Samstag, 5. März 2011

Unmassgebliche Gedanken zu einem vollendeten Filmfragment

 "Ein Narr, wer mono.micha erzählt, von welchen Frauen er schwärmt."
(Altväterliches Sprichwort, soeben von mir erfunden)


Mulholland Drive - Strasse der Finsternis
(Mulholland Dr., USA/Frankreich 2001)

Regie: David Lynch
Darsteller: Naomi Watts, Laura Harring, Ann Miller, Justin Theroux, Dan Hedaya, Lee Grant, Robert Forster, Lori Heuring, Chad Everett, Billy Ray Cyrus u.a.

“... and now I’m in this dream place.” - Sicher, es geht um Träume in David Lynch’s Summa seines bisherigen Schaffens. Sie sind jedoch nur eines der vielen Motive, auf die man stösst, um festzustellen, dass sie bereits von anderen ausgeweidet wurden (etwa das von Benjamin Happel in seiner Besprechung  in den Mittelpunkt gestellte Strassen-Motiv, bei mir einfach in einem anderen Zusammenhang auftauchend). Und wer glaubt, dem Film mit dessen oberflächlichem Handlungsgerüst (die erfolglose Schauspielerin Diane träumt sich in eine für sie bessere Welt hinein, um im zweiten Teil mit der Wirklichkeit - und dem Wahn - konfrontiert zu werden) oder den kryptischen  Hinweisen des Regisseurs auf der Spur zu sein, irrt. Denn selbst im Traum wird der Traum zum Motiv, träumen doch auch darin vorkommende Figuren (etwa der Mann im “Winkie’s”) oder werden wie Adam Kesher aus ihren Träumen herausgerissen: “It’s no longer your film.” - Kesher, der nicht umsonst “Adam” heisst, ist überhaupt eine faszinierende Gestalt, an der sich zeigen lässt, wie tief  Lynch in kulturellen Vorstellungen und Bildern wühlt: Oberflächlich betrachtet ein Regisseur, dem zuerst freundlich (“I know you said you would entertain suggestions.”), später rücksichtslos und seine Existenz bedrohend eine Hauptdarstellerin aufgezwungen  wird, ist zugleich der sich allmächtig wähnende erste Mensch, der erkennen muss, wie klein seine wirkliche Bedeutung im Gefüge des göttlichen Zwergs ist (welch herrliche Vorstellung: einer der um die "richtige Eva" verhandelnden Erzengel im Raum hält sich für  einen Espresso-Experten!) - eine Erkenntnis, der er mit dem Zerstören (im Film des Wagens der Castigliane-Brüder und des Schmucks seiner untreuen Frau) begegnet.

Der Sinn dieser einleitenden Worte? - Es lohnt sich im Hinblick auf eine Besprechung ausnahmsweise kaum, gross Recherchen anzustellen, bietet “Mulholland Dr.” doch so viel Raum für eigene Begegnungen, deren Entfaltung im schlimmsten Fall durch sich ultimativ gebende Interpretationen verwehrt werden könnte. Es gilt auch zu bedenken, dass Lynch’s Film ein Fragment ist (ein ursprünglich für den amerikanischen Sender ABC gedrehter und abgelehnter Pilotfilm wurde bekanntlich dank “Canal Plus” um mehrere Szenen erweitert und mit einem neuen Ende versehen), dass ihm deshalb wohl eine fragmentarische Besprechung angemessen ist - und man sich der Bedeutungslosigkeit seiner Bemerkungen jederzeit bewusst sein sollte, zeigen doch sämtliche anderen Annäherungen: wir haben es nicht nur mit einem äusserst vielschichtigen, sondern - ein Phänomen, dem ich in der Filmgeschichte vorher nie begegnet bin! - einem  vollendeten Fragment, dessen Tiefe sich nicht in Worte fassen lässt, zu tun.


