http://intergalactic-ape-man.blogspot.com/2011/03/jetzt-mitmachen-aktion-deutscher-film.html
Zunächst meine offizielle Liste, die in die Endauswertung eingeht. Ohne interne Wertung, sondern chronologisch geordnet. Alle außer FILM OHNE TITEL sind auf DVD erhältlich.
1. DER BLAUE ENGEL (1930)
Ein Hollywood-Regisseur macht einen Ausflug zur UFA, dreht einen Klassiker, kreiert dabei einen Star, und nimmt den Star gleich wieder mit nach Hollywood, um einen Weltstar daraus zu machen. Aber abgesehen von all dem handelt es sich um ein atmosphärisch ungemein dichtes und emotional wuchtiges Drama, in dem Emil Jannings genauso wie Marlene Dietrich brilliert, und die Musik von Friedrich Hollaender tut ein Übriges.
2. UNTER DEN BRÜCKEN (1945/46)
Helmut Käutner rettete den Poetischen Realismus vom Frankreich der 30er ins Deutschland der 40er Jahre herüber. Unter schwierigen Bedingungen in den letzten Kriegswochen 1945 entstanden, hatte UNTER DEN BRÜCKEN erst 1946 Premiere, es handelt sich also um einen "Überläuferfilm". Ich hätte auch GROSSE FREIHEIT NR. 7 nehmen können, die Entscheidung für die BRÜCKEN ist relativ willkürlich. Aber GROSSE FREIHEIT NR. 7 wurde schon in anderen Blogs genannt, außerdem spielt UNTER DEN BRÜCKEN in einem ähnlichen Milieu wie L'ATALANTE, und das ist einer meiner Lieblingsfilme.
3. FILM OHNE TITEL (1948)
Ein Film aus einer Übergangsperiode: Die Zeit des Trümmerfilms (DIE MÖRDER SIND UNTER UNS, IN JENEN TAGEN, ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN) neigte sich dem Ende entgegen, die Zeit der Verdrängungs- und Beschwichtigungsfilme begann. FILM OHNE TITEL ist eine Komödie, er hat Charme, ist selbstbezüglich (es geht um einen Film im Film), aber er hat noch den Impetus der Trümmerfilme. Rudolf Jugerts erster Film atmet von der ersten bis zur letzten Minute den Geist Helmut Käutners. Kein Wunder: Käutner hat produziert und am Drehbuch mitgearbeitet, und Jugert war zuvor jahrelang sein Regieassistent, u.a. bei ROMANZE IN MOLL, GROSSE FREIHEIT NR. 7, UNTER DEN BRÜCKEN und IN JENEN TAGEN. Er hätte durchaus eher selbst Regie führen können, aber er lehnte es bis Kriegsende ab, um keinen Propagandafilm drehen zu müssen. Die Hauptrolle im FILM OHNE TITEL spielt Hilde Knef, die mit ihren unabhängigen Frauenfiguren (wie in DIE MÖRDER SIND UNTER UNS und ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN) der weibliche Star der unmittelbaren Nachkriegszeit war, bevor ihre Karriere in Hollywood versandete und Biederfräuleins wie Sonja Ziemann und Ruth Leuwerik Oberwasser bekamen.
4. JONAS (1957)
Ottomar Domnicks avantgardistischer Geniestreich. Alles nötige habe ich schon hier geschrieben.
5. DAS INDISCHE TUCH (1963)
Ich war schon immer ein Fan der Edgar-Wallace-Filme, und DAS INDISCHE TUCH ist von jeher mein Favorit - wegen Hans Clarins irrem Blick, weil Kinski sein übliches Rollenklischee gleichzeitig ausfüllt und konterkariert, weil Ady Berber, der deutsche Tor Johnson, mitspielt, weil der Wallace-Touch mit dem 10-kleine-Negerlein-Motiv kombiniert wird, und was weiß ich warum.
