Im März 2011 startete der Intergalactic Ape-Man seine "Aktion DÖS". Erstaunlich viele Blogs glänzten mit einem Eingangsposting und
zählten zehn ihrer deutschsprachigen Lieblingsfilme auf. Dass nur ein Bruchteil
dieser Blogs auch längere Besprechungen liefern würde, war zu erwarten. Trotzdem
durfte der Urheber der Idee eine stolze Ernte einfahren, und ich möchte mich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben. - Was mich erstaunte:
Ich hatte lange den Eindruck, man versuche die Zeit des Dritten Reiches
regelrecht aus dem Gedächtnis zu verbannen, während ich sie zum Teil bewusst,
manchmal mich von ihr eingeholt fühlend (etwa die Besprechung von Imhoofs
"Das Boot ist voll") als problematischen Teil unserer Geschichte in
meine Beiträge miteinbezog. Später sollten weitere Blogger hinzukommen,
die dies ebenfalls taten und zeigten, dass Filme aus dieser Zeit oft faszinierend sein konnten, ihre Tendenz und Entstehungsbedingungen aber dem über sie Schreibenden die (verbliebenen) Haare zu Berge stehen liessen. Ebenfalls interessant: Gerade einige der mit Pomp
oder Anspruch internationale Bedeutung anstrebenden Werke (von Josef von Bákys
„Münchhausen“, 1943, über Helmut Käutners sich an „Citizen Kane“ anlehnenden „Ludwig
II. – Glanz und Elend eines Königs“, 1955, bis hin zu den Produktionen aus der
Bernd Eichinger-Küche) fanden kaum Beachtung. Hingegen wurden neben Unumgehlichem kleine, oft nicht erwartete deutschsprachige Filme in den Mittelpunkt gestellt (sogar der „Neue
Deutsche Film“ war mit Überraschungen vertreten). Einige der besprochenen Arbeiten
interessierten mich weniger, andere nahm ich dankbar als lohnenswerte Entdeckungen, die ich mir bei Gelegenheit zulegen muss, entgegen.
Was mir die Aktion nebenbei brachte: Es kam nolens, volens zu einer
Annäherung an Regisseure, denen ich mich lange Zeit aus kaum nachzuvollziehenden Gründen verweigert hatte: Plötzlich sehe ich mich etwa veranlasst, Werner
Herzog eine Chance zu geben. Filme, wie sie mein Co-Admin besprach,
erinnerten mich auch an weit zurückliegende Sichtungen, über deren Wert ich auf einmal nachzudenken begann. Dabei fiel mir auf, wie dankbar Regisseure, deren Filme in diesem Jahrtausend etwa in der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ ausgestrahlt wurden, sein dürfen, weil man diese häufig
zusätzlich auf einer DVD begutachten kann. Denn ich rätsle jetzt plötzlich
darüber, ob zum Beispiel Hartmut Griesmayers „Fallstudien“ (1979), ein Film,
der den Alltag in einem Bordell schildert, den hohen Stellenwert wohl behalten
würde, den er in meiner Erinnerung hat. Dieses Rätsel wird sich nicht auflösen, weil die Rarität nicht „gebrannt“ erhältlich und an eine Neuausstrahlung
kaum zu denken ist. Ähnlich geht es mir mit ein paar Schweizer Filmen, etwa Mark Rissis "Die schwarze Spinne" (1983) oder Urs Odermatts "Der Tod zu Basel" (1990). – Dies als kleine Aufforderung, lohnenswerte deutschsprachige Filme
vor dem Vergessen zu bewahren und dem Filmfreund als DVD zugänglich zu machen.