Zum nackten Handlungsgerüst: Die junge Schauspielerin Betty Elms ist nach Hollywood gekommen, um als Schauspielerin Karriere zu machen. Im Apartment ihrer in Kanada weilenden Tante Ruth begegnet sie einer mysteriösen dunkelhaarigen Frau, die nach einem nächtlichen Unfall ihr Gedächtnis verloren hat. Obwohl die Vermieterin Coco der Anwesenheit der Fremden mit Misstrauen begegnet, will Betty ihr helfen. Neben ihrem ersten Vorsprechen, bei dem sie auch dem von ihr faszinierten Regisseur Adam Kesher begegnet, der  jedoch bereits auf Camilla Rhodes als Hauptdarstellerin festgelegt wurde, begibt sie sich zusammen mit ihrer neuen Freundin, die sich (von einem Poster, auf dem die Hayworth als “Gilda” angekündigt wird, inspiriert) "Rita" nennt, auf Spurensuche. Sie stossen dabei  auf die verweste Leiche einer Frau namens Diane Selwyn, deren Anblick Rita zusammenbrechen lässt. - Der Besuch des eigenartigen Clubs “Silencio” am frühen Morgen verrät den beiden sich mittlerweile liebenden Frauen, womit sie es zu tun haben: “It is an illusion.” - Denn nachdem Rita einen in ihrer Tasche entdeckten blauen Würfel mit einem dreieckigen Schlüssel geöffnet hat, verändert sich das “Universum” des Films: Namen ändern sich, Figuren  nehmen neue Wesenszüge an, einigen bislang nicht einzuordnenden Gestalten  aus Nebensträngen (dem tolpatschigen  Gangster Gene, der nicht nur ein Blutbad anrichtet, sondern auch noch den Lärm verursachenden Staubsauger erledigt) und Szenen (etwa dem vor den Credits angedeuteten  Jitterbug-Wettbewerb) kommt sogar  plötzlich eine überraschende Funktion zu. Was der Zuschauer in der ersten Hälfte verfolgte, war nämlich der Traum der erfolglosen Schauspielerin Diane, die sich nach ihrer einstigen Geliebten Camilla (im Traum Rita) verzehrt und sie jetzt, da diese sich mit dem Regisseur Kesher verlobt hat, umbringen lassen will. Am Ende wird die eine trostlose Wirklichkeit nicht mehr Ertragende von Wahnvorstellungen verfolgt und erschiesst sich.

Ein Film, der so intensiv mit Schein und Sein spielt, selbst den Zuschauer lange über sein Spiel im Unklaren lässt, kann nicht zufällig in Hollywood angesiedelt sein: Hollywood ist der Ort, der Träume herstellt und zu erfüllen vorgibt, der Ort der Illusionen, auch der Ort, an dem sich  “Realitäten” gegenseitig überlappen, Identitäten verloren gehen (deshalb vielleicht die zahlreichen Vorahnungen und Déja-vu-Erlebnisse, besonders deutlich illustriert am Betreten des Zimmers, in dem sich eben noch die jungen Frauen aufhielten, durch die etwas wahrnehmende Tante Ruth, die in einer der "Wirklichkeiten" gar nicht in Kanada, sondern tot ist). - Und warum sollte  ein Traum, der zunehmend die Atmosphäre eines “film noir” annimmt, ja sich beinahe als Film versteht (Betty ermutigt ihre Freundin zu einer telefonischen Erkundigung mit den Worten: “It’ll be just like in the movies. Pretending to be somebody else.”), an diesem alles verzerrenden und vervielfältigenden Ort nicht realistischer wirken als die eigentliche Realität - falls diese überhaupt existiert? Die Bewegungen der Frauen in der “Betty”-Story (dem Traum) sind betont langsam, gleitend, auf Details wird Wert gelegt (ein Schwenk auf den mit Spiegeleiern und Speck gefüllten Teller des Kunden im “Winkie’s”, dem Haar eines Erschossenen wird bis zu den Spitzen gefolgt). Die “Diane”-Realität wirkt  hingegen bruchstückhaft trist, man weiss manchmal nicht, ob man einer chronologischen Darstellung folgt - oder sich gar  in einer "Wirklichkeit" befindet, die wir gemeinhin als "Traum" bezeichnen. --- Beim Dreh im Studio scheint die Verwandlung  von einer Gestalt in eine andere wie von selber zu funktionieren: Betty, der noch eben das untalentiert geschriene  Einüben des Texts für ein Vorsprechen solche Schwierigkeiten bereitete, benötigt vom Partner, einem älteren, offenbar nach jungen Schauspielerinnen gierenden Typen, nur den Hinweis: “I wanna play this one nice and close” - schon verwandelt sie sich in ein  wahrhaftes Luder, das seine Hand an ihren Hintern drückt. Ganz so leicht ist es jedoch nicht, wenn man aus der einer traumhaften Realität zu verdankenden faszinierenden Frau in eine möglicherweise wirkliche geworfen wird, deren Sein fragmentarischer wirkt als ein Leben im Traum.