6. DER KOMMISSAR (1969-76)
Eine Zeitreise in die erste Hälfte der 70er Jahre, als "political correctness" noch ein Begriff von einem anderen Stern war. Irgendwelche Leute haben nachgezählt, wie viele Biere und Schnäpse getrunken und wie viele Zigaretten geraucht wurden, und kamen auf enorme Zahlen. Die Fälle und die Lösungen waren immer auf das menschliche Drama fokussiert; Gerichtsmediziner, Kriminaltechniker, lästige Staatsanwälte oder dubiose Kollegen vom BKA und ähnliches Beiwerk gab es nie. Stattdessen hat Kommissar Keller einfach gemacht, was er wollte. Trotz, oder vielleicht eher wegen der Reineckerismen ("Sag ich etwas falsches?" "Nein, Du sagst nichts falsches"; "He, Sie!" "Wer, ich?" "Ja, Sie!") und Herbert Reineckers Hang zum Moralphilosophen immer unterhaltsam, mit einer Armada längst verblichener Schauspielgrößen, die ihre Rollen immer ernst nahmen. Der kürzlich verstorbene Helmut Ringelmann beschäftigte nicht nur Altmeister wie Wolfgang Staudte, er gab auch Michael Verhoeven die Chance zu einer seiner ersten Regie-Arbeiten, und er ließ Zbyněk Brynych bei seinen leicht bekloppten, surreal angehauchten Manierismen gewähren. Bravo! Obwohl der Kommissar auch in Grünwalds Villen ermittelte, später Derricks bevorzugtes Biotop, spielen die meisten Fälle in der Mittel- oder Unterschicht, bis hin zum Proletariat, das in irgendwelchen Kellerlöchern haust. Und immer wieder gab es Ausflüge in und Verständnis für die jugendliche Subkultur. Obwohl Reinecker dabei regelmäßig in Klischees abrutschte, blieb er mir deshalb immer sympathisch.
7. AGUIRRE, DER ZORN GOTTES (1972)
Vom majestätischen Anfang, als die Karawane zur Musik von Popol Vuh die Anden herabsteigt, bis zum delirierenden Schluss, als Thomas Mauchs Kamera das Floß mit den Affen umkreist, ein grandioser Film, der von einem irrlichternden Klaus Kinski beherrscht wird. Unter sehr schwierigen Bedingungen komplett vor Ort im südamerikanischen Dschungel gedreht. Nur ein Besessener wie Werner Herzog konnte so etwas zuwege bringen.
8. MÜNCHNER GESCHICHTEN (1974)
Helmut Dietls erste und beste Fernsehserie. Sie fängt perfekt den Zeitgeist der 70er Jahre ein und ist zeitlos, Münchnerisch und universell, zum Brüllen komisch und melancholisch, mit unvergesslichen Typen und ernsten Themen wie "Entmietung" und Verödung alter Stadtviertel zugunsten neuer Trabantenstädte. Die damaligen Jungstars um Günther Maria Halmer gehen mit den Charakterdarstellern, angeführt von der grandiosen Therese Giehse, eine perfekte Symbiose ein. Meine Lieblingsserie bis ans Ende der Zeiten (und danach auch noch).
9. IM LAUF DER ZEIT (1976)
Wim Wenders' vielschichtiges dreistündiges Roadmovie, mit geradezu archetypischen Szenen wie der Versenkung des Käfers in der Elbe, entstand als "work in progress": Der Film wurde chronologisch entlang der befahrenen Route gedreht, und abends entstand immer erst das Drehbuch für den nächsten Tag, so dass am Anfang niemand wusste, wie der fertige Film aussehen würde. Neben anderem auch ein melancholischer Abgesang auf die Kultur der Kleinstadt- und Dorfkinos.
10. DIE COMEDIAN HARMONISTS (1977)
Eberhard Fechner entwickelte für seine Dokumentarfilme eine faszinierende Technik. Seine Interviewpartner (meist Privatpersonen, nur hier ausnahmsweise frühere Prominente) wurden zu stundenlangem Erzählen motiviert und dabei von einer fest montierten Kamera gefilmt, meist von schräg vorn - die einen von rechts, die anderen von links. Aus den getrennt aufgenommenen Interviews schnitt Fechner dann scheinbare Dialoge zusammen, wobei sich die virtuellen Dialogpartner mal gegenseitig bestätigten und die Rede des anderen fortführten, mal widersprachen. Dabei wechselte der Redner oft mitten in einem Satz, ohne dass sich Brüche im Gesprächsfluss ergaben - eine geniale Leistung. In dieser Technik arbeitete Fechner von NACHREDE AUF KLARA HEYDEBRECK (1969) bis WOLFSKINDER (1991) an einer Chronologie des 20. Jahrhunderts aus der Sicht seiner Protagonisten. Zum dreistündigen Zweiteiler DIE COMEDIAN HARMONISTS befragte er alle vier damals noch lebenden und Angehörige der beiden bereits verstorbenen Mitglieder, und er behandelt nicht nur den Werdegang der Gruppe, sondern auch die weiteren Lebenswege der drei jüdischen und der drei nichtjüdischen Mitglieder. Fechners Film ist für mich weitaus faszinierender als Vilsmaiers Spielfilm zum selben Thema.
