyard) erwähnt er die "Publikumsbeschimpfung" ausdrücklich. Vielleicht kannten sich Terayama und Handke sogar persönlich, denn beide waren im Juni 1969 beim experimentellen Theaterfestival "experimenta 3" in Frankfurt am Main anwesend (Terayamas Theatertruppe Tenjō Sajiki führte zwei Stücke auf). Die "Publikumsbeschimpfung" war drei Jahre zuvor am selben Ort bei der "experimenta 1" uraufgeführt worden. Ich weiß aber nicht, ob sich Handke und Terayama tatsächlich kennenlernten - Handke schrieb nach der "experimenta 3" einen Artikel darüber in der Zeit, und darin wird Terayama gar nicht erwähnt. Wie dem auch sein mag - LAURA ist ohnehin ein eigenständiges Werk. Kein übermäßig tiefschürfendes, aber eine witzige und freche Auseinandersetzung mit Avantgardefilmen und ihren Zuschauern. Was übrigens die nackten Frauen (und auch Männer) betrifft: Die gab es in Terayamas Filmen tatsächlich immer wieder, einschließlich sichtbarer Genitalien und Schamhaare - im japanischen Film eigentlich ein Tabu. Shūji Terayama war eben ein Enfant terrible, ein Grenzgänger zwischen "Hochkultur" und anarchischem Underground.

Donnerstag, 1. September 2011

Schere, Stein, Papier, oder: Militarismus als Affenzirkus

Drei Kurzfilme von Shūji Terayama

Teil 2: Publikumsbeschimpfung auf Japanisch
Teil 3: Was Sie schon immer über Nägel wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten

THE WAR OF JAN-KEN-PON (JANKEN SENSŌ)
Japan 1971


Zwei junge Männer in militärischen Uniform-Jacken und -Mützen - aber ohne Hosen - spielen das bekannte Schere-Stein-Papier-Spiel, das wohl jeder von uns als Kind schon mal gespielt hat. Aber bei dem Duell der beiden Jünglinge handelt es sich offenbar nicht um einen harmlosen Zeitvertreib, sondern um einen verbissenen Kampf. In einer leeren Lager- oder Fabrikhalle attackieren sie sich bald auch körperlich - und zwar in der Manier von Schimpansen. Und draußen an einem Fenster der Halle stehen Leute und schauen interessiert, aber auch distanziert herein - so wie man eben dem Treiben der Affen im Zoo zuschaut. Immer wilder kaspern die beiden herum, bis sie völlig verdreckt und derangiert sind. Als Soundtrack des zwölfminütigen Films erklingt wagnerianische Musik, phasenweise unterlegt mit Grunzlauten und mit Gegröle von Adolf Hitler.


Shūji Terayama, ein Avantgardist par excellence, hat neben seiner Arbeit als Gründer und Leiter der experimentellen Theatertruppe Tenjō Sajiki, als Dichter und Schriftsteller und in weiteren Aktivitäten, auch mehrere Spielfilme und ca. 15 Kurzfilme gedreht. THE WAR OF JAN-KEN-PON - der Titel bezieht sich auf den japanischen Namen des Schere-Stein-Papier-Spiels (das vermutlich aus China stammt und von Japan aus den Weg nach Europa fand) - wurde nicht als eigenständiger Film gedreht, sondern er ist ein Auszug aus der 72-minütigen Langfassung des wüsten und kontroversen EMPEROR TOMATO KETCHUP (TOMATO KECHAPPU KŌTEI) von 1970, in dem die Kinder in einer bewaffneten Revolte die Macht übernehmen und den Erwachsenen merkwürdige Gesetze aufoktroyieren. Lediglich der Soundtrack wurde für die zwölfminütige Version neu erstellt. Während die meisten Filme von Terayama vielschichtig und schwer zu entschlüsseln sind, drängt sich mir hier eine Interpretation geradezu auf: Terayama verhöhnt jeglichen Militarismus als Affenzirkus.

Mittwoch, 24. August 2011

Dekadenz bei Kerzenschein

Rossini, oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief (Alternativtitel: Rossini)
(Rossini, oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief, Deutschland 1997)

Regie: Helmut Dietl
Darsteller: Götz George, Mario Adorf, Heiner Lauterbach, Gudrun Landgrebe, Veronica Ferres, Joachim Król, Hannelore Hoger, Armin Rohde, Jan Josef Liefers, Martina Gedeck, Meret Becker u.a.