Dieses intensive Verändern der Realitäten ist noch mehr als in früheren Arbeiten das eigentliche Thema in Lynch’s Film, der trotz der herrlichen Aussichten auf das nächtliche Los Angeles vom Mulholland Dr. hinab auch  eine boshafte Abrechnung mit der Traumfabrik wurde. Er dekonstruiert (wer hätte mir diesen  verachteten "terminus technicus" je zugemutet?) das berühmte “Gleiten” durch die Kamera, das aus alltäglichen Menschen Stars macht (ich erinnere an die verblüffte Feststellung eines Sir Laurence Olivier, der an sich über die Zusammenarbeit mit Marilyn Monroe für seinen  Film “The Prince and the Showgirl”, 1957, keineswegs glücklich war, er müsse dem unscheinbaren Wesen die Gabe zugestehen, sich in der Kamera in eine Göttin zu verwandeln). - Und er fragt: Was geschieht in der Kamera? Wer oder was ermöglicht dieses  Gleiten von einer Realität in die nächste? - Es scheint mir, er greife hier nicht zuletzt auf den Behaviorismus zurück, der sich mit dem Phänomen der “Black Box” - für die im Film der geheimnisvolle blaue Würfel steht - beschäftigte - und zur ernüchternden Einsicht kam, dass wir  das "Sein zu etwas" nicht verstehen können, nämlich was in der Box geschieht. Lynch, der Wühlende, stösst hingegen auf das bizarre Figuren-Arsenal, für das er bekannt ist, legt dem Cowboy Worte in den Mund, die sich wohl mysteriöser geben als sie sind - und vermag gewisse Stränge wegen des fragmentarischen Charakters seines Werks  - was vielleicht durchaus dem Wesen dieses Wühlens angemessen ist - auch nicht auszuarbeiten. Gleichzeitig gelingt es ihm jedoch,  beängstigende Bilder für die dunkle Allmacht zu finden, die dieses von so vielen Schauspielern ersehnte, letztlich jedoch auch nicht Erlösung bringende Gleiten ermöglicht: es ist ein Hollywood, das sich längst nicht mehr in den Händen von Studiobossen, Produzenten und Regisseuren befindet, sondern von einer sonderbaren Mafia zu dem Gehorsam gezwungen wird, den ein undurchschaubarer Gott (ein Zwerg hinter Glas!) einfordert. - Über dem berühmten "Hollywood"-Schriftzug am Mount Lee, Symbol für eine Träume erschaffende und lebende Welt, sieht man  denn auch überdeutlich die riesigen Antennenanlagen, die Tinseltown zur kalten, hochtechnisierten  und mit Sicherheit überwachten Angelegenheit machen. Und das Umkreisen der Wolkenkratzer sagt: Ihr habt ja keine Ahnung, was hinter dieser Kälte vor sich geht!

Der Club “Silencio” wiederum lässt uns erahnen, was mit den Sich-Verwandelnden geschieht: Sie, die einander vorübergehend Angeglichenen (Rita trägt jetzt eine blonde Perücke!), der früheren Identität Entledigten, gelangen während eines Roy Orbison-Songs  weinend zur ernüchternden Erkenntnis,  dass “no hay banda”, dass es keine Band gibt, alles Illusion ist und bleibt - sie lediglich noch nicht wissen, welche Rolle sie in der nächsten Scheinrealität einnehmen werden, wenn sie den Würfel geöffnet und die Black Box durchschritten haben. -  Rita ist das Glück hold: Sie verwandelt sich in den von Kesher begehrten Star Camilla, die freundliche Vermieterin Coco in dessen arrogante Mutter - und die naive, unschuldige Betty wird zur verzweifelt Masturbierenden, die sich mit Mordgedanken trägt und anlässlich der um Kesher's mondänen Pool stattfindenden Party dabei zusehen muss, wie Camille jene ihr unbekannte Frau küsst, die in ihrem Traum als unbegabte Camilla Rhodes vorkam. --- Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen den beiden Rollen in zwei Studioszenen herausgearbeitet: Im "Traum" erfasst Betty das winzige Fenster, in dem die sich vorstellende Schauspielerin ihr “Sixteen Reasons” singt, zu Beginn gar nicht als solches, und selbst nach dem Wahrnehmen des Studiocharakters mit seinem Apparat steht sie, der angehende Star,  im Mittelpunkt des Interesses, da sie den Regisseur augenblicklich anzieht. In der "Realität" ist das kleine Auto, in dem Kesher dem Schauspieler vorführt, wie er Camilla halten soll (wobei er sie vor den Augen einer die Tränen mühsam zurückhaltenden Diane gleich noch leidenschaftlich küsst), vom ganzen Set umgeben.