Soweit die offizielle Liste. Jetzt noch ein paar lobende Erwähnungen von Werken, die es knapp nicht geschafft haben.
ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN (1968)
Der Film von May Spils und Werner Enke über das Lebensgefühl der jugendlichen Schwabinger Bohème der 60er Jahre ist immer spontan - oder zumindest wirkt er so, und darauf kommt es ja an. Als legitime Nachfolger kann man am ehesten Klaus Lemkes Filme der 70er Jahre benennen.
DIE DELEGATION (1970)
Aus den nachgelassenen Notizen, Tonband- und Filmaufzeichnungen eines unter mysteriösen Umständen verunglückten Reporters (brillant: Walter Kohut) werden in einer Fernsehsendung dessen Recherchen der letzten Monate rekonstruiert. Mit den Mitteln einer Mockumentary, mit ähnlichen Kunstgriffen wie bei BLAIR WITCH PROJECT (nur geht es hier nicht um Hexen, sondern um UFOs), aber 30 Jahre früher, erzeugt Rainer Erler einen Sog, der einen in den Film hineinzieht wie eine echte Live-Reportage. Dabei bedient er sich passender Schauplätze in Europa, Nord- und Südamerika, geschickt eingebauten authentischen Materials (etwa von einem Kongress, an dem der Raketenpionier Hermann Oberth teilnahm), und Wackelkamera an den richtigen Stellen. Folgerichtig gab es besorgte Zuschaueranrufe beim Sender, wie Erler anlässlich einer Wiederholung zehn Jahre später berichtete. Mit Serien und Filmen wie DAS BLAUE PALAIS, PLUTONIUM und FLEISCH setzte Erler weitere Glanzlichter.
DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA (1973)
Heiner Carows DEFA-Kultfilm mit Angelica Domröse und Winfried Glatzeder. Besonders überrascht und begeistert hat mich die surreale Musical-Einlage in dem ansonsten realitätsnahen Liebesfilm. So kann (und soll gelegentlich) Film sein!
DIE DÄMONEN (1977)
Fernseh-Vierteiler nach dem Roman von Dostojewskij, mit einem hochkarätigen Ensemble, angeführt vom faszinierenden Christoph Bantzer, in einer komplexen Geschichte (bei Dostojewskij natürlich kein Wunder). Leider nicht auf DVD. Die Verfilmung des Stoffes von Andrzej Wajda kenne ich nicht.
Womit wir schon bei den Werken wären, die ich mir auf DVD wünsche. Da gäbe es viel, aber ich beschränke mich mal auf das überschaubare Gesamtwerk von Ottomar Domnick, und zwar in guter Bildqualität (die DVD von JONAS hat ein ziemlich schlechtes Bild).
Was erwarte ich mir nun von der Aktion deutscher Film? Dass ich auf interessante Werke aufmerksam gemacht werde, von denen ich noch nichts (oder zumindest noch nichts konkretes) gehört habe. Dazu ist es nötig, dass es zu den Titeln in den Listen auch Erläuterungen gibt. Von reinen Auflistungen werde ich nichts haben.
You did it! Echt toll, dass du deinen persönlichen Edgar Wallace-Film in die Liste aufnimmst (ich habe mir übrigens extra wegen dir einen anderen bestellt und gedenke ihn im Verlaufe meines kurzen, aber heftigen Lebens zu besprechen).
AntwortenLöschenDeine Liste enthält auch ein paar "Neuzugänge", mit denen man eigentlich schon früher hätte rechnen dürfen: Was würde wohl Emil Jannings sagen, wenn er wüsste, dass erst ein Manfred Polak seine Leistung im "blauen Engel" zu würdigen wusste? Ich weiss übrigens gar nicht, wie Heinrich Mann zur Verfilmung seines Romans stand...