Sie zelebrieren sich und ihre Neurosen, und sie tun es dort, wo jeder Vorübergehende den Tanz der ihre Leere Feiernden  bestaunen kann: im Glaspalast Rossini, dem Edelrestaurant, das sich die Schickeria als zweites Wohnzimmer zugelegt hat. Regisseur Uhu Zigeuner, dem der Padrone seine Stammgäste verdankt, kriegt keinen hoch, wenn er nicht an einem Film arbeiten kann, eine abgetakelte Klatschkolumnistin benötigt den täglichen Orgasmus gegen ihre Migräne (weshalb sie diverse Vergewaltigungsversuche unternimmt) und der scheue Schriftsteller Jakob Windisch zieht sich ins Separée zurück, weil er gar keinen Sex will (“Ich will nichts erleben. Ich bin Schriftsteller.”) - um sich dann doch von der Kellnerin Serafina verführen zu lassen. --- Die Schönheit Valerie wiederum, die an dem einen Sommerabend, der dem Zuschauer einen Einblick ins Treiben der Gesellschaft gewährt, mindestens zum dritten Mal ihren 40. Geburtstag feiert, benötigt gleich zwei sie begehrende Männer, die zwar die Ursache für ihre Verstopfung sind, sie aber ins vom Licht  unzähliger weisser Kerzen verzauberte Ristorante begleiten: den jungen Dichter mit Dreitagebart Bodo, der ihr hymnische Verse ins Ohr flüstert, und den Filmproduzenten Oskar Reiter, von dem sie sich, obwohl er bis zum Hals in Schulden steckt, wertvollen Schmuck schenken lässt. Sie lässt sich sogar auf dem Boden von dem einen ficken, damit sie dem anderen ein “Hab ich dich befriedigt oder nicht?”   entlocken kann. - Und Paolo Rossini, der in herrischer Manier gewöhnlich Sterbliche von der Pforte seines Tempels verscheucht, vor der versnobten Bande  aber wie ein Lakai buckelt (man könnte sich jederzeit von ihm abwenden), gibt sich als Frauenfeind, lässt jedoch augenblicklich italienische Balladen in seinem schmelzenden Herzen erklingen, als der Traum eines jeden Mannes, die heilige Hure in Weiss, im Kerzenschimmer vor ihm auftaucht und Brecht zitierend (“Doch man sieht nur die im Lichte; die im  Dunklen sieht man nicht”) mit leiser Stimme Einlass begehrt.

Alle diese Leiden und Nöte beziehungsunfähiger Exhibitionisten, die uns Helmut Dietl in seinem zweiten Kinofilm nach der herrlichen Hitler-Tagebuch-Persiflage “Schtonk!” (1992) präsentiert (und es wären ein paar weitere hinzuzufügen), sind auf lockere Weise miteinander verbunden, wobei sich, wie schon die “Zeit” 1997 in einer lesenswerten Besprechung feststellte, im Verlaufe des Abends drei Hauptstränge entwickeln, die das hysterische Treiben des Packs als Vorwand für andere Dinge aufzudecken scheinen: Im Mittelpunkt des ersten Strangs steht der Erfolgsroman “Die Loreley”, von dem Reiter meint, er sei “mehr als die Bibel” und den er  unbedingt mit Zigeuner als Regisseur auf die Leinwand bringen möchte, damit er die Bankiers, die ihm bereits den Strick um den Hals legen, beruhigen kann. Uhu Zigeuner soll dem jeder Verfilmung abholden Jakob Windisch, der von Joachim Król grandios wie ein störrisches, ängstliches Kind mit Kulleraugen verkörpert wird, die Rechte abjagen. Hinter all dem leeren (oft frauenfeindlichen) Wortwitz, der den Abend prägt, versteckt sich also auch schnödes Business, und zwar Business, bei dem es beinahe um Leben und Tod geht.