Lynch benutzt seit Dennis Hopper’s Schreckensfahrt in ”Blue Velvet” (1986)  immer wieder das Motiv der Strasse, die eine Figur von einem Ort zum anderen bringt  (respektive sie zwischen den Realitäten wechseln lässt) - oder bringen sollte. Dass die Strasse eine äusserst problematische und unsichere Anglegenheit ist, verdeutlicht er bei dieser Gelegenheit  auch gerne: In “Wild at Heart” werden Sailor und Lulu bekanntlich förmlich von der bösen Hexe aus Victor Flemings “The Wizard of Oz” verfolgt; ein Schwenk in den Himmel (üblicherweise das probate Mittel, wenn man zeigen will, wie schnell die Zeit im Film vergeht) dient in “The Straight Story” (1999) der Darstellung der Langsamkeit, des nicht Vorwärtskommens - und in “Lost Highway” (1997) scheint Bill Pullman - dies ohne Anspruch auf Richtigkeit! - mitten auf dem Highway in den Tod stecken zu bleiben. Ähnliches widerfährt Rita, die auf dem Mulholland Dr. eigentlich erschossen werden sollte, aber in Diane's Traum wegen eines Unfalls stecken bleibt, damit sie zu Betty's Geliebter werden kann. - Zweifellos  ein verständliches Hinauszögern des Gleitens  auf einer Strasse, die in eine sie zur Leidenden, Nebensächlichen verdammenden Realität  führen wird (man beachte in diesem Zusammenhang die im Gegensatz zur Strasse zum Erfolg trostlose Gasse vor dem Club, auf der nur ein paar Papierfetzen herumwirbeln!).

Nach dem gescheiterten Versuch, ihre Geliebte umbringen zu lassen, wird Diane im Wahn vom alten Ehepaar heimgesucht, das ihr auf dem Flug nach Los Angeles (Realität und Fiktion durchdringen sich oft im Traum) vermutlich wirklich Gesellschaft leistete. Sie nimmt sich das Leben, damit das Sich-Bewegen in unterschiedlichen Wirklichkeiten endlich ein Ende findet. Bringt diese Tat die Erlösung? Die blauhaarige Dame im “Silencio” scheint es zu bestätigen. - Es ist  Lynch aber zuzumuten, dass er uns mit “Mulholland Dr.” nur Diane’s  Todestraum gezeigt hat, der sie wiederum in eine andere Scheinrealität führt...

Wenig wurde gesagt in diesem langen Eintrag; und was gesagt wurde, entsprang einem völlig westlich geprägten Gehirn, das sich nicht annähernd in den Kosmos dieses Regisseurs einzudenken vermag. Man könnte auch die Traum-Problematik weiterverfolgen und sich fragen, ob  "Mulholland Dr." den Zuschauer dermassen anzieht, weil er ein kollektives Unbewusstes anspricht: Wir alle träumen, träumen uns in schönere Welten - und befinden uns gelegentlich vor dem Aufwachen in jenem magischen Club, in dem wir auf boshafte Weise mit der Illusion konfrontiert werden, der wir uns hingaben. - Dennoch: "Mulholland Dr." scheint mir tatsächlich  ein wenig deutbarer zu sein als "Lost Highway". Das soll aber nicht heissen, er sei weniger tiefgründig. Im Gegenteil:  Lynch lädt den Zuschauer geradewegs zu einer für seine Verhältnisse nach der zweiten oder dritten Sichtung einigermassen nachvollziehbaren Geschichte mit Retro-Chic ein, damit dieser überhaupt eine Chance erhält, sich in seine Mythen einzuleben. Selbst das Rätsel um den Mann im "Winkie's" löst sich auf: Er war anwesend, als Diane den Mordauftrag erteilte, und erhält im Traum die Fähigkeit, ihr Unbewusstes (den Obdachlosen, der auch kurz vor ihrem Selbstmord erscheint!) erfasst, sie durchschaut zu haben.