Und natürlich wunderbar, dass endlich "Die Legende von Paul und Paula" auftaucht. Ich liebe diesen Film nach einem Drehbuch von Plenzdorf. Warum um alles in der Welt drängte er sich mir nicht auf, als ich meine Liste zusammenbastelte?
@Der Kommissar: Der Schrecken meiner jugendlichen Freitagabende (weshalb ich mir zu dieser Zeit auch immer ein Bad genehmigte). Ich unterstelle mal: Wurde bloss aufgenommen, weil dir Ingrid Steeger die erste nackte Brust deines Lebens zeigte. ;)
Und jetzt musst du, sollte dies nicht bereits erledigt sein, unserem intergalaktischen Freund nur noch einen Link zu deiner Liste zukommen lassen. Da sind mal wieder lauter Perlen dabei!
Phantastisch. Und gerade zuvor sah ich mir noch das Jutta Speidel Interview auf der DVD zu Die letzten Ferien aus der Straßenfeger #30 Box an und dachte bei mir, daß ich doch die anderen Erler-Filme auch mal sehen möchte. Nun noch dein Anstoß und mein Blick über das Onlineangebot - bei Amazon liegt die Rainer Erler Kultfilmebox mit 6 mir also fehlenden Werken und ebenfalls einer Version des mir schon vorliegenden Films bei 17 Euro. Klare Sache und damit Hopp, gleich gekauft. :D
AntwortenLöschenAuffällig hier übrigens, daß nach 1977 so gar nichts von Belang für dich zu sein scheint. Ist das bewußt?
Dass nichts nach 1977 auf dieser Liste ist, heißt natürlich nicht, dass es "so gar nichts von Belang" aus den letzten 35 Jahren für mich gibt. Ich hab ja zuvor schon angedeutet, dass ich mit solchen Listen grundsätzlich Probleme habe, weil sie (zumindest meine Listen) immer einen Anteil Willkür enthalten. Ich hätte von Schlöndorffs BLECHTROMMEL bis Veit Helmers TUVALU noch alles mögliche aufnehmen können, aus dem TV-Bereich etwa DIE ZWEITE HEIMAT, die ich ja schon in meinem Kommentar zu Whoknows' Liste erwähnte, oder diverse Sachen von Heinrich Breloer, vor allem WEHNER - DIE UNERZÄHLTE GESCHICHTE. Aber ich wollte die Liste halt überschaubar halten.
AntwortenLöschenDen Zweiteiler von Breloer habe ich wiederum verpasst, obwohl ich mich ausserordentlich für die Trojka der SPD in den 70ern interessiere. Er wurde leider zu einer Zeit ausgestrahlt, in der ich sehr beschäftigt war und selten Musse für Filme hatte. Dafür kenne ich Breloers "Todesspiel" (1997), der mich auch sehr beeindruckte.
AntwortenLöschenDa Sie die Dämonen von Dostojewski erwähnen, möchte ich es nicht versäumen, Sie auf einen Link aufmerksam zu machen, der zum Thema Dostojewski und Film vielleicht etwas Interessantes für Sie zu bieten hat:
AntwortenLöschenhttp://dostojewski.npage.de/neu_film_41982612.html
Du siehst mich überrascht, dass Du so viele Filme nennst, die ich kenne oder zumindest von gehört habe. Bei Deiner Liste hatte ich mich schon darauf eingestellt wirklich nichts zu kennen. Umso erfreuter bin ich, dass Du Fernsehproduktionen wie DAS INDISCHE TUCH anführst. Hans Clarins Blick hat mir als Kind auch ganz schön zugesetzt (ich sah es allerdings in der Wiederholung Anfang der 80er). Und DER KOMMISSAR ist natürlich auch großartig. Wobei ich auch hier schon die spätere Generation darstelle und lieber Siegfried Lowitz als "Alten" sah (mit dem wunderbaren Vorspann). DIE DELEGATION nehme ich mal als direkte Empfehlung mit.
AntwortenLöschenGute Nachrichten! Ab jetzt startet der Welt erste Verlosung im Rahmen der Aktion deutscher Film. Schau vorbei und mach mit. Und erzähl allen davon. ;)
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