Nun zu den fünf „Lieblingsfilmen“: Ich bemerkte schon im Eingangsposting,
dass es sich bei meinen zehn ausgewählten Filmen eher um für die jeweilige Zeit
bedeutende Ereignisse als um Lieblingsfilme handle. Die geforderte Betonung auf „Lieblings-„ am Ende der Aktion macht die Sache ausserordentlich schwierig. Ich müsste etwa als Anhänger des Genres
Murnaus „Nosferatu“ (1922) nennen, auch den im Rahmen dieser Aktion überaus
geschätzten „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931), dessen Bedeutung mir
nicht entgeht. Aber sind dies nach vielen Sichtungen immer noch Filme, die ich
der Liste meiner nun rund dreissig Titel umfassenden Lieblingswerke vorziehen
würde? Muss ich nicht in diesem Moment erst recht auf Subjektivität beharren? –
Hier eine recht willkürliche Auswahl aus meiner schon qualvoll
zusammengeschrumpften Liste:
Menschen am Sonntag (Deutschland 1930)
Menschen am Sonntag (Deutschland 1930)
Die von jungen Amateurfilmern gedrehte Collage einer Grossstadt am
Sonntag wirkt so poetisch und zugleich authentisch, dass man sich ihrer
Unbeschwertheit hingeben möchte und einfach vergessen will, was aus diesen
Menschen und dem Land, in dem sie lebten, wenige Jahre später werden sollte.
Ein letzter Traum, den ich immer wieder voller Hingabe mitträume – ohne darauf zu achten,
welche Szenen „inszeniert“, welche spontan wirken.
Eine Literaturverfilmung gehört einfach in die Liste des ehemaligen
Literaturstudenten. Ich schwankte lange zwischen Staudtes Meisterwerk und
Schlöndorffs Musil-Adaption, die zu einem der frühen Erfolge des Neuen
Deutschen Films werden sollte und die ich bei Gelegenheit besprechen möchte.
Die einzigartige Heinrich Mann-Verfilmung erhielt letztlich den Vorrang, weil
sie auch als hinterlistige frühe Abrechnung mit dem buckelnden und verehrenden
Nationalsozialisten angelegt ist. Für mich zusätzlich reizvoll: Heinrich Mann
wurde als ehemaliger Sozialist in der frühen BRD wie andere heute anerkannte Schriftsteller
im Gegensatz zu seinem Bruder gemieden. Wenn es also etwas gibt, wofür wir der
DDR dankbar sein müssen, so ist es das Aufrechterhalten der Erinnerung an ihn
und manche seiner Zeitgenossen.
Das Brot des Bäckers (Deutschland 1973)
Zwei Schweizer Regisseure, deren grösstes Werk in den 70er Jahren entstand, buhlten um meine Gunst. Eigentlich hätte ich mich für Kurt Früh
entscheiden müssen, der seine späte traurige Ballade „Dällebach Kari“ (1970)
auch in der Schweiz drehte. Erwin Keuschs Filmdebut wirkt jedoch noch heute so
aktuell und überzeugend, dass es letztlich den Vorrang erhielt. Es soll
zugleich insistierend an etwas erinnern: Solche Filme
müssen als DVD zu haben sein, wenn man eine einseitige Erinnerung an den
deutschen Film jener Zeit verhindern will. „Das Brot des Bäckers" ist überdies
ein Meisterwerk, das internationale Beachtung erhielt und sie auch heute noch
verdient.
Heimat – Eine deutsche Chronik (Deutschland 1984)
Heimat – Eine deutsche Chronik (Deutschland 1984)
Edgar Reitz‘ im Jahre 1919 einsetzende Alltagsgeschichten aus einem Dorf
im Hunsrück sind, wie ich schon in meinem Eingangsposting erwähnte, ein
filmisches Ereignis der Sonderklasse. Diese deutsche Chronologie en miniature,
die auf raffinierte Weise zwischen Schwarzweiss und Farbe wechselt, wird in den
nächsten Jahrzehnten niemand überbieten können. Trotzdem sollte ihr Versuch,
sich am Alltäglichen, nicht am Pompösen zu orientieren, für Filmemacher unserer
Zeit ein Vorbild sein – und es ist gut, dass viele dies erkannt haben.