Dass ich mich so gut wie gar nicht über mein persönliches Empfinden für Lynch’s Klassiker, an dem jeder  seither zum Jahrhundertwerk hochstilisierte Versuch, sein Publikum mit unterschiedlichen Zeit- und Traum-Ebenen zu beeindrucken (Aronofsky's "The Fountain", 2006, Nolan's "Inception",  2010 etc.), kläglich scheitert,  schon gar nicht über meine Begeisterung für Naomi Watts und die anderen Darsteller (die grosse Ann Miller in ihrer letzten Rolle!) ausgelassen habe, wird man bemerken Sollte ich, da diese Besprechung für einen Pedanten zum Glück auch jetzt schon  weniger als unvollständig ist? Übrigens: Einer meiner Kollegen betrachtete die beiden Detektive, die sich zu Beginn über den nächtlichen Unfall unterhalten, als Reverenz an die auf dem Friedhof umherlaufenden Polizisten in  Ed Wood's "Plan 9 From Outer Space" (1959). - Silencio!

22 Kommentare:

  1. Großartige Besprechung! "Mulholland Drive" ist bei mir mittlerweile zu einem persönlichen Lieblingsfilm avanciert und war letztlich daran Schuld, dass ich mir Lynchs Gesamtwerk inklusive der Kurzfilme binnen kurzer Zeit zu Gemüte geführt habe. "Mulholland Drive" bleibt meines Erachtens jedoch unerreicht. Erwähnenswert ist unter eventuell auch Lynchs 2006 erschienener "Inland Empire", der sich als Gegenstück zu "Mulholland Drive" interpretieren lässt, um einiges kryptischer ist und die Kritik an der Traumfabrik Hollywood ebenfalls nicht scheut.

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  2. Vielen Dank! Ich hatte eher den Eindruck, es sei eine völlig unzulängliche Besprechung (bei einem Lynch wohl unumgänglich); man möchte nach jeder Sichtung auf weitere Details eingehen. "Inland Empire" ist der umstrittene Film, den ich mir jetzt endlich zu Gemüte führen muss. Ich fürchtete lange Zeit, er würde meiner späten Annäherung an den grossen Regisseur (sie erfolgte tatsächlich auch erst in den 90ern mit der Serie "Twin Peaks"!) nicht bekommen. Es scheint mir jedoch an der Zeit zu sein: "Mulholland Dr." ist schliesslich ein derartiges Meisterwerk, dass man von ihm aus getrost den Schritt in Lynch's filmische Vergangenheit und Zukunft wagen darf. - Kleines Bonmot am Rande: Ich zeigte den Film meiner Splatter-Mutti (bald 77). Sie kaute zwei Stunden lang an den Fingernägeln, um am Ende zu bemerken, sie habe nichts begriffen. Drei Wochen später wollte sie ihn sich noch einmal ansehen. ;)

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  3. Ich muss zugeben, dass mich MULHOLLAND DRIVE bei meiner ersten Sichtung doch recht verwirrt hat, und im Gegensatz zu deiner Splatter-Mutti hab ich ihn seitdem nicht mehr gesehen. Deine Interpretation klingt plausibel, und mit ihr im Hinterkopf werde ich sicher irgendwann mal zu einer erneuten Sichtung schreiten. Mein Lieblings-Lynch bleibt aber vorerst der auch etwas enigmatische ERASERHEAD.

    Über "sich ultimativ gebende Interpretationen" brauchst Du dir keine Gedanken machen, denn mit diesem Anspruch könnten sie seriöserweise nur von Lynch selbst kommen, und der lehnt es ja ab, derartige Auskünfte zu erteilen.

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  4. Die erste Sichtung IST natürlich verwirrend. Sie liess auch mich ratlos zurück. Während ich aber jetzt noch grosse Schwierigkeiten habe, mich dem faszinierenden "Lost Highway" von der Handlung her zu nähern, klären sich manche Dinge in "Mulholland Dr." perfiderweise doch auf. Perfiderweise, weil sie uns letztlich erkennen lassen, dass wir nur an der Oberfläche kratzen.

    "Eraserhead" kam bei mir auch mit Verspätung an, da mir Lynch seit "Blue Velvet" und erst recht seit "Wild at Heart" nichts zu bieten schien; ein Urteil, das ich zum Glück noch revidieren konnte.

