Teil 1: Schere, Stein, Papier, oder: Militarismus als Affenzirkus
Teil 3: Was Sie schon immer über Nägel wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten
LAURA (alternativ ROLLER, jap. RŌRA)
Japan 1974
Drei leicht bekleidete Grazien (von denen eine ein Transvestit sein könnte) in einem abgedunkelten Bühnenraum fast ohne Einrichtungsgegenstände. Sie durchbrechen die "vierte Wand" und sprechen den Zuschauer vor der Leinwand direkt an:
"Du da, in der zweiten Reihe von vorne! Womit fummelst Du da herum? Wir sind genau vor dir. Wir können dich perfekt sehen. Hör auf damit! Warum kommst Du nicht her? Mach es nicht selbst! Es ist schlecht für dich. Was, wenn es den Kerl vor dir trifft? Er müsste dann so heimgehen. [Gelächter] Und was ist mit dir? Glotz nicht! Tu nicht so, als ob Du nicht würdest! [...] Wir sind nicht nur Licht und Schatten auf der Leinwand. Wir haben Augen genau wie Du. Wir kennen die Typen, die in Experimentalfilme kommen. [...] Andere Kerle glauben, "Avantgarde" bedeutet eine nackte Frau! [Lachen] Ich lass dich mal schauen, wenn Du willst. Das ist es, was manche von ihnen wollen. Wir haben auch Geschäftsleute als perverse Spanner. Und ehrgeizige Literaturkritiker. [...] All die Möchtegernkritiker in der Menge kommen in Filme wie diesen."
Und so weiter. Etwas später wird einer der Geschmähten auf unergründliche Weise durch die Leinwand zu den drei Vamps gezogen. Mit sanfter Gewalt ziehen sie ihn aus und verlustieren sich an ihm, seinen halbherzigen Protesten zum Trotz. Am Ende entschwindet der Gebeutelte auf die selbe Art, wie er gekommen ist, wieder in den Zuschauerraum. Und die drei Grazien kündigen für das nächste Mal ein Melodram an ...
Ich fühlte mich durch den Film etwas an Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" erinnert - um genau zu sein, an den Schluss dieses Sprechstücks, in dem das Publikum die meiste Zeit über gar nicht beschimpft wird. Das ist kein abwegiger Gedanke. Terayama war sehr an zeitgenössischer europäischer, auch deutschsprachiger, Literatur interessiert, und in der posthum veröffentlichten Essaysammlung "Hakaba made nan mairu?" (How Many Miles to the Graveyard) erwähnt er die "Publikumsbeschimpfung" ausdrücklich. Vielleicht kannten sich Terayama und Handke sogar persönlich, denn beide waren im Juni 1969 beim experimentellen Theaterfestival "experimenta 3" in Frankfurt am Main anwesend (Terayamas Theatertruppe Tenjō Sajiki führte zwei Stücke auf). Die "Publikumsbeschimpfung" war drei Jahre zuvor am selben Ort bei der "experimenta 1" uraufgeführt worden. Ich weiß aber nicht, ob sich Handke und Terayama tatsächlich kennenlernten - Handke schrieb nach der "experimenta 3" einen Artikel darüber in der Zeit, und darin wird Terayama gar nicht erwähnt. Wie dem auch sein mag - LAURA ist ohnehin ein eigenständiges Werk. Kein übermäßig tiefschürfendes, aber eine witzige und freche Auseinandersetzung mit Avantgardefilmen und ihren Zuschauern. Was übrigens die nackten Frauen (und auch Männer) betrifft: Die gab es in Terayamas Filmen tatsächlich immer wieder, einschließlich sichtbarer Genitalien und Schamhaare - im japanischen Film eigentlich ein Tabu. Shūji Terayama war eben ein Enfant terrible, ein Grenzgänger zwischen "Hochkultur" und anarchischem Underground.
"Du da, in der zweiten Reihe von vorne! Womit fummelst Du da herum? Wir sind genau vor dir. Wir können dich perfekt sehen. Hör auf damit! Warum kommst Du nicht her? Mach es nicht selbst! Es ist schlecht für dich. Was, wenn es den Kerl vor dir trifft? Er müsste dann so heimgehen. [Gelächter] Und was ist mit dir? Glotz nicht! Tu nicht so, als ob Du nicht würdest! [...] Wir sind nicht nur Licht und Schatten auf der Leinwand. Wir haben Augen genau wie Du. Wir kennen die Typen, die in Experimentalfilme kommen. [...] Andere Kerle glauben, "Avantgarde" bedeutet eine nackte Frau! [Lachen] Ich lass dich mal schauen, wenn Du willst. Das ist es, was manche von ihnen wollen. Wir haben auch Geschäftsleute als perverse Spanner. Und ehrgeizige Literaturkritiker. [...] All die Möchtegernkritiker in der Menge kommen in Filme wie diesen."
Und so weiter. Etwas später wird einer der Geschmähten auf unergründliche Weise durch die Leinwand zu den drei Vamps gezogen. Mit sanfter Gewalt ziehen sie ihn aus und verlustieren sich an ihm, seinen halbherzigen Protesten zum Trotz. Am Ende entschwindet der Gebeutelte auf die selbe Art, wie er gekommen ist, wieder in den Zuschauerraum. Und die drei Grazien kündigen für das nächste Mal ein Melodram an ...
Ich fühlte mich durch den Film etwas an Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" erinnert - um genau zu sein, an den Schluss dieses Sprechstücks, in dem das Publikum die meiste Zeit über gar nicht beschimpft wird. Das ist kein abwegiger Gedanke. Terayama war sehr an zeitgenössischer europäischer, auch deutschsprachiger, Literatur interessiert, und in der posthum veröffentlichten Essaysammlung "Hakaba made nan mairu?" (How Many Miles to the Graveyard) erwähnt er die "Publikumsbeschimpfung" ausdrücklich. Vielleicht kannten sich Terayama und Handke sogar persönlich, denn beide waren im Juni 1969 beim experimentellen Theaterfestival "experimenta 3" in Frankfurt am Main anwesend (Terayamas Theatertruppe Tenjō Sajiki führte zwei Stücke auf). Die "Publikumsbeschimpfung" war drei Jahre zuvor am selben Ort bei der "experimenta 1" uraufgeführt worden. Ich weiß aber nicht, ob sich Handke und Terayama tatsächlich kennenlernten - Handke schrieb nach der "experimenta 3" einen Artikel darüber in der Zeit, und darin wird Terayama gar nicht erwähnt. Wie dem auch sein mag - LAURA ist ohnehin ein eigenständiges Werk. Kein übermäßig tiefschürfendes, aber eine witzige und freche Auseinandersetzung mit Avantgardefilmen und ihren Zuschauern. Was übrigens die nackten Frauen (und auch Männer) betrifft: Die gab es in Terayamas Filmen tatsächlich immer wieder, einschließlich sichtbarer Genitalien und Schamhaare - im japanischen Film eigentlich ein Tabu. Shūji Terayama war eben ein Enfant terrible, ein Grenzgänger zwischen "Hochkultur" und anarchischem Underground.