Heinrich Breloers Doku-Drama über die Rote Armee Fraktion und den
berüchtigten Herbst des Jahres 1977 mit der Schleyer-Entführung und Mogadischu
ist auch eher zufällig in meiner Liste gelandet. Dass Breloers Talent
für Semi-Dokus ungleich grösser ist als das für Spielfilme, bewies er mit seinem desaströsen „Buddenbrooks“
(2008). Hier geht es mir jedoch vor allem darum, dass ich die Geschichte der Rote
Armee Fraktion seinerzeit lediglich über
Fernsehreportagen und Tagesschaumeldungen mitbekommen konnte. Deren Einseitigkeit
wurde spätestens dann erkannt, wenn man einen brüllenden Franz Josef Strauss
vor dem Mikrophon sah. Lange Zeit blieb der Eindruck bestehen, ich würde nie
mehr als Bruchstücke über die wirklichen Hintergründe der Abläufe erfahren, die ich mit so grossem
(jugendlichem) Interesse verfolgte. Die späte Aufarbeitung als Doku-Drama faszinierte mich deshalb überaus, und ich bin
noch heute dankbar dafür. Sie „erhellte“ mir ein wichtiges Stück deutscher
Geschichte.
Jetzt müssten mindestens zehn, fünfzehn weitere Filme erwähnt
werden, angefangen bei „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ (1937), an den mich
Manfred Polak erinnerte, vorläufig endend beim provozierenden, weil
realistischen „Eierdiebe“ (2003), dessen Regisseur der verheerenden Versuchung
Hollywood nicht widerstehen konnte. Ich freue mich über Filmschaffende, die
verstehen, wie wichtig es ist, dass sie ihre Arbeit in Deutschland fortsetzen und vom
scheinbar unbedeutenden Alltag, von eigenen kleinen Erfahrungen ausgehen, um
in ihnen das vorhandene Material für eine gute Geschichte zu entdecken. Eine solche Herangehensweise
machte den deutschen Film immer gross und wird es weiterhin tun. Die Schweiz,
die in diesem Jahrtausend mehrfach mit viel Schmalz vergeblich um Oscars und
internationalen Ruhm buhlte, zeigt: So geht es nicht.
***
Mit diesem Abschlussposting endet für mich die “Aktion DÖS“. Gleichzeitig
sehe ich mich unabhängig von ihr – wie wohl diverse andere Teilnehmer auch – in
der Pflicht, weiterhin deutschsprachige Filme zu besprechen, mögen diese auch
nicht mehr wie in den letzten Monaten als geballte Ladung anrücken. Unser
Intergalactic Ape-Man wäre dankbar für die geregelte Fortsetzung seiner
Schöpfung in irgendeiner Form gewesen. Er erhielt Absagen, unter anderem auch
von mir, in den er ein wenig Hoffnung gesetzt hatte. Ich musste meine Absage
mit dem Argument begründen, über das ein paar Leser bereits Bescheid wissen:
Als HIV-Langzeitüberlebender mit entsprechender Krankengeschichte wäre ich ein höchst ungeeigneter, weil
unzuverlässiger „DÖS“-Leiter. Der Sinn meines Daseins beschränkt sich auf das Ärgern des werten Lesers.
Vielleicht ist es auch ganz gut, jetzt einen Endpunkt zu setzen und die
Aktion als Anregung zu betrachten. Würde man sie künstlich am Leben erhalten,
könnte dies von einigen als Zwang betrachtet werden, dem sie sich entziehen
möchten. Die Situation ist aber so, dass ich sicher nicht der einzige
bin, der sich in den letzten neun Monaten eine rechte Anzahl DÖS-Filme (weniger aus der Schweiz, da unsere Produktion so beeindruckend nicht ist) zugelegt hat, die besprochen werden
wollen, der verschiedene Stränge aufnehmen und intensiver verfolgen möchte. In
meinem Fall steht zum Beispiel ein Aufarbeiten des deutschen Films der
letzten acht bis zehn Jahre noch an.
Das wär‘s für den Moment. Ich danke dem Intergalactic Ape-Man für seine
spannende Anregung und den Aufwand, dem er sich ausgesetzt hat. Möge die
Beschäftigung mit dem deutschsprachigen Film anhalten und weitere Blogger
reizen! Leute, wir sind wer! Und mit den Massenproduktionen aus Hollywood
nehmen wir es noch lange auf.
Gruss Bruno
Gruss Bruno