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  5. Großes Lob für die Besprechung. Ich müsste den auch irgendwann mal wieder anschauen, aber leider verhält es sich bei mir anders, als bei vielen Anderen: Gerade die jüngeren Filme von Lynch verlieren (zumindest für mich) mit jeder weiteren Sichtung viel von ihrer einstigen Faszination. Letzlich ist die Zustandsbeschreibung von Hollywood und seinen Bewohner, auch nicht viel weiter, als es jene von Wilder seinerzeit beim großen Vorbild SUNSET BOULEVARD war - behaupte ich jetzt einfach, ohne das momentan passend belegen zu können :P
    INLAND EMPIRE ist in seinem Verzicht auf klassische Narration und der Versteifung auf eher von einander losgelösten Tabelaus und Zustandsbeschreibungen sicherlich der konsequenteste Lynch-Film - allerdings auch ein schwer verdaulicher...

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  6. Lynch ist - wie du richtig bemerkst - ein grosser Verehrer von Wilder's "Sunset Blvd.", der vielleicht unerreichbaren Hollywood-Schelte. Man könnte also behaupten, er habe sich, was diese Thematik anbelangt, an Wilder "versucht". Es kommen zumindest für mich bei ihm viele weitere Aspekte hinzu, die ich gar nicht alle entschlüsseln könnte (jede Sichtung bringt neue). - Und dann natürlich meine lediglich angetönte Begeisterung für Naomi Watts. ;)

    Ich habe mich in den letzten Jahren auch mit Lynch's Arbeiten angefreundet, die vor oder unmittelbar nach "Twin Peaks" entstanden (den eher konventionellen "The Elephant Man" bewunderte ich natürlich schon lange). Es scheint mir aber, er führe seine Motive in Mulholland Dr." auf bemerkenswerte Weise zusammen. Und auf "Inland Empire" bin ich jetzt richtig gespannt: Wird er mich begeistern oder zu einem späten Verriss verlocken?

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  7. Zu LOST HIGHWAY gibt es bei Wikipedia einige Ansätze zur Interpretation. Der dort erwähnte Artikel von Ralf Ramge, den ich dir empfehlen kann, ist zwar an der verlinkten Stelle nicht mehr vorhanden, aber die Originalfassung aus dem Usenet ist noch bei Google Groups auffindbar.

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  8. Vielen Dank für den Hinweis! Ich meine, einer meiner Kollegen sei mal von Wiki ausgegangen, kenne jedoch den von dir verlinkten Artikel nicht. Könnte spannend werden. Und mehr als Ansätze darf, ja soll man zu einem Lynch-Film auch nicht fordern.

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  9. sehr geile besprechung... mulholland drive ist der beste film aller zeiten. inland empire fand ich im gegensatz zu vielen anderen auch sehr stark. lohnt sich auf jeden fall!

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  10. Vielen Dank! Ich neige dazu, dir zuzustimmen. Wir haben es zumindest wohl mit (für mich neben "Amores Perros") DEM das neue Jahrtausend bestimmenden Film zu tun --- mögen uns Nolan-Fans auch erwürgen. ;) Und "Inland Empire" wird bei nächster Gelegenheit bestellt: Der Film ist ohnehin billig zu haben, weil er manchen Fans zu starker Tobak war.

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  11. Wirklich eine tolle Besprechung. Sicher ist es vermutlich unmöglich, "Mulholland Dr." so in Worte zu packen, dass die Rezension dem Film tatsächlich abschließend gerecht wird. Nicht umsonst betonst du ja das Fragmenthafte, das eine abschließende Deutung recht unsinnig macht, möchte man meinen. Ich persönlich habe ihn nur ein einziges Mal gesehen und hatte danach den Eindruck, wirklich gar nichts verstanden zu haben. Vielleicht lag ich damit auch ziemlich richtig, jedenfalls werde ich ihn mir früher oder später noch mal anschauen. Nur etwas dazu schreiben, das werde ich mich wohl nie trauen. ;-) Von daher: Respekt!