Der zweite Strang dreht sich um die rätselhafte Schönheit Schneewittchen, die an diesem Abend im “Rossini” auftaucht, um sich auf raffinierte Weise vom Kellertheater bis zum deutschen Grossfilm hochzuschlafen. Vermutlich sprechen sie, diese Blondinen, immer wieder für die Rolle der “Loreley” vor; aber Schneewittchen weiss sie als unschuldige Hure auch zu leben. Mit zärtlichen Worten  wendet sie sich von ihrer Geliebten (Meret Becker) ab und beraubt den Restaurantbesitzer seines Verstandes, um dann dort ihre Beine breit zu machen, wo Aussicht auf Erfolg besteht. Produzent Reiter sieht in ihr die Idealbesetzung, Uhus Schwanz richtet sich empor, als befände er sich bereits mitten in den Dreharbeiten. - Und doch wird man den Eindruck nie los, schon am nächsten Abend werde ein anderes Schneewittchen die Glieder der Sippschaft zum Stehen bringen und als ideale Loreley gefeiert werden...

Diesen Eindruck des sich dauernd Wiederholenden erweckt auch der dritte, die Leere auf intensivste Weise aufdeckende Strang, der die Geschichte einer Selbstmörderin erzählt. Sie hat alles, und sie will als Gefangene der Schickeria noch mehr, nämlich den Widerspruch: “Ich will Lust bis zur Besinnungslosigkeit - und Ruhe. Leidenschaft bis zum Wahnsinn - und Frieden.” - Der hoffnungslos in sie verliebte Schönheitschirurg Dr. Sigi Gelber, vom Rest nur benutzt und belächelt, möchte ihr zwar nach all den Ausschweifungen Ruhe und Frieden schenken; als er am Morgen an ihrer Haustür erscheint, um ihr seine Schätze zu Füssen zu legen, hat sie ihren Frieden jedoch bereits in der Badewanne mit aufgeschnittenen Pulsadern gesucht. - Und man weiss: das Fest der Eitelkeiten setzt sich am nächsten Abend fort. Einer fehlt (es hätte auch eine andere Figur treffen können), man wird Ersatz finden.


Helmut Dietls Film "Rossini", einer der grossen Erfolge des Jahres 1997, wurde mit Auszeichnungen regelrecht überhäuft, erhielt jedoch von der Kritik  nicht nur Beifall. Während sich der Schweizer Kritiker Urs Jenny in einer SPIEGEL-Rezension  zum Ausruf  verleiten liess, “Rossini” feiere nach diversen seichten Produktionen endlich die “Wiedergeburt des deutschen Kinos aus der Komödie”, taten ihn andere als oberflächlich, seicht und banal ab. - Man muss zugeben: die “Entlarvung”der Mediengesellschaft bietet Wortwitz und schauspielerische Glanzleistungen im Übermass. Die Kamera, die munter durch ein Lichtermeer fegt, fängt den Reigen der Schickeria überdies so kunstvoll ein, dass sich der Zuschauer rund zwei Stunden lang auch nicht einen Augenblick langweilt. - Aber haben wir es wirklich mit einer “Entlarvung” zu tun?

Ich verweise noch einmal auf Urs Jennys Worte über den Regisseur, der erst spät zu einer bedeutenden Gestalt des deutschen Films wurde, weil er lange Zeit die Kleinform der TV-Serie (unter anderem “Monaco Franze - Der ewige Stenz”, 1983, und “Kir Royal”,  1986) für seine legendär giftigen Spitzen gegen eine übersättigte (Münchner) Bussi-Bussi-Gesellschaft vorgezogen hatte: “Der tiefste Grund dafür, dass er im Lauf von 25 Berufsjahren so beklagenswert wenig produziert hat, ist wohl, dass ihm nur selten eine Sache gut genug und der Mühe wert erscheint. Wenn es dann aber sein soll und muss, setzt er ... die Hürde so hoch wie irgend möglich.” - Nun waren es gerade die erwähnten TV-Serien auch zweifellos wert, zusammen mit seinem Co-Autor Patrick Süskind sorgfältig und wirklich entlarvend komponiert zu werden (man erinnert sich noch nach vielen Jahren an Details!); auch die Jahrhundert-Blamage, die sich die Illustrierte “Stern” mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern leistete, galt es gnadenlos verulkend als "Schtonk!" ins Kino zu bringen. Im Falle des scheinbar dem bewährten entlarvenden Muster folgenden “Rossini” sah die Sache jedoch ein wenig anders aus:

Dietl ordnete zwar die von ihm geschilderte Schickeria nicht einer bestimmten Stadt zu, und er reagierte - als wittere er die Gefahren, die von einem Eingeständnis ausgehen könnten -  mit einem “Bullshit!”, wenn er auf Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen angesprochen wurde. Tatsächlich musste jedoch auch “Rossini” in seinen Händen zu einem für jeden offenkundigen Schlüsselfilm werden. - Das Film-Restaurant “Rossini” hatte sein Vorbild im Münchner “Romagna Antica”,  in dem sich die lokale Film- und Presseschickeria der 80er Jahre allabendlich versammelte, um sich, ihre Bedeutungslosigkeit kaschierend, "darzustellen". Und dort fand man sie, all die im Film trotz ihrer koketten Veränderungen so leicht zu erkennenden Grössen, die auch bei ihrer Verewigung auf Zelluloid die gierigen Finger im Spiel haben sollten: Hinter dem mit schwarzer Weste auftretenden Uhu Zigeuner (George darf zwar berlinern) steckt ganz offensichtlich der meist in Schwarz anzutreffende Dietl selber, Heiner Lauterbach darf als Reiter den Erfolgsproduzenten Bernd Eichinger, der von Dietls engem Freund und Co-Autor Patrick Süskind (im Film Jakob Windisch) jahrelang vergeblich - wäre es doch dabei geblieben! - die Filmrechte für den Welterfolg “Das Parfum” erhalten wollte, geben - und der Lyriker Wolf Wondratschek, dessen Ergüssen die Verlängerung des Filmtitels entnommen wurde, kann sich, Werbung für weitere Verse machend, in dem die schöne Valerie beflüsternden Bodo  wieder erkennen. - Eine der glanzvollen Damen soll sich damals sogar tatsächlich ins Jenseits befördert haben, und alle seien sie am nächsten Abend wieder dämlich schwatzend und sich für wichtig haltend im Romagna Antica aufgetaucht...


Betrachtet man nun “Rossini” von diesem Blickpunkt aus (und es scheint mir der ihm angemessene zu sein), entdeckt man keine “Entlarvung” mit giftigen Spitzen, keine Abrechnung mit der Münchner Schickeria der 80er Jahre. Zu viele Gestalten, die sich damals im In-Restaurant “die Ehre gegeben” hatten, waren in die aufwändige Film-Produktion (alleine schon die Dreharbeiten zogen sich wegen der illustren Besetzung ewig hin) verwickelt. Es entsteht deshalb eher der Eindruck, man führe sich - weil man ums Verrecken nicht davon ablassen kann - selber noch einmal genussvoll vor, suhle sich in seiner eigenen Dekadenz, als setze man dem, was man in den 80ern war, ein leicht ironisches Denkmal. Und diese Selbstdarstellung macht “Rossini” trotz seines Unterhaltungswerts tatsächlich zu einem billigen, oberflächlichen Film, der einen schalen Nachgeschmack hinterlässt. Denn er glorifiziert auf pompöse Art  eine Vergangenheit  und setzt sie der nüchternen Gegenwart entgegen. - Vor allem aber verbieten sich die immer wieder auftauchenden und seltsam anmutenden Vergleiche mit Robert Altman’s  Meisterwerk “Short Cuts” (1993).

Schlüsselfilme zum Medienrummel können durchaus auf hämische oder bittere Weise entlarvend sein. Ich erinnere nur an Vincente Minnelli’s “The Bad and the Beautiful” (1952), dessen Hauptfigur sich zweifellos am Egomanen David O. Selznick orientiert, an Tom Toelles “Das Millionenspiel” (1970) oder eben an Altman's "The Player" (1992). Dietls sich selber beweihräuchernder “Rossini” ist, kommt man ihm erst einmal auf die Schliche, weit von solchen Werken entfernt. Verständlich aber auch schade, dass sich derart bedeutende deutsche Filmschauspieler für das auf den ersten Blick einnehmende Spektakel hergaben! --- Ich variiere zum Abschluss den Rat, den ein Medienhändler dem Kritiker Fred Maurer gegeben haben soll: Schaut euch den Film an! Staunt über die Wirkung, die er im ersten Moment zu entfalten vermag! Und schenkt ihn dann jemandem, den ihr nicht leiden könnt.