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  12. Es war natürlich auch eine "Pflichtbesprechung", die weitere Sichtungen nötig machte. Und ich kann dir versichern: Diese Sichtungen lohnten sich! Es geht ja nicht einmal nur um ein "Verstehen" (oft vermeintlich), sondern auch um ein Sich-Mitreissenlassen von einer Bilder- und Motivflut (ich habe z.B. kein einziges Wort über die den Figuren zugeordneten musikalischen Motive verloren). Es gibt deshalb noch so viele Dinge, die jeder Zuschauer erwähnen möchte; und ich warte trotz deines Zögerns gespannt auf eine Besprechung in deinem neuen Blog, den ich jetzt mal trotz seiner bislang wenigen Beiträge in meine Blogroll aufnehme. :)

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  13. Ich bin wirklich gespannt, was du zu INLAND EMPIRE zu sagen hast; ich habe mich damals - entgegen vieler anderer Ansätze - einfach dazu entschieden, weder sein Konstrukt nocht seine Narration großartig zu hinterfragen, sondern einfach als gegeben hinzunehmen. Für mich ist es ein undruchdringbarer Alptraum, der für den Moment lebt, und von ich mir sicher bin, dass Lynch ihn tatsächlich eher als Erfahrungskino angelegt hat, das einer Interpretation überhaupt nicht bedarf. Sein radikalster Film, und abgesehen von BLUE VELVET wahrscheinlich auch mein liebster von ihm. :)

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  14. Ich habe ihn schon bestellt. Du weisst aber, wie das bei uns ist: Filme, die man sich im Hinblick auf eine Besprechung eigentlich unbedingt anschauen sollte, bekommen das berühmte "There's a queue, Dear!" zu hören und müssen hinten anstehen. Wir dürfen uns im Gegensatz zu Profis, deren Besprechungen vorgegeben sind, den Luxus leisten, "im Augenblick zu baden".

    Selbst ein Film, der mir schon lange am Herzen liegt, kommt erst als Einstieg nach einem Urlaub vom Blog dran. Ich werde mir vermutlich Diverses für den Text aufreissen... ;)

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  15. Beim Lesen des Eintrags fiel mir auf, dass sich diese fragmentarische Entstehung nicht nur bei Mulholland Dr. finden lässt. Bei Inland Empire wurde Material aus seinen Kurzfilmen Rabbits benutzt und den Spielfilm zu Twin Peaks kann man streng genommen auch als abgebrochenes Fragment der gleichnamigen TV-Serie ansehen. Aber um daraus etwas zu schließen fehlt mir der Grips, aber ich wollte es mal anmerken.
    Ich liebe übrigens auch Lynch, aber konnte leider mit seinem Inland Empire noch weniger anfangen, als mit seinem Dune. Wobei es hier auch sehr, sehr starke Fragmente (ab jetzt mein neues Schlagwort zu Lynch!) zu beobachten gibt, aber insgesamt hatte ich den Film nach der ersten und einzigen Sichtung etwas ausgezerrt als Laura Dern'schen Gesichtsvoyeurismus bezeichnet...
    Hier bin ich ja auf deine Meinung fast noch mehr gespannt als ich auf deinen Mulholland war. Aber großes Lob, hat sehr viel Spaß gemacht einen längeren Text darüber zu lesen (ausnahmsweise habe ich hier mal einen Film aus deinem Blog gesehen, hehe).

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  16. Wer hat DEN schon nicht gesehen? ;) - Ich wusste bislang gar nichts vom fragmentarischen Charakter des Films, den man entweder vergöttert oder hasst, nur von der äusserst langen Entstehungszeit. Ob Laura Dern wirklich das Bedürfnis hat, ständig ihr (mich bis jetzt auch vom Film abhaltendes) Gesicht zu zeigen, bezweifle ich ein wenig. Ist es nicht eher so, dass Lynch jede ihrer Poren mit seiner Kamera verschlingen möchte (s. "Wild at Heart"). Ich hielt offen gestanden von ihr als Schauspielerin nie besonders viel - bis ich sie in "Rambling Rose" (1991), den du vermutlich auch kennst, sah. Die Nymphomanin, die sie dort hinlegt, ist wirklich beachtlich.

    Endlich jemand, der auch den - in dem Fall direkt schon peinlichen und wohl der Not entsprungenen - fragmentarischen Charakter von "Twin Peaks: Fire Walk with Me" (1992) betont! Ich glaube, wer seinerzeit noch nägelbeissend die Serie verfolgt hatte, muss dieses Erzeugnis einfach hassen. - Auf eine Besprechung von "Inland Empire" wirst du natürlich noch lange warten müssen: Mein filmischer Gastrointestinaltrakt lässt sich Zeit. Ich werde mir hingegen Mühe geben, wieder mal einen Film zu besprechen, den du von deinem Alter her auch kennen müsstest - bin aber mit dem Werk von Georges Méliès nicht so vertraut. ;)

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  17. Immer diese überzogenen Tiefschläge! :D

    Ich bin doch noch nicht mal 30 und gucke total trendy stuff. Also müsstest du mir schon eine Besprechung wie zB zu High School Musical liefern, so dass ich mich mal richtig ereifern könnte.

    Okay, nochmal kurz ernst, um dein Alter nicht zu überfordern (hihi):

    Ein Gesichtsfetisch von Lynch müsste ich ehrlich gesagt nochmals überprüfen, bisher hat sich mir der Gedanke nicht wirklich aufgedrängt. Bei Inland Empire traf das allerdings in meinen Augen zu und ich habe mich mit zunehmender Laufzeit richtig darüber geärgert, wie Lynch fast den kompletten Film auf Dern's Gesicht tragen lässt. Ich mag sie übrigens auch nicht, wobei ich sie mir in keinem Lynch wegdenken möchte. Ich vermute, dass Lynch weniger an einem grandiosen Spiel, noch an besonderem Charisma interessiert ist, sondern vielleicht mehr Potential in eher konturlosen Darstellern sucht (denke hierbei an Kyle MacLachlan, Laura Dern und Bill Pullman).

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  18. Zumindest was Bill Pullman anbelangt: Einverstanden. Für Kyle entwickelte ich mit der Zeit eine gewisse Schwäche (der alte "Twin Peaks"-Freak). Über die Fähigkeiten von Laura Dern (sie ist in den Staaten offenbar populär) mag man geteilter Meinung sein; ich möchte jedoch auch nicht annähernd drei Stunden lang in den "Bann" ihres Gesichts geraten. ;)

    Ein Film, der deinem Trend entspricht und dich - ein Mäuschen, das Filmdiskussionen mit Interesse verfolgt, hat es mir zugeflüstert - auch "begeistert", könnte vielleicht nach den Ferien mal an die Reihe kommen: das kleine Meisterwerk "Kick-Ass" (2010)! ;) - Der war jetzt hinterhältig, ich weiss.

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  19. Ich mag den ja Kyle auch, aber ich möchte geschätzte 90% von seiner Filmographie gar nicht sehen, weil er außerhalb von Lynch in einer Menge uninteressantem Kram mitgespielt hat - bis hin zu Sex and the City. Und ich unterstelle hier einfach mal, dass der Kyle diese Sachen nicht mit einer großartigen Schauspielkunst herausreißen wird. Daher 'konturlos', wobei mir die Wortwahl auch nicht mehr so recht gefällt. Genauso würde ich mir per se nichts großes erwarten, wenn im Cast die Dern oder der Pullman auftauchen. Unter Lynch sind alle drei ziemlich gut aufgehoben, unter anderer Hand wirken die allerdings ganz schön blass. Zumindest bei meinen bisherigen Begegnungen.

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  20. Vielleicht erwartete Lynch ja auch, er habe sich mit Naomi Watts eine ähnlich konturlose Schauspielerin an Bord geholt. ;) - Laura Dern spielte natürlich zumindest noch in ein paar interessanten Filmen mit (neben "Rambling Rose" etwa in "October Sky" und dem Geheimtipp "Happy Endings"); ein Blick auf die Filmographie von Kyle MacLachlan führte hingegen zu eigenartigen Aha-Erlebnissen (Stimmt: in den "Flintstones" spielte er ja den Bösewicht!), die nicht für ihn sprechen. - Zumindest Naomi hat die "Befreiung" von Lynch geschafft, obwohl ich nach Forster's "Stay" (2005) nicht mehr so recht auf sie setzen wollte...

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  21. @Whoknows: Danke für's Blogrollen, und wer weiß, vielleicht eines Tages. ;-) Bei Gelegenheit könnte man sich ja auch mal die DVD zulegen, ich hab "Mulholland Dr." hier bislang immer noch als VHS rumstehen. =D

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  22. Das grenzt ja an Blasphemie! Bei Cameron's "Titanic" hätte ich noch Verständnis; der setzt bei mir nämlich auch als VHS Staub an, weil Splatter-Mutti ihn sich vor der zweitletzten Ölung unbeding zum zweiten Mal anschauen will - nach "Hard Candy" und ein paar weiteren Schöckerchen. ;)

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